Im Potsdamer Landtag erinnert eine Ausstellung noch bis Mitte März an die Verfolgung Homosexueller während der NS-Zeit.
Der Brandenburger Landtag erinnert mit der Ausstellung „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit“ an die Situation Homosexueller zwischen 1933 und 1945.
Auf insgesamt 38 Tafeln wird die Bandbreite der Verfolgung Homosexueller und der Homosexualität Verdächtigter in der Zeit des Nationalsozialismus skizziert, werden Schicksale Verfolgter exemplarisch vorgestellt, Täter benannt.
Die Ausstellung wurde konzipiert vom ‚Kulturring in Berlin e.V.’bzw. dessen 2001 gegründete ‚Projektgruppe Rosa Winkel‚. Sie wurde bereits 2006 im Deutschen Bundestag und in der Akademie der Künste gezeigt. Eine Dokumentation über die 2006er Ausstellungen liegt in der Ausstellung im Potsdamer Landtag aus.
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„Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit“
Landtag Brandenburg
14473 Potsdam, Am Havelblick 8
3. Februar bis 12. März 2009
montags bis freitags 8:00 bis 16:00 Uhr
„Rudolf Brazda war aufgrund seiner Homosexualität von 1942 bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Er ist der wahrscheinlich letzte noch lebende Zeitzeuge, der wegen Homosexualität in einem Konzentrationslager inhaftiert war. Ende Juni war Brazda auf Einladung des LSVD nach Berlin gekommen und hatte gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit das neue Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen besichtigt.“ (LSVD) Dort hatte Brazda auch berichtet (Video) „ein schreckliches Leben war das„.
Auch in Österreich wurden im Nationalsozialismus Homosexuelle verfolgt – und bisher immer noch nicht entschädigt. Ein in Deutschland weniger bekanntes Kapitel der Geschichte der Homosexuellen-Verfolgung.
Im Rahmen des EuroPride 2001 veranstaltete die HOSI Wien eine Ausstellung zur Verfolgung der Homosexuellen in Wien in der NS-Zeit unter dem Titel „Die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien 1938 – 1945“.
Aus dem Vorwort zur Ausstellung: „Die Ausstellung zeigte die Verfolgung anhand von offiziellen und privaten Dokumenten, die auf und in 14 rosa Säulen präsentiert wurden. Außen wurden „typische“ Dokumente behördlicher Verfolgung reproduziert: u. a. Strafanzeigen der Polizei, Hausdurchsuchungs-berichte, Aktenstücke aus Gerichtsverfahren, lapidare Meldungen über die Aberkennung des akademischen Grads, den Selbstmord eines Verhafteten, den Tod an der Front im Zuge der sogenannten „Frontbewährung“, die Überstellung in ein KZ, die Überweisung in ein Wiener Spital zur „freiwilligen“ Kastration und schließlich auch ein Dokument aus der Nachkriegszeit: der Widerruf der Anspruchsberechtigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) durch das Sozialministerium, als es herausfand, daß der Betreffende nicht den roten Winkel der politisch Verfolgten, sondern den rosa Winkel der Homosexuellen trug.“ (ausführliche Einleitung zur Ausstellung als pdf hier)
Schon vor der offiziellen Eröffnung der Ausstellung kam es zu einem Anschlag: elf der vierzehn massiven Ausstellungssäulen wurden aus ihren Verankerungen gerissen. Die Ausstellung wurde dennoch eröffnet. Der Anschlag ist aif der Siet (s.u.) ebenfalls dokumentiert.
„Die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien 1938 – 1945“ – die Ausstellung kann online betrachtet werden auf www.ausdemleben.at. Die Site bietet unter dem Punkt ‚Hintergrund‘ zahlreiche interessante längere Texte zum Download an.
Die Emslandlager (u.a. Esterwegen, Börgermoor und insbesondere Neusustrum) stehen für die Region, in der vermutlich die meisten Homosexuellen im Deutschen Reich inhaftiert waren (Hoffschild 1999). Buchenwald hingegen steht u.a. für eine besonders abscheuliche Form der Misshandlung Homosexueller in der NS-Zeit.
