Kurz notiert … Februar 2011

27. Februar 2011: Der deutsche Zahlungsstopp bedroht nach internen Berechnungen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mindestens 43.000 Leben.

25. Februar 2011: Die US-Medikamentenbehörde FDA hat die Packungsbeilage von Kaletra® hinsichtlich Frühgeborener überarbeitet. Die Packungsbeilage für Viracept® (Nelfinavir) wurde um Wechselwirkungs-Angaben für Warfarin ergänzt.

23. Februar 2011: Pharmaunternehmen entschädigen Bluter mit Hepatitis C.

21. Februar 2011: Nur gut ein Fünftel der HIV-Positiven in der Ukraine erhält antiretrovirale Therapie – und selbst sie sehen sich jetzt massiven Versorgungsproblemen ausgesetzt.

19. Februar 2011: Die bisher detaillierteste dreidimensionale Darstellung von HIV durch ein Team des russischen Unternehmens Visual Science gewann in der Kategorie ‚Illustration‘ den Preis der ‚International Science and Engineering Visualization Challenge 2010‘.

18. Februar 2011: Die Bestimmung von CD4-Zellzahlen ist elementar, u.a. für Therapieentscheidungen. Für Positive in nicht oder weniger industrialisierten Staaten sind kostengünstige Tests besonders wichtig. Doch ein Medizintechnik-Konzern macht Probleme.

16. Februar 2011: Der Impfstoff Silgard/Gardasil kann bei jungen Männern das Entstehen von Feigwarzen deutlich vermindern.

15. Februar 2011: ACT UP Paris demonstriert vor dem französischen Pharma-Verband LEEM dafür, dass zwei neue Substanzen gegen Hepatitis C auch an Menschen getestet werden, die mit HIV und Hepatitis C koinfiziert sind.

In Südafrika beginnt eine Phase-IIb-Studie mit Sutherlandia frutescens (Ballonerbse). Sutherlandia wird in Südafrika als traditionelle Medizin eingesetzt (und ist auch einigen Positiven hierzulande seit langem bekannt). Die Studie des ‚South African Herbal Science and Medicine Institute‘ (SAHSMI) soll die Pflanze auf ihr Potential zur Behandlung von Begleiteffekten der HIV-Infektion untersuchen.

14. Februar 2011: Auf der Berlinale, die vom 10. bis 20. Februar 2011 in Berlin stattfindet, laufen auch Filme zu HIV / Aids: u.a. „We were here“ sowie der erste chinesische Dokumentarfilm zu HIV „Be together“.

11. Februar 2011: ‚Würden die (US-amerikanischen Medikamentenbehörden) FDA ein Verhütungsmittel zulassen, dass zu 44% wirkt?‘, weist Aids Healthcare Foundation auf viele Fragen zur derzeitigen Situation bei PrEP hin.

10. Februar 2011: Cornelia Yzer, bisher Cheffin des Verbands forschender Pharmaunternehmen (VfA), beendet ihre Tätigkeit Ende Juni 2011 – nach Medienberichten ’nicht ganz freiwillig‘.

HIV kann die Immunabwehr von Neugeborenen auch schwächen, ohne dass diese mit HIV infiziert werden, stellt eine US-Studie fest.

In Los Angeles sollen mit einer städtischen Vorschrift Porno-Produzenten zur Kondom-Verwendung bei Porno-Dreharbeiten gezwungen werden.

08. Februar 2011: Jugendliche in der Schweiz schützen sich besser vor einer HIV-Infektion. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit.

Eine kleine Studie in den USA untersucht, ob Disulfiram (Handelsname Antabuse®) geeignet ist HIV aus viralen Reservoirs auszuwaschen.

07. Februar 2010: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Lopinavir / Ritonavir (Handelsname Kaletra®) in eine ‚watch list‘ wegen möglicher Sicherheitsprobleme bei Neugeborenen aufgenommen.

