Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven – Theorien und Praxis

Vor sechs Monaten hat die EKAF (Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, Schweiz) ihr Statement zur Frage der Infektiosität von erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven veröffentlicht. Seit langem ist eine gemeinsame Stellungnahme deutscher Stellen hierzu angekündigt – sie wird immer noch diskutiert. Derweil läuft die Realität der Politik davon.

Das Statement der EKAF ist eindeutig:
„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‘wirksame ART’) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).”

Das Statement der EKAF sorgte für vielfältige Reaktionen. Nachdem die Deutsche Aids-Hilfe zunächst einige ermutigende Aussagen traf (siehe Rede Maya Czajka auf dem parlamentarischen Abend der DAH, „Betroffene zu Beteiligten machen„), folgte bald eine enttäuschende gemeinsame Presseerklärung von DAH, RKI und BZgA. Seitdem wird an einer gemeinsamen Stellungnahme gefeilt – die bisher immer noch nicht vorliegt.
Und auch auf internationaler Ebene herrscht alles andere als Aussage-Freude. Ein von UNAIDS Anfang Juni organisiertes ‚closed meeting‘ mit Teilnehmern aus den Anliegerstaaten der Schweiz zeigte die Unterschiedlichkeit der vertretenen Meinungen – und die Unfähigkeit, sich auf gemeinsame Positionen zu einigen. Fast kann man gelegentlich den Eindruck gewinnen, interessierte Kreise setzten sich mit ihrer Meinung ‚das darf man doch nicht laut sagen‚ doch wieder durch.

Derweil ist das EKAF-Statement längst in der Praxis angekommen. In des Wortes doppelter Bedeutung …

Menschen mit HIV und ihre Partnerinnen und Partner fragen sich längst, was heißt dieses Statement für mich, für uns, hat es praktische Konsequenzen, eröffnet es neue Möglichkeiten, und wenn ja – wie lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Und viele zeigen dabei weit mehr Überlegtheit und Nachdenklichkeit als in hektischen Szenarien einiger Präventions-Zyniker an die Wand gemalt.

Und auch in der ärztlichen Praxis sind diese Fragen längst angekommen. Ärzte, die über die dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Sachverhalte schon seit mindestens Monaten informiert sind, überlegen längst, was sie ihren HIV-Positiven Patienten und deren PartnerInnen sagen können.

Ein Weg, der gelegentlich nicht nur aus einigen Berliner Praxen zu hören ist, sieht so aus:
Ein schwules Paar, serodiskordant – einer HIV-positiv, einer HIV-negativ oder ungetestet. Seit längerer Zeit ist der Positive aufgrund einer erfolgreichen Therapie mit seiner Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Zusammen mit ihrem Arzt beratschlagen sie, was möglich ist. Der Arzt untersucht beide gründlich auf sexuell übertragbare Erkrankungen. Eventuell Festgestelltes wird therapiert, ggf. werden zusätzlich einige Tage Breitband-Antibiotika eingesetzt, um z.B. auch die letzten möglichen Chlamydien zu verdrängen. Beide versprechen sich sexuelle Monogamie – u.a. um das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen zu minimieren, die auch das HIV-Übertragungsrisiko erhöhen könnten. Und haben ab dann kondomfreien Sex, der dennoch ’safer‘ ist. Regelmässig lassen sie sich vom Arzt untersuchen.

Ein denkbarer Weg unter vielen. Ein Weg, der viel Information und vor allem viel Vertrauen auf allen Seiten voraussetzt.
Ein Weg, von dem mehr als nur gelegentlich zu hören ist, dass er von informierten Ärzten und informierten Patienten gemeinsam gegangen wird.

Ein Weg, der u.a. auch eines zeigt: Prävention und Politik müssen acht geben, dass die Lebenspraxis, die gelebte sexuelle Realität (sowohl bei HIV-Positiven und ihren PartnerInnen als auch bei Ärzten) ihren fehlenden Aussagen, ihrer Zögerlichkeit nicht zu weit davon läuft. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Prävention stünden sonst auf dem Spiel.

HIV-Positiver freigesprochen – ’nicht ansteckend‘

In Nürtingen wurde Mitte März ein HIV-positiver Angeklagter vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Einer der Gründe: er sei aufgrund erfolgreicher Therapie ’nicht ansteckend‘.

Der Angeklagte, ein Staatsbürger Kameruns, hat 2002 in Deutschland Asyl beantragt. Bei einer medizinischen Untersuchung in der Asylunterkunft wurde 2003 eine HIV-Infektion festgestellt.

Dem Angeklagten wurde ungeschützter Geschlechtsverkehr mit seiner früheren Lebensgefährtin in 192 Fällen vorgeworfen, wobei er billigend ihre HIV-Infektion in Kauf genommen habe.

Im April 2007 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren. Die Hebamme informierte die Lebensgefährtin des Angeklagten über dessen HIV-Infektion (von der sie, so das Urteil, zulässigerweise durch die Betreuerin des Asylverfahrens wusste), fälschlicherweise mit dem nicht zutreffenden Hinweis, ihr Partner habe Aids.
Die Partnerin des Angeklagten wie auch das gemeinsame Kind sind medizinischen Untersuchungen zufolge nicht mit HIV infiziert.

Die HIV-Infektion des Angeklagten wird regelmäßig medikamentös behandelt. Aufgrund der erfolgreichen Therapie war bei dem Angeklagten seit mindestens 2005 die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesunken.

