Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat heute in Berlin eine neue Kampagne zur Prävention von HIV und anderen sexuell übertrag-baren Infektionen (sexually transmitted infections, STI) vorgestellt. Mit der Aufforderung „mach’s mit – Wissen & Kondom“ will die neue Präventionskampagne Menschen weiterhin motivieren, sich mit Kondomen vor einer HIV-Infektion zu schützen und sich zugleich noch stärker als bislang über Ansteckungswege und Symptome anderer STI zu informieren. Denn die Forschung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass STI, wie beispielsweise Syphilis, Tripper und Chlamydien, das Risiko einer HIV-Infektion erhöhen.
„Die nationale AIDS-Aufklärungskampagne „Gib AIDS keine Chance“ hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland seit 2007 zurückgeht“, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr anlässlich der Auftaktveranstaltung. „Doch auf diesen Erfolgen dürfen wir uns nicht ausruhen, denn HIV ist noch immer nicht heilbar. Die Prävention ist und bleibt deshalb ein zentrales Thema auf unserer gesundheitspolitischen Agenda. Erfolgreiche Prävention muss sich ständig weiterentwickeln und neuen Gegebenheiten anpassen. Deshalb ist es wichtig, dass die seit Jahren gesetzte Präventionsbotschaft „Kondome schützen“ durch die Aufklärung über STI erweitert wird. Unser Ziel muss es auch in Zukunft sein, das notwendige Wissen zu vermitteln um das Risikobewusstsein zu schärfen und die Menschen zum Handeln zu motivieren, damit die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland weiter sinkt.“
„Sexuell übertragbare Infektionen sind ein bedeutendes Thema für die AIDS-Prävention. STI steigern das Risiko einer HIV-Infektion um das zwei- bis zehnfache, erhöhen die Infektiosität von Menschen mit HIV und können unbehandelt gravierende gesundheitliche Spätfolgen für die Betroffenen nach sich ziehen“, erklärte BZgA-Direktorin Prof. Dr. Elisabeth Pott. „Kondome schützen vor HIV, bei einigen STI aber bieten sie keinen ausreichenden Schutz. Zu Safer Sex gehört daher neben dem Kondom auch das Wissen über STI, über Ansteckungswege und Schutzmöglichkeiten.“ Zugleich ist der Bedarf an Informationen über STI in der Bevölkerung hoch. Wie aus der aktuellen BZgA-Studie „Aids im öffentlichen Bewusstsein“ hervorgeht, möchten 57 Prozent der 16- bis 44-jährigen Alleinlebenden mehr Informationen dazu erhalten.
Die neue Kampagne spricht neben der Allgemeinbevölkerung auch spezifische Zielgruppen an. Hierzu gehören etwa Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), da in dieser Gruppe die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland am höchsten ist. Ebenso werden Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen und beispielsweise für die in dieser Gruppe häufig vorkommenden Chlamydieninfektionen sensibilisiert.
Zum ersten Mal zeigt „mach’s mit“ bei der neuen Kampagne Menschen mit ihren individuellen Vorstellungen von Sexualität. Mit selbstbewussten Statements wie „Ich will’s romantisch“ oder „Ich will’s spontan“ zeigt die Kampagne verschiedene Charaktere. Von Jung bis Alt repräsentieren sie Personen aus dem Alltag. Das Spannungsverhältnis von Text und Bild, das alle Motive prägt, macht neugierig und lenkt die Aufmerksamkeit unmittelbar auf das Thema HIV/STI-Prävention. Die Vielfalt der Motive und die offene, selbstbewusste Haltung der Charaktere wirken dabei einer Tabuisierung von HIV und STI und einer Stigmatisierung von Betroffenen entgegen.
Die neuen Motive sind ab April 2012 bundesweit auf 65.000 Plakatflächen zu sehen, die vom Fachverband Außenwerbung (FAW) zur Verfügung gestellt werden. Anzeigen in Printmedien, der neue Online-Auftritt www.machsmit.de und Social-Media-Aktivitäten ergänzen und vertiefen die Botschaft der Plakate. Darüber hinaus wird die BZgA mit einem neu gestalteten Messestand auf Fachveranstaltungen und Kongressen vertreten sein. Der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) unterstützt die Präventionsarbeit der BZgA mit jährlich 3,2 Millionen Euro und fördert damit auch die Umsetzung der neuen HIV/STI-Kampagne.
(Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA))
Im Vorfeld des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses gibt die BZgA ihre aktuelle Studie „Aids im öffentlichen Bewusstsein 2010“ heraus. Die Ergebnisse zeigen, dass sich seit Beginn der Aidsaufklärung in Deutschland die Nutzung von Kondomen in der Bevölkerung immer stärker durchgesetzt hat. Inzwischen schützen sich 87 Prozent der 16- bis 44-Jährigen zu Beginn neuer Partnerschaften mit dem Kondom. Mitte der 90er Jahre waren es noch 65 Prozent. Wie aus der Studie zudem hervorgeht, besteht in der Bevölkerung ein hoher Bedarf an Informationen zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Die BZgA wird ihre Aufklärungsangebote dazu in den kommenden Jahren weiter ausbauen.
Hohes Schutzniveau bei HIV/Aids – Schutz gegen sexuell übertragbare Krankheiten immer wichtiger
Seit Beginn der Aidsaufklärung in Deutschland führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jedes Jahr die Repräsentativerhebung „Aids im öffentlichen Bewusstsein“ durch. Die Studie erhebt Daten zu Wissen, Einstellungen und Schutzverhalten der Menschen in Deutschland und erfasst, ob die Botschaften der BZgA-Kampagne GIB AIDS KEINE CHANCE in der Bevölkerung ankommen. Im Vorfeld des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses (DÖAK), der vom 15. bis 18. Juni 2011 in Hannover stattfindet, veröffentlicht die BZgA die neuesten Ergebnisse.
Danach hat sich die Nutzung von Kondomen immer stärker in der Bevölkerung etabliert. Inzwischen schützen sich 87 Prozent der 16- bis 44-Jährigen zu Beginn neuer Partnerschaften mit einem Kondom. Mitte der 90er Jahre waren es noch 65 Prozent. Auch die Kondomnutzung bei Befragten mit sexuellen Risikokontakten ist weiter gestiegen. 86 Prozent der 16- bis 65-Jährigen mit mehreren Sexualpartnerinnen oder -partnern im vergangenen Jahr geben an, Kondome zu verwenden – ein neuer Höchststand. Dass Aidsprävention wirkt, zeigt sich auch an der deutlich rückläufigen Zahl derer in dieser Gruppe, die keine Kondome benutzen. Ende der 80er Jahre gab dies knapp die Hälfte (46 Prozent) der 16- bis 65-Jährigen mit wechselnden Sexualpartnerinnen oder -partnern an, heute sind es noch 14 Prozent.
„Unsere Studie zeigt, dass es in Deutschland keine wachsende Nachlässigkeit beim Schutz vor HIV/Aids gibt. Immer mehr Jugendliche und Erwachsene schützen sich mit dem Kondom“, erklärt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Auch 30 Jahre nachdem das Krankheitsbild Aids erstmals beschrieben wurde, ist Prävention das Mittel der Wahl, um einer weiteren Ausbreitung der HIV/Aids-Epidemie vorzubeugen. Um in der Aidsprävention auch zukünftig erfolgreich zu sein, entwickeln wir unsere Kampagne stets weiter. Wie wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, können sexuell übertragbare Infektionen wie Syphilis oder Tripper das Risiko für eine Ansteckung mit HIV erhöhen. Deshalb spielt dieses Thema auch in unserer Kampagnenarbeit eine immer größere Rolle.“
Wie aus der BZgA-Studie zudem hervorgeht, besteht in der Bevölkerung ein hoher Bedarf an Informationen zu sexuell übertragbaren Infektionen (STI). 57 Prozent der 16- bis 44-jährigen Alleinlebenden wünschen sich, hierüber besser informiert zu sein. Als wichtigste Informationsquellen werden der Arzt oder die Ärztin (81 Prozent) und das Internet (82 Prozent) genannt sowie Broschüren staatlicher Organisationen (60 Prozent). Im Rahmen ihrer Kampagne zur Aidsprävention greift die BZgA das Thema STI bereits auf und informiert über Ansteckungswege, Symptome und Schutzmöglichkeiten. Dieses Engagement wird sie in den kommenden Jahren weiter ausbauen.
