über Schuld und Hetze

Das Vierbuchstabenblatt kloppt das alte Märchen … und ich kann gar nicht so viel fressen wie ich … möchte …

Heute Am 1. Dezember 2008 steht auf Bild.de zum Thema ‚Die wichtigsten Fragen und Antworten zu HIV und Aids‘ u.a. die Frage

„Gibt es Risikogruppen?“

stundenlang die ‚prägnante‘ Antwort

„Homosexuelle Männer und Drogenabhängige sind besonders gefährdet, aber leider auch Unschuldige: Unter den 63.500 Infizierten sind auch etwa 400 Kinder, die HIV über ihre Mutter bekommen haben.“

Das ist mindestens in zweifacher Hinsicht eine Unverschämtheit – wegen des Wortes „Unschuldige„, des Märchens (Mythos) von schuldigen und unschuldigen HIV-Infizierten (immerhin, früher haben manche auch noch ‚Opfer‘ geschrieben), und wegen dieses kleinen vergifteten „leider„, bei dem man sich dann denken kann, welche emotionale Beschreibung statt des ‚leider‘ auf die Gruppen vor dem Komma gedacht ist …

Müsste ich nicht gerade k…, würd ich jetzt an den Presserat schreiben …

Dokumentiert hat’s BildBlog – nebst der späteren „Bild ist ja doch so politisch korrekt“ – Änderung

Virus-Mythen 2: verantwortungslose Schwule

Samstag 13. September 2008, ein recht kleiner Kreis von Menschen diskutiert während der Konferenz ‚HIV im Dialog‘ über die Versorgungssituation HIV-Positiver auf dem Land.
Völlig zusammenhanglos (diskutiert wird gerade die ärztliche Versorgung auf dem Land) ist plötzlich vom Podium, von einem der Referenten der Satz zu hören:

„In Hannover ist es übrigens gerade in Mode, nach Berlin zu fahren um sich infizieren zu lassen.“

Etwaiger lauter Protest ist aus dem Publikum oder vom Podium nicht zu vernehmen.

(Pastor Ernst-Friedrich Heider, / Aids-Pastor, HIV/AIDS-Seelsorger in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und Regionalkoordinator Nord des Aktionsbündnisses gegen Aids)

Leider taucht derartiger Unsinn immer wieder in Debatten, Foren, Stammtisch-Runden auf.

Spannend ist ja zunächst, was der Erzähler dieser Märchen damit sagen will.
Sind die Züge von Hannover nach Berlin voll mit jungen attraktiven Menschen, zutiefst bereit sich in Berlin hemmungslos in die Sünde zu begeben, wissentlich darin sich größtes Leid zu holen?
Ist in Hannover so wenig los? Kann man sich gar in Hannover überhaupt nicht mit HIV infizieren und muss dazu reisen?
Oder sind Hannoveraner dazu nur zu unwissend?
Oder die Aids-Hilfe vor Ort besonders unfähig oder untätig?
Oder meint der Erzähler, gerade Berlin sei das große Sünden-Babel Deutschlands? Erst recht für unschuldige Hannoveraner?
Wahr ist vermutlich nichts davon, nicht einmal letzteres.

Indirekt aber wird damit vielleicht ganz anderes gesagt, ob absichtlich oder nicht. Seht her, die Schwulen sind so blöde, so dermaßen verantwortungslos, wenn nicht gar menschenverachtend, die wollen sich sogar schon absichtlich infizieren. Oder: soweit haben wir es schon kommen lassen, dass die Schwulen gar keine Angst mehr vor Aids haben (sondern es toll finden, infiziert zu sein).

Derartige Mythen von  verantwortungslosen Schwulen, ebenso wie der Mythos von verantwortungslosen Positiven immer wieder gerne kolportiert, sind im Kern zutiefst schwulen- und positiven-feindlich.
Sie befördern unterschwellig Diskriminierung und Stigmatisierung – und schaffen ein Klima, das populistische Parolen begünstigt.
Information, Prävention hingegen enthalten derartige Mythen nicht.

Warum werden solche Märchen immer noch laut kolportiert, und das gerade auch auf einem Aids-Kongress? Und niemand widerspricht?

Dass dieses Märchen im aktuellen Fall gerade von einem Kirchen-Vertreter kolportiert wird (auf dessen Internetauftritt zudem steht die Aids-Seelsorge sehe „sich herausgefordert im Kampf gegen Vorurteile und Stigmatisierungen„), hat dazu noch einen besonders faden Beigeschmack. Auch wenn Pastor Heider sich oftmals differenziert äußert und für zahlreiche Projekte (wie z.B. heroingestützte Therapie) einsetzt (und sicher nicht mit ‚Gloria‘ zu vergleichen ist) – ein derartiger Lapsus ist m.E. nicht nur peinlich, sondern unentschuldbar.

