Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 22.07.2010

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 4, 22. Juli 2010:

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Nicht Aids definierende Krebs-Arten treten bei HIV-Positiven früher auf

Krebs-Erkrankungen, die nicht Aids-definierend sind, treten bei Menschen mit HIV nicht nur häufiger auf – sie treten auch früher, in jüngerem Alter auf. Dies zeigte eine auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vorgestellte Studie aus Atlanta. In einer retrospektiven Analyse der Daten von 8.300 HIV-positiven Patienten des Ponce de Leon Health Center in Atlanta (2000 bis 2007)  wurden 512 Fälle von Krebs-Erkrankungen festgestellt, davon 192 von Krebs-Arten, die nicht zur Definition des Krankheitsbildes Aids gehören, darunter am häufigsten Lungen- (40) und Anal-/Rektal-Karzinome (24). Das Durchschnitts-Alter des Auftretens einer Krebs-Erkrankung der HIV-positiven Patienten lag bei 47 (Männer) bzw. 48 (Frauen) Jahren. Bei zahlreichen Krebs-Arten wurden signifikant deutliche Alters-Unterschiede zur Allgemein-Bevölkerung festgestellt.

POZ 21.07.2010: Non-AIDS Cancers Occurring at Earlier Age Among People With HIV

‚Toiletten-Wauwau‘ – Proteste gegen die Politik der EU-Kommission

Etwa Hundert Aids-Aktivist/innen protestierten am 21. Juli 2010 auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz gegen die Politik der EU-Kommission. Die Aktivisten (u.a. von Act Up-Paris, Health GAP und DNP+ (Delhi Network of people living with HIV)) blockierten den Stand der EU-Kommission, riefen dabei Parolen wie „Die EU-Kommission bemächtigt sich der Medikamente, wir bemächtigen uns der EU-Kommission“. Später wurde eine Satelliten-Veranstaltung der EU-Kommission gestört, als EU-Vertreter Patrick Ravaillard für die Generaldirektion Handel sprach. Die ACT UP Paris – ‚Haus-Künsterlin‘ ‚Mademoiselle Toutou-des-Labos‘ (etwa: ‚Toiletten-Wauwau) gab ihren Pharma-kritischen Song ‚Mrs. Pharmas Pet Song‘ zum besten.
ACT UP Paris sieht die EU-Kommission als ‚Marionette der Pharma-Industrie‘. Hintergrund der Proteste ist das von zahlreichen Organisationen (in der derzeitigen Version) weltweit kritisierte geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien. Im Abkommen soll Indien die Einhaltung des Schutzes geistigen Eigentums („intellectual property rights“) garantieren, darunter würden auch Patente auf Medikamente fallen. Indien ist der weltweit bedeutendste Hersteller generischer (und damit kostengünstiger) Versionen von Aids-Medikamenten.

ACT UP Paris 21.07.2010: Les activistes dénoncent la politique criminelle de l’Europe
ACT UP Paris 21.07.2010: Miss Pharma’s Pet Song
Ärzte ohne Grenzen 26.04.2010: Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-Indien – Ärzte ohne Grenzen fürchtet um den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten
Stern 21.07.2010: Demonstranten nehmen bei Wiener Aids-Konferenz EU-Stand in Beschlag

HIV-Therapie senkt HIV-Transmission – indirekter Nachweis für Viruslast-Methode

In Dänemark scheint die HIV-Transmissionsrate unter schwulen Männern und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) zu fallen, selbst wenn gleichzeitig (auch aufgrund der erfolgreichen HIV-Therapien) die Zahl der im Land lebenden HIV-Positiven steigt, und trotz ‚hohen Niveaus‘ an ‚unsafem‘ [gemeint ist wohl ‚Sex ohne Kondom‘, d.Verf.] Sex. Diese Daten stellte Susan Cowan vom ‚National Infections Institute‘ Dänmarks auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vor. Sie betonte, die einzige Erklärung hierfür sei, dass diese (an sich für die Transmissionsrate ungünstigen) Faktoren überkompensiert würden durch den Rückgang der Infektiosität des einzelnen (erfolgreich antiretroviral behandelten) HIV-Positiven: die paradoxe Situation sei am wahrscheinlichsten dadurch erklärbar, dass HIV-Positive unter Therapie und mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze nicht oder nur sehr selten HIV übertragen.

aidsmap 21.07.2010: Indirect evidence that treatment is bringing down HIV transmission in Denmark

Obama oder Bush – wer macht(e) die bessere Aids-Politik in den USA?

