Berlin: HIV-Positive diskutieren mit Gesundheitssenatorin über Aids-Konzept

Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher diskutierte am 24. Januar 2011 in einer Veranstaltung für Menschen mit HIV und Aids das Rahmen-und Entwicklungskonzept HIV/Aids des Berliner Senats.

Berlins Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher, stellte Berliner Menschen mit HIV und Aids in einer zweistündigen Veranstaltung das Rahmen- sowie das Entwicklungskonzept HIV/Aids Berlin vor und diskutierte mit ihnen über Probleme und Wege der Umsetzung.
Anwesend waren auch die gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion der SPD Thomas Isenberg sowie der Linken Wolfgang Albers und der stellvertretende Leiter der Abteilung I Gesundheit der Senatsverwaltung Heinrich Beuscher. Das Konzept wird am 7. Februar 2011 (12:00, öffentliche Sitzung) im Gesundheits-Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses behandelt.

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher am 24.1.2011 bei der Diskussion des Aids-Konzepts mit Berliner Positiven
Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher am 24.1.2011 bei der Diskussion des Aids-Konzepts mit Berliner Positiven

Lompscher stellte in einem 30minütigen Vortrag das Rahmenkonzept sowie das Entwicklungskonzept vor – wie auf dem Berliner Positivenplenum im Februar 2011 angekündigt (siehe „Berlin: Senatorin Lompscher im Dialog über Erwartungen und Bedürfnisse Berliner Positiver „). Anschließend diskutierten Teilnehmer/innen und Senatorin 90 Minuten Problembereiche sowie Fragen der Umsetzung.

Rahmenkonzept und Entwicklungskonzept

Rahmenkonzept: „Um den veränderten Anforderungen an die Präventionsarbeit Rechnung zu tragen, hat die Senatsgesundheitsverwaltung das Rahmenkonzept zur Prävention von HIV/Aids, sexuell übertragbaren Infektionen und Hepatitisinfektionen in Berlin entwickelt. Das Konzept wurde in Abstimmung mit freien Trägern, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes erstellt.“

Das Rahmenkonzept benennt 8 übergeordnete Ziele:

  • Verankerung des Präventionswissens in den Zielgruppen
  • Stärkung der Handlungskompetenzen für die individuelle Gesunderhaltung sowie Förderung eines nachhaltigen Schutzverhaltens und dessen Implementierung im persönlichen Lebensstil
  • Stärkung der zielgruppenspezifischen Angebote durch verbindliche Kooperationen der Projekte im Handlungsfeld, mit angrenzenden Bereichen und mit den Institutionen in der Regelversorgung
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Chancengleichheit
  • Verstärkung der Prävention in Betriebsstätten, in denen sexuelle Begegnungen stattfinden und/oder sexuelle Dienstleistungen angeboten werden
  • Förderung eines akzeptierenden und solidarischen Umgangs mit Menschen mit HIV/Aids und/oder Hepatitiden
  • Förderung der Gesundheit bei Menschen in Haft
  • Stärkung der Selbsthilfe und des ehrenamtlichen Engagements

Senatorin Lompscher betont, Grundlage des Rahmenkonzepts sei die bisherige erfolgreiche Arbeit. Das Rahmenkonzept selbst sei auch Resultat einer Evaluation der bestehenden Projekte. Zukünftig solle der Aktionsradius ausgeweitet werden – der Zusammenhang zwischen HIV-Prävention und Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen rücke zunehmend in den Vordergrund.

Zum Themenfeld HIV werde das Wissen um den eigenen HIV-Status zum Schwerpunkt, und damit HIV-Test und Test-Beratung inkl. der Stärkung der Verbindung mit bundesweiten Kampagnen (wie „ich weiss was ich tu“). Ziel seien für 2011 mindestens drei („besser 4“) hier aktive Projekte.
Das Rahmenkonzept wurde vom Berliner Senat am 19. Oktober 2010 beschlossen.

Entwicklungskonzept: Dieses von Prof. Rolf Rosenbrock (WZB Berlin) erstellte Konzept war von der Senatsgesundheitsverwaltung in Auftrag gegeben worden, um auf der Grundlage des vom Senat beschlossenen Rahmenkonzeptes zur HIV- und Aidsprävention in Berlin konkrete Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit abzuleiten.
Autor Prof. Rolf Rosenbrock zum Entwicklungskonzept:

„Mein Entwicklungskonzept empfiehlt der Senatsgesundheitsverwaltung, zusammen mit den 12 Projekten und den anderen beteiligten Senatsverwaltungen einen auf Dialog und Partizipation gegründeten Entwicklungsprozess zu starten, durch den Versorgungslücken gefüllt und die Herausforderungen der Zukunft angegangen werden sollen. Dieser Prozess wird bis zu zwei Jahre dauern. Verstärkte und innovative nicht-medizinische Primärprävention in Verbund mit den gewachsenen Möglichkeiten der medizinischen Primärprävention kann eine Dynamisierung der Epidemien verhindern.“ (Pressemitteilung der Senatsverwaltung vom 01.12.2010)