Guido Schlimbach: Dirk, die Nachricht, dass Du im Frühjahr 2011 nach 18 Jahren Tätigkeit als Geschäftsführer die AIDS-Hilfe NRW verlässt, hat im Landesverband großes Aufsehen erregt. Viele konnten sich nicht vorstellen, dass ein „Urgestein“ wie Du von der Aidshilfe lassen könnte. In der Tat ist Deine Biografie eng mit der Aidshilfe verbunden: Du warst Gründungsmitglied der AIDS-Hilfe im Kreis Unna, dort auch Vorstandsmitglied, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Bonn, Mitglied im Landesvorstand NRW, seit 1992 Landesgeschäftsführer, einige Jahre Mitglied im Bundesvorstand und im Delegiertenrat der Deutschen AIDS-Hilfe und vor fünf Jahren außerdem ein halbes Jahr Interimsgeschäftsführer des Bundesverbands. Hast Du alles erreicht oder warum verlässt Du nun die Aidshilfe?
Dirk Meyer: Ich habe im Laufe vieler Jahre fast alle Facetten, die unser Verband auf allen Ebenen zu bieten hat, mit Spaß und manchmal auch mit Sorge erlebt und bearbeitet. Da ist es sicher legitim, noch einmal einen Sprung zu machen und das Spielfeld zu wechseln, um in der eigenen Arbeit eine neue Perspektive zu gewinnen. Dass das in meinem Falle jetzt passiert, ist vielleicht ein Zufall, das hätte auch nach zehn oder 15 Jahren schon erfolgen können. Dass dies damals nicht geschehen ist, zeigt, dass mir meine Arbeit Spaß gemacht hat und für mich immer interessant war. Es wurde mir quasi nicht leicht gemacht, mich nach einem anderen Betätigungsfeld umzuschauen. Da mich immer fasziniert hat, was wir als Aidshilfe sowohl hier in NRW als auch bundesweit bewegen konnten, habe ich mich nie aktiv umgesehen. Der Weggang jetzt nach 18 Jahren fällt mir dementsprechend schwer, denn es ist immer noch spannend, was wir hier machen. Mein Bauchgefühl riet mir aber, etwas Neues zu wagen. Es reizt mich, meine Erfahrungen und mein Know-how aus dem Landesverband jetzt an anderer Stelle, wenn auch im gleichen Thema, einzubringen.
Guido Schlimbach: Du hast in der Aidshilfearbeit Wesentliches von Beginn an mitgestaltet. Wenn Du auf die Anfänge schaust, was ist immer noch aktuell und was hat sich verändert?
Dirk Meyer: Ein ganz zentraler Punkt hat sich nicht geändert. Aidshilfe hat bis heute einen politischen Anspruch. Als gesundheitliche Selbsthilfeorganisation haben wir zwar sehr spezifisch, sehr interessegeleitet für bestimmte Gruppen von Menschen gearbeitet: für Minderheiten, die Menschen mit HIV und Aids, schwule Männer, Drogen konsumierende Menschen, Frauen in deklassierten Lebenssituationen, Sexworker und so weiter. Andererseits aber auch mit einem klaren politischen Anspruch. Ich würde sogar sagen mit einem großen gesellschaftlichen „Drang in die Mitte“. Dieses Spannungsfeld habe ich schon 1985 erlebt, als wir uns im Kreis Unna getroffen haben, um die Aidshilfe zu gründen. Als politische Menschen, die zum Beispiel aus der Schwulen- oder der Drogenarbeit kamen, hatten wir eine klare Zielsetzung. Und die gilt trotz aller Veränderung im Kern bis heute. Aidshilfe ist eine lebendige, politische Selbsthilfeorganisation, die sich immer noch an den offenen Fragen reibt, nach den Interessen von Minderheiten und Diskriminierung fragt, immer orientiert auf die Gesellschaft als Ganzes. Wir haben uns nie mit unseren „Randthemen“ in die Ecke stellen lassen. Bis heute drängen wir damit in die Mitte der Gesellschaft und scheuen dabei auch keine Konflikte. Geändert hat sich natürlich, dass wir uns nicht mehr wie in den Anfangsjahren so direkt mit Sterben und Tod auseinandersetzen müssen. Die Sonne, die über unserer Arbeit schien, war oft von dunklen Wolken verhangen, auch wenn wir uns nie am möglichen Sterben unserer Mitstreiterinnen und Mitstreiter orientiert haben, sondern am Leben. Dennoch hat uns das Erleben von Sterben und Tod tief geprägt, auch mich ganz persönlich. Die Einstellung zum Thema HIV und Aids hat sich geändert, der Umgang ist in den letzten Jahren normaler geworden. Daraus hat sich natürlich auch viel Neues ergeben, auch für die Arbeit in den Aidshilfen.
Guido Schlimbach: Am Anfang stießen Aidshilfen in der Gesellschaft auf erhebliche Widerstände? Wie habt Ihr das geschafft, gegen diese Widerstände anzugehen?
Dirk Meyer: Mit einer herzerfrischenden Naivität! Wir haben einfach unser Ding gemacht und wir sind auf die vermeintlich verkrusteten Strukturen, also auf die Menschen in den Kreis- und Stadtverwaltungen, aber auch in der Landespolitik, zugegangen. Wir haben uns das Recht genommen, für uns und unser Thema zu sprechen. Wir waren die Expertinnen und Experten in eigener Sache und sind sehr selbstbewusst aufgetreten, was die andere Seite offenbar positiv beeindruckt und verblüfft hat. Wir konnten daher, anstatt uns lange mit verwaltungstechnischen Dingen aufzuhalten, den wahren Themen widmen und der Frage, wie man diese am besten löst. Unser Selbstbewusstsein haben wir aus unseren Erfahrungen in der Schwulen-, der Frauenbewegung oder in der Drogenarbeit mitgebracht. Vielleicht hätten wir nicht so viel Erfolg gehabt, wenn wir vorher mehr darüber nachgedacht hätten, wie wir auftreten müssten. Offenbar war seinerzeit die Gesellschaft schon in der Lage, dieses offensive Auftreten zu akzeptieren. Dass der Staat uns etwas zugetraut hat, uns Kompetenzen abgegeben und das auch finanziert hat, macht das deutlich. Wahrscheinlich hat dieses günstige Zeitfenster es ermöglicht, in Deutschland Strukturen zu schaffen, die für die Aidshilfearbeit bis heute wichtig sind.
Guido Schlimbach: Du hast Dich in all den Jahren ja nicht nur ehrenamtlich engagiert, Du hast Deine berufliche Karriere auf diese Karte gesetzt, hast Deinen Beruf als Lehrer aufgegeben, um Dich voll auf Aidshilfe zu konzentrieren. Worin bestand für Dich persönlich die Herausforderung, diesen Weg einzuschlagen?
Dirk Meyer: Ich wollte Gesellschaft mitgestalten. Ich wollte meine eigenen Erfahrungen, das Private, aber auch das Wissen, wie Gesellschaft mit Minderheiten, etwa mit schwulen Männern, umgegangen ist, politisch sehen und damit arbeiten. Ich konnte Energie daraus ziehen und sagen: Das lasse ich mit mir nicht machen! Da war ich sicher auch Kind meiner Zeit. Und weil ich damals schon Strukturalist war, wusste ich, dass ich das nicht allein kann. Da musste ich Mitstreitende finden, um Mehrheiten zu organisieren und diese politisch umzusetzen. Diese Herausforderung hält für mich bis heute an.
Guido Schlimbach: Eine oft bemühte Formulierung besagt, dass Aidshilfe das einzige Konstrukt ist, in dem die im Grunde disparaten Gruppen von schwulen Männern, Frauen und Junkies gemeinsam etwas auf die Beine gestellt hätten. Wie hast Du das erlebt, wie diese Gruppen gemeinsam ihre Ziele verfolgt haben und gemeinsam etwas entwickeln konnten?
