Sigrun Haagen und Matthias Hinz zu neuen Ehrenmitgliedern der Deutschen Aids-Hilfe ernannt

Auf ihrem Jahresempfang 2011 hat die Deutsche Aids-Hilfe DAH am gestrigen 4. November Matthias Hinz und Sigrun Haagen zu Ehrenmitgliedern ernannt.

Sigrun Haagen ist unter anderem Gründungsmitglied des Bundesweiten Netzwerks der Angehörigen von Menschen mit HIV und AIDS und seit vielen Jahren auch aktiv in der Vorbereitung der ‚Positiven Begegnungen‘.
Sie lebt im Sauerland, und arbeitet seit vielen Jahren im Vorstand eines ambulanten Hospizvereins (DIE BRÜCKE – Sterbe- und Trauerbegleitung e.V.).

Matthias Hinz war auf vielen Ebenen in der DAH aktiv (vom Mitarbeiter bis zum Mitglied des Delegiertenrats) und u.a. auch Mitglied von positiv e.V., dem (zusammen mit dem Waldschlößchen) Organisator der Bundesweiten Positiventreffen. Einer seiner grundlegenden Gedanken (aus der Zeit der Diskussion zum Leitbild der DAH):

„Der Wunsch, Infektionen und Krankheit zu verhindern, der Wunsch, Gesundheit und Leben zu erhalten, mögen für uns zwar die Motivation unseres Handelns sein, aber: Ziele unserer Arbeit, „Leitsterne“ von Aids-Hilfe können sie nicht sein. Warum nicht? Weil die AH-Arbeit auf Werten basiert, die wichtiger sind als unsere Wünsche, auf Werten, die uns einen handlungsleitenden Rahmen setzen – sowohl begrenzend als auch motivierend. Der oberste dieser Werte ist die Autonomie, die Selbstbestimmung des Menschen, in der sich seine Freiheit und seine Würde ausdrücken. Diese Selbstbestimmung zu achten und sie zu fördern ist in meinen Augen die wichtigste Aufgabe der Aids-Hilfe …“.

DAH-Vorstandsmitglied Carsten Schatz bei der Laudatio auf Matthias Hinz
DAH-Vorstandsmitglied Carsten Schatz bei der Laudatio auf Matthias Hinz
DAH Ehrenmitglied Matthias Hinz
DAH Ehrenmitglied Matthias Hinz
DAH-Vorstandsmitglied Sylvia Urban bei der Laudatio auf Sigrun Haagen
DAH-Vorstandsmitglied Sylvia Urban bei der Laudatio auf Sigrun Haagen
DAH Ehrenmitglied Sigrun Haagen
DAH Ehrenmitglied Sigrun Haagen

Unterlassene Hilfeleistung – Lässt die Aids-Stiftung Positive im Stich?

Die Deutsche AIDS-Stiftung (DAS) hat entschieden, aus Gründen der Effektivität die direkte finanzielle Hilfe für Menschen mit HIV und Aids drastisch einzuschränken, und stattdessen mehr Geld an professionelle Aids-Projekte zu verteilen.
Dazu ein Kommentar von Matthias Hinz:

Man stelle sich vor:
Die Feuerwehr entscheidet sich, künftig keine Menschen mehr aus brennenden Häusern zu retten oder Ertrinkende aus dem Wasser zu holen, weil es zu aufwendig ist, in hunderten kleiner Einzelfälle zu helfen. Effektiver sei es, größere Strukturen zu fördern, z.B. eine Akademie für Rettungsschwimmer zu bauen und Krankenhäuser zu renovieren.
Man kann das als Steigerung der „Effektivität“ bezeichnen. Man kann es aber auch als falsch bezeichnen, da es nicht Aufgabe der Feuerwehr ist, Krankenhäuser zu renovieren. Aufgabe der Feuerwehr ist es, Menschen aus direkter Not zu retten.