Das Entwicklungskonzept empfiehlt die Einrichtung projekt- und verwaltungsübergreifender Themengruppen für einen auf zwei Jahre angelegten partizipativen Prozess der Organisationsentwicklung:

  1. Sexual Health und Drogenprävention im Unterricht
  2. Primärprävention mit MSM
  3. Prävention mit MigrantInnen
  4. Prävention mit Frauen in der Prostitution
  5. Prävention mit Menschen, die intravenös Drogen gebrauchen
  6. Prävention im Gefängnis
  7. Tertiarprävention I: Beratung und Unterstützung für Menschen mit HIV
  8. Tertiärprävention II: Soziale Versorgung für Menschen mit HIV und Drogenproblemen

sowie zusätzlich vier Querschnittsgruppen (Ehrenamt, Qualitätssicherung, Internet, Finanzierung).

Nach Auslaufen des Integrierten Gesundheitsvertrags IGV werden die Berliner Aids-Projekte weiterhin wie bisher gefördert über das Integrierte Gesundheits-Programm IGP, dessen Steuerung nun direkt durch die Senatsverwaltung für Gesundheit erfolgt. Ziel des Entwicklungskonzepts ist es damit insbesondere auch aufzuzeigen, wie die benannten Ziele mit der gewachsenen Projekte-Landschaft erreicht werden können (Beispiel: beim Ziel ’safer settings‘ gehe es z.B. darum, wie die Wirte- / Präventions-Vereinbarung auch auf breiterer Basis umgesetzt und praktisch unterstützt werden kann). Lompscher wies darauf hin, dass hier Träger zukünftig auch andere Aufgaben bekommen könnten – und sie hierzu bereit sein müssten.

Diskussion

Beteiligung von Menschen mit HIV – GIPA

Berlin bekennt sich zum GIPA-Prinzip, dies begrüßten die Teilnehmer erneut – dieses Bekenntnis zur Einbeziehung von Menschen mit HIV und Aids müsse sich allerdings auch im konkreten Handeln von Politik und Verwaltung sowie im Rahmen- bzw. Entwicklungskonzept widerspiegeln. Menschen mit HIV seien einer der wesentlichen Akteure – und dürften hier nicht fehlen. Ihre aktive Einbeziehung müsse sich als Ziel auch im Konzept finden – das GIPA-Prinzip müsse explizit genannt werden, zum Beispiel in Form einer Selbstverpflichtung, bei allen Entscheidungen (nicht nur in Projekten, sondern auch den ‚übergeordneten‘ Entscheidungen) Menschen mit HIV einzubeziehen.

Basis des Konzepts

Mehrere Teilnehmer sehen einen Schwachpunkt des Konzeptes darin, dass dieses im wesentlichen von der Evaluation der bestehenden Projekte-Landschaft ausgeht – es fehle die Betrachtung der Frage, was denn zukünftig angestrebt werde, ebenso wie die Frage, welche Bedarfe sowie Erfahrungen mit der bestehenden Projekte-Landschaft Menschen mit HIV haben. Eine Analyse des Ist-Zustands einzig aus Sicht der bestehenden Projekte reicht nicht aus.
Senatorin Lompscher erwidert, es sei nicht anders machbar als vom Ist-Zustand auszugehen – es komme darauf an, die Projekte ‚mitzunehmen‘, die gestellten Ziele müssten mit den vorhandenen Projekten erreicht werden.

Einzel-Themen

Menschen mit HIV werden immer älter – die Frage sich verändernder Lebensperspektiven (angesichts steigender Lebenserwartung) sollte einbezogen werden.

Zunehmend mehr Menschen mit HIV sind im Erwerbsleben – ihre Lebensrealitäten und Anforderungen finden sich im Konzept bisher nicht ausreichend wieder, müsse deutlicher werden.

Das Thema ‚Sexarbeit‘ (Themengruppe 4) betrifft nicht nur Frauen, insbesondere wird auf das Fehlen jeglichen Hinweises auf Trans* hingewiesen. Sinnvoller sei z.B. ‚Menschen in Sexarbeit‘.

Der Zusammenhang zwischen HIV und Konsum von Rauschmitteln gerade auch bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, müsse deutlicher einbezogen werden – eine wirkungsvolle HIV-Prävention bei MSM sei ohne dieses Thema wenig zielführend.

Hingewiesen wird auf die Bedeutung eines transparenten Beschwerde-Managements – auf Ebene der Träger / Projekte, aber auch übergreifend.

Zum Abschluss der Diskussion betont der stellvertretende Abteilungsleiter Gesundheit Herr Beuscher stellvertretend für die (die Umsetzung des Konzeptes steuernde) Verwaltung, ihm sei wichtig, sobald der Souverän (das Landesparlament) den Auftrag zur Verbesserung des bestehenden Systems erteilt, auch die Erfahrungen der Menschen mit HIV einzubeziehen.
Das Konzept solle kein Konzept für Träger sein, sondern eines für Menschen. Die Träger / Projekte seien elementarer Bestandteil als Erbringer der zur Erreichung der Ziele geforderten Leistungen, müssten sich neuen Situationen anpassen – im Mittelpunkt aber stünden die Menschen. Menschen mit HIV sollen zukünftig als Teil des Prozesses mit ihrer Expertise eingebunden werden.

