Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld

Ab jetzt laufen die Programme richtig los. Mein Spezialgebiet ist der Track E – Health Economics ( Gesundheitsökonomie ).

Das ist für die meisten ja nicht so ein interessantes Gebiet, aber mir persönlich sagen diese Dinge einiges, und ich finde als Positive sollten wir uns solchen Diskussionen auch stellen. In Washington nehmen sie jedenfalls einen großen Raum ein. Wenn wir diese Diskussionen vermeiden, werden sie also ohne uns geführt – und das kann einem ja erst recht nicht gefallen.

Chart des Vormittags:
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts

Das Bild zeigt, das durch den Einsatz einer ART die Arbeitsfähigkeit der Positiven wieder zunimmt, um im Laufe der Zeit fast 90 % des alten Werts zu erreichen. Das finde ich sehr ermutigend. Die Untersuchung war eine Langzeitbetrachtung mit einer große Zahl von Positiven in Süd-Afrika. Das Ganze ist in der Grafik dann etwas aufgehübscht mit Statistik. Wichtig sind die blauen Punkte. Diese sinken vor dem Beginn einer ART (= gestrichelte Linie) kontinuierlich ab. Das bedeutet, dass die Menschen immer weniger arbeiten – im allgemeinen also arbeitslos werden, weil sie nicht mehr können. Danach steigen die Punkte wieder an fast auf das Ausgangsniveau der roten Linie – d.h. die Menschen arbeiten wieder fast genau so viel wie vorher.

Chart des Nachmittags:

nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !
nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !

Das Bild zeigt, daß in der Ukraine 2010 nur maximal 19% der Menschen, die eine ART benötigen, diese dann auch wirklich erhalten. Dabei ist noch nicht einmal die Frage angeschnitten, ob diese ART die optimale ist. Das ist unterste Schublade! 80% der Positiven bleiben unversorgt und haben deshalb das Risiko, früher als notwendig zu sterben. Wenn man sich ansieht, dass in den anderen Balken auch keine schwerreichen Industrieländer stehen, dann kann man, habe ich das Gefühl,bei der Ukraine schon von einem AIDS-Schurkenstaat sprechen.

Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto
Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto

Es gab aus der Leserschaft eine Rückfrage zum Global Village [als Kommentar zuRolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister„; Anm. ondamaris]: ob die von mir beschrieben „Lebendigkeit“ im Golbal Village „nur“ von Konferenzteilnehmern verursacht ist, oder ob auch die „unbeteiligte“ Bevölkerung rein geht. Gestern am Eröffnungsabend waren nach meinem Eindruck eher Fachbesucher da. Heute hatte ich den Eindruck, dass der eine oder andere Nicht-Fachmann da war. Aber im Wesentlichen sind es Menschen, die zur Konferenz gekommen sind. Die vielzitierte Offenheit für alle wird eher nicht wahrgenommen. Meine Unterscheidung würde ich am zweiten Tag auch eher abgrenzen mit „ehrenamtlichem HIV“ im Village gegenüber „angestelltem HIV“ in der Kongressausstellung – aber ganz trennscharf ist das auch nicht, weil auch viele im HIV-Bereich Erwerbstätige im ‚Global Village‘ sind (zum Beispiel das Spitzenteam der DAH). Ich guck da noch mal weiter hin.

das Spitzen-Team der DAH im Global Village
das Spitzen-Team der DAH im Global Village

Country Ownership

Diskussions-Panel zu PrepFAR
Diskussions-Panel zu PrepFAR

Hab in einem Abendpanel versucht etwas über PEPFAR (The U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief) und COUNTRY OWNERSHIP zu lernen.

Das Programm rettet unbestritten Leben, es scheint aber auch Mechanismen zu enthalten, die zu einer Aneignung des Landes durch die Geberländer führen können (ich frage mich, wie weit hat es Aspekte von Kolonialisierung, wenn Empfänger-Länder sich, um Mittel aus PrepFAR zu erhalten, konform zu den Werten des Geberlandes USA verhalten müssen?)

Interessant fand ich den Beitrag eines der weltgrößten Minenkonzerne der Welt. Die haben für Ihre Angestellten in Süd-Afrika vor einigen Jahren eine Kranken- (und auch HIV-) Versorgung auf eigene Kosten eingeführt. Ich gehe davon aus, dass diese ähnlich arbeitet wie die bestehende Arbeitgeberversicherungen in den USA. Nur 5% der Lohnsumme kostet es derzeit den Konzern, diese Struktur zu unterhalten. Die Produktivitätsverluste nur durch HIV waren vor der Einführung mehr als 3 mal so hoch. Es rechnet sich also!

