Die Deutsche AIDS-Stiftung (DAS) hat entschieden, aus Gründen der Effektivität die direkte finanzielle Hilfe für Menschen mit HIV und Aids drastisch einzuschränken, und stattdessen mehr Geld an professionelle Aids-Projekte zu verteilen.
Dazu ein Kommentar von Matthias Hinz:
Man stelle sich vor:
Die Feuerwehr entscheidet sich, künftig keine Menschen mehr aus brennenden Häusern zu retten oder Ertrinkende aus dem Wasser zu holen, weil es zu aufwendig ist, in hunderten kleiner Einzelfälle zu helfen. Effektiver sei es, größere Strukturen zu fördern, z.B. eine Akademie für Rettungsschwimmer zu bauen und Krankenhäuser zu renovieren.
Man kann das als Steigerung der „Effektivität“ bezeichnen. Man kann es aber auch als falsch bezeichnen, da es nicht Aufgabe der Feuerwehr ist, Krankenhäuser zu renovieren. Aufgabe der Feuerwehr ist es, Menschen aus direkter Not zu retten.
Aufgabe der Deutschen Aids-Stiftung (DAS) ist es, Spenden zu sammeln und an HIV-positve Menschen in finanzieller Not weiter zu leiten. Das ist ihr Hauptzweck – nicht sexy, aber notwendig. Eine Nebenaufgabe kann in der Unterstützung von Strukturen und Projekten gesehen werden, wenn diese sich ebenfalls der Notlinderung bei Positiven widmen.
Die Aids-Stiftung ist es jetzt aber offenbar leid, die Feuerwehr zu spielen, sie will lieber größere Strukturen fördern.
Nun kann ich gut verstehen, daß es „langweilig“ ist, das gespendete Geld immer nur weiterzureichen, in den immer gleichen Notlagen die immer gleichen kleinen Löcher zu stopfen. Da will man dann schon mal etwas „Zukunftsträchtiges“ gestalten, dabei helfen, etwas aufzubauen, was vorzeigbar ist. Aber das ist nicht die Aufgabe der DAS, sondern die von Versorgungs- und Betreuungseinrichtungen.
Vorrangige Aufgabe der Aids-Stftung muß die direkte Hilfe für Menschen mit HIV in finanziellen Notlagen bleiben. Diese Hilfeleistung darf sie nicht verweigern. Sie würde sonst ihren Daseinszweck sabotieren und über kurz oder lang ihre Existenz gefährden. (Da die Stiftung kein Selbstzweck ist, wäre es um die Einrichtung an sich nicht schade. Aber der Schaden für die Menschen, die in der Krise erst recht die Hilfe der Stiftung brauchen werden, wäre enorm.)
Die Stiftung denkt, es sei „effektiver“, nur einmal einen großen Scheck für ein Wohnprojekt oder eine Aidshilfe auszustellen, als sich hundertmal dem Kleinklein des alltäglichen Elends zu widmen, und hundert Einzelanträge auf eine Waschmaschine, einen Zuschuß für eine Ostseereise oder Zahnersatz zu prüfen.
Nun kann man sich durchaus darüber streiten, ob es wirklich „effektiver“ ist, mit Hunderttausenden von Euro ein paar Wohnungen für Positive zu bauen, oder mit riesigem Aufwand einige Ein-Euro-Jobs zu schaffen, statt Tausend Positiven in konkreten Notlagen zu helfen.
Der eigentliche Punkt ist aber, daß es nicht die Aufgabe der Deutschen Aids-Stiftung ist – erst recht nicht, wenn große Summen an „Sozialkonzerne“ gehen, die selber erfolgreich ihre Kompetenz im Spendensammeln bewiesen haben – ZiK [Zuhause im Kiez, d.Hg.-]Berlin oder AH [Aids-Hilfe, d.Hg.] Köln.