Tesamorelin (Handelsname Egrifta®) soll zukünftig in Europa nach Unterzeichnung eines entsprechenden Lizenzabkommens vom spanischen Unternehmen Ferrer International vermarktet werden.

Mord wegen HIV? Brachte ein 55 Jahre alter Frührentner zwei Cruiser um, weil er nach einer HIV-Infektion Schwule hasste?

06. Februar 2011: Kürzungen bei Krankenversicherungs-Programmen in den USA – laufen immer mehr US-Amerikaner mit geringem Einkommen Gefahr, keine wirksame HIV-Therapie mehr zu bekommen? Regan Hofmann sorgt sich in der Huffington Post über „The Alarming State of AIDS in America„.

Ein HIV-positiver Ugander befürchtet, aus Großbritannien nach Uganda abgeschoben zu werden – und dort um sein Leben fürchten zu müssen.

04. Februar 2011: Nach Vorwürfen der Zweckentfremdung von Mittel kündigt der Präsident des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose Michel Kazatchkine, an, die Zahl seiner Mitarbeiter, die für die Abwicklung der Hilfszahlungen zuständig sind, zu erhöhen

03. Februar2011: Erstmals seit Beginn der Aids-Krise ist in San Francisco die Mehrzahl der Menschen, die mit einer Aids-Diagnose leben, über 50 Jahre alt. 53% aller Menschen, bei denen im Jahr 2010 Aids diagnostiziert wurde, seien 50 Jahre oder älter gewesen, berichtet der Bay Area Reporter.

01. Februar 2011: Der Pharmakonzern Gilead hat die Laufzeit einer Phase-III-Studie seines experimentellen Integrasehemmers Elvitegravir auf Empfehlung der US-Medikamentenbehörde FDA von 48 auf 96 Wochen verlängert.

Geboren ohne HIV – Born HIV Free

Am 19. Mai 2010 startet „Born HIV Free“, die neue Kampagne des  Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria zur Bekämpfung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV.

„Wir hoffen, 2015 auf heute zurück blicken zu können und sagen zu können: damals haben wir den entscheidenden Schritt getan“, um die Mutter-Kind-Übertragung von HIV zu beenden“, betont UNAIDS.

„Täglich wird jede Minute ein Kind mit HIV geboren. Dem müssen wir ein Ende setzen.“ Ziel sei eine Welt, in der kein Kind mehr mit HIV-Infektion geboren werde.

Born HIV free
Born HIV free

Born HIV Free“ ist eine Kampagne des ‚Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria‘. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Mutter-Kind-Übertragung von HIV bis zum Jahr 2015 zu beenden (PMTCT, prevention of mother-to-child transmission).

Der Fonds betont anlässlich der Vorbereitung der Kampagne „Bei der Prävention der Mutter-Kind-Übertragung können wir nur Erfolg haben, wenn alle Beteiligten zusammen arbeiten, wir Bewusstsein für die Bedeutung des Themas schaffen und unseren Regierungen klar ist, dass wir sie auffordern, sich diesem Thema zu stellen.“

Die Gründung des ‚Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria‘ wurde 2000 auf einem G8-Treffen beschlossen, der Fonds 2002 gegründet. Er versteht sich als Finanz-Institution und konzentriert sich auf die Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria. Bisher wurden nach Angabe des Fonds 19,3 Milliarden US-$ für Projekte in 144 Staaten bewilligt.

Die Kampagne „Born HIV Free“ wird am 19. Mai 2010 in Paris gestartet.

weitere Informationen:
Internetsite www.bornhivfree.org
Internetseite ‚Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria
Global Fund „Prevention of mother to child transmission“ (pdf)
UNAIDS 21.04.2010: New WHO strategy calls for elimination of HIV in children by 2015
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Südafrika: Vorenthalten wirksamer Therapie verursachte 330.000 Aids-Tote

Lange Zeit wurden in Südafrika hochwirksame Aids-Medikamente verteufelt und zahlreichen Positiven vorenthalten. Eine Politik, die mindestens 330.000 Südafrikaner mit dem Leben bezahlten, so eine Publikation von Harvard-Forschern.

