Positiventreffen mit Schwerpunkt: Frisch getestet

„Frisch getestet“ – das kommende 153. Bundesweite Positiventreffen wendet sich gezielt an Menschen, die ihr HIV-positives Testergebnis in den vergangenen ein oder zwei Jahren erhalten haben.

Auf dem Treffen, das vom 29.07.2012 bis 2.8.2012 im Waldschlößchen (bei Göttingen) stattfindet, werden u.a. Workshops zu folgenden Themen angeboten:

  • Late Presenter
  • Muss ich schon eine Therapie machen?
  • HIV und mein soziales Umfeld
  • Perspektiven nach der HIV-Diagnose
  • Medizin Basics
  • Medizin: komplementäre Medizin
  • Sozialrecht Basics
  • kunsttherapeutischer Workshop
  • Outdoor Sport

Die Bundesweiten Positiventreffen werden organisiert von positiv e.V. in Zusammenarbeit mit der Akademie Waldschlößchen  und mit Unterstützung der Deutschen Aids-Hilfe.

Anmeldung online direkt über die Internetseite der Akademie Waldschlößchen

Die bundesweiten Positiventreffen in der Akademie Waldschlösschen

Vom 29. März bis 1. April 2012 fand im Waldschlößchen das 150. Bundesweite Positiventreffen statt.
Als Dokumentation die Rede, die Wolfgang Vorhagen (Akademie Walschlößchen, positiv e.V.) zum Jubiläum hielt:

Die bundesweiten Positiventreffen in der Akademie Waldschlösschen

Etliche schwule Männer – so wie ich auch, reagierten Anfang der 1980iger auf die ersten Meldungen über diese merkwürdige und unheimliche Krankheit aus den USA, zunächst mit Abwehr und mit der Mutmaßung einer neuen öffentlichen Kampagne gegen Schwule und ihre gesellschaftlich errungenen Emanzipationserfolge.
Aber nur kurze Zeit später sahen wir auch hier in Deutschland, dass da eine unabsehbare und sehr reale Gefahr auf uns zukommt und vieles zunichte machen könnte, was wir bis dahin persönlich und gesellschaftlich als Schwule geschafft hatten. Die Haltung der Gesamtbevölkerung zu schwulen Männern hatte sich liberalisiert und wir hatten immer mehr das Gefühl, auch unsere Sexualität repressionsfrei ausleben zu können. Wir hatten eine schwule Szene geschaffen, die uns u.a. auch viele sexuelle Freizügigkeiten erlaubte mit der Möglichkeit, angstfrei unsere Sexualität zu leben. Und das taten wir auch!
Der medizinische Ratgeber für Schwule – Sumpffieber – klärte uns über all das auf, was wir uns dabei holen konnten, worauf wir achten sollten und was wir dagegen ggf. tun mussten!

Und dann kam HIV, damals noch HTL-III-Virus genannt. Die ersten schwulen Männer in unserem Bekannten- und Freundeskreis erkrankten, unsere Angst und Verunsicherung wuchs. Bedeutete es das Ende unserer mühsam errungenen – auch – sexuellen Emanzipation, die sicher auch in der Sexualisierung der Szene und dem uns ja immer wieder vorgeworfenen Hedonismus je nach Blickwinkel auch ein paar Schattenseite hatte? Wird die liberale gesellschaftliche Haltung der 80iger sich wieder umkehren und schwule Sexualität jetzt als gefährlich und abnorm verurteilt und uns die Schuld dafür gegeben, dass auch Heterosexuelle Opfer von HIV sein werden? Plötzlich war von der gerechten Bestrafung der Schwulen für ihren nicht der Norm entsprechenden, hedonistischen und sexualisierten Lebensstil zu hören und zu lesen – und bei nicht wenigen schwulen Männer aktualisierten diese Vorwürfe ihre eigenen Schuldgefühle hinsichtlich ihrer Lebensweise. „Es musste so kommen“ war immer wieder bei denjenigen zu hören, die ihr positives Testergebnis in den Händen hielten.

Wie war die damalige gesellschaftspolitische und öffentliche Reaktion in Deutschland auf die unheimliche Krankheit? Es gab Mitte der 80iger auf der politischen Ebene den Kampf zwischen dem stockkonservativen CSU-Politiker Gauweiler in Bayern (mit seinem Maßnahmenkatalog nach dem Bundesseuchengesetz mit Meldepflicht für alle HIV-Positiven) und auf der anderen Seite u.a. die damalige Gesundheitsministerin Rita Süßmuth, die den Grundstein legte für die dann insgesamt liberale AIDS-Politik in Deutschland. Es gab eine große Medienhysterie (von Spiegel bis Bildzeitung) und eine große Verunsicherung seitens der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der noch dürftigen virologisch-medizinischen Erkenntnisse.

Es war 1985, als ich aus meiner Heimatstadt Aachen als Projektmitarbeiter hier im Waldschlösschen für anfangs wenig Lohn einstieg und gleich hier lernte ich auch den ersten AIDS-kranken schwulen Mann – Gerd aus Köln – kennen, den ich trotz meiner Ängste vor dieser Krankheit sehr attraktiv fand. Mit ihm und meinen Besuchen in Köln begann endgültig meine persönliche Auseinandersetzung mit HIV und mir wurde damals klar, dass es für mich nur zwei Möglichkeiten gab, den Herausausforderungen des Virus und den damit verbundenen Ängsten entgegenzutreten: Wenig tun und abwarten oder aktiv werden, zusammen mit Kollegen hier im Waldschlösschen offensiv werden und Fortbildungen und Seminare für Leute, die sich in AIDS-Hilfen zu engagieren begannen, zu organisieren – und das geschah sehr früh auch zusammen mit der Deutschen AIDS-Hilfe. Das Waldschlösschen erwies sich für mich als der richtige Ort, etwas entgegen zusetzen gegen meine eigene Angst vor der Infektion, der Trauer über die wachsenden Verluste im Bekannten- und Freundeskreis, den gesellschaftlichen Druck und über die große Verunsicherung gegenüber meiner eigenen Sexualität als schwuler Mann.

Und dann die Positiventreffen: Es war Anfang 1986 als Jörg Sauer aus Speyer und Bernd Flury aus Bonn an uns herantraten – beides schwule Männer, die das Waldschlösschen bereits als das seit 1981 existierende „schwule Tagungshaus“ kannten. Ihrer Meinung nach konnte ein solches Treffen mit dem dafür notwendigen geschützten Rahmen nur hier stattfinden.

Vom 8.-11. Mai 1986 war es dann soweit. Über Mund-zu-Mundpropaganda, AIDS-Hilfen und Zeitschriften wurde das Treffen beworben.

Selbst „Der Spiegel“ wies auf dieses 1. Treffen hier im Waldschlösschen hin, ohne den Veranstaltungsort zu nennen – Zitat: „Im Mai will der Münsteraner Student Bernd Flury die HTL-III-Antikörper-Positiven“ zu einem ersten Treffen versammeln. Es soll unter anderem über Tod und humanes Sterben geredet werden.“ (Dank hier für die Recherchen meinem Mitstreiter bei Positiv e.V. Ulli Würdemann – nachzulesen auf seinem Blog ondamaris [hier: „Jubiläum: 150 Bundesweite Positiventreffen„].)

Entsprechend groß war mit diesem Hinweis im Spiegel nun die Angst der Teilnehmer des ersten Treffens, dass die gesammelte Journaille vor der Türe stehen könnte, sodass wir zu mehreren zwischendurch immer wieder den Parkplatz und den Eingang des Waldschlösschens beobachteten. Aber es erschien kein Zeitungsschreiberling.

Zu dem ersten Treffen kamen 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau. Es gab zwar bereits AIDS-Hilfen aber kaum Selbsthilfegruppen von HIV-Positiven – und es gab natürlich auch im Vergleich zu heute deutlich weniger HIV-Positive. Das bedeutete, dass die meisten Teilnehmer bis dahin noch keine anderen Betroffenen kannten. Der Bedarf nach Austausch und dem Erleben von Solidarität war groß, es wurde bis in die Nächte hinein miteinander geredet, gelacht und geweint.