Es ist ja durchaus löblich und im Einzelfall nicht unsinnig, kleinere Selbsthilfe-Projekte zu fördern. Aber wer der Öffentlichkeit immer wieder die finanzielle Not von Positiven drastisch vor Augen führt, und die eigene wichtige Rolle bei der Linderung dieser individuellen Nöte betont, wie die Stiftung das mit großem Erfolg tut, der muß mit den so geworbenen Spenden auch tatsächlich diese konkrete Not der Einzelnen lindern, sprich: Einzelfallhilfe leisten.
Wenn aber das öffentlich erzeugte Bild sich nicht (mehr?) mit der tatsächlichen Vergabepraxis decken sollte, dann kann man durchaus von einem Betrug an den SpenderInnen reden – und natürlich von Betrug an denen, in deren Namen die Spenden gesammelt werden. Die Stiftung kann sich eben nicht nach Belieben neue Aufgaben und Schwerpunkte aussuchen.
Wie konnte die DAS überhaupt in die Lage kommen, ihre Kernaufgabe (und damit ihre Daseinsberechtigung) dem Streben nach vermeintlicher Effektivität zu opfern?
Ich glaube, ein wichtiger Grund für diese Fehlentwicklung liegt (neben der als „Professionalisierung“ bekannten Bürokratisierung) darin, daß die Aids-Stiftung zwar die (finanziell) bei weitem größte „Interessenvertretung“ für Positive in diesem Lande ist, daß aber schizophrenerweise innerhalb der Stiftung Positive keinerlei Interessenvertretung haben – dagegen hat sich die DAS immer erfolgreich gewehrt.
Obwohl die Stiftung im Namen von Positiven Spenden sammelt, hat sie bis heute keine Struktur geschaffen, in der Positive entscheidend (oder auch nur beratend!) Einfluß nehmen könnten, z.B. auf die obskuren Vergaberichtlinien.
Getreu dem gönnerhaften Gutsherren-Motto „Wir wissen schon, was gut für euch ist!“ wird Geld verteilt – oder eben auch nicht.
Offenbar mißtraut die Deutsche Aids-Stiftung den Positiven zutiefst: sie könnten vielleicht zu egoistisch sein und das schöne Geld für lauter Jux und Tollerei vergeben wollen. Damit unterschätzt sie die solidarische Vernunft und das Verantwortungsbewußtsein vieler Positiver aber bei weitem.
Da die organisierten Interessenvertreter von Positiven selbst zu einem nicht geringen Teil auf Geld der DAS hoffen (oder gar darauf angewiesen sind), wurde die notwendige Kritik an der Stiftung meist nur kleinlaut vorgetragen (falls überhaupt).
So kommt es, daß die Menschen, für die die Aids-Stiftung eigentlich da ist, bis heute nichts in ihr zu sagen haben.
Aber vielleicht ist die Zeit ja mittlerweile reif.
Was spricht dagegen, durch die Positiven-„Vollversammlung“ (die „Positiven Begegnungen 2010“ in Bielefeld) vier oder fünf Menschen mit HIV auszuwählen, die in diesem Sinne in einem Gremium der Stiftung für zwei Jahre ehrenamtlich mitarbeiten?
Die Stiftung kann dadurch nur gewinnen: zusätzlichen Sachverstand und Kompetenz, und eine Verbesserung ihres lädierten Ansehens unter Positiven. Beides wird auch ihr öffentliches Ansehen heben. Und wenn dann durch höhere Glaubwürdigkeit auch noch die Spendenbereitschaft steigt, ist allen gedient.
Da die Deutsche Aids-Stiftung offenbar nicht in der Lage ist, diese längst überfälligen Schritte zu etwas mehr Transparenz und Mitbestimmung alleine zu gehen, braucht sie dazu wohl Hilfe von außen.
Aidshilfe- und Positiven-Bewegung sollten es nicht unterlassen, ihr diese Hilfe zu gewähren.