Der Preis ist hoch, den eine verfehlte Aids-Politik fordert. Am Beispiel der südafrikanischen Aids-Politik der Jahre 2000 bis 2005 haben Forscher  die Ausmaße der tragischen Konsequenzen der Aids-Leugner zu quantifizieren versucht: 330.000 Tote.

Die im Dezember 2009 verstorbene ehemalige Gesundheitsministerin Tshabalala Msimang war während ihrer Amtszeit als Gesundheitsministerin (1999 – 2008) höchst umstritten. In ihrer Zeit fiel Südafrika im Kampf gegen Aids weit zurück. Wegen ihrer seltsamen Aussagen zu HIV und Aids wurde Manto Tshabalala-Msmimang auch “Dr. Rote Beete” genannt – sie hatte jahrelang von antiretroviraler Therapie gegen HIV abgeraten und stattdessen jahrelang Zitronensaft, Olivenöl, Knoblauch und Rote Beete empfohlen.

Wirksame Medikamente gegen HIV hielt sie für ‘Teufelszeug des Westens’. Die Folge: hunderttausende Positive in Südafrika erhielten keinen oder nur sehr schwer Zugang zu wirksamer antiretroviraler Therapie. Und HIV-positiven Schwangeren wurde auf Weisung der Regierung die Möglichkeit der Medikamenten-Einnahme zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung (teils trotz unentgeltlich zur Verfügung gestellter Medikamente) vorenthalten. Erst Gerichtsklagen konnten eine Veränderung dieser Haltung erzwingen.

Für Hunderttausende Aids-Tote in Südafrika trage sie die Verantwortung, warfen ihr Kritiker nicht nur von TAC vor. Manto Tshabalala-Msmimang stand dabei für eine Reihe von Aids-Leugnern, die die südafrikanische Aids-Politik jahrelang prägten – mit Wissen, jahrelanger Billigung und Unterstützung des damaligen (1999 – 2008) Staatspräsidenten Thabo Mbeki. Mbeki selbst hatte 2000 eine Kommission eingesetzt zur Klärung der Frage, ob HIV überhaupt die Ursache von Aids sei – und in diese Kommission den wohl bekanntesten Aids-Leugner Peter Duisberg berufen.

der ehemalige südafrikanische Staatspräsident Thabo Mbeki 2003 (Foto: wikipedia)
der ehemalige südafrikanische Staatspräsident Thabo Mbeki 2003 (Foto: wikipedia)

Diese Politik der Aids-Leugner forderte einen hohen Tribut: zwischen 2000 und 2005 starben 330.000 Südafrikanerinnen und Südafrikaner vorzeitig an den Folgen von Aids, und ca. 30.000 Kinder wurden mit HIV infiziert (bereits 2008 waren zwei Untersuchungen zu ähnlichen Zahlen gekommen, s.u.).  Diese Zahlen publizierten Pride Chigwedere und M. Essex von der Harvard School of Public Health in der Fachzeitschrift „AIDS and Behaviour“ (online-Vorab-Veröffentlichung, s.u.):

„Factoring in the efficacy of ARVs, we concluded that from 2000 to 2005 at least 330,000 South Africans died prematurely and 35,000 babies were infected with HIV as a result of Mbeki’s policies.“

Die Autoren analysieren in ihrem Bericht (der eine Reaktion auf Kritiken von Aids-Leugnern an ihrem ersten Bericht darstellt) ausführlich die Thesen der Aids-Leugner, gehen dezidiert auf die Frage ein, ob HIV Aids verursache, analysieren intensiv ob antiretrovirale Medikamente zur Behandlung der HIV-Infektion sowie zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung sinnvoll und wirksam sind, und betrachten erst darauf basierend die Bevölkerungs-Entwicklung sowie die Zahl der Aids-Toten. Sie kommen letztlich zu dem Resümee

„When AIDS denialism enters public health practice, the consequences are tragic“,

fragen aber auch nach der Verantwortlichkeit – ist solche Politik kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Wer trägt die Verantwortung? Wer wird zur Rechenschaft gezogen?