Dirk Meyer: Das lief ja nicht ohne Konflikte ab. Es ging aber gut, weil wir zu allererst bereit waren, das Anderssein der Anderen zu akzeptieren, gut, vielleicht auch zunächst nur zu tolerieren. Ohne schwule Männer jetzt zu idealisieren, aber aufgrund ihrer eigenen Diskriminierungserfahrungen können sie das vielleicht besser als andere Männer, zumal sie Akzeptanz ja auch immer für sich einfordern. Diese Einstellung haben wir in den Anfängen der Aidsarbeit auf andere übertragen. Das war mit den Junkies und den politisch engagierten Frauen nicht immer leicht und sicher oft konfliktbeladen, es hat aber nie dazu geführt, dass wir uns getrennt haben. Hier und da führten die Konflikte dazu, dass in einzelnen Aidshilfen eher schwule Prävention oder eher Drogenarbeit gemacht wurde, aber insgesamt hat es uns zusammen gehalten. Manchmal denke ich, dass die Sehnsucht der Schwulen, in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen und wertgeschätzt zu werden, uns dazu gebracht hat, in der Akzeptanz mit scheinbar disparaten Gruppen in der Aidshilfe anzufangen und die Konflikte auszuhalten.
Guido Schlimbach: Bei Dir führte die Akzeptanz ja dann dazu, dass Du Dich auch in der Junkie-Selbsthilfe engagiert hast. Du bist ja immer noch im Vorstand von JES NRW.
Dirk Meyer: Als Landesgeschäftsführer habe ich mich auch immer als Interessenvertreter der besonders von HIV bedrohten Gruppen in NRW verstanden. Nicht nur qua Amt, sondern weil ich mich aufgrund der politischen Auseinandersetzungen und der persönlichen Nähe solidarisch erkläre. Mich bewegt die Frage, welche Stellung Drogenkonsumierende mit und ohne HIV in der Gesellschaft und in Aidshilfen haben und wie ihre Interessen vertreten werden. Dass ich mich hier besonders engagiert habe, liegt auch daran, dass ich so furchtbar neugierig bin. Ich wollte wissen, wie Junkies mit Ausgrenzung und Rollenzuweisung umgehen. Ihre Lebensweisen kennenzulernen, war für mich immer eine intellektuelle und emotionale Herausforderung. In allen Bereichen wollte ich mitdenken und mitgestalten. Ich wollte Strukturen aufbauen, damit die Menschen ihre eigenen Interessen vertreten und in die gesellschaftliche Diskussion einbringen können. Politisches Interesse und Solidarität lagen bei mir immer eng beieinander.
Guido Schlimbach: Wenn wir auf die Zielgruppen unseres Verbands schauen, ist in den letzten Jahren eine neue Gruppe hinzugekommen, die der Migrantinnen und Migranten, die wir mehr und mehr in den Focus unserer Arbeit genommen haben. Das verlief nicht immer reibungslos.
Dirk Meyer: Die Diskussionen mit Junkies und mit Frauen liefen ja auch nicht reibungslos. Wir dürfen das Miteinander der Gruppen auch nicht schönreden. Selbst die Vertretung der Interessen von Menschen mit HIV in Aidshilfen ist nicht konfliktfrei. Die ersten Aidshilfen wurden ja im Grunde ohne Menschen mit HIV gegründet. Natürlich waren wir Selbstorganisation und Selbsthilfe, aber zunächst mal, um uns zu schützen, um einen Umgang mit dem Thema zu finden. Eine direkte Konfrontation mit der Infektion fand erst später statt. Insofern ist die Auseinandersetzung mit Migration nicht leicht, aber mit Blick auf die Vergangenheit, auch nicht originär schwer. Auch hier sollten wir möglichst ohne Vorbehalt auf die Menschen zugehen und sie zunächst einmal akzeptieren, wie sie sind, ohne etwas schönzureden.
Guido Schlimbach: Die AIDS-Hilfe NRW ist der größte Verband innerhalb der Deutschen AIDS-Hilfe. Wir werden von außen als stark angesehen, nicht zuletzt aufgrund unserer 42 Mitgliedsorganisationen. Dennoch, wie haben wir es geschafft, dass das Land Nordrhein-Westfalen seine Verantwortung erkannt und Aidshilfe und Aidsprävention so nachhaltig gefördert hat?
Dirk Meyer: Das wäre in der Tat wert, einmal wissenschaftlich erforscht zu werden. Sicher liegt es an den Menschen, die hier an verschiedenen Stellen über viele Jahre gearbeitet haben. Die Aidshilfe hat ihre Forderungen immer mit einer fachlichen und Interessen geleiteten Klarheit, aber auch immer verbindlich und fair formuliert. Das hat uns einen guten Ruf eingebracht und für das Land Nordrhein-Westfalen zu einem kompetenten und verlässlichen Partner werden lassen, ohne, dass wir uns verkaufen oder anbiedern mussten. Letzteres lag natürlich auch daran, dass unsere Vorstandsmitglieder immer aus unseren Mitgliedsorganisationen und Zielgruppen kamen. Wir wollten nie einen Parteienproporz im Landesvorstand haben, sondern Menschen aus der Verbandsarbeit und der Selbsthilfe, die ihre Interessen autonom mit einbrachten. So hat HIV- und Aidsprävention über die Jahre hinweg in allen Fraktionen und durch alle Koalitionen den hohen Stellenwert beibehalten.
Guido Schlimbach: Die andere Besonderheit der AIDS-Hilfe NRW ist die hohe Anzahl an recht unterschiedlichen Mitgliedsorganisationen. Wie hält man so einen lebhaften Haufen zusammen?
Dirk Meyer: Mit viel Geduld! Mit einem Verständnis dafür, dass sich Aidshilfearbeit von unten nach oben entwickelt. Ich komme ja aus einer ländlichen Aidshilfe und habe erfahren, wie sich das alles ganz im Kleinen entwickelt. Prävention entsteht kommunal. Das heißt, praktische Aidshilfearbeit entwickelt sich in der Kommune, in der örtlichen Szene. Dies muss wertgeschätzt und darf nicht als Störfaktor erlebt werden, auch wenn darin schon viele Unterschiede und damit viele Konflikte enthalten sind. Wenn man das als Stärke begreift, ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, gemeinsam etwas umzusetzen, sich auszutauschen und gemeinsame Interessen zu entdecken und zu formulieren. Vor allem im Ruhrgebiet lässt sich gut beobachten, wie Nachbarschaft untereinander gelebt wird: Eigenheiten individuell gestalten, im Großen aber gemeinsam etwas bewirken. Davon hat die AIDS-Hilfe NRW viel übernommen. Die Mitgliedsorganisationen haben vielfach erkannt, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Umbrüche nur gemeinsam angegangen werden können. Das ist ein großer Wert, der meines Erachtens unseren Verband ausmacht.
Guido Schlimbach: Du hast jetzt manche Stärken des Verbands benannt. Hat er auch Schwächen?
Dirk Meyer: Die größten Stärken stellen sich manchmal auch als Schwächen heraus. Es soll ja vorkommen, dass bei einem differenzierten Verband mit seinen Strukturen und seinen umfangreichen Angeboten das Wesentliche, die ursprüngliche Motivation aus dem Blick gerät. Wenn Aidshilfe nicht darauf achtet, sich immer neu zu erfinden, wenn sie im alten Trott verweilt, ohne auf ihre Motivation zu schauen, dann wird die Stärke der Differenzierung auch zur Schwäche. Dann wird dieser Koloss Aidshilfe auch angreifbar. Ich sehe aber, dass wir uns dieser möglichen Schwäche bewusst sind. Die Kolleginnen und Kollegen hier in der Landesgeschäftsstelle und die verschiedenen Vorstandsmitglieder haben über die Jahre diese Selbstvergewisserung immer wieder eingefordert und lebhaft miteinander diskutiert. Dabei kam manches auf den Prüfstand, von manchem haben wir uns auch gelöst, andere Herausforderungen kamen hinzu, ohne, dass die Ursprungsidee, warum Aidshilfe überhaupt entstanden ist, aus dem Blick geriet.
Guido Schlimbach: Lass uns einen Blick in die Zukunft werfen. Du warst ein wesentlicher Motor unseres Leitbildprozesses und hast als Mitglied der Programmkommission und des Delegiertenrates der Deutschen AIDS-Hilfe auch an deren Leitbild mitgearbeitet. Wie siehst Du die Perspektiven der Aidshilfe in diesem Land, wo liegen die zukünftigen Schwerpunkte?
Dirk Meyer: Die AIDS-Hilfe NRW wird ein munterer, dynamischer, lebensfroher Verband bleiben, der mit den Konflikten innerhalb der eigenen Reihen gut umgehen und immer wieder neue Lösungen finden wird. Natürlich besitze ich keine Glaskugel, in der ich die Zukunft voraussehe. Ich bin mir aber sicher, dass die AIDS-Hilfe NRW weiterhin selbstkritisch auf alle Entwicklung schauen und auch reagieren wird. Auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird der Verband im Bereich der Prävention Wesentliches beitragen und politischen Schmerzthemen wie Drogenkonsum, Kriminalsierung und Ausgrenzung nicht ausweichen. Die Gesellschaft wird sich ganz sicher nicht so schnell zum Positiven hin verändern, dass unsere Arbeit überflüssig würde.