Und nach diesem ersten Treffen war klar, dass es weitergehen muss und so fanden noch im gleichen Jahr mit Unterstützung des Waldschlösschens zwei Treffen statt: „Wiedersehen macht Angst“ vom 5.-7.September bei dem es neben der AIDS-Konferenz in Paris um die Solidarität der Positiven ging und vom 27. November bis 1. Dezember: Thema: Begegnung und Vernetzung.

Ein großer Schritt dazu, dass sich mehr Menschen mit HIV und AIDS die Treffen leisten konnten, geschah durch die Übernahme der Veranstaltungs- und Reisekosten durch die Deutsche AIDS-Hilfe ab Anfang 1987. Und so konnten sich TeilnehmerInnen die Treffen leisten, die selbst das Geld für Unterkunft, Verpflegung, Referenten und Reisekosten nicht hätten aufbringen können.
Aber nun mussten sich plötzlich die zu den Treffen anreisenden schwulen Männer mit z.T. befremdlich anmutenden Gestalten auseinandersetzen: DrogengebraucherInnen, die z. T. „voll drauf waren“ und die ihrerseits die anwesenden homosexuellen Herrn auch nicht besonders schätzten. Die Treffen bekamen eine nicht immer ganz einfache Eigendynamik.

Auch unter diesem Eindruck holten sich Jörg und Bernd 1987 Verstärkung für die weitere Durchführung und Weiterentwicklung der rasch immer größer werdenden Treffen. Es waren aktive Teilnehmer – Henk Harpers, Ernst Häussinger, der später die bayerischen Positiventreffen ins Leben gerufen hat, Alexander Lenzen und Klaus Motylak, die die Landespositiventreffen in NRW gründeten und Ingo Schneider aus Bremen – fast alle sind an den Folgen von AIDS gestorben. Als Nichtinfizierte kamen Birgitt Seifert aus Kassel als Expertin für die Lebenswelten von DrogengebraucherInnen und ich als pädagogischer Mitarbeiter des Waldschlösschens dazu, der die beiden Initiatoren Jörg und Bernd ohnehin schon von Anfang an in der Vorbereitung unterstützte.

Wir nannten diese kleine aber schlagkräftige Gruppe ab 1988 „Positiv e.V.“, was von den AIDS-Hilfen damals bundesweit als ein Alarmsignal begriffen wurde mit der Botschaft, dass sich HIV-Positive nicht in die Klientenrolle stecken lassen wollten, die AIDS-Hilfen damals dem größten Teil der Menschen mit HIV zuwiesen. Es verbreitete sich die Befürchtung, dass HIV-Positive nun – neben der AIDS-Hilfe – ihre eigene bundesweite Organisation gründeten. Dabei ging es uns mit der Gründung von Positiv e.V. doch in erster Linie darum, die Treffen hier im Schlösschen vorzubereiten und durchzuführen – aber den Nebeneffekt der Aufregung bei den AIDS-Hilfen haben wir damals klammheimlich genossen und die dann geführte bundesweite Diskussion der Rollen von HIV-Positiven in AIDS-Hilfen wohlwollend zur Kenntnis genommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Forderung von uns nach einem für die Belange von Menschen mit AIDS verantwortlichen Ansprechpartner und Referenten in der Deutschen AIDS-Hilfe umgesetzt und Hans Hengelein wurde der erste HIV-Referent.

Krankheit und Tod waren präsent über die nächsten 10 Jahre und begleiteten die Arbeit und die Geschichte von Positiv e.V. –es wurde auch in unseren Reihen viel gestorben, neben den eben erwähnten Initiatoren Jörg Sauer und Bernd Flury möchte ich hier nur Celia Bernecker-Welle, Ulrich Doms und Ingo Schmitz erwähnen!

Die Treffen hier im Waldschlösschen sind in den vergangenen 26 Jahren von tausenden Teilnehmer und hunderten größtenteils sehr kompetenten Referenten besucht worden. Viele TeilnehmerInnen und einige Dozenten – gerade der früheren Treffen – sind inzwischen an den Folgen der Krankheit gestorben. Sie haben Atmosphäre und Inhalte der Treffen mitbestimmt und sie lebendig mitgestaltet, haben neue Kraft für den privaten und beruflichen Alltag mit HIV und Anstöße für ihr Engagement in Selbsthilfezusammenhängen gewonnen.

Aber es war vor 1996, vor Vancouver und der ART lange nicht nur Trauer und Depression auf den Treffen angesagt: Trotz des sehr sichtbaren Damoklesschwertes des baldigen Erkrankens, Dahinsiechens und Sterbens von oft jungen Männern und Frauen zeichneten sich die Treffen durch sehr viel Lust am Leben bzw. dem, was übrig blieb, aus. Es kamen Teilnehmer hier her – bis auf die Knochen ausgemergelt und von den schwarzen Flecken des damals allgegenwärtigen Kaposi-Sarkoms gezeichnet, die sich mit letzter Kraft zu einem Treffen schleppten, um noch einmal hier sein zu können. Die Stimmung war oft sehr ausgelassen, mit einem besonderen Zynismus und Sarkasmus dem Leben mit AIDS gegenüber gewürzt, es wurde viel gelacht, Kraft getankt und getanzt – wir alle waren trotz allem voller Tatendrang:

Das 2. Europäische Positiventreffen in München 1987 – Motto „Mut gehört dazu“ wurde hier mit vorbereitet.
Mit Hans-Peter Hauschild entstanden hier Ideen zum Treffen der Uneinsichtigen in Frankfurt.
Weitere internationale Positiventreffen – z.B. das in Madrid 1990 wurde hier vorbereitet.
Die AIDS-Aktivisten von ACT UP u.a. mit Andreas Salmen nutzten auch die Treffen als Forum und für die Vorbereitung von Aktionen hier in Deutschland.
Im Juni 1992 führten wir unter Leitung von Ulrich Doms, Birgitt Seifert und mir das 1. Europäische Positiven-Delegiertentreffen von Selbsthilfegruppen durch, mit 42 Gruppen aus 22 europäischen Ländern.
Wir begründeten die Arbeitstreffen regionaler und bundesweiter Positiventreffen, die sich hier im Waldschlösschen trafen.
Es gründeten sich von hier aus nicht nur ein Teil der landesweiten Positiventreffen sondern auch etliche Netzwerke – zwei relativ aktuelle Beispiele „Jung und positiv“ und „HIV im Erwerbsleben“.

Gleich beim 7. Positiventreffen im November 1987 besuchte uns Rita Süßmuth als Gesundheitsministerin, um sich über die aktuelle Lage und Anliegen von Menschen mit HIV und AIDS zu informieren.
Das sind nur einige Beispiele….

150 Treffen haben nun stattgefunden. Während das Damoklesschwert des Erkrankens und Sterbens die Treffen in den ersten 10 Jahren mitbestimmte, geht es nun 16 Jahre nach Vancouver mit den Therapien immer mehr um die Entwicklung von Perspektiven und die Integration des Positivseins in das ansonsten fast normale Leben. Medizinische, sozialrechtliche Infos sind gefragt, Maßnahmen gegen den Stress und die Reflektion über Möglichkeiten gesund zu bleiben sind u.a. angesagt.

Und trotzdem wird mir bei den Neuenrunden zu Beginn eines jeden Treffens deutlich: Das positive Test-Ergebnis ist für viele immer noch ein markanter biografischer Bruch mit Folgen für das private und berufliche Leben, begleitet von z.T. immer noch großer Verunsicherung, Selbstzweifeln und Schuldgefühlen. Chronisch krank – aber mit einem besonderen Stigma!

Es ist bis heute eine bunte Zusammensetzung von Teilnehmenden, die zu den Treffen anreist: Neuinfizierte und Langzeitpositive, Berufstätige, Studenten und Rentner, junge und ältere TeilnehmerInnen, schwul, bi- oder heterosexuell, Männer und Frauen.