Danke an Udo für den Hinweis!

weitere Informationen:
Pride Chigwedere, M. Essex: „AIDS Denialism and Public Health Practice“, online-Vorab-Veröffentlichung in … am 08.01.2010 (pdf), auch online bei natap
Science Daily 19.01.2010: More Proof That Withholding HIV Treatments Led to Thousands of Deaths in South Africa
Chigwedere P, Seage GR 3rd, Gruskin S, Lee TH, Essex M.: Estimating the Lost Benefits of Antiretroviral Drug Use in South Africa. J Acquir Immune Defic Syndr. 2008 Oct 16 (abstract)
Nicoli Nattrass: AIDS and the Scientific Governance of Medicine in Post-Apartheid South Africa. African Affairs 2008 107(427):157-176 (abstract)
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Cori Obst: „Bürgerrechte müssen für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion“

Als Dokumentation die Rede von Cori Obst (früher: Tigges) anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuz am Bande durch Oberbürgermeister Peter Jung im Rathaus Wuppertal am 27. Mai 2009

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Peter Jung, sehr geehrte sonstige „offizielle“ Damen und Herren rund um oder aus der schönen Hauptstadt des Bergischen Landes: Wuppertal, meine Heimatstadt.
Liebe ehemalige Kolleginnen und Kollegen, Bekannte, mir mehr oder – so hoffe ich – noch mehr wohlgesonnene Menschen, Freundinnen und Freunde.
Liebe Nana, lieber Papi, lieber Männe.

Ich möchte die mir nun zur Verfügung stehenden Redezeit nicht mit den sonst üblichen Danksagungen ausfüllen. Nicht weil es Nichts und Niemandem zu danken gäbe. Auch nicht, weil eine solche Ansprache immer die Gefahr in sich birgt, Irgendjemanden oder Irgendetwas zu vergessen.
Sondern, weil das Thema um das es mir hier und heute geht, es erfordert, eventuell vorhandene persönliche Eitelkeiten zurückzustellen und den Focus auf etwas zu richten, dass uns alle als eine auf demokratisch basierenden Grundsätzen lebende Gemeinschaft herausfordert: Der Umgang mit den Menschen, die hierzulande mit HIV und AIDS leben!

Schlimm genug, dass das Thema AIDS in den letzten Jahren aufgrund vermeintlich oder tatsächlich verbesserter medizinischer Therapien in den Hintergrund geraten ist. Für nahezu unverantwortlich halte ich es jedoch, dass wenn das Thema AIDS in die breite Öffentlichkeit gerät wie jüngstens am Fall Nadja B. geschehen es sich ausschließlich um eine Diskussion über Schuld und Verantwortung der HIV-Infizierten handelt. (Um es kurz zu erklären: Nadja B. ist Sängerin der Popgruppe No Angels, die nur aufgrund des Verdachts auf eine bereits länger bestehende HIV-Infektion und in diesem Zusammenhang angeblich bewusster Weitergabe der Infektion an Sexualpartner von der Hessischen Justiz in Untersuchungshaft genommen wurde)
Das ist nicht nur ein Affront gegenüber dem Gesamtverband der Deutschen AIDS-Hilfen und der deutschen HIV- und Aidsbekämpfung, die seit über 20 Jahren eine beispielhafte und vor allem sehr erfolgreiche Aufklärungspolitik betreiben – immer im Verständnis der Verantwortung JEDES Einzelnen und in der Bekämpfung jeder Art von Stigmatisierung und Diskriminierung.
Nein, diese Art der Berichterstattung ist eine längst überholte, vor allem aber falsche Skandalisierung von Aids, bei der die gleichen archaischen Regungen geweckt werden wie zu Beginn der AIDS-Hysterie Anfang der 80er Jahre oder um es noch deutlicher zu machen wie einst im Mittelalter (die Kuh wird durchs Dorf getrieben und öffentlich hingerichtet)
Damit ist es –zugespitzt formuliert – auch ein Angriff auf uns alle. Auf uns als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die wir uns vor nunmehr 60 Jahren (und das dürfte uns spätestens seit diesem Jahr klar geworden sein) auf demokratische Grundsätze als Handlungsmaxime verständigt haben.

