Milleniums-Ziele: zwiespältige Bilanz

Sie sollten der große Wurf der Entwicklungspolitik sein: die zur Jahrtausendwende verkündeten Millenniumsziele. Bis zum Jahr 2015 wollen die Vereinten Nationen unter anderem den Hunger besiegen und die HIV-Epidemie stoppen. Die gerade vorgestellte Zwischenbilanz ist zwiespältig – und Deutschland besonders geizig Im Jahr 2000 treffen sich die Staatschefs aus 189 Ländern in New York und versprechen, die Welt besser zu machen. Deadline: 2015. Bis dahin sollen acht ehrgeizige „Millenniumsziele“ erreicht sein. Eines davon: Der endgültige Stopp der HIVEpidemie und wirkungsvolle Medikamente für alle HIV-Positiven – auch in den Entwicklungsländern.

Am 23. Juni 2010 stellen die Vereinten Nationen die Zwischenbilanz vor. Sie fällt zwiespältig aus. Zwar wurde viel erreicht, die Weltgemeinschaft ist auf einem guten Weg. Doch ausgerechnet jetzt macht die Finanz- und Wirtschaftskrise die reichsten Länder noch knauseriger.

Zwar haben die G8-Staaten im Jahr 2005 beschlossen, ihre Hilfe für die ärmsten Länder zu verdoppeln. Von den bis 2010 versprochenen 50 Milliarden Euro zur Armutsbekämpfung sind bis heute aber nur 30 Milliarden geflossen. Klammheimlich ließen die führenden Wirtschaftsnationen die ausstehenden Milliarden unter den Tisch fallen.

Jonglieren statt helfen
Das hindert sie nicht daran, mit dem wenigen Geld beifallheischend herumzujonglieren. Ein Beispiel: Die gerade auf dem G8-Gipfel im kanadischen Huntsville versprochenen fünf Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen Kinder- und Müttersterblichkeit.

Auch die Bundesregierung will für dieses neue Ziel über die nächsten vier Jahre insgesamt 500 Millionen Euro bereitstellen. Das ist weit weniger als es der deutschen Wirtschaftsleistung entspricht. Trotzdem wird nur ein Teil der Gelder zusätzlich fließen – der Rest wird im Entwicklungshilfehaushalt umgeschichtet.

Kaum zu erreichen ist auch das Versprechen, bis 2010 allen HIV-Positiven Zugang zu Behandlung, Prävention und Versorgung zu ermöglichen – trotz anfänglicher Erfolge. Immerhin erhalten nun 42 Prozent der HIV-Positiven weltweit die wirkungsvollen antiretroviralen Medikamente.

Laut Schätzungen wurden so drei Millionen Menschenleben gerettet. Ein weiterer Vorteil: Durch eine erfolgreiche Behandlung sinkt auch das Ansteckungsrisiko.

Die Schattenseite: Rund 60 Prozent der HIV-Positiven warten noch immer auf eine wirkungsvolle und verträgliche Behandlung. Und täglich kommen weitere Menschen hinzu.

Entscheidung im Herbst
Wie wichtig die Bundesregierung den Kampf gegen HIV und Aids tatsächlich nimmt, wird sich spätestens im Herbst zeigen. Denn dann stehen zwei wichtige internationale Konferenzen an. Ende September tritt der Millenniumsziel-Gipfel der UN zusammen, um die 189 Staaten an ihre vollmundigen Zusagen aus dem Jahr 2000 zu erinnern. Und daran, dass sie in fünf Jahren fällig sind.

Zwei Wochen später ringen die Regierungsvertreter ein weiteres Mal mit den Hilfsorganisationen: Dann geht es darum, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) wieder aufzufüllen. Der Globale Fonds hat sich seit seiner Gründung 2001 als äußerst erfolgreich bei der Etablierung von Präventions- und Behandlungsprogrammen für diese drei Krankheiten erwiesen.

Genauso wichtig: eine vernünftige Aufklärungspolitik zum Thema HIV und Aids. So schätzt die Global Campaign for Education in einer Studie aus dem Jahre 2004, dass eine grundlegende Schuldbildung – ein weiteres Millenniumsziel – pro Jahr rund 700.000 Ansteckungen mit HIV vermeiden würde. Ein wichtiges Argument für einen Ausbau der HIV-Prävention: Sie ist weit günstiger zu haben als die nachsorgende Behandlung von HIV-Infektionen.

