Stellt die nachträglich festgestellte HIV-Infektion der Ehefrau eine Art ‚Mangel‘ dar, der zur ‚Rückgabe‘, zur Aufhebung der Ehe berechtigt?
Über einen für viele eher befremdlich anmutenden Fall aus Österreich berichtet in einem Gast-Beitrag D Dr. Elisabeth Müllner, seit 1999 Leiterin der Aids-Hilfe Oberösterreich:
Im Jahr 2008 entschied der Oberste Gerichtshof (3 Ob 91/08s), eine Ehe als ungültig aufzuheben, weil der Ehemann und Kläger sich über die Gesundheit seiner Ehefrau im Irrtum befand. Die Vorgeschichte in Kurzfassung: ein Österreicher heiratet in Kenia eine Kenianerin, ihr letzter gemeinsamer Wohnort ist in Österreich. In einem österreichischen Krankenhaus wird bei der Frau eine HIV-Infektion festgestellt. Für beide Eheleute ist es die erste Ehe. Die HIV-Infektion wird nach etwas mehr als einem Jahr Ehe diagnostiziert. Festgestellt wurde vom Gericht, dass die Ehefrau während aufrechter Ehe keinem Ansteckungsrisiko ausgesetzt war, woraufhin das Gericht schlussfolgerte, dass die Ansteckung mit HIV zu einem unbekannten Zeitpunkt vor der Eheschließung erfolgt sein musste. Dem Ehemann, der die Aufhebung der Ehe verlangte, wurde in dritter und letzter Instanz endgültig Recht gegeben. In der Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass der Ehemann, hätte er zum Zeitpunkt der Heirat von der HIV-Infektion der Frau gewusst, die Ehe nicht geschlossen hätte. Er hat sich also in einem wesentlichen Irrtum über die Frau befunden, der ihn „bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von deren Eingehung abgehalten hätte. Und ungeachtet des möglichen Zusammenlebens bei entsprechenden Schutzmaßnahmen seien eben wegen dieser und wegen der weiterhin für den Kläger bestehenden Ansteckungsgefahr die Umstände gegeben, die eine Aufhebung der Ehe rechtfertigten. So die Entscheidung des OGH.
Aus Sicht der AIDS-Hilfen Österreichs stellt dies eine unzeitgemäße, diskriminierende und inhumane Entscheidung dar. In der Folge bemühten die AIDS-Hilfen Österreichs sich um eine rechtliche Expertise zu dieser Entscheidung. Dankenswerterweise nahm sich Frau Univ.-Prof.in Dr.in Marianne Roth der Thematik an.
Aus dem Ergebnis ihrer Arbeit werden nun einige wichtige Aspekte wiedergegeben:
Vorweg sei angemerkt, dass der Kläger ursprünglich eine Scheidung auf Grund des Vorliegens einer „ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit“ nach § 52 EheG begehrte. Entsprechend der österreichischen Rechtslage konnte nicht geschieden werden, da die „ansteckende oder ekelerregende Krankheit“ erst nach der Eheschließung hätte entstehen dürfen. Im gegenständlichen Fall stellte das Gericht jedoch fest, dass die HIV-Infektion der Ehefrau bereits vor der Eheschließung bestand. Eine Scheidung gegen den Willen des beklagten Ehepartners ist gemäß österreichischem Recht erst 3 Jahren nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft wegen unheilbarer Zerrüttung möglich (würde die Scheidung den beklagten Ehepartner besonders hart treffen, dann erst nach 6 Jahren). (1)
Daraufhin brachte der Ehemann die Aufhebungsklage ein. Den juristischen Laien mag es erstaunen, dass die zuständigen Gerichte der Argumentation des Klägers, er habe sich über den HIV-Status der Beklagten im Irrtum befunden, folgten. Könnte man nicht doch erwarten, dass der Kläger das Vorliegen einer HIV-Infektion zumindest in Erwägung gezogen haben muss? Dies vor dem Hintergrund, dass seine Frau aus einem Land kommt, welches für seine hohe Anzahl von Menschen mit HIV bekannt ist. Der zivilrechtliche Irrtumsbegriff zielt aber nicht darauf ab, ob ein durchschnittlicher Mensch diesem Irrtum auch erlegen wäre, sondern es wird stets auf die subjektive Meinung, als eine unrichtige oder fehlende Vorstellung von der Wirklichkeit, abgestellt. Allerdings kann nicht jede unrichtige Vorstellung, die man sich über seinen zukünftigen Ehepartner macht, zu einer Aufhebung der Ehe führen. Der Irrtum muss sich zentral auf die gesetzlichen Wertvorstellungen über die Ehe beziehen. Der OGH vergleicht nun die HIV-Infektion mit der Beischlafunfähigkeit oder dem Ausbruch von schweren psychischen Krankheiten, die in früheren Fällen zur Aufhebung der Ehe geführt haben. Die Vergleichbarkeit mit der Beischlafunfähigkeit wird bejaht, jene mit dem Ausbruch von Geisteskrankheiten verneint. Hier setzt die Kritik von Roth an. Die Gleichsetzung einer HIV-Infektion mit der Beischlafunfähigkeit sei verfehlt, lässt sie doch die modernen HIV-Therapiemöglichkeiten, wie sie in hoch entwickelten Industrieländern wie Österreich gegeben sind, völlig außer Acht. Bei genauer Einhaltung der HIV-Medikation, wenn über mindestens 6 Monate kein HI-Virus im Blut nachgewiesen werden kann und keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen vorliegen, ist davon auszugehen, dass HIV-infizierte Patienten nicht infektiös sind. (2)
