Im folgenden als Dokumentation eine Rede, die Klaus-Peter Hackbarth, Vorstandsvorsitzender der Aids-Hilfe NRW e.V., aus Anlass des CSD-Empfangs 2008 am Samstag,5. Juli 2008 in Köln hielt:
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Herausforderung Prävention
Rede von Klaus-Peter Hackbarth zum CSD-Empfang 2008, Köln
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Preisträger,
liebe Freunde und Freundinnen,
wir, die Aidshilfen und unsere Mitstreiter in der schwulen Selbsthilfe arbeiten gemeinsam daran, dass möglichst wenige Menschen sich mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten infizieren. Dabei stehen wir immer wieder vor neuen Herausforderungen in der Präventionsarbeit. Beispielsweise die steigende Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex mit Männern haben, lassen uns aufhorchen. Und die Präventionsbotschaften werden nicht einfacher: Die veränderten HIV-Übertragungsrisiken bei erfolgreich anti-viraler Therapiepr, so eine Schweizer Empfehlung, fordern eine noch individuellere und differenziertere Beratung. Und die vermeintliche Abnutzung alter, aber immer noch gültiger Präventionsbotschaften sowie eine sich ständig verändernde schwule Szene fordern uns heraus, d.h. erfordern kontinuierliche Fortbildung und Kreativität im Sinne auch von „Prävention muss sich immer wieder neu erfinden, um attraktiv zu bleiben“.
Neben der so genannten Verhaltensprävention – also der Ermutigung zum Safer Sex – stand für uns die Verhältnisprävention stets im Zentrum unseres Handelns, also auch der Aufbau von Strukturen zur Stärkung der schwulen Community. Man könnte auch von einem „Gemeindemodell“ sprechen, das es aufzubauen gilt und in dem sich der schwule Mann in seinen sozialen, funktionalen und kulturellen Beziehungen mit anderen wieder findet.
Ist uns dies gelungen? Oder müssen wir uns eingestehen, dass es statt einer funktionierenden schwulen Gemeinde nur die Fassade potemkinscher Dörfer zu bestaunen gibt?
Wie wird heute schwules Leben wahrgenommen? Durch immer coolere Szene- und Fetischpartys?. Durch die wachsende Zahl sauberer, aber bloß nicht zu cleaner, schwulen Saunen? Oder lediglich als Gruppe, die in Deutschland immer noch am meisten von HIV und Aids bedroht ist?
Findet schwules Leben jenseits dessen also noch statt? Oder zerstreut sich unsere schwule Gemeinde z.B. in die unendlichen Weiten des World Wide Web? Unsere Kneipenszene scheint sich auszudünnen und schwule Vereine klagen zunehmend über Mitgliederschwunde. Wenn ich den vielen Stimmen aus der Szene Glauben schenken darf, reduziert sich das Engagement der allermeisten auf die Suche nach Sexdates.
Aber: Ist das wirklich so? In der Tat hat sich ein neues „Aktivierungsfeld“ aufgetan, ein neues „Gemeindezentrum“ schwulen Lebens scheint zu entstehen. Und hier findet tatsächlich ein ausgesprochenes Gemeinschaftsleben statt. Nur heißen die Zusammenschlüsse hier nicht mehr Vereine, sondern Clubs. Da gibt’s den Eisenbahnerclub, den Bartmännerclub, den Club „schwul mit Hunden“ (NB: Rosa Königs-Pudel-Besitzer?), den Club für schwule Marokkaner oder den Club „schwuler tauchen“ (NB: Suche nach dem verschollenen Penisfisch?). Eine kleine Auswahl erstaunlich vieler Aktivitäten neben den viel zitierten „nur Sexdates“.
(NB: Wenn ich bedenke, wie sehr wir uns immer gegen die so genannten rosa Listen ausgesprochen haben, ist es doch interessant, welche Informationen wir heute bereitwillig den blauen Seiten [gleich GayRomeo] anvertrauen.)
Die Aidshilfen hier in NRW haben dieser Entwicklung und den Angeboten des „schwulen Internets“ bereits Rechnung getragen. Angestoßen von unserer Herzenslust-Kampagne bieten verschiedene Projekte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Kooperation mit schwulen Kontaktportalen eine umfangreiche Gesundheitsinformation an. Ähnlich wie in der Vor-Ort-Arbeit in schwulen Kneipen, Bars oder Saunen, können wir online bei Fragen zu HIV, Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten Auskunft geben, also dort wo schwule Männer heute Kontakte knüpfen – wofür auch immer.