Eine mäßige Erhöhung der Entwicklungshilfeleistungen an dieser Stelle würde die Lage in den am meisten von HIV und Aids betroffenen Ländern enorm verbessern. Leider erfüllt die Bundesregierung nicht einmal die internationale Minimal-Verpflichtung.

Eigentlich sollten im Bilanzjahr 2010 wenigstens 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) in die Entwicklungshilfe fließen. Davon ist Deutschland weit entfernt – ganz zu schweigen von dem vor mehr als 40 Jahren vereinbarten OECD-Ziel von 0,7 Prozent.

(Pressemitteilung der DAH)

Clinton: neue und effizientere Finanzierung des Kampfes gegen Aids (akt.)

Der frühere US-Präsident Bill Clinton will für die Finanzierung des Kampfes gegen Aids neue Finanzierungsmodelle finden. Auch eine große Anzahl kleiner privater Spenden könne zur Lösung des Problems beitragen.

Die internationale Finanzkrise darf keine Ausrede dafür sein, dass die Finanzierung einer wirksamen Aids-Bekämpfung in Gefahr gerät. Dies betonte der frühere US-Präsident Bill Clinton am 19. Juli in Wien. Clinton sprach auf einer Plenarsitzung der XVIII. Internationalen Welt-Aids-Konferenz.

Bill Clinton XVIII. Welt-Aids-Konferenz
Bill Clinton Plenar-Rede auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien, 19.07.2010 (Foto: Carsten Schatz)

Jeder habe ein recht auf ein funktionierendes und vor allem zugängliches Gesundheitssystem, betonte Clinton. Dieses Recht sei jedoch für viele Menschen weltweit nur Theorie. Dies gelte es dringend zu ändern.

Angesichts der sich abzeichnenden Finanzierungskrise des Kampfes gegen Aids überlegte Clinton, ob nicht „viele kleine Spenden von einer großen Anzahl Menschen“ auch ein Weg sein könnten, einen Teil der erforderlichen Mittel aufzubringen. Dieser Weg der Mikro-Spenden hatte sich z.B. im Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Obama als potentiell sehr wirkungsvoll gezeigt.

Former U.S. President Bill Clinton, William J. Clinton Foundation, United States. ©IAS/Marcus Rose/Workers' Photos
Former U.S. President Bill Clinton, William J. Clinton Foundation, United States. ©IAS/Marcus Rose/Workers' Photos

Auch seine eigene Organisation („Clinton Health Access Initiative“, CHAI) profitiere zunehmend auch von kleinen Spenden. Dies gelte es nun auszubauen. Viele Bürger seien bereit, Geld zu geben, wenn sie nur wüssten, wofür es verwendet werde. Wirkungsvoll seinen auch niedrige Aufschläge auf Eintrittspreise zu Massenveranstaltungen oder auf Flugtickets.

Allerdings sei es auch wichtig, die eigenen Kosten der Organisationen zu überprüfen. „Jeder Dollar, den wir verschwenden, riskiert, ein Leben“, mahnte Clinton. Er erinnerte sich an ein Treffen mit Bill Gates. Dabei hätte sich gezeigt, dass dessen ‚Bill and Melinda Gates Foundation‘ durchaus Möglichkeiten der Kostensenkung habe. Um einen guten Ruf zu wahren und das moralische Standing zu haben, auch Regierungen zu mehr finanzieller Unterstützung aufzufordern, sollten Aids-Organisationen darauf achten, „ihren Job schneller, besser und kostengünstiger“ zu machen.

“Broken Promises Kill” (Gebrochene Versprechen töten) – unter diesem Motto hatten Aids-Aktivisten bei der Eröffnung der Welt-Aids-Konferenz Wien protestiert und auf eine drohende Finanzierungs-Krise der weltweiten Aids-Bekämpfung hingewiesen.

Danke an Carsten Schatz für das Foto!

weitere Informationen:
Clinton Foundation
Clinton Health Access Initiative (CHAI)
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Yagg 19.07.2010: Vienne 2010: Bill Clinton, ambassadeur de la lutte contre le sida… et du modèle américain

Broken Promises Kill – internationalen Kampf gegen Aids weiter finanzieren! (akt.3)

„Broken Promises Kill“ – unter diesem Motto protestierten Aids-Aktivisten bei der Eröffnung der Welt-Aids-Konferenz Wien auf eine drohende Finanzierungs-Krise der weltweiten Aids-Bekämpfung hin. IAS-Präsident Montaner äußerte seinen tiefen Frust über das Verhalten der G8- und G20-Staaten.

