RKI: HIV-Neudiagnosen 2010 annähernd konstant, Anstieg der HIV-Inzidenz bei jungen Schwulen

Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen ist in Deutschland auch 2010 annähernd konstant geblieben. Dies berichtet das Robert-Koch-Institut. Eine Zunahme gibt es allerdings bei jungen Schwulen.

Im aktuell veröffentlichten Epidemiologischen Bulletin Nr. 21/2011 berichtet das Robert-Koch-Institut über die Entwicklung der HIV-Neudiagnosen in Deutschland. 2010 gab es insgesamt im Vergleich zum Vorjahr keine wesentliche Veränderung – 2.918 HIV-Neudiagnosen wurden 2010 gemeldet, 2.885 im Jahr zuvor.

Unterschiede gab es allerdings, betrachtet man die einzelnen Gruppen. Bei Menschen mit heterosexuellem Risiko (2010: 411 HIV-Neudiagnosen), iv-Drogengebraucher/innen (93) sowie Menschen aus Hochprävalenz-Ländern (273)  sank von 2009 auf 2010 die Zahl der HIV-Neudiagnosen geringfügig. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, stieg sie hingegen geringfügig an (um 2% von 1.646 im Jahr 2009 auf 1.684 im Jahr 2010).

„So kleine Veränderungen bei den gemeldeten Diagnosen sind aber kein Hinweis auf einen Anstieg der Neuinfektionen in dieser Gruppe“, kommentiert Axel J. Schmidt vom RKI laut DAH-Blog.
2010 stellten Männer, die Sex mit Männern haben, einen Anteil von 67% der HIV-Neudiagnosen.

Besonders weist das RKI auf die Entwicklung bei jungen Schwulen bis 25 Jahre hin. Zwar machen HIV-Neudiagnosen in absoluten Zahlen hier nur einen geringen Teil der Gesamt-Neudiagnosen aus. Die Mehrzahl der HIV-Neudiagnosen erfolgte bei den Altersgruppen 30 bis 39 sowie 40 bis 49 Jahre.

Dies sind allerdings die beiden Altersgruppen mit „geburtenstarken Jahrgängen“.  Berechnet man die Inzidenz bezogen auf 100.000 Männer jeweils der gleichen Altersgruppe, erhält man einen Wert (‚Diagnoseinzidenz‘), der etwas aussagt über das spezifische Risiko Angehöriger jeweils dieser Altersgruppe, sich mit HIV zu infizieren. Diese ‚altersgruppen-spezifische Inzidenz‘ zeigt: in der Gruppe der jungen Schwulen bis 25 Jahre steig die Inzidenz sowohl 2009 als auch 2010 im Vergleich der Altersgruppen am stärksten an.

Das RKI diskutiert im aktuellen Epidemiologischen Bulletin Hintergründe und mögliche Ursachen dieser Entwicklung und nennt dabei mögliche Gründe für den Anstieg:

  • erhöhte Testbereitschaft in dieser Altersgruppe
  • ein erhöhter Anteil (noch) nicht antiretroviral behandelter HIV-Positiver in dieser Altersgruppe (mit der damit verbunden höheren „Wahrscheinlichkeit, dass ein infizierter Partner auch infektiös ist“)
  • eine höhere Inzidenz bakterieller sexuell übertragbarer Erkrankungen in dieser Altersgruppe (und deren Auswirkungen auf die HIV-Übertragbarkeit).

Dirk Sander, Schwulen-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, nennt einen weiteren möglichen Grund:

„Jüngere sind noch nicht so erfahren im Umgang mit Kondomen und sexuellen Situationen. Es kann sein, dass es ihnen schwerer fällt als Älteren, ihr Schutzbedürfnis erfolgreich in die Tat umzusetzen.“

