Paris: verweigerte Krankenhaus PEP ?

Das größte Krankenhaus von Paris, Hotel Dieu, soll einem Bericht der Internetseite Yagg zufolge einem jungen Schwulen die Medikamente zur Fortsetzung der Post-Expositions-Prophylaxe nach den ersten 3 Tagen verweigert haben.

18. Dezember 2011, ein Sonntag. Ein junger Schwuler von 20 jahren begibt sich in die Notaufnahme des Krankenhauses Hotel Dieu in Paris. Er bittet im Rahmen einer Notfall-Behandlung um Post-Expositions-Prophylaxe (PEP; auf französisch: Traitement Post-Exposition (T.P.E.)). Er habe Sex mit einem HIV-Positiven gehabt, und das Kondom habe versagt. Nach kurzer Diskussion bekommt er dem Bericht von Yagg zufolge vom Arzt Medikamente einer Kombitherapie für drei Tage ausgehändigt. Zudem ordnet der Arzt mehrere Untersuchungen an und fordert den jungen Mann auf, nach drei Tagen wiederzukommen.

Am darauf folgenden Mittwoch, drei Tage später, wie mit dem Arzt vereinbart, geht der junge Schwule wieder in das Hotel Dieu. Zu seiner großen Überraschung hört er vom Arzt, er müsse sich die weiteren Medikamente selbst in einer Apotheke in der Stadt kaufen. Das Krankenhaus und die Krankenhausapotheke seien schließlich nicht dafür da, die Medikamente für den ganzen Monat bereit zu stellen.

Der junge Mann wendet sich an die Aids-Organisation ‚HF Prévention‚. Diese kontaktiert sofort den Arzt des Krankenhauses – der daraufhinm, so berichtet Yagg, nichts von Problemen wissen will. Erst mit Hilfe der Organisationen findet der junge Mann unverzüglich eine Apotheke in seinem Department, die ihn weiter mit Medikamenten versorgt.

Hotel Dieu in Paris (2007; Foto: Les hutchins)
Hotel Dieu in Paris (2007; Foto: Les Hutchins)

Die beiden französischen Aids-Organisationen HF Prévention und Actif Santé beklagen die Pflichtverletzung des Krankenhauses. Eine bessere Information und Ausbildung des Personals sei dringend erforderlich.

Das bereits im Jahr 651 als Herberge gegründete Hotel Dieu ist das älteste Hospital von Paris. Aufgrund seiner zentralen Lage nahe dem Schwulen-Viertel Marias wird es auch von Schwulen häufig genutzt.

Die Kosten für Medikamente der Post-Expositions-Prophylaxe werden auch in Frankreich von der Sozialversicherung übernommen. Das Hotel Dieu ist dem Yagg-Bericht zufolge weltweit nach dem San Francisco General Hospital das Krankenhaus mit der zweithöchsten Verordnungsmenge an Post-Expositions-Prophylaxe.

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weitere Informationen:
Yagg 05.01.2011: Exclusif: L’hôpital Hôtel Dieu à Paris aurait refusé de fournir le traitement d’urgence à un jeune gay
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Großbritannien: neue PEP-Richtlinie berücksichtigt Viruslast unter der Nachweisgrenze

Die Richtlinien zur Post-Expositions-Prophylaxe nach sexuellen Risiko-Situationen berücksichtigen in Großbritannien nun die Frage der Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze. In manchen Situationen kann auf eine PEP verzichtet werden.

Die neuen britischen Richtlinien für Post-Expositions-Prophylaxe empfehlen nach sexuellen Risiko-Situationen eine PEP zukünftig für eine Reihe von Situationen nicht mehr, falls die Viruslast des HIV-positiven Sex-Partners (‚Index-Person‘) unterhalb der Nachweisgrenze liegt. Die neue Richtlinie nennt explizit verschiedene Situationen (z.B. rezeptiver Analverkehr (‚Ficken lassen‘), insertiver Analverkehr (‚Ficken‘), Oralverkehr mit und ohne Ejakulation, Sperma ins Auge) und gibt jeweils differenzierte PEP-Empfehlungen für die Konstellationen ‚Indexpartner HIV-positiv‘ und ‚Indexpartner HIV-positiv, Viruslast unter der Nachweisgrenze‘.

