Anfang April, vor vor drei Monaten, wurde eine Pop-Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Übertragung verhaftet. Inzwischen hat sie ein Interview zu den Vorgängen gegeben. Ansonsten scheint Ruhe eingekehrt. Zentrale Fragen, die der Fall aufgeworfen hat, sind jedoch weiterhin unbeantwortet.
Frankfurt, 11. April 2009, Ostersamstag. Eine junge Sängerin, aufgrund ihrer Teenie-Band und Grand-Prix-Teilnahme nicht gerade unbekannt, wird vor einem abendlichen Auftritt öffentlichkeitswirksam verhaftet. Verhaftet wegen angeblich bewussten Infizierens von Partnern mit HIV bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr.
In den nächsten Tagen geraten die Medien in Aufruhr, die Schlagzeilen der Titelseiten glühen rot. Aids, Schuld, Gefängnis schreien sie grell. Vorverurteilungen in Reihe, Kriminalisierungs-Phantasien. Die Deutsche Aids-Hilfe protestiert gegen die Verhaftung. In Medien werden alte Mythen und Vorurteile auf’s Neue bemüht. Ein SPD-Politiker bezeichnet HIV-Positive als Biowaffen – und darf das. Schlimmste Erinnerungen werden wach, an Zeiten, die wir -auch in Folge erfolgreicher Prävention- längst überwunden glaubten.
Viele Tage bliebt die junge Frau in Haft. Es bestünde Wiederholungsgefahr, lässt die Staatsanwaltschaft verlauten. Eine Staatsanwaltschaft, die sich mehr um eine sehr aktive Zusammenarbeit mit den Medien als um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu bemühen scheint: der Presse-Staatsanwalt wandte sich von sich aus an die Medien, Presseinformationen und Weitergabe von Informationen an die Medien folgten, der Presse-Staatsanwalt selbst ist in den folgenden Tagen häufig zu sehender Gast vor den Kameras diverser TV-Stationen. Eine Staatsanwaltschaft, die sich geriert, als wäre sie und nicht BZgA und Aidshilfen für die Aids-Prävention in Deutschland zuständig. Unterstützt von einem Justizminister, der jegliche Kritik als unbegründet zurückweist.
Drei Monate später. Ruhe ist eingekehrt.
Ist „Gras über die Sache gewachsen“?
Sicher nicht. Oder doch?
Was bleibt?
Eine junge Frau und Mutter, unfreiwillig mit persönlichsten Details ans Licht einer sensationsgeilen Öffentlichkeit gezerrt, kann ihre weitere Karriere vermutlich vergessen. Ihr Kind wird vermutlich noch oft konfrontiert werden mit der Frage „Ach, sind Sie nicht …“.
“Ich möchte mich dem Ganzen stellen, anderen Mut machen und zur Aufklärung beitragen” – vor kurzem geht die junge Frau dann von sich aus an die Medien, versucht von der Getriebenen wieder selbst zur Handelnden zu werden. Sie sei gegen ihren Willen als HIV-positiv geoutet worden, wolle aber “auf jeden Fall weiter arbeiten und wieder in die Öffentlichkeit”, erzählt Nadja Benaissa im Interview. Über die Vorwürfe selbst schweigt sie, „laufendes Verfahren“.
Doch es bleiben auch so zahlreiche Fragen.
Fragen wie z.B. diese:
– Wie konnten Patientenakten an der behandelnden Uniklinik beschlagnahmt werden bzw. Kopien der Patientenakten an die Staatsanwaltschaft gelangen?
– Wie sicher sind Patientenakten noch? Was zählt der Beschlagnahmeschutz in der Praxis?
_ Können Patienten noch auf die Vertraulichkeit der Patientenakte und ihres Gesprächs mit dem „Arzt des Vertrauens“ zählen? Oder nicht?
– Wie sicher ist die Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses? Werden Patienten hierüber korrekt und verständlich informiert?
– Wie kann erreicht werden, dass Medien zukünftig informierter, sachlicher und ausgewogener berichten? Vorverurteilungen vermeiden?