Das RKI kommentiert den Anstieg

„Es ist daher davon auszugehen, dass es sich um einen realen Anstieg handelt. …
Zusammenfassend sprechen die im Rahmen der EMIS-Studie erhobenen Verhaltensbefunde nicht dafür, dass der beschleunigte Anstieg der Inzidenz neudiagnostizierter HIV-Infektionen bei jungen MSM in den letzten Jahren auf einer spezifischen Zunahme von Risikoverhalten in dieser Altersgruppe beruht. …
Allerdings zeigt die unter jungen MSM stärker verbreitete Annahme, dass ihre Sexualpartner nicht infiziert seien, verbunden mit einer geringeren HIVTesthäufigkeit auch, dass sie verstärkt gezielte  und Aufklärung zu Infektionen mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Erregern benötigen.“

Das RKI macht im Bericht 2010 auch detailliertere Angaben zu Schwulen und Männern die Sex mit Männern haben und einen Migrations-Hintergrund haben:

„Der Anteil der MSM, bei denen eine andere Herkunftsregion als Deutschland angegeben wurde, lag 2010 bei 15 % (216/1.486). Bei 12 % der Meldungen lagen keine Angaben über die Herkunft vor. Wichtigste ausländische Herkunftsregionen für in Deutschland neu mit HIV diagnostizierte MSM sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung Zentraleuropa (3,8 %), Westeuropa (3,5 %), Lateinamerika (2,2 %), Südostasien (1,5 %) und Osteuropa (0,8 %). Erworben wurde die HIV-Infektion in mehr als 90 % der Fälle in Deutschland.“

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(Zu Neu-Diagnosen – Neu-Infektionen – Prävalenz – Inzidenz siehe „HIV-Neuinfektionen – Hintergrund-Informationen„).

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weitere Informationen:

Robert-Koch-Institut: HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen in Deutschland – Bericht zur Entwicklung im Jahr 2010 aus dem Robert-Koch-Institut, in: Epidemiologisches Bulletin 21/2011

DAH-Blog 30.05.2011: Zahl der HIV-Neudiagnosen weiterhin fast konstant

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„Auf die Grösse kommt es an“ – europaweite Studie über Schwule und HIV

Ab Juni werden in einer beispiellosen Studie europaweit Schwule über HIV, andere sexuell übertragbare Infektionen und ihr Safer-Sex-Verhalten befragt.

Im Juni startet europaweit die größte Befragung schwuler Männer, die es je gegeben hat. In mindestens 31 Ländern werden Männer, die Sex mit Männern haben, aufgerufen, online einen Fragebogen zu ihrem Umgang mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen auszufüllen. Die Befragung wird in Online- und Offline-Medien (Print, Postkarten etc.) für schwule Männer bekannt gemacht. Der Fragebogen wird in 25 Sprachen zur Verfügung stehen.

Das gigantische Projekt trägt den Titel EMIS (European MSM Internet Survey on knowledge, attitudes and behaviour as to HIV and STIs) und verdankt sich der Zusammenarbeit von zahlreichen Forschern und Organisationen. In Deutschland sind das Robert-Koch-Institut (RKI), das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), in persona Michael Bochow, sowie die Deutsche AIDS-Hilfe beteiligt. Die Befragung führt die bisherigen „Bochow-Studien“ zum Safer-Sex-Verhalten fort, die es in der bisherigen Form nicht mehr geben wird.

Ziel der Befragung ist es, möglichst viel über das Verhalten, das Wissen und die Bedürfnisse der Zielgruppe in Bezug auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen zu erfahren. EMIS soll zeigen, welche Präventionsmaßnahmen in den jeweiligen Ländern notwendig sind und welche Untergruppen bei den MSM besondere Ansprache durch die Prävention benötigen.

Zugleich soll die Untersuchung die Bedürfnisse und Rechte homosexueller Männer öffentlich sichtbar machen und einfordern. „Mit einer massenhaften Teilnahme können Schwule, Bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben, den Anspruch anmelden, mit ihren gesundheitlichen Bedürfnissen von der Politik ernst genommen zu werden!“, sagt Dr. Dirk Sander, MSM-Referent der Deutschen AIDS- Hilfe. „Mit den Ergebnissen einer solchen Befragung wird sich Politik machen lassen – auch und gerade in besonders homophoben Ländern, zum Beispiel in Osteuropa. Wir bauen darum auf möglichst viel Unterstützung in der Community und den schwulen Medien.“