Aufgabe der Deutschen Aids-Stiftung (DAS) ist es, Spenden zu sammeln und an HIV-positve Menschen in finanzieller Not weiter zu leiten. Das ist ihr Hauptzweck – nicht sexy, aber notwendig. Eine Nebenaufgabe kann in der Unterstützung von Strukturen und Projekten gesehen werden, wenn diese sich ebenfalls der Notlinderung bei Positiven widmen.

Die Aids-Stiftung ist es jetzt aber offenbar leid, die Feuerwehr zu spielen, sie will lieber größere Strukturen fördern.
Nun kann ich gut verstehen, daß es „langweilig“ ist, das gespendete Geld immer nur weiterzureichen, in den immer gleichen Notlagen die immer gleichen kleinen Löcher zu stopfen. Da will man dann schon mal etwas „Zukunftsträchtiges“ gestalten, dabei helfen, etwas aufzubauen, was vorzeigbar ist. Aber das ist nicht die Aufgabe der DAS, sondern die von Versorgungs- und Betreuungseinrichtungen.
Vorrangige Aufgabe der Aids-Stftung muß die direkte Hilfe für Menschen mit HIV in finanziellen Notlagen bleiben. Diese Hilfeleistung darf sie nicht verweigern. Sie würde sonst ihren Daseinszweck sabotieren und über kurz oder lang ihre Existenz gefährden. (Da die Stiftung kein Selbstzweck ist, wäre es um die Einrichtung an sich nicht schade. Aber der Schaden für die Menschen, die in der Krise erst recht die Hilfe der Stiftung brauchen werden, wäre enorm.)
Die Stiftung denkt, es sei „effektiver“, nur einmal einen großen Scheck für ein Wohnprojekt oder eine Aidshilfe auszustellen, als sich hundertmal dem Kleinklein des alltäglichen Elends zu widmen, und hundert Einzelanträge auf eine Waschmaschine, einen Zuschuß für eine Ostseereise oder Zahnersatz zu prüfen.
Nun kann man sich durchaus darüber streiten, ob es wirklich „effektiver“ ist, mit Hunderttausenden von Euro ein paar Wohnungen für Positive zu bauen, oder mit riesigem Aufwand einige Ein-Euro-Jobs zu schaffen, statt Tausend Positiven in konkreten Notlagen zu helfen.
Der eigentliche Punkt ist aber, daß es nicht die Aufgabe der Deutschen Aids-Stiftung ist – erst recht nicht, wenn große Summen an „Sozialkonzerne“ gehen, die selber erfolgreich ihre Kompetenz im Spendensammeln bewiesen haben – ZiK
[Zuhause im Kiez, d.Hg.-]Berlin oder AH [Aids-Hilfe, d.Hg.] Köln.

Es ist ja durchaus löblich und im Einzelfall nicht unsinnig, kleinere Selbsthilfe-Projekte zu fördern. Aber wer der Öffentlichkeit immer wieder die finanzielle Not von Positiven drastisch vor Augen führt, und die eigene wichtige Rolle bei der Linderung dieser individuellen Nöte betont, wie die Stiftung das mit großem Erfolg tut, der muß mit den so geworbenen Spenden auch tatsächlich diese konkrete Not der Einzelnen lindern, sprich: Einzelfallhilfe leisten.
Wenn aber das öffentlich erzeugte Bild sich nicht (mehr?) mit der tatsächlichen Vergabepraxis decken sollte, dann kann man durchaus von einem Betrug an den SpenderInnen reden – und natürlich von Betrug an denen, in deren Namen die Spenden gesammelt werden. Die Stiftung kann sich eben nicht nach Belieben neue Aufgaben und Schwerpunkte aussuchen.

Wie konnte die DAS überhaupt in die Lage kommen, ihre Kernaufgabe (und damit ihre Daseinsberechtigung) dem Streben nach vermeintlicher Effektivität zu opfern?
Ich glaube, ein wichtiger Grund für diese Fehlentwicklung liegt (neben der als „Professionalisierung“ bekannten Bürokratisierung) darin, daß die Aids-Stiftung zwar die (finanziell) bei weitem größte „Interessenvertretung“ für Positive in diesem Lande ist, daß aber schizophrenerweise innerhalb der Stiftung Positive keinerlei Interessenvertretung haben – dagegen hat sich die DAS immer erfolgreich gewehrt.
Obwohl die Stiftung im Namen von Positiven Spenden sammelt, hat sie bis heute keine Struktur geschaffen, in der Positive entscheidend (oder auch nur beratend!) Einfluß nehmen könnten, z.B. auf die obskuren Vergaberichtlinien.

