Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat heute auf seinen Internetseiten Empfehlungen zu „Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch“ veröffentlicht.

Das RKI schreibt dazu:

„In Deutschland sind derzeit mehr als 56.000 Menschen mit HIV infiziert, davon etwa 19 Prozent Frauen. Seit 1996 haben die verbesserten Therapiemöglichkeiten die Lebenserwartung deutlich erhöht, so dass Menschen mit HIV eine annähernd normale Lebenserwartung haben. Dies bringt für viele Menschen auch die Möglichkeit der Entwicklung langfristiger Lebensplanungen in Bezug auf Ausbildung, Beruf und Familie mit sich. Da 75 Prozent der Infizierten zwischen 20 und 40 Jahre alt sind, gehört dazu oft auch der Wunsch nach einem Kind. Weltweit weisen Studiendaten auf Bedeutung und Häufigkeit des Kinderwunsches bei Menschen mit HIV hin, die z.B. in der Schweiz der Häufigkeit in der Normalbevölkerung entsprechen kann.
Bei der Verwirklichung des Kinderwunsches bei Menschen mit HIV müssen der Verlauf der HIVInfektion, das Infektionsrisiko für die HIV-negative Partnerin bzw. den gesunden Partner und für das entstehende Kind berücksichtigt werden. Der Fertilitätsstatus und einige soziodemographische Faktoren wie z.B. Alter und Familienstand spielen ebenfalls eine Rolle.“

Empfehlungen „Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch“ als pdf.

schneller als vorgestellt

Die 12. Münchner Aidstage (zu Gast in Berlin) wurden am Freitag, 14.3.2008 mit Reden von Bundes-Justizministerin Zypries, DAH-Geschäftsführer Pinzón und der ehemalige RKI-Präsident Kurth eröffnet.

Dr. Hans JägerIn seiner Begrüßung betonte Dr. Hans Jäger, Präsident der „12. Münchner Aids-Tage – zu Gast in Berlin“, die HIV-Prävention ändere sich derzeit „schneller, als wir es uns vorgestellt haben.“ Neben dem aktuellen Beschluss der EKAF, der im Verlauf des Kongresses häufig und kontrovers diskutiert wurde, erwähnte er auch den Bereich der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit HIV und Aids. Auch hier spiegele sich der (nicht nur medizinische) Fortschritt, so biete die Allianz neuerdings eine Lebensversicherung für HIV-Positive an, ein deutliches Abbild drastisch gesteigerter Lebenserwartungen mit HIV („Versicherungsmathematiker sind Realisten …“).

Brigitte Zypries, Bundesministerin der JustizBundesjustizministerin Brigitte Zypries hielt die erste der drei Eröffnungsreden. Sie habe die Einladung gerne angenommen, da Aids ja -neben allen medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen- auch eine „juristische, und das heißt vor allem auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung“ sei.
Sie wies -angesichts auch der gerade stattfindenden Debatten um die Folgen des EKAF-Statements beinahe prophetisch- darauf hin, „erfolgreiche Aids-Bekämpfung hängt auch davon ab, dass hier in Berlin politisch die richtigen Weichen gestellt werden.“ Zypries forderte, Prävention „offen und offensiv“ anzugehen

Luis Carlos Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer Deutsche AidshilfeDr. Luis Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) wies auf die Veränderungen in den Paradigmen hin. Damit Prävention glaubwürdig und erfolgreich sein kann, müsse sie sich an aktuellen Forschungsergebnissen orientieren. Daher arbeite die DAH an „differenzierten Risikominimierungsstrategien“. Bei der neuen Kampagne „Ich weiss was ich tu“ werde das Internet eine zentrale Rolle spielen.
Er betonte, das Leben mit HIV werde sich auch in den kommenden Jahren entspannter werden. Deswegen müsse Aidshilfe den Mut haben, sich von einer nicht mehr sachgerechten Dramatisierung der HIV-Infektion zu verabschieden. Wesentlicher sei eine wirksame HIV-Prävention, die sich an der Wirklichkeit des Lebens mit HIV orientiere.