Für uns als Veranstalter ist es eine große Herausforderung, die unterschiedliche Lebenssituation von Menschen mit HIV möglichst zielgruppenspezifisch aufzugreifen, die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und in Workshops umzusetzen. Eine große Schar an kompetenten DozentInnen trägt zum Erfolg der Treffen bis heute bei. Die Treffen selbst sind gelebte Selbsthilfe, nicht nur durch die Mitglieder von Positiv e.V., sondern auch durch das spontane Engagement und die Angebote von euch als Teilnehmer/innen, die ihren Beitrag zum Gelingen der Treffen leisten. Und darauf sind wir auch in Zukunft angewiesen. Nur so können die Treffen erfolgreich weiter gestaltet werden.

Positiv e.V. hat – wie eben beschrieben, eine wechselvolle Geschichte erlebt.
Viele kompetente und engagierte Menschen haben im Laufe der Jahre mitgearbeitet. Michael Gillhuber, Matthias Hinz und Hermann Jansen gehörten zu ihnen und sind extra zu diesem Treffen angereist. Euch noch mal einen ganz herzlichen Dank für die guten Jahre der Zusammenarbeit!

Die heute sehr unterschiedliche Situation von HIV-Infizierten spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der aktiven Ehrenamtlichen in unserer Gruppe wider – ein Großteil ist berufstätig, ein anderer kleiner Teil bereits seit längerem berentet. Ja es sind inzwischen unterschiedliche Generationen! Die einen haben das „Trauma AIDS“ fast von Anbeginn erlebt, die anderen sind erst seit wenigen Jahren infiziert.
Das Austragen von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten gehören bei einer solchen kontinuierlichen Zusammenarbeit wie auch sonst im Leben immer wieder dazu, damit wir unsere Hauptaufgabe – die Vorbereitung und Durchführung der Treffen – gemeinsam weiterhin stemmen werden!
Euch, meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern möchte ich besonders für die langjährige konstruktive, engagierte, vertrauensvolle, diskussions- und auseinandersetzungsfreudige Zusammenarbeit danken. Ich finde, wir haben zusammen etwas einzigartiges geschaffen und führen es bis heute erfolgreich fort!

Die Treffen sind ein gutes Beispiel für die gelungene enge Zusammenarbeit von kompetenter Selbsthilfe mit professionellen Strukturen der Erwachsenenbildung und von AIDS-Hilfe, also von Positiv e.V., der Akademie Waldschlösschen und der Deutschen AIDS-Hilfe. Ohne auch nur einer dieser drei Säulen könnten diese Treffen so nie stattfinden!
Da ist die seit 1987 kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe, die Finanzierung durch Bundesmittel sowie die Beratung durch die in der Deutschen AIDS-Hilfe arbeitenden ReferentInnen für Menschen mit HIV und AIDS – heute Abend dabei die HIV-Referentin Heike Gronski und die Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe Silke Klumb. So können bis heute u.a. auch Betroffene an den Treffen teilnehmen, die sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden – und das sind nicht wenige!
Da ist das Waldschlösschen – das einen Teil meines Engagements und meiner Arbeit im Rahmen meiner Stelle finanziert und meine Kollegen und Kolleginnen u.a. aus der Verwaltung, die ebenfalls eine wichtige Arbeit leisten, damit die Treffen stattfinden können.

Die große Zahl an Anmeldungen und die Rückmeldungen der Teilnehmer/ innen machen uns Veranstaltern immer wieder deutlich: Es gibt trotz aller „Normalisierungsdiskussionen“ noch viel zu tun, um die Situation von Menschen mit HIV in Deutschland weiter zu verbessern und – da wo sie notwendig ist – Selbsthilfe zu initiieren und zu unterstützen. Denn es bleibt vorläufig die Ungleichzeitigkeit des persönlichen Erlebens der HIV-Infektion und der individuellen Auseinandersetzung mit HIV im Alltags- und Berufsleben – die einen nehmen die HIV-Infektion gelassen hin, die anderen wirft es weit zurück in schwere persönliche Krisen und Auseinandersetzungen.

Der Lebensvielfalt und Lebenssituation der Menschen mit HIV sollten die Treffen weiterhin gerecht werden! Und wir sollten dann aber auch den Zeitpunkt erkennen, wo sich die Treffen in der Form, wie sie bis heute stattfinden, überflüssig gemacht haben.
Der Tag wird kommen – hoffentlich, aber bestimmt noch nicht morgen!
Danke!

(Wolfgang Vorhagen)

Jubiläum: 150 Bundesweite Positiventreffen

Ein besonderes Jubiläum HIV-positiver Selbsthilfe ist zu feiern: 150 Bundesweite Positiventreffen. Das 150. Treffen beginnt in wenigen Tagen  im Waldschlößchen.

Mai 1986: 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau, alle HIV-positiv, treffen sich vom 8. bis 11. Mai 1986 im Waldschlößchen. Das erste Treffen, auf dem schon bald klar wird, man will mehr: die Bundesweiten Positiventreffen entstehen.

März 2012: Die Bundesweiten Positiventreffen feiern ein denkwürdiges Jubiläum: das 150. Bundesweite Positiventreffen findet vom 29. März bis 1. April 2012 im Waldschlößchen statt.

Zwischen ersten und einhundertfünfzigstem Treffe liegen 148 weitere Bundesweite Positiventreffen, 26 Jahre und ungezählt viele Tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Hunderte Referenten und Referentinnen.

Alles begann im Mai 1986. Es ist die Zeit der Aids-Hysterie, Gauweiler und Süßmuth (und mit ihnen viele andere) streiten um die Richtung der Aids-Politik. Begriffe wie Absonderung, Ausmerzen oder der ‚Bayrische Maßnahmenkatalog‚ kennzeichnen die aufgeregten Debatten. Unterdessen erkranken immer mehr Menschen an Aids. Medikamente gibt es bisher nicht. In dieser Situation laden Jörg Sauer und Bernd Flury, die beide das „Waldschlößchen‘ bereits als schwules Tagungshaus kannten, ein zu einem Treffen HIV-Positiver. 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau folgten ihrem Aufruf, nahmen am ersten „Bundesweiten Positiventreffen“ (das diesen Namen damals noch nicht trug) teil.

Der ‚Spiegel‘ berichtete damals (HIV hatte noch nicht seinen heutigen Namen, wurde HTLV III genannt)):

„Im Mai will der Münsteraner Student Bernd Flury die „HTLV-III-Antikörper-Positiven“ zu einem ersten bundesweiten Treffen versammeln. Es soll, unter anderem, über „Tod und humanes Sterben“ geredet werden.“

Ab dem vierten Treffen (6. bis 8. März 1987) übernahm die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) die Finanzierung der Treffen. Aus einer kleinen Gruppe HIV-Positiver und Nicht-Getesteter, die sich aus diesem 4. Treffen heraus 1987 zur Vorbereitung der Treffen gründete, entstand am 20. Juli 1988 der Verein „positiv e.V.“ – der noch heute die Bundesweiten Treffen gemeinsam mit der Deutschen Aids-Hilfe sowie der Akademie Waldschlößchen veranstaltet.

Wolfgang Vorhagen, von Anfang an „mit dabei“, betont in einem Bericht für das DAH-Blog im November 2011.