Virus-Mythen 1: verantwortungslose Positive

Bei Diskussionen über das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, bei Reaktionen, bei Gesprächen über die Frage welche Bedeutung dieses für das Sex-, Liebes- und Beziehungsleben von Menschen mit HIV und Aids haben kann, und ob man ihnen diese frohe Botschaft überhaupt sagen dürfe, ist von Politikern, Bürokraten aber auch einigen Präventionisten oft (selten im Klartext, gern zwischen den Zeilen oder höflich verbrämt) der Gedanke zu hören, „die Positiven“ seien doch „viel zu verantwortungslos“ um mit dieser neuen Freiheit adäquat umgehen zu können.

Dieses Gerede von „diesen verantwortungslosen Positiven“, denen man „sowas ja nun nicht auch noch sagen“ dürfe – es macht mich zunehmend wütend, zornig.

Woher meinen Menschen, die solche Aussagen in die Welt setzen zu wissen, wie sich „die Positiven“ verhalten?
Wie bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen gilt, es gibt nicht dieses absolute „die“. Vermutlich wird es auch in der großen Gruppe mit HIV infizierter Menschen einige geben, die sich gelegentlich so verhalten, wie es manche mit dem Begriff „verantwortungslos“ umschreiben. Aber – dies dürfte wohl für die Mehrzahl der HIV-Positiven so nicht gelten.

Ich bin im Verlauf der letzten Jahre vielen Positiven begegnet, auf Bundespositiven-Versammlungen, Positiventreffen, bei lokalen Veranstaltungen. Oftmals ist bei diesen Treffen -wie auch jüngst vor einigen Tagen- eines der Themen, wie lebe ich mein sexuelles Leben, wie gehe ich mit Fragen des safer sex, mit Verantwortung und ‚Fallenlassen‘ um. Und in den meisten Fällen bewundere ich, wie intensiv sich HIV-positive Männer und Frauen mit ihrem HIV, ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, welch ausgefeilte Strategien eines individuellen Risiko-Managements sie sich für die verschiedensten Situationen erarbeitet haben. Dabei ist immer wieder auch zu merken: mehr als alles andere haben HIV-positive Menschen vor einem Angst: dass andere sich bei ihnen mit HIV anstecken.

Sicher mag es auch bei diesen Strategien in Einzelfällen zu ‚Ausrutschern‘ oder ‚Versagen‘ kommen. Aber in der Mehrzahl gehen Menschen mit HIV nach (nicht nur) meinem Erleben mit ihrer Infektion und insbesondere möglichen Übertragungs-Risiken sehr informiert und überlegt um.

Verantwortungslos ist die Mehrzahl der Positiven nicht – verantwortungslos scheint mir dagegen sehr wohl dieses populistische Gerede, das fadenscheinigen Zwecken dient.

HIV-Positive pauschal als „verantwortungslos“ zu titulieren ist eine Beleidigung für all die Menschen, die sich bemühen, verantwortungsbewusste Wege zu finden, mit sich, ihrem HIV, ihrem Sexleben, ihren PartnerInnen umzugehen.

Mir scheint, manche schaffen es auch, Ihre Vorurteile hinter verbrämten Formulierungen zu verbergen. Ein Beispiel meinte ich jüngst zu erleben.

Frau Professor Dr. Elisabeth Pott befasste sich in ihrer Rede zur Eröffnung der Frankfurter ‚Ethik-Konferenz‘  am 19. Juni 2008 auch mit dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission und den Folgen für die Prävention. Mit den Risiken, weniger den Chancen. Welche Gefahren bewegen Frau Professor Pott? Nun, das sagte sie recht deutlich. Gefährlich seien am Statement der EKAF die -so wörtlich- „Entwarnungs-Effekte“.