Dr. Reinhard Kurth, Präsident RKI a.D.Dr. Reinhard Kurth, bis November 2007 Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), erinnerte an die heftigen Auseinandersetzungen um die Richtung der Aids-Politik, die er und das RKI an der Seite der damaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth gegen die von Strauß und Gauweiler propagierte Linie geführt habe. Der damals verankerten Richtung der deutschen Aids-Politik sei es auch zu verdanken, dass in Deutschland heutzutage im Vergleich sehr niedrige Neu-Diagnosezahlen vorliegen, „um die uns die Nachbarländer beneiden“. Kurth zeigte sich „sehr vorsichtig in der Unterstützung der EKAF“ und ihres derzeit diskutierten Statements.

ein schweizer Meilenstein

Der „erste Salon Wilhelmstrasse“ stand unter dem Titel “Positiv und negativ : Wie leben HIV-diskordante Paare heute?”. Ein thematisch breit besetztes Podium diskutierte unter Moderation von Holger Wicht über Chancen und Risiken des Statements der Eidgenössischen Aids-Kommission “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“. Ein Bericht.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub, Leiter der Sektion Aids im Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Mitgründer der Aidshilfe Schweiz, skizzierte nochmals die wesentlichen Punkte des (im übrigen in der Kommission einstimmig zustande gekommenen) EKAF-Statements und betonte dabei, unter den dort genannten Bedingungen sei die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung „viel kleiner als 1 : 100.000“.
Staub betonte, der Fortschritt des Statements der EKAF liege vor allem auch darin, dieses Konzept jetzt auch zitier- und öffentlich verwendbar gemacht zu haben. Eine Zitierbarkeit, die wie später nochmals deutlich wurde, weit über den medizinischen Bereich hinaus ragt – gerade Gerichte und Verteidiger von HIV-Positiven benötigen zitierfähige Belege dafür, dass die Beurteilung der Infektiosität sich unter bestimmten Umständen verändert hat.
Der oft geäußerten Kritik, ob man das denn überhaupt und jetzt sagen dürfe, ob das Statement notwendig gewesen sei, entgegnete Staub „wenn es heute zu früh ist, wann ist es denn dann an der Zeit?“ Das Wissen um die Situation sei seit langer Zeit bekannt, werde von Ärzten verwendet, nun müsse man ehrlich an die Öffentlichkeit gehen. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, dem Statement entgegen stehende Fälle zu publizieren.

Dr. Gute, FrankfurtDr. Gute ist ein HIV-Behandler aus Frankfurt. Er behandelt u.a. den Positiven, der gerade dabei ist als ‚Frankfurt patient‘ in die HIV-Diskussion einzugehen. Dieser lebt seit Jahren in einer sexuell monogamen Beziehung mit seinem HIV-infizierten und erfolgreich therapierten Partner. Dennoch hat eine HIV-Übertragung stattgefunden, wie mit phylogenetischen Untersuchungen gezeigt wurde zwischen den beiden Beteiligten (nicht mit einem etwaigen Dritten). Der Fall soll in den nächsten Wochen in einer virologischen Fachzeitschrift publiziert werden.
Dr. Gute betonte, auch er schätze das Risiko einer HIV-Übertragung durch einen erfolgreich therapierten HIV-Positiven (bei Abwesenheit von STDs) als „sehr sehr niedrig“ ein, aber es sei eben nicht ’null‘, wie gerade dieser Fall zeige.
Staub betonte in einer Replik, der Frankfurter Fall zeige nichts. Das EKAF-Statement gehe ja davon aus, dass genau solche Fälle nicht ausgeschlossen seien (wohl aber ihr Risiko drastisch reduziert sei). An der Gültigkeit des Statements der EKAF ändere dieser Fall nichts.

Prof. Martin DanneckerWarum sind die Reaktionen auf das Statement der EKAF und die potenziellen Folgen für die Situation der Positiven so heftig? Endlich sei in Fachkreisen schon länger bekanntes ‚Herrschaftswissen‘ veröffentlicht worden, betonte Prof. Martin Dannecker. Er wies darauf hin, dass die Menschen bisher gewohnt seien, HIV-Positive als Opfer wahrzunehmen. Und „aus dieser Rolle entlässt man eben niemanden gerne“.
In den vergangenen Jahren sei zudem nie thematisiert worden sei, dass es eben um „safer“ Sex (mit dem „r“) gehe – die auch bei Kondomen bestehende Unsicherheit sei ein tabuisiertes Thema, das nun jedoch wieder ans Tageslicht komme.