„Die bundesweiten Positiventreffen sind ein gutes Beispiel für ein gelingendes Miteinander von Selbsthilfe, Erwachsenenbildung und Deutscher AIDS-Hilfe. Ohne die schon seit 1987 währende Zusammenarbeit von Positiv e.V und Akademie Waldschlösschen mit der DAH (und die Unterstützung durch Bundesmittel) wäre ein Projekt wie dieses nicht möglich – teilnehmen können so auch Menschen, die nur wenig Geld haben, was vor allem bei Langzeitpositiven häufig der Fall ist.“

Die DAH beschreibt die Treffen nüchtern

„Die Bundesweiten Positiventreffen wenden sich an Menschen, die Lust haben, an aktuellen Themen rund um das Leben mit HIV und Aids zu arbeiten. Neben Diskussionen, Fortbildungs- und Informationsangeboten zu den jeweiligen Schwerpunktthemen gibt es genügend Raum für Begegnung und Austausch. Mit diesen Treffen wollen wir die Selbsthilfearbeit fördern und Multiplikator(inn)en vernetzen. Um den Kreis der Engagierten zu erweitern, achten wir darauf, dass sich bei den Treffen eine gute Mischung aus „alten“ und neuen Teilnehmer(inne)n ergibt.“

Jörg Sauer und Bernd Flury, die beiden ‚Ur-Ahnen der Bundesweiten Positiventreffen‘, sind beide inzwischen verstorben. An beide erinnern Steine im Rahmen der Installation ‚Namen und Steine‘ – am Waldschlößchen. Die Bundesweiten Positiventreffen erfreuen sich großer Beliebtheit – so großer, dass die Treffen meist bereits Wochen vorher ausgebucht sind. Rechtzeitig informieren und über die ‚Akademie Waldschlößchen‘ anmelden – zum Beispiel hier:

positiv e.V.
Waldschlößchen
Deutsche Aids-Hilfe

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siehe auch „150 Bundesweite Positiventreffen – eine Chronologie

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Spiegel 28.04.1986: Aids: Es geht alles schon schön schnell
ondamaris 27.11.2008: Positiventreffen – Freiraum solidarischen Miteinanders
DAH-Blog 18.11.2011: Wolfgang Vorhagen: Gelebte Vielfalt, gelebte Selbsthilfe Gelebte Vielfalt, gelebte Selbsthilfe
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„Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV“ – Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“

Im Rahmen des 144. Bundesweiten Positiventreffens fand am 29. Juni 2011 im Waldschlößchen ein Workshop zum Thema ‚Kriminalisierung von Menschen mit HIV‘ statt. Die Teilnehmer erarbeiteten gemeinsam mit dem Workshop-Leiter RA Jacob Hösl eine Resolution, die im Folgenden dokumentiert ist:

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens im Waldschlösschen Gleichen-Reinhausen, gerichtet an die Aidshilfeorganisationen, allen voran an die Deutsche Aids-Hilfe. Sie mögen sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dafür einsetzen.

Denn nicht akzeptabel, ärgerlich und verletzend ist das Bild von Sexualität, wie es leider seit Jahren, zum Teil wider besseres Wissen, in Öffentlichkeitskampagnen verbreitet wird. Diese müssen ehrlicher und zur Änderung der falschen Bilder zunächst auch provokanter werden. Das ist nötig, weil das „alte Aids“ heute eher Schreckgespenst denn Wirklichkeit ist, was aber bei den meisten Menschen noch nicht angekommen ist.

Viele von uns sind nicht mehr ansteckend.

Weitgehender Konsens unter den Teilnehmern herrschte über Folgendes:

1. Es gibt keine Sicherheit, auch nicht beim Sex.

2. Die Selbstbestimmtheit der „HIV-Negativen“ im Sexualverhalten muss gestärkt werden.

3. Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV.

4. Die Unwissenheit über HIV muss beseitigt werden, das Wissen muss verbreitet werden, etwa über die tatsächliche Infektiosität.

5. Die Angst „HIV = Sex + Tod“ muss genommen werden.

6. HIV-Positive müssen antidiskriminierungsrechtlich geschützt werden.

7. Geld für Antidiskriminierungskampagnen muss bereitgestellt werden.

Wenn einer eine Reise tut …

Wenn einer eine Reise tut …
… dann kann er was erleben.
Und wir erlebten viel, in diesen sechs Tagen, beim 13. Treffen der Menschen mit HIV in Polen.
Einige persönliche Gedanken:

– Selten habe ich mich (an den ersten Tagen) dermaßen ausgeschlossen gefühlt, nicht teilhaben könnend – großenteils aufgrund der Sprachbarriere. Erinnerungen an frühere lange Auslands-Aufenthalte werden wach. Und mir wird erneut bewusst, wie sich wohl fremdsprachige Teilnehmer auf unseren Treffen teils fühlen müssen.

– Es war ein sehr buntes gemischtes Treffen (was auch die etwas andere Situation des Lebens mit HIV  in Polen spiegelt). Von jung bis alt, vom Kind über Teenager bis zur 70jährigen positiven Frau, heterosexuellen Männern, schwulen Männern, Drogengebraucher und Drogengebraucherinnen, Ex-User, Substituierte, aus Kleinstadt, Dorf und Großstadt – eine sehr lebendige Mischung, eine Vielfalt, die sehr wohltuend war – und die ich mir auch für deutsche Treffen wieder mehr wünsche.

– Besonders bemerkenswert: eine Vielzahl an (jetzt oder ehemals) drogengebrauchenden Menschen, die teils sehr lebendig und engagiert ihre Sichtweisen einbrachten – mir wird sehr deutlich, wie sehr ich die aktive Integration, die Bereicherung um andere Sichtweisen und Lebenshintergründe  von Junkies, Ex-Usern und Substituierten bei unseren Treffen (die früher viel ausgeprägter war) vermisse.

– Es ist immer wieder frustrierend, zu hören und erleben, wie schlecht die Lebenssituation für Menschen mit HIV in manchen Staaten Osteuropas ist, wie unerträglich die Medikamentenversorgung, die soziale Unterstützung. Und es hinterlässt ein äußerst schales Gefühl, wenn ich die gleichen Personen, die aus ihrem Land derlei Missstände berichteten, dann kurze Zeit später mit dem Taxi abreisen sehe, während fast alle anderen Teilnehmer den Linienbus nehmen.

– Geradezu wütend machen mich Geschichten wie die eines fertig studierten Mediziners, dem von seiner eigenen Ärztekammer verwehrt wird, als niedergelassener Allgemeinmediziner zu arbeiten – einzig aufgrund seiner HIV-Infektion. Bei weitem nicht das einzig gehörte Beispiel, welche Steine einem Leben mit HIV in den Weg gelegt werden …

– Umso erfreuter war ich immer wieder ob des freundlichen, sehr hilfsbereiten Personals der Hotel-Anlage. Und der wundervollen kaschubischen Landschaft, ihrer Ruhe, Klarheit, Gelassenheit – Balsam für die Seele.

– Und es macht nachdenklich, zu hören, was polnische Positive so alles auf sich nehmen müssen – von einer letztlich nicht anonymen Behandlung über weite Anreisen zum Behandlungszentrum von bis zu 200 km bis zu Problemen mit Ärzten, am Arbeitsplatz, im Alltag, die weit über das bei uns meist übliche hinaus gehen. In welcher vergleichsweise luxuriösen Situation wir in Deutschland leben, selbst im Vergleich mit unserem direkten Nachbarn – angesichts weit verbreiteter Anspruchshaltungen auch bei Menschen mit HIV wäre mir lieb, es wäre mehr bewusst, wie wenig normal dies alles schon wenige Kilometer entfernt ist …

Positiventreffen – Freiraum solidarischen Miteinanders

In der vergangenen Woche war ich einige Tage auf einem Positiventreffen. Über das ich mit einigen persönlichen Gedanken berichten möchte – und vielleicht ein wenig von ihrem Zauber zumindest erahnbar machen.

Positiventreffen, das heißt zunächst einfach: eine Gruppe HIV-positiver Menschen trifft sich für einige Zeit an einem Ort, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Bei den Bundesweiten Positiventreffen (es gibt auch andere, z.B. landesweite) ist dieser Ort das Waldschlößchen, ein Tagungshaus in der Nähe von Göttingen.

Für 4 oder 5 Tage treffen sich ca. 40, 50 HIV-Positive, als schwuler Mann, positive Frau, als frisch mit HIV-Diagnostizierter oder Langzeitpositiver, als junger Spund oder älterer Mann. Informieren sich über neue medizinische Themen, politische  oder sozialrechtliche Fragen, sprechen über ihr Leben in Stadt oder Land, nutzen Angebote zu Information, Diskussion, Erfahrungsaustausch, Kunst oder Entspannung.