Getreu dem gönnerhaften Gutsherren-Motto „Wir wissen schon, was gut für euch ist!“ wird Geld verteilt – oder eben auch nicht.
Offenbar mißtraut die Deutsche Aids-Stiftung den Positiven zutiefst: sie könnten vielleicht zu egoistisch sein und das schöne Geld für lauter Jux und Tollerei vergeben wollen. Damit unterschätzt sie die solidarische Vernunft und das Verantwortungsbewußtsein vieler Positiver aber bei weitem.
Da die organisierten Interessenvertreter von Positiven selbst zu einem nicht geringen Teil auf Geld der DAS hoffen (oder gar darauf angewiesen sind), wurde die notwendige Kritik an der Stiftung meist nur kleinlaut vorgetragen (falls überhaupt).
So kommt es, daß die Menschen, für die die Aids-Stiftung eigentlich da ist, bis heute nichts in ihr zu sagen haben.

Aber vielleicht ist die Zeit ja mittlerweile reif.
Was spricht dagegen, durch die Positiven-„Vollversammlung“ (die „Positiven Begegnungen 2010“ in Bielefeld) vier oder fünf Menschen mit HIV auszuwählen, die in diesem Sinne in einem Gremium der Stiftung für zwei Jahre ehrenamtlich mitarbeiten?
Die Stiftung kann dadurch nur gewinnen: zusätzlichen Sachverstand und Kompetenz, und eine Verbesserung ihres lädierten Ansehens unter Positiven. Beides wird auch ihr öffentliches Ansehen heben. Und wenn dann durch höhere Glaubwürdigkeit auch noch die Spendenbereitschaft steigt, ist allen gedient.

Da die Deutsche Aids-Stiftung offenbar nicht in der Lage ist, diese längst überfälligen Schritte zu etwas mehr Transparenz und Mitbestimmung alleine zu gehen, braucht sie dazu wohl Hilfe von außen.
Aidshilfe- und Positiven-Bewegung sollten es nicht unterlassen, ihr diese Hilfe zu gewähren.

‚Böse Bilder‘ oder: Wie Stuttgart den Mut verlor

Zum Thema „Bilderstreit – über Stigma, ein abgehängtes Bild und Toleranz“ im Folgenden ein Artikel des neuen ondamaris-Mit-Autors Matthias Hinz:

Ländliche Polit-Posse oder klein(geistig)e Kunst-Zensur?– irgendwie ist es von beidem etwas, was sich neulich in der Schwaben-Metropole Stuttgart zugetragen hat.

Die Stadt Stuttgart hat die „größte Selbsthilfekonferenz Europas“ (Programmheft) zu sich ins Rathaus eingeladen, die von der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) veranstalteten „Positiven Begegnungen 2009“. Und da es offenbar noch immer keine Selbstverständlichkeit ist, „so eine“ Veranstaltung in der guten Stube der Stadt willkommen zu heißen, sei es auch hier lobend bemerkt.
Man ist freundlich und offen zu den über 400 (meist HIV-positiven) Gästen, der Oberbürgermeister übernimmt die Schirmherrschaft, und zur Eröffnung gibt es warme Worte der Bürgermeisterin Müller-Trimbusch.
Das Schwerpunkt-Thema der Konferenz ist „Stigmatisierung und Diskriminierung“, und so erklärt denn die Bürgermeisterin auch:
„Die Entstigmatisierung von Menschen mit HIV und AIDS ist eine der großen Aufgaben der nächsten Jahre. (…) Die Stadt Stuttgart unterstützt dieses Anliegen (…) Dass die Konferenz hier im Rathaus stattfindet, unterstreicht die besondere Bedeutung, die wir dem Thema beimessen.“