Der Angeklagte wurde vom Vorwurfs des Versuchs gefährlicher Körperverletzung freigesprochen.
Der Freispruch erfolgte, obwohl er ungeschützten Sex hatte und dabei vom Bestehen eines möglichen Infektionsrisikos -aber auch des Erfolgs seiner Therapie-wusste, zudem seine Partnerin nicht oder nicht in vollem Umfang von seiner Erkrankung informierte.

Der Vorwurf des Versuchs einer gefährlichen Körperverletzung sei nicht bestätigt worden, so das Gericht.

Zur Begründung führt das Urteil aus: Der Angeklagte habe eine Viruslast ‚Null‘ (so das Urteil, gemeint wohl ‚unter der Nachweisgrenze‘) und zudem eine hohe Compliance (nehme seine Medikamente regelmäßig und korrekt ein). Der Angeklagte sei aus medizinischer Sicht „nicht ansteckend“, führte ein eingeschalteter Gutachter aus. „Dies bedeute, dass von einer solchen Person keine Gefahr der Ansteckung für Dritte ausgehe“, so der Gutachter laut Urteil.

Das Urteil resümiert: „Soweit eine Person, die HIV positiv ist, eine Viruslast von Null hat, ist sie nach medizinischen Gesichtspunkten und menschlichem Ermessen nicht ansteckend. Diese Person kann sonach tatsächlich den HI-Virus nicht übertragen. Ein von dieser Person ausgeübter ungeschützter Geschlechtsverkehr ist daher grundsätzlich -in objektiver Hinsicht -nur als untauglicher Versuch zu werten.“

Der ‚Täter‘ erfülle nicht alle ‚Tatbestandsmerkmale‘. Insbesondere der Vorsatz entfalle: „Unzulässig ist aber, ohne weiteres aus dem Wissen eines Täters um seine HIV-Infektion und darum, dass ungeschützter Sexualverkehr generell zu einer HIV-Übertragung geeignet sein kann, auf die billigende Hinnahme einer Infizierung des Partners zu schließen (BGH NStZ 1989, 114, 116). Wenn -wie hier -die Gefahr sich objektiv nicht verwirklichen kann, da beispielsweise eine Viruslast nicht besteht, kann aus der Tatsache, dass der Täter ungeschützt Geschlechtsverkehr ausübt und um seine HIV-Infektion weiß, nicht von bedingtem Vorsatz hinsichtlich einer Ansteckung ausgegangen werden. Vielmehr kann in solchen Fällen ein Täter -wie der Angeklagte in vorliegender Sache- sogar begründet davon ausgehen bzw. hoffen, es werde nicht ’schon nichts‘, sondern ’sicher nichts‘ passieren. Dies lässt einen Vorsatz entfallen.“

Amtsgericht Nürtingen, Geschäftszeichen 13 Ls 26 (HG)-Js 97756/07

Das Urteil des AG Nürtingen ist bemerkenswert. Vor allem, weil hier in erstaunlich deutlichem Umfang das in Rechtsprechung umgesetzt wurde, was noch jüngst zu lauten Diskussionen und Aufschreien führte, als es die EKAF in ihrem Statement „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ verkündete.
Das Urteil sollte allerdings nicht als Aufforderung zu ungeschütztem Sex fehlverstanden werden.

Vom richterlichen Urteil unbenommen bleibt sicher eine Bewertung des Verhaltens des Angeklagten. Ob man eine vertrauensvolle Basis für eine Beziehung legen kann, indem man im Wissen des eigenen positiven HIV-Status ohne (ausreichende) Information ungeschützten Sex mit seinem Partner, seiner Partnerin hat, bleibt zumindest fragwürdig.

weitere Informationen:
Zu dem Urteil wurde inzwischen u.a. berichtet in der Zeitschrift GesR (Gesundheits-Recht) Ausgabe 05/2009 S. 276/277 (Inhaltsverzeichnis pdf, Artikel nicht online)

Zeitenwende 2008

2008 erscheint zunächst bisher als Jahr der schlechten Nachrichten für den Aids-Bereich. Und doch, es könnte sich als eine ähnlich bedeutende Zeitenwende wie zuletzt 1996 erweisen.

Gut sieht es nicht aus auf den ersten Blick. Bedeutende Impfstoff-Studien sind spektakulär gescheitert, viele sprechen von der ‚Vakzine-Depression‘, wenn sie die Situation der Rat- und oftmals Hoffnunglosigkeit beschreiben wollen, noch einen gegen HIV wirksamen Impfstoff entwickeln zu können. Fragen werden gestellt, ob es an der Zeit sei, die HIV-Impfstoffforschung aufzugeben oder zumindest zu Grundlagenforschung zurück zu kehren.
Zudem erleidet die Forschung zu Mikrobiziden -einem besonders für den Selbstschutz von Frauen sehr wichtigen, hier wenig beachteten Forschungsbereich- Rückschläge.

Doch die Nachricht des Jahres dürfte bisher das Statement der Eidgenössischen Aids-Komission EKAF keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ sein.
Die Botschaft: unter den von den Schweizern genannten Bedingungen (erfolgreiche HAART, Viruslast seit mind. 6 Monaten unter der Nachweisgrenze, keine Infektionen mit sexuell übertragbaren Erregern) ist eine HIV-infizierte Person „sexuell nicht infektiös„.

Nie zuvor ist diese Botschaft in der Öffentlichkeit von Gesundheitsexperten geäußert worden, war bisher nur Hinterzimmern und privaten Gesprächen vorbehalten.
Und selten hat ein Aids-Statement in jüngerer Zeit mehr aufgeregte Reaktionen hervorgerufen.

