Generika sparen auch bei HIV Millionen Behandlungskosten – bald auch in Industriestaaten

Generika senken die Behandlungskosten der HIV-Infektion – nicht nur in so genannten Entwicklungsländern, sondern möglicherweise bald auch in Industriestaaten. Der Grund: Auslauf des Patentschutzes bei ersten Substanzen.

Mindestens 920 Millionen US-$ könnte allein das US-amerikanische Gesundheitswesen einsparen, wenn statt einer Dreier-Kombination in einer Pille bald zwei generische HIV-Medikamente plus ein patentgeschütztes Medikament eingesetzt werden. Dies berichteten Forscher auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington.

Die beliebteste Kombinations-Therapie zur Erst-Behandlung ist in den USA die Kombination der Wirkstoffe Tenofovir, FTC und Efavirenz. Bisher wird hierbei i.d.R. das Medikament Atripla® eingesetzt, bei dem alle drei Wirkstoffe in einer Pille enthalten sind. Für die Substanz Lamivudin (dem FTC sehr ähnlich) ist in den USA jüngst der Patentschutz abgelaufen. Im kommenden Jahr wird zudem der US-Patentschutz für Efavirenz auslaufen.

Würde nun zukünftig statt der Kombi-Pille eine Kombination der beiden Wirkstoffe Lamivudin und Efavirenz als Generika plus des weiterhin unter Patentschutz stehenden Tenofovir gegeben, ließen sich dadurch die Behandlungskosten pro Patient drastisch senken. Auf die gesamten USA bezogen kalkulierten die Forscher um Rochelle Walensky von der Harvard Medical School unter Anwendung des ‚Cost-Effectiveness of Preventing AIDS Complications in the US (CEPAC-US)‘ – Modells eine Einspar-Möglichkeit bei HIV – Behandlungskosten von 920 Mio. $ jährlich.

Dabei bezogen die Wissenschaftler nicht nur die direkten Therapiekosten in ihre Betrachtugn mit ein, sondern auch Fragen wie Wirksamkeit, klinischen Nutzen und Lebenserwartung der behandelten HIV-Positiven (QALY, quality-adjusted life years). Für die beiden Generika kalkulierten sie eine 75-prozentige Preisreduzierung im Vergleich zu heutigen patentgeschützen Medikamenten (Erfahrungen bei anderen Wirkstoffen zeigen, dass die Preisreduzierung durch Generika im Laufe der Zeit deutlich höher ausfallen kann).

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weitere Informationen:
Rochelle P. Walensky, AIDS2012: The clinical and economic impact of a generic first-line antiretroviral regimen in the U.S. (abstract)
aidsmap 27.07.2012: First generic HIV drugs could save US at least $920 million a year
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Geldsorgen führen zu schlechter Compliance

Schwierigkeiten die Zuzahlung für Medikamente und die Fahrtkosten zum Arzt zu zahlen hängen zusammen mit Unterbrechung oder Abbruch der HIV Therapie, berichtet eine Australische Untersuchung in HIV MEDICINE.

In Australien haben 14% ihre ART wegen Geldnöten unterbrochen, 9% haben die ART aus Geldmangel ganz abgebrochen.Sowohl die Unterbrechung einer ART als auch der Therapieabbruch sind bisher gut untersucht in den ärmeren Ländern.

Ungewöhnlich an einer neuen Untersuchung für Australien ist, daß sie in einem reichen Land gemacht wurde.

Australien gehört zu den G20-Staaten und liegt im Human Development Index der UN auf Platz 2 direkt hinter Norwegen (Deutschland Platz 9).

Australien bietet eine ART für alle Einwohner an. Die Patienten müssen jedoch eine Zuzahlung aus eigener Tasche leisten. Die Kranken müssen 17% der Kosten für Medikamente selbst bezahlen. Das geht dann bis zu einer maximalen Höhe der Selbstbeteiligung von 1317 AUD ( = ca. 1.100 EURO) pro Jahr. Rentner und einkommensschwache Menschen müssen immerhin noch bis zu 336 AUD ( = ca. 280 EURO ) bezahlen.

335 HIV positive Patienten (10 % davon waren mit HCV co-infiziert) haben einen Fragebogen zwischen November 2010 und Mai 2011 zu Fragen bei Problemen mit ihrer Compliance ausgefüllt.

Insgesamt haben 19% der Patienten angegeben, daß sie Probleme mit der Zuzahlung zu den Medikamenten hatten. Zusätzlich sagten 6% der Befragten, daß sie Schwierigkeiten hatten, die Fahrtkosten zum Behandlungszentrum zu bezahlen.

14% berichteten, ihre Therapie wegen der Zuzahlung unterbrochen zu haben, und 9% erklärten diese sogar deswegen ganz abgebrochen zu haben.

Die Forscher empfehlen den behandelnden Ärzten, ihre Patienten direkt nach finanziellen Problemen im Zusammenhang mit der Zuzahlung zu befragen, um ggf. offensiv im Rahmen von bestehenden Programmen gegensteuern zu können.

Deutliche Zuzahlungen sind unter anderem auch in den USA, Kanada und der Schweiz üblich.

In jedem Fall werden genauere Untersuchungen zu diesem Problemfeld von den Verfassern angeregt.

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Fazit: Eigentlich eine naheliegende Feststellung, die man sich bei kurzem Nachdenken fast selbst denken kann. Wer grundsätzlich Probleme hat seine Medikamente zu bezahlen, wird eher zu einer Unterbrechung der ART neigen, als jemand, der keine spürbaren materiellen Einbußen durch die ART hat.

Die Zahlung von 17% des Medikamentenpreises wirkt wie ein „normaler“ Preis für die Medikamente, bis der Maximalbetrag erreicht ist. Man verschafft sich also nur Medikamente die man braucht. Aus ökonomischer Sicht spielt es eine große Rolle was der Patient zu dieser Entscheidung meint und weniger was die Ärzte hierzu sagen.