Wer also nicht ins Internet geht, bekommt scheinbar weniger vom schwulen Leben mit. Daher ist es unser Anliegen, insbesondere auch ältere schwule Männer an das Internet heran zu führen. Auch diese Gruppe sollte nach wie vor im Fokus unserer Präventionsarbeit stehen; insbesondere auch, weil sie von HIV weiterhin besonders betroffen sind. Wir bemerken gerade hier oft Vereinsamungstendenzen, die durch die Abnahme lebensbejahender Aussichten in die Zukunft – nach dem Motto „Für was oder wen soll ich mich schützen?“ – für eine HIV-Infektion anfälliger werden. Wir sollten versuchen ältere Schwule mehr untereinander und mit jüngeren in Kontakt zu bringen. Hierfür bietet sich das Internet doch geradezu an.
Unser Ziel muss sein, reale Welt und virtuelle Realität nicht weiter auseinander driften zu lassen, sondern zusammenzubringen. Etwa in dem wir, die Aidshilfen und auch die Mitgliedorganisationen des Schwulen Netzwerks, uns verstärkt in dieses Spektrum von „Gemeindeleben“ einklinken z.B. durch Angebote regionaler realer Stammtische, die sich im Internet zusammen finden oder durch politische Onlineplattformen und ähnliches. Wir möchten weiterhin soziale Unterstützung für viele bieten, so dass ein Wir-Gefühl entstehen kann und aktive Teilhabe ermöglicht wird.
(NB: Das so etwas „klappen kann“ mag folgendes Beispiel belegen: Als das Fußball-EM-Spiel Kroatien-Deutschland stattfand, war ich in Frankfurt. Auf der Suche nach einem schwulen Biergarten mit Großbildschirm nutzte auch ich das Onlineportal. Ein schwuler Biergarten war mir deshalb wichtig, weil ich das Spiel gemeinsam mit Schwulen und Lesben erleben wollte. Gesucht, gefunden. Der besondere Flair hierbei ist: Nur in einem schwulen Biergarten wagen es Jungschwuppen während des Spiels ihre beste Freundin anzurufen, um für das morgige Frühstück Prosecco zu bestellen, während in Basel unser Michael Ballack vom Portugiesen Ronaldo böse gefoult wird und die tobende Menge eine rote Karte und mindestens einen Elfmeter fordert. Prosecco ist manchem halt wichtiger; und das ist auch gut so!)
Ich habe es bereits erwähnt, dass Schwule in Deutschland auch als die Gruppe wahrgenommen wird, die am meisten von HIV und Aids betroffen ist. Darauf dürfen wir uns nicht reduzieren lassen!
Wir wollen als Bürger dieses Landes wahrgenommen werden, die, wie andere auch, zum Zusammenleben ihren Beitrag leisten: in Vereinen, im Sozialenwesen, in der Kultur oder schlicht als Wirtschaftsfaktor.
Ein anderes Phänomen ist unsere Geschichtsvergessenheit. Ich bin sehr darüber erstaunt (besser erschrocken), dass viele der unter 35-jährigen schwulen Männer und auch lesbischen Frauen nicht mehr die Bedeutung des Rosa oder Schwarzen Winkels kennen und das damit verbundene KZ-Grauen. Viele wissen nicht, dass die Entkriminalisierung schwuler Lebensweisen durch die Abschaffung des Paragrafen 175 StGB erst Anfang der 90ziger Jahre vollzogen worden ist.
Personen der neuen deutschen Schwulenbewegung, die mir persönlich sehr wichtig sind, wie etwa Rosa von Praunheim oder der an Aids verstorbene Kölner Jean-Claude Letiste, werden über kurz oder lang zunehmend in Vergessenheit geraten.
Nur – dieses Vergessen kann nicht gut sein, so der verstorbene belgische Schriftsteller Jean Améry: „Niemand kann aus seiner Geschichte austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu einer neuen Gegenwart werden könnte.“ (Ende des Zitats).
