Saudi-Arabien – Konterrevolution und Abschiebung HIV-Positiver

In vielen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens kämpfen Menschen für mehr Freiheit und gegen Unterdrückung. Saudi-Arabien hingegen stellt sich zunehmend auf die Seite totalitärer Herrscher. Für Menschen mit HIV heißt es in Saudi-Arabien: Saudi = bleiben und Therapie, Ausländer = sofortige Abschiebung.

‚Arabischer Frühling‘ – Tunesien und Ägypten haben sich von diktatorischen Regimen befreit (Ben Ali, ex-Diktator Tunesiens, floh nach Saudi-Arabien), beide Staaten suchen nach neuen Wegen. Libyen ist in Aufruhr, Syrien ebenfalls. In Jordanien scheint sich König Abdullah II. den Forderungen nach Reformen zu beugen. Unruhen auch in Bahrain – die von Soldaten aus Saudi-Arabien vorerst niedergeschlagen wurden. Der Jemen steht kurz vor einem Bürgerkrieg zwischen Aufbegehren für mehr Freiheit, Stammesfehden und diktatorischem Herrscher – der zur Behandlung im Ausland weilt, in Saudi Arabien.

Saudi-Arabien, das Land der Wahhabiten (einer sehr konservativ-dogmatischen sunnitischen Richtung des Islams, die dort Staatsreligion ist) gilt als Bastion des Konservatismus – und Saudi-Arabien scheint sich zunehmend als Motor einer ‚Gegen-Revolution‘ gegen den ‚arabischen Frühling‘ zu verstehen.

Wie steht es um HIV und Aids, wie um die Situation HIV-Positiver in diesem Staat?

HIV: Epidemiologische Situation in Saudi-Arabien

Das offizielle ‚Epidemiological Fact Sheet‘ der Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS verzeichnet keinerlei Angaben.

Dem ‚Country report Saudi Arabia‘  von UNAIDS zufolge (der auf saudischen Angaben basiert) lebten Ende 2008 13.926 Menschen mit HIV in Saudi-Arabien (für 2010 spricht ein Report von 15.213 Fällen); 3,538 (25,4%) waren Staatsbürger Saudi-Arabiens, 10.388 (74,6%) Ausländer. Der hauptsächliche Übertragungsweg sind dem Bericht zufolge „heterosexuelle Beziehungen“ mit einem Anteil von 88% (9% iv-Drogengebraucher/innen, 3% Mutter-Kind-Übertragung). 74% der saudischen HIV-Positiven sowie 54% der HIV-positiven Ausländer seien männlich.

Anderen Berichten und Schätzungen zufolge gelten diese Zahlen als weitaus zu niedrig. Eine Schätzung von UNAIDS 2003 ergab einen Anteil von 0,3% HIV-Positiver an der Gesamt-Bevölkerung, was etwa 45.000 HIV-Positive bedeuten würde.

Die Zahl der jährlichen HIV-Neudiagnosen steigt in Saudi-Arabien seit einigen Jahren stetig an. Als einer der Haupt-Gründe wird unzureichende Unterrichtung in Safer Sex gesehen.

Unter den 20 Provinzen Saudi-Arabiens findet sich die höchste HIV-Inzidenz in Jeddah (Dschidda) mit einem Anteil von 37% aller saudi-arabischen HIV-Diagnosen bei saudischen Staatsbürgern und 46% der Ausländer mit positivem HIV-Status. An zweiter Stelle mit einem Anteil von 25% (saudische Staatsbürger mit HIV) liege die Region Riad.

Der erste Fall von Aids sei bereits 1984 in Riad festgestellt worden. Die ersten Fälle von HIV-Infektionen seien auf importierte kontaminierte Blutprodukte zurück zu führen gewesen.

Homosexualität wie auch Prostitution seien schon angesichts des religiösen, sozialen und kulturellen Hintergrunds in Saudi-Arabien sehr selten, so der Bericht. Homosexualität werde als ‚kriminelles soziales Übel‘ betrachtet und strafrechtlich verfolgt.

Prostitution ist verboten und wird strafrechtlich verfolgt. Der Vertrieb von Kondomen ist in Saudi-Arabien illegal und ‚könnte als Strategie betrachtet werden, außerehelichen Geschlechtsverkehr zu erleichtern‘. Dennoch sind Kondome in Apotheken in Saudi-Arabien erhältlich. Illegal sind ebenfalls Nadel-Tausch-Programme für Drogengebraucher/innen.

Saudi-Arabien: Die Situation HIV-Positiver

Saudi-arabische Staatsbürger mit einem positiven HIV-Test erhalten dem ‚Country report‘ zufolge freien und unbegrenzten Zugang zu Behandlung. Ausländer  mit positivem Testergebnis werden in der Regel abgeschoben (auch wenn der Bericht angibt, 15% von ihnen erhielten ebenfalls Zugang zu Behandlung).

Als Grund für die Abschiebung HIV-positiver Ausländer nennt der ‚Country report‘ die Sorge, HIV-Positive, die zunächst in Saudi-Arabien antiretrovirale Medikamente erhielten, könnten im Fall ihrer Heimkehr (und dort nicht erfolgender antiretroviraler Behandlung) Resistenzen entwickeln.