Erst wenn die Obergrenze für die Zuzahlung erreicht ist, setzt ein „Flat Rate“ Effekt ein. Ab dem Maximalbetrag von 1317 AUD macht es für den Patienten ökonomische keinen großen Unterschied mehr, ob er seine Medikamente regelmäßig in der Apotheke holt und sie dann einnimmt oder nicht.

Und hier beginnt das Dilemma.

Wenn Medikamente grundsätzlich kostenlos sind, werden davon eher zu viele als zu wenige verbraucht. Wenn der Eigenanteil zu gering ist, wirkt die Grenze eher verbrauchssteigernd nachdem die Grenze überschritten wurde, da ab jetzt alle Medikamente „kostenlos“ sind.

Die optimale Grenze müsste so liegen, daß der Patient relativ lange versucht den Konsum von Medikamenten zu beschränken, ohne das er auf notwendige Medis verzichtet.

Das Australische Modell wirkt auf mich eigentlich ganz vernünftig. Der Prozentsatz von 17% für den Eigenanteil ist spürbar, aber im Regelfall wird man diese Zuzahlung gut leisten können. Es gibt Obergrenzen, welche verhindern sollen, dass Krankheit ein eigenständiges Armutsrisiko für einen Patienten wird. Geringverdiener und häufig Kranke (wie z.B. Rentner) werden solidarisch mit einer deutlich niedrigeren Höchstgrenze entlastet. So stellt man sich als Ökonom eine gute Krankenversicherung vor.

Die private Krankenversicherung in Deutschland arbeitet seit langer Zeit recht erfolgreich mit diesem Modell des Eigenanteils und Höchstbeträgen.

Trotzdem haben wir ein nicht zu vernachlässigendes Complianceversagen bei einkommensschwachen Positiven. Das kann man auch als Gesundheitsökonom nicht gut finden. Erhebliche Folgekosten können durch dieses Complianceversagen auf das gerade von mir gelobte System zukommen, die die guten Effekte der Selbstbeteiligung aufhene und sogar ins Gegenteil verkehren können. Statt langfristig vernünftigem Ausgabeverhalten kommt es zu eine Kostenexplosion in der Zukunft.

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Quellen:

McAllister J et al. Financial stress is associated with reduced treatment adherence in HIV-infected adults in a resource-rich setting. HIV Med, online edition. DOI: 10. 1111/j.1468-1293.2012.01034.x, 2012.

Therapiefreiheit : Therapieumstellung, um Versorungs-Kosten zu senken ? Das wirft Fragen auf …

In Großbritannien wird die Zusammenstellung der antiretroviralen Therapie zukünftig auch von Kosten-Gesichtspunkten bestimmt (siehe ondamaris 29.08.2012: Einschränkung der Auswahl der ART-Medikamente – erste Untersuchung) Die vorgelegte Studie aus London zeigt ein Spannungsfeld in der Gesundheitsversorgung auf, in dem auch wir Positive uns mehr und mehr bewegen.

Auf der einen Seite sollen die Kosten von HIV-Therapien eine Akzeptanz durch die Versichertengemeinschaft behalten, und auf der anderen Seite soll gleichzeitig eine Auswahl von guten Therapien durch behandelnde Ärzte und Patienten erfolgen. Jede Anforderung für sich ist schon eine Herausforderung. Beide Ziele zusammen verfolgt, haben ein gewisses Konfliktpotential, welches einer Diskussion unter den Beteiligten bedarf.

Es ergeben sich für mich Fragestellungen aus diesem Versuch, die Kosten der Versorgung zu senken, die einer weitergehenden Diskussion bedürfen:

  • Wie wirkt sich eine solche Behandlungsvorgabe auf das Arzt – Patienten Verhältnis aus? Wird das Vertrauen in die für mich als Patienten „richtige“ Entscheidungen des Arztes gestört?

Im NHS sind die Ärzte Angestellte des NHS und damit viel leichter zu lenken als zum Beispiel ein niedergelassener Schwerpunktarzt in Deutschland. Dieses Faktum spricht für eine Belastung des Vertrauensverhältnisses. Es scheint auch so zu sein, das „aufgeklärte“ Patientengruppen wie weiße, homosexuelle Männer eher nicht einem Therapiewechsel unterzogen wurden.

Was ist mit den untersuchten 69 Fällen von „anderen“ (nicht von den Kosten getriebenen) Gründen? Waren das wirklich in allen Fällen medizinische Gründe, die für den Wechsel sprachen, oder hat man es sich einfach gemacht und einfach diese „medizinischen“ Gründe nur vorgeschoben, um eine Diskussion mit dem Patienten zu umgehen? Hier könnte nur eine zweite unabhängige Studie zu jedem Wechselfall etwas Licht ins Dunkel bringen.

  • Wenn mein Arzt mit mir offen und ehrlich die Kostenfrage anspricht und keinerlei wesentliche medizinische Gründe gegen einen Wechsel des PI zu ATV sprechen, würde ich da als verantwortungsbewusster Patient meine Zustimmung geben?

Je offener und transparenter Kostenfragen mit Patienten besprochen werden, desto besser können diese in die gesamte Therapieplanung mit eingehen (diese besteht ja nicht nur aus Kostenerwägungen). Voraussetzung für den Erfolg ist der aufgeklärte Patient (wie auch bei der rein medizinischen gemeinsamen Therapieplanung).

Hier wäre es hilfreich, wenn jeder Patient sich zusätzlich einen unabhängigen Rat von dritter Seite einholen könnte. (Der behandelnde Arzt ist ja als Angestellter des NHS nicht als gänzlich unabhängig anzusehen. – Ist der HIV-Behandler im deutschen Gesundheitssystem immer unabhängig?)

  • Ist es eine gute Idee, den Pharmafirmen durch große Abnahmemengen erhebliche Rabatte abzutrotzen?

Grundsätzlich verändert sich durch den zentralen Einkauf der Medikamente und die Erhöhung der bisherigen Menge eines bestimmten PIs die Verhandlungsposition zu Gunsten der Einkäufer (Versicherte; Steuerzahler). Der Beschaffungsprozess kann sogar in vielen Bereichen transparent geführt werden (aber nicht in allen).