Guido Schlimbach: Auf die Frage, welche Eigenschaft Du bei anderen am meisten schätzt, hast du einmal geantwortet, Eigensinn. Ist das ein Programm für Dirk Meyer?
Dirk Meyer: Das ist tatsächlich mein Programm, ja. Damit korrespondiert aus meiner Sicht die Fähigkeit des Seinlassens. Wir sollten den Anderen zu allererst in seinem Sein lassen und nicht versuchen, ihn verbiegen oder nach unseren Vorstellungen verändern zu wollen. Der Eigensinn der Anderen ist meines Erachtens Voraussetzung dafür, tolle Sachen auf den Weg zu bringen. Insofern hoffe ich, dass von dieser Programmatik auch etwas hier im Verband bleibt. Jedenfalls wäre es schön, wenn Eigensinn und Seinlassen-Können auch die Aidshilfearbeit weiter ausmachen.
Guido Schlimbach: Und nun geht es auf die andere Seite, auf die andere Rheinseite, auf die Seite des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur BZgA. Was hat Dich neben der persönlichen Herausforderung, etwas Neues beginnen zu können, gereizt, die Seiten zu wechseln? Wo siehst Du die Chance, Aidshilfearbeit in Deiner neuen Position voran zu bringen?
Dirk Meyer: Ich habe es für mich persönlich immer als wichtig empfunden, Spaß an der Arbeit zu haben. Ich hatte das Glück, das über viele Jahre erleben und mit beeinflussen zu können. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dies auch in meinem neuen Arbeitsfeld so sein wird, weil ich weiß, was dort in den vergangenen Jahren geleistet wurde und in welcher Qualität. Ich blicke mit Freude darauf, mich jetzt mit meinem Know-how und meinen Erfahrungen dort einzubringen. Sicher wird manches schwierig und neu sein, aber genau darin liegt ja die Herausforderung, Prävention und andere wichtige Bereiche der Aidsarbeit weiterzuentwickeln. Gerade auf Bundesebene mit den Möglichkeiten der Massenkommunikation, in der Verzahnung der Kampagnen mit personalkommunikativen Angeboten, in der Verzahnung von Prävention für alle und der zielgruppenspezifischen Prävention, in der Verzahnung dessen, was in der HIV-Prävention erreicht wurde, und dem, was im Bereich anderer sexuell übertragbarer Krankheiten noch entstehen muss. Das sind Herausforderungen, neu zu denken und Kommunikation und Kooperation im Blick zu haben. Der Erfolg der Aidsprävention in Deutschland liegt sicher darin, die Unterschiedlichkeit aller Akteure insgesamt zur Stärke werden zu lassen. In Zukunft werden die Rahmenbedingungen für Prävention schwieriger und komplizierter. Sich dem gemeinsam zu stellen, macht für mich den Reiz aus, in der neuen Struktur zu arbeiten.
Guido Schlimbach: Lieber Dirk, ich danke Dir sehr für das Gespräch und wünsche Dir alles Gute für Deine neuen Aufgaben.
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[Interview: Guido Schlimbach für die Aids-Hilfe NRW; vielen Dank für die Einwilligung der Übernahme!]
Dirk Meyer, derzeit Geschäftsführer der Aids-Hilfe NRW, wird neuer Referent im Aids-Referat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).Dr. Dirk Meyer ist seit 1992 Geschäftsführer der 1985 gegründeten Aids-Hilfe NRW e.V., des Landesverbandes der nordrhein-westfälischen Aids-Hilfen. Meyer wird die neue Position als Referent des Aids-Referats der BZgA ab 1. April 2011 einnehmen. Dies bestätigten die Aids-Hilfe NRW und die BZgA auf Nachfrage.
Dr. Dr. Wolfgang Müller, seit 1987 Mitarbeiter und seit 1988 Leiter des Aids-Referats der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA), verlässt zum 31. März 2011 Zeitpunkt auf eigenen Wunsch die BZgA. Die Position des Leiters des Aids-Referats der BZgA bleibt derzeit unbesetzt; die Position wird in Kürze neu ausgeschrieben. Die Aids-Hilfe NRW wird in Kürze die Neubesetzung der Position des Landesgeschäftsführers ausschreiben.
Neue Kampagne zum Welt-Aids-Tag will Stigmatisierung und Diskriminierung abbauen
Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler hat heute in Berlin die neue Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Welt-Aids-Tag unter dem Motto „Positiv zusammen leben – aber sicher!“ gestartet. Im Mittelpunkt stehen HIV-positive Menschen, die authentisch Einblick in ihr Leben geben und von ihren alltäglichen Erfahrungen berichten. Ziel der Kampagne ist es, Stigmatisierung und Diskriminierung abzubauen und eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung über HIV und AIDS in der Gesellschaft zu initiieren. Eine derartige nationale Kampagne ist europaweit einmalig.
Die neue Kampagne wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit, der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung durchgeführt und vom Verband der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) und dem Fachverband Außenwerbung (FAW) unterstützt. Sie ist auf mehrere Jahre angelegt. Mit den Themenschwerpunkten „HIV und Arbeit“, „HIV und Freundschaft“ sowie „Einschränkungen mit HIV“ rückt die BZgA mit ihrer Welt-Aids-Tags-Kampagne nah an die Erfahrungswelten der Menschen heran und erreicht dadurch eine breite Zielgruppe, von der Jugend bis zu Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Anlässlich des Kampagnenstarts erklärt Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler: „Die differenzierte und nachhaltige Präventionsstrategie in Deutschland hat dazu geführt, dass wir mit jährlich etwa 3.000 HIV-Neuinfektionen eine der niedrigsten Neuinfektionsraten in Europa haben. Wir wissen, dass ein offener und diskriminierungsfreier Umgang mit der Thematik HIV und AIDS und den Betroffenen die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Prävention ist. Deshalb wollen wir mit dieser Solidaritätskampagne ermutigen: Ermutigen über HIV und AIDS zu reden und sich über Risikoverhalten und den notwendigen Schutz auszutauschen. Wir benötigen die Solidarität und Aufmerksamkeit aller, damit es uns gemeinsam gelingen kann, die Zahl der Neuinfektionen in Zukunft zu senken.“
„Seit Beginn der Aidsaufklärung hat sich in Deutschland sehr schnell eine stabile soziale Norm gegen Diskriminierung und Stigmatisierung entwickelt, wie unsere Repräsentativstudie zeigt“, sagt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Die Aufforderung, sich gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung zu engagieren, spielt seit Beginn der Aidsprävention eine genauso wichtige Rolle wie die Motivation zum Schutzverhalten. Dennoch erleben Betroffene ihre Lebenssituation oft auch heute noch als problematisch, weil sie konkrete Nachteile erfahren. Deshalb danke ich den HIV-positiven Botschafterinnen und Botschaftern, die sich mit viel Mut für diese Kampagne engagieren und sich bereit gefunden haben, das Leben mit HIV in unserer Gesellschaft sichtbarer zu machen.“
Die Deutsche AIDS-Hilfe setzt sich im Rahmen der Kampagne besonders für Betroffene ein. „Gerade am Arbeitsplatz ist die Angst vor Mobbing oder einem Karriereende besonders groß“, erklärt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe. „Dabei zeigt unsere Erfahrung, dass HIV-Positive im Schnitt genauso leistungsfähig sind wie ihre Kolleginnen und Kollegen. Etwa zwei Drittel der HIV-Positiven in Deutschland arbeiten. Kaum einer weiß dies, weil sich ein Großteil aus verständlichen Gründen nicht outet. Unternehmen sollten mit klaren Regelungen und der Vorbildfunktion ihres Managements die Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS abbauen und so ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützen.“
Besonders wichtig ist die Unterstützung durch die Familie und den Freundeskreis für jüngere HIV-Positive. Darauf macht die Deutsche AIDS-Stiftung aufmerksam. „Da HIV so stark tabuisiert wird, fällt es vor allem HIV-Positiven oft schwer, mit anderen über ihre Infektion oder Krankheit und ihre Bedürfnisse zu sprechen“, sagt Dr. Ulrich Heide, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung. „Darüber hinaus führt die HIV-Infektion häufig zu materieller Bedürftigkeit, wenn Menschen nicht mehr arbeiten können und gerade als jüngere Menschen nur kleine Renten erhalten.“ Die Deutsche AIDS-Stiftung hilft jährlich mehr als 3.000 infizierten und aidskranken Menschen in Deutschland in akuten Notlagen oder mit Hilfsprojekten.
