Fast verschlafen weil ich den Hotelwecker nicht gehört habe. Um 07:30 ist die Morgenkonferenz der Delegation im Hotelfoyer, auf der jeder erzählt, was er vorhat und man checkt, wer noch welche Hilfe braucht. Es gibt ja zwei „deutsche“ Stände, einer davon muß von der DAH „bespielt werden“, und heute hatten wir auch noch in der Pan European Networkingzone 2 Programme zu liefern. Nebenbei müssen alle auch immer noch versuchen, im Kongreßprogramm möglichst viel mitzubekommen und andere Termine wahrnehmen.
Da man auf der Konferenz nicht immer so richtig weiß wer positiv ist, habe ich mich heute in die Positivenlounge begeben. Das ist ein Bereich, in den nur Positive gehen dürfen und wer da drin ist, hat sich zumindest etwas geoutet (was ich ja auch gerade immer wieder übe).
Die Stimmung in der Lounge war dann aber anders, als ich es erwartet hatte. Man blieb etwas auf Abstand und kommunizierte eher mit Bekannten als mit Fremden – anders als im Global Village – oder man tippte lauter wichtige Dinge in sein Telefon.
Als ich dann noch bemerkte, dass einige Positive ihren Dreck einfach liegenlassen – damit der dann von den ehrenamtlichen Helfern weggeräumt wird – fühlte ich mich etwas wie in der Lufthansalounge am Frankfurter Flughafen.
Man ist irgendwie darauf bedacht, wichtig und toll zu erscheinen. Ich hätte natürlich vermutet, daß man unter Positiven sich genau anders verhält; dass man in einem geschützten Raum wie der wirklich netten, großzügigen Lounge offener und entspannter aufeinander zugeht.
Im Kongreß geht es viel um Verteilungsfragen und das durchaus mit gutem Niveau (die Ginimaße grüßen).
Die politische Stoßrichtung aller drei Veranstaltungen, in denen ich heute war, ist tendenziell gegen die Pharmafirmen und die Regierungen gerichtet. Es wird dabei fast ausschließlich aus einer Perspektive der Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau diskutiert. Das hat seine Berechtigung, weil es hier für die Positiven oftmals direkt ums weitere Überleben geht. Ohnehin haben dort viele Positive keinen Zugriff auf die notwendigen ART Medikamente.
Meistgezeigtestes Chart: Dieses Bild habe ich bisher 6 mal in verschiedenen Vorträgen gezeigt bekommen. Es illustriert den Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha.
Ich vermisse hierzu europäische Beiträge, Meinungen und Ideen, die über eine Zustimmung zu den berechtigten Forderungen nach „Universal Access“ (jeder (!) erhält seine benötigten Medikamente) hinaus gehen. Was sind möglicherweise eigene Interessen von Positiven in Europa? Gibt es in diesem Verteilungskampf womöglich in den nächsten Jahren Konflikte, die auch uns als Europäer betreffen? Solange wir uns nicht beteiligen, werden diese Positionen (heute mehrfach) von anderen dargestellt.
So wird Europa wahrgenommen in Vorträgen zur ART Versorgung in „low and middle Income Countries“
Die Pharmaunternehmen gehen geschickt vor, um ihre Renditen mit HIV zu maximieren. Dabei werden sowohl lang- als auch kurzfristige Strategien genutzt. Eine Form ist die Patentpolitik für einzelne Produkte. Die Laufzeiten werden künstlich immer weiter verlängert. Aber auch in der Welthandelspolitik haben die Unternehmen sich gut aufgestellt. Handelsabkommen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll für die Länder, aber sie sichern auch den Medikamentenmarkt ab.
Am Abend gab es ein gemeinsames Abendessen wo man schon mal eine Zwischenbilanz ziehen konnte. Meine ist sehr positiv.
Etwas erschöpfte Delegation aber noch in freudiger Erwartung auf ein Essen…welches das Restaurant überfordern wird.
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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ sind bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
ondamaris 24.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld
ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!
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danke für deine berichte! und atmet, schlaft und geniesst auch mal zwischendurch.