Arbeiten mit HIV – alles andere als unkomplizierte Normalität

Mit HIV zu arbeiten – für viele HIV-infizierte Realität und Problem zugleich. In Südafrika engagieren sich internationale Konzerne für HIV-Prävention und für ihre HIV-positiven Mitarbeiter.

In seiner Eröffnungs-Rede der Positiven Begegnungen 2009 bezeichnete DAH-Vorstand Tino Henn die Daimler AG als “ Arbeitgeber, der mit gutem Beispiel vorangeht“ – und konnte sich beim ‚Leiter Politische Aussagen und Public Policy‘ des Konzerns für eine Spende in Höhe von 5.000€ bedanken.

Daimler? Ein Autokonzern? Was hat der mit Aids zu tun? Und dann noch als ‚Vorreiter‘?
Diese Frage mag sich nicht nur mancher Teilnehmer der ‚Positiven Begegnungen 2009‘ gestellt haben. Schließlich – gerade HIV-Positive verbinden mit dem Thema HIV, Arbeit und Arbeitgeber oftmals eher Ängste und Befürchtungen.

Doch für viele Arbeitgeber ist HIV längst ein Thema in ihrer Personal- und Unternehmens-Politik. In den Staaten, in denen HIV und Aids die Funktionsfähigkeit der Unternehmen bedrohen. In Afrika zum Beispiel.

UNAIDS beschreibt das ‚Aids-Desaster‘ folgendermaßen: Jede Stunde gibt es in Afrika 400 neue HIV-Infektionen und 285 Aids-Tote. Jede Stunde verlieren 340 Kinder ihre Eltern, verlieren 100 Kinder ihren Lehrer, ihre Lehrerin.

Der weitaus größte Teil der weltweit etwa 33 Millionen HIV-Infizierten Menschen lebt in Afrika südlich der Sahara. Der mit am stärksten von HIV betroffene Staat ist Südafrika. 5,6 Millionen Südafrikaner und Südafrikanerinnen sind mit HIV infiziert, die meisten von ihnen im erwerbsfähigen Alter. Nur jeder siebte Südafrikaner hat eine Krankenversicherung. Nur jeder Dritte der HIV-Positiven, die antiretrovirale Medikamente benötigen, erhält diese auch.

Für die Arbeitgeber in Südafrika ist Aids längst zu einem Problem geworden. Zu einem großen Problem, das die Arbeitsfähigkeit der Unternehme zu gefährden droht, wenn sie nicht aktiv werden.
„Wenn wir nichts unternommen hätten, wären Hunderte unserer Mitarbeiter gestorben“, zitiert die FAZ eine Sprecherin des Diamanten-Konzerns DeBeers. Und lässt einen Sprecher von Mercedes-Benz Südafrika ergänzen „Wenn wir nichts gemacht hätten, hätten wir uns Kranken-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen nicht mehr leisten können.“

In Südafrika geht Daimler tatsächlich mit gutem Beispiel voran. Als erstes internationales Unternehmen begann es 1999, Mitarbeiter mit antiretroviralen Medikamenten zu versorgen – inzwischen gibt der Konzern in Südafrika für HIV- und Aids-Behandlung jährlich 9,4 Mio. Rand (etwa 700.000€) aus.

Auch andere Konzerne engagieren sich. Ähnlich wie Daimler haben auch Volkswagen und BMW eigene HIV-Präventionsprogramme, verteilen an Beschäftigte unentgeltlich Kondome, bieten gratis HIV-Tests an, ebenso psychologische Beratung und Betreuung für HIV-positive Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Die Unternehmen machen dies nicht nur aus Menschenfreundlichkeit und Altruismus. Täten sie nichts – drastisch wären die Folgen. Die Fehlzeiten und krankheitsbedingte Ausfälle würden deutlich steigen, die Produktivität sinken, zahlreiche Kosten (wie für unternehmenseigene Versicherungen) steigen. Und – Arbeitnehmer sind gleichzeitig auch Kunden, Konsumenten.

Eine von Mercedes-Benz in Auftrag gegebene Studie, so die FAZ, habe ergeben, dass die Gesamtkosten von HIV und Aids -würde das Unternehmen nichts gegen HIV unternehmen- bald das Drei- bis Fünffache der gesamten Lohnkosten ausmachen würden.