Die Kampagne „Positiv zusammen leben – aber sicher!“ startet am 1. November. Auf www.welt-aids-tag.de berichten Botschafterinnen und Botschafter mit und ohne HIV in Online-Clips aus ihrem Leben und geben Beispiele für solidarisches Verhalten. Das interaktive Kampagnenportal lädt zur Diskussion und Auseinandersetzung ein und informiert über die einzelnen Themenbereiche.
Die drei Themenschwerpunkte „HIV und Arbeitswelt“, „Freundschaft und HIV“ und „Einschränkung durch HIV“ bilden auch die Grundlage für die diesjährigen drei Plakatmotive. Auf 25.000 Plakaten, in Flyern und auf Postkarten werben die Botschafterinnen und Botschafter für Akzeptanz und gegen Stigmatisierung und Diskriminierung. Sie sind bis zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember und darüber hinaus bei Veranstaltungen zum Thema HIV und AIDS präsent.
Deutsche AIDS-Hilfe gedenkt einer Pionierin der Zusammenarbeit zwischen Staat und Aidshilfe
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln hat am 20. Juli mitgeteilt, dass Frau Gisela Marsen-Storz gestorben ist. Sie war viele Jahre in der BZgA tätig, zuletzt als Leiterin der Abteilung Prävention von Krankheiten und Missbrauchverhalten/Sucht.
Anfang der 1980er Jahre trug Frau Marsen-Storz maßgeblich zu den ersten Treffen zwischen Vertretern aus Gesundheitsministerium und BZgA sowie der Aidshilfe bei – die zunächst unter beinahe konspirativen Umständen stattfanden. Der Erfolg: Schon ab Herbst 1985 wurde die Arbeit der DAH mit staatlichen Mitteln gefördert – ein Novum in der Geschichte der öffentlichen Gesundheit.
„Frau Marsen-Storz war eine mutige Frau“, sagt DAH-Geschäftsführer Peter Stuhlmüller. „Vieles wusste man damals noch nicht, vieles war umstritten und umkämpft. Aber der Weg der Einbeziehung der Zielgruppen, der Arbeitsteilung zwischen Staat und NGOs sowie der Aufklärung und der Information hat sich bewährt – und das ist auch und gerade ihr Weg.“
Die erfolgreichste öffentlich-private Partnerschaft in der Aidsprävention wird weitergeführt. Mit insgesamt 16 Millionen Euro unterstützt der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für weitere fünf Jahre in der Aidsprävention. Die Partnerschaft hat in den vergangenen fünf Jahren wesentlich dazu beigetragen, den Zuwachs der HIV-Neuinfektionen in Deutschland zu stoppen.
Seit Mitte 2005 unterstützt der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. die Aidsprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit über drei Millionen Euro jährlich. Mit dieser innovativen Partnerschaft konnten die Mittel der Bundesregierung soweit aufgestockt werden, dass Reichweite, Präsenz und Wirkung der bekannten Präventionskampagne „GIB AIDS KEINE CHANCE“ deutlich verbessert wurden.
„Die großzügige und langfristige Unterstützung der PKV für die HIV-Prävention hat wesentlich dazu beigetragen, dass der bis 2007 beobachtete jährliche Anstieg der Neuinfektionen bundesweit gestoppt werden konnte. So hat Deutschland im westeuropäischen Vergleich mit die geringsten HIV-Neudiagnosen“, betont Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Die heutige Vertragsverlängerung ermöglicht es uns, die intensive Ansprache der Bevölkerung, die ohne Mittel der PKV so nicht möglich gewesen wäre, fortzusetzen. Gemeinsam wollen wir dauerhaft die Zahl neuer HIV-Infektionen so gering wie möglich halten.“
„Das Engagement mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist ein gelungenes Beispiel für eine Partnerschaft, die ohne zusätzliche Bürokratien auskommt“, erklärt Dr. Volker Leienbach, Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V. „Für die PKV ist Aidsprävention eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Aids ist nach wie vor eine unheilbare Krankheit, die sehr viel menschliches Leid verursacht. Eine Infektion kann durch Prävention wirksam verhindert werden. Darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Zugleich entlasten wir mit dieser Präventionsarbeit das gesamte Gesundheitssystem. Immerhin werden die Kosten einer einzelnen HIV-Infektion heute auf rund 500.000 Euro geschätzt.“
Dass das Schutzverhalten in den vergangenen Jahren wieder deutlich zugenommen hat zeigen die aktuellen Ergebnisse der Repräsentativerhebung „Aids im öffentlichen Bewusstsein 2009“ der BZgA. Verwendeten vor fünf Jahren 74 Prozent der 16- bis 44-Jährigen zu Beginn einer neuen Beziehung Kondome, so ist ihr Anteil 2009 auf 86 Prozent gestiegen. Bei den 16- bis 20-Jährigen ist der Trend, sich mit Kondomen zu schützen, ebenfalls ungebrochen. 83 Prozent der jungen Menschen mit sexuellen Erfahrungen besitzen Kondome. Vor fünf Jahren waren es 75 Prozent und 1990 nur 43 Prozent.
Diese aktuelle Entwicklung ist maßgeblich auf die intensive Aidspräventionsarbeit zurückzuführen. Dazu reagiert die BZgA stets auf neue Rahmenbedingungen und aktuelle Herausforderungen und entwickelt die Präventionskampagne GIB AIDS KEINE CHANCE kontinuierlich weiter. Diese geht in diesem Sommer mit der neuen mach’s mit-Staffel in die zweite Runde. Unter dem Motto „Liebesorte“ werden verschiedene Zielgruppen angesprochen. Passend zur Sommersaison sind unterschiedliche Motive wie Strandkorb, Abenteuer im Auto oder Gartenparty auf Groß und Citylightplakaten, in Anzeigenmotiven und in Kino/TV- Spots zu sehen.
Die beliebten Sommermotive der Liebesorte-Kampagne prägen auch die außergewöhnliche Gestaltung des Informationsstandes der Bundesrepublik Deutschland auf der Welt-Aids-Konferenz, die in diesem Jahr vom 18. bis 23. Juli 2010 in Wien stattfindet. Die BZgA wird dort außerdem einige ihrer Projekte präsentieren.
Die neuen Daten der Repräsentativerhebung „Aids im öffentlichen Bewusstsein 2009“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) liegen vor. Die Befragung untersucht regelmäßig Wissen, Einstellungen und Verhalten der Bevölkerung zu HIV/Aids. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass Kondome in der Bevölkerung immer mehr genutzt und immer besser akzeptiert werden. Dies gilt für junge wie ältere Menschen gleichermaßen.
Benutzten zu Beginn der Aidsaufklärung 1988 in der sexuell aktiven Gruppe der Alleinlebenden unter 45 Jahren 58 Prozent Kondome, so wurde 2009 mit 79 Prozent der bislang höchste Wert erreicht. Besonders die Kondomnutzung zu Beginn neuer Beziehungen hat sich weiter erhöht. 2009 verwendeten 86 Prozent der 16- bis 44-Jährigen, die in den vergangenen 12 Monaten eine neue Partnerschaft begannen, zu Beginn neuer Beziehungen Kondome. Vor fünf Jahren waren es noch 74 Prozent. Die zunehmende Kondomnutzung findet ihren Ausdruck ebenfalls in der Entwicklung der Kondomabsatzzahlen, die die Deutsche Latex Forschungsgemeinschaft Kondome e.V. jährlich veröffentlicht. Danach liegt Deutschland mit 215 Millionen verkaufter Kondome in 2009 auf dem gleichen Rekordniveau wie ein Jahr zuvor.
Auch bei 16- bis 20-Jährigen ist der Trend, sich mit Kondomen zu schützen, weiterhin ungebrochen. 83 Prozent der jungen Menschen mit sexuellen Erfahrungen besitzen Kondome, 1990 waren es nur 43 Prozent. Das Vertrauen junger Menschen in die Schutzwirkung von Kondomen ist groß und 90 Prozent fühlen sich gut oder sehr gut in der Lage, beispielsweise in sexuellen Beziehungen diesen Schutz einzufordern.