18. Juli 2010 – In Wien wird die Welt-Aids-Konferenz eröffnet. Aids-Aktivisten aus zahlreichen Staaten protestieren anlässlich der Eröffnung dagegen, dass die internationale Aids-Bekämpfung zunehmend durch fehlende Mittel und nicht eingehaltene Finanzierungs-Zusagen in Gefahr gerät.

Die G8-Staaten hätten einen „ungedeckten Scheck“ ausgestellt, klagten die Aktivisten. Hunderte Aids-Aktivisten besetzten in stillem Protest die Bühne der Eröffnungsveranstaltung und warnten „No retreat – fund AIDS“.

Broken Promises Kill
Broken Promises Kill (Foto: Dirk Sander)

Julio Montaner, Präsident der International Aids-Society IAS, Veranstalterin des Kongresses, betonte in der Eröffnungsveranstaltung, er könne seinen tiefen Frust und seine Enttäuschung während der letzten G8- und G20-Treffen nicht verbergen. Die gleichen Staaten, die mit Leichtigkeit Geld auftreiben könnten um ihre Freunde in der Finanzwirtschaft und gierige Wall-Street-Banker zu retten, hätten angeblich eine leere Geldbörse, wenn es um die globale Gesundheit ginge.

Broken Promises Kill
Broken Promises Kill (Foto: Dirk Sander)

Michel Sidibé, UNAIDS-Generaldirektor, forderte die Einführung einer ‚Robin-Hood-Steuer‚, einer Abgabe auf globale Finanztransaktionen, um globale Gesundheit zu finanzieren.

Schon kurz zuvor hatten französische und US-Aktivisten gegen das Verhalten ihrer Regierungen protestiert. Sie hatten US-Botschafter Eric Goosby und den französischen Botschafter Patrice Debré aufgefordert, Finanzierungszusagen einzuhalten.

Act Up Paris protestiert gegen Botschafter Patrice Debre (Foto: ACT UP Paris)
Act Up Paris protestiert gegen Botschafter Patrice Debre (Foto: ACT UP Paris)

Nicht nur die US-Regierung schränkt ihre Finanz-Zusagen im internationalen Kampf gegen Aids ein, auch europäischen Regierungen stellen zunehmend weniger Mittel bereit. So bestand schon im Januar 2010 der Verdacht, dass Deutschland seine Finanzierungs-Zusage 2010 für die Globalen Fonds bricht. Nach Angabe von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ plant das Entwicklungshilfe-Ministerium unter Minister Niebel nun, „den deutschen Beitrag an den Globalen Fonds gegen Aids, Malaria und Tuberkulose auf ein Drittel zu senken. Von insgesamt 600 Millionen auf 200 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren.“ Und ausgerechnet Konferenz-Gastgeber Österreich teilte dem globalen Fonds mit, ab 2011 überhaupt keine Mittel mehr zur Verfügung stellen zu können.

Die internationale Hilfsorganisation ‚Ärzte ohne Grenzen‘ hatte bereits im Mai gewarnt: „Der Rückzug der Geber wird noch mehr Menschen am Zugang zur Behandlung hindern und all die Erfolge, die in den letzten Jahren erzielt wurden, untergraben.“

Danke an Dirk Sander für 2 Fotos!

weitere Informationen:
alivenkickin 18.07.2010: UN Milleniumsziele 2000 . . . Ziele erreicht?
domradio 16.07.2010: „Die Epidemie ist in vollem Gang“
Ärzte ohne Grenzen 16.07.2010: Österreich verweigert dem Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria bis 2014 die Unterstützung
Ärzte ohne Grenzen 27.05.2010: Ärzte ohne Grenzen warnt Geberländer vor Rückzug im Kampf gegen HIV/Aids
ACT UP Paris 18.07.2010: 2010, year of broken promises?
aidsmap 18.07.2010: No retreat from AIDS funding, XVIII AIDS conference demands
Joe.My.God 18.07.2010: Vienna: Poz Activists Halt World AIDS Conference With Mass Die-In
rod online 18.07.2010: Protesters Stage „Die In“ to Delay the AIDS 2010 Opening Ceremony
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Globaler Aids-Fonds: bricht Deutschland Finanzierungs-Zusagen? (akt.2)

Bricht Deutschland seine Finanzierungs-Zusagen an den Aids-Fonds? Dem Fonds-Sprecher zufolge hat die Bundesregierung unangekündigt ihre Zahlung für 2010 gekürzt. Inzwischen kündigte die Bundesregierung die Zahlung des vollen Betrags an.