So möchte auch ich „die Gunst der Stunde“, besser gesagt der Geburtsstunde unseres Geburtstagskindes BRD mitsamt Verfassung und Grundgesetz nutzen und – wie zu Beginn angekündigt – ein HIV und AIDS bezogenes Schlaglicht auf unsere viel zitierte Verfassung werfen.

Betrachten wir beispielsweise den Bekanntesten, sozusagen „die Mutter“ aller Artikel. Den Artikel 1des Grundgesetzes:
Hier lautet es „Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Hm. Jetzt könnte man natürlich in einen philosophischen Exkurs darüber ausschweifen was ist eigentlich Würde? Woher kommt sie? Wie definiert sie sich? Und der Skeptiker könnte fragen: Gibt es überhaupt Würde? Wer legt eigentlich fest was Würde ist bzw. was beinhaltet sie? Kritiker könnten diesem Artikel 1 Schwammigkeit vorwerfen und dass es mit der Würde und deren Unantastbarkeit somit Auslegungssache ist. Eine durchaus überdenkenswerte Fragestellung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es weiter heißt: „… Sie zu achten und zu pflegen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.
Im besten Sinne begründet sich eine gewisse Schwammigkeit darin, Fortschritt, gesellschaftliche Entwicklungen und Prozesse aufgreifen und anpassen zu können. Im schlimmsten Fall aber führt sie zu Willkür. Wie – um noch einmal darauf zurück zu kommen – der Fall Nadja B. mutmaßen lassen könnte, da hier eine eindeutige Vorverurteilung durch die Justiz vollzogen wurde (Stichwort: Unschuldsvermutung).

Ich gebe zu bedenken, dass Letzteres (ich meine Willkür) nicht im eigentlichen Sinne dem Grundgedanken unserer Verfassung entspricht. Schon aufgrund unserer Historie nicht.

Gehen wir also davon aus, dass die Freiheits- und Gleichheitsrechte unseres Grundgesetzes im besten Sinne verfasst worden sind.
So besonders auch der Artikel 3, in dem heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.
Wieder ein nachdenkliches „Hm“. Diesmal jedoch nicht wegen seiner vermeintlichen Schwammigkeit, sondern mehr wegen seiner eher konkreten Anweisungen, mit den in einer Gesellschaft lebenden Menschen umzugehen. Ich denke, ich sage vielen von Ihnen und Euch, die im sozialen Bereich arbeiten nicht Neues, wenn ich anmerke, dass diese im Artikel formulierten Absichten nicht unbedingt der bundesdeutschen Wirklichkeit entsprechen. Insbesondere dann nicht – um im meinem Themenfeld zu bleiben – wenn es die Lebensentwürfe und Lebensbereiche von Menschen mit HIV und AIDS betrifft. Hier sei explizit auf den letzen Satz „… Keine Benachteiligung durch Behinderung“ verwiesen, was verschiedene Formen der Erkrankung mit einschließt. Bezogen auf den gesamten und sehr existentiellen Komplex Arbeit inkl. das Recht auf Arbeit ist die Benachteiligung von Menschen mit HIV und AIDS eher an der Tagesordnung.
Nur ein Beispiel: Seit der verbesserten medizinischen Therapiemöglichkeiten, die in vielen Fällen eine höhere Lebenserwartung bedeuten kann, ist seit dieser Umstand bekannt ist, die Aussicht, eine vorzeitige Rente auf Erwerbsunfähigkeit bewilligt zu bekommen, deutlich geringer geworden. Das wäre nicht so schlimm, weil die meisten Menschen ja durchaus gerne arbeiten, wenn denn die entsprechenden Möglichkeiten dazu gegeben wären. Miteinbezogen der Einschränkungen, die durch eine Erkrankung möglicherweise entstehen können. Das betrifft viele Menschen mit Behinderungen. Hinzu kommt jedoch bei HIV-Infizierten die berechtigte Angst vor Ausgrenzung und Stigmatisierung am Arbeitsplatz.

