Die Pop-Sängerin Nadja Benaissa (ehemals ‚No Angels‘) steht ab heute in Darmstadt vor Gericht. Der Vorwurf lautet ‚gefährliche Körperverletzung‘ – sie soll eine Mann mit HIV infiziert haben. Schon im Vorfeld in der Kritik: der Umgang von Staatsanwaltschaft und Medien mit den Persönlichkeitsrechten Benaissas.
11. April 2009, Ostersamstag. Nadja Benaissa, Sängerin der Pop-Band ‚No Angels‘, wird unmmittelbar vor einem Solo-Auftritt in einem Frankfurter Nachtclub festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt verdächtigt die 28jährige HIV-infizierte Mutter, zwischen 2000 und 2004 mehrfach ungeschützten Sex gehabt zu haben, dabei die Möglichkeit der Infektion Dritter in Kauf genommen zu haben. Sie habe ihre Sexpartner nicht über ihre HIV-Infektion informiert, von der sie seit 1999 wisse.
Zehn Tage sitzt Benaissa in Untersuchungshaft. Schnell geraten Informationen an die Medien – durch die ermittelnde Staatsanwaltschaft, die von sich aus aktiv an die Öffentlichkeit geht, bereitwillig Informationen gibt, auch über den HIV-Status und Hintergründe aus dem Privatleben Benaissas. Zwangs-Outing durch die Staatsanwaltschaft?, fragen Kritiker bald. Die hessische Justiz gerät in Kritik aufgrund des von vielen als fragwürdig erachteten Verhaltens der Staatsanwaltschaft, doch Justizminister Hahn weist alle Vorwürfe zurück.
Am 12. Februar 2010 teilt die Staatsanwaltschaft mit, vor dem Amtsgericht Darmstadt Anklage gegen Benaissa zu erheben „wegen eines Falls der vollendeten gefährlichen Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen“.
Am 16. August beginnt nun vor dem Amtsgericht Darmstadt der Prozess gegen Benaissa. Verhandelt wird vor dem Jugendschöffengericht, da Benaissa zum Zeitpunkt der ältesten ihr vorgeworfenen Tat (2000) noch 17 Jahre alt war. Vorsitzender ist Richter Dennis Wacker (43). Nebenkläger: der Mann, den Benaissa infiziert haben soll. Nadja Benaissa wird verteidigt von Oliver Wallasch, Fachanwalt für Strafrecht in Frankfurt. Etwa 20 Zeugen sowie ein Sachverständiger (Prof. Dr. Josef Eberle, Max-von-Pettenkofer-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München) sollen gehört werden, fünf Verhandlungstage sind angesetzt. Im Fall einer Verurteilung wäre ein Strafrahmen zwischen 6 Monaten und zehn fünf Jahren Haft denkbar.
Zum Prozessauftakt am 16.8.2010 wird die Deutsche Aids-Hilfe DAH mit einem Vertreter vor Ort sein.
Nadja Benaissa hat in den vergangenen Monaten nach dem Zwangs-Outing mehrfach offen über ihre HIV-Infektion gesprochen. Anfang Juli 2010 hat sie Medienberichten zufolge ihren Ausstieg bei den ‚No Angels‘ bekannt gegeben.
siehe auch: Nadja Benaissa: zahlreiche Erpressungsversuche – Bericht vom ersten Prozesstag
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Vor Gericht steht Benaissa wegen der Frage, ob sie durch ihr Verhalten die HIV-Infektion Dritter riskiert hat. Nicht verhandelt werden wird die Frage, wie es um ihre Bürgerrechte und den Umgang damit durch Staatsanwaltschaft, Medien und Politiker steht.
Angesichts des Umgangs der Medien mit Benaissas Persönlichkeitsrechten stellte sich schon bald die Frage, welchen Wert haben Bürgerrechte? Sex sells, erst recht Sex und Promis, und dann noch HIV … – aber ist damit jede sensationsgeile Schlagzeile, jede Vorverurteilung, gerechtfertigt? Sind Menschen mit HIV vogelfrei für die Medien? Darf man gar, wie der SPD-Politiker Ehrmann, HIV-Positive als Biowaffe bezeichnen?
Cori Obst betonte in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes: „Bürgerrechte müssen für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion„.
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weitere Informationen:
Juve.de: Anwaltportrait Oliver Wallasch
FAZ 11.08.2010: Affäre um Sex trotz HIV-Infektion – No-Angels-Sängerin Benaissa vor Gericht
FR 12.08.2010: Verfahren wegen Körperverletzung – No-Angels-Sängerin vor Gericht
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