Was gestern noch wie ein Märchen klang, kann morgen schon Wirklichkeit sein … leider aber auch ein Alptraum, denn die Bundesregierung plant anscheinend ein Gesetz gegen die ‚fahrlässige Verbreitung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten‘.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 2. Dezember, dass die Regierungsparteien (CDU/CSU und SPD) sich auf einen Entschließungs-Antrag zur Strafbarkeit der fahrlässigen Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten geeinigt haben. Der Antrag sei inzwischen an die zuständigen Bundestags- Ausschüsse überwiesen worden.
Dem Antrag 1) zufolge soll geprüft werden, ob entsprechende Erfahrungen Österreichs und der Schweiz (zur Strafbarkeit der fahrlässigen HIV-Verbreitung) auch für Deutschland nutzbar gemacht werden können.
Ziel seien dabei (zunächst?) nicht die jeweiligen Sexualpartner, sondern die Betreiber von Internet-Sexagenturen sowie Betreiber von Sex-Parties. Gesucht werden laut Antrag „handhabbare Regelungen zur Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschütztem Sex“. Nach einem Zeitraum von 2 Jahren, in dem die Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen geprüft werden soll, werden Vorschläge für eine rechtliche Regelung gefordert.
Parallel wird in dem Antrag auch gefordert, dass ‚Anbieter von Orten sexueller Begegnung‘ Kondome, Gleitgel sowie safer-sex-Informationen bereit legen und vollständig „auf Werbung und Unterstützung für ungeschützten Geschlechtsverkehr“ verzichten.
Der Antrag geht dabei teilweise von Vorurteile und falschen Annahmen aus, so z.B. wenn dort formuliert wird „besonders beunruhigend ist eine Zunahme an Infektionen mit primär resistentem HI-Virus“. Hierzu sagt das Robert-Koch-Institut im Gegenteil „es ist keine Zunahme der Übertragungshäufigkeit resistenter HIV zu verzeichnen und bisher auch keine Zunahme der Übertragung mehrfach resistenter Viren“ (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47 vom 24. November 2006).
Bereits im Entwurf zum Aids-Aktionsplan der Bundesregierung hatte es entsprechende Hinweise auf derartige Bemühungen gegeben, wenn auch verharmlosend mit dem Hinweis, entsprechende Bemühungen sollten erst weiter verfolgt werden wenn …
Mit dem nun publik gewordenen Vorhaben mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland ein Rollback zu law and order in der Aids-Politik droht, vermehrt mit juristischen Maßnahmen (auch) gegen Positive vorgegangen werden soll.
Bemühungen, auf freiwilliger Basis die Möglichkeiten und Bedingungen von safer sex in Szene-Einrichtungen zu verbessern (safer environment Ansatz), wie sie z.B. auch die Initiative safety4free Berliner Wirte und Partybetreiber zusammen mit ManCheck geht, werden so brüskiert.
Ganz abgesehen von der Frage, ob es nicht auch legitime Formen des ungeschützten Sex geben mag, zeigt die Initiative erneut, dass die Bundesregierung bei der Aids-Bekämpfung den Weg des Stärkens der Kompetenz des Individuums und des eigenverantwortlichen Handelns (Risikomanagement) verlässt zugunsten zusätzlicher repressiver Maßnahmen.
Nebenbei, wie nett, dass Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beim Jahresempfang der DAH zu diesem Regierungsvorhaben kein Wort verloren hat …
Anmerkung:
1) Sollte jemand sich an seinen Abgeordneten wenden wollen: Der Antrag wurde eingereicht von den Abgeordneten Jens Spahn, Wolfgang Zöller, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, Norbert Barthle, Dr. Wolf Bauer, Maria Eichhorn, Dr. Hans-Georg Faust, Hubert Hüppe, Max Straubinger, Hermann-Josef Scharf, Willi Zylajew, Hartmut Koschyk, Dr. Norbert Röttgen, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Peter Friedrich, Elke Ferner, Carola Reimann, Dr. Wolfgang Wodarg, Olaf Scholz, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD.