In Buchenwald war nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Inhaftierten Homosexuelle (Statistiken sprechen von ca. 500 Homosexuellen unter den insgesamt ca. 240.000 Menschen, von denen ca. 56.000 umkamen). Aber Buchenwald hatte Carl Værnet. Den Arzt, der in Buchenwald Versuche mit Homosexuellen anstellte – der ihnen ‚künstliche Hormondrüsen‘ implantierte, um sie von ihrer Homosexualität zu ‚heilen‘.
Carl Værnet wurde am 28. April 1893 als Carl Jensen im kleinen Ort Løjenkær nahe Århus geboren. Er beendete sein Medizinstudium in Kopenhagen im Juni 1923 mit der Bewertung „cum laude“. Kurz zuvor, am 21. November 1921, hatte er die Änderung seines Namens von Jensen in Værnet beantragt (dänisch værne etwa schützen, verteidigen, wehren).
Im November 1924 ließ Værnet sich als praktischer Arzt nieder. Er widmete sich u.a. der ‚Kurzwellentherapie‘, baute eine zunächst gut florierende Praxis auf.
Bereits in seiner medizinischen Ausbildung kam Værnet mit Hormonexperimenten in Kontakt. Am Kopenhagener Kommunehospital führte Dr. Knut Sand 1923 bei vier Homosexuellen Hodentransplantationen durch – mit dem Ziel, dass diese sich anschließend vom weiblichen Geschlecht angezogen fühlen sollten. Sand vertrat die Auffassung, Homosexualität könne durch eine gestörte Hormonbalance erklärt werden. Værnet interessierte sich schon bald für Fragen der Hormone, insbesondere der Hypophyse sowie der Keimdrüsen.
1932 lernte Værnet bei einer Reise nach Berlin u.a. auch Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften kennen. Später äußerte er, hier bei Hirschfeld sei die Grundlage zu seinem ‚Lebenswerk‘ künstliche Hormondrüse entstanden, und zur These Homosexualität könne durch zusätzliche Gabe von Testosteron geheilt werden.
Værnet begann bald mit eigenen Forschungsarbeiten und entwickelte eine ‚künstliche Drüse‘, eine Kapsel, die in der Leistengegend eingesetzt und kontinuierlich Hormon abgeben sollte.
1941 wurde Værnet, inzwischen Mitglied der dänischen Nazi-Partei DNSAP, von ‚Reichsgesundheitsführer‘ Dr. Leonhard Conti nach Deutschland eingeladen.
Im Sommer 1943 -Værnet war u.a. aufgrund von Ermittlungen wegen unberechtigter Abgabe von Morphium an eine Patientin unter Druck – verkaufte er seine Kopenhagener Klinik an die deutsche Wehrmacht. Mit Passierschein der deutschen Wehrmachtskommandantur reisten Værnet und Familie am 6. Oktober 1943 in einer deutschen Militärmaschine nach Berlin aus.
In Deutschland erhalte er, so hatte ihm der Reichsarzt SS Dr. Ernst Grawitz (General der Waffen-SS mit ständigem Kontakt zum Innenminister und ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler) versprochen, alle für seine Forschungen erforderliche Unterstützung. Bald schon konnte Værnet Himmler persönlich über seine ‚Forschungen‘ informieren und fand auch aufgrund seiner Hinweise auf die Möglichkeit einer Heilung von Homosexualität interessierte Zustimmung.
Nach dem er eingewiligt hatte in den Rang eines ‚Sturmbannführers SS‘ und nach Abschluss eines Vertrages mit der SS konnte Værnet bald seine als ‚geheim‘ titulierte Arbeit aufnehmen, in Berlin und ab November 1943 in Prag in Laboratorien die überwiegend der SS gehörten. 1944 wurde Værnet angeboten, Versuche zu Hormonausscheidungen und Hormongaben an verschiedenen Gruppen von Homosexuellen zu machen. Im Konzentrationslager Buchenwald.
Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Vaernet die Entwicklung seiner ‚künstlichen Hormondrüse‘ als technisch weitgehend abgeschlossen – konkrete Versuche zum Nachweis ihrer Wirksamkeit standen nun an. Die weltweiten Patentrechte an Værnets ‚künstlicher Hormondrüse‘ hielt eine am 5.5.1943 gegründete dänische Firma.