Besonders gravierend ist die Situation im Land lebender HIV-Positiver Schwuler. Die New York Times zitiert 2006:

„Du lebst in der ständigen Angst entdeckt und angegriffen zu werden. Ich bin mir sicher ein Haufen Menschen würden denken, ich habe ganz zu recht das was ich habe, wenn sie davon wüssten.“

Dennoch ist Feisal mit seiner medizinischen Situation zufrieden:

„Ich muss unsere Regierung loben. Wir bekommen die Medikamente unentgeltlich. Wir bekommen unentgeltlich Behandlung. Und die Behandlung ist vertraulich.“

Seine soziale Situation allerdings sieht er trist:

„Wäre ich Bürger der USA oder eines Staates in Europa, ich würde leben wollen. Aber hier gibt es kein schwules Leben, geschweige denn ein HIV-positives Leben.“

HIV: Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen in Saudi-Arabien

Ausländer, die in Saudi-Arabien arbeiten wollen, benötigen ebenso wie Ausländer, die sich dort niederlassen wollen nach Angaben von hivtravel.org (auf Basis von Angaben der deutschen Botschaft in Riad) einen HIV-Test mit negativem Ergebnis. Der Test erfolge bei Einreise, Menschen mit HIV-positivem Status würden abgeschoben. Zudem seien Deportationen von Personen, die HIV-positiv sind, berichtet worden.

Die US-Regierung fasst zusammen

„Saudi Arabia has not imposed HIV/AIDS travel restrictions on any particular group of travelers. All travelers who are coming to work in the Kingdom must undergo a medical exam and present a medical report confirming that they are free from contagious diseases, including HIV/AIDS. Any worker testing positive for HIV/AIDS will not be allowed to work in the Kingdom.“

Saudi-Arabien: Nationale Aids-Strategie und Nationale Aids-Politik

Saudi-Arabien hat eine nationale Aids-Strategie (National Aids Plan 2010 – 2015). Kennzeichen der Nationalen Aids-Politik sind u.a.

  • In Saudi-Arabien gibt es 20 ‚VCT center‘ (HIV-Testzentren). Ein HIV-Test ist seit 2008 vor der (heterosexuellen) Eheschließung Pflicht. Sollte der Test positiv ausfallen, ist eine Heirat nur mit Ausnahme-Genehmigung des Justizministeriums möglich.
  • Umgerechnet 20 Mio. US-$ (75 Mio. Rial) sind 2008 für den Kampf gegen Aids ausgegeben worden, die Hälfte davon für die Beschaffung von Aids-Medikamenten.
  • Die Versorgung HIV-positiver mit antiretroviralen Medikamenten erfolgt über acht darauf spezialisierte Behandlungszentren. Im Jahr 2009 erhielten 1.125 HIV-positive Erwachsene und Kinder antiretrovirale Medikamente (2008: 865).
  • 2008 wurden zwei ‚Nicht-Regierungs-Organisationen für Menschen mit HIV‘ gegründet (und staatlich zugelassen und finanziell unterstützt), die ‚Saudi Charity Association for AIDS patients‘ in Jeddah und die ‚philanthropic organization for the care of AIDS patients‘ in Riad.
  • Sozialwissenschaftlich erhobene Daten zu HIV und Aids in Saudi-Arabien fehlen (u.a. aufgrund fehlender entsprechender Forschung) nahezu völlig. Besonders für Monitoring und Evaluation sei die Hilfe internationaler Organisationen erforderlich.
  • Die (vom Gesundheitsministerium indirekt eingestandene Notwendigkeit einer) Anerkennung der Tatsache, dass es auch in Saudi-Arabien Prostitution sowie Homosexualität gebe werde noch Jahre erfordern angesichts der tief verankerten sozialen, kulturellen und sozialen Werte, so der ‚Country report‘.

Saudi-Arabien bemüht sich in jüngster Zeit, seine Aids-Politik zu ‚exportieren‘, insbesondere in Nachbarstaaten des Golf-Kooperations-Rates. Hierzu wurde im April 2011 die ‚Saudi initiative to combat AIDS in GCC countries‘ gegründet

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weitere Informationen:
UNAIDS: Saudi Arabia – 2010 Country Progress Report (pdf)
Adel Alothman et al.: What is the Real Prevalence of HIV-Infection in Saudi Arabia? Infectious Diseases: Research and Treatment 2010:3 41–44 (pdf)
HIVtravel.org: Saudi-Arabien
Returned to Risk – Deportation of HIV-Positive Migrants. Bericht (2009) von Human Rights Watch, Deutscher Aids-Hilfe, EATG und African HIV Policy network (pdf)
Konsularabteilung des US-Außenministeriums: Saudi Arabia
New York Times 08.08.2006: Saudi Arabia Begins to Face Hidden AIDS Problem
Badahdah A M: Stigmatization of persons with HIV/AIDS in Saudi Arabia (abstract)
arab news 17.4.2011: New initiative launched to combat HIV/AIDS
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In der Reihe zum ‚arabischen Frühling‘ erschienen bisher:
03.02.2011: Ägypten: Mubarak, das hieß auch Verfolgung und Gewalt gegen HIV-Positive
22.02.2011: HIV und Aids in Nordafrika und im Nahen Osten
26.02.2011: HIV/Aids in Libyen: wenig Fakten und ein inszenierter Schau-Prozess
09.05.2011: Syrien: Aids-Politik mit ideologischen Scheuklappen
07.06.2011: “Warum sollte sich ein Kranker für seine Krankheit schämen?” – erstmals berichtet ein HIV-Positiver in Ägypten
10.06.2011: Libyen: Richter des Aids-Schauprozesses zu Rebellen übergelaufen
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