Die neuen britischen PEP-Richtlinien, herausgegeben von der British Association for Sexual Health and HIV (BASHH) und der British HIV Association (BHIVA), wurden publiziert in der Dezember-2011 – Ausgabe des ‚International Journal of STD and AIDS‘. Sie ersetzen die frühere HIV- PEP-Richtlinie aus dem Jahr 2006.

Die in Deutschland gültige PEP-Richtlinie (Deutsch-Österreichische Empfehlungen – Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) und der Österreichischen AIDS-Gesellschaft (ÖAG) sowie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung von HIV- und AIDS-Patienten (DAGNÄ), der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH), der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren, Universität Erlangen/Nürnberg, des Robert Koch-Institutes (RKI), des Kompetenznetzes HIV/AIDS und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Aktualisierung Januar 2008) stammt vom 10.03.2008. Sie sagt zur Frage der Viruslast

„Es ist bisher nicht bewiesen, jedoch wahrscheinlich, dass eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie die Infektiosität der behandelten Person deutlich verringert.“
und bei sexuellen Risiko-Situationen:
„Wenn die HIV-infizierte Indexperson eine antiretrovirale Therapie erhält, unter der die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt, reduziert sich dadurch wahrscheinlich das HIV-Übertragungsrisiko. Trotzdem ist nicht auszuschließen, daß u.a. durch die Übertragung virusinfizierter Zellen oder eine Diskrepanz zwischen Viruslast im Blut und Viruskonzentration an Schleimhäuten oder in Genitalsekreten auch in solchen Fällen eine relevante HIV-Exposition vorliegen kann.“

Die Indikationen für eine PEP brücksichtigen die Frage der Viruslast in dieser Richtlinie (Tabelle 5 – Indikation zur HIV-PEP nach sexueller und anderer HIV-Exposition) wie folgt:

„Ungeschützter insertiver oder rezeptiver vaginaler oder analer Geschlechtsverkehr (z.B. infolge eines geplatzten Kondoms) mit einer HIV-infizierten Person
⇒ empfehlen, außer wenn Indexperson unter stabiler HAART (VL<50 Kopien seit mind. 6 Monaten)

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weitere Informationen:
UK guideline for the use of post-exposure prophylaxis for HIV following sexual exposure (2011). International Journal of STD & AIDS 22 : 695-708, 2011
aidsmap 21.12.2011: PEP guidelines for the UK revised to take account of undetectable viral load
Robert-Koch-Institut: Postexpositionelle Prophylaxe der HIV-Infektion (Stand Januar 2008)
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Kurz notiert … April 2011

28. April 2011: Ein Richter hat die vom New Yorker Bürgermeister vorgenommenen starken Kürzungen im Aids-Budget der Stadt zurück genommen.

Bereits am 13. April 2011 unterzeichnete Israel erstmals eine Kooperations-Vereinbarung mit UNAIDS.

20. April 2011: Der Pharmakonzern Abbott einigte sich in einem ‚class action lawsuit‘ mit Groß-Einkäufern von zweien seiner Aids-Medikamente auf eine Zahlung von 52 Millionen US-$.

18. April 2011: In Köln stirbt die Schauspielerin Stefanie Mühle an den Folgen von Krebs. In der Rolle der „Chris Barnsteg“ (1987 – 1991) hatte sie in der ARD-„Lindenstrasse“ den CSU- Politiker Peter Gauweiler wegen seiner Aids-Politik als „Faschisten“ bezeichnet.