Für wen und in welchen Situationen könnte das EKAF-Statement anwendbar sein? Diese Frage beschäftigt derzeit viele. Dannecker kritisierte hierzu die „Engführung der Diskussion auf Paare“. Die Folgen des EKAF-Statements seien verhandelbar zwischen halbwegs vernunftbegabten Menschen – und nicht nur in sexuell monogamen Partnerschaften.
Dannecker monierte eine aus dem Statement der EKAF sprechende Einmischung der Medizin. Dass ein Kondomverzicht erst nach intensiver Beratung Beider durch den Arzt erwogen werden könne, bringe ein Mißtrauen des Arztes dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, zudem sei dies ein unzulässiger Eingriff in das Binnenverhältnis des Paares.
Zukünftig, so Dannecker, könne es zu einem „paradoxen Sexualisieren“ kommen – im Vergleich zu einem vermeintlich HIV-Negativen mit all den Risiken negativen Serosortings könnte der HIV-Positive, der erfolgreich therapiert ist, zu einem attraktiven Sex-Partner werden.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bisher in den Diskussionen um das Statement der EKAF noch nicht Position bezogen, bemüht sich um eine noch in Erarbeitung befindliche gemeinsame Stellungnahme mit Robert-Koch-Institut (RKI) und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bernd Aretz Er sei erstaunt und erzürnt über den Umgang der Aidshilfe mit der aktuellen Situation, stieg Bernd Aretz in die Beleuchtung der Reaktion der Aidshilfen ein. Es scheine „verloren gegangen [zu sein], dass wir nicht die Regierung sind“. Die Aidshilfe sei ein politischer Verband, doch wo vertrete er derzeit die Interessen der HIV-Positiven?
Auch Martin Dannecker kritisierte, dass die Deutsche Aids-Hilfe immer noch nicht Position bezogen habe. Stehe dahinter die Angst um die staatlichen Mittel, an deren Tropf man zu hängen glaube?

Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Beiträge aus dem Publikum machte deutlich, das das EKAF-Statement sich als ein Meilenstein in der Geschichte von Aids erweisen könnte – ein Meilenstein, der Hoffnungen, aber auch Ängste auslöst.

Die Diskussion zeigte die Bruchlinien, um die herum sich die Diskussionen derzeit bewegen. Bruchlinien, die auch in Symposien und Veranstaltungen der folgenden Tage diskutiert wurden und die Diskussionen der kommenden Wochen bestimmen werden. Bruchlinien, die Etiketten tragen wie ‚Null Risiko oder Risiko-Minimierung?‘, ‚Frankfurt patient‘ oder ’neue Wege in der Prävention‘.

Im Verlauf der Diskussionen konnte man den Eindruck gewinnen, die DAH sei ein wenig gefangen – und verliere hierüber vielleicht ihre Fähigkeit, eine eigenständige Position zu finden und auch nach außen zu vertreten. Gefangen nicht nur in ihrem Gefühl, es ihren Auftrag- und Geldgebern ‚recht machen‘ zu wollen, sondern auch in ihrem Bemühen, mit allen Beteiligten (RKI, BZgA) zu einem Konsens-Paper zu kommen. Vielleicht hätte man mehr Mut zu eigener Position gefunden, wäre bereits bekannt gewesen, dass die BZgA diesen Konsens zu dem Zeitpunkt schon aufgekündigt, eine eigene BZgA-Presseerklärung vorbereitet hatte, die am nächsten Tag herausgegeben wurde.

HIV-Status und Prävention

Die Wege der HIV-Prävention müssen sich weiter entwickeln, differenzierter werden. Sagt das RKI:

„Für diejenigen, HIV-Positive und HIV- Negative, die die Kondomverwendung vom eigenen HIV-Status und dem des Partners abhängig machen, brauchen wir in der Tat neue Präventionskonzepte, und wir müssen hier klarer machen, unter welchen Bedingungen eine solche Strategie funktioniert und welche Probleme es dabei gibt.“

(Dr. Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut in der Jungen Welt)

Immer mehr HIV-Infektionen – und nun?

Die Zahl der HIV-Diagnosen 2006 ist gestiegen – und wieder gehen Meldungen voller Sensationsgier und Aktionismus durch die Medien. Schon ein kurzer Blick in die Zahlen gibt ein differenzierteres Bild – wieder einmal sind Bedacht bei den Zahlen und Blicke in die Details angeraten.

Das Robert-Koch-Institut hat die neuesten Zahlen zu den Neu-Infektionen mit HIV veröffentlicht. Selbst eher bedächtige Medien sprechen von „HIV-Infektionen auf dem Höchststand“, „trotz aller Warnungen“, „Anstieg im 81%“ (und erwähnen nur kleingedruckt den Zeitraum: 2001 bis 2006). Und es steht zu erwarten, dass sich bald schon wieder die kuriosesten Meldungen und Vorschläge überschlagen werden. Einige fühlen sich ja schon seit längerem in ihren Vorstellungen bestätigt und fordern (in der irrigen Meinung, mit Strafrecht könnne man Prävention betreiben) eine Verschärfung der Gesetze.