Ein potentieller Kostenvorteil ist aber nur real umzusetzen, wenn man die Therapiefreiheit von Arzt und Patient einschränkt.

  • Soll man sich als HIV Positiver grundsätzlich solchen Modellen verweigern, da diese immer die Therapiefreiheit einschränken? Oder beteiligt man sich aktiv an der Entwicklung solcher Gedankenmodelle?

Eine aktive, fordernde und gestaltende Mitarbeit durch Positive (GIPA!) an solchen Überlegungen erlaubt frühzeitige, weiterreichende Einflussnahme. Diese Beteiligung kann auch zur vollständigen Ablehnung einer angedachten Kostensenkungsmöglichkeit durch die Positiven führen.

Therapiefreiheit : Einschränkung der Auswahl der ART-Medikamente – erste Untersuchung

Der ART-Wechsel von 402 Patienten in London wurde in einer kleinen Studie ausgewertet. Für London gibt es derzeit aus Kostensenkungsbemühungen eine Einschränkung in der Therapiefreiheit für Ärzte und Patienten. Es wurde untersucht, wie viele Menschen aus Kostengründen ihre ART gewechselt haben.

In London wohnen ca. 47% der HIV-Positiven Großbritanniens, die in Behandlung sind.

Die Gesundheitsversorgung ist in diesem Land sehr stark durch den nationalen Gesundheitsdienst NHS – National Health Service – geprägt. Die Kosten für den NHS werden aus Steuermitteln gedeckt und nicht wie in Deutschland durch Sozialabgaben.

Entscheidungen über eine durch den NHS festgelegte HIV-Therapieform wirken sich also ggf. erheblich auf die Kosten des Dienstes aus.

Man hat sich für London im Mai 2011 entschlossen nur aus Kostengründen eine Vorgabe für die Verwendung des Protease Inhibitors (PI) Atazanavir (ATV) an die HIV-Behandler auszugeben (siehe ondamaris 18.05.2011: London: adieu Therapiefreiheit ? ). Danach sollen, wenn im Einzelfall keine besonderen medizinischen Umstände dagegen sprechen, möglichst viele Patienten eine erste Therapie mit Atazanavir beginnen. Auch bereits laufende Therapien sollen möglichst umgestellt werden auf Atazanavir. Hiervon erwartet man im Laufe von 2 Jahren eine Einsparung von ca. 8 Millionen GBP (ca. 10 Millionen €). Erreicht wurde diese Einsparmöglichkeit durch einen höheren Einkaufsrabatt bei der Pharmafirma, die ATV herstellt.

Das ist also schon heute der Stand der Dinge im Reich der Königin von England.

Da die Briten aber auch Evaluationen und eine gewisse Transparenz lieben, hat man gleich einige Untersuchungen zu diesem Kostensenkungsversuch mit aufgelegt. Einschränkungen in der Auswahl der Medikamente aus Kostengründen gehören bei anderen Krankheitsbildern zum Alltag, waren bei HIV jedoch bisher noch nicht zur Anwendung gekommen.

Es wurde nun bei der BHIVA 2012 18th Annual Conference eine erste kleine Studie präsentiert, die die kurzfristigen Ergebnisse zu dieser Sparmaßnahme untersucht.

Betrachtet wurden die aufgetretenen 402 Fälle eines Wechsels in der Therapie zwischen April 2011 und Januar 2012 in London.

In der Olympiastadt waren 2444 Menschen in einer ART während diesem Zeitraum. Davon haben 402 Personen ihre Therapiezusammensetzung während der 9 Monate geändert – und die wurden dann genauer unter die Lupe genommen.

Übersicht Studie
Übersicht Studie

201 Patienten wechselten ihren PI–Bestandteil in der Therapie. Ein Teil wechselte von der bisherigen Einnahme von ATV weg zu einem anderen PI (21 Personen), der andere Teil (180 Personen) nahm bisher nicht ATV als PI und wäre daher für die vorgesehene Maßnahme potentiell geeignet. Es wurden dann aber nur 153 Patienten auf ATV umgestellt.

In der Untersuchung wurde unterschieden, ob diese Umstellung aus Kostengründen erfolgt ist (in 84 Fällen) oder ob andere Gründe (z.B. Unverträglichkeit des bisherigen PI) maßgeblich waren – wie in den verbleibenden 69 Fällen.

Zusätzlich wurde abgefragt, wie viele Patienten innerhalb von 3 Monaten die Einnahme von ATV wieder abgebrochen haben. In beiden Gruppen waren dies rund 15% der Patienten.

Was ist das Ergebnis der Untersuchung?

  • Der Wechsel zu ATV rein aus Kostengründen führt nicht zu einer erhöhten kurzfristigen Unverträglichkeit von ATV in dieser Gruppe gegenüber der Gruppe die ATV aus anderen (vorwiegend medizinischen) Gründen eingenommen hat. In beiden Fällen beträgt die Abbruchrate ca. 15%.
  • Die Wechsler sind überproportional häufig Schwarze und Heterosexuell. (Das führt mich zu der Vermutung, dass diese Gruppe sich leichter in einen Wechsel „hineindrängen“ lässt.)
  • Die Studienverfasser verweisen zwar auf statistische Korrekturfaktoren für diesen Effekt und behaupten daher, dass es keine Abweichungen zur Gesamtgruppe gibt; weil es sich aber um eine sehr kleine Zahl von untersuchten Fällen handelt, scheint mir hier die Statistik zu weit ausgelegt worden zu sein. Ich würde lieber nur die absoluten Fälle und ihre augenscheinliche Tendenz betrachten wollen. Dann erkennt man schnell, wer besonders häufig einen Wechsel zu ATV hin gemacht hat.
Studienergebnisse
Studienergebnisse
  • Die Studie ist nur eine kurze Momentaufnahme mit einer sehr geringen Zahl von Fällen und kann nichts aussagen über die langfristigen Effekte der Maßnahme. Es könnte immerhin sein, dass es sich aus medizinischer Sicht erweist, dass die kosteninduzierten ATV – Wechsel zu schlechteren Ergebnissen im virologischen Bereich führt.

Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!

Morgens ein ausführliches Gespräch mit J. (Nurse in Administration, ca. 57+ Jahre, verpartnert). Er erzählt anschaulich von den Anfängen von AIDS, als er als junger Pfleger mit den Versicherungen Deals machen mußte, damit sie Kosten der Behandlung der ersten AIDS Kranken übernehmen. Diese Kosten waren oft nicht versichert und keiner wollte für die Pflege und die kleinen Dinge aufkommen. Eigentlich wolle auch keiner diese Pflege leisten. Den einen war es zu gefährlich, für die anderen war es zu wenig Geld, was bei der langwierigen Arbeit übrig blieb.

Man mußte Ärzte finden, die eine Behandlung damals praktisch ohne geeignete Medikamente durchführen konnten, und es war ein Problem, überhaupt Diagnosen richtig gestellt zu bekommen. Der HIV-Test wurde von vielen Ärzten überhaupt nicht in Erwägung gezogen, die Folge war noch schlechtere Versorgung der Patienten als ohnehin schon.

Wir vergleichen dann noch das Versicherungssystem in Deutschland und den USA. Dabei erfahre ich dann auch, dass man in den USA am besten dasteht, wenn man Ex-Militär ist. Die Veteran Insurance war früher einmal die schlechteste Form der Versicherung – wenige Leistungen bei hohen Versicherungsprämien und nur wenigen Ärzten, die überhaupt für die Leistungen in Frage kamen. Dann kam ein ehrgeiziger, patriotischer Mann vor einigen Jahren und baute die Versicherung zu der am besten leistenden Versicherung in den USA um.

Das Event des Tages ist die Demonstration!

HIV is not a crime! Criminalizing it is!
HIV is not a crime! Criminalizing it is!

Es wurde im Amerikanischen Stil demonstriert. Sprechchöre, Einpeitscher, Ausstattungsdepartment, Emotionen und ein kleines Ordnerdurcheinander gehören dazu und schaffen eine unvergeßliche Atmosphäre für den vom deutschen CSD-Getümmel gelangweilten Teilnehmer.

Politik ist wesentlich auf der Demo. Viele verschieden Gruppen beteiligen sich.

For an Aids-free world: In $ we trust!
For an Aids-free world: In $ we trust!

Aus New York ist man mit Bussen seit 5 Uhr morgens angereist – und sieht trotzdem gut aus.

ACT UP & Occupy: Tax Wall Street - End Aids
ACT UP & Occupy: Tax Wall Street - End Aids

Es ging in mehreren Teildemos durch die Innenstadt. Vor entsprechenden Institutionen machten die einzelnen Gruppen ihrem Unmut Luft. So machte sich die Gruppe, welche für eine Robin Hood Tax (Tobin Tax, Tobin-Steuer, in Deutschland etwas langweilig Finanztransaktionssteuer genannt) einsetzt, vor der Bank of Amerika breit.

 Bank of America
Bank of America

Manchmal versteh ich die Politik nicht – da fordert das Volk schon Steuererhöhungen, und dann ist es den Damen und Herren auch nicht recht – normalerweise demonstrieren Bürger gegen Steuerhöhungen (meist zu Recht).

Geendet hat die Demo im Vorgarten vom Präsidentenpalast … ER hat aber trotz klingeln an der Tür nicht geöffnet.

Gerüchteweise haben sich noch Demonstranten sorgfältig an den Gartenzaun vom Weißen Haus gekettet und wurden dann sorgfältig festgenommen. Hat ER wirklich Angst vor Männern mit grünem Hütchen?

Kosten werden zu Investitionen

Im den Wirtschaftsveranstaltungen wird jetzt viel, gern und unwidersprochen von einem „Investment“ gesprochen. Die Maßnahmen für/gegen HIV und AIDS waren/sind/werden ein „lohnendes Investment“. Statt Kostenverursacher und Wohltätigkeit nun also Erträge. Damit bin ich als Positiver ab heute ein Investitionsgut der HIV-Branche und muß entsprechende Gewinne abwerfen, damit sich das Investment lohnt. (SO hat das heute aber keiner gesagt …. das ist dann nur meine zugespitzte Schlußfolgerung).

Was passiert mit mir / meiner Medikamentenversorgung, wenn ich mich nicht mehr rechne?

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ sind bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
ondamaris 24.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld
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Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld

Ab jetzt laufen die Programme richtig los. Mein Spezialgebiet ist der Track E – Health Economics ( Gesundheitsökonomie ).

Das ist für die meisten ja nicht so ein interessantes Gebiet, aber mir persönlich sagen diese Dinge einiges, und ich finde als Positive sollten wir uns solchen Diskussionen auch stellen. In Washington nehmen sie jedenfalls einen großen Raum ein. Wenn wir diese Diskussionen vermeiden, werden sie also ohne uns geführt – und das kann einem ja erst recht nicht gefallen.

Chart des Vormittags:
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts

Das Bild zeigt, das durch den Einsatz einer ART die Arbeitsfähigkeit der Positiven wieder zunimmt, um im Laufe der Zeit fast 90 % des alten Werts zu erreichen. Das finde ich sehr ermutigend. Die Untersuchung war eine Langzeitbetrachtung mit einer große Zahl von Positiven in Süd-Afrika. Das Ganze ist in der Grafik dann etwas aufgehübscht mit Statistik. Wichtig sind die blauen Punkte. Diese sinken vor dem Beginn einer ART (= gestrichelte Linie) kontinuierlich ab. Das bedeutet, dass die Menschen immer weniger arbeiten – im allgemeinen also arbeitslos werden, weil sie nicht mehr können. Danach steigen die Punkte wieder an fast auf das Ausgangsniveau der roten Linie – d.h. die Menschen arbeiten wieder fast genau so viel wie vorher.

Chart des Nachmittags:

nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !
nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !

Das Bild zeigt, daß in der Ukraine 2010 nur maximal 19% der Menschen, die eine ART benötigen, diese dann auch wirklich erhalten. Dabei ist noch nicht einmal die Frage angeschnitten, ob diese ART die optimale ist. Das ist unterste Schublade! 80% der Positiven bleiben unversorgt und haben deshalb das Risiko, früher als notwendig zu sterben. Wenn man sich ansieht, dass in den anderen Balken auch keine schwerreichen Industrieländer stehen, dann kann man, habe ich das Gefühl,bei der Ukraine schon von einem AIDS-Schurkenstaat sprechen.

Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto
Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto

Es gab aus der Leserschaft eine Rückfrage zum Global Village [als Kommentar zuRolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister„; Anm. ondamaris]: ob die von mir beschrieben „Lebendigkeit“ im Golbal Village „nur“ von Konferenzteilnehmern verursacht ist, oder ob auch die „unbeteiligte“ Bevölkerung rein geht. Gestern am Eröffnungsabend waren nach meinem Eindruck eher Fachbesucher da. Heute hatte ich den Eindruck, dass der eine oder andere Nicht-Fachmann da war. Aber im Wesentlichen sind es Menschen, die zur Konferenz gekommen sind. Die vielzitierte Offenheit für alle wird eher nicht wahrgenommen. Meine Unterscheidung würde ich am zweiten Tag auch eher abgrenzen mit „ehrenamtlichem HIV“ im Village gegenüber „angestelltem HIV“ in der Kongressausstellung – aber ganz trennscharf ist das auch nicht, weil auch viele im HIV-Bereich Erwerbstätige im ‚Global Village‘ sind (zum Beispiel das Spitzenteam der DAH). Ich guck da noch mal weiter hin.

das Spitzen-Team der DAH im Global Village
das Spitzen-Team der DAH im Global Village

Country Ownership

Diskussions-Panel zu PrepFAR
Diskussions-Panel zu PrepFAR

Hab in einem Abendpanel versucht etwas über PEPFAR (The U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief) und COUNTRY OWNERSHIP zu lernen.

Das Programm rettet unbestritten Leben, es scheint aber auch Mechanismen zu enthalten, die zu einer Aneignung des Landes durch die Geberländer führen können (ich frage mich, wie weit hat es Aspekte von Kolonialisierung, wenn Empfänger-Länder sich, um Mittel aus PrepFAR zu erhalten, konform zu den Werten des Geberlandes USA verhalten müssen?)

Interessant fand ich den Beitrag eines der weltgrößten Minenkonzerne der Welt. Die haben für Ihre Angestellten in Süd-Afrika vor einigen Jahren eine Kranken- (und auch HIV-) Versorgung auf eigene Kosten eingeführt. Ich gehe davon aus, dass diese ähnlich arbeitet wie die bestehende Arbeitgeberversicherungen in den USA. Nur 5% der Lohnsumme kostet es derzeit den Konzern, diese Struktur zu unterhalten. Die Produktivitätsverluste nur durch HIV waren vor der Einführung mehr als 3 mal so hoch. Es rechnet sich also!

Vermutlich bindet es die Arbeiter auch enger an das Unternehmen. Zumindest als Positiver hat man dann ein starkes Interesse nicht seinen Arbeitsplatz zu verlieren. An Streiks wird man wohl daher weniger gern teilnehmen. Das ist aber reine Spekulation – so hat das der freundliche Herr von der Firma nicht ausgeführt. Gleichwohl wäre es ungerecht, dem Herrn nur ein oberflächliches Interesse an dem Thema zu unterstellen. Er sitzt in vielen Organisationen zu HIV an entscheidenden Stellen.

Präsidententratsch des Tages:

Vermutlich nun aber wirklich das letzte Mal Obama: Ich traf den positiven Consultant B., der mir nach einigen unterhaltsamen Sätzen zu den Unterschieden von Annahmen, Eindrücken, Fakten und Ergebnissen in der empirischen Männerforschung seine Einladung zum „Seated Dinner“ bei Präsident Obama am kommenden Donnerstagabend zeigte.

B. hatte schon aufgrund von Charme, Intelligenz und sicherlich auch persönlichen Verdiensten um die Sache der Positiven diese Einladung verdient – aber ich habe ihn doch wohlwollend beneidet um einen ABEND mit dem gutaussehenden Herrn im Weißen Haus (das hat B. dann noch mehr gefreut – zumal er versicherte, dass die Einladung völlig unerwartet in seinem Briefkasten gelandet sei und er sich diese Ehre auch nicht ganz erklären könne – manchmal ist das Schicksal doch gerecht!).

Er ist bisher der einzige, den ich getroffen habe, der da hingehen darf – ich kenne nicht mal jemanden der jemanden kennt der da hingeht. Oder sitzen die beiden am Ende wirklich zu zweit beim Candellight Dinner ….. ???

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
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London: adieu Therapiefreiheit ?

Therapiefreiheit adieu ? HIV-Positive in London stehen vor größeren Veränderungen: standardmäßig bekommen sie als Erst-Therapie zukünftig aufgrund einer Rabatt-Vereinbarung bestimmte Medikamente.

HIV-Positive, die eine antiretrovirale Therapie beginnen, erhalten in London seit April 2011 bevorzugt Abacavir plus 3TC (als Kombination vermarktet unter dem Handelsnamen Kivexa®) plus Efavirenz (vermarktet als Sustiva®). Bisher wurde als Erst-Therapie bevorzugt Tenofovir plus FTC plus Efavirenz (vermarktet unter dem Handelsnamen Atripla®) eingesetzt. Die Umstellung bedeutet für die Positiven auch zwei Pillen pro Tag statt einer Pille pro Tag.

Weitere Änderung: Positive, die eine Proteasehemmer-basierte Therapie beginnen oder zu ihr wechseln, erhalten bevorzugt Atazanavir (Handelsname Reyataz®).

Beide Veränderungen basieren auf einer Rabatt-Vereinbarung, die das ‚London HIV Consortium‘ (LHC) mit Arzneimittel-Herstellern geschlossen hat. Das LHC vertritt die Mehrzahl der Londoner Krankenhäuser und ‚primary care trusts‘ (PCT, Behandlungszentren des National Health Service). Da in London 47% der britischen Positiven die in Behandlung sind leben, hat das LHC eine entsprechend große Verhandlungsmacht und kann umfangreiche Rabatt-Vereinbarungen erzielen (25% unter Listenpreis).