Schließlich belegen auch die epidemiologischen Daten des Robert Koch-Instituts, dass die HIV-Neudiagnosen nicht nennenswert gestiegen sind, sondern sich annähernd auf dem Niveau des Vorjahres bewegen.
„Die aktuelle Entwicklung ist maßgeblich auf die intensive Aidspräventionsarbeit zurückzuführen, mit der wir breite Zielgruppen in Deutschland erreichen. Damit das auch zukünftig gelingt, dürfen wir mit unseren Präventionsangeboten nicht nachlassen“, erklärt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Ohne die finanziellen Mittel des Bundesministeriums für Gesundheit in Höhe von 13,2 Millionen Euro und die zusätzliche finanzielle Unterstützung durch den Verband der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) in Höhe von über 3 Millionen Euro jährlich kann die Aidsprävention in Deutschland diese positive Entwicklung nicht aufrecht erhalten. Nur mit einer Aidsprävention auf weiterhin hohem Niveau kann es uns gelingen, die weitere Ausbreitung von HIV zu verhindern“, so Elisabeth Pott weiter.
Die Aids-Prävention hat sich in den letzten Jahren in Deutschland immer wieder verändert. Die BZgA reagiert auf neue Rahmenbedingungen und aktuelle Herausforderungen mit ihrer neuen Staffel der Präventionskampagne GIB AIDS KEINE CHANCE unter dem Motto „Liebesorte“ mit unterschiedlichen Motiven, die verschiedene Zielgruppen ansprechen: Jugendliche und nicht monogam lebende Erwachsene, Freier, aber auch Männer, die Sex mit Männern haben und andere. Passend zur beginnenden Sommersaison sind in Anzeigen und auf Plakaten Motive wie abendliche Romantik im Strandkorb, Gartenparty oder kurze Abenteuer im Auto zu sehen. Im Mittelpunkt der Kampagne steht der Schutz durch Kondome. Denn nach wie vor sind Kondome der sicherste Weg, sich vor einer Ansteckung mit HIV beim Sex zu schützen.
(Pressemitteilung der BZgA)
siehe auch
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA (Hg.):
„AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2009
Wissen, Einstellungen und Verhalten zum Schutz vor AIDS
Eine Wiederholungsbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln“
Kurzbericht, Mai 2010 (pdf)
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Ein riesiges Red Ribbon vor dem Brandenburger Tor, und Bundesgesundheitsminister Rösler, der symbolisch einen Menschen aus der Kugel befreit, die die die gesellschaftliche Isolation von HIV-Positiven symbolisieren soll – mit einer symbolträchtigen Aktion fand in Berlin der Höhepunkt der diesjährigen Welt-Aids-Tags-Aktion statt.
Einen Tag vor dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember entrollte Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler zusammen mit mehreren hundert Aids-Botschafterinnen und -Botschaftern eine über 300m2 große Rote Schleife vor dem Brandenburger Tor.
Die Veranstaltung war gleichzeitig zentrales Abschluss-Event zur diesjährigen Welt-Aids-Tags – Aktion, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit, der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung durchgeführt hat.
Zeitgleich mit dem Entrollen des Red Ribbon liefen vier Menschen in übergroßen, durchsichtigen Kugeln durch das Tor und symbolisierten die soziale Isolation von Menschen mit HIV/Aids. Was dann geschah, kündigte die BZgA wie folgt an:
„Vier „Menschen in der Kugel“ rollen durch das Brandenburger Tor und werden von Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler und weiteren Partnern symbolisch aus ihrer Isolation befreit.“
[/caption]Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler erklärte angesichts der Aktion
„Die Aidsbekämpfung in Deutschland ist international vorbildlich. Sie ist erfolgreich, weil sie von vielen Unterstützerinnen und Unterstützern getragen wird. Ihnen danke ich für ihr Engagement und ich wünsche mir, dass wir auch in Zukunft gemeinsam gegen HIV/ AIDS kämpfen. Wir werden weiter hart arbeiten müssen, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Die Präventionserfolge der vergangenen Jahre bilden eine gute Basis dafür. Ich freue mich, dass ich heute die Gelegenheit habe, mich als Botschafter für die Welt-Aids-Tag-Aktion stark zu machen. Ich hoffe, dass Viele es mir nachmachen.“
Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) stellt die Bedeutung der Solidarität mit Menschen mit HIV und Aids heraus. Sylvia Urban, Vorstand der DAH:
„HIV-Positive werden in unserer Gesellschaft immer noch stigmatisiert – z.B. am Arbeitsplatz. Immer mehr Menschen mit HIV arbeiten – von den etwa 67.000 HIV-Infizierten in Deutschland sind es mehr als zwei Drittel. Viele verstecken ihre Krankheit aus Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes und aus Angst vor Diskriminierung und Mobbing. Daher macht die DAH das Thema „HIV und Arbeit“ anlässlich des Welt-Aids-Tags und 2010 zu einem ihrer Schwerpunkte, um Arbeitgeber, Beschäftigte, Betriebsräte, Mitarbeiter von Arbeitsagenturen, aber auch Betriebsärzte und die gesamte Gesellschaft auf die Missstände hinzuweisen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Wir müssen auch irrationale und unbegründete Ängste abbauen, denn am Arbeitsplatz kann man sich nicht infizieren.“
Neben der Primärprävention auch die Belange und Situation von HIV-Positiven zum Thema der Welt-Aids-Tags – Aktion zu machen, Diskriminierung und soziale Isolation von Menschen mit HIV zu thematisieren ist zu begrüßen.
Und dass Bundesgesundheitsminister Rösler symbolisch „Menschen mit HIV aus ihrer Isolation befreit“, setzt ein Zeichen. Möge die Aids- und Gesundheitspolitik diesem symbolischen Bekenntnis Taten folgen lassen.
Besonders schön wäre es gewesen, wenn in den Kugeln, die die gesellschaftliche Isolation symbolisierten, nicht Studenten zum Gelderwerb gelaufen wären, sondern reale Menschen mit HIV.
„Mach’s mit“, fordert die BZgA zur Kondombenutzung auf – und ermöglicht neuerdings im Rahmen ihrer neuen „Liebesorte“-Kampagne, auch eigene Motive zu erstellen.
‚Mach’s mit‘, die HIV-Präventionskampagne der Bundeszentrale für gesundheitsliche Aufklärung (BZgA) läuft seit 1993. Seit März 2009 mit der neuen Kampagne „Liebesorte“, zu deren Entstehung die BZgA mitteilt
„Die Idee zur aktuellen „Liebesorte“-Kampagne stammt von Dörte Matzke, Studentin an der Fachhochschule Potsdam, und wurde damals [2005, d.Verf.] von der Wettbewerbsjury zu einem der beiden Gewinnerbeiträge gekürt.“
Seit kurzem ermöglicht die „Liebesorte“-Kampagne auch ein aktives Mitmachen: „Zeig uns deine Liebesorte!“, fordert die Internetseite der Kampagne auf und ermöglicht (z.B. durch Hochladen eigener Fotos) das Erstellen eigener „Liebesorte“-Motive.
Die eingereichten Motive können in einer Galerie betrachtet und bewertet werden. Ob unter allen eingereichten Motiven ein Wettbewerb ausgelobt werden soll, ist noch nicht entscheiden (die Teilnahmebedingungen sehen diese Möglichkeit aber bereits vor).
„Zum fünften Mal zeichneten die Aktion Mensch und die Stiftung Digitale Chancen die besten barrierefreien Webseiten mit der BIENE aus. Die Expertenjury hat aus weit über 300 Bewerbungen 19 Preisträger ausgewählt. Das Kampagnen-Portal www.welt-aids-tag.de wurde in der Kategorie „Komplexe Gemeinschafts- und Interaktionsangebote“ mit einer silbernen BIENE ausgezeichnet.“
Quelle welt-aids-tag.de
weitere Informationen: Biene Award
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„Es geht um das Leben. Zwar das Leben mit einer Krankheit, aber eben nicht um das Sterben“, skizzierte Elisabeth Pott die Ausgangssituation der neuen Präventionskampagne ‚ich weiss, was ich tu!‚.
Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), betonte, man stehe vor ganz großen neuen Herausforderungen.