Auch auf den EMIS-Seiten des Robert-Koch-Instituts wird der Zusammenhang zwischen Prävention und Politik betont: „Die Möglichkeiten zu präventivem Verhalten und Gesundheitsvorsorge unter schwulen und bisexuellen Männern – zum Beispiel Zugang zu angemessenem Wissen und Informationen, Zugang zu Testangeboten und HIV-Behandlung – sind stark abhängig von ihren allgemeinen Lebensbedingungen, dem Grad der Stigmatisierung von Homosexualität und der HIV-Infektion.“

Die EMIS-Befragung wird drei Monate laufen. Erste Ergebnisse der Studie sollen bereits in diesem Sommer veröffentlicht werden.

(Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe)

siehe auch „EMIS – europaweite Befragung von Männern, die Sex mit Männern haben

HIV-Neudiagnosen 2009 (akt.)

Bei 2.856 Menschen wurde 2009 in Deutschland neu eine HIV-Infektion diagnostiziert. Dies berichtet das Robert-Koch-Institut im aktuellen ‚Epidemiologischen Bulletin‘.

Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen ist in Deutschland 2009 nahezu stabil im Vergleich zum Vorjahr 2008:  für 2009 wurden 2.856 Neudiagnosen gemeldet, für 2008 lag die Zahl bei 2.843 HIV-Neudiagnosen.

Die aktuelle Ausgabe des ‚Epidemiologischen Bulletin‘ des Robert-Koch-Instituts (RKI) enthält die „Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten Berichtsmonat: Dezember 2009 (Datenstand: 1.3.2010)“. Hier sind die HIV-Neudiagnosezahlen 2009 nach Bundesländern aufgeschlüsselt aufgeführt (mit Vergleichswerten 2008).

1.629 Neudiagnosen erfolgten in der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) im Vergleich zu 1.575 Neudiagnosen im Jahr 2008 (+3,4%). Bei iv-Drogengebraucher/innen ist die Zahl weiter gesunken auf 100 Neudiagnosen (2008: 125; 2007: 154).

Die aktuelle Statistik des RKI nennt u.a. auch die Zahl der Syphilis-Neudiagnosen. Mit 2.556 neu diagnostizierten Fällen liegt ihre Zahl für 2009 unter dem Niveau der Vorjahre (2008: 3.190 Syphilis-Neudiagnosen; 2007: 3.280).

Nachtrag 17.03.2010: Situation in Österreich
In Österreich wurden im Jahr 2009 507 Neuinfektionen mit HIV diagnostiziert. Dies geht aus „HIV-Epidemie, Update 2009“ hervor. Schätzungsweise 9.000 Menschen leben dem papier zufolge derzeit in Österreich mit HIV.

Im internationalen Vergleich liegt die Zahl der HIV-Neudiagnosen in Deutschland weiterhin sehr niedrig. Die gelegentlich von interessierter Seite kolportierte Behauptung, die Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland sei so hoch, erweist sich einmal mehr als Mythos, als nicht zutreffend.

Der Anstieg der Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex  mit Männern haben, ist moderat. Die neue Kampagne „ich weiss, was ich tu“ der Deutschen Aids-Hilfe widmet sich gezielt der HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben. Diese Kampagne hatte im September 2009 die „ich weiss was ich tu – Testwochen“ gestartet. Schon beim Start der Kampagne hatte DAH-Vorstand Carsten Schatz betont

„Durch die zunehmende Bereitschaft in der Zielgruppe, sich mit einem positiven HIV-Test auseinanderzusetzen, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg der beim Robert Koch Institut (RKI) gemeldeten Neudiagnosen kommen.“

Klar gesagt: wer viel testet, wird mehr finden. Die Behauptung einer neuen Sorglosigkeit bei schwulen Männern dürfte sich hier ebenfalls erneut als Mythos erweisen. Im Gegenteil, der moderate Anstieg der Zahl der HIV-Neudiagnosen 2009 könnte auch erste Folge der Test-Kampagne sein – und damit letztlich ein Zeichen erfolgreicher Prävention.

weitere Informationen:
RKI
Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten
Berichtsmonat: Dezember 2009 (Datenstand: 1.3.2010)
Epidemiologisches Bulletin 10/2010
Österreich: HIV-Epidemie, Update 2009 (pdf)

Zur Unterscheidung HIV-Neudiagnosen und HIV-Neuinfektionen siehe „HIV-Neuinfektionen – Basisinformationen
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EMIS – europaweite Befragung von Männern, die Sex mit Männern haben

Europaweit sollen im Rahmen eines von der EU-Kommission geförderten Projekts Männer, die Sex mit Männern haben, zu Wissen, Einstellungen und Verhalten bezüglich HIV und STDs befragt werden.