17. April 2011: Zum Eurovision Song Contest ESC (früher Grand Prix) will die Düsseldorfer Aids-Hilfe mit einer besonderen Aktion präsent sein: „safer sex 12 points“.

16. April 2011: In Großbritannien bekommen erstmals serodifferente Paare Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), um auf natürliche Weise ihren Kinderwunsch realisieren zu können.

14. April 2011: Atazanavir kann das Risiko für Nierensteine vierfach erhöhen, berichten britische Forscher.

13. April 2011: Die britischen Pfadpfinder habe ein neues Programm zur Sexualaufklärung bei 14- bis 18-Jährigen gestartet unter dem Titel „My Body, My Choice“.

12. April 2011: Die Zahl nicht Aids definierender Krebserkrankungen bei HIV-Positiven ist am Steigen, betont das National Cancer Institute der USA.

Trotz einer Finanzkrise des Medikamenten-Programms ADAP hat der Pharmakonzern Gilead in den USA die Preise für seine Aids-Medikamente zum Teil deutlich erhöht.

05. April 2011: Der kalifornische Porno-Produzent „Hustler Video“ wurde zu über 14.000 US-$ Geldstrafe verurteilt, weil bei Porno-Dreharbeiten keine Kondome verwendet wurden.

02. April 2011: „Du hattest ungeschützten Sex? Verhindere eine HIV-Infektion!“, wirbt eine Kampagne der New York School of Medicine für Post-Expositions-Prophylaxe (PEP).

Zwei Drittel aller Kinder, die nach Geburt gestillt wurden und mit HIV infiziert wurden, und deren Mütter antiretrovirale Therapie erhielten, hatten HIV mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Medikamente, berichten Forscher.

01. April 2011: HIV-Positive sind bisher von Organspenden ausgeschlossen. Ist dies noch zeitgemäß?, fragt eine Studie – vor dem Hintergrund langer Wartelisten bei HIV-positiven potentiellen Organempfängern.

Eine sinkende Rate an neuen HIV-Infektionen, über sechs Millionen HIV-Positive weltweit erhalten antiretrovirale Therapien – die umfangreichen Investitionen in die globale Aids-Bekämpfung beginnen Früchte zu tragen, betont UN-Generalsekretär Ban ki-Moon.

Sex ohne Kondom: 1.140 Euro Schadenersatz für PEP (akt.2)

Zu 1.140 Euro Schadenersatz wurde ein HIV-positiver Mann in Köln verurteilt, wegen Sex ohne Kondom. Er musste dem Kläger 75% der Kosten für Medikamente erstatten.

Sie lernten sich im September 2009 über eine Internet-Plattform kennen, ein HIV-positiver Mann und ein russischer Austausch-Student. Nein, ein Schutz mit Kondomen sie nicht nötig, antwortete der HIV-Positive auf Nachfrage. Er nimmt Aids-Medikamente, ist mit der Viruslast unter der Nachweisgrenze. Weiß, dass die Infektiosität so sehr stark reduziert ist (siehe ‚EKAF-Statement‘, „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„).

Im Profil des Beklagten habe dieser ausdrücklich auf verlinkte ‚Clubs‘ hingewiesen; hieraus sei offen ersichtlich, dass er HIV-positiv sei.

Später jedoch erzählt er von seiner HIV-Infektion, sowie dass er aufgrund seiner wirksamen Therapie nicht infektiös sei. Der Austausch-Student bekommt dennoch Angst, sich angesteckt zu haben. Er kontaktiert einen Arzt, bekommt eine PEP (Post-Expositions-Prophylaxe, Medikamente gegen HIV direkt nach einem möglicherweise risikobehafteten Kontakt, die eine Infektion verhindern sollen).

Und der Austausch-Student reicht Klage ein gegen seinen Sexpartner. Er möchte die Kosten für die PEP in Höhe von 1.520,45 € vom Beklagten erstattet bekommen. Seine russische Krankenversicherung hatte sich geweigert, die Kosten zu übernehmen.