Ein 'primary care trust' in Großbritannien (hier: Jericho Health Center, Oxford; Foto: Kaishu Tai)
Ein 'primary care trust' in Großbritannien (hier: Jericho Health Center, Oxford; Foto: Kaishu Tai)

Die Neuregelung gilt seit April 2011 (und bis April 2013) – für alle HIV-Positivem, die erstmals eine antiretrovirale Therapie beginnen, oder die zu einer Second-Line – Therapie mit einem Proteasehemmer wechseln.

Die Neuregelung steht im Einklang mit der aktuellen (3 Jahre alten) britischen HIV-Therapierichtlinie; zudem soll laut einem Bericht von ‚hiv treatment update‘ kein Positiver gezwungen werden, ein Medikament mit signifikanten Nebenwirkungen oder Einschränkungen der Lebensqualität zu nehmen. Zudem ist kein Medikament prinzipiell von der Verordnung ausgeschlossen.

Allerdings besteht für Medikamente  mit höheren Kosten (wie Raltegravir, Handelsname Isentress®) nur eingeschränkter Zugang. So heißt es seitens des NHS eindeutig

„Reserve use of the more expensive drugs (raltegravir) to agreed clinical indications“.

Und – ebenfalls Kosten-motiviert – zum Einsatz von Proteasehemmern

„Use of least expensive PI (atazanavir) where is it is clinically appropriate“.

Beteiligte in Großbritannien äußern Bedenken gegenüber der Neuregelung – u.a. hinsichtlich potentieller Nebenwirkungen, sind doch immer wieder Berichte über möglicherweise erhöhte Risiken von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Abacavir sowie Bedenken hinsichtlich des Ausmaßes der Wirksamkeit von Abacavir bei Positiven mit hoher Viruslast laut geworden.

Hintergrund der Maßnahme ist auch zunehmender Kostendruck im britischen Gesundheitswesen. So sollen aufgrund der höheren HIV-Prävalenz allein 19% der gesamten (!) Ausgaben des National Health Service (NHS) im Großraum London auf Aids-Medikamente entfallen. Entsprechend groß ist die Bedeutung  von Einsparmöglichkeiten hier für das Gesamt-Budget des NHS.

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„Bevorzugte Erst- und Zweit-Therapie“ – das bedeutet im Klartext auch: sowohl Arzt als auch HIV-Positiver haben nicht mehr die freie Wahl der Therapie (wie in Deutschland). Zudem bringt die Neuregelung klar zum Ausdruck, dass Entscheidungskriterium nicht mehr einzig die medizinischen Erfordernisse und Situation des Patienten sind, sondern vor allem auch Kosten-Aspekte.

 

Immer weiter dringt die Gesundheits-Ökonomie vor – statt eines eindeutigen Primats der medizinischen Situation und Bedürfnisse des Patienten.

Bisher haben wir in Deutschland Therapiefreiheit. Dies bedeutet: allein der Arzt entscheidet, und allein aufgrund seiner fachlichen Kompetenz, welche Behandlungsmethode er frei wählt und dem Patienten vorschlägt. Eine Freiheit, die auch in unserem Interesse als HIV-Positive ist – und die wir zu schätzen lernen und verteidigen sollten.

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weitere Informationen:
hiv treatment update april 2010: HIV drug prescribing in London: changes from this month
i-base 23.03.2011: Changes to HIV drug prescribing in London
London Specialised Commissioning (NHS) April 2011: Improving the cost of ARVs in London – Summary of ARV prescribing messages for London (pdf)
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Kostenfaktor Aids – Reagieren ist nicht mehr genug

Aids als Kostenfaktor – was zunächst zynisch klingt, ist gesellschaftliche Realität in vielen Staaten Afrikas. Unternehmen sind gezwungen, sich mit HIV und Aids auseinanderzusetzen.

Aids als Kostenfaktor – was zunächst zynisch klingt, ist gesellschaftliche Realität in vielen Staaten Afrikas. Unternehmen sind gezwungen, sich mit HIV und Aids auseinanderzusetzen. Und Aids ist ein ‚Markt‘ geworden.

HIV und Aids werden immer mehr auch zu einem Faktor, der für Unternehmen relevant wird. Weniger in Deutschland, sehr viel mehr im Afrika südlich der Sahara. Besonders in Südafrika, das in besonderer weise von HIV betroffen ist.

Das Wirtschaftsmagazin ‚Capital‘ bringt es in einem aktuellen Artikel auf den Punkt:

„Wer in Südafrika produzieren will, muss mit einem rechnen: Aids.“

Und so sehr Aids ein Kostenfaktor für Unternehmen geworden ist, die HIV-Epidemnie hat auch ein zweites ökonomisches Gesicht:

„In Südafrika ist Aids auch ein großes Geschäft.“

Lesenswert:

Capital: Südafrika: Kostenfaktor Aids

Arbeiten mit HIV – alles andere als unkomplizierte Normalität

Mit HIV zu arbeiten – für viele HIV-infizierte Realität und Problem zugleich. In Südafrika engagieren sich internationale Konzerne für HIV-Prävention und für ihre HIV-positiven Mitarbeiter.

In seiner Eröffnungs-Rede der Positiven Begegnungen 2009 bezeichnete DAH-Vorstand Tino Henn die Daimler AG als “ Arbeitgeber, der mit gutem Beispiel vorangeht“ – und konnte sich beim ‚Leiter Politische Aussagen und Public Policy‘ des Konzerns für eine Spende in Höhe von 5.000€ bedanken.

Daimler? Ein Autokonzern? Was hat der mit Aids zu tun? Und dann noch als ‚Vorreiter‘?
Diese Frage mag sich nicht nur mancher Teilnehmer der ‚Positiven Begegnungen 2009‘ gestellt haben. Schließlich – gerade HIV-Positive verbinden mit dem Thema HIV, Arbeit und Arbeitgeber oftmals eher Ängste und Befürchtungen.