Auch heute sei es -nicht nur fernab, im Ausland, sondern auch in Deutschland- die Situation noch so, dass keineswegs jeder offen schwul sein kann, offen mit HIV leben kann, ohne diskriminiert zu werden. Die Kampagne leiste einen wesentlichen Beitrag dazu, Aids in der heutigen Zeit, mit den heutigen Lebenssituationen ein Gesicht zu geben und Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Dies sei ein zentrales Anliegen und sehr gut gelungen an der neuen Kampagne. Und genau dies sei auch Voraussetzung für wirksame Prävention.
Die BZgA habe die DAH seit langem unterstützt und werde dies auch weiterhin tun. „Nur wenn die Regierung hinter einem solchen Programm steht und es auch mit verantwortet und trägt, glaube ich dass wir in der Gesellschaft erreichen können, dass diese Dinge sich auch weiterhin durchsetzen …“, wandte sich Pott an die ebenfalls anwesende Marion Caspers-Merck, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.
Niemand nehme daran Anstoß, dass in bestimmten Tageszeitungen beinahe täglich eine nackte Frau abgebildet werde. „Aber wenn gute Kommunikationsarbeit gemacht werden muss, die dem Lebensschutz dient, die dem Schutz vor Krankheiten dient, dann sind viele sehr schnell dabei zu kritisieren ob man das denn wirklich so sagen muss, ob man das wirklich so zeigen muss“. Dieser Kampf sei schon über viele Jahre geführt worden.
Man habe bereits einen langen insgesamt erfolgreichen Weg zusammen zurück gelegt, beschrieb Pott die bisherigen Jahre der Zusammenarbeit von BZgA und DAH. Es sei eine lange ‚Ehe‘ zwischen Bundeszentrale und Aidshilfe – auch mit Schwierigkeiten, wie in jeder normalen Ehe. Ein Gefühl von Silberhochzeit könne sie beinahe überkommen, betonte Pott – und erhielt aus dem Publikum den Zuruf „ich will die Scheidung!“.
„Aus Furcht, dass populistische Medien (und Politiker) Aids als Vorwand zum Schüren von Ängsten nutzen, verzichtet man vorläufig lieber gleich auf unhysterisch stimmende Aufklärung.“
Zu diesem Schluss kommt (nicht nur) Jan Feddersen, der in der taz über eine Informationskampagne der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) berichtet, die von der Bundeszentrale für gesundheitlicher Aufklärung verhindert wird.
Eigentlich sollte die Kampagne „Ich weiss was ich tu!“ schon längst laufen – doch selbst banalste Botschaften, die früher problemlos gedruckt worden wären, unterliegen nun der Zensur der Gesundheitsbürokratie.
Ein lesenswerter Artikel aus dem Tollhaus der gesundheitlichen ‚Aufklärung‘ …
… der auch ein wenig beleuchtet, in welchem Umfeld es sowohl zu der (inzwischen von zahlreichen weiteren Personen und Institutionen unterstützten) Resolution einiger Positiver auf der Frankfurter Ethik-Konferenz (bewusst unter dem gleichen Titel „Ich weiss was ich tu!„) kam, als auch zum Zwischenruf „verantwortungslose Positive“ … Nebenbei, dass die Kampagne der DAH bisher von der BzgA verhindert wird, die DAH dies mehr oder weniger klaglos hinnimmt, wirft auch die Frage auf, warum denn die DAH hier nicht lauter protestiuert, sich für ihre stolz entwicklete und präsentierte Kampagne einsetzt, eigene Haltung zeigt. Ach ja, Haltung … das hatten wir ja schon … ist an manchen Stellen unterentwickelt …
Bei Diskussionen über das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, bei Reaktionen, bei Gesprächen über die Frage welche Bedeutung dieses für das Sex-, Liebes- und Beziehungsleben von Menschen mit HIV und Aids haben kann, und ob man ihnen diese frohe Botschaft überhaupt sagen dürfe, ist von Politikern, Bürokraten aber auch einigen Präventionisten oft (selten im Klartext, gern zwischen den Zeilen oder höflich verbrämt) der Gedanke zu hören, „die Positiven“ seien doch „viel zu verantwortungslos“ um mit dieser neuen Freiheit adäquat umgehen zu können.
Dieses Gerede von „diesen verantwortungslosen Positiven“, denen man „sowas ja nun nicht auch noch sagen“ dürfe – es macht mich zunehmend wütend, zornig.
Woher meinen Menschen, die solche Aussagen in die Welt setzen zu wissen, wie sich „die Positiven“ verhalten?
Wie bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen gilt, es gibt nicht dieses absolute „die“. Vermutlich wird es auch in der großen Gruppe mit HIV infizierter Menschen einige geben, die sich gelegentlich so verhalten, wie es manche mit dem Begriff „verantwortungslos“ umschreiben. Aber – dies dürfte wohl für die Mehrzahl der HIV-Positiven so nicht gelten.
Ich bin im Verlauf der letzten Jahre vielen Positiven begegnet, auf Bundespositiven-Versammlungen, Positiventreffen, bei lokalen Veranstaltungen. Oftmals ist bei diesen Treffen -wie auch jüngst vor einigen Tagen- eines der Themen, wie lebe ich mein sexuelles Leben, wie gehe ich mit Fragen des safer sex, mit Verantwortung und ‚Fallenlassen‘ um. Und in den meisten Fällen bewundere ich, wie intensiv sich HIV-positive Männer und Frauen mit ihrem HIV, ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, welch ausgefeilte Strategien eines individuellen Risiko-Managements sie sich für die verschiedensten Situationen erarbeitet haben. Dabei ist immer wieder auch zu merken: mehr als alles andere haben HIV-positive Menschen vor einem Angst: dass andere sich bei ihnen mit HIV anstecken.
Sicher mag es auch bei diesen Strategien in Einzelfällen zu ‚Ausrutschern‘ oder ‚Versagen‘ kommen. Aber in der Mehrzahl gehen Menschen mit HIV nach (nicht nur) meinem Erleben mit ihrer Infektion und insbesondere möglichen Übertragungs-Risiken sehr informiert und überlegt um.
Verantwortungslos ist die Mehrzahl der Positiven nicht – verantwortungslos scheint mir dagegen sehr wohl dieses populistische Gerede, das fadenscheinigen Zwecken dient.
HIV-Positive pauschal als „verantwortungslos“ zu titulieren ist eine Beleidigung für all die Menschen, die sich bemühen, verantwortungsbewusste Wege zu finden, mit sich, ihrem HIV, ihrem Sexleben, ihren PartnerInnen umzugehen.
Mir scheint, manche schaffen es auch, Ihre Vorurteile hinter verbrämten Formulierungen zu verbergen. Ein Beispiel meinte ich jüngst zu erleben.
Frau Professor Dr. Elisabeth Pott befasste sich in ihrer Rede zur Eröffnung der Frankfurter ‚Ethik-Konferenz‘ am 19. Juni 2008 auch mit dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission und den Folgen für die Prävention. Mit den Risiken, weniger den Chancen. Welche Gefahren bewegen Frau Professor Pott? Nun, das sagte sie recht deutlich. Gefährlich seien am Statement der EKAF die -so wörtlich- „Entwarnungs-Effekte“.
„Entwarnungs-Effekte“ – man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wonach schmeckt es?
Vor wem oder was wird denn da gewarnt? Und, wer warnt baut Droh-Kulissen auf. Prävention mit Angst? Angst vor Menschen?
Oder, andere Frage, was ist so schlimm daran, wenn Menschen mit HIV endlich ein wenig weniger Angst haben dürfen, sie könnten ihre Partnerin, ihren Partner womöglich riskieren? Was empfindet, wer so etwas sagt, als so gefährlich? Die Freiheit, die sich hier eröffnet? Die Hoffnung, dass auch Menschen mit HIV unter bestimmten Umständen wieder ein unbefangeneres, weniger konfliktbeladenes Sex-Leben haben können?
Und – wer sagt so etwas? Nun, Frau Professor Pott ist nicht irgendwer. Sondern die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), somit oberste ‚Aids-Präventionistin‘ des Landes …
Wer angesichts der neuen Beurteilung der Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ spricht, hat sicher nicht die Verbesserung der Situation von Menschen mit HIV und Aids im Sinn, freut sich nicht über Ent-Stigmatisierung und Abbau von Angst. So wird an neuen Drohkulissen gearbeitet – und zu denen braucht es eins, das Märchen vom „verantwortungslosen Positiven“.
Der Delegiertenrat der DAH hat in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand folgenden Beschluss gefasst:
Neue Wege sehen – neue Wege gehen!