Vermutlich bindet es die Arbeiter auch enger an das Unternehmen. Zumindest als Positiver hat man dann ein starkes Interesse nicht seinen Arbeitsplatz zu verlieren. An Streiks wird man wohl daher weniger gern teilnehmen. Das ist aber reine Spekulation – so hat das der freundliche Herr von der Firma nicht ausgeführt. Gleichwohl wäre es ungerecht, dem Herrn nur ein oberflächliches Interesse an dem Thema zu unterstellen. Er sitzt in vielen Organisationen zu HIV an entscheidenden Stellen.

Präsidententratsch des Tages:

Vermutlich nun aber wirklich das letzte Mal Obama: Ich traf den positiven Consultant B., der mir nach einigen unterhaltsamen Sätzen zu den Unterschieden von Annahmen, Eindrücken, Fakten und Ergebnissen in der empirischen Männerforschung seine Einladung zum „Seated Dinner“ bei Präsident Obama am kommenden Donnerstagabend zeigte.

B. hatte schon aufgrund von Charme, Intelligenz und sicherlich auch persönlichen Verdiensten um die Sache der Positiven diese Einladung verdient – aber ich habe ihn doch wohlwollend beneidet um einen ABEND mit dem gutaussehenden Herrn im Weißen Haus (das hat B. dann noch mehr gefreut – zumal er versicherte, dass die Einladung völlig unerwartet in seinem Briefkasten gelandet sei und er sich diese Ehre auch nicht ganz erklären könne – manchmal ist das Schicksal doch gerecht!).

Er ist bisher der einzige, den ich getroffen habe, der da hingehen darf – ich kenne nicht mal jemanden der jemanden kennt der da hingeht. Oder sitzen die beiden am Ende wirklich zu zweit beim Candellight Dinner ….. ???

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
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5 Gedanken zu „Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld“

  1. Vielen Dank (an) Roland für die Beantwortung meiner Frage . . .deine/seine Wahrnehmung . . . 🙂

    Um es mal vorweg zu sagen (nicht das man einen falschen Eindruck von mir bekommt). Ich wäre persönlich wär ich in Washington ebenfalls aufgeregt, überwältigt wie Bolle und hellauf begeistert „dabei sein zu dürfen“ being in the the USA (. .endlich mal n richtiges T-Bone Steak essen 😉 )

    In solch einer Situation auf emotionale Distanz zu gehen und Beobachter zu sein, auch kritisch zu hinterfragen ist nicht einfach. Insofern habe ich es da aus der Distenz einfacher. Das ich vieles kritisch sehe und auch hinterfrage liegt zum einen auch daran das ich das „Kassandra Gen“ habe. 🙂 Zum andren das ich z.b. was bestimme Themen wie „Alt werden mit HIV“ (mittlerweile bin ich 62, lebe seit 1985 mit den Virus, seit 15 Jahren unter ART und erfahre am eigenen Leib was diese Kombination mit mir macht, mich in der Bewältigung meines Alltages einschränkt) den Global Fund und was die Freihandelsverhandlungen – ACTA der EU und der USA mit div Freihandelszonen weltweit betrifft recht fit bin.

    Nach meiner Wahrnehmung sind eine Vielzahl der Themen/Summits/Workshps wenn ich mir die Tagesprogramme anschaue sehe „USA lastig – bezogen“.

    So finde ich es z.b. bemerkenswert das innerhalb der 1,5 Mio HIV positiven AmerikanerInnen Latinos und AfroAmerikaner (ich hoffe ich bin pol korrekt 😉 ) im Vergleich zu den restlichen Positiven mit HIV Therapien med unterversorgt sind. Mit dieser Situation befassen sich viel Summits/Workshops was gut ist.