Doch für viele Arbeitgeber ist HIV längst ein Thema in ihrer Personal- und Unternehmens-Politik. In den Staaten, in denen HIV und Aids die Funktionsfähigkeit der Unternehmen bedrohen. In Afrika zum Beispiel.

UNAIDS beschreibt das ‚Aids-Desaster‘ folgendermaßen: Jede Stunde gibt es in Afrika 400 neue HIV-Infektionen und 285 Aids-Tote. Jede Stunde verlieren 340 Kinder ihre Eltern, verlieren 100 Kinder ihren Lehrer, ihre Lehrerin.

Der weitaus größte Teil der weltweit etwa 33 Millionen HIV-Infizierten Menschen lebt in Afrika südlich der Sahara. Der mit am stärksten von HIV betroffene Staat ist Südafrika. 5,6 Millionen Südafrikaner und Südafrikanerinnen sind mit HIV infiziert, die meisten von ihnen im erwerbsfähigen Alter. Nur jeder siebte Südafrikaner hat eine Krankenversicherung. Nur jeder Dritte der HIV-Positiven, die antiretrovirale Medikamente benötigen, erhält diese auch.

Für die Arbeitgeber in Südafrika ist Aids längst zu einem Problem geworden. Zu einem großen Problem, das die Arbeitsfähigkeit der Unternehme zu gefährden droht, wenn sie nicht aktiv werden.
„Wenn wir nichts unternommen hätten, wären Hunderte unserer Mitarbeiter gestorben“, zitiert die FAZ eine Sprecherin des Diamanten-Konzerns DeBeers. Und lässt einen Sprecher von Mercedes-Benz Südafrika ergänzen „Wenn wir nichts gemacht hätten, hätten wir uns Kranken-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen nicht mehr leisten können.“

In Südafrika geht Daimler tatsächlich mit gutem Beispiel voran. Als erstes internationales Unternehmen begann es 1999, Mitarbeiter mit antiretroviralen Medikamenten zu versorgen – inzwischen gibt der Konzern in Südafrika für HIV- und Aids-Behandlung jährlich 9,4 Mio. Rand (etwa 700.000€) aus.

Auch andere Konzerne engagieren sich. Ähnlich wie Daimler haben auch Volkswagen und BMW eigene HIV-Präventionsprogramme, verteilen an Beschäftigte unentgeltlich Kondome, bieten gratis HIV-Tests an, ebenso psychologische Beratung und Betreuung für HIV-positive Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Die Unternehmen machen dies nicht nur aus Menschenfreundlichkeit und Altruismus. Täten sie nichts – drastisch wären die Folgen. Die Fehlzeiten und krankheitsbedingte Ausfälle würden deutlich steigen, die Produktivität sinken, zahlreiche Kosten (wie für unternehmenseigene Versicherungen) steigen. Und – Arbeitnehmer sind gleichzeitig auch Kunden, Konsumenten.

Eine von Mercedes-Benz in Auftrag gegebene Studie, so die FAZ, habe ergeben, dass die Gesamtkosten von HIV und Aids -würde das Unternehmen nichts gegen HIV unternehmen- bald das Drei- bis Fünffache der gesamten Lohnkosten ausmachen würden.

Sich gegen HIV und Aids zu engagieren rechnet sich also für die Unternehmen. Engagement – schon im eigenen Interesse.

Dass sich internationale Konzerne im Kampf gegen HIV engagieren, ist begrüßenswert – umso mehr in einem Land wir Südafrika, in dem die Regierung lange Zeit eher durch Ignoranz, Fehlentscheidungen auffiel und die Interessen der eigene (auch der HIV-positiven) Bevölkerung aus den Augen verlor.
Der HIV-positive Arbeitnehmer in Deutschland mag sich manches Mal wünschen, ein solchermaßen engagiertes Verhalten von Unternehmen, ein Eintreten gegen HIV und für eigene HIV-infizierte Mitarbeiter wäre auch hierzulande häufiger Realität. Positiv arbeiten – leider immer noch weit entfernt davon unkomplizierte Normalität zu sein.

weitere Informationen:
Global Business Coaliton on HIV/Aids, Tuberculosis and Malaria
Daimler AG Interaktiver Nachhaltigkeitsbericht 2008: Unsere Aktivitäten gegen HIV / Aids in den verschiedenen Ländern
Volkswagen AG Nachhaltigkeitsbericht (pdf) (siehe u.a. Aids Care)
BMW Group Aktivitäten gegen HIV und Aids
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die Kosten von HIV – alles eine Frage des Geldes?

In einer bereits seit längerer Zeit laufenden Studie wird in Deutschland untersucht, welche Krankheitskosten HIV-Positive verursachen. Brisantes Material für gesundheitspolitische Diskussionen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie … ja wen?

„Krankheitskosten- Kohortenanalyse (K3A)“ – so nennt sich kurz und knapp eine Studie, die die DAGNÄ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) zusammen mit dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen derzeit durchführt.

Ziel der Untersuchung, so die Autoren, sei es, „die Krankheitskosten der HIV-Infektion in Deutschland anhand eines in HIV-Schwerpunktpraxen behandelten Patientenkollektivs zu erheben“. Die Kosten sollen dabei sowohl „aus Sicht der Gesellschaft“ als auch „aus der Perspektive der Krankenkassen“ dargestellt werden.
Die Studie läuft bereits seit 1. Januar 2006 (erste Einschleusung von Patienten). Die Rekrutierung der insgesamt 630 Patienten an 34 teilnehmenden Zentren ist inzwischen abgeschlossen. Für jeden Patienten sollen 18 Monate lang Daten gesammelt werden; die Datenerhebung soll Mitte 2009 abgeschlossen sein. Mit ersten Ergebnissen wird für Ende 2009 gerechnet.