Alles sehr gut, sehr schön und wunderbar! – wäre da nicht diese peinliche Posse am Rande; am Rande zwar, aber doch mitten im Thema der Konferenz:
Noch vor Beginn der Veranstaltung, während draußen auf dem Platz die Fahnen der Aidshilfe gehisst werden, kommt es drinnen im Rathaus zum Eklat.
Im Foyer wird die Konferenz-Ausstellung „Bilder eines Stigmas“ von den Amtsträgern begutachtet und stößt auf Mißfallen.

(„Das Stigma ruft Ablehnung, Beklemmung oder Unbehagen bei Dritten hervor.“ Programmheft)

Bürgermeisterin Müller-Trimbusch verlangt vom Veranstalter DAH, daß etliche Fotos abgehängt werden müssen, so etwas ginge in einem schwäbischen Rathaus nicht.
Mit „so etwas“ sind Bilder von Frauen gemeint, die den Mut haben, sich und ihr Stigmatisiertsein zu zeigen, zu inszenieren, und damit offensiv und selbstbewußt ihre Würde und ihre Schönheit dem Stigma entgegen zu stellen.
Wunderbare Bilder einer begabten Photografin. Und, ja: diese Frauen sind teilweise unbekleidet!

(„In aller Regel versuchen Menschen, die von Stigmatisierung betroffen sind, sich ‚unsichtbar zu machen’. D.h. sie verbergen die sie stigmatisierenden Merkmale.“ Programmheft)

Nur kurz unterbrochen vom oben zitierten Auftritt der Bürgermeisterin bei der Eröffnungsveranstaltung, geht hinter den Kulissen der Tagung das Ringen zwischen Rathaus und Aidshilfe weiter. Die Frage ist: wieviel Entstigmatisierung verträgt die Gastfreundschaft des Rathauses? Das Ergebnis: die Bilder „dürfen“ doch gezeigt werden, alle, bis auf eines!
Dazu wird der anfänglich vorgeschobene Vorwurf des Sexismus nun von der Bürgermeisterin fallengelassen, und ersetzt durch den Hinweis, die religiösen Gefühle von Minderheiten schützen zu wollen.

(„Der Vorgang der Stigmatisierung verläuft häufig auf der Ebene von Vorurteilen und Klischees.“ Programmheft)

Und also geht das peinliche Theater des Rathauses weiter: der Hinweis „Zensiert“, welchen die Aidshilfe an die Leerstelle gehängt hat, die das zensierte Bild in der Ausstellung hinterlassen hat, wird von diensttuenden Geistern immer wieder entfernt. Man fürchtet um den guten Ruf der Stadt, der dadurch aber nur noch mehr Blessuren bekommt.
Der Ton verschärft sich, und schließlich steht die Drohung des Rathauses im Raum, die gesamte Ausstellung zwangsweise abzubauen, schlimmstenfalls auch die Konferenz einfach zu beenden.

(„Stigmatisierung und Diskriminierung gehen in der Regel Hand in Hand.“ Programmheft)

An diesem Punkt kommen einige Konferenzteilnehmer der DAH ungebeten und auf eigene Faust zu Hilfe und informieren durch kleine Aushänge überall im Rathaus über den Vorfall.

(„Engagierte Selbsthilfegruppen und funktionierende Netzwerke sind unverzichtbar.“ Programmheft, Grußwort der Landessozialministerin Stolz)

Es kommen Gespräche unter den Teilnehmenden über die Ausstellung und das Verhalten des Rathauses in Gang ( – gottseidank aber ohne die eigentliche Arbeit zu übertönen, schließlich ist es nur ein Randgeschehen). Unverständnis und eine gewisse Empörung machen sich Luft.