Sich gegen HIV und Aids zu engagieren rechnet sich also für die Unternehmen. Engagement – schon im eigenen Interesse.

Dass sich internationale Konzerne im Kampf gegen HIV engagieren, ist begrüßenswert – umso mehr in einem Land wir Südafrika, in dem die Regierung lange Zeit eher durch Ignoranz, Fehlentscheidungen auffiel und die Interessen der eigene (auch der HIV-positiven) Bevölkerung aus den Augen verlor.
Der HIV-positive Arbeitnehmer in Deutschland mag sich manches Mal wünschen, ein solchermaßen engagiertes Verhalten von Unternehmen, ein Eintreten gegen HIV und für eigene HIV-infizierte Mitarbeiter wäre auch hierzulande häufiger Realität. Positiv arbeiten – leider immer noch weit entfernt davon unkomplizierte Normalität zu sein.

weitere Informationen:
Global Business Coaliton on HIV/Aids, Tuberculosis and Malaria
Daimler AG Interaktiver Nachhaltigkeitsbericht 2008: Unsere Aktivitäten gegen HIV / Aids in den verschiedenen Ländern
Volkswagen AG Nachhaltigkeitsbericht (pdf) (siehe u.a. Aids Care)
BMW Group Aktivitäten gegen HIV und Aids
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Positive Begegnungen 2009 – Eröffnungs-Rede von Tino Henn

Im Folgenden als Dokumentation die Rede von Tino Henn, Vorstandsmitglied der deutschen Aids-Hilfe, anlässlich der Eröffnung der ‚Positiven Begegnungen 2009.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
liebe Freundinnen und Freunde,

im Namen des Vorstands der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. heiße ich Sie herzlich willkommen zu den Positiven Begegnungen 2009.

„Positive Begegnungen“ – der Name dieser Konferenz zum Leben mit HIV, der größten Selbsthilfekonferenz in Europa, ist Programm: HIV-Positive begegnen anderen Menschen mit HIV, und sie begegnen ihrer sozialen Umwelt. Es geht bei dieser Veranstaltung darum, sich auszutauschen, sich selbst und andere zu hinterfragen und gemeinsam Strategien zu entwickeln, um ein möglichst gutes Leben mit HIV zu ermöglichen. Dazu gehört – getreu unserem Konzept der Strukturellen Prävention – ganz zentral, Strukturen zu verändern, die uns behindern, diskriminieren und stigmatisieren.

Was brauchen wir dafür? An erster Stelle Mut. Zum Beispiel den Mut, das Leben mit HIV und anderen „versteckten Behinderungen“ in die Öffentlichkeit zu tragen – etwa ins Stuttgarter Rathaus, mitten in die Schwabenmetropole. Lassen Sie mich an dieser Stelle der Stuttgarter Stadtverwaltung für ihre Gastfreundschaft unseren herzlichen Dank aussprechen und zugleich die Bürgermeisterin der Stadt Stuttgart des Referats für Soziales, Jugend und Gesundheit Frau Gabriele Müller Trimbusch herzlich willkommen heißen!

Mut gehört dazu, meine Damen und Herren – das war schon das Motto des zweiten Europäischen Positiventreffens, das 1988 in München stattfand. Mut, offen als Positiver auf die Straße zu gehen. Mut, Diskriminierung zu benennen und etwas dagegen zu tun.

Lassen Sie mich kurz auf zwei Themen eingehen, mit denen wir uns auf dieser Konferenz beschäftigen wollen, um gemeinsam und mit neuem Mut für unsere Interessen einzutreten: die Einschränkungen für HIV-Positive im Erwerbsleben und die soziale Sicherung für Menschen mit HIV und Aids.

Meine Damen und Herren, die Medikamente gegen HIV ermöglichen es vielen Positiven, über Jahre und Jahrzehnte gut mit dem Virus zu leben. Dennoch wird die Infektion häufig zum Problem für Beruf und Karriere. Da stellen sich Fragen wie „Erzähle ich meinem Arbeitgeber und den Kollegen davon?“, „Muss ich Nachteile befürchten?“, „Werden mich die Kollegen meiden oder sogar mobben?“ oder auf den ersten Blick nicht so präsente Fragen wie „Was passiert, wenn mich mein Arbeitgeber zu einem Auslandsaufenthalt zum Beispiel nach China schicken will, wo Menschen mit HIV, wie in einigen anderen Ländern auch, kaum ein Arbeitsvisum und manchmal gar keine Einreiseerlaubnis bekommen?“.