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich es nicht verstehen kann, wie auch heute noch Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben die schwule Community als „Triebbündel“ bezeichnen dürfen oder wie jüngst passiert ein Fußballlehrer Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt. Es ist auch ein Angriff auf unsere Persönlichkeitsrechte und ich erwarte von anderen Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben den klaren und eindeutigen Widerspruch dagegen.
Zur Stärkung und zur Sicherung einer dauerhaften liberalen und akzeptierenden Haltung gegenüber schwul-/lesbischen Lebensweisen ist es aus meiner Sicht unabdingbar, dass die bisherigen Strukturen im schwul-lesbischen Gemeinwesen nicht nur gefestigt sondern weiter ausgebaut werden. Wir sind noch zu weit entfernt von einer substantiellen Akzeptanz von Schwulen und Lesben in diesem Land; und ich meine das hier ohne „Wenn und Aber“, d.h. die Konstruktion einer Gleichstellung mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften – und das schließt die Abschaffung bestehender Sondergesetze mit ein.
Hier ist der Staat besonders gefordert: Die lang andauernde Kriminalisierung unter dem § 175 hat u.a. auch bewirkt, dass bis weit in die 90ziger Jahre – und zum Teil bis heute – keine bzw. wenige Strukturen im Jugendhilfe und vor allen Dingen im Altenbereich aufgebaut werden konnten. Hier gilt es Wiedergutmachung zu leisten! In diesem Zusammenhang erneuern wir unsere Forderung an die Landespolitik, die ARCUS-Stiftungsinitiative für schwule und lesbische Selbsthilfe nicht nur ideell zu begleiten, sondern auch mit einem nennenswerten Beitrag für das Gründungsvermögen auszustatten.
Auch das erscheint mir nicht ausreichend, sondern analog zu den Entschädigungsleistungen aus NS-Unrecht gegenüber den jüdischen Organisationen, den politisch Verfolgten und gegenüber den Zwangsarbeitern sind alle staatlichen Ebenen gefordert – also auch Bund und Kommune.
Liebe Freunde und Freundinnen, nehmt diesen Appell mit in euere Kreise und Städte!. Seid stolz auf das, was ihr seit und fordert selbstbewusst dass ein, was unser gutes Recht ist!
Lassen Sie mich noch einige Worte sagen zum Thema „HIV-Prävention in der Krise?“ Zurzeit herrscht zum Teil ein Klima der Skandalisierung bezogen auf die steigende HIV-Neuinfektionsrate seit 2001. 2.750 Neu-Diagnosen im Jahr 2007, 2001 waren es 1.440 Neu-Infektionen. Wie kann das nach 25 Jahren Präventionsarbeit und nachhaltiger Kondomwerbung geschehen?
Das Robert-Koch-Institut bestätigt, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich das Safer-Sex-Verhalten in den Zielgruppen verändert habe. Somit ist denen zu widersprechen, die eine zunehmende Sorglosigkeit vor allem bei homosexuellen Männern unterstellen.
Richtig ist vielmehr, dass die jetzt vom RKI erfassten Infektionen zum Teil lange vor ihrer Erhebung stattgefunden haben. Darüber hinaus hat sich die Testbereitschaft von schwulen Männern deutlich erhöht. So bieten auch die Aidshilfen zunehmend Testberatung und HIV-Schnelltests an, damit Männer besser auf ihren aktuellen Serostatus reagieren können. Wir erteilen all denen eine Abfuhr, die fordern, die Prävention müsse die „Zügel anziehen“, um die Neuinfektionsrate wieder zu minimieren, erst recht jenen, die hier nach strafrechtlichen Mitteln schreien. So kann – und wird – die Prävention niemals erfolgreich sein.
(Unser) Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat in diesem Zusammenhang gesagt: „Man muss die Grenzen der Prävention immer im Auge behalten!“ (Zitatende) – und wir ergänzen: „Denn eine Prävention, die sich nicht begrenzt, wird unmenschlich, gar diktatorisch.“. Gemeinsam mit unseren Mitstreitenden in der schwulen Selbsthilfe, der Deutschen AIDS-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und mit allen engagierten ehrenamtlichen Mitarbeitern werden wir weiterhin in der Präventionsarbeit sehr erfolgreich sein – und auch das ist … meine Damen und Herren … gut so!
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.