(„Damit machen sie vielen Menschen Mut und helfen mit, dass sachgerechte und auf Erfahrung basierende Entscheidungen getroffen werden können.“ Programmheft, Grußwort der Landessozialministerin Stolz)

In der folgenden Plenarsitzung erläutert nun der DAH-Vorstand (der die Sache bisher aus Rücksicht auf die Gastfreundschaft hinter den Kulissen ausgefochten hat) den 400 Teilnehmenden die Vorgänge.
Das inkriminierte Foto, das ohne das ganze Theater dezent unter zwanzig anderen in der Ausstellung gehangen hätte, strahlt jetzt als 12 Quadratmeter-Diashow im Großen Sitzungssaal und wird vom Publikum mit ausgiebigem Beifall bedacht.

(„ Sich dem Fremd- und Selbststigma zu stellen, erfordert Mut und eine gewisse Kraft zur Auseinandersetzung. Am Ende des Prozesses kann jedoch eine neu gewonnene (innere) Freiheit stehen, die mehr Unabhängigkeit, Selbstzufriedenheit und Identitätsstärkung beinhaltet.“ Programmheft)

Kann man nun aus dieser Posse etwas lernen?
Zumindest hat sich einmal mehr gezeigt, daß sich Zensur nicht lohnt, daß sie im besten Fall sogar – wie hier – den Zensor bloßstellt.
Und für die Aidshilfe war es gewiss gut, wieder einmal zu erleben, daß sie sich gegen Versuche, ihre Arbeit aus sachfremden (meist parteipolitischen) Gründen zu behindern, erfolgreich wehren kann – mit Unterstützung ihrer „Zielgruppen“.
Insofern gehört auch dieser kleine „Bilderkampf“ zu den fruchtbaren Erlebnissen, die die Schwabenmetropole möglich gemacht hat.
Ob aber im Stuttgarter Rathaus auch etwas gelernt wurde, ist zu bezweifeln…

EKAF im Alltag – Drohkulisse oder Chance?

Welche Konsequenzen hat das EKAF-Statement zur Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, für Positive, für die Betroffenengruppen, für die Prävention? Eine spannende Podiumsdiskussion befasste sich mit den Konsequenzen des EKAF-Statements für den Alltag.

Im Januar 2008 veröffentlichte die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF ihr Statement (siehe ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapie ohne andere STDs‚). Ein Statement, das heftige Reaktionen von verschiedensten Seiten auslöste, von „endlich spricht jemand das aus …“ bis „das darf man doch nicht laut sagen …„. Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Mexiko Stadt im August 2008 präsentierten Positive das Mexico Manifest, in dem sie forderten, das Statement anzuerkennen und zu einer offenen Debatte und uneingeschränkten Aufklärung zurück zu kehren.

‚EKAF – Konsequenzen für den Alltag?‘, unter diesem Titel fand am 13. September 2008 im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ eine lebhafte Podiumsdiskussion zu dem Schweizer Statement statt. Unter Moderation von Corinna Gekeler (Berlin) diskutierten Michael Jähme (Köln), Götz Bähr, Matthias Hinz und Jens Ahrens (alle Berlin).

Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?
Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?

Das Bild von Positiven werde sich in der Gesellschaft in Folge des EKAF-Statements verändern, betonte Michael Jähme und verwies auf das große Potential an entstigmatisierender und Diskriminierung abbauender Wirkung, das mit dem EKAF-Statement genutzt werden sollte.
Auch kondomfreier Sex könne unter bestimmten Umständen safer Sex sein. Dies werde sicherlich die künftige Prävention komplizierter gestalten – aber da müsse sich die Prävention einer veränderten Realität anpassen. Zudem liege hierin doch auch die Chance, dass Positive nun einen noch größeren Anreiz hätten, auf ihre Gesundheit zu achten.