Sie sehen, es braucht viel Kraft, Selbstbewusstsein und Kreativität, um sich am Arbeitsplatz zu outen und sich dagegen zu wehren, ins Abseits geschoben zu werden. Und es braucht Arbeitsagenturen, Jobcenter, Arbeitgeber und Arbeitsmediziner, die mit gutem Beispiel vorangehen. Die für Menschen mit HIV und anderen chronischen Krankheiten oder Behinderungen diskriminierungsfreie Bedingungen schaffen. Es braucht Menschen und Organisationen, die weiterhin dafür kämpfen, dass Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Menschen mit HIV und Aids weltweit abgeschafft werden.

Ein Arbeitgeber, der mit gutem Beispiel vorangeht, ist die Daimler AG, und deshalb freue ich mich sehr, Herrn Dr. Norbert Otten, Leiter Politische Aussagen und Public Policy, heute als unseren Gast begrüßen zu können. Wir danken der Daimler AG für die eben überreichte Spende von 5000,- €.

Bereits 1991 hat das Unternehmen erstmals eine Richtlinie zur Nicht-Diskriminierung infizierter Mitarbeiter verabschiedet. Im Jahr 2005 wurde eine konzernweite Richtlinie eingeführt, in der sich das Unternehmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids ausspricht, Betroffenen Vertraulichkeit zusichert und sich für Präventionsmaßnahmen einsetzt. HIV/Aids wird bei der Daimler AG als chronische Krankheit behandelt. Ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht – dafür setzen wir uns ein.

Mut und Engagement, meine Damen und Herren, brauchen wir auch für das zweite von mir genannte Thema, das uns immer drängender beschäftigt: Die soziale Sicherung von Menschen mit HIV hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Hierzu trugen und tragen viele Faktoren bei. Zum Beispiel:
die Einführung von Hartz IV,
die Verschlechterungen bei den Erwerbsminderungsrenten,
die sehr niedrigen Rentenerhöhungen,
die Streichung bisher gewährten Mehrbedarfs.
Die Gesundheitsreformen, die Änderungen im SGB, besonders das Hartz-IV-Gesetz und dessen Folgen, haben besonders für sowieso schon niedrige Einkommensbereiche wie Bezieher von Hartz IV und von Grundsicherung negative Auswirkungen. Mit großer Sorge, häufig auch mit Wut und Empörung, beobachten wir diese Veränderungen. Der Sozialstaat gerät immer stärker unter Druck. Die Folge: überall in Deutschland lebt ein nennenswerter Anteil der Menschen mit HIV in Armut oder nahe an der Armutsgrenze. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich daher verstärkt dafür einsetzen, dass sich Sozialleistungen endlich am realen Bedarf orientieren und nicht noch weiter gekürzt werden. Wir appellieren an die Politikerinnen und Politiker und an das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Weichen für einen sozialen Schutz von Menschen mit HIV oder anderen chronischen Erkrankungen zu stellen. Bei den diesjährigen, aber auch den zukünftigen Wahlen werden wie sie an ihren Taten messen.
Ohne das jahrzehntelange Engagement von vielen Einzelnen stünden wir jetzt nicht hier, wären wir nicht so weit. Jeder, der sich engagiert und mitmacht, ist Vorbild für andere innerhalb der Community. Und die Selbsthilfebewegung von Menschen mit HIV und Aids, die selbstbestimmt und selbstverantwortlich handeln, ist oft Vorbild für andere. Darauf können wir stolz sein, und darauf sind wir auch weiterhin angewiesen. Denn nur so und nur gemeinsam können wir die Herausforderungen, die auf uns zukommen, meistern. Und davon wird es auch in Zukunft mehr als genug geben.

Ich danke allen, die an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt haben: der Vorbereitungsgruppe, den Helferinnen und Helfern in Stuttgart, unserem Ehrenmitglied Laura Halding-Hoppenheit, der AIDS-Hilfe Stuttgart, den Küchenkräften und nicht zuletzt den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, ich wünsche uns allen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, Ideen entwickeln, Dinge anstoßen und mit Mut, Entschlossenheit und Kraft nach Hause zurückkehren. Mögen die Positiven Begegnungen uns viele positive Begegnungen bringen!