Doch Positiventreffen sind mehr als ’nur‘ Wiedersehen, Entspannung und Informationsvermittlung.

Positiventreffen, das heißt  nicht Frontalbespaßung, heißt nicht ‚die da‘ und ‚ihr‘, sondern heißt 4 oder 5 Tage lang ‚wir‘. Das Miteinander verschiedener Menschen, Biographien, Lebenskonzepte, Alters- oder Betroffenengruppen. Jeder ist Experte seines Lebens, und zusammen sind wir Fachleute unserer Interessen. Zwar sind eine Reihe Referenten der Treffen ‚echte Profis‘, Fachleute auf ihrem Gebiet, zwar werden die Treffen professionell organisiert und geplant. Aber – die Treffen sind ‚wir‘, die Teilnehmer bestimmen letztlich das Programm, seine Gestaltung und Inhalte.

Erfahrungen, und der wechselseitige Austausch dieser Erfahrungen stehen oft im Mittelpunkt. Gemeinsamkeit erfahren, Solidarität leben und erleben. Jeder bringt seine Ideen, Erfahrungen ein, und erlebt die anderer Teilnehmer. Im Miteinander entwickeln sich neue Ideen, Anregungen auch für das eigene Leben, den eigenen Alltag mit HIV. Anregungen, die oftmals weiter tragen, über das Treffen hinaus wirken.
Getragen wird dieses miteinander vom ‚wir‘, von der Bereitschaft zu Geben und Nehmen der Teilnehmer. Nicht jeder, nicht jederzeit, aber das ‚wir‘ der TeilnehmerInnen in der Gesamtheit. Hätte die Mehrzahl der Teilnehmer eine ausgeprägte Konsum-Haltung, würden zu viele Positive Aufmerksamkeit, Ideen, Erfahrungen, Zuwendung anderer Teilnehmer nur nehmen, nicht aber auch anderen geben – die Treffen würden schnell ihr Herz verlieren, ihren Zauber, und bald zu einem x-beliebigen Aufeinandertreffen sich informieren wollender Menschen werden. Im Miteinander, im Geben und Nehmen aller liegt eines der Geheimnisse des Zaubers der Positiventreffen.

Das Waldschlößchen im Schnee (Foto: Wolfgang Vorhagen)
Das Waldschlößchen im Schnee (Foto: Wolfgang Vorhagen)

Dieses Miteinander ist eine der Besonderheiten der Positiventreffen. Ein weiteres Geheimnis der Positiventreffen wird von einigen Teilnehmern umschrieben mit Begriffen wie ‚Freiraum‘, ‚geschützter Raum‘ oder ‚Labor‘. Eine Atmosphäre, ein Klima von gegenseitigem Respekt, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit. Keine Konkurrenz, keine Hahnenkämpfe, kein Auslachen oder Ausgrenzen. Stattdessen Aufmunterung, Unterstützung, gegenseitiges Halt-Geben. Atmosphäre und Gefühle, die es ermöglichen, auch auf Glatteis zu gehen, sich auszuprobieren, sich zu riskieren. Wege anzutasten, Schritte auf Wegen zu gehen, die vorher vielleicht nicht einmal gesehen wurden.
Ein Freiraum, in dem es möglich wird, anderes zu denken, ausgetretene Pfade zu verlasen. Vielleicht einmal Dinge im eigenen Leben anders zu sehen. Ach, so kann ich das auch machen? So fühlt sich das an? So gehst du damit um? Deine Erfahrungen heißen ja vielleicht auch, dass … Und so manches Mal steht im nachhinein der Gedanke daneben ‚hätt‘ ich das doch schon früher gemacht‘.

Erfahrungen machen, gemachte Erfahrungen weitergeben, austauschen, neue Ideen und Möglichkeiten entdecken, leben – das ist für mich einer der Kerngedanken der Positiventreffen. In geschütztem Raum einmal auch anders sein können, Schranken fallen lassen, Grenzen überwinden können,  Ausprobieren – getragen auch von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit der Gruppe, von Zuneigung, Respekt und gegenseitiger Unterstützung.

Dazu kommt natürlich noch viel mehr – ein wundervolles Haus (nein, drei, seit das neue Gästehaus fertig ist), eine traumhafte Landschaft, die ob Sommer ob Winter zu langen Spaziergängen lockt, eine gesunde und leckere Küche, eine Sauna, und -besonders bei den längeren Positiventreffen- die tolle Party am letzten Abend, gemeinsam feiern, träumen, tanzen zur tollen Musik von Christian (DJ flat c.).

Und wenn man dann tief in der Nacht mit dem besten M. aller Zeiten und drei Teilnehmern zusammen sitzt, denen man vorher kaum nahe gekommen ist, um bei Kerzen, Wein und Bier zur Gitarre zu singen – dann geschieht manchmal auch ein Wunder, eines dieser kleinen Waldschlößchen-Wunder.

Aufgewühlt und erschöpft, müde sitze ich nach 5 intensiven Tagen am nächsten Nachmittag im Zug, zudem ein wenig beschämt und glücklich ob des Gefühls, wieder einmal auf unerwartete Weise neue, bereichernde Erfahrungen gemacht zu haben …

Die Bundesweiten Positiventreffen werden veranstaltet vom Verein Positiv e.V. in Kooperation mit der Akademie Waldschlößchen und mit Unterstützung durch die Deutsche Aids-Hilfe. Jährlich finden mehrere Treffen im Waldschlößchen statt. Menschen mit HIV sind auf diesen Treffen immer willkommen. Informationen zu den Themen der Treffen und Anmelde-Möglichkeiten hier.
Jetzt ist eine gute Zeit, sich für die Treffen 2009 anzumelden – sehen wir uns? 🙂

Nachtrag 28.11.2008:
Gerade auch junge Menschen mit HIV erleben Positiventreffen als befreiend: „Es ist befreiend, mit Menschen zu reden, denen man nicht groß was erklären muss, die gleich wissen, was man meint. Es ist schön, jemanden Witze machen und lachen zu hören, der das Virus schon zwanzig Jahre in sich trägt“, meint ‚Oliver‘ in einem Artikel der WZnewsline vom 27.11.2008.

Talkrunde 25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe

1983 wurde die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) gegründet. Auf dem 126. Bundes­weiten Positiventreffen fand aus Anlass des 25jährigen Jubiläums am 25. Juni 2008 eine Podiumsdiskussion statt unter dem Motto „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe – Geschichte auch für die Gegenwart“

Ich weiss was ich tu!Auf dem Podium:
Bernd Aretz – seit 1984 immer wieder und in vielerlei Funktionen Aktiver in Sachen HIV/Aids und deren Institutionen, u.a. Herausgeber Infakt (früher posT), Vorstandsmitglied Aids-Hilfe Offenbach
Claudia Fischer-Czech – 1992 bis 1996 Frauen-Beauftragte, später Frauen-Referentin der Deutschen Aids-Hilfe, danach im Ausland, zeitweise bei ICW (In­ternational Community of Women with HIV and Aids); ab 1.7.2008 bei Kassan­dra (Prostituierten-Selbsthilfe)
Dirk Hetzel – in seinen letzten Tagen als HIV-Referent der Deutschen Aids-Hil­fe (DAH)
Carsten Schatz – Landesgeschäftsführer ‚Die Linke‘ Berlin, seit vielen Jahren Mitglied bei positiv e.V. (Veranstalter der Bundesweiten Positiventreffen)
Michael Schumacher – Seit 23 Jahren hauptamtlich im Aidsbereich beschäf­tigt. 5 Jahre Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Aids-Hilfe (u.a. als HIV-Referent), seit 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln
Moderation: Prof. Dr. Martin Dannecker – Professor für Sexualwissenschaften, früher Frankfurt am Main, jetzt Berlin

War Aidshilfe schon von Anfang an gesundheitsbezogene Selbsthilfe? Oder begann sie als Reflex zur Abwehr antischwuler Affekte ange­sichts der Bedrohung Aids?“ Mit dieser Frage eröffnet Martin Dannecker die Diskussion.

