cui bono ?

Es wird in Deutschland wie auch auf europäischer Ebene und international viel diskutiert in letzter Zeit, über das weitere Vorgehen in Sachen HIV-Testungen. Opt-in oder opt-out? Und vielleicht gleich test-and-treat?

Viele Beweggründe, über HIV-Tests nachzudenken, sind sicher ehrenwert. Die Zahl der späten Diagnosen zu senken, die Zahl derjenigen Positiven zu mindern, die sehr spät eine Behandlung erhalten.

Dass allerdings per Definition (dessen was ein ‚late presenter‘ ist, siehe „Funken bei Aids-Kongress-Eröffnung„) die Zahl derjenigen Menschen, die in diese Definition fallen, drastisch erhöht wird, erscheint fragwürdig. Noch vor kurzen galten 50 oder 100 CD4 als Grenze, um von „late presenter“ zu sprechen, dann 200 CD4. Den Wert nun per definitionem auf 350 hochzusetzen – erhöht zwangsläufig (und auf fragwürdige Weise) die Zahl der hiervon betroffenen Menschen, und ergibt dann erst das per Zahlenspielen herbei definierte vermeintliche „Versagen des öffentlichen Gesundheitssystems“. Eine klassische Skandalisierungs-Strategie; so schafft man sich die eigene Handlungs-Grundlage nebst Begründung selbst …

Hinzu kommt: nachdenklich stimmt dabei vielleicht, wer so alles diskutiert. Und mit welcher Perspektive.

Da diskutieren unter anderem HIV-Behandler, auf Einladung der Pharma-Industrie, und mit Beteiligung einiger Aids-Organisationen.

HIV-Behandler leben u.a. auch davon, eine möglichst große Anzahl HIV-Patienten zu behandeln. HIV-Medikamenten-Hersteller leben auch davon, eine möglichst große Menge (eh bekanntermaßen nicht gerade preisgünstiger) HIV-Medikamente abzusetzen. Und manche Aids- und Patienten-Organisationen ‚leben‘ auch davon, eine möglichst große Anzahl Klienten zu betreuen oder (vorzugeben) zu ‚vertreten‘.

Ist es bei dieser Interessenlage noch ein Wunder, wenn Ärzte, Pharmaindustrie und so manche Aids-NGO massive HIV-Test-Kampagnen  fordern und fördern? Und im Hintergrund gleich mit an Behandlungs-Strategien à la „test and treat“ feilen? Das ganze auf Symposien und Meetings, großzügig gesponsert von der Pharmaindustrie?

Das lässt Fragen aufkommen …
Wird hier wirklich immer und überwiegend interessen-neutral gehandelt? Oder im Interesse der Menschen, die von der Entscheidung betroffen sind? Oder nicht doch mit mit Blick auf die jeweils ganz eigenen Interessen? Die Frage muss gestellt werden …

Cui bono?
Wem zum Vorteil?

4 Gedanken zu „cui bono ?“

  1. Muss man nicht auch kritisch feststellen, dass es eine Entwicklung gibt hin zu einem allgemeinen (verpflichteten) Routinescreening in Gesundheitssachen? Ich denke da auch an die Diskussionen, Pläne und Entscheidungen im Zusammenhang Krebs. (Wer Früherkennungsprogramme nicht nutzt, wird im Krankheitsfall zur Kasse gebeten, bzw. soll zur Kasse gebeten werden.)

    Was sagt die tendenzielle Abkehr von Lernstrategien (Aufklären und Informieren) hin zu Kontrollstrategien über unser Gesellschaftsverständnis aus?

    Unterm Strich gehts um die Knete. Eine traurige Bilanz.

    Hält man die Menschen für zu blöd, um eigene Entscheidungen zu treffen und will stattdessen für sie entscheiden? So etwas nennt man „Entmündigung“.

    Welche Visionen von einer Gesellschaft der Zukunft bestimmen das Denken dieser Akteure und Interessengruppen?

  2. Der Gedanke um das in letzter Zeit immer öfters verwendete Schlagwort „Public Health“ löst bei mir einen üblen beigeschmack aus. Es erinnert mich sehr stark an das Wort „Volksgesundheit“ aus der Vergangenheit – vor allen Dingen was und wenn man als angehöriger eines „gesunden Volkes“ verstand. Die Mittel die man bei der gegenwärtigen Diskussion erwägt lassen auch immer weiniger Spielreaum für die eigene freie Entscheidung zu und tendieren immer mehr in zu staatlichem restriktiven handlungen.

    mich würde mal interessieren wer die AIDS organisationen sind die an dieser diskussion beteiligt sind und vor allem deren haltung zu diesem thema.

    @termabox

    Welche Visionen von einer Gesellschaft der Zukunft bestimmen das Denken dieser Akteure und Interessengruppen?

    bildlich gesprochen in anlehnung einer metapher – im gleichschritt marsch

  3. Neu-Diagnosen und Neu-Infektionen sind ja nicht das Gleiche. Das diskutierte Vorgehen würde zwar kurzfristig die Zahl der Neu-Diagnosen nach oben schnellen lassen, langfristig aber vielleicht die Zahl der Neu-Infektionen senken.

    Einer Verschwörung einer Loge aus Pharma, Behandlern und NGOs müsste aber an Zweitem gelegen sein, oder?

  4. @ Clamix:
    es geht nicht um eine „pharma-verschwörung“.
    aber zb um die frage, ob gerade eine stark von der pharma-industrie gesponsorte vereinigung die richtige gruppe ist, derartige fragen nicht nur zu diskutieren, sondern auch regierungs-empfehlungen und eu-parlament-resolutionen zu gestalten …
    zudem – alles was weniger als 350 cd4 hat als ‚late presenter‘ zu bezeichnen, wird selbst von vielen ärzten mit denen ich auf dem kongr4ess sprach für fragwürdig gehalten …

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