Positive Begegnungen

Vom 29. Januar bis 1. Februar 2009 finden in Stuttgart die „Positiven Begegnungen“ statt.

Die ‚Positiven Begegnungen‚ sind die ‚Nachfolger‘ der Bundesweiten Positivenversammlungen (BPV).

Die erste Bundes-Positivenversammlung fand 1990 in Frankfurt am Main statt, unter dem programmatischen Motto „Keine Rechenschaft für Leidenschaft„. Seit 2004 (Leipzig) sind die Bundes-Positivenversammlung und die Bundesversammlung der An- und Zugehörigen von Menschen mit HIV/Aids zu einer Veranstaltung zusammengefasst – den Positiven Begegnungen.

Positive Begegnungen 2009
Positive Begegnungen 2009

Die Positiven Begegnungen sind die größte Veranstaltung von HIV-Selbsthilfe in Europa. Schwerpunkt der Positiven Begegnungen ist 2009 das Thema ‚Stigma‘.

Für die gesamten Tage der Veranstaltung wurde erstmals – für alle Workshops, alle Plena – das Rathaus der Stadt zur Verfügung gestellt. Zudem übernahm der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster die Schirmherrschaft über die von der Deutschen Aids-Hilfe veranstalteten ‚Positiven Begegnungen 2009‘.

Positive Begegnungen
29. Januar bis 1. Februar 2009
Stuttgart
Programm (pdf)

Positive Begegnungen 2009

Pressemitteilung der deutschen Aids-Hilfe:

Anmeldefrist der größten europäischen Selbsthilfekonferenz „Positive Begegnungen – Konferenz zum Leben mit HIV/Aids“ hat begonnen

Berlin, 25.08.2008. Vom 29. Januar bis zum 1. Februar 2009 wird in Stuttgart zum 13. Mal die größte europäische Selbsthilfekonferenz zum Leben mit HIV/Aids stattfinden, die seit 1990 von der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. veranstaltet wird. An der Veranstaltung werden Menschen mit HV/Aids, Lebenspartner/innen, Eltern, Angehörige, Kinder von Menschen mit HIV/Aids sowie Interessierte teilnehmen. Erwartet werden 500 Teilnehmer/innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Die Konferenz zum Leben mit HIV und Aids geht 2009 nochmals erweiterte Wege:
Einerseits werden Österreich und die deutschsprachige Schweiz als Partnerländer eingebunden, andererseits soll auch innerhalb von Stuttgart selbst die Konferenz mit ihren Themenschwerpunkten sichtbar und spürbar werden.

Während der Sitzung wurden insbesondere Themen wie Prävention und Repression, Stigmatisierung und Selbststigmatisierung, HIV in der Arbeitswelt, Sichtbarkeit und Sexualität intensiv diskutiert. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Gebärdendolmetscher werden, wie auch schon in Leipzig 2006, für größtmögliche Barrierefreiheit sorgen.

Auf der Website der Vorbereitungsgruppe und dem dazugehörigen Diskussionsforum können ab sofort die Anmeldeunterlagen sowie das Programm herunter geladen werden. Die Anmeldefrist begann am 1. August und endet am 1. Oktober 2008.

Neben dem umfangreichen Workshopprogramm will die Vorbereitungsgruppe der Positiven Begegnungen dem Thema der Konferenz auch mit anderen Formen Ausdruck verleihen und lädt daher alle Interessierten ein, eine Ausstellung unter dem Titel „Bilder eines Stigmas – Ausstellung zur Konferenz Positive Begegnungen“ mitzugestalten.

Das Foyer des Stuttgarter Rathauses eignet sich besonders gut, um eine Ausstellung zum Thema der Konferenz zu gestalten, die sowohl von den Konferenzteilnehmenden als auch während der Öffnungszeiten des Rathauses einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Teilnehmen können Projekte und Einzelpersonen. Hier können Künstler/innen und Gruppen ihre Arbeiten präsentieren, sich kreativ beteiligen und das Konferenzthema abbilden.

Nähere Informationen zur Ausstellung sowie Hinweise zur Einreichung von Arbeiten sind ebenfalls auf der oben genannten Webseite zu erhalten.