Der Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria ist eine der wichtigsten Einrichtungen zur Finanzierung des Kampfes gegen Aids weltweit. Jon Lidén, Sprecher (Head of Communication) des Fonds in Genf, äußerte gegenüber der FAZ (Ausgabe Dienstag, 12.10.2010), dass Deutschland für das Jahr 2010 entgegen seiner Zusage von 200 Mio. € nur 142 Mio. € bereit gestellt habe.

Bisher habe kein G8-Staat seine Zusagen gegenüber dem Fonds einfach gesenkt; das Verhalten Deutschlands sei einmalig, so Lidén.

Der Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel (FDP) habe in einem Gespräch mit dem Fonds nichts über die Kürzungen verlauten lassen. Niebel  befindet sich derzeit auf seiner ersten Afrika-Reise; sein Ministerium hat sich bisher nicht zu dem Vorgang geäußert.

Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (Foto: BMZ)
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (Foto: BMZ)

Fallschirmjäger Niebel, der bisher kein entwicklungspolitischer Experte ist, hatte für Aufsehen gesorgt, als er unter anderem mit der Bemerkung einen Richtungswechsel in der deutschen Entwicklungspolitik ankündigte, sein Ministerium sei kein „Weltsozialamt“.

Auf seiner Internetseite teilt das Ministerium über den Fonds und das Engagement Deutschlands mit

„Deutschland hat im Rahmen der Wiederauffüllungskonferenz für den Zeitraum 2008 bis 2010 jährlich 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt. In den Jahren 2008 und 2009 wurde dieser Betrag bereits ausgezahlt.“ (html)

Im Rahmen der zweiten Wiederauffüllungskonferenz des „Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria“, die vom 26. bis 28. September 2007 in Berlin stattfand, hatte Deutschland „insgesamt 600 Millionen Euro für den Zeitraum 2008-2010 zugesagt, die in drei Tranchen von 200 Millionen Euro pro Jahr bereitgestellt werden sollen“.

Eine Aufstellung des Fonds selbst weist aus, dass Deutschland für den Zeitraum 2002 bis 2010 Finanzierungszusagen über 1,286 Mrd. US-$ gegeben hat, allerdings bisher nur Zahlungen in Höhe von 986 Mio. $ leistete.

Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (Global Funds to fight Aids, Tuberculosis and Malaria) wurde 2001 von den Vereinten Nationen (UN-Generalversammlung zu HIV/AIDS) gegründet, um den Kampf gegen die drei Krankheiten weltweit zu intensivieren. Er ist eine public-private-partnership (PPP) zwischen Regierungen, Zivilgesellschaft, dem Privat-Sektor und betroffenen Communities. Der Fonds steht nach eigenen Angaben etwa ein Viertel aller Aids-Projekt-Finanzierungen weltweit, zwei Drittel bei Tuberkulose und drei Viertel bei Malaria.

Nachtrag 13.01.2010: Der Sprecher des Entwicklungsministeriums (BMZ) sagte gegenüber der Frankfurter Rundschau: „Wir werden die zugesagten 200 Millionen Euro in vollem Umfang überweisen.“

Noch am 4. Januar hingegen hatte das Ministerium die Kürzung explizit bestätigt, wie die SPD-Bundestagsfraktion mitteilte:

„Noch am 4. Januar 2010 bestätigte das Ministerium auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Karin Roth, dass die Kürzung um 58 Millionen Euro richtig und gewollt sei, da dem GFATM beispielsweise Gelder des Europäischen Entwicklungsfonds zufließen, den man schließlich auch finanziell unterstütze.“

Die SPD forderte deswegen Niebel auf, „einen neuen Haushaltsentwurf vorzulegen, in dem die vollen 200 Millionen Euro für den GFATM eingestellt sind.“

weitere Informationen:
FAZ 11.01.2010: „Berlin hält sich nicht an Globale-Fonds-Zusage“ (pdf)
BMZ Pressemitteilung anlässlich des G8-Gipfels Heiligendamm 2007: Wiederauffüllung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria
BMZ Pressemitteilung 08.01.2010: „Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel auf erster Afrikareise“
Zeit 05.01.2010: Entwicklungshilfe – Dirk Niebel kämpft um seine Politik
Global Funds: Latest figures on pledges and contributions to the Global Fund (Worksheet xls, Recherche am 12.10.2010)
FR 12.01.2010: Haushaltsentwurf: Ärger um Aids-Fonds
SPD-Bundestagsfraktion 15.01.2010: Niebel muss internationale Zusagen bei Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria einhalten
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