Worum geht es?
Im Jahr 2006 wurde nach Angaben des Robert-Koch- Instituts bei 2.611 Personen in Deutschland eine neue HIV-Infektion festgestellt. Im Jahr 2005 lag diese Zahl bei 2.500 Personen. Diese Zahlen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) im Detail in seinem ‚Epidemiologischen Bulletin‘.

Das RKI spricht selbst davon, im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der „gemeldeten HIV-Neudiagnosen nochmals leicht um 4%“ angestiegen.

Vielen der aufgeregten Medienberichte liegt zunächst ein Mißverständnis zugrunde. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet HIV-Neudiagnosen, nicht Neu-Infektionen.
Dieser Unterschied ist (z.B. für die aus den Zahlen möglicherweise zu ziehenden politischen Konsequenzen) bedeutend: Nicht jeder, dessen Infektion mit HIV im Jahr 2006 diagnostiziert wurde, hat sich auch in diesem Jahr infiziert. Vielmehr werden viele Infektionen erst Jahre später diagnostiziert. Die Zahlen über die Neu-Diagnosen geben also nicht ein Bild des Infektions-Geschehens im vergangenen Jahr, sondern nur der diagnostizierten Fälle!

So ist auch der Anstieg der vom RKI gemeldeten Zahlen nicht ausschließlich auf einen Anstieg der Zahl der Neu-Infektionen zurückzuführen. Vielmehr kommen weitere Faktoren hinzu:

– HIV-Infizierte lassen sich früher testen (dies zeigen auch Untersuchungen über die Zahl der CD4-Zellen bei Erst-Diagnose).
– In einigen (insbes. auch Groß-) Städten haben Aidshilfen offensiv für einen HIV-Test geworben. Auch dies dürfte in diesen Regionen den Trend zur früheren Diagnose verstärkt haben.
– Und schließlich: das RKI hat 2006 sein Melde- System verbessert (bessere Unterscheidung zwischen Erst- und Folgemeldungen möglich). Dies führt dazu, dass nun mehr Meldungen als Erstmeldungen gezählt werden.

Insgesamt bedeutet dies: nur ein Teil des Anstiegs der Neu-Diagnosen ist auch auf einen Anstieg der Neu- Infektionen zurückzuführen.
So formuliert das RKI selbst vorsichtig, dass von dem gemeldeten Anstieg um 81% zwischen 2001 und 2006 wohl etwa 40% auf einen ‚tatsächlichen Anstieg der HIV-Erstdiagnosen‘ zurückzuführen sei.

Wie schon in den letzten Jahren erfolgte ein Teil des Anstiegs der Zahl der Neu-Infektionen in der Gruppe, die so dezent mit „MSM“ bezeichnet wird (Männer, die Sex mit Männern haben). Die Zahl stieg um 9,2% von 1.250 (2005) auf 1.358 (2006). Ein besonders deutlicher Anstieg zeigte sich mit 15% bei iv-Drogengebraucher- Innen, während die Zahl der Neu-Diagnosen bei Menschen aus Hoch-Prävalenz-Regionen um 13% zurück ging.

Bei allen jetzt wieder zu erwartenden Aufgeregtheiten sollte vermieden werden, einige Details der Analysen aus den Augen zu verlieren, wie z.B. die aufschlussreiche regionale Verteilung. So konstatiert das RKI für die meisten Bundesländer eine Stagnation oder nur geringe Anstiege – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In NRW sei zudem die hohe Zahl der Syphilis-Meldungen bemerkenswert.
Die äußerst angespannte Mittelsituation in den Aids- Hilfen – besonders in NRW – dürfte vor diesem Hintergrund nochmals neue Brisanz bekommen. Wurden hier seitens der Politik Weichen in die verkehrte Richtung gestellt?
Und umgekehrt erstaunt so manche Berliner Hektik, wenn das RKI davon spricht, dass in den östlichen Bundesländern (einschl. Berlin) die Zahlen unter Schwulen stagnieren oder zurückgehen (Berlin: im Jahr 2006 unter MSM 271 gemeldete Neu-Diagnosen).

Unabhängig davon, dass (s.o.) nicht der gesamte Anstieg der Neu-Diagnosen auch einem Anstieg der Neu-Infektionen entspricht, ist zu fragen, ob und wie zu reagieren ist.
So wird sich die Politik (insbesondere in einigen Bundesländern) fragen lassen müssen, ob die immer stärkere Verknappung von Mitteln für die Aids- Prävention sich nicht zunehmend als kontraproduktiv erweist.

Und auch die Aids-Hilfe auf die Entwicklung der Zahlen reagieren müssen. Wird prüfen müssen, ob und wo Defizite in der Prävention bestehen und wie dem begegnet werden kann.