„Entwarnungs-Effekte“ – man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wonach schmeckt es?
Vor wem oder was wird denn da gewarnt? Und, wer warnt baut Droh-Kulissen auf. Prävention mit Angst? Angst vor Menschen?
Oder, andere Frage, was ist so schlimm daran, wenn Menschen mit HIV  endlich ein wenig weniger Angst haben dürfen, sie könnten ihre Partnerin, ihren Partner womöglich riskieren? Was empfindet, wer so etwas sagt, als so gefährlich? Die Freiheit, die sich hier eröffnet? Die Hoffnung, dass auch Menschen mit HIV unter bestimmten Umständen wieder ein unbefangeneres, weniger konfliktbeladenes Sex-Leben haben können?
Und – wer sagt so etwas? Nun, Frau Professor Pott ist nicht irgendwer. Sondern die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), somit oberste ‚Aids-Präventionistin‘ des Landes …

Wer angesichts der neuen Beurteilung der Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ spricht, hat sicher nicht die Verbesserung der Situation von Menschen mit HIV und Aids im Sinn, freut sich nicht über Ent-Stigmatisierung und Abbau von Angst. So wird an neuen Drohkulissen gearbeitet – und zu denen braucht es eins, das Märchen vom „verantwortungslosen Positiven“.

Für viele Menschen mit HIV hingegen gilt längst „Ich weiss was ich tu!

Das Märchen vom konsumfreudigen Homo

Schwule haben Geld und sind kauffreudig -. an diesem Märchen strickt auch die WiWo mit

Dass Homosexuelle ein Wirtschaftsfaktor ist, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Darüber in Hetero-Medien zu schreiben, ist auch nicht sonderlich neu. Eine ganze Titel-Geschichte in der ‚Wirtschaftswoche‘ allerdings ist schon bemerkenswert.

Auf dem Weg zum Sport schreit mich am Kiosk ein rosafarbenes Titelblatt an (auf das z.B. auch der Queerblog hinweist):

Wirtschaftswoche Titel schwul

Das doppelte Marssymbol als Zeichen für Schwule, und dann WiWo-gerecht zum doppelten Euro verfremdet – was lässt das erwarten?

Unter dem Titel ‚Der Schwulen-Faktor‘ berichtet die WiWo (erfreulicherweise kann sowohl Mann als auch die im Artikel nicht angesprochene Frau den Artikel online lesen), ‚wie Homosexuelle eine Metropole prägen‘ (und meint die Wirtschaft).

Der Artikel plappert von hautengen Kostümen, von reise- und kauffreudiger Klientel, feiert Schwule als ‚Early Adopters‘, als ‚Konsum-Vorreiter‘, ergötzt sich an der überdurchschnittlich hohen Homo-Präsenz z.B. in Köln, auch als Basis für ein ‚Diversity Management, das Mehrwert schafft‘, und feiert die ‚Wegbereiter der homosexuellen Karnevalsbewegung‘ (war ‚Bewegung‘ nicht mal was anderes?). Ein postulierter ’souveräner Umgang mit dem Anderssein‘ wird dann gleich als ‚Standort-Faktor‘ hochgelobt.

Ein Artikel, der meist zwischen Plattitüden und Oberflächlichkeiten daher kommt.
Vor allem aber ein Artikel, der Schwulsein als Standortfaktor und Frühindikator für Stadtteil-Sanierung nimmt. Homos als ‚homo oeconomicus‘ im wahrsten Sinne.
Erfreulich immerhin, dass kurz auch die wenig erfreuliche Situation von Schwulen in autoritären Staaten erwähnt wird (allerdings, um auch hier den Zusammenhang zwischen Homosexualität, Weltoffenheit und ‚Wohlstandsmehrung‘ zu predigen).

Bei solchen Artikeln überkommt mich immer das Gefühl, Schwulsein muss wohl wirklich ‚mitten in der Gesellschaft‘ angekommen sein. In einer Langeweile, die ich irgendwie nie wollte …
Nicht, dass entstandene Verbesserungen nicht zu würdigen sind. Schwulen- und Lesbengruppen in Betrieben, Betriebsrente für Homo-Paare, alles Errungenschaften. Aber – wird jetzt die ökonomische Relevanz schon zum begründenden Faktor, zur Legitimationsbasis für schwule und lesbische Emanzipation?
Wird ‚Yuppie-Ambiente‘ statt ‚Elend der Großstadt‘ jetzt Ziel schwulen Seins?
Und -nebenbei- was wird dann mit all denjenigen Schwulen und Lesben (und in dem Artikel ganz vergessenen queeren, transgender und sonstwie anderen Menschen), die diesen ökonomischen Kriterien nicht entsprechen wollen oder können?

Und, wenn Schwulsein schon ein solcher Standort-Faktor sein soll, warum kommt dann solche geistige Monokultur daraus? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen ökonomisierten Wohlfühl-Mainstream und monokultureller Langeweile?