Bernd AretzDie Frankfurter Aidshilfe wurde gegründet von HIV-positiven Männern, die Mar­burger Aidshilfe hingegen aus politischen Gründen, aus der Befürchtung an­tischwuler Momente heraus, berichtet Bernd Aretz, der 1984 mit einem posi­tiven Testergebnis nach Frankfurt kam.

In Marburg z.B. sei die Schwulenbewe­gung vor Ort nicht begeistert gewesen. Tatsächlich habe es kaum HIV-infizierte gegeben; der HIV-Test sei gegen die politische Strömung angeboten worden. Dieses Spannungsfeld von Selbsthilfe positiver Männer und Abwehr antischwu­ler Reflexe durchzog Aidshilfe in ihren Anfängen.

Aretz kolportiert zur Illustrati­on eine Begegnung aus dieser Zeit: als er sich als hessischer Delegierter im DAH-Beirat vorstellte mit den Worten „ich bin ein schwuler Mann mit HIV“, habe ihm damals Dieter Runze entgegnet „sowas bespricht man hier nicht“.

Carsten SchatzCarsten Schatz wurde 1991 unfreiwillig im Krankenhaus auf HIV getestet. Er engagierte sich schnell bei Pluspunkt, einer aus Patienten der Charité (der sog. ‚Sofarunde‘) hervor gegangenen Gruppe in Berlin Prenzlauer Berg.

1992 sei er erstmals auf einer Bundes-Positiven-Versammlung (BPV) gewesen (damals in Hamburg). Er habe schockiert reagiert, als er erleben musste, dass HIV-positive Frauen ihren Platz in Aidshilfe erst gegen Widerstände einfordern, erkämpfen mussten.

Aidshilfe verstehe er als politische Organisation, die dafür einzutreten habe, dass Menschen mit HIV und Aids nicht ‚unter den Teppich gekehrt werden‘.

Dabei gelte es nach vorne zu stellen, was uns verbindet, wofür wir gemeinsam eintreten können.

Claudia Fischer-CzechDie Braunschweiger Aidshilfe wurde überwiegend von schwulen Männern ge­gründet, zur Abwehr von Stigmatisierung und Diskriminierung, ‚da gab es da­mals noch keine Positiven‘, berichtet Claudia Fischer-Czech, damals selbst Gründungs-Mitglied. Sie habe Aidshilfe zu dieser Zeit in Braunschweig als eine sehr solidarische Gemeinschaft empfunden, schnell seien auch Frauen aus den Be­reichen Drogengebrauch sowie Prostitution engagiert gewesen. Nach vier Jah­ren sei sie zu Hydra, einem Prostituiertenprojekt, gewechselt.

Mit ihrem positiven Testergebnis 1992 habe sie zunächst nicht offen umgehen wollen, die Ausschreibung der Stelle als Frauen-Beauftragte der DAH sei mit ei­nem ’nicht ganz freiwilligen Outing‘ verbunden gewesen. Damals hätten sich Frauen im schwulen Kontext der Aidshilfe nicht wohl, nicht gleichberechtigt ge­fühlt. Ziel sei es gewesen, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen. Auch re­gional habe es damals begonnen zu ‚brodeln‘, daraus habe sich dann die (schon von Carsten Schatz angesprochene) Hamburger ‚Palast-Revolution‘ er­geben. Im Frauenreferat der DAH habe sie zunächst gegen viele Widerstände arbeiten müssen, vor allem wenn es um Mittel und Eigenständigkeit ging.

Dirk HetzelIn die Aidshilfe Karlsruhe sei er als junger Mann gekommen, weil dies wohl der Ort gewesen sei, um schwule Männer kennen zu lernen, erzählt Dirk Hetzel. Die Aidshilfe dort sei aus der universitären Schwulenbewegung heraus entstan­den, nicht als Gesundheitsbewegung sondern mit dem Moment der Gefahren­abwehr und Antidiskriminierung. Offen positive Menschen habe er damals kaum gekannt, seine erste Begegnung mit einem HIV-Positiven sei Oliver Trautwein gewesen.

1989 sei er nach (damals noch West-) Berlin gewechselt, habe als Job im Som­mer 1989 bei der DAH im Versand angefangen, später im damals noch vorhandenen Presse-Bereich (Ausschnitt-Dienst). Der damalige Leiter des Referats Psychosoziales, Axel Krause, holte ihn in sein Referat. Krause erkrank­te bald schwer, Hetzel war de facto 2 Jahre lang alleiniger Mitarbeiter des Refe­rats, da keine Krankheitsvertretung (außer ihm als junger ‚Aushilfe‘) engagiert wurde. Damals habe es eine große Scham gegeben zu akzeptieren, dass Mit­arbeiter erkrankten, für lange Zeit nicht wieder kommen würden – ein heute befremdlich anmutender Umgang mit Krankheit und drohendem Verlust. 1992 habe er seine Festanstellung in der DAH erhalten; 1997 bei einem Kranken­haus-Aufenthalt sein positives Testergebnis.

Michael SchumacherIn Bonn habe es zwar positive Testergebnisse gegeben (Doktorarbeit Köthe­mann), im lokalen Schwulenzentrum jedoch keine Positiven, erzählt Michael Schumacher über die damalige Situation.

‚Da müssen wir was tun‘, sei der Impuls gewesen, der zur Gründung der Aids-Hilfe Bonn geführt habe. Er sei ei­nes der 7 Gründungsmitglieder der Aids-Hilfe Bonn, die zunächst in den Räu­men des Schwulenzentrums angesiedelt war. Dort habe er zunächst ehrenamt­lich mitgearbeitet, dann die erste hauptamtliche Stelle erhalten.

Nach 5 Jahren in Bonn habe er dann 5 Jahre in der DAH in Berlin gearbeitet (Schwulenreferat, dann Referent für Menschen mit HIV und Aids), nach einem einjährigen Kran­kenhaus-Aufenthalt sei er seit nun 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln. In Köln habe er auch selbst sein positives Testergebnis erhalten.

Martin DanneckerEs gibt eine Phase der Angst vor der politischen Instrumentalisie­rung dieser Krankheit, primär schwuler Männer – und daraus die Bemühun­gen, befürchtete Re- Diskriminierungen schwuler Männer abzuwehren. Positive hatten darin keinen richtigen Platz, fast gab es ein Tabu des offen Positiven,“ fragt Martin Dannecker in die Runde, „ist da was dran?

Bernd Aretz erinnert sich an eine Begegnung 1987. Damals habe Ian Schäfer auf einer Tagung der HuK (Homosexuelle und Kirche) gefragt „was können wir für euch tun“. Fragen dieser Art seien damals sogar von Männern gekommen, sie selbst HIV-positiv waren. Sein Ziel sei hingegen immer gewesen zu fragen „was können wir für uns tun“. Auch erinnere er sich an eine Situation bei dem Treffen, an ein deutliches Erschrecken anderer Teilnehmer, als sie feststellen dass es offensichtlich auch Sex mit HIV-Infizierten geben könne.

Auch in Bonn gab es damals keine offen positiven schwulen Männer – sondern offen positiv war Oliver Köppchen, ein Hämophiler, erinnert Michael Schuma­cher.

Gab es ein Klima, dass man zwar solidarisch war, aber mit uns nichts zu tun haben wollte?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

„Sag es uns nicht“, sei das damalige Klima gewesen, antwortet ihm Bernd Aretz spontan. Damals sei eindeutig signalisiert worden, ‚ihr seid zumindest vollständig nicht erwünscht‘. Damals seien wohl auch eigene Ängste durch Ver­schweigen kompensiert worden.