Der HIV-Positive wurde vom Amtsgericht Köln zur Übernahme von 75% der Kosten für die beim Kläger eingesetzte PEP (Post-Expositions-Prophylaxe) verurteilt. Er hätte den Kläger auf seine Infektion hinweisen müssen, damit dieser selbst das Risiko abwägen und selbst entscheiden könne. Der Beklagte habe den Kläger nicht vor dem Geschlechtsverkehr über seine HIV-Infektion informiert, weil er „befürchtete, der Kläger werde ganz von einem sexuellen Kontakt Abstand nehmen.“

Die Klage sei gemäß § 823 (1) BGB (Gesundheitsverletzung) aufgrund der Angst, sich infiziert zu haben, und der psychischen Beeinträchtigung begründet. „Die Verletzungshandlung des Klägers liegt in der Ausübung des Geschlechtsverkehrs ohne die Benutzung eines Kondoms trotz Kenntnis von seiner HIV-Infektion.“

Der Kläger müsse sich eine Mitschuld anrechnen lassen, so das Amtsgericht. Er hätte auch selbst für Schutz sorgen können. Ihm wurden 15 25% der Kosten angelastet.

Der Kläger infizierte sich nicht.

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Nachtrag 23.10., 16:00 Uhr:
War eine PEP (deren Verordnung und daraus folgende Kosten ja Klage-Gegenstand gewesen zu sein scheinen) in der konkreten Situation überhaupt erforderlich?
Die „Deutsch-Österreichische Empfehlungen zur HIV-Postexpositionsprophylaxe“ sagen zur Frage „Indikation zur HIV-PEP nach sexueller und anderer HIV-Exposition“ klar:

„Ungeschützter insertiver oder rezeptiver vaginaler oder analer Geschlechtsverkehr (z.B. infolge eines geplatzten Kondoms) mit einer HIV-infizierten Person ⇒ empfehlen, außer wenn Indexperson unter stabiler HAART (VL<50 Kopien seit mind. 6 Monaten)“ (Seite 3 ‚Indikation zur HIV-PEP‘).

Nachtrag 25.10.2010:
Die Urteilsbegründung ist anonymisiert inzwischen von der DAH publiziert (pdf).

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weitere Informationen:
Amtsgericht Köln Az.: 113 C 598/09 (auf dem Justiz-Server NRW bisher nicht online) (siehe oben Nachtrag 25.10.)
Express Köln 22.10.2010: Schadenersatz nach HIV-Verkehr
queer.de 23.10.2010: Schadensersatz für Sex ohne Kondom
Matthias Gerschwitz 23.10.2010: Die Folgen der Freude
Deutsch-Österreichische Empfehlungen zur HIV-Postexpositionsprophylaxe (Stand Januar 2008 – Kurzfassung)
DAH 25.10.2010: HIV-Positiver zu Schadensersatz verurteilt
Steven Milverton 31.10.2010: Ver-urteilt
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Empfehlungen zur HIV-Post-Expositions-Prophylaxe

Das Robert-Koch-Institut hat auf seinen Internetseiten die Deutsch-Österreichische Empfehlungen Postexpositionelle Prophylaxe der HIV-Infektion (Stand Januar 22008) veröffentlicht.

Das RKI weist zudem hin auf entsprechende europäische Leitlinien
– Recommendations for Post-Exposure Prophylaxis against HIV infection in Health Care Workers in Europe und
– Proposed Recommendations for the Management of HIV Post-Exposure Prophylaxis after sexual, injecting Drug or other Exposures in Europe,

sowie auf US-amerikanische Leitlinien
– US-Guidelines für berufliche HBV-, HCV- und HIV-Postexpositionsprophylaxe, und
– US-Guidelines für nicht-berufliche HIV-Postexpositionsprophylaxe.
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