Diese Angst, ist nicht nur irgendein subjektiv empfundenes Gefühl, sondern Folge vielfältig dokumentierter tatsächlicher Erfahrungen. Diese Form der negativen Erfahrungen stellt genau genommen auch alle anderen Freiheits- und Gleichheitsrechte für Menschen mit HIV und Aids zumindest auf den Prüfstand.

Sehr erfahrbar war dieser „Prüfstand“ für die Frauen, die mit HIV und AIDS leben. Ich möchte, nein, ich muss an dieser Stelle noch einmal auf die wahrscheinlich am kontroversesten geführte Debatte aus dem Jahre 1994 verweisen. Dabei ging es um das Thema Frauen, und ihr Recht, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Eine Debatte, die bis dahin von Frauenrechtlerinnen mit Erfolg geführt worden ist. Soll heißen, jeder Frau muss das Recht zugesprochen werden, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden. Jede Frau, so war auch unser Ansatz, bezieht HIV-positive Frauen mit ein. Eben auch die Entscheidung für ein Kind. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Diskussion über das grundsätzliche Recht einer Frau dafür oder dagegen einseitig. Es ging nur noch darum, ob HIV-Infizierte Frauen überhaupt ein Recht auf Schwangerschaft -und damit auf ein Kind haben. So war es nicht verwunderlich, dass wir, die sich für die Rechte HIV-infizierter Frauen engagiert haben, plötzlich in einem Boot mit so genannten „Lebensschützern“ befanden. Ging es doch schnell um lebens- und nicht lebenswertes Leben. Wer hat das Recht Kinder zu bekommen? Wer nicht? Was ist unverantwortlich? Was nicht? Eigentlich ging es auch uns nur um das generelle Recht von Frauen auf eine freie Entscheidung. Allerdings mussten wir mit einiger Vehemenz damals erst einmal darum kämpfen, dass HIV-positive Frauen gleichermaßen das Recht auf ein Kind haben. Auch jenseits aller Statistiken, z. B. mit wieviel prozentiger Wahrscheinlichkeit möglicherweise das entstehende Leben selber infiziert ist. Unsere Haltung dazu ist bis heute, dass auch wenn mit 100% Sicherheit das Kind infiziert sein würde, es weder das grundsätzliche Recht von (auch HIV-positiven) Frauen in Frage stellen darf, noch das Leben eines „versehrten“ Menschen. D.h. für die gegenwärtige Situation, dass jenseits einer besseren Statistik, was die Übertragung der Infektion von der Mutter auf das Kind angeht, die Rechte von Frauen davon nicht abhängig gemacht werden dürfen.

So ist zusammenfassend vielleicht zu sagen, dass der erste Absatz des Artikel 1 des Grundgesetzes möglicherweise so zu verstehen ist, dass der elementarste Bestandteil der Menschenwürde das Recht auf Leben ist und unantastbar eben dieses.

Dies gilt für alle, auch für Menschen die mit HIV und AIDS leben. Bürgerrechte müssen also für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion.

Dies kann als Leitmotiv für unser Handeln verstanden werden.

Ich freue mich – zum Ende hin – sinngemäß die Worte des Mannes zu zitieren, der, wenn ich dem offiziellen Schreiben des Presseamts der Stadt Wuppertal Glauben schenken darf – unter anderem dafür verantwortlich ist, dass ich hier und heute diese Auszeichnung entgegen nehmen durfte – unseren alten und neuen Bundespräsidenten Prof. Dr. Horst Köhler (Glück gehabt, wer weiß ob Frau Gesine mit mir noch einverstanden gewesen wäre…)
Anlässlich des 60ten Geburtstags unseres Grundgesetzes sagte er: „Unser Grundgesetz lebt von den Bürgern, welche dieses mit Leben füllen“.

D.h. für mich im Umkehrschluss, dass auch so etwas wie unsere Verfassung im Grunde immer so gut ist, wie wir, die Menschen selbst.

Oder, um mit den Worten eines echten Politikwissenschaftlers zu sprechen: „Eine Bevölkerung, die sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet fühlt, muss sich auch an ihren Worten und Taten messen lassen.“

Das verstehe ich als Motivation, als Aufforderung zum Handeln.

Dies gilt selbstredend auch für mich selbst.

Ich möchte diese Auszeichnung zum Anlass nehmen, meine Ressourcen zu aktivieren und meine Erfahrungen, mein Wissen und meinen tiefen Glauben daran, Welt tatsächlich verändern und damit verbessern zu können wieder vermehrt in den „Dienst der Sache“ zu stellen. D. h. den Anliegen der Menschen mit HIV und AIDS eine Stimme zu verleihen.

Dabei möchte ich mich in meiner Motivation stets an den Schwächsten orientieren. In meinem Handeln jedoch mit den Stärksten messen.

Ich will dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft ein Klima schafft, dass es Menschen mit HIV und AIDS ermöglicht, offen mit ihrer Infektion umgehen zu können. In der sie keine Benachteilung erfahren und ihre Grundrechte tatsächlich gewahrt werden.

Nur ein solches Klima wird langfristig das einzig wirksame Mittel im Kampf gegen AIDS sein.

Im Vermächtnis der bereits Verstorbenen widme ich dieses Bundesverdienstkreuz (in der Ladyversion) allen Menschen, die mit HIV und AIDS leben.

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siehe auch
DAH-Blog 17.07.2009: Bundesverdienstkreuz: Coris Rede online
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Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat heute auf seinen Internetseiten Empfehlungen zu „Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch“ veröffentlicht.

Das RKI schreibt dazu:

„In Deutschland sind derzeit mehr als 56.000 Menschen mit HIV infiziert, davon etwa 19 Prozent Frauen. Seit 1996 haben die verbesserten Therapiemöglichkeiten die Lebenserwartung deutlich erhöht, so dass Menschen mit HIV eine annähernd normale Lebenserwartung haben. Dies bringt für viele Menschen auch die Möglichkeit der Entwicklung langfristiger Lebensplanungen in Bezug auf Ausbildung, Beruf und Familie mit sich. Da 75 Prozent der Infizierten zwischen 20 und 40 Jahre alt sind, gehört dazu oft auch der Wunsch nach einem Kind. Weltweit weisen Studiendaten auf Bedeutung und Häufigkeit des Kinderwunsches bei Menschen mit HIV hin, die z.B. in der Schweiz der Häufigkeit in der Normalbevölkerung entsprechen kann.
Bei der Verwirklichung des Kinderwunsches bei Menschen mit HIV müssen der Verlauf der HIVInfektion, das Infektionsrisiko für die HIV-negative Partnerin bzw. den gesunden Partner und für das entstehende Kind berücksichtigt werden. Der Fertilitätsstatus und einige soziodemographische Faktoren wie z.B. Alter und Familienstand spielen ebenfalls eine Rolle.“

Empfehlungen „Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch“ als pdf.