Welche Art Ergebnisse?
Die Autoren dazu: Die Ergebnisse werden „erstmalig eine Abschätzung der finanziellen Belastung für die Gesellschaft durch die HIV-Erkrankung ermöglichen“. Zudem sollen sie „eine Aussage darüber zulassen, welche finanziellen Ressourcen die GKV [Gesetzliche Krankenversicherung, d.Verf.] für diese Erkrankung aufbringen muss“. Die Studie soll „Informationen für die gesundheitspolitische Diskussion zur Allokation [Zuteilung, Bereitstellung, d.Verf.] von Ressourcen erbringen“.

Welche Art Ergebnisse zu welchen Fragen mit den Daten der Studie möglich werden, lässt sich u.a. aus dem Aufbau der Studie und Daten erahnen.

So sollen im Rahmen der Studie verschiedene Sub-Gruppen untersucht werden, Therapie-naive Positive (ohne ART) genauso wie Positive unter ihrer ersten, zweiten oder dritten ART oder unter vierter und weiterer ART.
Analysiert werden soll in der Studie „ggf.“ auch auf andere Sub-Gruppen, nämlich die ‚HIV-Transmissions-Risiko-Gruppen‘ (sprich: Männer die Sex mit Männern haben (MSM), iv-DrogengebraucherInnen, über heterosexuelle Kontakte Infizierte, ‚Personen aus Endemiegebieten‘).

Zudem sollen bei den Daten zu den einzelnen Patienten „Umstellungs- und Abbruchgründe dokumentiert“ werden – wiederum, um „Subgruppen bilden zu können“.
Abgefragt (und vermutlich ausgewertet?) wird u.a. weiterhin auch die „psychosoziale Situation des Patienten“ (siehe „Arztcheckliste“, hier als pdf), sowie ob der Patient die Pillen regelmäßig, termintreu und zeitgerecht nimmt (mit mindestens sieben detaillierten Fragen, siehe pdf hier, Seite unten links vergrößern, oder der gesamte ‚Patienten-Reminder‘ als pdf hier).

Über eine etwaige Beteiligung von HIV-Positiven oder der Deutschen Aids-Hilfe bei der Studien-Gestaltung oder -Auswertung ist nichts bekannt.

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Die HIV-Infektion ist eine kostenintensive Erkrankung, sowohl in ihrer medikamentösen Therapie (Kosten der Aids-Medikamente) als auch der Betreuung und Behandlung der Patienten, keine Frage. Und ‚Wirtschaftlichkeit‚ ist längst eines der Entscheidungskriterien auch im deutschen Gesundheitswesen.
Aber – ist diese Studie erforderlich, sinnvoll? Für wen?

Worum geht es den Initiatoren? Wirklich um „gesundheitspolitische Diskussion“? Man könnte -wenn man sich den Begriff der ‚Ressourcen-Allokation einmal auf der Zunge zergehen lässt- beinahe den Eindruck gewinnen, dass Ärzte mehr Geld erhalten wollen und dafür Argumente suchen? Ein Artikel aus 2006 (pdf hier), der bezeichnenderweise die Studie u.a. in den Zusammenhang des ‚Bundesmantelvertrags HIV‚ (Schlagzeile ‚das liebe Geld‘) stellt, weist vielleicht den Weg …

Die Daten und Ergebnisse dieser Studie, wenn sie erst einmal in der Welt sind, dienen aber sicherlich nicht nur ärtzlichen Entlohnungs-Debatten.
Was sich zunächst harmlos anhört, könnte gewaltige Sprengkraft entwickeln. Die Daten, die zunächst ‚unschuldig‘ wirken, könnten brisante Ergebnisse bringen – und noch brisantere Folge-Diskussionen.

Nur einige erste Beispiel: angenommen z.B. die Daten zeigen, dass DrogengebraucherInnen im Vergleich zu Schwulen ‚teurere‘ Patienten sind. Oder Migranten, oder Asylbewerber. Oder dass Therapie-Abbrecher oder Menschen mit Problemen bei der ‚Therapietreue‘ weit höhere Gesamtkosten verursachen.
Was geschieht dann mit diesen Daten, wenn sie erst einmal in der Welt sind? Wer ‚wertet‘ sie aus? Wer zieht aus ihnen politische Konsequenzen?

Ob an der Studie beteiligten Positiven bewusst ist, welche Aussagen mit ihren Daten möglich werden könnten? Oder dass sie, falls sie ihre Kombi in nennenswertem Umfang nicht vollkommen korrekt einnehmen, ihre Chroniker-Regelung (Chronikerregelung: 1% Zuzahlung statt 2%) gefährden könnten (genau wegen fehlender Therapietreue)? Und dass für Politiker, die genau diese Leistungseinschränkungen durchsetzen wollen, Studien wie diese auch noch die erforderlichen Daten und Argumente liefern könnte?

Oder die bewusste Wahl auch der Perspektive der Krankenkassen für die Datenauswertung. Wenn Kassen jetzt schon versuchen, nach dem Sex-Partner zu fragen, durch den eventuell eine Infektion stattgefunden haben könnte (wegen möglicher Kosten-Regressforderungen, siehe ‚Fall Barmer‚), was wird dann erst mit Daten zur Ökonomie von Therapie, Therapietreue und Therapieabbruch angestellt? Wo „Therapietreue“ eh gerade als Kriterium der GKV eingeführt werden soll?

Ob den Autoren der Studie bewusst ist, welche Büchse der Pandora sie möglicherweise aufmachen?
Bedenken mögen zunächst unbegründet oder ‚ängstlich‘ erscheinen. Wenn ich jedoch allein einmal daran denke, dass Begriffe wie Verantwortung, Eigenverantwortung, Schuld zunehmend Einzug in den gesundheitspolitischen Diskurs halten, sich selbst in Gesetzesentwürfen und -texten wiederfinden …

Die aktuelle Ausgabe des ‚Retrovirus Bulletin‘ mit dem Artikel „HIV-Behandlung – die gesundheitsökonomische Perspektive“ (S.1-3) steht hier als pdf online.
Die Studie wird auch im Rahmen der (in Berlin stattfindenden) Münchner Aids-Tage präsentiert – am 15. März 2008, Workshop B27