Gesundheits- Informationen, queer.de und das Geld der Pharma-Industrie

Gesundheits-Informationen für schwule Männer mit HIV und Aids – eine gute Idee bestimmt, auch auf einem Portal wie queer.de. Aber – muss das mit Pharma-Geld sein? Kann diese ‚Information‘ dann ‚unabhängig‘ sein? Ein großes Unbehagen macht sich breit … und viele Fragezeichen.

Einen ‚Themenkanal‘ (Rubrik) „gezielt an schwule Männer mit HIV/Aids“ unter dem Namen ‚Gesundheit HIV+‘ hat das Internetportal für Schwule queer.de heute gestartet. Gesundheitsinformationen für schwule Männer, speziell für HIV-Positive – eine gute Idee. Weit weniger gut finde ich: dieser Themenkanal wird durch einen (1 !) Pharmakonzern ‚ermöglicht‘ (spricht: bezahlt). Dass auf dieses Pharma-Sponsoring von Gesundheits-Informationen unter den Artikeln in einem ‚Disclaimer‘ hingewiesen wird, macht die Sache nicht besser …

queer.de teilt in seinem Newsletter heute (29.10.2012) mit

„Heute starten wir einen neuen Themenkanal auf queer.de, der sich gezielt an schwule Männer mit HIV/Aids richtet. Mit Service und Tipps für ein gesundes Leben, Basics für „Einsteiger“ mit frischer HIV-Diagnose, neue Infos aus der Medizin, verständlich aufbereiteten Forschungsergebnissen und Storys aus den Lebenswelten HIV-Positiver.“

Im Newsletter sowie im Hinweis auf die neue Rubrik auf sozialen Netzwerken wird auf den Hinweis auf das Sponsoring durch die Pharmaindustrie verzichtet, ebenso in der Rubrik-Ankündigung auf der Startseite sowie in der Rubrik-Summenseite wird dieser (für den Leser nicht unwichtige) Hinweis verschwiegen. Unter den jeweiligen Artikeln des Themenkanals wird immerhin per ‚Disclaimer‘ hingewiesen:

„Dieser Artikel wurde inhaltlich frei von einem queer.de-Autoren verfasst. Der Themenkanal „Gesundheit HIV+“ wird durch Unterstützung von „[[Name eines Pharmaunternehmens]]“ ermöglicht.“

Das Sponsoring erfolgt durch einen Pharmakonzern, der in den vergangenen Jahren seinen Anteil auf dem Markt der Aids-Medikamente (auch durch gezielte Marketing-Maßnahmen) in bemerkenswertem Ausmaß  gesteigert hat, und der gerade aktuell mit einem Medikament besonders in der Diskussion ist (und ein besonderes Interesse an Publizität haben dürfte).

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Auf den bisherigen Artikel-Seiten ist zudem jeweils eine Anzeige platziert für eine HIV-bezogene Smartphone-App. Es bleibt zu hoffen, dass die Site-Betreiber geprüft haben, wie seriös dieses Angebot ist, wer was mit den Daten macht etc.

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Sponsoring ist (im Gegensatz zu Mäzenatentum) nicht ohne Gegenleistung. Und Pharma-Sponsoring ist vermutlich nicht eben interessenneutral.

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Vielen, die in Medien oder im Bereich der Patienten-Information arbeiten, ist vermutlich bekannt, dass Unternehmen und Verbände der Pharma-Industrie auf viel subtilere Weisen Wege finden, Inhalte zu platzieren, Themen zu setzen, Berichterstattung zu beeinflussen, als durch direkte Einflussnahme.

Da werden vielleicht vom gutaussehenden (im HIV-Bereich gern schwulen) Pharma-Referenten ’spannende Themen‘ vorgeschlagen. Oder die mütterliche Frau vom Pharmakonzern weiß zufällig eine – selbstverständlich unabhängigen – Referentin oder einen Autoren für ein Thema. Und da findet doch dieser spannende Kongress an diesem ziemlich attraktiven Ort statt, ob man denn da vielleicht mal teilnehmen wolle? Man dürfe natürlich anschließend gern darüber berichten …

Phantasien eines Kommentators? So mancher Mitarbeiter einer Aidshilfe, so mancher Redakteur von Gesundheits-Magazinen kann da vermutlich von noch ganz anderen ‚kreativen Ideen‘ berichten.