(gepostet 2.12., 21:28, ergänzt 3.12. 12:40)
Hi Ulli,
ich habe von diesem Vorhaben schon gehört, genauer befasst damit habe ich mich allerdings noch nicht. Dass unsere liebe Ulla bei dem Empfang nichts davon erwähnt hat, ist keineswegs verwunderlich, denn wer will schon gern als „Buhfrau“ dastehen *g. Die geplanten „Massnahmen“ werden zwangsläufig kommen, denn in solchen heiklen Bereichen kann der Staat seine Bürger besser reglementieren und kontrollieren kann, wohingegen bei anderen Themen (z.B. Umweltschutz usw. großzügig an die Eigenverantwortung der Industrie u.a. appelliert wird).
Allerdings hat die gutgemeinte „Eigenverantwortung der Szene“ bisher auch keine nennenswerte Erfolge gebracht, sodass man hier einfach den schwächsten Punkt aufgreift, wo sich bestimmt kein Widerstand formieren wird, da die betroffene Klientel nur eine Minderheit ist, und keine Lobby in der Bevölkerung hat, die damit ihr Gewissen rein waschen kann.
Leider würde es jetzt ausufern, mich hier im Kommentar intensiver darüber auszulassen, denn dieses wichtige Thema gehört in ein besser in ein Forum, um mehrere Redner und Aspekte zu hören…
Lg Kalle
@ Kalle:
na – das ist mir ja doch zu pessimistisch, „die geplanten ‚Massnahmen‘ werden zwangsläufig kommen“ – schließlich ist das erst ein Antrag, da gilt es nun aktiv zu werden, sich einzumischen…
und die eigenverantwortung der szene, nun da kann sicher noch viel mehr passieren, aber es gibt ja nun doch einiges an fortschritten (aus denen man lernen könnte), z.b. wenn ich an kondom-verfügbarkeit in einigen kölner saunen denke …
mir ist lieber, wir suchen wege verantwortlicher freiwilliger regelungen, und fragen wie wir diese optimieren und intensivieren können, als auf staatlichen zwang zu setzen
lg ulli
aus einer Presseerklärung von Volker Beck / Die Grünen zum Antragsentwurf:
„Da Teile der AIDS-Prävention sogar durch Eingriffe behindert werden und man sich weigert, wider besseres Wissen die Heroinabgabe an Schwerstabhängige in die Regelversorgung zu übernehmen, ist die Debatte um Strafrecht besonders perfide.
Die Deutsche AIDS-Bekämpfungsstrategie war erfolgreich, weil sie auf Aufklärung, Information und verantwortliches Handeln der Bürger setzte. Das sollte man nicht auf das Spiel setzen.“
„Bei der Sozialhilfe und dem ALG II muss der Mehrbedarf von Menschen mit HIV und Aids berücksichtigt werden. Erwerbsunfähigkeits-Rentnerinnen und -Rentner haben keine Möglichkeit, auf die veränderte Rentenformel durch private Vorsorge zu reagieren. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, eine Lösung für dieses Problem zu entwickeln, um eine drohende Altersarmut zu verhindern.
Die Bundesregierung muss die rechtlichen Voraussetzungen für die kontrollierte Heroinvergabe an Schwerstabhängige in der Regelversorgung ermöglichen. Die Union ignoriert mit ihrer Ablehnung des bundesweit erfolgreichen Modellprojektes die Bedürfnisse schwerkranker Menschen und setzt sie einer erhöhten HIV-Ansteckungsgefahr aus.“
Hi Uli,
stimmt, es ist zwar pessimitisch, aber nicht realitätsfern. Den Antrag der Grünen habe ich auch gelesen und finde ihn okay, leider sind sie im Moment keine politische Kraft, die stärkeren Einfluss nehmen kann. Und im Osten der Republik chancenlos…
Wenn ich umschaue, wie sich die Allgemeiheit verhält, sehe ich eher pessimitisch schwarz, als hoffnungsvoll grün,
greetz kalle