Mit dieser Botschaft wird zunächst von vielen Positiven eine große Last genommen. Sie eröffnet neue Chancen auf positives Selbstbewußtsein, auf angstfreier gelebte Sexualität.
Welch wunderbar befreiende Botschaft, unter bestimmten Umständen nicht mehr infektiös zu sein!

Insbesondere (aber nicht nur) für serodiskordante Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-Positiv) stellt diese Botschaft eine potenziell sehr befreiende Nachricht dar. Zudem ermöglicht sie zukünftig unter bestimmten Bedingungen, leichter einen Kinderwunsch zu realisieren.

Auch in der Prävention wird die Botschaft gravierende Auswirkungen haben. Dabei scheint die Angst vieler ‚Präventionisten‘ manchmal schwer nachvollziehbar. ‚Kein Risiko‘, diese Konstellation existiert in Sachen Sex nicht. Dass Sex ohne Risiko kaum denkbar ist (nur ‚kein Sex‘ ist risikofreier Sex), dieser Gedanke scheint sich noch nicht überall herum gesprochen zu haben.
Gerade angesichts der derzeitigen Probleme bei einigen bedeutenden präventiven Ansätzen (Impfstoffe, Mikrobizide) sollten doch auch die Chance nicht außer Acht gelassen werden, die in Therapien unter präventiven Aspekten liegen können.

Zudem wird die Schweizer Botschaft auch die Debatten um PEP (post- Expositions- Prophylaxe) neu beleben – ist bei einem erfolgreich therapierten Sexpartner wirklich immer eine PEP erforderlich, angesichts potenzieller Nebenwirkungen verantwortbar?

Was ist „safer Sex“? Oder genauer, „wann ist Sex ’safer‘?„, diese Frage dürfte zukünftig neu zu stellen sein. Sicher gehört dazu die Verwendung von Kondomen. Jedoch – es mag sich erweisen, dass auch eine erfolgreiche Therapie unter bestimmten Bedingungen zu Konstellationen führen kann, in denen kondomloser Sex „safer“ ist.

Das Jahr 2008 könnte sich mit der Schweizer Botschaft – später, im Nachhinein betrachtet – als ähnliche Zeitenwende für Menschen mit HIV und Aids erweisen wie das Jahr 1996.

1996 brachte für Positive die Wende von der Aussicht auf absehbaren Tod hin zu einem Leben mit einer oftmals langfristig behandelbaren chronischen Infektion. HIV-infiziert, das heisst seit 1996 nicht mehr zwangsläufig ‚dem Tod geweiht‘ – 1996 brachte wie es Martin Dannecker formulierte die ‚Auflösung der Gleichsetzung von HIV und Tod‘.

2008 könnte sich als Wende erweisen im Bild von Positiven. Als Abkehr vom dämonisierten Aids. Als Wende in der Wahrnehmung von Positiven, von der potenziell gefährlichen Bedrohung zum attraktiven Sexpartner.

Und als weiterer Schritt in der Wende vom bedeutungsvollen Aids hin zu einer (unter vielen) bedeutungsvollen, aber behandelbaren Erkrankungen, die nicht mehr ganze Biographien über den Haufen wirft.

Vielleicht sogar eine Wende zu einer Situation, in der das vergessene Wort Heilung wieder auf die Agenda kommt. In der neue Ansätze (wie Stammzell-Therapie, Stichwort Berlin Patient) die Perspektive einer Heilung von HIV eröffnen …

Die Diskussionen um kondomfreien Sex bei stabil nicht nachweisbarer Viruslast und keinen STDs hat gerade erst begonnen. Zu gerne würden einige diese Diskussion verhindern (‚das darf man doch nicht laut sagen‚) – Positive sollten sich um ihrer selbst willen engagiert an den Debatten beteiligen, sie einfordern. Und darauf bestehen, dass die Frage, welches Risiko letztlich akzeptabel ist, eine persönliche Entscheidung ist, die von den beteiligten Partnern getroffen wird – nicht von Beamten oder Bürokraten.

Die Debatte um die Infektiosität

Die Debatten über das Statement der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen EKAF („Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) entzünden sich neben der Frage „das darf man doch nicht laut sagen“ vor allem an drei Fragestellungen:
– ist das Transmissionsrisiko wirklich nur 1 : 100.000 ?
– gelten diese Daten nur für Vaginal-, nicht jedoch für Analverkehr?, und
– sexuell übertragbare Infektionen (STDs) erhöhen aber doch das Infektionsrisiko?

Einige Gedanken zu diesen drei Fragen.

die Höhe des Transmissionsrisikos
Die EKAF beziffert in ihrem Statement das Übertragungsrisiko unter den genannten Bedingungen als „deutlich geringer als 1 zu 100.000“ (Text als pdf hier).

Eine Zahl, die auch von Experten nicht bezweifelt wird. Selbst O. Hamouda (Robert-Koch-Institut) bestätigt „Fachlich sehe ich in dem Papier nichts Falsches“ (schon im ‚Tagesspiegel‘ vom 1.2.2008). Prof. Salzberger (in Sachen der Risiko-Einschätzung sicherlich eher den ‚Vorsichtigen“ zuzuordnen) bestätigt in der Podiumsdiskussion am 14.3. (‚mehr Mut, weniger Aufregung‚), die Berechnungen der EKAF halte er für zutreffend, das Risiko 1 : 100.000 sei sicher „eine gute Obergrenze“.