So sind dies nur einige wenige (zudem eher offensichtliche) Beispiel dafür, wie Einflussnahme auch indirekt sehr gut möglich ist – auch innerhalb dessen, was der ‚Disclaimer‘ an Unabhängigkeit suggeriert.

Wegen dieser möglichen eher subtileren Wege der Wahrnehmung ihrer Interessen durch Unternehmen und Verbände rufen ‚Disclaimer‘ wie oben oft ein gewisses Schmunzeln hervor, suggerieren sie doch eine Unabhängigkeit, die vorsichtig formuliert zumindest hinterfragenswert erscheint.

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Aidshilfe und HIV-positive Selbsthilfe haben sich seit Jahren mit der Frage Finanzierung / Sponsoring durch Pharma-Industrie auseinander gesetzt. Und es sind brauchbare Konzepte entstanden (wenn auch nicht alle Aidshilfen diese immer einhalten, aber dies ist ein anderes Thema).

Dabei sind u.a. folgende Punkte als sinnvoll zu erörtern deutlich geworden:

  • Ist Pharma-Sponsorig wirklich erforderlich, zumal es nie ohne Gegenleistung und nie interessenneutral ist?
  • Pharma-Sponsoring nicht ‚direkt am Thema‘ – d.h. kein Pharma-Sponsoring von an Patienten gerichteten Gesundheits-Informationen
  • Wenn Pharma-Sponsoring, dann nicht direkt durch ein Unternehmen, sondern durch mehrere Unternehmen und über einen (möglichst durch eine mit dem Inhalt nicht befasste Stelle koordinierten) Pool, um direkte wie indirekte Einflussnahmen zu erschweren.

Dies sind nur Beispiel der Gedanken, Konzepte, Ideen (siehe Links unten) zur Frage, wie umgehen mit Pharma-Geld – falls man/frau es denn für unumgänglich hält dies zu nehmen.

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Es bleibt zu hoffen, dass die Macher von queer.de sich zentrale Fragen gestellt haben. Und mir ist klar, dass auch ein Portal wie queer.de, das seine Artikel unentgeltlich zur Verfügung stellt,  Einnahmen braucht.
Allein – es bleiben viele Fragen. Muss es gerade Gesundheitsinformation sein, die durch ein Unternehmen der Pharmabranche gesponsert wird? Und durch ein (einziges) Unternehmen?

Ein großes Unbehagen bleibt.
Und ein nicht eben grundloses Unbehagen.
Ich jedenfalls möchte neutrale Informationen zu Gesundheitsthemen lesen.
Und nicht durch Pharma-Industrie gesponserte ‚Artikel‘ – die werd ich eben nicht anklicken, nicht beachten. Auch auf queer.de nicht, auch in diesem ‚Themenkanal‘ dann eben nicht.

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Einige Informationen und Gedanken zum Themenbereich Pharma-Sponsoring und Gesundheits-Informationen:

Leitsätze der DAH zur Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie
ondamaris 16.9.2010: Selbsthilfe und Pharma-Sponsoring – Materialsammlung
ondamaris 27.07.2010: Unabhängigkeit der Selbsthilfe: Monitoring- Ausschüsse legen 2. Jahresbericht vor
Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen
ondamaris 22.02.2009: Verdeckte Werbung der Pharma-Industrie
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7 Gedanken zu „Gesundheits- Informationen, queer.de und das Geld der Pharma-Industrie“

  1. Ein geschmäckle bleibt wohl immer, nur ohne Sponsoring oder Werbung wird eine Seite wie Queer.de auf Dauer nicht finanzierbar sein. Ob ein Sponsoring immer passend ist, eine Bierwerbung auf dem Trikot einer Erstligamannschaft beim Fußball ist genauso daneben. Solange in den Artikeln von queer.de keine Aussage darüber gemacht wird wie toll es doch ist Pillen einer bestimmten Firma zu nehmen oder dass es doch besser wäre statt Kondome zu benutzen lieber ein paar Medikamente einzuwerfen um sich selber vor einer Infektion zu schützen, solange nicht über die Vorzüge der Medikamente der Firma geschrieben wird, solange der redaktionelle Teil neutral bleibt, darf man queer.de dafür nicht verurteilen.
    Was würde es ändern wenn queer.de auch noch andere einschlägige Pharmaunternehmen als Sponsor gewinnen würde?
    Behalten wir diese Serie im Auge und protestieren bei bedarf. Das ist sinnvoller als diese Beiträge zu ignorieren. Sponsoring wird es immer geben, wir werden es nicht verhindern können aber wir können es kontrollieren.