Claudia Fischer-Czech weist auf einen Perspektiv-Wechsel hin. Sie habe sich ja schon „in wissentlicher Zeit“ mit HIV infiziert. Damals habe sich die Wahr­nehmung ihrer Person verschoben, eine ‚Degradierung zur Positiven‘ sei einge­treten, der eine Instrumentalisierung gefolgt sei. Sie sei damals Mittel zum Zweck geworden. Zu dieser Zeit sei in Reaktion auf diese Situation das ‚Netzwerk Frauen und Aids‘ gegründet worden. Doch auch dies sei heute von ‚Professio­nellen‘ durchdrungen, die die Mühen der damaligen Positionierungs-Arbeit nicht mit gemacht hätten, jetzt aber sehr wohl die Chancen nutzten.

Carsten SchatzDie Begründung der Bundesweiten Positiventreffen im Jahr 1986 hatte auch damit zu tun, dass sich Positive in Aidshilfen nicht wohl fühlten, erinnert sich Carsten Schatz. Auf einer Tour durch ostdeutsche Aidshilfen sei Michael Schu­macher und ihm in einer Aidshilfe ein ‚Posi-Thron‘ gezeigt worden – für den einzigen Positiven, der damals in diese Aidshilfe kam. Genau davor seien die Positiven damals weg gelaufen, „mit Liebe und Zuneigung wurde dir dein Leben entzogen“. Damals sei schon hinzu gekommen, dass er ja auch schon nicht mehr „die jungfräuliche Generation“ gewesen sei. Die Frage „du wusstest doch alles – warum trotzdem?“ habe unausgesprochen oft mit ihm Raum gestanden.

Die jungen Positiven heute infizieren sich alle „beim einzigen unsafen Sex“ ihres Lebens, ergänzt Michael Schumacher, und weist auf das Gefühl hin, man müsse sich in Aidshilfe erklären, rechtfertigen für seine Infektion.

Er habe damals für sich selbst keinerlei Schuldgefühle gegenüber seiner Infek­tion gehabt, berichtet Dirk Hetzel, wohl aber davor, wie das im professionellen Kontext wahrgenommen werde. Leider hätten genau diese Ängste sich auch als begründet erwiesen. Ein Kollege, der ihn damals bereits seit 10 Jahren kannte, habe in einer Mitarbeiterbesprechung nach seinem Statement reagiert mit den Worten „also das war jetzt die Meinung der beiden Positiven“. Er habe die Re­aktion einiger Kollegen damals als ‚Ausgrenzung pur‘ empfunden, sei nicht mehr als Fach-Kollege, sondern nur noch als ‚der Positive‘ wahrgenommen worden.

„Aidshilfe wurde 1985, zu Süßmuths Zeiten, erstmals vom Staat finanziert, übernahm Aufklärungsarbeit, da sie in den ‚Risikogruppen‘ über großes Ver­trauen verfügte. Geriet damals die Autonomie in Gefahr? Die Mischung von ’solidarisch‘ und ‚Gesundheitsfürsorge‘ – macht genau die das Pro­blem?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

Dirk Hetzel weist auf die Ambivalenz des Problems hin. Aidshilfe brauche die Neu-Infektionen ja geradezu, sonst gebe es ja zukünftig kein Geld mehr. Dies erkläre implizit auch die immer repressiveren Forderungen aus Politik und Me­dien – je mehr Normalisierung von HIV/Aids, desto mehr müsse skandalisiert werden, um den betriebenen Aufwand überhaupt noch zu rechtfertigen.

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, bemerkt Michael Schuma­cher, und wir beteiligen uns zu sehr an einer Verharmlosung der Situation. Dass die Zahlen steigen werden angesichts veränderter Rahmenbedingungen, mit der neuen Freiheit durch erfolgreiche Medikationen, sei geradezu normal. Hier sei Aidshilfe nicht ehrlich. Das müsse auch offen gesagt werden, dem müsse nicht mit Repressionen begegnet werden – und Aidshilfe müsse hier auch Konflikte aushalten, sei derzeit nicht mutig genug.

Bernd AretzBernd Aretz weist darauf hin, dass in der Anfangszeit keine Alternative zu staatlicher Finanzierung bestanden habe. Eine andere Frage sei, wie dies jetzt aussehe. Er stelle sich die Frage, ob die derzeitige Situation wirklich von einer Zensur seitens BzgA oder Ministerium gekennzeichnet sei – oder es sich nicht vielmehr um eine hausgemachte Krise handele, ein Versagen der eigenen In­stitutionen?

Es hat früher eine Zeit gegeben, in der Positive auch selbst politische Forderun­gen an die Öffentlichkeit getragen haben, erinnert Carsten Schatz. Heute fehle genau dies, dass Menschen mit HIV und Aids selbst ihre Interessen auf den Tisch legen und einfordern. Die DAH sei artig geworden, artig auch weil es an Druck fehle.

Das sei ein schwieriges Thema, bemerkt Dirk Hetzel, selbst in der Positiven-Community sei politische Meinungsäußerung schwierig, die Solidarität mit ein­ander sei brüchiger geworden.

Dieses „wir“ sei wesentlich verschwommener geworden als in den 90ern, dar­auf weist Martin Dannecker hin. Heutzutage differenzieren wir zu wenig, füh­ren zu wenig Diskurse. Er fordert, mehr das „wir“ zu reflektieren, deutlicher die unterschiedlichen Stränge aufzunehmen, unterschiedliche Interessen versteh­bar zu machen.

Die Positivenbewegung sei doch lange Zeit ein „Verein ich möchte Opfer bleiben e.V.“ gewesen, entgegnet Bernd Aretz. Erst seit zwei, drei Jahren zeichne sich langsam wieder mehr Bewegung ab.

Die Positivenbewegung hat sich mit der Aidshilfe als Präventions-Agentur ’soli­darisiert‘, bemerkt Dirk Hetzel. Der integrative Gedanke sei breit akzeptiert – mit der Folge, dass nun ein kritisches Gegenüber fehle, eine kritisch-solidari­sche Opposition außerhalb der Organisation.

Ein Großteil der Positiven glaubt, Aidshilfe nicht mehr zu brauchen, darauf weist Carsten Schatz hin. Bestimmt Themen -wie den Bereich ‚Aids und Arbeit‚- bearbeite Aidshilfe nicht mehr so, wie Positive es bräuchten. In den Mittelpunkt von Aidshilfe-Arbeit gehörten wieder mehr Themen gestellt, die le­bensnah an Positiven-Realitäten orientiert seien.

„Warum bewegen sich Positive nicht? Weil wir in Aidshilfen nur noch als Klien­ten behandelt werden“, wirft ein Zuhörer ein. „Positive haben keinen Raum mehr in Aidshilfen.“

„Es gibt einen zunehmenden Bruch zwischen Hauptamtlichen und Basisorgani­sation“, bemerkt ein weiterer Zuhörer, „entweder der Laden wird umgekrem­pelt und wieder zu einem Sprachrohr der Basis, oder er wird bald zum Sprach­rohr des Bundesgesundheitsministeriums.“

Martin DanneckerPrävention mit einem realistischen Blick auf die Lebenssituation schwuler Män­ner, genau da fange der Konflikt an, bemerkt Carsten Schatz. Die Frage sei, wie viel lasse sich Aidshilfe vom Staat vorschreiben, wie viel Selbstbewusstsein habe man noch?

Die Aidshilfen haben Arbeit für den Staat übernommen, und für relativ wenig Geld – und dafür einen verdammt guten Job gemacht, bemerkt Dirk Hetzel.

Man dürfe nicht die Realitäten in Aidshilfen und Selbsthilfen verkennen, wirft ein Zuhörer ein, auch dort gebe es grauenhafte Spießbürgerlichkeiten.

Und eine weit reichende Ent-Solidarisierung, entgegnet ein weiterer Zuhörer, und weist auf Rollbacks z.B. bei Themen wie Spritzen in den Knast oder Prosti­tution hin.

Ursprünglich autonome Positionen seien aufgegeben worden, darauf weist Mar­tin Dannecker gegen Ende der Veranstaltung hin. Als wie autonom, wie un­abhängig vom Staat versteht sich Aidshilfe noch? Es sei offensichtlich – wir brauchen eine offensive inhaltliche Debatte.