Prof. Vernazza stellt in einem Interview dar, dass schon die Schätzung des Übertragunsgrisikos von 1: 100.000 eine sehr vorsichtige Schätzung ist, die sich eher auf der sicheren Seite bewegt:

„Es ist eine Expertenmeinung, eine Feststellung zum Risiko. Jetzt auch in der Diskussionen in den nachfolgenden Tagen musste ich feststellen, dass wir eigentlich nirgends eine andere Meinung hören, dass an und für sich alle einverstanden sind mit der Aussage, die große Diskussion ist jetzt ‚darf man das sagen‘. … daher kommen wir zu dem Schluss, dass das Risiko einer Übertragung sehr sehr klein sein muss. Es ist vielleicht 1 : 10.000.000, vielleicht 1 : 1.000.000, wir machen das Statement, dass es sicher kleiner ist als 1 : 100.000.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Nebenbei, gelegentlich gerät in Vergessenheit, dass auch die Verwendung von Kondomen das Risiko einer HIV-Transmission nicht auf ‚Null‘ reduziert.
Der HIV-Report der DAH (Nr. 01/2008, pdf hier) beziffert unter Bezug auf epidemiologische Literatur das Risiko einer HIV-Übertragung bei rezeptivem Analverkehr mit Kondom auf 0,8 Prozent (0,1 bis 3%), bei insertivem Analverkehr auf 0,06% (0,1% entspricht 1 : 1.000).
Und Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit Schweiz) bezifferte in seinem Vortrag am 14.3.2008 das „Risiko für ein schwules Paar, ohne Therapie, bei analer Penetration und Präservativgebrauch 1 : 30.000“
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die Übertragbarkeit auf Analverkehr
Viele bewegt die Frage, ob denn die Aussagen der EKAF auch auf Analverkehr (gemeint ist dabei implizit: schwuler Analverkehr) übertragbar seien – was dann im gleichen Atemzug gern unter Verweis auf fehlende Daten verneint wird.

Dabei müsste diese Frage eigentlich überraschen – scheint sie doch beantwortet. Der Text des EKAF-Statements spricht explizit davon, dass eine HIV-positive Person unter den bekannten Bedingungen „das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter“ gibt (Text als pdf hier).

Prof. Vernazza erläutert in einem Interview:
„Analverkehr kommt grundsätzlich häufiger zahlenmäßig bei heterosexuellen Paaren vor (weil es einfach viel mehr Sexualkontakte gibt zwischen heterosexuellen Paaren). Wir gehen davon aus, dass aber auch bei homosexuellen Paaren der Analsex genauso betroffen ist von dieser Feststellung, denn auch im homosexuellen Bereich haben wir keine Transmissionen beobachtet unter den erwähnten Bedingungen.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Und auch Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit der Schweiz) betont:

„Wir sagen, das Risiko ist niedriger 1:100.000 für penetrierenden Verkehr. Wir unterscheiden nicht zwischen Vaginal- und Analverkehr. Diese Unterscheidung treffen nur die Deutschen.“ Auch für Analverkehr gelte die gleiche Einschätzung der drastischen Reduzierung des Transmissionsrisikos. (persönliches Gespräch am 13.3.2008)

Das Transmissionsrisiko ist auch nicht per se unterschiedlich, nur weil der eine Sex in einer Partnerschaft, der andere ‚flüchtig‘ stattfindet. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass anonymer Sex ein höheres Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erkrankungen beinhalten kann – nicht jedoch in der HIV-Transmission.
Dies betont auch die Leitung des nationalen HIV/Aids-Programmes des Bundesamtes für Gesundheit (Schweiz):

„Für HIV-Positive mit funktionierender Therapie empfehlen wir zwar weiterhin Safer Sex für anonyme und Gelegenheitskontakte, weil Safer Sex das Risiko, sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Infektion anzustecken, deutlich reduziert. Aber Betroffene müssen nun nicht mehr befürchten, für ihre Sexualpartner eine Gefahr darzustellen.“ (‚Katastrophe für die Prävention?‘, in: Swiss Aids news Nr. 1 Februar 2008)

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Störfaktor sexuell übertragbare Infektionen
Eine der Bedingungen für die Hauptaussage des EKAF-Statements ist das Fehlen anderer sexuell übertragbarer Infektionen (STDs).
Gerade hier setzen Kritiker an, verweisen auf steigende Syphilis-Diagnosezahlen und vermeintlich weit verbreitete STDs bei ‚den Homosexuellen‘. Und benutzen gerne Daten, die zeigen, dass die Transmissionsrisiken bei gleichzeitigem Vorliegen von STDs steigen – Daten, bei denen i.d.R. nicht untersucht wurde, wie eine erfolgreiche HIV-Therapie sich auswirkt.
Pietro Vernazza dazu:

„Die Empfehlung der EKAF hat bewusst Geschlechtskrankheiten als mögliche ‚Störfaktoren‘ ausgeschlossen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Wahrscheinlichkeit einer Transmission unter Therapie mit einer Urethritis [Entzündung der Harnröhre, d.Verf.] oder Syphilis tatsächlich merklich ansteigt. Es ist durchaus denkbar, dass selbst in dieser Situation kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist. Doch die vorhandene Datenlage scheint zu spärlich, um diesbezüglich eine definitive Beurteilung zu geben.“ (Prof. Pietro Vernazza, ‚Weshalb veröffentlicht die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen ein Papier über das vernachlässigbare Risiko einer HIV-Transmission unter HAART?‘, in: HIV&more 1/2008)

Transmissionsrisiko generell, Risiko bei Analverkehr und Risiko bei STDs sind die drei Haupt-Argumentationsstränge in der Diskussion um das Statement der EKAF. Einer Diskussion, in der manchmal Fakten außer Acht geraten – und der ein wenig mehr Ruhe zu wünschen ist.
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Diskutiert wird viel über Transmissions-Risiken. Macht man sich die Zahlen klar, so hat Kondombenutzung (ohne Therapie) ein Einzelfall-Risiko von 1 : 30.000. Bei einem erfolgreich therapierten Positiven liegt es nach einhelliger Einschätzung bei höchstens 1 : 100.000. Da stellt sich zunächst die einfache Frage: warum also diese Aufregung um das Statement der EKAF?

Zur Frage der Transmission bei Analverkehr stellen sich angesichts des Infragestellens des gleichen Übertragungsrisikos von 1 : 100.000 einige Fragen: Fehlen wirklich Daten, oder ist der Analogieschluss der Schweizer zutreffend? Wer führt Studien zu diesem Thema durch? wann ist mit Ergebnissen zu rechen? Und – wer finanziert Studien zu dieser Fragestellung? Hier ist auch der Bund mit Finanzzusagen gefragt, denn dass die Pharmaindustrie zu diesem Thema forscht dürfte doch eher unwahrscheinlich sein …

Die gleichen Fragestellungen ergeben sich auch für die Frage, ob sexuell übertragbare Infektionen tatsächlich das HIV-Transmissionsrisiko bei erfolgreicher HAART erhöhen – oder ob hier zutrifft, was Vernazza für denkbar hält, dass auch dann ‚kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist‘. Wer forscht hierzu?

Besonders bedenklich (und wenig bemerkt) erscheinen schwulenfeindliche Nuancen der Debatte. Warum kapriziert sich der Diskurs sehr auf Analverkehr, und dabei vor allem auf schwulen Analverkehr (ganz als gäbe es keinen Analverkehr bei Heteros)? Vor allem, warum gibt es zwar einiges an Daten zur Transmission bei heterosexuellem Verkehr, kaum jedoch bei homosexuellem Verkehr?

Die derzeitigen Debatten zeigen insgesamt eines vor allem recht deutlich: die Auseinandersetzungen gehen weitgehend nicht mehr um die wissenschaftliche Bewertung des EKAF-Statetments und seiner Grundlagen, sondern um die politische Bewertung. Es geht um eine politische Debatte, und als solche sollte sie auch geführt werden.

Netzwerk plus: ‚lebensnahes Risikomanagement‘

Dokumentation einer Erklärung des Netzwerk plus zur Erklärung der Eidgenössichen Aids-Kommission (EKAF) in Sachen Infektiosität unter HIV-Therapie:

Netzwerk plus zum Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Beim Treffen von Netzwerk plus vom 29.02.-02.03.2008 im Waldschlößchen haben wir uns mit dem Thema „Strategien der Risikominderung“ und den aktuellen Veröffentlichungen der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen beschäftigt.

Die schweizerische Kommission unter Vorsitz ihres Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza hat u.a. festgestellt:

„Bei Menschen, die konsequent antiretrovirale Medikamente einnehmen, kann man im Blut kein aktives Virus mehr nachweisen.“ „Eine HIV-infizierte Person (…) ist sexuell nicht infektiös, d.h. sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h. die Viraemie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die Veröffentlichungen aus der Schweiz haben auch in Deutschland eine kontroverse Diskussion über das Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze ausgelöst.
Selbst wenn dennoch ein Restrisiko bleibt, wie auch ein dokumentierter Fall aus Frankfurt zeigt, so ist gesichert, dass unter den o.g. Bedingungen die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung äusserst gering ist und sich im Rahmen allgemeiner Lebensrisiken bewegt.
Wir begrüßen die Veröffentlichung aus der Schweiz. Für Menschen mit HIV und Aids ist diese Information eine Erleichterung und eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven. Sie entlastet sero-diskordante Partnerschaften gleich welcher sexuellen Orientierung von Ängsten und Schuldgefühlen. Sie erleichtert in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV.
Erfreulich ist, dass längst bekannte, bislang aber nur hinter vorgehaltener Hand weitergegebene Tatsachen, nun auch von offizieller Seite benannt werden und damit ein Tabu durchbrochen wird.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass weitere Diskussionen in Deutschland zu diesem Thema ebenfalls evidenzbasiert, von sachlichen Argumenten getragen und auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes geführt werden. Wir halten es nicht für legitim, dass diese Debatte unterdrückt wird, mit dem Argument angeblicher intellektueller Defizite von Teilen der Zielgruppen der Prävention.
Wir fordern daher, dass die Erkenntnisse ohne Vorbehalte breit kommuniziert werden,
– um irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen abzubauen;
– das leichtere Sprechen über HIV zu ermöglichen und die Isolation vieler HIV-Positiver aufzubrechen;
– weil die Wahrheit nicht unterdrückt werden kann;
– weil informierte Menschen eher rational handeln können.
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass – unter Beteiligung der Betroffenen – Standards für die Beratung durch Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen formuliert werden, damit Ratsuchende individualisierte sachgerechte Informationen über das Thema Sexualität bei Viruslast unter der Nachweisgrenze erhalten.

Die bisherigen Präventionsbotschaften für flüchtige sexuelle Begegnungen behalten ihre Gueltigkeit. Damit Prävention in Zukunft glaubwürdig ist, müssen die Botschaften im Sinne eines lebensnahen Risikomanagements ergänzt und differenziert werden. Wenn Prävention HIV-positive Menschen als Partner behalten will, dann darf sie sie nicht wider besseres Wissen funktionalisieren, um Ängste hochzuhalten und zu schüren.
In den Fokus der Prävention geraten nun frisch infizierte Menschen, die ihre Infektion unwissentlich weitergeben können. Mythen von der Gefährlichkeit der Großstadt, von der Sicherheit ländlicher Räume und des eigenen Bettes müssen durch eine offene Kommunikation entzaubert werden. Ein sorgsamer, respektvoller Umgang miteinander muss befördert werden.

Weiterhin wird es zukünftig um Therapietreue und die überzogenen Ängste vor den Nebenwirkungen der Therapien sowie um Fragen der sexuellen Gesundheit insgesamt gehen. Testermutigung erhält eine neue Bedeutung, weil eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion neue Perspektiven ermöglicht.

Die TeilnehmerInnen des Netzwerktreffens.

Göttingen, 02.03.2008

Das darf man doch nicht laut sagen …

Seit einigen Tagen ist er nun publiziert, der Beschluss der Schweizer Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, der im wesentlichen hinausläuft auf die Botschaft „keine sexuelle Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„. Und die Aufregung ist groß.

Bezeichnenderweise steht im Mittelpunkt eines Großteils der Kritik allerdings nicht, ob der Beschluss der EKAF wissenschaftlich korrekt ist oder nicht.

So bestätigt auch Dr. Osamah Hamouda (stellvertretender Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie und Leiter Fachgebiet 34 HIV/Aids am RKI): „Fachlich sehe ich in dem Papier nichts Falsches“.
Er ergänzt: „doch die Einschränkungen, unter denen die Empfehlung steht, könnten auf dem Weg zum ‚Endverbraucher’ verloren gehen“ (im Tagesspiegel vom 01.02.2008). Er hat Bedenken ob der Auswirkungen, okay.

Viel prägnanter und noch deutlicher wird (stellvertretend für viele) der Geschäftsführer der Zürcher Aids-Hilfe, Reto Jeger: dieser Beschluss sei „fatal“, und „man hätte diese Entdeckung besser nicht breit publiziert.“

Nein, die Frage, die viele beschäfttigt, lautet also nicht, ob der Beschluss wissenschaftlich korrekt ist, oder wie man dann welche Konsequenzen daraus zieht und umsetzt. Nein, sondern die Frage lautet für viele bestürzenderweise vielmehr

‚Darf man das denn so laut sagen?‘

Und meistens wird gemeint, manchmal sogar laut gesagt
‚Das darf man aber nicht laut sagen, das behalten wir besser für uns.‘

Meiner Ansicht nach ist die Frage höflich gesagt verkehrt gestellt.
Sie müsste lauten: darf man solch eine wichtige Erkenntnis verschweigen?

Denn genau das ist doch bisher geschehen. Die Aussage der EKAF ist ja inhaltlich nicht so neu. Einige Ärzte sagen genau das einigen Patienten schon seit längerer Zeit. Aber eben einige nur einigen … Vielen, den meisten wurde die Nachricht bisher vorenthalten.

Das könnte man als elitäres Vorgehen, arrogantes Verhalten oder auch schlicht undemokratisch empfinden.

Oder ist die Einstellung ‚das verschweigen wir besser‘ etwas anderes als arrogant? Heißt diese Einstellung nicht in Klartext übersetzt

‚okay Leute wir wissen, es gibt da Situationen, in denen HIV-Positive nicht infektiös sind und Sex auch ohne Kondom ’safer sex‘ sein könnte. Wir halten euch aber für zu blöde, das zu kapieren. Außerdem gefährdet das doch unsere so schön simple Präventionswelt, die nur heißt ‚Kondome Kondome Kondome‘. Und deswegen sagen wir euch die neuen Erkenntnisse einfach nicht. Nehmt doch einfach weiter immer Kondome.‘

Ich frage mich, wo leben wir denn, besser in welcher Zeit leben wir denn, dass solcher Art Informations-Verstecken wieder gedacht wird?

Haben wir wieder das Mittelalter? Abgeschlossene Türme des Wissens, die nur für wenige Eingeweihte offen sind? Und das ‚gemeine Volk‘ bleibt außen vor?
Und wer darf denn zukünftig entscheiden, wer was wissen darf, und was breit publiziert, was aber nur exklusiven Zirkeln informierter Patienten vorbehalten bleibt?


Hat nicht jeder, vor allem auch jede/r HIV-Positive ein Recht darauf, das zu wissen? Und daraus zusammen mit seinem Partner, seiner Partnerin auch seine/ihre persönlichen Konsequenzen zu ziehen, z.B. für ihr/sein Verhalten?

Natürlich wirft die Veröffentlichung des Statements Fragen auf.
Aber – kann, sollte man es deswegen verbieten?
Oder nicht lieber versuchen, die Fragen zu beantworten, sich der Realität zu stellen?

Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen führt nicht weiter.
Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen führt höchstens dazu, dass Menschen halbinformiert sich irgendwie verhalten, sich ihre Wahrheit zurecht biegen, wie es eben ihre (Nicht-) Informationen zulassen. Und sich womöglich eben (z.B. aufgrund von Fehleinschätzungen, Stichwort negatives Serrosorting / Seroguessing) gefährden.
Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen verkennt zudem, dass die vielleicht gar nicht so dumm ist, sondern recht aufmerksam debattiert (wie derzeit in den Kommentaren zu einem queer.de – Artikel zum EKAF-Statement zu verfolgen ist).

Statt Informationen ‚unter dem Deckel halten‘ zu wollen, sollten wir uns viel mehr gemeinsam darauf konzentrieren zu prüfen, was der Beschluss genauer besagt, in welchen Situationen er was bedeutet. Welche Konsequenzen daraus für Präventions-Kampagnen und -Botschaften, aber auch für medizinische Angebote zu ziehen sind. Und diese Konsequenzen dann auch umsetzen – und offen kommunizieren.

Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz

keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs

Die Schweizer „Eidgenössische Kommission für Aidsfragen“ (EKAF) hat inzwischen ihren mit Spannung erwarteten Beschluss publiziert zur Frage, wie es mit der Infektiosität von HIV-Positiven bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie aussieht.

Dort heißt es:

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) hält auf Antrag der Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit, nach Kenntnis der wissenschaftlichen Fakten und nach eingehender Diskussion fest: Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‚wirksame ART‘) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die EKAF teilt auch dezidiert mit, warum sie diesen Text publiziert: „Die EKAF will Menschen mit und ohne HIV-Infektion Ängste nehmen und dadurch einem Teil der etwa 17.000 in der Schweiz lebenden HIV-infizierten Menschen ein weitgehend ’normales‘ Sexleben ermöglichen“.

Die EKAF beziffert auch das konkrete Risiko: „Das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.“

Die Schweizer Positivenvereinigung LHIVE begrüßte die Stellungnahme der EKAF.

Der Artikel „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ (Pietro Vernazza, Bernard Hirschel, Enos Bernasconi, Markus Flepp, alle Eidgenössische Kommission für Aidsfragen, Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ) steht als pdf online in deutscher Sprache hier, in französischer Sprache hier.

Die bisher zum Thema Infektionsrisiko unter Therapie widersprüchlichen Signale sind damit um eine klare Stimme aus der Schweiz reicher und bestätigen frühere Meldungen, dass das Transmissionrisiko unter HAART vernachlässigbar klein sei.
Und die Österreicher, die vor einer Mogelpackung warnten? Hier ticken die Uhren wohl immer noch anders …

Nun steht die Frage im Raum, wann die deutsche Gesundheitspolitik (und wie) auf die eindeutigen Schweizer Aussagen reagiert.
Zudem ist zu hoffen, dass diese nun fundiert vorgetragene Position auch in der deutschen Rechtsprechung Berücksichtigung findet.

Nachtrag 01.02.2008:
zwei interessante Artikel von Prof. Vernazza zum Thema: „Die HIV-Prävention wird einfacher – also komplexer!“ (pdf), und „HIV-Therapie wirkt auch präventiv„.

Infektionsrisiko unter Therapie – widersprüchliche Signale (akt.)

Kann eine erfolgreiche anti-HIV-Therapie das Risiko einer HIV-Übertragung senken? Diese Frage wird insbesondere auch unter HIV-Positiven intensiv diskutiert. Von Experten kommen derzeit unterschiedliche Signale.

RKI: nichts genaues weiß man nicht
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet sich zu diesem Thema mit einem im wesentlichen bedächtigen Ergebnis zu Wort. Im Epidemiologischen Bulletin Nr. 47 schreibt das RKI „Zum HIV-Übertragungsrisiko unter antiretroviraler Therapie“.

In dem Beitrag wird u.a. besonders auf die teils sehr schlechte Datenlage hingewiesen, so liegen z.B. kaum Daten zur HIV-Konzentration an der Darmschleimhaut (ohne / mit ART) vor.
Grundsätzliches Problem aller Überlegungen sei: für die Prävention relevante Überlegungen erfordern prospektive Studien zum Übertragungsrisiko von HIV – diese gibt es jedoch bisher nicht. Daten einer laufenden Studie bei diskordanten heterosexuellen Paaren werden für 2009/10 erwartet; eine Studie für Infektionsrisiken bei homosexuellen Übertragungssituationen existiert bisher nicht.

Surrogat-Marker (ersatzweise herangezogene Laborwerte wie die Viruslast) können dabei immer nur ein ‚Hilfskonstrukt‘ sein.
Etwaige vorhandene sexuell übertragbare Infektionen (STI) können zudem bei nicht / nicht erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven das Übertragungsrisiko zum Teil erheblich erhöhen (Daten bei erfolgreicher HAART liegen kaum vor).
U.a. aufgrund möglicher Veränderungen des Übertragungsrisikos z.B. durch Ko-Infektionen weist das RKI auf die Möglichkeit hin, dass zwischen monogamen Partnern und Partnern mit häufig wechselnden Partnern evtl. unterschiedlich hohe Übertragungswahrscheinlichkeiten bestehen könnten.

Mit aller Vorsicht der Wissenschaft kommt das RKI zur Frage des Infektionsrisikos bei erfolgreicher Therapie zu dem Schluss, dass
– eine effektive ART (Viruslast unter der Nachweisgrenze) mit hoher Wahrscheinlichkeit die HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit deutlich senkt;
– für Aussagen auf individueller Ebene (konkrete Situation / Konstellation zweier Menschen miteinander) hingegen weitgehend Daten fehlen; und
– die Einschätzung zahlreicher Risiko-Situationen bei eindringendem und aufnehmendem Anal- sowie Vaginalverkehr aufgrund fehlender oder nur geringer verfügbarer Daten kaum möglich ist. Das RKI trifft hierzu aus diesem Grund keine Aussagen.

Schweiz: Positive mit erfolgreicher Therapie „nicht infektiös“
Ganz anders die Beurteilung der Situation und die gezogenen Konsequenzen in der Schweiz:
Bernard Hirschel vom Service des Maladies Infectieuses Département de Médecine Interne Hôpital Cantonal (Leiter der Einheit Aids) vertritt eine sehr dezidierte Meinung. Seiner in letzter Zeit auch mehrfach öffentlich geäußerten Ansicht zufolge sind HIV-Positive mit erfolgreicher Kombitherapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) nicht infektiös, selbst nicht bei unsafem Sex.

Prof. Bernard Hirschel bringt seine Position in der ‚Tribune de Genève‚ auf den Punkt: „keine nachweisbare Viruslast, keine Infektion“(ähnliche Aussagen auch in 24 heures und Le Temps).
Eine Meinung, die auch die Schweizer Aids-Kommission teilt. Die ‚Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen‘ (EKAF) formuliert „ein zusätzlicher positiver Effekt einer erfolgreichen Therapie ist auch die fast vollständige Verhinderung einer weiteren Übertragung von HIV“ ((„Visionen und Empfehlungen für die HIV/Aids-Politik der Schweiz“, siehe unter ‚weitere Informationen‘)).

Hirschel führt seine Überlegungen sogar noch weiter. Er misst einer erfolgreichen Kombitherapie einen präventiven Aspekt bei. Präservativ und Pillen, Kondom und Kombitherapie seien zwei wirksame Schutz-Möglichkeiten, jede mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen.
Auch Hirschel betont allerdings, keine Infektiosität bedeute nicht ‚kein Risiko‘. Es bleibe weiterhin z.B. das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen, die dann ihrerseits auch das Risiko einer HIV-Übertragung erhöhen könnten.

Zwei renommierte Aids-Institutionen bzw. Experten, und zwei recht unterschiedliche Äußerungen. Was zunächst überrascht – die Datenlage kann ja doch zu diesem Thema zwischen der Schweiz und Deutschland nicht so arg unterschiedlich sein.

Prof. Hirschel kann sich zu einer sehr pointierten Aussage durchringen, die auch für Menschen mit HIV eine konkrete verständliche Botschaft ist.
Das RKI hingegen windet sich deutlich, vermeidet geradezu zu einer klaren Aussage zu kommen.
Zu hoffen ist, dass bei der Zurückhaltung des RKI keine politische Einflussnahme im Spiel ist. Bei der Haltung des RKI ist sicher zu berücksichtigen, dass das RKI vermutlich auch befürchtet, angesichts des komplizierten Sachverhalts würden Teile der Informationen ‚in der Praxis‘ verloren gehen – so dass im Extremfall der (nicht berechtigte) Eindruck eines ‚Freifahrscheins‘ entstehen könnte.

Dennoch – (nicht nur) für Menschen mit HIV bietet sich nun ein äußerst widersprüchliches, unklares Bild. Im Sinne klarer Botschaften, die auch Orientierungspunkte für eigenes Verhalten liefern, wäre es wünschenswert, wenn sich Aids-Experten deutlicher auf eine verständliche Position einigen können.
Zudem bleibt zu wünschen, dass die Erkenntnisse zur Infektiosität bei Positiven unter Therapie auch in der strafrechtlichen Praxis ankommen (und bei denen, die Strafverschärfungen fordern).
So könnte sich die/der deutsche Positive (zumindest aus der Sicht der Infektionsitäts-Debatte) derzeit beinahe wünschen, in der Schweiz zu leben …

weitere Informationen:
Transmissionsrisiko unter HAART: ‚vernachlässigbar klein‘
HIV-Status und Prävention
Das Epidemiologische Bulletin Ausgabe 47 / 2007 gibt’s als pdf hier
EKAF und Sektion Aids, BAG: „Visionen und Empfehlungen für die HIV/Aids-Politik der Schweiz“, discussion paper für das Aidsforum 2007, S. 19; als pdf online hier

Prof. Hirschel hat seine Gedanken auch in einem Interview mit dem Schweizer Positiven-Radion survivreausida erläutert. Die Sendung kann hier online gehört werden (mp3, in französischer Sprache)

Transmissionsrisiko unter HAART: ‚vernachlässigbar klein‘

Wie hoch ist das HIV-Übertragungsrisiko eines Positiven, der erfolgreich (Viruslast unter der Nachweisgrenze) antiretroviral therapiert wird?

Das Posting zu Infektionsrisiken sowie eine diesbezügliche Aussage in der Resolution des 120. Positiventreffens haben zu einigen Nachfragen geführt.

Deswegen hier ein interessantes Statement eines Schweizer Experten: Prof. Pietro Vernazza, Leiter des Fachbereichs Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, wird in der Ausgabe Juli/August 2007 von ‚Projekt Information‚ (Editorial) mit folgender Aussage zitiert:

„Eine Frage, die uns immer wieder beschäftigt, ist das Transmissionsrisiko unter HAART. Die Schweizer Fachkommission Klinik und Therapie HIV/Aids hat soeben ein Papier verabschiedet, in welchem das Risiko einer Transmission unter einer vollständig suppressiven HAART untersucht wird. Als vernachlässigbar kleines Risiko bezeichnen die Experten das Transmissionsrisiko beim ungeschützten Sexualkontakt mit einer Person mit vollständig suppressiver Therapie. Dies unter der Voraussetzung, dass bei beiden Partnern eine Geschlechtskrankheit ausgeschlossen werden kann. Diese Beurteilung basiert auf einer Fülle von epidemiologischen Daten und wird durch biologische Daten zur HIV-Konzentration in Genitalsekreten unterstützt.“

Der selbe Prof. Vernazza ergänzt konkreter hier (unter „Luxus oder Notwendigkeit?“):

„Das Risiko einer Übertragung unter einer vollständig suppressiven HAART ist unmessbar klein, es dürfte in der Grössenordnung von 1:100’000 bis 1: 1’000’000 oder noch kleiner liegen.“

Der selbe spricht schon 2006 auch hier von einem Übertragungsrisiko unter erfolgreicher HAART, das „vernachlässigt werden kann“.