  2. @ Diego:

    Pharma-Marketing funktioniert ein wenig subtiler als über solch direkte Beeinflussung wie gezielte Aussagen in Artikeln.

    prinzipiell mag sponsoring in bestimmten fällen ein gangbarer weg sein – pharma-sponsoring auf gesundheitsinformationen ist es meiner meinung nach nicht.

    und ich sehe nicht, warum wir hier ohne grund hinter standards zurück fallen sollen, die aidshilfe erfolgreich etabliert hat

    nebenbei, einer der erste 4 artikel befasst sich – damit dass medikamente ein „robuster“ schutz vor hiv sind.

  3. Ich gebe dir durchaus recht, wenn ein Artikel eher eine Werbung für bestimmte Medikamente oder eine PreP ist. Das ist dann kein Sponsoring mehr sonder eindeutig Werbung und muss als solche gekennzeichnet werden. Sind die Artikel jedoch frei von einer Werbeaussage sehe ich für wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen weniger ein Problem, sie müssen halt auch wirtschaftlich arbeiten.
    Anders Beratungseinrichtungen wie die Aids-Hilfen oder andere Selbsthilfeorganisationen, die müssen auf Unabhängigkeit achten.

  4. „und ich sehe nicht, warum wir hier ohne grund hinter standards zurück fallen sollen, die aidshilfe erfolgreich etabliert hat“

    bekommt queer.de neuerdings geld aus öffentlichen quellen?
    Es ist doch lachhaft, einer kommerziellen seite vorzuwerfen, daß sie mit werbung und/oder sponsoren geld verdient.

    harte fakten hat der artikel hier auch nicht aufzuweisen. da wimmelt es von „ist vermutlich“ oder „(ist) sehr gut möglich“, alles weiche, nicht näher belegte formulierungen, die ein negatives klima schaffen sollen.

    immerhin steht unter jeden artikel, woher die kohle kommt.
    daß der betreiber dieser webseite hier nicht fürs hosting zahlt, steht hingegen nicht unter jedem artikel, sondern etwas versteckt unter http://www.ondamaris.de/?page_id=28370
    erster stein und so.

    gibt’s keine interessanteren themen, die hier gefeaturet werden können?

  5. Disclaimer:

    Dieser Pharmakonzern ist unabhängig von der Meinung dieses Journalisten und betont, dass das Unternehmen sich prinzipiell von der Meinung unabhängiger Journalisten nicht beeinflussen lässt.

    Privat-Dozentin Memelchen v. Hindenburg, PPPD (hc mult.), Bad Müller-Thurgau
    Lakehurst-Institut of Advanced Paternalism

  6. Also, ich kann das Problem schon verstehen, das mit queer.de und dem Geld von Pillendrehern.
    Ich möchte schon bitte neutrale Informationen zu Gesundheitsthemen, oder zumindest welche, die nicht von Pillendrehern beeinflusst sind oder sein könnten.

    Allerdings, die von queer.de sagen das ja zumindest, dass sie Geld von denen bekommen.
    Das ist mir dann andererseits noch lieber als andere bunte Schwulengazetten, die sogar die Frechheit besitzen, Pressetexte von Pharmafirmen abzudrucken, ohne dies zu kennzeichnen, ganz als wären es Artikel von Journalisten.

  7. @ sturm im wasserglas:

    Es ist bemerkenswert: Da wird nur andeutungsweise und sehr vorsichtig auf eine mögliche Beeinflussung eines Onlinemediums durch die Pharmaindustrie hingewiesen, da kommen Sie aus dem Gebüsch und erteilen Redeverbot.
    Wer hat Sie denn für Ihren Kommentar gesponsert?

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