In den meisten europäischen Staaten sind Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), die gesellschaftliche Gruppe, die am stärksten von HIV betroffen ist. Doch auch bald 25 Jahre nach Beginn von HIV-Prävention ist die Gesundheit wie auch gesundheitsförderndes Verhalten von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), immer noch nicht nur von ihren allgemeinen Lebensbedingungen abhängig, sondern auch durch Stigmatisierung von Homosexualität und HIV-Infektion beeinträchtigt.

Erst jüngst hatten vergleichende Analysen der HIV-Neudiagnosen bei schwulen Männern (ungleich MSM) gezeigt, dass zwischen 2000 und 2005 die zahl der HIV-Diagnosen in West-Europa, Nord-Amerika und Australien annähernd in gleichem Umfang gestiegen sind (druchschnittlich +3% jährlich).
Innerhalb West-Europas hat Deutschland im Vergleich mit 33,5 HIV-Neudiagnosen pro 1 Million Einwohner die niedrigsten HIV-Neudiagnose-Raten.

Befragungen zu Wissen, Einstellungen und Verhalten von MSM wurden bisher in Europa überwiegend regional oder national durchgeführt, mit verschiedenen Medien, unterschiedlichen Forschungsansätzen etc. Sie sind deshalb i.d.R. auf europäischer Ebene kaum vergleichbar.

Dies will nun das Projekt EMIS (European MSM Internet survey on knowledge, attitudes and behaviour as to HIV and STIs) angehen. Erstmals in Europa sollen MSM mit einem einheitlichen Fragebogen (in 19 Sprachen) und überall gleichem Forschungs-Design via Internet befragt werden.

„Untersucht werden nun sollen Sexualverhalten, HIV- und STI-Testverhalten, Präventions-Ressourcen (z.B. Wissen zu Übertragungswegen und Behandelbarkeit) und Präventions-Hinternissen (z.B. Stigma Homosexualität, Stigma HIV-Infektion, Fehlannahmen zu Übertragungswegen).“

Teilnehmen am Projekt EMIS sollen nicht nur nahezu alle EU-Staaten, sondern auch die Schweiz, Russland, die Ukraine, Moldavien, Serbien, die ehemalige jugoslavische Republik Mazedonien sowie die Türkei.

„Das Projekt wird gemeinsam getragen und durchgeführt vom Robert Koch-Institut, der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), der niederländischen Universität Maastricht, der italienischen Regione del Veneto (Verona), dem katalanischen Zentrum für epidemiologische Studien zu Aids und STI (CEEISCAT, Barcelona) und dem an der Universität Porthmouth angesiedelten Präventionsforschungsinstitut Sigma Reseach (London).“

Mit ersten Ergebnissen wird im Sommer 2010 gerechnet.
Derzeit sind die Projektpartner aufgefordert, in allen Teilnehmerstaaten nach für die Befragung in Betracht zu ziehenden Internetseiten zu forschen. Dabei geht es den Verantwortlichen darum, nicht nur Organisationen aus dem Bereich public health oder Epidemiologie einzubinden, sondern besonders auch Organisationen schwuler und bisexueller Männer.

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weitere Informationen:
RKI 22.06.2009: EMIS-Projekt – Europäischer MSM Internet Survey
RKI 19.06.2009: The EMIS project
aidsmap 22.06.2009: Similar rises in gay men’s HIV diagnoses seen in Western Europe, North America and Australia since 2000
koww 22.06.2009: HIV-Prävention – Deutschland niedrigste Neu-Diagnosen in West-Europa
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