– Wie steht es um die Medien-Arbeit der Staatsanwaltschaften? Wie weit darf sie gehen, vor allem während laufender Ermittlungen?
– Und wie weit reicht die Verantwortung der Medien?
– Wie sieht es aus um das Verhältnis von Informationsrecht der Öffentlichkeit und Recht des Individuums auf Privat-Sphäre? (Auch diese Frage ist nach dem geplatzten Prozeß weiterhin ungeklärt).
– Wie lässt sich vermeiden, dass mit Blick auf Quoten und Auflagen mutwillig Präventionserfolge gefährdet, um des Umsatzes willen Menschen mit HIV stigmatisiert und diskriminiert werden?
– Wie schaffen Aids-Organisationen es, neue wissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse (wie das sog. EKAF-Statement zu drastisch reduzierter Infektiosität bei erfolgreicher antiretroviraler Behandlung) auch bei Ermittlern, Anwälten, Staatsanwälten und Richtern bekannt zu machen?
– Und wie schaffen wir es, deutlicher zu machen, HIV ist ein Virus ist – kein Verbrechen? Dass bestehende Gesetze ausreichen, etwaige Straftaten zu verfolgen? Dass Strafrecht kein effizientes Mittel der Prävention ist, im Gegenteil Erfolge der Prävention gefährdet?
Eine junge Frau, bloßgestellt, vorverurteilt, in ihrer Zukunft und ihrem Privatleben beeinträchtigt.
Und viele Frage, die die Medien und die Staatsanwaltschaft vermutlich wenig interessieren.
Bleibt zu hoffen, dass die Aids-Hilfen und viele Menschen mit HIV und Aids, die sich mit erneuter Stigmatisierung und Diskriminierung auseinander setzen müssen, die Vorgänge nicht vergessen – und sich mit den aufgeworfenen Fragen auseinander setzen.
Besonders die Deutsche Aids-Hilfe ist hier gefragt.
Allein auf das Gras und dessen Wachstum zu setzen reicht nicht.
siehe auch:
SZon 10.07.2009: Haftbefehl gegen Sängerin aufgehoben
.
DAH-Blog 11.09.2009: Nadja Benaissa im d@h_blog-Interview: „Ich war wie die WM“
.
Am Rande und aus meiner Sicht kein Nebenkriegsschauplatz:
Der Skandal um das Bild-Zeitungsinterview von Dagmar Charrier. Ich werde im nächsten HIV.Report einen offenen Brief an den Verein veröffentlichen und ihren Rücktritt zu fordern. Es kann einfach nicht angehen, dass da sang- und klanglos drüber hinweggegangen wird.
Wenn Du es Software Technisch schaffst das Vorschläge die man auf der Webside der Pobe schreibt auch angenommen werden und erscheinen . . dann fällt mir da schon die eine oder andere Anwort zu den Fragen ein. 😉
@Bernd
Den Brief würd ich sofort mitunterschreiben. Als ich das gelesen habe dacht ich auch mich tritt n Pferd.
@ alivenkickin:
wenn du bitte akzeptieren würdest, dass kommentare auf pobe2010 moderiert werden und dann erst nach moderation sichtbar ist – als spamschutz? ;-))
@ bernd:
danke für die ergänzung.
charriers plaudereien sind tatsächlich schwer erträglich …
wer nochmal nachlesen mag, hier der artikel dazu: http://www.ondamaris.de/?p=9961
Ich lese gerade zum ersten Mal den Artikel ueber die sogenannte Betreuerin, Aerztin oder was sie auch sein will und bin entsetzt!
Moral, Anstand und vor allem Schweigepflich hat die „Dame“ wohl noch nie gehoert! 🙁
@ Marc S.
ja – die dame ist ärztin. und in einem verein, der meint, sich um aids-aufklärung zu kümmern. und diese dame scheint ein eigenwilliges verständnis von ärztlicher schweigepflicht zu haben.
schon ein grund, entsetzt zu sein, da stimme ich dir zu …