Götz Bähr wies darauf hin, dass das EKAF-Statement für eine kleine Gruppe eine neue Perspektive biete – nur denjenigen Positiven, die eine Kombitherapie machen. Dies seien vielleicht 30% aller Menschen mit HIV in Deutschland. Was sei mit den anderen? Entstehe nun ein Druck zu noch früherem Therapiebeginn? Vielleicht gar zu einem Therapiebeginn nicht aus medizinischen sondern epidemiologischen oder psychologischen Gründen? Zudem, Motor der HIV-Infektion seien diejenigen, die ungetestet aber mit HIV infiziert seien – eine Frage, die nicht außer Acht geraten dürfe, wo blieben hier die Test-Kampagnen?
Es müsse zudem im Fokus bleiben, dass HIV-Negative und Ungetestete sich weiterhin bemühen negativ zu bleiben. EKAF sei hier ein Moment zusätzlicher Sicherheit. Die Verantwortung dürfe jedoch nicht noch mehr einseitig auf HIV-Positive verschoben werden.
Zudem könne das EKAF-Statement dazu führen, dass der Druck auf Positive jetzt noch mehr wachse, sich zu offenbaren – vielleicht sogar mit ‚Offenlegung der Werte‘.

Matthias Hinz warnte vor der ‚Monogamie-Falle‘ – nirgends im EKAF-Statement wird Monogamie als Bedingung genannt, vielmehr heißt es in dem Artikel von Vernazza et al. „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“. Zudem sehe er die Gefahr einer Re-Medikalisierung der Debatte, wenn z.B. in der Tendenz auch die früher von den Communities entwickelte und getragene Prävention (bei MSM) nun von ‚Experten‘, von Medizin und Pharma vereinnahmt werde.
Der Slogan ‚Kondome schützen‘ sei heute kaum noch situationsgerecht. Die Zeit der einfachen Botschaften sei vorbei; nicht nur die Zeit, auch die Bedrohung sei eine andere geworden. Er stelle die Prognose, der Slogan ‚Kondome schützen‘ werde irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr verwendet. Nicht etwa, weil er obsolet geworden sei, sondern weil er der Komplexität der Situation nicht mehr gerecht werde.

Hinz wies darauf hin, dass seit Jahrzehnten durch die Angst von Positiven, für andere eine Quelle der Ansteckung zu werden, weitaus mehr Neuinfektionen verhindert wurden als durch jedes Selbstschutz-Interesse von Nicht-Positiven oder Präventionskampagnen. Wenn diese oft stark übersteigerte Angst nun zumindest etwas auf ein realistischeres Maß zurückgeht, sei das im Interesse der Positiven zu begrüßen. Das Argument, dass die Prävention diese Angst zum Funktionieren braucht, sei vielleicht verständlich, es wäre aber unethisch und kontraproduktiv, diese (endlich) weniger werdende Angst künstlich am Leben halten zu wollen. Hier müsse sich die Prävention was anderes einfallen lassen, um mit den sich verändernden Umständen umzugehen.

Immer wieder war in den Diskussionen die vielfach wahrnehmbare Angst Dritter (z.B. aus Politik und Verwaltung) Thema, „wir (die Positiven) könnten unsere Angst verlieren, andere zu infizieren“. Werde hier versucht eine Angst zu Lasten von Menschen mit HIV aufrecht zu erhalten, um nur nicht an alten Präventionskonzepten rühren zu müssen?
„Ich stelle mich als HIV-Positiver nicht mehr als Drohkulisse zur Verfügung!“, kommentierte dazu Michael Jähme. Überall freue man sich über Fortschritt in der HIV-Forschung – warum ausgerechnet hier nicht?

Eine spannende, inhaltlich sehr dichte und facettenreiche Diskussion – dank pointierter wie auch kenntnisreicher Beiträge der Diskutanten und besonders der intensiven Vorbereitung und guten Moderation durch Corinna Gekeler. Vielleicht beteiligen sich beim nächsten Mal auch die anwesenden Vertreter aus Politik und Verwaltung an der Diskussion?

‚Die Debatte um die Bedeutung des EKAF-Statements wird nur weiter gehen, wenn wir uns selbst darum kümmern‘, hatte Michael Jähme zu Beginn der Diskussion betont. Diese Veranstaltung wies einen guten Weg, wie Debatten inhaltsreich weiter geführt werden können – ohne Polemik, aber mit kontroversen Themen und Diskussionen.