Es soll eines der beliebtesten Give-aways der XVIII. Welt-Aids-Konferenz besonders bei us-amerikanischen Teilnehmern sein: das Motiv „Bush? Obama? who‘ s better on AIDS?“. Das Motiv wurde vergangene Woche als ganzseitige Anzeige in der im Washingtoner Politikbetrieb einflussreichen Zeitschrift ‚Politico‘ geschaltet und ‚ziert‘ derzeit Bus-Wartehäuser in Washington.  Hinter der Aktion steht der us-amerikanische Gesundheits-Dienstleister („medical care provider“) AHF Aids Healthcare Foundation. AHF betreut weltweit etwa 140.000 HIV-positive Patienten in 23 Staaten. Mit der Aktion versucht das Unternehmen, Druck auf die US-Politik auszuüben, sich mehr bei der Finanzierung im Kampf gegen Aids zu engagieren. AHF ist auch auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien u.a. mit einem Stand präsent.

Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org
Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org

Unter Druck sehen sich auch Dirk Niebel, Entwicklungs-Minister Deutschlands – für seine sehr zurückhaltende Haltung in Sachen weiterer deutscher Finanzbeiträge für den Globalen Fonds („Zaudern tötet“). Und sein österreichischer Minister-Kollege Gesundheitsminister Stöger, ausgebuht und ausgefiffen am Rand des Human Rights March für das mickrige finanzielle Engagement Österreichs (bisher eine einzige Million Euro für den Globalen Fonds, im Jahr 2002).

aidshealth.org 13.07.2010: “President Obama Fails to Lead on AIDS”
Zeit online 21.07.2010: Zaudern tötet – Harro Albrecht über Dirk Niebel, der die HIV-Prävention gefährdet
FAZ 21.07.2010: Die verärgerte Gastgeberin

Selbstbewußt positiv – poz and proud

Mit der Einführung hochwirksamer antiretroviraler Medikamente scheint für schwule Männer mit HIV eigentlich alles gelaufen zu sein – oder? Da war doch noch was? HIV wurde nahezu unsichtbar, doch das Stigma Aids bleib und bleibt. Vor diesem Hintergrund entstand im Jahr 2006 in den Niederlanden die Grupper ‚Poz and Proud‘. Das Ziel: HIV-positiven schwulen Männern mehr Selbstbewußtsein zu vermitteln – und ‚verlorenes Territorium zurück zu gewinnen‘, sexuelle Rechte einzufordern.

Poz and Proud: Bringing sexy back into Grassroots Advocacy for Hiv-positive Gay Men in the Netherlands – Claiming (sexual) rights, regaining lost territory (pdf)

„mit verletzten Flügeln“ … aber von HIV geheilt – der ‚Berlin Patient‘

Eine Welt-Aids-Konferenz ist gern auch Gelegenheit für erneute Publicity für eine nicht mehr so neue Story: die Heilung eines HIV-Positiven in Berlin (der sogenannte ‚Berlin Patient‘). Seit nunmehr drei Jahren ist bei dem Patienten kein HIV mehr nachweisbar – ohne Medikamente. Erstmals gab der betreffende ehemals HIV-positive Patient nun aus Anlass einer Nachuntersuchung in Berlin ein Interview, Grundlage für den Artikel der ‚Zeit‘ am 19.07.2010: ‚Einer wurde geheilt‘. (Leider, persönliche Anmerkung, ein Artikel mit sehr blumiger Sprache („Er wirkt auf seltsam gebrochene Weise jugendlich, wie ein flügger Vogel mit verletzten Flügeln“)). Das französische ‚Seronet‘ kommentiert den Fall „möglich aber praktisch nicht wiederholbar“.

Zeit 19.07.2010: Einer wurde geheilt
seronet 21.07.2010: premier guérison du VIH: c’est possible mais quasiment pas reproductible

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010
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