Solidargemeinschaft statt ‚Schuld und Malus‘

Resolution des 123. Bundesweiten Positiventreffens:

Solidargemeinschaft statt „Schuld und Malus“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 123. Bundesweiten Positiventreffens haben sich mit den Veränderungen des SGB V durch das geplante Pflegeweiterentwicklungsgesetz beschäftigt.

Der Absatz 2 des § 294a, SGB V soll folgende Fassung erhalten:

„(2) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Versicherte sich eine Krankheit … durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben (§ 52), sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte … verpflichtet, den Krankenkassen die erforderlichen Daten mitzuteilen.“

Das bedeutet für uns, dass Versicherte die Risiken, wie ästhetische Operationen oder das Anbringen von Piercings und Tätowierungen eingehen, die eventuell daraus entstehenden Kosten selbst zu tragen haben, da sie „schuldhaft“ diese Risiken freiwillig eingegangen sind. Hierzu sollen Ärztinnen und Ärzte Patientendaten an die Krankenkassen weitergeben müssen.

Wir meinen, dass eine Situation, in der Ärztinnen und Ärzte gezwungen sind, sensible Daten ihrer Patientinnen und Patienten an Krankenkassen weiterzugeben, einer Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht gleichkommt. Wir befürchten dadurch Verschlechterungen im vertrauensvollen Verhältnis von Patientinnen und Patienten zu ihren Behandlerinnen und Behandlern.
Ein vertrauensvolles Verhältnis ist jedoch gerade für chronisch Kranke von erheblicher Bedeutung.
Zudem ist fraglich, ob durch die hier zur Diskussion stehenden Fälle Folgekosten nach ästhetischen Operationen, Piercings oder Tätowierungen tatsächlich Kosten in nennenswerter Höhe eingespart werden können.

Geht es nicht vielmehr darum, das Schuldprinzip einzuführen? Der Einstieg in ein begrenztes „Schuldprinzip“ hat nur eine Türöffnerfunktion, um das bewährte Solidarprinzip „Einer trage des Anderen Last“ gänzlich auszuhöhlen.
Das Solidarprinzip erachten wir aber als einen Grundwert unserer Gesellschaft. Es zu gefährden heißt, den gesellschaftlichen Konsens der Republik zu gefährden und bedeutet die faktische Abschaffung des gleichen Rechts aller Bürgerinnen und Bürger auf Gesundheit.
Eine mögliche Ausweitung über die aufgezählten Risiken hinaus, die bereits debattiert wird (Stichworte: Ski- und allgemein Sportunfälle, Folgen des Rauchens und von Alkoholkonsum) machen über kurz oder lang jede und jeden zum „Schuldigen“. Mehr und mehr werden so die Kosten gesundheitlicher Risiken privatisiert.

Wir fordern daher die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, das Solidarprinzip in der Sozialversicherung beizubehalten und von der geplanten Änderung des SGB V abzusehen.

Um Kosten durch die Folgen der erwähnen Risiken zu minimieren, böte sich die Fixierung von Qualitätsstandards für ästhetische Operationen und das Anbringen von Piercings und Tätowierungen an.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 123. Bundesweiten Positiventreffens

Waldschlösschen, 16. November 2007

HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Resolution des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen
HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Die laufende Debatte über die Bewertung der HIV- Neudiagnosen und bessere Strategien, die Zahl der Neuinfektionen möglichst gering zu halten, ist mit geprägt von Missverständnissen, Aufgeregtheiten und strafrechtlichen Bedrohungsszenarien.
Menschen mit HIV und Aids fordern, zu einer an Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten, seriösen Debatte zurück zu kehren!

Das Robert-Koch-Institut stellt fest, dass die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen in der BRD im internationalen Vergleich weiterhin äußerst niedrig ist. Das deutliche Nein zu einer repressiven Seuchenstrategie ist also in Deutschland erfolgreich.

Durch Forschung und Erfolge der Medizin wissen wir heute, dass HIV sich schon unbehandelt schwer überträgt und bei erfolgreicher Behandlung die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung wohl auszuschließen ist. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit ordnet deshalb den ungeschützten Geschlechtsverkehr eines erfolgreich Therapierten in die selbe Risikokategorie ein wie Zungenküsse – weltweit ist kein einziger Fall einer Übertragung bekannt.

Repressive Maßnahmen behindern die Prävention
Die internationale Forschung und die WHO gehen davon aus, dass Strafrecht im Bereich einvernehmlicher Sexualität schädlich für die Prävention ist.
Aus der Forschung ist gesichert, dass ein nennenswerter Teil der Infizierten (es werden etwa 50% geschätzt) um ihre Infektion nicht weiß. Das Wissen um eine HIV- Infektion kann in Deutschland strafrechtliche Folgen haben, und zwar unabhängig davon ob Sexualpartner infiziert wurden oder werden konnten.
Der möglicherweise hochinfektiöse HIV-Infizierte, der nicht von seiner Infektion weiß und sich für „negativ“ hält, ist beim Sex rechtlich auf der sicheren Seite.
Der wissende, gut behandelte und damit wahrscheinlich nicht mehr infektiöse Positive läuft dagegen Gefahr, wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ vor dem Richter zu landen.
Diese absurden rechtlichen Konsequenzen können die Entscheidung zum Test beeinflussen, und dadurch HIV-infizierte Menschen von einer wirksamen Therapie fernhalten.

Es besteht außerdem ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Aufwand, der einerseits betrieben wird, theoretische Restrisiken (z.B. angebliche Gefährlichkeit des sog. Lusttropfens) öffentlich hochzuhalten, und andererseits der unzureichenden tatsächlichen Bereitschaft, real etwas gegen leicht vermeidbare HIV Infektionen zu tun.
Spritzentausch in den Vollzugsanstalten zu verweigern und gleichzeitig die Strafbarkeit der Übertragung von Erkrankungen zu fordern ist ethisch nicht nachvollziehbar.

Es ist unethisch, durch die Diskussion den falschen Eindruck zu verstärken, die wissenden HIV-Infizierten seien der Motor der Epidemie, statt durch das öffentliche Ansprechen auch entlastender Faktoren (wie der Bedeutung der Viruslast) die Kommunikation über HIV im sexuellen Umgang zu erleichtern.

Die Ärzteschaft, das Robert Koch Institut, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Aids-Hilfen sind gefordert, sich – orientiert am Beispiel der Schweiz – öffentlich zu Risikoeinschätzungen und Risikominimierungsstrategien zu äußern. Die Medien, auch die schwulen, sind gefordert, nicht den dumpfen Bestrafungswünschen und -fantasien nachzugeben.

Grundlage von Aufklärung und seriösem Journalismus – wie auch von qualifizierten Gerichtsentscheidungen – sollten wissenschaftliche Erkenntnisse und Einschätzung der maßgeblichen Institutionen sein, z.B. des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts.

Es ist nicht hinnehmbar, dass in dem unterstützenswerten Bestreben, Kondome an den Mann zu bringen, die von ihrer Infektion wissenden Positiven gegen alle epidemiologischen Erkenntnisse als Bedrohungspotential funktionalisiert werden.
Nicht hinnehmbar ist auch, dass immer wieder die Aufkündigung des Solidarsystems in den Raum gestellt wird.

Wir fordern Politikerinnen und Politiker in Bund und Ländern, Akteurinnen und Akteure in Wissenschaft, Justiz, Medien und der queer communities auf, den Dialog mit uns zu führen, anstatt über uns zu reden.

Wir werden die Debatte nicht stumm verfolgen. Wir wollen uns als HIV-positive und an Aids erkrankte Menschen einbringen und unsere Interessen selbstbewusst artikulieren.

Statt Repression und Hysterie fordern wir die Rückkehr zur Sachlichkeit.

(Verabschiedet am 20.Juni 2007 von den Teilnehmer/innen des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen)