Aids-Aktionsplan Berlin – viel heisse Luft, oder doch strategischer Aufbruch?

„AIDS-Aktionsplan für Berlin!“ – unter diesem Titel versuchten Vertreter von Aids-Initiativen, Politik und Verwaltung die Zukunft der Aids-Politik in Berlin zu diskutieren.

„Im Jahr 2007 hat die Bundesregierung ihren aktuellen Aids-Aktionsplan vorgestellt. … In der Bundeshauptstadt fehlt bisher ein übergeordneter Aktionsplan, der den neuen Herausforderungen in der Aids-Bekämpfung gerecht wird.“ Mit dieser These war die Diskussion zur zukünftigen Fortentwicklung der Berliner Aids-Politik angekündigt.

Hintergrund der Debatten ist der ‚Integrierte Gesundheitsvertrag‘. Dieser „Integrierte Gesundheitsvertrag“ (pdf hier insbes. ‚Handlungsfeld HIV/Aids ab S. 22, sowie Anlage 9 Projektträger xls) regelt seit einigen Jahren die Förderung von Projekten im Gesundheitsbereich durch das Land Berlin. Er „definiert die vier Handlungsfelder chronische Erkrankungen und besondere gesundheitliche Bedarfslagen; HIV/AIDS, sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatiden, Verbundsystem Drogen und Sucht und einen Innovationsfonds, der Modellprojekte im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention unterstützen soll.“ (Parität Berlin)

Das Gesamtjahresbudget des Integrierten Gesundheitsvertrags ist für 2006 mit 11,15 Mio € angesetzt, mit Kürzungen um 148.000€ pro Folgejahr. 2,175 Mio € des Jahresbudgets (2006) entfallen auf das ‚Handlungsfeld HIV/Aids, Sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatitiden‘.

Der Vertrag trat am 1. Januar 2006 in Kraft mit einer Laufzeit von fünf Jahren – per 1.1.2011 ist also eine Neu-Regelung erforderlich. Vor diesem Hintergrund fanden die von Kai-Uwe Merkenich (Berliner Aidshilfe) moderierte Podiumsdiskussionen im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ statt.

H. Drees, Parität Berlin
H. Drees, Parität Berlin

Heike Drees (Parität Berlin) berichtete über die Evaluation der Aids-Projekte.
Der Bereich HIV/Aids sei der erste der Bereiche des IGV, bei dem eine Evaluation durchgeführt worden sei (März 2007 bis Juni 2008, von Fox GmbH Köln). Diese Evaluation habe zu Empfehlungen geführt:
– als wirkungsorientierte Empfehlung wurde die Entwicklung eines Rahmenkonzeptes vorgeschlagen (politische und strategische Zielsetzungen, künftige Arbeitsschwerpunkte, fachliche Leitlinien, Vereinbarung über Qualitätsstandards, Leistungsbeschreibungen sowie Dokumentationssystem und Berichterstattung);
– als bedarfsorientierte Empfehlung wurden Ausbau, Stärkung und Entwicklung vorgeschlagen (zielgruppenspezifischer Prävention und individueller Handlungskompetenzen (insbesondere für MSM und Migranten), spezifische Hepatitis- und STI-Prophylaxe sowie systemische personenzentrierte Hilfsprozesse).
Im Zeitraum Juli 2008 bis Juli 2009 sollen nun Ziele, Zielgruppen, Aufgabenschwerpunkte und Leistungsbeschreibungen konkretisiert werden, zudem sei die Verbesserung der Dokumentationssystematik geplant.

Drees betonte, es bedürfe ihrer Ansicht nach nicht eines zusätzlichen Aids-Aktionsplans Berlin, wohl aber einer Berliner Strategie zur Umsetzung des nationalen Aids-Aktionsplans. Dazu bedürfe es eines darauf abgestimmten differenzierten Angebots- und Hilfesystems sowie bedarfsorientierter Finanzierung der Projektarbeit bei bedarfsorientierter Weiterentwicklung der Versorgung.

Auf Nachfrage erläuterte Drews, als eines der wesentlichen Probleme habe die Evaluation aufgezeigt, dass bisher Zahlen und Daten der Projekte nicht vergleichbar seien. Hier seien dringend Änderungen erforderlich. Zudem würden Projekte bisher dazu tendieren, unter dem Stichwort ‚Prävention‘ undifferenziert „alles zu machen“, hier sei eine stärkere Konkretisierung und Fokussierung erforderlich. Es müsse klarer werden, welcher Träger für welche Aufgabenbereiche zuständig sei.

Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg
Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg

Dr. Ruth Hörnle (Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung Gesundheitsamt Berlin-Schöneberg) stellte die Arbeit der Gesundheitsberatungen vor.
Nach dem GDG 2006 (Gesundheitsdienste-Reform-Gesetz vom 25.5.2006) sei die Anzahl der Beratungsstellen ab 1.7.2008 reduziert worden auf nunmehr 5 Sozialmedizinische Dienste (vorher 11) und 4 STD/Aids-Beratungsstellen (vorher 6). Sie betonte u.a. die Probleme mit der Beratung und Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Als einen Lösungsansatz bevorzuge sie den Vorschlag eines (in Italien bereits angewandten) ‚anonymen Krankenscheins‘ (Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, siehe auch Abschlussbericht pdf).
Als Ziele benannte Hörnle die langfristige Sicherung der Personalmittel sowie der Sachkosten für die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung sowie die Sicherstellung der Therapie von HIV und Aids für Menschen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung.

Marcel de Groot (LABAS)
Marcel de Groot (LABAS)

Marcel de Groot (Vorstand LABAS Landesverband Berliner Aids-Selbsthilfegruppen e.V. und Geschäftsführer Schwulenberatung e.V.) verwies nach einer umfangreichen Erläuterung der Aufgabenbereichen der Labas-Mitglieder u.a. auf das Problem schwer erreichbarer MSM (MSM = Männer die Sex mit Männern haben). Er betonte die Schwierigkeiten der Labas-Gruppen aufgrund steigenden Aufgaben-Umfangs bei sinkenden verfügbaren Mitteln.

Karin Lompscher
Karin Lompscher

Karin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz,  betonte eingangs, Ursache vieler Probleme sei das fehlende Bundes-Präventionsgesetz (siehe Post ‚Referentenentwurf Präventionsgesetz‚) als Handlungsgrundlage. Sie betonte, dass der Bereich HIV/Aids bisher von Kürzungen und Streichungen weitgehend ‚abgeschirmt‘ worden sei.
Der Integrierte Gesundheitsvertrag habe sich als Modell bewährt und solle prinzipiell beibehalten werden. Allerdings werde es für eine Neuauflage des IGV erforderlich sein, veränderten Rahmenbedingungen zu entsprechen und z.B. neue Zuständigkeiten bei den Handlungsfeldern zu definieren. Gerader angesichts der Haushaltssituation des Landes sei es erforderlich, in die zukünftigen Verhandlungen mit guten inhaltlichen Argumenten zu gehen.

Lompscher verwies auf veränderte Aufgabenstellungen. So sei es sicher richtig, das Problem schwer erreichbarer Gruppen zu benennen. Das allein sei allerdings weder neu, noch reiche es aus. Vielmehr müssten endlich auch Lösungsansätze, die Frage des ‚wie‘ behandelt werden. Zudem sei gerade diese Gruppe (der schwer erreichbaren MSM) bisher auch nicht gerade im Fokus der Arbeit der Projekte – dies müsse sich ändern. Fragen wie die Migration und insbesondere Menschen ohne Papiere / illegaler Aufenthaltsstatus müssten stärker einbezogen werden, aber auch die spezifischen Probleme von Menschen aus einkommensschwachen Gruppen.
Lompscher verwies darüber hinaus darauf, Strukturen innerhalb der Projektelandschaft stärker zu vernetzen, z.B. die Frage, wie ÖGD (Öffentlicher Gesundheitsdienst) und Aids-Projekte besser mit einander kooperieren könnten.

Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)
Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)

Auf Nachfragen aus dem Zuhörerkreis betonte Lompscher, zukünftig sei eine deutlich bessere Bedarfsorientierung der vorhandenen Träger erforderlich. Wenn dies nicht klappe, Rollen nicht ausgefüllt, Dokumentationen nicht erstellt, Daten nicht geliefert werden, stelle sich für sie die „Frage, haben wir die richtigen Träger?“.

Werden Menschen mit HIV und Aids (die ja nicht nur Teil der Zielgruppe, sondern auch Kunden und Verbraucher sind, an den politischen Entscheidungsprozessen für die Weiterentwicklung der Förderpolitik im Aidsbereich beteiligt? Senatorin Lompscher stellte klar, die Einbindung von Positiven in die politischen Prozesse sei nicht nur über die an den Diskussionen ja auch beteiligten Selbsthilfe-Projekte gewährleiste. Sie begrüße zudem auch, wenn Positive selbst direkt ihre Vorstellungen und Interessen formulieren und sich an sie wenden würden.

zum Thema siehe auch die Post-Serie „sexuelle Gesundheit in Berlin„:
1. HIV/Aids in Berlin
2. HIV-Neuinfektionen in Berlin
3. Syphilis in Berlin
4. Hepatitis C in Berlin
5. Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
6. Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dass eine Evaluation der Aids-Projekte und ihrer Arbeit stattfindet, ist zu begrüßen – allerdings sollte in der Konsequenz daraus für einen zukünftigen Gesundheitsvertrag nicht nur eine Fortschreibung des status quo resultieren. Vielmehr wäre eine strategische inhaltliche Weiterentwicklung wünschenswert.

Umso erstaunlicher und frustrierender war es, zu erleben dass Vertreter von Projekten bei einer Diskussion über einen Weiterentwicklung der Aids-Arbeit ihre Beiträge weitgehend darin erschöpfen, ihre vielen Aufgaben aufzuzählen und über fehlende Mittel und die dringende Notwendigkeit von Aufstockungen zu lamentieren. Derlei ist seit Jahren zu hören, und so berechtigt es in einigen Fällen sein mag, es ist ermüdend, nicht ausreichend und bringt eine Diskussion um einen Aids-Aktionsplan nicht gerade nach vorne.

Positiv anzumerken ist, dass zumindest die Senatorin in die Zukunft gerichtete Statements machte, schemenhaft Ansätze einer zukünftigen Entwicklung von Prioritäten und Aufgaben skizzierte – und den Willen zu strategischer Neu-Gestaltung zeigte. Menschen mit HIV und Aids in Berlin sollten die Chance nutzen, sich aktiv in diesen Prozess einzubringen.

 

Positive Begegnungen 2009

Pressemitteilung der deutschen Aids-Hilfe:

Anmeldefrist der größten europäischen Selbsthilfekonferenz „Positive Begegnungen – Konferenz zum Leben mit HIV/Aids“ hat begonnen

Berlin, 25.08.2008. Vom 29. Januar bis zum 1. Februar 2009 wird in Stuttgart zum 13. Mal die größte europäische Selbsthilfekonferenz zum Leben mit HIV/Aids stattfinden, die seit 1990 von der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. veranstaltet wird. An der Veranstaltung werden Menschen mit HV/Aids, Lebenspartner/innen, Eltern, Angehörige, Kinder von Menschen mit HIV/Aids sowie Interessierte teilnehmen. Erwartet werden 500 Teilnehmer/innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Die Konferenz zum Leben mit HIV und Aids geht 2009 nochmals erweiterte Wege:
Einerseits werden Österreich und die deutschsprachige Schweiz als Partnerländer eingebunden, andererseits soll auch innerhalb von Stuttgart selbst die Konferenz mit ihren Themenschwerpunkten sichtbar und spürbar werden.

Während der Sitzung wurden insbesondere Themen wie Prävention und Repression, Stigmatisierung und Selbststigmatisierung, HIV in der Arbeitswelt, Sichtbarkeit und Sexualität intensiv diskutiert. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Gebärdendolmetscher werden, wie auch schon in Leipzig 2006, für größtmögliche Barrierefreiheit sorgen.

Auf der Website der Vorbereitungsgruppe und dem dazugehörigen Diskussionsforum können ab sofort die Anmeldeunterlagen sowie das Programm herunter geladen werden. Die Anmeldefrist begann am 1. August und endet am 1. Oktober 2008.

Neben dem umfangreichen Workshopprogramm will die Vorbereitungsgruppe der Positiven Begegnungen dem Thema der Konferenz auch mit anderen Formen Ausdruck verleihen und lädt daher alle Interessierten ein, eine Ausstellung unter dem Titel „Bilder eines Stigmas – Ausstellung zur Konferenz Positive Begegnungen“ mitzugestalten.

Das Foyer des Stuttgarter Rathauses eignet sich besonders gut, um eine Ausstellung zum Thema der Konferenz zu gestalten, die sowohl von den Konferenzteilnehmenden als auch während der Öffnungszeiten des Rathauses einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Teilnehmen können Projekte und Einzelpersonen. Hier können Künstler/innen und Gruppen ihre Arbeiten präsentieren, sich kreativ beteiligen und das Konferenzthema abbilden.

Nähere Informationen zur Ausstellung sowie Hinweise zur Einreichung von Arbeiten sind ebenfalls auf der oben genannten Webseite zu erhalten.

Blogs über das Leben mit HIV (akt.)

Schwule Blogs gibt es in deutscher Sprache reihenweise im Netzt, zu allen möglichen Themen und Vorlieben. Aber – wie sieht es mit Blogs zu HIV und Aids aus, mit Blogs von Positiven?

Positive bloggen – wo?

Deutschsprachige Blogs über das Leben mit HIV und Aids … in alphabetischer Reihenfolge …

eintagpositiv – Ray Allen schreibt über seinen Beginn des Bloggens „Mein Name ist Ray, ich bin (jetzt gerade) 30 Jahre alt und lebe in München. Seit einem Jahr wohne ich mit meinem Freund zusammen. Es ging alles sehr schnell, aber es funktioniert und wir lieben uns. Vor zwei Tagen war der erste Tag unseres zweiten, gemeinsamen Jahres, und der Tag an dem wir erfuhren, das er HIV+ ist. Irgendwo wollte ich mit meinen Gedanken hin, und so landete ich hier.“
Nach langer Pause (letzter Post am 14. Mai 2008) wieder da mit neuen Posts ….

hivblog – Der Blogger schreibt selbst über sich: „Ich weiß seit dem 20. Juli 2005, dass ich HIV positiv bin. Ein Jahr später sind die Werte bereits so schlecht, dass ich im August 2006 mit der Kombitherapie beginnen musste. … Mit diesem Blog möchte ich hautnah und direkt zeigen, was es heute heißt, mit HIV zu leben. … Ich will nicht moralisieren noch jemandem vorschreiben, was er zu tun hat. Und dennoch habe ich eine Botschaft. Ich will durch die Dokumentation meiner Erfahrungen belegen, warum es keine Alternative zu Schutz und Vorsorge gibt.“
Das Blog ist leider ebenfalls nicht ganz aktuell (letzter Post vom 19.2.2008).

Kalle bloggt / positivegefuehle – Kalle sagt selbst über sein Blog „“kein reines Hiv-Blog, sondern eine ‚krude Mischung‘ aus Hiv & Aids, Schwulsein, Behinderung, Blumen und Garten, Privates usw.. Diese Mischung wird hauptsächlich von Frauen gelesen, weniger von Schwulen oder Positiven, doch finde ich dies wichtig, da ich sie als Mutiplikatoren für mehr Akzeptanz gegenüber Minderheiten betrachte.“

Posithiv – ein junger Mann, der seit dem 9. Juli 2008 bloggt. Er schreibt selbst über sich und sein Blog: „Ich bin ein 28-jähriger (Stand: Mitte 2008), schwuler, verheirateter, HIV-positiver Mann in einer deutschen Großstadt. Ich weiß seit dem 25. Juni 2008 von meiner HIV Infektion. Mit diesem Blog möchte ich den Infektions- und Behandlungsverlauf bei mir und auch bei meinem Mann dokumentieren. Sowohl als Informationsquelle für meine Freunde und Bekannte, als auch für alle anderen Interessierten.“

posithiv (2) – der Name scheint beliebt zu sein, liegt er doch ein wenig auf der Hand. Kein eigentliches Blog, mehr eine Homepage. Der Autor schreibt „über das was ich als HIV positiver erleben durfte: Wer bin ich, was habe ich für Ängste, gibt es Hoffnungen? Wie habe ich mein AIDS Test erlebt und wie habe ich mich überhaupt infiziert.“

regenbogen – Blog auf der Site weltaidstag.com des Saarbrücker Vereins Regenbogen e.V. Viele Posts u.a. von Uwe Görke.

schwul-hep-c – Blog eines schwulen, HIV-infizierten Mannes, der mit Hepatitis C ko-infiziert ist und plante, über seine Hep-C-Therapie zu berichten. Leider bisher nur ein Post.

uwegoerke – Langzeit-‚Privat-Aktivist‘ Uwe Goerke. Ebenfalls kein eigentliches Blog, auf seiner Site ist neben zahlreichen weiteren Informationen allerdings auch ein Tagebuch zu finden. Parallel bloggt Görke unter dem Titel ‚mein Leben mit HIV‘.

weltaidstag.de/blog – die offizielle Site von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deutscher Aids-Hilfe und Deutscher Aids-Stiftung enthielt bisher ein Blog. Dieser fiel jedoch der Neugestaltung zum Opfer … der Blog ist seit Mitte Juli (einschließlich der früheren Beiträge) abgeschaltet, die Blog-Beiträge sind nicht erreichbar. Zu viel Gedankenfreiheit?

In einigen (wenigen) anderen Blogs sind HIV und Aids gelegentlich Thema, sie haben dies jedoch nicht zum Schwerpunkt – oder behandeln es nicht aus der Perspektive eines HIV-positiv lebenden Menschen.

Nachtrag:
21.9.2008: ein der der früheren weltaidstag.de – Blogger ist erfreulicherweise zurück, mit eigener Seite: Termabox – willkommen!
Unter den Namen „nubilum – Irgendeine Umnebelung ist vorhanden, die geradezu auf alle einwirkt“ schreibt seit Ende 2008 Andreas sein Blog.

27.04.2009: Unter dem Titel „Jos Blog“ berichten Jo und Steffan seit Januar 2009 „Ein bisschen schräg, ein bisschen schwul, ein bisschen positiv“

22.11.2009: ein junger HIV-positiver Mann bloggt -leider seit November 2010 nicht mehr- unter http://www.marceldams.blog.de/ – mit dem Untertitel „HIV – Selbstbewusstsein ist das beste Accessoir“

Dein Blog fehlt hier? Du kennst ein Blog, das hier aufgenommen werden sollte? Mail an ondamaris !

Trotz einiger Recherchen in Blogverzeichnissen, schwulen Webrings usw. – bisher sind scheinbar nur auffallend wenige Blogs in der deutschen Blogger-Landschaft zu finden, in denen das Leben mit HIV thematisiert wird. Blogs von (als solchen erkennbaren) HIV-Positiven sind eine noch größere Rarität

Und, bemerkenswert, die Mehrzahl der genannten Blogs ist in irgend einer Form ‚anonym‘ (sei es fremdgehostet, fehlendes Impressum o.ä.). Als HIV-Positiver offen, unter eigenem Namen zu schrieben ist immer noch ein Ausnahmefall. Ein weiteres Indiz, dass das Leben mit HIV, das Leben als Positiver immer noch wiet davon entfernt ist, diskriminierungsfrei zu sein?

Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss

Der Gemeinsame Bundesausschuss wird immer mehr zu einem der zentralen Entscheidungsgremien der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Doch – wie funktioniert die Einbeziehung von Patienten-Interessen?

Bis zur Gesundheitsreform 2004 waren die Interessen von Patienten in den Entscheidungen des Bundesausschusses nicht vertreten, Einflussnahme kaum möglich (wenn man einmal davon absieht, dass sicher sowohl Ärzte als auch Kassen der Ansicht sind, sie vertreten Patienten-Interessen). Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Methadon-Beschlüsse, Viagra) fand die Arbeit des Bundesausschusses weitgehend ohne Beteiligung der Öffentlichkeit statt.

Die Zeit vor dem G-BA
Schon bald nach Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung (1884) wurde deutlich, dass Regelungen und Strategien der Konfliktbewältigung erforderlich werden. Um die Vertragsbeziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen zu regeln, wurde deswegen 1913 durch das ‚Berliner Abkommen‘ ein paritätisch von Kassen und Ärzten besetzter Ausschuss gegründet. Dieser konstituierte sich 1923 als öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft unter dem Namen ‚Reichsausschuss‘. Nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland und Gründung der Bundesrepublik wurde (mit ähnlichen Aufgaben) 1956 der ‚Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen‘ (BAK) gegründet. Im Laufe der Zeit wurden seine Aufgaben zunehmend erweitert; zudem wurde mit der Gesundheitsreform 2000 ein Ausschuss Krankenhaus sowie ein Koordinierungsausschuss gegründet. In Folge der Gesundheitsreform 2003 wurde 2004 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gegründet, in dem die ehemaligen Bundesausschüsse aufgegangen sind. Erstmals sind nun auch Patientenvertreter beteiligt.

Mit der Gesundheitsreform 2003 sollte auch die Patientenorientierung im Gesundheitswesen verbessert werden. Dabei war Ziel die Vertretung kollektiver (nicht individueller) Patientenrechte. Im Ergebnis der Gesundheitsreform 2003 arbeiten erstmals seit Beginn 2004 auch Patientenvertreter in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit.

Wer in welcher Weise als Patientenvertreter im G-BA mitwirken kann, ist in einem Benennungsverfahren geregelt.
Die Patientenbeteiligung soll dabei auf allen Ebenen des G-BA erfolgen:
Spruchkörper
Unterausschüsse
– Arbeitsgruppen
– Themengruppen

Die Mitarbeit der Patientenvertreter erfolgt ehren- oder nebenamtlich. Sie erhalten für ihre Mitarbeit Reisekosten sowie ein Tagegeld und einen Pauschbetrag (Aufwandentschädigung) in Höhe von derzeit 49,-€ erstattet. Beschäftigte Patientenvertreter erhalten auf Antrag einen etwaigen Verdienstausfall erstattet.

Die Mitarbeit von
Patientenvertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss legt die Frage nahe, wer denn ‚die‘ Interessen ‚der‘ Patienten vertreten kann bzw. soll.

Die Frage der Benennung von Patientenvertretern ist im Sozialgesetzbuch 5 (SGB-V) sowie in der ‚Patientenbeteiligungsverordnung‚ (PatBeteiligungsV vom 19. Dezember 2003) geregelt.

Im Sozialgesetzbuch V (SGB V) §140f Abs. 2 wird hierzu gesprochen von „Organisationen, die auf Bundesebene maßgeblich sind für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen“. Diese sollen demnach einvernehmlich „sachkundige Personen“ (Patientenvertreter) benennen.

Bisher sind als solche gem. §140(2) SGB-V und PatBeteiligungsV maßgebliche Organisationen anerkannt
für den Bereich der ‚Betroffenenverbände‘:
– der Deutsche Behindertenrat (DBR)
(Im DBR sind vertreten die BAG Selbsthilfe und ihre Mitgliedsorganisationen, die Sozialverbände (SoVD, VdK) sowie die freie Selbsthilfe (IG selbstbestimmtes Leben, Weibernetzwerk).

für den Bereich der ‚Beraterverbände‘:
– die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen BAGP),
– die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG), und
– der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv).

Diese vier Verbände sind per se als maßgeblich im Sinne des §140f anerkannt. Doch der Kreis der die Patienteninteressen vertretenden Verbände ist damit nicht abschließend festgelegt.
Der etwaigen Anerkennung aller weiteren Organisationen liegen nach PatBeteiligungsV folgende Kriterien zugrunde:
– Ziel & Aufgabe der Organisation
– Innere Ordnung (z.B. demokratischer innerer Aufbau)
– Mitgliederkreis
– Dauer des Bestehens und (bundesweiter) Wirkungskreis
– Neutralität und Unabhängigkeit
– Gemeinnützigkeit

Anerkannte Organisationen können Patientenvertreter benennen.

Diese Patientenvertreter müssen gem. PatBeteiligungsV von den Organisationen als
– sachkundigen Personen
– gemeinsam und
– einvernehmlich benannt werden.
Die Benennung erfolgt im Koordinationskreis. Dabei ist festgelegt, dass mehr als die Hälfte der sachkundigen Personen aus dem Bereich der Selbsthilfe kommen muss.
Für jedes Gremium des G-BA können dabei maximal so viele Patientenvertreter benannt werden, wie Kassenvertreter benannt sind.
Derzeit sind über 200 Personen als PatientenvertreterInnen benannt.

Wichtige Dokumente:
Patientenbeteiligungsverordnung als pdf hier

Wer wenn nicht wir …

Die gute Position, die die deutsche Aids-Politik und ihre Erfolge im europäischen und internationalen Vergleich einnehmen, wie auch die vergleichsweise guten Lebensrealitäten, die für viele (wenn auch nicht alle)  Menschen mit HIV und Aids in Deutschland möglich sind, haben viel zu tun mit dem Engagement von Betroffenen.
Menschen aus den von HIV am stärksten betroffenen Communities, besonders aus denen schwuler Männer, engagierten sich. Vor allem aber: HIV-Infizierte brachten ihre Interessen zu Gehör, forderten sie unüberhörbar ein – und wurden immer wieder selbst aktiv. Dies, dieses Engagement, auch dieser Aktivismus war ein zentraler Baustein einer (in Deutschland insgesamt) recht erfolgreichen Aids-Politik.

Und heute? Der Aids-Bereich ist zunehmend von einer Gesundheits-Bürokratie durchdrungen. Engagement, Engagement in eigener Sache, positiver Aktivismus hingegen werden immer seltener.

Wer, wenn nicht wir? Dies war in früheren Aids-Jahren eine der Devisen, die Positive dazu ermutigte, in eigener Sache aktiv zu werden. Inzwischen sieht es seit Jahren eher düster aus in Sachen Positiven-Aktivismus.
Oder nicht?

Sind HIV-Positive, die eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie durchführen und ansonsten keine sexuell übertragbaren Erkrankungen haben, sexuell nicht mehr infektiös, wie es ein Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission sagt? Die Debatten um dieses Statement, um Reaktionen darauf und mögliche Konsequenzen haben auch unter Positiven für Diskussionen gesorgt. Im Augenblick tut sich etwas, ‚gärt‘ etwas, diesen Eindruck mag man gewinnen. Anflüge von Positiven-Aktivismus scheinen wieder erahnbar.

Doch – wer genau hinschaut, beginnt sich bald Fragen zu stellen.  Wer ist dort aktiv? Ist das eine Bewegung aktivistischer Positiver? Weit gefehlt. Ein Häufchen Einzelkämpfer, diese Formulierung träfe vermutlich eher zu. Und – „die gleichen Verdächtigen wie früher“, diesen Eindruck würde der Beobachter wohl auch bald gewinnen. Nicht ganz zu Unrecht. Denn im wesentlichen engagieren sich wieder diejenigen, die (mindestens) schon in den 90ern aktiv waren.

Das wirft Fragen auf, Fragen nicht nur nach dem ‚warum‘.
Wo bleiben die Proteste außerhalb dieses kleinen Kreises?
Wo sind positive Vordenker?
Wo politisch interessierte, engagierte Positive?
Wo sind die jungen Positiven, die zornig, wütend sind?
Die ihre eigenen Wege gehen wollen (statt alten Säcken munter den Vortritt zu lassen und ausgetretenen Spuren zu folgen)?

Ist auch HIV, ist auch das was früher einmal Selbsthilfe war, längst ein gesättigter Markt geworden, in dem wir alle nur noch Kunden und Klienten einer allumfassenden Aids-Industrie sind, dick, fett, wohlgefällig?
Oder gibt es noch irgend etwas, über das wir uns aufregen? So sehr, dass wir bereit sind, den Arsch hoch zu bekommen, uns zu engagieren?

Oder ist die ‚Aktivisten-Mentalität‘ auch nur ein Überbleibsel einer alt werdenden Generation früherer Schwulenbewegter? Ist HIV als Thema längst passé?

Und was machen wir dann, wenn auch der letzte ‚alte Sack‘ den Aktivisten-Löffel aus der Hand gegeben hat? Fressen brav unsere Pillen? Machen brav, was Frau (oder Herr) Gesundheitsminister uns vorschreibt? Bekommen eben, völlig ruhiggestellt, nicht, was uns bewusst vorenthalten wird?

Ich will mich nicht in Rage schreiben ;-).  Aber für mich steht ernsthaft die Frage im Raum, wo bleibt sie, die nächste Generation Aktivisten? Wo soll sie her kommen?
(Und, um auf eines direkt einzugehen, bleibt mir an Land mit der ewigen Lamentiererei, ‚die Alten‘ ließen keinen Platz für euch – nehmt ihn euch, es ist bei weitem genug Platz da für’s aktiv werden. Und genügend Goodwill, auf Nachfrage zu unterstützen, zu erzählen, Erfahrungen bereit zu stellen.)

Wenn wir es nicht hinbekommen, uns wieder selbst in nennenswertem Umfang aktiv einzubringen, werden wir, wird das Thema HIV, werden die Interessen HIV-infizierter Männer und Frauen demnächst untergehen im Brei der Gesundheitspolitik. Wird der Aufmerksamkeits-Zirkus der Medien weiterziehen. Werden heute noch selbstverständliche Gelder (die auch Positiventreffen, Broschüren, Veranstaltungen etc. ermöglichen) schon bald perdu sein, nur noch romantische Erinnerung an ‚früher‘.

Bisher haben positive Bewegungen sich immer wieder neu erfunden, immer wieder nach Phasen der Besinnung den Arsch hoch bekommen.

Es wird auch nun Zeit, dass Positive wieder ihre Stimmen erheben.
Und dass neue Generationen Positiver ihre eigenen Stimmen erheben.

Wer, wenn nicht wir?

Talkrunde 25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe

1983 wurde die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) gegründet. Auf dem 126. Bundes­weiten Positiventreffen fand aus Anlass des 25jährigen Jubiläums am 25. Juni 2008 eine Podiumsdiskussion statt unter dem Motto „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe – Geschichte auch für die Gegenwart“

Ich weiss was ich tu!Auf dem Podium:
Bernd Aretz – seit 1984 immer wieder und in vielerlei Funktionen Aktiver in Sachen HIV/Aids und deren Institutionen, u.a. Herausgeber Infakt (früher posT), Vorstandsmitglied Aids-Hilfe Offenbach
Claudia Fischer-Czech – 1992 bis 1996 Frauen-Beauftragte, später Frauen-Referentin der Deutschen Aids-Hilfe, danach im Ausland, zeitweise bei ICW (In­ternational Community of Women with HIV and Aids); ab 1.7.2008 bei Kassan­dra (Prostituierten-Selbsthilfe)
Dirk Hetzel – in seinen letzten Tagen als HIV-Referent der Deutschen Aids-Hil­fe (DAH)
Carsten Schatz – Landesgeschäftsführer ‚Die Linke‘ Berlin, seit vielen Jahren Mitglied bei positiv e.V. (Veranstalter der Bundesweiten Positiventreffen)
Michael Schumacher – Seit 23 Jahren hauptamtlich im Aidsbereich beschäf­tigt. 5 Jahre Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Aids-Hilfe (u.a. als HIV-Referent), seit 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln
Moderation: Prof. Dr. Martin Dannecker – Professor für Sexualwissenschaften, früher Frankfurt am Main, jetzt Berlin

War Aidshilfe schon von Anfang an gesundheitsbezogene Selbsthilfe? Oder begann sie als Reflex zur Abwehr antischwuler Affekte ange­sichts der Bedrohung Aids?“ Mit dieser Frage eröffnet Martin Dannecker die Diskussion.

Bernd AretzDie Frankfurter Aidshilfe wurde gegründet von HIV-positiven Männern, die Mar­burger Aidshilfe hingegen aus politischen Gründen, aus der Befürchtung an­tischwuler Momente heraus, berichtet Bernd Aretz, der 1984 mit einem posi­tiven Testergebnis nach Frankfurt kam.

In Marburg z.B. sei die Schwulenbewe­gung vor Ort nicht begeistert gewesen. Tatsächlich habe es kaum HIV-infizierte gegeben; der HIV-Test sei gegen die politische Strömung angeboten worden. Dieses Spannungsfeld von Selbsthilfe positiver Männer und Abwehr antischwu­ler Reflexe durchzog Aidshilfe in ihren Anfängen.

Aretz kolportiert zur Illustrati­on eine Begegnung aus dieser Zeit: als er sich als hessischer Delegierter im DAH-Beirat vorstellte mit den Worten „ich bin ein schwuler Mann mit HIV“, habe ihm damals Dieter Runze entgegnet „sowas bespricht man hier nicht“.

Carsten SchatzCarsten Schatz wurde 1991 unfreiwillig im Krankenhaus auf HIV getestet. Er engagierte sich schnell bei Pluspunkt, einer aus Patienten der Charité (der sog. ‚Sofarunde‘) hervor gegangenen Gruppe in Berlin Prenzlauer Berg.

1992 sei er erstmals auf einer Bundes-Positiven-Versammlung (BPV) gewesen (damals in Hamburg). Er habe schockiert reagiert, als er erleben musste, dass HIV-positive Frauen ihren Platz in Aidshilfe erst gegen Widerstände einfordern, erkämpfen mussten.

Aidshilfe verstehe er als politische Organisation, die dafür einzutreten habe, dass Menschen mit HIV und Aids nicht ‚unter den Teppich gekehrt werden‘.

Dabei gelte es nach vorne zu stellen, was uns verbindet, wofür wir gemeinsam eintreten können.

Claudia Fischer-CzechDie Braunschweiger Aidshilfe wurde überwiegend von schwulen Männern ge­gründet, zur Abwehr von Stigmatisierung und Diskriminierung, ‚da gab es da­mals noch keine Positiven‘, berichtet Claudia Fischer-Czech, damals selbst Gründungs-Mitglied. Sie habe Aidshilfe zu dieser Zeit in Braunschweig als eine sehr solidarische Gemeinschaft empfunden, schnell seien auch Frauen aus den Be­reichen Drogengebrauch sowie Prostitution engagiert gewesen. Nach vier Jah­ren sei sie zu Hydra, einem Prostituiertenprojekt, gewechselt.

Mit ihrem positiven Testergebnis 1992 habe sie zunächst nicht offen umgehen wollen, die Ausschreibung der Stelle als Frauen-Beauftragte der DAH sei mit ei­nem ’nicht ganz freiwilligen Outing‘ verbunden gewesen. Damals hätten sich Frauen im schwulen Kontext der Aidshilfe nicht wohl, nicht gleichberechtigt ge­fühlt. Ziel sei es gewesen, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen. Auch re­gional habe es damals begonnen zu ‚brodeln‘, daraus habe sich dann die (schon von Carsten Schatz angesprochene) Hamburger ‚Palast-Revolution‘ er­geben. Im Frauenreferat der DAH habe sie zunächst gegen viele Widerstände arbeiten müssen, vor allem wenn es um Mittel und Eigenständigkeit ging.

Dirk HetzelIn die Aidshilfe Karlsruhe sei er als junger Mann gekommen, weil dies wohl der Ort gewesen sei, um schwule Männer kennen zu lernen, erzählt Dirk Hetzel. Die Aidshilfe dort sei aus der universitären Schwulenbewegung heraus entstan­den, nicht als Gesundheitsbewegung sondern mit dem Moment der Gefahren­abwehr und Antidiskriminierung. Offen positive Menschen habe er damals kaum gekannt, seine erste Begegnung mit einem HIV-Positiven sei Oliver Trautwein gewesen.

1989 sei er nach (damals noch West-) Berlin gewechselt, habe als Job im Som­mer 1989 bei der DAH im Versand angefangen, später im damals noch vorhandenen Presse-Bereich (Ausschnitt-Dienst). Der damalige Leiter des Referats Psychosoziales, Axel Krause, holte ihn in sein Referat. Krause erkrank­te bald schwer, Hetzel war de facto 2 Jahre lang alleiniger Mitarbeiter des Refe­rats, da keine Krankheitsvertretung (außer ihm als junger ‚Aushilfe‘) engagiert wurde. Damals habe es eine große Scham gegeben zu akzeptieren, dass Mit­arbeiter erkrankten, für lange Zeit nicht wieder kommen würden – ein heute befremdlich anmutender Umgang mit Krankheit und drohendem Verlust. 1992 habe er seine Festanstellung in der DAH erhalten; 1997 bei einem Kranken­haus-Aufenthalt sein positives Testergebnis.

Michael SchumacherIn Bonn habe es zwar positive Testergebnisse gegeben (Doktorarbeit Köthe­mann), im lokalen Schwulenzentrum jedoch keine Positiven, erzählt Michael Schumacher über die damalige Situation.

‚Da müssen wir was tun‘, sei der Impuls gewesen, der zur Gründung der Aids-Hilfe Bonn geführt habe. Er sei ei­nes der 7 Gründungsmitglieder der Aids-Hilfe Bonn, die zunächst in den Räu­men des Schwulenzentrums angesiedelt war. Dort habe er zunächst ehrenamt­lich mitgearbeitet, dann die erste hauptamtliche Stelle erhalten.

Nach 5 Jahren in Bonn habe er dann 5 Jahre in der DAH in Berlin gearbeitet (Schwulenreferat, dann Referent für Menschen mit HIV und Aids), nach einem einjährigen Kran­kenhaus-Aufenthalt sei er seit nun 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln. In Köln habe er auch selbst sein positives Testergebnis erhalten.

Martin DanneckerEs gibt eine Phase der Angst vor der politischen Instrumentalisie­rung dieser Krankheit, primär schwuler Männer – und daraus die Bemühun­gen, befürchtete Re- Diskriminierungen schwuler Männer abzuwehren. Positive hatten darin keinen richtigen Platz, fast gab es ein Tabu des offen Positiven,“ fragt Martin Dannecker in die Runde, „ist da was dran?

Bernd Aretz erinnert sich an eine Begegnung 1987. Damals habe Ian Schäfer auf einer Tagung der HuK (Homosexuelle und Kirche) gefragt „was können wir für euch tun“. Fragen dieser Art seien damals sogar von Männern gekommen, sie selbst HIV-positiv waren. Sein Ziel sei hingegen immer gewesen zu fragen „was können wir für uns tun“. Auch erinnere er sich an eine Situation bei dem Treffen, an ein deutliches Erschrecken anderer Teilnehmer, als sie feststellen dass es offensichtlich auch Sex mit HIV-Infizierten geben könne.

Auch in Bonn gab es damals keine offen positiven schwulen Männer – sondern offen positiv war Oliver Köppchen, ein Hämophiler, erinnert Michael Schuma­cher.

Gab es ein Klima, dass man zwar solidarisch war, aber mit uns nichts zu tun haben wollte?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

„Sag es uns nicht“, sei das damalige Klima gewesen, antwortet ihm Bernd Aretz spontan. Damals sei eindeutig signalisiert worden, ‚ihr seid zumindest vollständig nicht erwünscht‘. Damals seien wohl auch eigene Ängste durch Ver­schweigen kompensiert worden.

Claudia Fischer-Czech weist auf einen Perspektiv-Wechsel hin. Sie habe sich ja schon „in wissentlicher Zeit“ mit HIV infiziert. Damals habe sich die Wahr­nehmung ihrer Person verschoben, eine ‚Degradierung zur Positiven‘ sei einge­treten, der eine Instrumentalisierung gefolgt sei. Sie sei damals Mittel zum Zweck geworden. Zu dieser Zeit sei in Reaktion auf diese Situation das ‚Netzwerk Frauen und Aids‘ gegründet worden. Doch auch dies sei heute von ‚Professio­nellen‘ durchdrungen, die die Mühen der damaligen Positionierungs-Arbeit nicht mit gemacht hätten, jetzt aber sehr wohl die Chancen nutzten.

Carsten SchatzDie Begründung der Bundesweiten Positiventreffen im Jahr 1986 hatte auch damit zu tun, dass sich Positive in Aidshilfen nicht wohl fühlten, erinnert sich Carsten Schatz. Auf einer Tour durch ostdeutsche Aidshilfen sei Michael Schu­macher und ihm in einer Aidshilfe ein ‚Posi-Thron‘ gezeigt worden – für den einzigen Positiven, der damals in diese Aidshilfe kam. Genau davor seien die Positiven damals weg gelaufen, „mit Liebe und Zuneigung wurde dir dein Leben entzogen“. Damals sei schon hinzu gekommen, dass er ja auch schon nicht mehr „die jungfräuliche Generation“ gewesen sei. Die Frage „du wusstest doch alles – warum trotzdem?“ habe unausgesprochen oft mit ihm Raum gestanden.

Die jungen Positiven heute infizieren sich alle „beim einzigen unsafen Sex“ ihres Lebens, ergänzt Michael Schumacher, und weist auf das Gefühl hin, man müsse sich in Aidshilfe erklären, rechtfertigen für seine Infektion.

Er habe damals für sich selbst keinerlei Schuldgefühle gegenüber seiner Infek­tion gehabt, berichtet Dirk Hetzel, wohl aber davor, wie das im professionellen Kontext wahrgenommen werde. Leider hätten genau diese Ängste sich auch als begründet erwiesen. Ein Kollege, der ihn damals bereits seit 10 Jahren kannte, habe in einer Mitarbeiterbesprechung nach seinem Statement reagiert mit den Worten „also das war jetzt die Meinung der beiden Positiven“. Er habe die Re­aktion einiger Kollegen damals als ‚Ausgrenzung pur‘ empfunden, sei nicht mehr als Fach-Kollege, sondern nur noch als ‚der Positive‘ wahrgenommen worden.

„Aidshilfe wurde 1985, zu Süßmuths Zeiten, erstmals vom Staat finanziert, übernahm Aufklärungsarbeit, da sie in den ‚Risikogruppen‘ über großes Ver­trauen verfügte. Geriet damals die Autonomie in Gefahr? Die Mischung von ’solidarisch‘ und ‚Gesundheitsfürsorge‘ – macht genau die das Pro­blem?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

Dirk Hetzel weist auf die Ambivalenz des Problems hin. Aidshilfe brauche die Neu-Infektionen ja geradezu, sonst gebe es ja zukünftig kein Geld mehr. Dies erkläre implizit auch die immer repressiveren Forderungen aus Politik und Me­dien – je mehr Normalisierung von HIV/Aids, desto mehr müsse skandalisiert werden, um den betriebenen Aufwand überhaupt noch zu rechtfertigen.

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, bemerkt Michael Schuma­cher, und wir beteiligen uns zu sehr an einer Verharmlosung der Situation. Dass die Zahlen steigen werden angesichts veränderter Rahmenbedingungen, mit der neuen Freiheit durch erfolgreiche Medikationen, sei geradezu normal. Hier sei Aidshilfe nicht ehrlich. Das müsse auch offen gesagt werden, dem müsse nicht mit Repressionen begegnet werden – und Aidshilfe müsse hier auch Konflikte aushalten, sei derzeit nicht mutig genug.

Bernd AretzBernd Aretz weist darauf hin, dass in der Anfangszeit keine Alternative zu staatlicher Finanzierung bestanden habe. Eine andere Frage sei, wie dies jetzt aussehe. Er stelle sich die Frage, ob die derzeitige Situation wirklich von einer Zensur seitens BzgA oder Ministerium gekennzeichnet sei – oder es sich nicht vielmehr um eine hausgemachte Krise handele, ein Versagen der eigenen In­stitutionen?

Es hat früher eine Zeit gegeben, in der Positive auch selbst politische Forderun­gen an die Öffentlichkeit getragen haben, erinnert Carsten Schatz. Heute fehle genau dies, dass Menschen mit HIV und Aids selbst ihre Interessen auf den Tisch legen und einfordern. Die DAH sei artig geworden, artig auch weil es an Druck fehle.

Das sei ein schwieriges Thema, bemerkt Dirk Hetzel, selbst in der Positiven-Community sei politische Meinungsäußerung schwierig, die Solidarität mit ein­ander sei brüchiger geworden.

Dieses „wir“ sei wesentlich verschwommener geworden als in den 90ern, dar­auf weist Martin Dannecker hin. Heutzutage differenzieren wir zu wenig, füh­ren zu wenig Diskurse. Er fordert, mehr das „wir“ zu reflektieren, deutlicher die unterschiedlichen Stränge aufzunehmen, unterschiedliche Interessen versteh­bar zu machen.

Die Positivenbewegung sei doch lange Zeit ein „Verein ich möchte Opfer bleiben e.V.“ gewesen, entgegnet Bernd Aretz. Erst seit zwei, drei Jahren zeichne sich langsam wieder mehr Bewegung ab.

Die Positivenbewegung hat sich mit der Aidshilfe als Präventions-Agentur ’soli­darisiert‘, bemerkt Dirk Hetzel. Der integrative Gedanke sei breit akzeptiert – mit der Folge, dass nun ein kritisches Gegenüber fehle, eine kritisch-solidari­sche Opposition außerhalb der Organisation.

Ein Großteil der Positiven glaubt, Aidshilfe nicht mehr zu brauchen, darauf weist Carsten Schatz hin. Bestimmt Themen -wie den Bereich ‚Aids und Arbeit‚- bearbeite Aidshilfe nicht mehr so, wie Positive es bräuchten. In den Mittelpunkt von Aidshilfe-Arbeit gehörten wieder mehr Themen gestellt, die le­bensnah an Positiven-Realitäten orientiert seien.

„Warum bewegen sich Positive nicht? Weil wir in Aidshilfen nur noch als Klien­ten behandelt werden“, wirft ein Zuhörer ein. „Positive haben keinen Raum mehr in Aidshilfen.“

„Es gibt einen zunehmenden Bruch zwischen Hauptamtlichen und Basisorgani­sation“, bemerkt ein weiterer Zuhörer, „entweder der Laden wird umgekrem­pelt und wieder zu einem Sprachrohr der Basis, oder er wird bald zum Sprach­rohr des Bundesgesundheitsministeriums.“

Martin DanneckerPrävention mit einem realistischen Blick auf die Lebenssituation schwuler Män­ner, genau da fange der Konflikt an, bemerkt Carsten Schatz. Die Frage sei, wie viel lasse sich Aidshilfe vom Staat vorschreiben, wie viel Selbstbewusstsein habe man noch?

Die Aidshilfen haben Arbeit für den Staat übernommen, und für relativ wenig Geld – und dafür einen verdammt guten Job gemacht, bemerkt Dirk Hetzel.

Man dürfe nicht die Realitäten in Aidshilfen und Selbsthilfen verkennen, wirft ein Zuhörer ein, auch dort gebe es grauenhafte Spießbürgerlichkeiten.

Und eine weit reichende Ent-Solidarisierung, entgegnet ein weiterer Zuhörer, und weist auf Rollbacks z.B. bei Themen wie Spritzen in den Knast oder Prosti­tution hin.

Ursprünglich autonome Positionen seien aufgegeben worden, darauf weist Mar­tin Dannecker gegen Ende der Veranstaltung hin. Als wie autonom, wie un­abhängig vom Staat versteht sich Aidshilfe noch? Es sei offensichtlich – wir brauchen eine offensive inhaltliche Debatte.

Michèle Meyer: ‚der Weg in eine Normalität‘

Michèle MeyerInterview mit Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz. Michèle Meyer weiß seit 1994 von ihrer HIV-Infektion. Die 43Jährige ist Mutter zweier Kinder.

Michèle, du bist Präsidentin von LHIVE. Wie kam es zur Gründung von LHIVE?
Nachdem die nationale Organisation P.W.A-Schweiz [PWA = People with Aids, Menschen mit Aids, d.Verf.] 1997 liquidiert wurde, gab es nur noch vereinzelte, kleine, regionale Organisationen. Eine Handvoll AktivistInnen hatte schon länger im Sinn endlich wieder etwas ins Leben zu rufen, als uns das Schweizer AIDS-Forum im Dezember 2005 die nötige Plattform gab um laut darüber nachzudenken. Wir stellten dieselben Bedürfnisse in einer grösseren, anwesenden Gruppe von Menschen mit HIV und AIDS fest und sind das Wagnis mit sofortiger Aufbauarbeit eingegangen.
Unschwer erkennbar war damals eine große Unzufriedenheit mit einerseits dem Einzel- Klienten-Status, den Menschen mit HIV und AIDS bei der AIDS-Hilfe Schweiz inne haben und andererseits mit der Privatisierung und Isolation in einer spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität, die immer mehr von den realen Möglichkeiten eines Lebens mit HIV und AIDS abwich.Wir haben uns zu zehnt durchgebissen und konnten am 5. Mai 2007 LHIVE mit 45 Gründungsmitglieder ins Leben rufen.

Was sind die Ziele von LHIVE?
Ich zitiere aus unserem Leitbild: Das Ziel von LHIVE ist E-Quality.
E-Quality steht für Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen. Das bedeutet eine Lebenserwartung und Lebensqualität, die mit jener der Gesamtbevölkerung übereinstimmt.
Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir uns mit den Themen Stigma, Selbststigma, Solidarität und Diversität auseinandersetzen und uns der aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Haltungen und Veränderungen bewusst sein.
Wir nutzen Selbstvertretung, Selfempowerment, GIPA ( greater involvement of people living with HIV and AIDS, der Einbezug von Menschen mit HIV und AIDS auf allen strategischen und operativen Ebenen der AIDS- Arbeit. Siehe dazu: Paris 1994 Unaids) , Visibilität, Aufklärung und Networking als Arbeitsinstrument.
Was heißt das konkret?
LHIVE gibt der Überwindung von Selbststigma ein großes Gewicht. Bei größtem Respekt vor den persönlichen Lebenshintergründen des Einzelnen, wollen wir die Menschen mit HIV/AIDS in die Lage versetzen, ihre Selbstverwirklichung ohne Bezug auf das Virus und die entsprechenden negativen Effekte, umzusetzen.
Grundpfeiler unserer Zielsetzung und Voraussetzung für nachhaltige Prävention ist Solidarität.
Wir orientieren uns an der Paris Deklaration und den Denver Principles.
Das heißt, wir befähigen uns selbst, in allen relevanten Gremien zu den aktuellen Themen rund um HIV und AIDS mitbestimmen zu können. Wir arbeiten aktiv bei der strategischen Gestaltung der schweizerischen AIDS-Arbeit mit.

Jüngst ist ja der Beschluss der EKAF zu Infektiosität bei erfolgreicher Therapie erschienen. Waren Menschen mit HIV/Aids an dem Entstehen dieser Stellungnahme in der Schweiz in irgend einer Form beteiligt?
Ja, das waren wir. Und sind es noch. LHIVE hatte bereits im März 2007 innerhalb der nationalen HIV und AIDS-Landschaft deutlich dazu aufgefordert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nicht-Infektiosität öffentlich kohärent zu kommunizieren. Wir haben klar Stellung genommen für eine transparente Aufklärung der gesamten Bevölkerung, um der Glaubwürdigkeit der Prävention nicht weiter zu schaden, und um der Zensur auf Kosten der Lebensqualität von Menschen mit HIV und AIDS ein Ende zu setzen.
Die EKAF und das Bundesamt für Gesundheit musste damit rechnen, dass wir nicht mehr lange warten und das Schweigen brechen würden auch ohne Rückendeckung.
Wie das?
LHIVE ist seit März 2007 ständiger Gast bei der EKAF und seit Januar dieses Jahres stimmberechtigtes Mitglied der Komission. Wir konnten zwar stimmlos aber beratend bei der Vernehmlassung zur Veröffentlichung mitwirken.
Rund um die Veröffentlichung hatte Herr Prof. Vernazza unsere Organisation angefragt in zwei, drei Medienbeiträgen mitzuwirken. LHIVE hat dann auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung hin auch eine eigene Medienmitteilung versandt.

Ich habe vor kurzem von dir auf die Stellungnahme der EKAF und einige aufgewühlte Reaktionen hier in Deutschland die einfache Frage gelesen „warum freuen wir uns nicht einfach?“
Ja, warum freuen wir uns nicht einfach?

Ich glaube, da spielen viele Faktoren eine Rolle:Die Angst vor der noch grösseren Entsolidarisierung. Infektiös gegen nichtinfektiös als neue Gruppierungsmöglichkeit. Dann die Angst vor neuen Abhängigkeiten und Zwängen.
Und die tief verwurzelte Spannung zwischen den eigenen Interessen und dem Märtyrium. Dieses „AIDS stops with me“ in uns, diese dringende Aufopferung in der Primärprävention und die Unmöglichkeit sich davon ganz zu lösen, weil wir sonst nur noch außerhalb der Gesellschaft stehen und die ahnbaren Folgen und Konsequenzen davon, verhindern nackte, auf uns selbst bezogene Freude.

Du hast geäussert, viele „HIV-Positive verstecken sich nicht zuletzt, weil sie keine Möglichkeit sehen, dem Bild des hochgefährlichen und verantwortungslosen (und unanständigen) Menschen, das in der Öffentlichkeit noch immer vorherrscht, zu begegnen“.
Sicher sind immer noch viele HIV-Positive nicht ‚offen‘. Aber gibt es dieses Bild des hochgefährlichen, verantwortungslosen Positiven heutzutage noch so?

Ja. Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 25 Jahren. Die HIV-Infektion ist eine unanständige Krankheit der Anderen, der Fremden.
Dieses Bild wurde teilweise auch durch Präventionsbotschaften und -Strategien bewusst hochgehalten, oder zumindest in Kauf genommen, als Mittel zum Zweck: Das Schüren von Angst, Verunsicherung vor und somit Ausgrenzung von Menschen, von Menschen mit HIV und AIDS sollte weitere Infektionen verhindern.
Darunter fällt auch das (8!) jahrelange Verschweigen der Erkenntnisse rund um die Infektiosität/ Nicht-Infektiostät, das Benennen der Zielgruppen bzw. die wiederholte Bekanntgabe in welche Zielgruppe wie viele Neu-Diagnosen stattfinden, die Plakatkampagnen (in der Schweiz) von den Degenfechterinnen über die armen versteckten Opfer…

Wird der neue Beschluss der EKAF Auswirkungen auch im Bereich ‚HIV und Strafrecht‘ haben?
Das hoffen wir natürlich sehr. Das Epidemiegesetz ist soeben in der Vernehmlassung für die Revision (einer Art schriftlichen Anhörung mit „Korrektur“wünschen bei Parteien, Kantonen, beteiligten Behörden und Akteure der zivilen Gesellschaft, als Arbeitsgrundlage für die Entscheidungsorgane). Wir arbeiten in dieser Vernehmlassung mit, und die bereits unterbreiteten Vorschläge z. B. zur Änderung des Artikel 231 des StrafGesetzBuches weisen in diese Richtung. Das heißt, die Rechtssprechung würde dann nur die „böswillige Übertragung“ betreffen und nicht mehr die „versuchte Verbreitung“ einer gefährlichen menschlichen Krankheit.

Noch einmal zurück zu LHIVE. „Menschen mit HIV und Aids Gesicht und Stimme geben“, ist das Motto von LHIVE. In Deutschland gibt es ja keine große bundesweite Organisation von und für Menschen mit HIV/Aids. So mancher mag sich da fragen: warum ist das nach 25 Jahren Aids immer noch erforderlich?
HIV und AIDS ein Gesicht und eine Stimme zu geben? Unsichtbarkeit täuscht schon länger. Wenn wir uns nicht hörbar und sichtbar den Herausforderungen stellen, werden wir in der Privatisierung und Globalisierung untergehen. Das klingt plakativ, und soll es auch. Weißt Du, wir sind länger schon gut eingebettet, verwaltet und verpflegt mit medizinischen und rechtlichen Informationen, Kursen und Kürschen, etwas touchy-feely und viel individuell zugeschnittenen Feuerwehrübungen, Beratungsangeboten und auch alltäglicher und finanzieller Hilfe. Alles aber immer unter dem Aspekt des Kliententums und des Opfer-Täter-Schemas.
Das birgt einiges an guter Versorgung und Sonderstatus, aber es ist auch eine Falle, es zementiert schlussendlich nur Stigma und Selbststigma. Und genau da wollen wir entgegenwirken: der Weg in eine Normalität, in der die HIV-Infektion gesundheitliche Einschränkungen bedeutet, denen mann und frau sich widmen und eigene Ressourcen freilegen und nutzen kann, ohne sich an Fremdbild und Selbstbild andauernd abzustrampeln, führt über hör-und sichtbar Werden, über Einmischung und Integration.

Michèle, vielen Dank für dieses Interview!

Mehr Informationen zu LHIVE finden Interessierte auf www.lhive.ch
Oder auf dem Postweg: LHIVE 4434 Hölstein Schweiz, Tel: 0041 61 951 20 88

Guck mal wer da spricht …

„Nicht über uns reden, sondern mit uns“ forderte ACT UP Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre, ging mit Aktionen und Inhalten in die Aids-Kongresse, zwang Mediziner Forscher und Pharmaindustrie zum Dialog, zum Streitgespräch mit ‚Betroffenen‘.

Und heute?

Manchmal scheint mir, die gleichen ACT UP – Aktionen müssten heute in so einigen Aidshilfen stattfinden. Damit Positive endlich (wieder) nicht nur als Klienten, als zu bespaßende und beratende Kundschaft (und, nebenbei, als Existenzgrundlage der Jobs vieler Mitarbeiter) betrachtet werden, sondern als Partner mit denen zusammen Aidshilfen handeln, und die selbstverständlich aktiv mit einbezogen werden.

Viele Aidshilfen haben sich inzwischen zu Organisationen entwickelt, in denen Selbsthilfe, aktives Einbeziehen von Positiven (auch in Entscheidungen) oder Fördern von positivem Selbst-Engagement Fremdworte zu sein scheinen, die höchstens noch zu dunklen Schatten einer fernen Vergangenheit gehören.

Dazu ist es nicht ohne Grund gekommen – welche/r Positive will sich denn heute noch einmischen, sich auch nur Gedanken machen? Ich fürchte, ihre Zahl ist gering, ihr Alter eher hoch.

Und dennoch – brauchen wir nicht neben aller Bespaßung Betreuung Befütterung -auch- wieder eine Kultur, in der die, die es angeht, selbstverständlich aktiv mit eingebunden werden? In der Positive ermuntert, aktiv unterstützt werden sich zu beteiligen? In der Selbsthilfe und positives Engagement wieder selbstverständlich und erwünscht sind? In der Kritik geschätzt, Diskussionen und Debatten gewürdigt (und nicht als unerwünschtes Einmischen abgekanzelt) werden?

Oder müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass Aids-Hilfe noch etwas mit Selbsthilfe, mit aus eigener Betroffenheit engagierter Interessenvertretung zu tun hat?

Hilfe für die Selbsthilfe ?

Ist Selbsthilfe, aktives Engagement und Interessen- Vertretung von Positiven noch erwünscht? Warum scheint sie immer schwieriger, sowohl in der Arbeit vor Ort als auch der politischen Interessenvertretung auf Bundesebene? Eine der Frage wurde am Samstag ausgiebig diskutiert, die andere blieb offen im Raum stehen.

Bereits seit einiger Zeit tobt unter einigen Positiven, in Netzwerken, Selbst- und Aids-Hilfen eine Diskussion über ‚Aids-Hilfe und Selbsthilfe‘. Fragen, die dabei diskutiert werden sind z.B.: wie weit ist Aids-Hilfe noch Selbst-Hilfe? Wie weit ’nur noch‘ Service-Einrichtung? Welche Rolle spielen Sekundär- und Primär-Prävention? Welche Rolle haben Positive überhaupt noch in Aids-Hilfen?

Hintergrund dieser Fragen ist u.a., dass so manche Aids-Hilfe nicht gerade ein Hort positiver Selbsthilfe zu sein scheint. Dass es Aids-Hilfen gibt, in denen es beim Thema Selbsthilfe mehr auf Schein als auf Sein, mehr auf den (billigen) Effekt als auf die (langfristige) Wirkung ankommt, auch das wird des öfteren als Befürchtung geäußert.

In diesem Spannungsfeld möglicher Fragen und Herausforderungen an und durch Selbsthilfe veranstaltete das Netzwerk plus am 9.12.2006 in Berlin eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Mehr Schein als Sein? – Beteiligungsmöglichkeiten von HIV-Positiven in Selbsthilfestrukturen“.

Netzwerk 02
Deutlich wird schon zu Beginn der Veranstaltung, mit welcher Bescheidenheit Selbsthilfe zurecht zu kommen, manchmal zu kämpfen hat. Da werden z.B. Selbstverständlichkeiten (wie die Teilnahme an öffentlichen Sitzungen) als großzügiges Entgegenkommen verkauft. Wenn Verantwortliche sich tatsächlich Fragen stellen, auch kritischen Fragen, ist man/frau schon vorab dankbar allein für die Bereitschaft – und sieht sich, je kritischer die Fragen werden, doch mit dem Vorwurf konfrontiert, man sei doch nicht ‚Rechenschaft schuldig‘. Oder da da wird die Entsendung von Selbsthilfe-Vertretern in Entscheidungsgremien von der Zustimmung von Vorständen abhängig gemacht.

Viel Enttäuschung, viel an Zugangshemmnissen ist zu erahnen, wenn des öfteren unterschwellig der verzweifelte Ruf herauszuhören ist ‚wir machen hier nun so mühevoll Selbsthilfe – warum kommt denn kaum jemand?‘.

Etwas anders die Beteiligung von PatientInnen- Vertretern auf Bundesebene, die als Ergebnis der letzten Gesundheitsreform inzwischen ihre Anfänge nimmt (insbesondere, wenn auch noch ohne Stimmrecht, im ‚Gemeinsamen Bundesausschuß‘ G-BA). Hier ist ganz klar – die Hürden sind hoch, haben Namen wie ‚Vertretung politischer Gruppeninteressen, nicht von Einzelschicksalen‘ oder ‚viel Gremien-Arbeit, viel Frustrationstoleranz sind gefragt‘.

Diese beiden Ebenen in der Diskussion um Selbsthilfe zu unterscheiden – ‚wie kann ich mich in der Selbsthilfe engagieren‘, und die Frage, ‚wie kann Selbsthilfe sich an (politischen) Prozessen beteiligen‘ (also der Innen- und der Aussenwirkung) – bleibt im Verlauf der Diskussion immer wieder Herausforderung.

Einigkeit besteht hingegen bald, dass auf beiden Feldern eine wesentliche Herausforderung die Vermittlung von Kompetenzen ist. Kompetenzen, die in der praktischen Selbsthilfe vor Ort ein effizienteres Arbeiten ermöglichen, die aber auch für die Gremienarbeit auf Bundesebene erforderlich sind. Die Patientenbeauftragte für Berlin sowie anwesende Aids-Hilfe-Vertreter sehen hier Möglichkeiten konkreter Unterstützung, die sie bieten könnten – eine baldige Umsetzung wäre im Sinne effektiver Selbsthilfe-Arbeit wünschenswert.

Und es wird im Verlauf der Diskussion deutlich, wie wichtig es -gerade für die politische Interessenvertretung auf Bundesebene- ist, eine breite Basis aufzubauen. Eine Basis, die die vorhandenen Strukturen (insbes. von Netzwerken und Aids-Hilfen) nutzt, die auf Probleme aufmerksam macht. Eine Struktur, die einerseits eine Bündelung von Themen, Interessen und anstehenden Fragen ermöglicht und eine Kondensierung für die bundespolitische Arbeit bietet, diese andererseits auch ‚erdet‘ und am ‚Abheben‘ hindert.

Die letztlich entscheidende, das Spannungsfeld (s.o.) treffend auf den Punkt bringende Frage wird erst ganz gegen Schluss gestellt: welches Interesse haben Aids-Hilfen überhaupt noch, dass Positive sich befähigen, sich engagieren, aktiv einbringen und beteiligen?

Diese Frage bleibt gen Ende der Veranstaltung im Raum stehen – verbunden mit dem Hinweis, die Leitbild-Diskussion der DAH beschäftige sich ja genau damit.

DAH diskutiert Leitbild

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) plant, ihre Grundsätze, Werte und Haltungen in einem Leitbild zusammen zu fassen. Bis zum 28. Februar 2007 findet die Diskussion darüber online statt.

Von welchen Grundsätzen, Haltungen und Werten wird die Arbeit der DAH getragen? Dies klar zu formulieren und damit auch die eigene Position zu bestimmen ist Ziel eines Leitbilds, dass der Verband sich geben will. Hierzu hat der Vorstand der DAH eine Programmkommission eingesetzt, die sich in mehreren Treffen und Diskussionen intensiv mit den Grundlagen und Zielen der Arbeit der DAH beschäftigt hat.

Auf dieser Grundlage ist ein Entwurf zu einem Leitbild erarbeitet worden, der am 13. Oktober zur Diskussion freigegeben wurde.

Die Diskussion über den Entwurf dieses Leitbilds (in 13 Leitsätzen) findet vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 ausschließlich online statt auf dem Internetangebot der DAH unter dieser Adresse.

Für die Teilnahme an der Diskussion ist eine einmalige Registrierung erforderlich (z.B. als hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Mitgliedsorganisation der DAH oder als sonstiger Engagierter).