Die HIV-Prävention wird einfacher, also komplexer
Die Reaktionen auf die Botschaft der EKAF in der Schweiz haben eine grundlegende Debatte über realistischere Risikoeinschätzung und die Infektiösität von Menschen mit HIV und AIDS forciert.
Die nunmehr öffentlichen Informationen können für Menschen mit HIV und AIDS eine konkrete Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -Perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglichen. Sie entlasten serodiskordante Paare unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und erleichtern in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV und AIDS.
Somit können Stigmatisierung und Diskriminierung – auch in juristischer Hinsicht – vermindert und Solidarität gefördert werden.
Zudem werden unsere bisherigen Präventionsbotschaften sinnvoll und wirksam ergänzt.
Auf der Grundlage des im Leitbild formulierten Menschenbildes ist es Ziel der DAH, Menschen dazu zu befähigen und ihnen zu ermöglichen informiert, selbst bestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV und AIDS umgehen zu können.
„Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger Menschen wissen aber zugleich um die Grenzen der Prävention.“
Wir werden daher weiterhin und verstärkt niedrigschwellige und umfassende Informationen zur Verfügung stellen, um kompetentes und differenziertes Risikomanagement zu ermöglichen.
Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung gewinnen auch für die Prävention an Bedeutung. Die DAH sieht daher dringenden Bedarf, die bisherige Datenlage durch intensivere Forschung zu verbessern.
Gerade hier spielt die AIDS-Hilfe eine entscheidende Rolle, da sie in der Lage ist, solche Ergebnisse und deren Auswirkungen auf die Lebenssituation ihrer Zielgruppen zu interpretieren und in lebenspraktisches Risikomanagement umzusetzen.
Die DAH muss diese Informationen in ihrer Arbeit aufgreifen und umsetzen – beispielsweise im Internet, den Printmedien, der Aufklärungs- und Beratungsarbeit vor Ort und in ihren Präventions-Kampagnen (aktuell die Kampagne „Ich weiß, was ich tu“).
Diese Haltung gilt es konsequent gegenüber der Öffentlichkeit und unseren Kooperationspartnern einzunehmen und zu vertreten
Berlin, 08.03.2008
Nachtrag 16.11.2008:
Über Ergänzungen zur Haltung im Rahmen der Diskussionen und Bedenken zur EKAF-Veröffentlichung seitens der AG Prävention berichtet koww.
Zu engagierte Debatten kam es am Freitag Morgen (14.3.2008) bei der Podiumsdiskussion unter dem Titel „Aktuelle Kontroverse: Kondomverzicht bei nicht nachweisbarer Viruslast möglich?“
Auf dem Podium: Prof. Pietro Vernazza (Schweiz), Roger Staub (BAG Schweiz), Prof. Bernd Salzberger (Regensburg), Bernd Vielhaber, Dr. Dirk Sander (DAH), sowie als Moderatoren Rainer Kamber (Aidshilfe Schweiz) und Armin Schafberger (DAH).
Prof. Vernazza betonte, mit der Publikation des EKAF-Statements habe auch eine ‚Doppelbödigkeit‘ beendet werden sollen. Was einzelne Ärzte, oftmals unter dem Siegel ‚nur für Sie‚, schon lange ihren Patienten sagen, müsse nun endlich auch offen ausgesprochen werden. Die Datenlage sei reif genug gewesen für diesen Schritt.
Generell habe nicht die Biologie zum EKAF-Beschluss geführt, sondern die Epidemiologie,die Biologie habe dann nur dieses mit Daten bestätigt.
Zum Analverkehr bei Heteros sei die Datenlage knapp, noch knapper bei Analverkehr zwischen Männern die Sex mit Männern haben (MSM). Allerdings sei ein Analogieschluss zum Vaginalverkehr möglich und zulässig, wie er detailliert anhand einer Diapräsentation erläuterte.
Prof. Salzberger befasste sich mit der Frage, wie hoch das Risiko einer HIV-Übertragung sei, und welches Risiko als tragbar erachtet werden könne.
Ein Risiko von 1 zu 100.000 erscheine zunächst gering – aber selbst beim Lotto mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 13 Mio. (für ‚6 Richtige‘) gewinne jeden Samstag jemand. Er erachte ein Risiko von 1 : 100.000 (auf das sich das EKAF-Statement bezieht) als nicht niedrig genug und bleibe skeptisch.
Salzberger betonte zudem die Bedeutung sexuelle übertragbarer Infektionen (STDs) für die Infektiosität. Insbesondere ulzerierende STDs seien hier zu beachten. Die Frage, ob auch latente Infektionen (besonders mit HSV2) epidemiologisch relevant seien, wurde zwischen ihm und Vernazza kontrovers diskutiert.
Roger Staub entgegnete auf Salzbergers Risiko-Betrachtungen, für Public Health sei es wesentlich, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. Hier falle doch zunächst das Fehlen jeglichen Berichts von belegten Infektionen (unter den von der EKAF betonten Bedingungen) in den vergangenen Jahren auf. Das Einzelfall-Risiko bei Kondombenutzung bezifferte er auf 1 : 30.000 – angesichts dieses Einzelfall- Risikos verstehe er die Aufregung um ein Risiko von 1 : 100.000 (Infektiosität bei erfolgreicher Therapie und keine STDs) überhaupt nicht.
Salzberger betonte in einer Replik, auch er erachte die von der EKAF veranschlagte Risiko-Einschätzung von 1 : 100.000 als ‚gute Obergrenze‘, die Berechnungen halte er für zutreffend. Es gebe aber eben in Form von Kondomen eine breit und preisgünstig verfügbare Möglichkeit, das Übertragungsrisiko noch einmal um den Faktor 100 zu reduzieren. Auch er sehe, dass es keine 100%ige Sicherheit gebe, stelle sich aber die Frage, was einzusetzen sei, um ein mehr an Sicherheit zu erhalten.
Staub betonte im Verlauf der Debatte, das Statement der EKAF ermächtige die Menschen gerade, selbst eine Entscheidung zu treffen. Es gehe darum, nicht aus der Medizin heraus eine höhere Sicherheit zu postulieren, sondern ‚das müssen die Menschen selbst machen‘. Hierzu wolle die EKAF ermächtigen, hierzu müssten Informationen und Wissen bereit gestellt werden.
Dr. Dirk Sander betonte, es gehe in der laufenden Debatte um Menschen – und nicht um Techniken. Es gelte zu vermeiden, jetzt wieder das Bild des ‚triebgesteuerten Homosexuellen‘ zu reaktivieren. Zudem zeigte er sich zuversichtlich, dass die Aidshilfe auch komplexere Risiken kommunzieren könne, dies haben auch Erfahrungen der vergangenen Jahre zahlreich gezeigt. Er forderte mehr Mut – die derzeit heiß diskutierten Informationen seien doch eh schon lange Teil des individuellen Risiko-Kalküls.
Auch ’safer sex‘ beinhalte ein Risiko, sei keinesfalls die ‚Null-Risiko-Alternative, für die sie gerne gehalten werde, betonte Bernd Vielhaber. Dieses Risiko sei nur bisher kaum kommuniziert, wahrgenommen worden. Statt mit Angst auf die jetzigen Veränderungen zu reagieren, wäre es doch produktiver, nach vorne zu denken und proaktiv in die Diskussion einzusteigen.
Im Verlauf der anschließenden Diskussion (mit Publikumsbeteiligung) wurden die Unterscheide zwischen der medizinischen / Behandler-Perspektive und der epidemiologischen / public health- Perspektive nochmals deutlich. Beide Sichtweisen anzunähern, wo möglich zu vereinen sei auch zukünftig eine Herausforderung. Erfahrungen public-health- und Aids-Debatten der letzten 20 Jahre zeigen, dass es möglich ist, die anstehenden Fragen in konkrete und vor Ort verständliche Präventionsbotschaften umzusetzen – die Frage sollte mit Zuversicht statt Skepsis angegangen werden.
Erforderlich sei jetzt allerdings eine zwar engagierte, aber unaufgeregte Diskussion, war einhellige Meinung.
Vernazza wies abschließend darauf hin, dass die EKAF im Juni ein ‚closed meeting‘ organisieren werde, bei dem Wissenschaftler und Regierungsvertreter unterschiedliche Auffassungen wie auch Gemeinsamkeiten und Ziele diskutieren würden. Die Gemeinsamkeiten würden überwiegen, zeigte er sich zuversichtlich.