    Was die Ukraine betrifft, ich denke mal das man das unter dem Aspekt der UDSSR sehen muß. Ich sage bewußt UDSSR wissend das es dieses politische Staatengebilde auf der Landkarte nicht mehr gibt. Dennoch ist die Haltung zu dem Thema HIV, Drogen, Homosexualität in den ehemaligen Ländern der UDSSR also Russland, Ukraine, Weißrussland etc schlicht und einfach katastrophal. Hier ist – wirkt sich der Einfluß, die Haltung von Russland in erheblichem Maß auf die ehemaligen Länder der UDSSR aus. So hat sich der Globale Fund aus Russland rausgezogen – ist rausgezogen worden.

    http://www.eatg.org/eatg/Global-HIV-News/TB-Malaria/Russia-Several-regional-hospitals-face-stock-outs-of-TB-medicines

    http://www.themoscowtimes.com/news/article/hiv-prevention-falls-short-as-funding-ends/453140.html

    Das durch „die Einnahme von ART die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zunimmt“ ist höchst erfreulich. Hoffnung zu haben das man trotz der Diagnose „Sie sind HIV +“ seine Lebenswünsche – Ziele heute bzw seit 1996 erreichen kann das ist in der Tat wunderbar. Manchmal soifze ich so vor mich hin und hätte mir das auch für mich gewünscht. Für mich war das 1997 kein Thema. Ich pers habe Jahre gebraucht um mir zu gestatten wieder in das Leben zurückzukehren.

    Alledings stellt ein „Test and Treat“ die eigene Wahl, Freiheit einer Entscheidung sehr stark in Frage.

    Das Thema „Health economic“ wird oder ist eines der Themen die immer stärker national unter dem Begriff „Public Health“ thematisiert werden. Ob wir da einen Einfluß darauf haben, an diesem Diskurs mit einbezogen werden, wage ich zu bezweifeln. Es greift da in die Gesundheitspolitk ein. Zum einen schweben da mit der Einführung von Truvada als Prep im Kontext zu den Schlüsselgruppen wie unser Dirk Niebel jetzt die ehemals „Risikogruppen“ bezeichnet bestimmte Scenarien in den Köpfen eine mögliche große Rolle. Zum anderen ist unsere Gesundheits – Politik sehr vom Lobbyismus geprägt. Was ist wenn die Schlüsselgruppen – der Einzelne Negative sich weigert eine PreP zu nehmen und sich später herausstellt das er/sie auf einmal HIV + ist? Der Gedanke das man dann sagt: Tja es gibt ne PreP, es lag in deiner Verantwortung Dich zu schützen, Du bist für Dich verantwortlich – Wir zahlen die Therapie die Du jetzt benötigst nicht.

    PEPFAR – Das Programm rettet unbestritten Leben, es scheint aber auch Mechanismen zu enthalten, die zu einer Aneignung des Landes durch die Geberländer führen können (ich frage mich, wie weit hat es Aspekte von Kolonialisierung, wenn Empfänger-Länder sich, um Mittel aus PrepFAR zu erhalten, konform zu den Werten des Geberlandes USA verhalten müssen?)

    Das ist genau die Politik – Position die unser Gesundheitsverhinderungsminister vertritt. Die Vergabe von Mittel zur Bekämpfung von HII/AIDS, Malaria und TBC in Afrika und anderen Ländern ist unmittelbar an Bedingungen verbunden. Es ist – da gebe ich Dir Recht – eine neue Form der Abhängigkeit, der Kolonialisierung.

    Vor diesem Hintergrund kommt der Zusammenarbeit mit einer Reihe von internationalen Organisationen, mit der Zivil­ge­sellschaft und der „Privat­wirt­schaft“ eine stra­te­gisch bedeutende Rolle zu. Quelle BMZ

    Wenn Niebel nach Afrika fliegt dann ist die Maschine voll von „Unternehmern“ die neue Absatzmärkte für ihre Produkte suchen mit der Begründung das dadurch die Wirtschaft in den entsprechenden Ländern gefördert hat was zur Folgen haben muß – sollte das durch den so entstehenden „wirtschaftlichen Aufschwung“ diese Ländern dann selbst in der Lage sind mehr zu tun i.e. selbst ihre Probleme angehen zu können. Den Deutschen Unternehmer, die eigene Klientel freut es natürlich. Und es entlastet den deutschen Steuerzahler. Wie sagte doch Nebel einst:

    Wir – das Entwicklungsministerium ist nicht mehr das Weltsozialamt . . .

    http://www.sueddeutsche.de/politik/fdp-minister-niebel-entwicklungsministerium-kein-weltsozialamt-1.79423

    http://alivenkickn.wordpress.com/2010/07/19/hivaids-2010-und-politik-wie-glaubwurdig-ist-politik/

    Auf Deine weiteren Berichte bin ich schon gespannt. 🙂 Ich wünsche Dir noch eine schöne Zeit in Washington DC . . . . . Ich hoffe Du kommst auch dazu etwas von dem „Land und Leuten“ ausserhalb der IAC kennenzulernen . . .

    LG alivenkickn . . . .

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