Ergebnisse

Senatorin Lompscher drückte ihre Hoffnung aus, der Gesundheitsausschuss finde einen Weg, dem Wunsch nach Einbeziehung von Menschen mit HIV im Entwicklungskonzept und in der Aids-Politik des Landes Ausdruck zu verleihen.

Sie kündigte an, der Steuerungskreis (der das IGP in der Senatsverwaltung steuert) solle verbindlich um einen Vertreter der Menschen mit HIV erweitert werden.

Lompscher betonte, der Teilnehmerkreis der im Entwicklungskonzept benannten Themengruppen könne jeweils gern um Menschen mit HIV erweitert werden, wenn (a) Menschen mit HIV selbst Interessen formulieren und (b) glaubhaft machen, dass sie hier auch Beiträge leisten können.

Sie begrüßte die zahlreich eingebrachten Ideen und Hinwiese und forderte dazu auf, diese in die konkrete Arbeit der Themen- und Querschnittsgruppen einzubringen. Menschen mit HIV seien hier aufgefordert, sich aktiv in den Prozess einzubringen.

Sie betont, Ziel sei es weniger, das Entwicklungskonzept durch eine zweite und dritte Text-Fassung zu optimieren. Das Konzept solle einen Prozess anstoßen – diesen gelte es nun gemeinsam aktiv zu gestalten.

Die Teilnehmer schlagen eine Vertiefung der Diskussion in einer weiteren Veranstaltung vor, zumal in dieser Veranstaltung nicht alle Themenkomplexe zur Sprache kamen. Hier solle insbesondere die Möglichkeit zur Diskussion mit Prof. Rosenbrock als Autor des Entwicklungskonzeptes bestehen.

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Es ist zu begrüßen – gerade auch im Vergleich mit der Situation in anderen Kommunen und Bundesländern -, dass Berlins Gesundheitssenatorin sich zum zweiten Mal zum Dialog mit HIV-Positiven traf. Und so auch einen Schritt in Richtung Umsetzung des GIPA-Prinzips unternahm.

Allerdings kann dies nur ein erster Schritt gewesen sein, dem weitere folgen müssen.

GIPA sieht im Idealfall anders aus – aber mit dem Gespräch vom Februar 2010 über Erwartungen und Bedürfnisse und der Vorstellung des Konzepts nun ein Jahr später ist ein Anfang gemacht im Dialog zwischen HIV-Positiven und Berliner Politik.

Ein ernsthaftes Bemühen um GIPA, um Einbeziehung HIV-Positiver und Aids-Kranker bei den sie betreffenden Entscheidungen bedeutet nicht nur Information, sondern echten Dialog. Bedeutet rechtzeitige Einbindung, nicht Information erst wenn bereits Tatsachen geschaffen sind. Bedeutet echte Partizipation, bei der nicht nur Gespräche stattfinden, sondern deren Ergebnisse sich auch auf den Prozess und seine Resultate auswirken. Bedeutet verbindliche Beteiligung von Positiven-Vertreter/innen auf Projekte- und übergeordneter Ebene.

Ein erster Aufschlag in Richtung GIPA ist in der Berliner Aids-Politik gemacht. Für ein ernsthaftes Bemühen um Einbindung HIV-Positiver in die sie betreffenden Entscheidungen braucht es nun beiderseits, bei Senat und HIV-Positiven, weitere konstruktive Schritte.

Dringend erforderlich ist nun zudem ein politisches Signal. Die Beteiligung von Menschen mit HIV, zu der sich das Bundesland Berlin im September 2009 offiziell bekannt hat, muss sich auch im mit Rahmen- und Entwicklungskonzept angestoßenen Prozess (auf Arbeits- wie auch auf übergeordneter Ebene) wiederfinden – sei es durch eine entsprechende Änderung des Entwicklungskonzepts, sei es durch einen entsprechenden Beschluss des Gesundheitsausschusses.

Gelegenheit dazu ist – bei der Behandlung von Rahmen- und Entwicklungskonzept Aids in der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 7. Februar 2011.

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weitere Informationen:
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin: Rahmenkonzept zur Prävention von HIV/Aids, Hepatitis- und sexuell übertragbaren Infektionen sowie zur Versorgung von Menschen mit HIV/Aids und/oder chronischen Hepatitisinfektionen in Berlin (pdf)
Expertise von Prof.Dr. Rolf Rosenbrock, Wissenschaftszentrum Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin: Entwicklungskonzept für die Prävention von HIV/Aids, sexuell übertragbaren Infektionen und Hepatitiden in Berlin, Oktober 2010 (pdf)
Berliner Senat / Initiative sexuelle Vielfalt (beschlossen am 02.04.2009) (pdf)
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