Værnet ergriff die Chance, die sich ihm bot. Versuche mit seiner künstlichen Drüse an KZ-Häftlingen, mit dem Ziel dass diese durch die Einpflanzung ’sexuell normal‘ werden – die Chance, auf die er gewartet hatte. Solche Versuche waren wohl nur in Konzentrationslagern möglich – und konnten dort auch ohne Zustimmung der Betroffenen problemlos erfolgen.
Mindestens viermal hielt sich Værnet 1944 in Buchenwald auf (erstmals am 26.7.1944). Dabei operierte er 17 Männer zwischen 23 und 60 Jahren, 7 ‚Sittlichkeitsverbrecher‘ sowie 10 Homosexuelle. Die erste Operations-Serie fand am 16.September 1944 statt, die zweite am 8. Dezember. Die Versuche sollten u.a. dazu dienen, die ‚Erhaltungsdosis‘ zu bestimmen, und die prinzipielle Wirksamkeit zu prüfen.
Den ‚Probanden‘ wurden subkutan im rechten unteren Bauchbereich unter örtlicher Betäubung eine ‚künstliche Drüse‘ implantiert, die von da an Testosteron abgeben sollte. In der Folgezeit sollte gemessen werden, ob sich sexuelles Verhalten und sexuelle Orientierung wie gewünscht verändern.
Den Homosexuellen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, wurde bei erfolgreichem Verlauf die Freilassung versprochen. Ein Versprechen, das in keinen einzigen Fall erfüllt wurde. Bei zwei der Operierten besteht eine mögliche Verbindung zwischen der Operation und ihrem baldigen Tod.
In Buchenwald arbeitete Værnet eng zusammen mit Dr. Schiedlausky, Standort-Arzt der Waffen-SS, sowie mit Dr. Erwin Ding. In Buchenwald wurden Homosexuelle häufig als Versuchspersonen für zahlreiche medizinische Experimente genutzt – u.a. auch für die berüchtigten Versuche Dr. Dings mit der tödlichen Infektionskrankheit Flecktyphus.
Værnet selbst berichtete am 10. Februar 1945 Heinrich Himmler über seine Arbeiten und legte einen abschließenden Bericht vor (in dem er diesem gegenüber ‚tiefste Bewunderung und unverbrüchliche Treue‘ äußert. Von Grawitz erhielt er erneut finanzielle Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten.
Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der sog. ‚Ärzteprozesse‘ des Amerikanischen Militärtribunals in Nürnberg wurden seine Versuche in Buchenwald zwar mehrfach angesprochen, er selbst jedoch nicht angeklagt.
Bekannt wurden Værnets Versuche in Buchenwald schon bald nach dem Krieg. Ernst Kogon, selbst dort als politischer Gefangener, schildert die Versuche in Buchenwald schon 1946 in seinem Buch „Der SS-Staat“. Und ab 1947 tauchten Berichte über Værnets Versuche in Buchenwald in der dänischen Presse auf.
Værnet war schon in den letzten Kriegsmonaten (im März 1945) nach Dänemark zurückgekehrt. Spätestens seit Ende 1945 arbeitet er wieder an seinem ‚Lebenswerk‘, der künstlichen Hormondrüse, trat in Kontakt mit Pharmaunternehmen (u.a. Schering und DuPont) und erhielt dänische und US-Patentrechte.
Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sowie Berichten des dänischen Widerstands ermittelte die dänische Polizei bald gegen ihn. Doch mit wenig Nachdruck, auch wenn Anfang 1946 schließlich die Anklageerhebung wegen ‚Landesverrats und anderer staatsgefährdender Tätigkeiten‘ erfolgte. Schlimmer noch, Værnet gelang (u.a. mit Unterstützung des argentinischen Legationsrats Pineyro) Ende 1946 die Flucht aus Dänemark. Über Schweden konnte er nach Brasilien und im Sommer 1947 weiter nach Argentinien gelangen. Dort arbeitet er schon bald wieder am Physiologischen Institut.