Vielleicht finden dabei neuere Studien Beachtung, die (erneut) zeigen dass die Hälfte der HIV-Übertragungen während der Phase der akuten HIV-Infektion stattfinden – knapp 50% der Übertragungen erfolgen von Personen, die selbst erst kurze Zeit HIV-infiziert sind.
Damit gewinnt auch die Frage neue Bedeutung, ob die alte Präventions-Polarität negativ-positiv noch situationsgerecht ist. Viele dieser Infektionen dürften erfolgen, weil Menschen (fälschlicherweise) meinen sie seien HIV-negativ – in dieser Situation der Fehleinschätzung der eigenen Situation dürfte z.B. kaum eine Strategie des Serosortings greifen, da hilft nur ’safer sex‘.

Hier könnten neue Strategien der Prävention erforderlich sein, die z.B. auch auf Annahmen über den Serostatus (den eigenen wie den des Partners) eingehen.

Schärfere Gesetze hingegen dürften wenig hilfreich, Repression vermutlich eher kontraproduktiv sein.

PS: Die Internetseiten des RKI ermöglichen auch eigene Recherchen in den Daten zu HIV-Neu-Diagnosen (auf der Ebene Bundesländer, Regierungsbezirke, Großstädte). Zu finden unter www3.rki.de/SurvStat > Meldekategorie: Nichtnamentlich direkt an das RKI“

Bedacht bei den Zahlen

„Die Schwulen infizieren sich wieder mehr mit HIV“ – so oder ähnlich geistert es langsam wieder durch die Medien. Ein wenig Bedacht mit den Zahlen ist angebracht.

Der Welt-Aids-Tag naht, und viele starren gebannt auf die neuen HIV-Infektions-Statistiken. Die ersten Blogs und Journale vermelden bereits, schon wieder seien die Zahlen gestiegen, die Schwulen wären wieder unvorsichtig, usw. Fast meint man manchmal, eine verquere Sehnsucht nach ‚damals‘ und allerlei Gauweilereien durch die Zeilen riechen zu können.

Aber Vorsicht. Die Zahlen wollen schon interpretiert werden.

Das Robert-Koch-Institut spricht in seinen Statistiken von „neu diagnostizierten HIV-Infektionen“.“Neu diagnostiziert“, nicht „neu infiziert“. Es gilt also, nicht Neu-Infektionen und Neu-Diagnosen miteinander zu verwechseln. Was jetzt gemessen (=diagnostiziert) wird, muss sich nicht auch jetzt (im Betrachtungszeitraum) infiziert haben. Gemessen werden Neu-Diagnosen.

Hinzu kommt: in einigen Städten (wie z.B. schon länger München, jetzt auch Berlin) wird unter Schwulen teils massiv für den HIV-Test geworben [manchmal mit dem mir seltsam anmutenden Gedanken, das sei Primärprävention], werden ganze Testkampagnen durchgeführt.
Das bleibt nicht ohne Folgen, auch für die Statistik: wer viel misst – fördert logischerweise auch mehr Infektionen zutage. Und, da gezielt unter Schwulen der Test propagiert wird, führt dies auch zu einer Erhöhung des Anteils der Gruppe der Schwulen (statistisch MSM) unter den gesamten Neu-Diagnosen.
Und – auch diese Neu-Diagnosen sind nicht zwingend auch (jetzige) Neu-Infektionen.

Aus Anstiegen in den Zahlen also einfach zu schließen, die Zahl der Neu-Infektionen unter Schwulen wäre jetzt gestiegen, wäre gleich zweifach (Neu-Diagnosen ungleich Neu-Infektionen, statistische Auswirkungen der Testkampagnen unter Schwulen) zu kurz gedacht …

Noch eine persönliche Anmerkung:
Auch ich habe Bauchschmerzen bei der Tatsache, dass sich jedes Jahr um die 2.000 Menschen allein in Deutschland mit HIV infizieren. Ja, ich habe „die schlimmen Jahre“ Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre miterlebt, weiß was es bedeutet Aids zu haben, jämmerlich daran zu sterben. Auch ist mir unwohl bei dem Gedanken, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, an diese 2.000 Neu-Diagnosen pro Jahr, sie als etwas beinahe ‚Normales‘ hinnehmen.
Aber wenn wir wirksam dagegen handeln wollen, statt nur plakativ ‚drauf einzuschlagen‘, zu abgestandenem ‚law and order‚ zurückzukehren, dann ist es doch erforderlich bei den Zahlen genauer hinzu sehen. Nicht voreilig bequeme Schlüsse ziehen, die doch oft nur bestehende Vorurteile bestätigen sollen, sondern bedacht analysieren und gezielt handeln.