Ebenso spricht – bei kompetenter medizinischer Begleitung – nichts gegen eine Zeugung, auch ohne künstliche Insemination (3) bzw. Schwangerschaft. Der OGH weiß allerdings in seiner Begründung lediglich von einer allgemein bekannte Infektionsgefahr bei HIV. Die Situation hat sich jedoch seit den 1980er bzw. auch den frühen 1990er Jahren, als zwischen der Diagnose einer Aids-Erkrankung und dem Tod meist nur wenige Jahre lagen, wesentlich verändert. So kommt Roth zu dem Schluss, dass nach heutigem Stand der Medizin eine HIV-Infektion bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe nicht mehr als Ehehindernis gewertet werden kann. Dies führt sie auch zu der grundsätzlichen Fragestellung, inwieweit der Aufhebungstatbestand des Irrtums über Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen, aber auch die Möglichkeit einer Scheidung aufgrund einer „ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit“ gemäß § 52 EheG noch notwendig bzw. zeitgemäß sind.
Weder in Deutschland noch in der Schweiz existiert der veraltete Tatbestand des Irrtums über Umstände, welche die Person des anderen Ehegatten betreffen. Die Regelungen über die Scheidung scheinen diesen Ländern ausreichend. So meint Roth, dass auch der österreichische Gesetzgeber gut daran täte, das geltende Recht der Eheauflösung auf seine gesellschaftspolitische Aktualität hin zu überprüfen. Insbesondere erscheint auch der Scheidungstatbestand der sich auf Krankheiten bezieht entbehrlich. Ein Scheidungsrecht, welches auf den Tatbestand der Zerrüttung einer Ehe abstellt, wäre ausreichend, wenngleich hier die Trennungsfristen, die das österreichische Recht verlangt, im internationalen wie auch europäischen Vergleich als zu lang bewertet werden.
Und so schließt Roth ihren Kommentar: „Bis zu einer solchen Scheidungsrechtsreform ist jedoch an die Judikatur zu appellieren, vom Aufhebungstatbestand des Irrtums über Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen (§ 37 EheG), nur äußerst zurückhaltend Gebrauch zu machen, und nur dann einem Aufhebungsverfahren statt zu geben, wenn der Irrtum tatsächlich Umstände betrifft, die objektiv für eine eheliche Lebensgemeinschaft bedeutsam sind. Nach dem aktuellen Stand der Medizin stellt eine HIV-Infektion im Allgemeinen keinen solchen Umstand dar. Sie ist unter den gegenwärtig verfügbaren Therapiemöglichkeiten auch nicht mehr als ein Scheidungsgrund im Sinn einer ‚ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit‘ gemäß § 52 EheG zu qualifizieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese medizinischen Entwicklungen bei der Behandlung von HIV-Infektionen auch in der Rechtsprechung Berücksichtigung finden werden.“ (4, 5)
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Fußnoten:
(1) Die Möglichkeit der Scheidung wegen Verschuldens wird hier außer Acht gelassen.
(2) Vernazza/Hirchel/Bernsconi/Flepp, HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös, SÄZ 2008, 165 ff
(3) vgl. http://www.aids.ch/d/hivpositiv/pdf/ordner/Ordner_komplett_d.pdf (30. 4. 2010); Vernazza, Die HIV-Schwangerschaft ist heute kein Problem mehr, Swiss Aids News, Juni 2009, 16,16
(4) (noch) unveröffentlicht: Roth, Aufhebung der Ehe aufgrund einer bereits vor der Ehe vorliegenden HIV-Infektion eines Ehegatten – Eine kritische Reflexion der österreichischen Rechtslage
(5) bei Interesse am kompletten Kommentar von Univ.-Prof.in Dr.in Marianne Roth, LL.M.(Harvard) wenden Sie sich an: elisabeth.muelllner@aidshilfe-ooe.at
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(Der Artikel erschien zuerst in ‚PlusMinus‘ 2/2011 – ondamaris dankt für die Genehmigung zur Übernahme des Artikels!)