Carl Værnet starb am 25. November 1965 und ist gemeinsam mit seiner Frau Gurli auf dem Británico-Friedhof in Buenos Aires begraben.
Erst im März 1998 brachten Peter Tatchel und die britische Schwulengruppe OutRage! Bewegung in die Causa Værnet . Sie richteten ein Schreiben an den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, in dem sie in zahlreichen konkreten Fragen um Aufklärung über Flucht und (fehlende) Schritte der dänischen Regierung baten. Zwar reagierte das dänische Justizministerium erst eineinhalb Jahre später (am 6. Juli 1999), und mit der abschlägigen Mitteilung, man sei „nicht im Besitz irgendwelcher Informationen über Carl Værnet“. Dennoch wurden die Archive in Sachen Værnet geöffnet – und bildeten die Grundlage für das äußerst lesenswerte Buch von Davidsen-Nielsen (s.u.).
Værnets ‚Versuche‘ sind weit mehr als ’nur‘ gruselige Experimente an einer kleinen Zahl homosexueller Männer, die deren Schädigung bewusst mit einschlossen. Sie sind Ausdruck einer Haltung, Menschen von Homosexualität heilen zu wollen, zu müssen – und sie haben bewusst „Spekulationen der Nazi-Führung von einer ‚Endlösung‘ der Homosexuellenfrage befördert“ [Davidsen-Nielsen]. Værnets Versuche waren ebenso wie Sterilisationen und Kastrationen Teil einer (insbesondere auch in der Homophobie Himmlers zum Ausdruck kommenden) Terrorpolitik gegen Homosexuelle.
Weitere Informationen:
Hans Davidsen-Nielsen et al.: ‚Carl Værnet – Der Dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald“, Wien 2004
„The hunt for nazi concentration camp doctor carl vaernet“
homowiki: Carl Vaernet
2008 ist ein Jahr des Gedenkens, auch des Gedenkens an schwule Opfer des Naziterrors. Gerade in jüngster Zeit häuften sich erfreulicherweise Meldungen und Veranstaltungen.
Zudem ist zu lernen, nicht nur in Deutschland benötigt die Realisierung von Denkmalen ihre Zeit.
Bereits am 20.4.2008 fand in der Gedenkstätte Sachsenhausen im brandenburgischen Oranienburg anlässlich des 63. Jahrestages der Befreiung des KZ Sachsenhausen zum wiederholten Mal eine Gedenkveranstaltung für schwule KZ-Opfer statt.
Auch Frankreich beginnt seine homosexuellen Opfer des NS-Terrors zu ehren. Ende Februar wurde in Toulouse eine Straße nach Pierre Seel benannt, ein entsprechendes Straßenschild vom Bürgermeister eingeweiht.
Anders hingegen Österreich: wie XTRA! meldet, verzögert sich das österreichische Mahnmal für homosexuelle KZ-Opfer weiter. Bereits 2005 war ein Entwurf von Hans Kupelwieser unter dem Titel ‚Rosa Platz‘ ausgewählt worden. Der Sprecher des Kulturstadtrats verkündete jedoch jüngst, es sei bisher „keine alltagstaugliche Farbe gefunden“ worden. Der Künstler wurde mit einem neuen Entwurf beauftragt.
Nach einem Besuch in Fürstenberg (Havel) / Ravensbrück könnte man sich so einige Fragen stellen, z.B.
– warum ist die Gedenkstelle für das Frauen- Konzentrationslager Ravensbrück immer noch so unscheinbar und schlecht ausgeschildert?
– was ist los an einem Ort, der an der ehemaligen Lagerstraße, in unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte, einen Supermarkt-Neubau genehmigt, dessen Eröffnung erst durch internationale Proteste gestoppt wird?
– wie viel (besser gesagt, wie wenig) Geld ist dieses Land bereit für Gedenkstätten zur Verfügung zu stellen?
– warum wird das Schicksal lesbischer Frauen in der Gedenkstätte kaum erwähnt?
– …
Allein, nach einem Tag in Ravensbrück ist mir nicht nach (öffentlichem) Schreiben zumute. So müssen einige Fotos genügen: