Schlechte Nachrichten für T20-Patienten

Der Pharmakonzern Roche hat schlechte Nachrichten für HIV-Patienten, die den Fusionshemmer Enfuvirtide (Handelsname Fuzeon; früherer Name auch T-20) verwenden: ein Gerät, das die leidigen Injektionen vermeiden hilft, wird nun doch nicht zur Zulassung eingereicht.

Seit einigen Jahren schon ist der Fusionshemmer Fuzeon auf dem Markt. Fuzeon ist insbesondere für Positive, die bereits zahlreiche antiretrovirale Medikamente genommen und hiergegen Resistenzen entwickelt haben, eine wichtige Therapieoption.

Doch Fuzeon muss zweimal täglich injiziert werden. An den Injektionsstellen entwickeln sich bei vielen Positiven (Untersuchungen sprechen von bis zu 98%) teils sehr schmerzhafte Schwellungen.
Da aufgrund dieser „Quaddeln“ die Injektionsstellen gewechselt werden müssen, droht die Gefahr, dass aufgrund begrenzter verfügbarer Hautfläche (ganz abgesehen von den Schmerzen) das Medikament nur für einen begrenzten Zeitraum angewendet werden kann.

Diese unangenehmen Nebenwirkungen sollte ein neuartiges Gerät vermindern helfen: ein Injektionsgerät namens ‚Biojector2000′. Dieses ’schießt‘ die Substanz mittels Druck durch die Haut, die lokalen Nebenwirkungen sollen deutlich reduziert sein.

Roche hatte bereits vor längerem zusammen mit dem Forschungsunternehmen Trimeris (Entwickler der Substanz T-20) Studien mit dem Gerät gestartet. Doch nun haben beide Anfang Oktober den Zulassungsantrag für die Verwendung von Fuzeon mit dem Biojector 2000 in den USA zurückgezogen.

Eine Roche-Sprecherin begründete dies damit, das Gerät habe zwar für einige Patienten sicherlich einen zusätzlichen Nutzen gehabt. Aber es sei nicht der ideale Weg der Verabreichung des Medikaments für alle therapieerfahrenen Patienten.
Aus deren Quellen heißt es, es habe Probleme gegeben, bei der Generierung der für den Zulassungsantrag erforderlichen Daten habe es ’signifikante Verzögerungen‘ gegeben.
Auch seien bei Verwendung des Geräts bei mehreren Patienten Nervenschmerzen aufgetreten.

Für Positive, die Fuzeon anwenden, bedeutet dies, dass es bis auf weiteres keine Alternative zu den nebenwirkungsträchtigen Injektionen gibt.

Der Biojector ist als Injektionsgerät in den USA zugelassen, jedoch nicht für die Verwendung mit Fuzeon. In Europa soll das Gerät bisher nicht zugelassen sein.

Roche betont, es solle nach alternativen Verabreichungsformen gesucht werden.

Späte Einsicht, teilweise

Der Pharmamulti Abbott hat sein gerichtliches Vorgehen gegen die Aids-Aktivistengruppe ACT UP Paris eingestellt. Grund dürften insbesondere die äußerst schlechte Resonanz in der Öffentlichkeit sein. Thailändischen HIV-Infizierte klagen, ein wichtiges Medikament werde ihnen jedoch weiterhin vorenthalten.

Am 23. Mai hatte der Pharmamulti Abbott Klage gegen ACT UP Paris eingereicht. Der Konzern warf der Gruppe eine Cyber-Attacke gegen die eigene Website vor. ACT UP Paris hatte wie viele andere Gruppen und Aktivisten weltweit zu Protesten gegen das Vorgehen des Konzerns in Thailand aufgerufen.

Nach Bemühungen der thailändischen Regierung, mit einer rechtlich zulässigen Zwangslizenz die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit einem Aids-Medikament des Konzerns sicherzustellen, hatte Abbott angekündigt, zukünftig keine neuen Medikamente mehr in das Land zu liefern. Dies hatte zu einem weltweiten Proteststurm geführt. Abbotts Verhalten hatte schon mehrfach den Eindruck erweckt, Profite stünden in weit höherem Interesse als die Medikamentenversorgung der Bevölkerung.

Ende Juli kündigte eine Abbott-Sprecherin nun an, die Klage gegen ACT UP Paris sei fallen gelassen worden. Man erwarte keine weiteren Cyber-Attacken der Gruppe.
ACT UP Paris dementierte Aussagen des Konzerns heftig, man habe sich mehrfach mit der Gruppe getroffen und suche eine schnelle gemeinsame Lösung. Dies sei skandalöse Desinformation.

Das thailändische Positiven-Netzwerk betont, dass Abbott die Versorgung der thailändischen HIV-Infizierten mit seinem lebensnotwendiges Medikament ‚Aluvia‘ weiterhin blockiere.
Der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten sie doch wohl wichtiger als der zeitweise Zugang zu einer Internetseite, betonten sowohl ein Sprecher der thailändischen Positivennetzwerks als auch ein Sprecher von ACT UP Paris.

Gesundheit statt Gold

Patente scheinen heute mehr dazu zu dienen, Profite zu sichern, als Patienten zu versorgen. Und doch – es gibt Alternativen zum Patent-System, zeigte das Medico- Symposium am 10. Mai 2007 in Berlin auf.

Nach Golde drängt
am Golde hängt doch alles!
Ach, wir Armen!
(Gretchen im Faust)

Das Goethe-Zitat (mit dem attac- und Weed-Vertreter Wahl sein Statement begann), könnte auch das Motto des gesamten medico-Symposiums sein – vor allem der Nachsatz „ach, wir Armen!“ dürfte manchem Vertreter von sog. ‚Entwicklungsländern‘ leicht über die Lippen kommen, wenn er an die Folgen von Patenten auf Medikamente denkt (wie der erste Teil der Veranstaltung zeigte).
Medico02Patente sind ein vergleichsweise neues Konzept, vor allem die Idee, immaterielle ‚Güter‘ zu patentieren (um sie künstlich zu verknappen). So wurde in Deutschland der Patentschutz auf Wirksubstanzen erst 1968 eingeführt.
Einst wirkten sie als Belohnung für Erfinder und Erfindungsgeist – heute, in Zeiten zunehmender Globalisierung, sind Patente längst zu einem strategischen Instrument zur Sicherung ökonomischer Interessen geworden. Sie dienen ’nicht mehr dem Nutzen der Gesellschaft, sondern dem privaten Profit Weniger‘, wie der attac-Vertreter betonte.

MdB Dr. Wolfgang Wodarg (selbst Mediziner) zeigte die Folgen eindrücklich an einem Beispiel auf. Die Rendite (Ergebnis vor Steuern) vieler Wirtschaftsbereiche bewegt sich im Bereich um 4% (Banken 4,1%, EDV 4,1%, Öl 4,72%). Die Rendite der 37 Unternehmen im VfA (dem Verband forschender Arzneimittel-Hersteller) hingegen belief sich auf 14,62%, und die der 14 größten Pharmahersteller sogar auf 15,66%! (Fortune 14/2003, Global500)
Die Pharmaindustrie, gestützt auf ihren jahrelangen Patentschutz und monopolartige Preise, erzielt übermäßige Renditen, die zudem von den Sozialversicherungen aufgebracht werden müssen, so Wodarg.

Mögen reiche Industriestaaten die hohen Medikamenten- Kosten, die hinter diesen absurden Pharma-Renditen stehen, noch aufbringen können, nicht nur für die ärmsten Staaten der Welt sind sie die reine Katastrophe. Die Folgen, die dies für die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten hat, lassen sich eindrücklich an Staaten wie Thailand und Brasilien aufzeigen.

Wenn jedoch Patente zunehmend zum Werkzeug privatisierter Renditen geworden sind und einer effizienten Förderung der öffentlichen Gesundheit im Weg stehen, drängt sich umso mehr die Frage nach Alternativen auf.

Zunächst betonte Wodarg die Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Patentamts (die heute nicht gegeben ist). Eine neu einzuführende Patent-Folgenabschätzung, wie sie Thailand schon erfolgreich handhabt, könnte -verbunden mit dem Recht einer etwaigen Rückholbarkeit von Patenten- Auswüchse gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen vermeiden helfen.

Dennoch bleibt das -auch von Wodarg selbst benannte- grundsätzliche Problem bestehen, das in den Patenten selbst und der aus ihnen resultierenden Einschränkung der Verfügbarkeit von Medikamenten liegt. Zugespitzt: ‚Wie viele Tote nimmt man (z.B. durch verzögerte Medikamenten-Verfügbarkeit) bewusst in Kauf?‘

Die Absurdität dieser Frage macht deutlich, dass die Frage der Medikamenten-Forschung und -Entwicklung nicht länger allein den Kräften des freien Marktes überlassen werden darf. Andere Konzepte zum Umgang mit geistigem Eigentum, Alternativem zum Patent sind erforderlich.

Ein Schritt, der derzeit bereits erprobt wird, sind ‚public private partnerships‘ (PPP) und ‚product development parnerships‘ (PDP). Nicoletta Dentico berichtet von einer Partnerschaft der ‚Drugs for Neglected Diseases Initiative‘ mit einem Pharmakonzern, die kürzlich dazu führte, dass ein neues Malaria-Medikament ohne Patent verfügbar wurde
Allerdings sind solche ‚Partnerships‘ oftmals mit einem Makel konfrontiert. Eine funktionierende Partnerschaft würde zwei gleich starke und gleichberechtigte Partner voraussetzen – eine Konstellation, die mit der Pharmaindustrie wohl oftmals schwierig sein dürfte. Zudem sind die derzeit im Gesundheitsbereich aktiven PPPs (wie z.B. auch die Aids-Impfstoff-Initiative IAVI) alle mit einem weiteren Problem konfrontiert, der Abhängigkeit von wenigen Geldgebern (meist als dominantem Geldgeber sogar nur von der Bill & Melinda Gates Stiftung). PPPs können also nur ein, und ein eher mit Vorsicht zu betrachtender Schritt sein.

Eine weiter reichende, sehr spannende Idee stellte Jerome Reichman vor: Gesundheits- Forschung als öffentliches Gut. Gerade für essentielle Gesundheits- Fragen wie Aids oder Malaria könnte so eine bedarfsgerechte und an den Interessen der Patienten orientierte Gesundheits- Forschung erreicht werden. Dies würde auch eine grundlegende Neuausrichtung der Arzneimittelforschung ermöglichen, die eine echte Balance findet zwischen den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen und den für die pharmakologische Forschung und Entwicklung eingesetzten Geldern.

Patente haben inzwischen massive negative Folgen für die öffentliche Gesundheit, die Versorgung der Weltbevölkerung mit Medikamenten. Doch es gibt Alternativen. Diese ernsthaft in Erwägung zu ziehen, in konkreten Anwendungen zu testen und zu etablieren wird eine der Herausforderungen der nächsten Zukunft sein.
Zu wünsche wäre, dass auch der G8-Gipfel in Heiligendamm dies berücksichtigt, wenn über gerade von ‚Entwicklungsländern‘ befürchtete noch strengere Patentregelungen diskutiert wird.
Denn wenn nichts unternommen wird, die Forschung nach neuen Medikamenten weiterhin einzig Pharma- und Patent- gestützt stattfindet, dann, so meint medico, „werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt als Impfstoffe gegen HIV/Aids“.

Patienten, Patente und Profite

Am medizinischen Fortschritt der Aids-Forschung haben Positive in den Entwicklungsländern nur wenig teilhaben können. Eines der Haupt-Probleme ist der Patentschutz der Medikamente, der einen Zugang zu -bezahlbaren- Medikamenten in den nicht-Industrie-Staaten massiv erschwert, wenn nicht oft beinahe unmöglich macht. Welche Wege aus der Misere führen könnten, damit beschäftigte sich ein Symposium, das Medico am 10. Mai 2007 in Berlin veranstaltete.

Nur 28% aller HIV-Infizierten weltweit, die einer antiretroviralen Behandlung bedürfen, erhalten tatsächlich Aids-Medikamente – 72% werden obwohl erforderlich nicht behandelt. Diese erschreckend schlechte Versorgung mit Aids-Medikamenten veranschaulichte jüngst erneut ein WHO-Report.

In diesem „kalten Krieg gegen Arme“, wie die taz formulierte, stellen die -durch Patente, Monopol-Preise und fehlenden Wettbewerb verursachten – hohen Medikamenten-Kosten und deren Patentschutz eines der größten Probleme dar.

„Ohne Patente lohnt sich keine kostenaufwändige Forschung für neue Medikamente“, sagen die einen. „Mit teuren Patenten wird die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Medikamenten unmöglich gemacht“, meinen die anderen.

Die einen – die Pharmaindustrie, besonders die forschenden Pharmaunternehmen, und einige ihre Interessen vertretenden Verbände, Politiker, Regierungen. Die anderen – Patientenorganisationen, Aktivisten, Regierungsvertreter der Länder, die wir oft leichtfertig ‚Entwicklungsländer‘ nennen.
Beinahe unversöhnlich scheinen beide Seiten sich oft gegenüber zu stehen, wie erst jüngst wieder im Konflikt um Aids-Medikamente in Brasilien und Thailand.

Gibt es Wege, berechtigten Interessen beider Seiten gerecht zu werden? Oder müssen zukünftig bei der Erforschung von Medikamenten gegen lebensbedrohliche Erkrankungen ganz neue Wege gegangen werden? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich internationale Experten auf der Tagung „Patienten, Patente und Profite“.

Medico02
Um die kostspieligen Original-Präparate der Pharma- Konzerne zu vermeiden, liegt für viele Staaten die Rettung in Generika (Nachahmer-Präparaten). Da derzeit noch alle Aids-Medikamente unter Patentschutz sind, bedeutet dies in den meisten Fällen einen Bruch bestehender Patente.

Womit sich die Frage stellt, ob Staaten wie derzeit Brasilien (beim Aids-Medikament Efavirenz) Patentrechte brechen dürfen. Die klare Antwort: ja, sie dürfen, wenn auch nur unter bestimmten Umständen.
Die Regelungen der Welt-Handels-Organisation WTO legen fest, dass ein Ignorieren von Patenten im Notfall zulässig ist. Nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land Zwangslizenzen (compulsory licence) für Produktion oder Import generischer Versionen von Medikamenten erteilen, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Sowohl im Fall von Thailand (Lopinavir) als auch Brasilien (Efavirenz) hat die WHO dies auch ausdrücklich bestätigt.
Verschiedene Zugangsweisen zur Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten wurden aus Südafrika, Brasilien und Thailand berichtet:

Südafrika
Jonathan Berger (Aids Law Project der Treatment Action Campaign), der erfreulicherweise wie oft auch hier mit einem Short „HIV positive“ sprach, rief noch einmal eindrücklich in Erinnerung, dass es in Südafrika erst mit massivem Druck seitens der Zivilgesellschaft gelang, die eigene Regierung zum Handeln zu bewegen.
Erst in jüngster Zeit wird begonnen, die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Aids-Medikamenten zu verbessern. Dabei stehen jedoch immer wieder auch regulatorische Hemmnisse im Weg – Tenofovir z.B., in den USA bereits seit Jahren als Aids-Medikament verfügbar, wurde in Südafrika erst vor zwei Wochen zugelassen.

Brasilien
Einen anderen Weg ist seit vielen Jahren Brasilien gegangen. Das Land wird international für erfolgreiche Präventionsbemühungen wie auch hohe Behandlungs- Standards gelobt.
Eloan Pinheiro (frühere Direktorin der staatlichen Pharma-Produktion) berichtete, dass das Land eine eigene staatliche Generika-Produktion aufgebaut hat, die sich als wesentliches Werkzeuge erwies, die Monopole der Pharmakonzerne aufzubrechen. Die jährlichen Kosten für die Behandlung eines HIV-Positiven konnten von über 10.000 US-$ auf 300$ gesenkt werden. Inzwischen werden beinahe 200.000 Positive im Land antiretroviral behandelt. Erreicht hat das Land dies auch dadurch, dass mit der Möglichkeit eigener Generika-Produktion die Pharmakonzerne von massiven Preissenkungen ‚überzeugt‘ werden konnten.

Dass auch diese Politik endlich ist, zeigt die jüngste Entwicklung. Die Ausgaben, die die brasilianische Regierung für importierte Aids-Medikamente hat, steigen gravierend an, die Bereitschaft der Pharmaindustrie zu deutlichen Preis-Zugeständnissen ist nachlassend. Das Druckmittel einer eigenen Produktionsmöglichkeit begann stumpf zu werden. Am 4. Mai schließlich erteilte die brasilianische Regierung die erste ‚compulsory licence‘, die die Herstellung und den Import generischer Versionen erlaubt.

Hintergrund der brasilianischen Politik, so Pinheiro, sei die feste Überzeugung, dass eine für jeden verfügbare wirksame Aids-Therapie (möglichst unentgeltlich von der Regierung) ein unabdingbares Menschenrecht sei.
Pinheiro zog den Schluss, dass Strukturen zur Produktion eigener Medikamente in den weniger entwickelten Staaten erforderlich sind. Sie schlug vor, Pilotanlagen für alle Aids-Medikamente zu entwickeln, und dieses Knowhow dann unentgeltlich allen relevanten Staaten zur Verfügung zu stellen.

Thailand
Thailand hat seit Ende 2006 bereits drei ‚compulsory licences‘ erteilt, ist hier einen Schritt weiter als Brasilien – sah sich aber insbesondere nach dem jüngsten Schritt auch massiven Protesten und Interventionen nicht nur der betroffenen Pharmakonzerne, sondern auch der Politik (bes. US-Regierung) ausgesetzt.
Suwit Wibulpolprasert (Chefberater Gesundheits- Ökonomie im thailändischen Ministerium für öffentliche Gesundheit) berichtete, dass etwa 100.000 Thais eine first-line-Therapie erhalten. Über 10.000 Thais würden eine second-line-Therapie benötigen, jedoch nur 15% erhielten sie. Trotz massiver Ausweitung des Gesundheits-Budgets (von 278 Mio. Baht 2002 auf 3.473 Mio. Baht 2007) könne keine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Aids-Medikamenten erreicht werden – das Haupt-Problem seien die absurd hohen Medikamenten-Kosten.
Trotz enorm langer Verhandlungen mit dem Pharma- Konzernen seien keine akzeptablen Preise angeboten worden. Aus diesem Grund sei man dazu übergegangen, ab Ende 2006 ‚compulsory licences‘ zu erteilen. Seitdem befinde man sich im offenen Konflikt mit der Pharma- Industrie.

Suwit wies nochmals darauf hin, dass es gelingen müsse, neben dem Markt ‚hohe Gewinnmarge bei niedrigem Umsatz‘ (der insbesondere für Industriestaaten tauge) auch einen Markt ’niedrige Marge bei hohem Umsatz‘ zu etablieren. Zwangslizenzen seien nicht der einzige Weg, das Problem zu lösen. Letztlich kam auch er zu dem Schluss, dass keiner der Pharmakonzerne, mit denen verhandelt wurde, an einer Lizenz-Lösung für den lokalen Markt interessiert war. Um so wichtiger sei nun insbesondere auch für sein Land internationale Unterstützung, um dem Druck von Pharmakonzernen und Politikern standhalten zu können.

Patente auf Medikamente, monopolartige Preise – dies ist nicht die einzige Möglichkeit, Substanzen zu entwickeln, und vielleicht auch nicht die beste. Darüber mehr morgen in Teil 2 des Berichts über die Konferenz „Patienten, Patente und Profite“.

Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste

Aids-Aktivisten und Patienten protestieren vor den Büros eines Pharma-Multis. Aus Europa und den USA kennt man dieses Bild seit ACT UP.
Doch dieser Konflikt mit dem Pharma-Multi Abbott findet im thailändischen Bangkok statt. Demonstranten blockierten den dortigen Unternehmenssitz. Und das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids ruft zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen zum Boykott des Konzerns auf.

Immer wieder geraten die Patentrechte in die Kritik, da sie die Medikamenten-Versorgung der Bevölkerung in zahlreichen armen Staaten erschweren oder unmöglich machen. Dies gilt auch für Thailand.

Die thailändische Regierung hatte nach vorangehenden Ankündigungen am 29. Januar eine so genannte ‚Compulsory Licence‘ erteilt, damit eine generische Version des Abbott-Medikaments Kaletra® im Land hergestellt oder (aus Indien) importiert werden kann.

In Thailand sind ca. 500.000 der 65 Millionen Einwohner mit HIV infiziert, etwa 200.000 benötigen eine antiretrovirale Therapie. Vor Einführung generischer Medikamente kostete eine Standard-HIV-Therapie in Thailand 33.300 Baht pro Monat (924$). Nur 3.000 Menschen erhielten damals eine Therapie. Mit generischen Medikamenten konnten die Kosten drastisch reduziert werden. Entsprechend konnte die Zahl der thailändischen Positiven, die eine Kombi-Therapie erhalten, auf inzwischen 100.000 (!) gesteigert werden (20.000 davon erhalten Kaletra®). Doch weitere mindestens 100.000 Positive im Land warten darauf, wirksame und bezahlbare Aids-Medikamente erhalten zu können.

Um die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu verbessern, hatte die thailändische Regierung nun die umstrittene Lizenz erteilt.

Diese würde einen Bruch des Abbott-Patents für dieses Medikament bedeuten – andererseits lassen die Regeln des Welthandels genau diese Lizenzen zu: nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land diese Lizenzen vergeben, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Selbst US-Regierungsvertreter gestehen deswegen ein, dass Thailands Verhalten rechtlich zulässig ist. Allerdings hätte Thailand besser vor der Lizenzerteilung mit dem Pharmakonzern verhandeln sollen, betonten sie.

Abbott hate Mitte Februar eine Reduzierung des Preises von 347$ pro Monat auf 167$ angeboten. Die Import-Version aus Indien würde ungefähr 120$ monatlich kosten. In Afrika stellt Abbott das Medikament für 500$ pro Patient und Jahr zur Verfügung, will diesen Preis jedoch nicht für Thailand bieten.

Der Lizenz-Entschluss der (erst vor einigen Monaten an die Macht geputschten) thailändischen Regierung wurde von den (in Thailand traditionell politisch starken) Militärs unterstützt. Ende letzten Jahres hatte Thailands Regierung bereits eine Compulsory Licence für Efavirenz (vermarktet als Sustiva® und Stocrin®) erteilt.

Abbott bezeichnete das Verhalten der thailändischen Regierung als reine Willkür und Preisdrückerei und reagierte deutlich: der Pharma-Multi kündigte am 14. März an, zukünftig seine neu entwickelten Medikamenten in Thailand nicht mehr auf den Markt zu bringen. Dies ist das erste Mal, dass ein Pharmakonzern Medikamente bewusst vorenthält und dies öffentlich kundtut. Nicht in Thailand auf den Markt bringen will Abbott u.a. eine neue (für Thailand nicht unwichtig: hitzestabile) Version von Kaletra® sowie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel sowie ein Medikament gegen Bluthochdruck.

Ein Vertreter von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ bezeichnete das Verhalten des Multis Abbott als ‚unmoralisch‘. Die Organisation betonte, man sei frustriert über die Entwicklung.

US-Vertreter betonen inzwischen unverhohlen, Thailand drohe Investitionen von US-Unternehmen zu verlieren.

Thailand zeigt sich bisher unbeeindruckt von Abbotts Verhalten. Man werde weitere Compulsory Licences prüfen, u.a. um die Bürger des Landes auch mit bedeutenden Krebs- und Herzmedikamenten versorgen zu können, so der Gesundheitsminister des Landes.

Der Pharmakonzern Abbott erhielt unterdessen Unterstützung u.a. vom deutschen Multi Bayer. Er halte die Entwicklung für gefährlich und unterstütze Abbott vollkommen, betonte der Chef von Bayer Healthcare, Arthur Higgins.

Pharmakonzerne begründen ihre harte Haltung in Sachen Patentschutz gerne mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten, die mit neuen Medikamenten verbunden sind. Kritiker betonen hingegen, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten gegen lebensbedrohende Erkrankungen (wie Aids) dürfe nicht wegen der Profite der Pharma-Multis gefährdet werden.

Gewinne Gewinne Gewinne

Heute noch so eine Geschichte, die man lieber nicht erzählen möchte. Wieder eine Geschichte aus dem bunten Pharma-Zirkus, in dem sich alles um Gewinne Gewinne Gewinne dreht. Eine Geschichte um Pillen und Aids.

Die Immunschwäche-Krankheit Aids wird ausgelöst durch eine Infektion mit dem HI-Virus. Die HIV-Infektion kann inzwischen oftmals erfolgreich behandelt (wenn auch nicht geheilt) werden, eine größere Anzahl Medikamente steht in den wohlhabenden Industriestaaten, zunehmend aber auch in einigen Staaten der sogenannten ‚Dritten Welt‘ zur Behandlung zur Verfügung.

Die Pillen, der Markt und der Preis
Eines dieser Medikamente ist Norvir des Herstellers Abbott. Norvir (Wirkstoff Ritonavir) wurde ab Mitte der 90er Jahre als Medikament gegen HIV eingesetzt (von den Patienten allerdings u.a. aufgrund seiner Nebenwirkungen wenig geliebt). Bis man feststellte, dass Norvir auch in der Lage ist, schon in einer geringen Dosierung andere Medikamente in ihrer Wirksamkeit zu verstärken. Dies wurde bald zum hauptsächlichen Einsatzgebiet von Norvir, während als eigentliches Medikament oftmals Substanzen von Wettbewerbern eingesetzt wurden. Fast jedesmal jedoch verdiente Abbott mit, da als ‚Verstärker‘ Norvir eingesetzt wurde.

Nun könnte man als Hersteller überlegen, ’na, schön dass unsere Pille trotz all der Nebenwirkungen und besseren Konkurrenzprodukte überhaupt noch ein Einsatzgebiet hat und damit Umsatz bringt‘. Nicht so jedoch der Pharmakonzern Abbott.
Dem reichte der Umsatz als „Verstärker“ nicht. Im Jahr 2003 begann man zu überlegen, was denn getan werden könnte, um den eigenen Marktanteil zu sichern und den Umsatz anzukurbeln. Welch perfide Vorschläge dabei ernsthaft erwogen wurden, enthüllte jetzt das Wall Street Journal.

Eine der Ideen: der Pharmakonzern könnte Norvir in den USA ganz vom Markt nehmen – um Wettbewerber zu schädigen, die Norvir als Verstärker (Booster) für ihre Medikamente nutzen (und dann nicht mehr einsetzen könnten).
Eine weitere Option: die Kapseln durch den Saft zu ersetzen (der wirklich so eklig schmeckt, dass selbst die Außendienst-Mitarbeiter des Konzerns sich nach Ausprobieren weigerten, die Probe zu wiederholen).
Dies hätte Patienten vermutlich gezwungen, auf das konzerneigene Medikament Kaletra zu wechseln (in das Norvir selbstverständlich als Booster, und geschmacksneutral, eingebaut ist).

Was hätten diese Alternativen in der Praxis bedeutet?
Abbott hätte Norvir (Kapseln) vom Markt genommen. Da wenig Umsatz, wäre der direkte finanzielle Verlust nicht sehr groß gewesen.
Die Patienten und ihre Ärzte hätten sich entscheiden müssen. Sie könnten weiterhin Medikamente eines anderen Herstellers einnehmen, aber nur ohne „Verstärker“, oder nur mit dem wirklich unerträglich schmeckenden Norvir-Saft. Oder sie wechseln zu einem Produkt von Abbott (hier also Kaletra) – denn in seine eigenen Pillen baut der Konzern selbstverständlich den Verstärker auch weiterhin ein, auch mit erträglichem Geschmack.

Um dem ganzen noch einen besonderen Akzent zu geben, wurde diskutiert, wie denn diese schwer erträgliche Entwicklung vor Ärzten und Patienten gerechtfertigt werden könnte. Die perverse Idee: die ‚dritte Welt‘ könnte doch die Schuld bekommen. Man benötige alle Produktionskapazitäten, um den Staaten der ‚Dritten Welt‘ ausreichend Norvir zur Verfügung stellen zu können, so das Gedankenspiel zur Begründung der diskutierten Möglichkeit, Norvir in den USA vom Markt zu nehmen.

Und wie gingen diese perfiden Planspiele aus?
Der Pharmakonzern entschied sich im Dezember 2003 für eine dritte Option. Der Preis für Norvir wurde in den USA erhöht, und zwar drastisch.
Die angenehme Nebenfolge für Abbott: während sich die Gesamt-Preise für die Produkte der Wettbewerber, die ja das nun 5fach teurere Norvir als Verstärker benötigen, massiv erhöhten, würde Kaletra (das hauseigene Produkt mit ‚eingebautem‘ Norvir-Verstärker) preislich attraktiver sein und dadurch massive Marktanteile gewinnen.
Diese Begründung wurde natürlich nie offiziell gegeben. Abbott begründete vielmehr die Preiserhöhung damit, der neue Preis reflektiere nun endlich den ‚wahren Wert‘ der Substanz in der Therapie.

Der ‚wahre Wert‘ allerdings erschreckte nicht nur Marktbeobachter, Ärzte und Patienten. Abbott verfünffachte (!) den Preis von Norvir in den USA.
Der Großhandelspreis für eine Packung Norvir-Kapseln (100 Stück à 100mg) wurde von Abbott erhöht von 205,74 US-$ auf nunmehr 1.028,71$. Trotz massiver Proteste von Ärzten, Aktivisten, Patientenvertretern und Gesundheitspolitikern blieb es bis heute bei dieser Preiserhöhung.

Eine Geschichte, die beinahe so klingt, als hätten sie Drehbuch-Autoren wenig ambitionierter Movies sich nachts aus den Fingern gesogen – und die dennoch traurige Wirklichkeit ist.
(weitere Informationen: Hintergrundinformationen hier)
Norvir und Kaletra sind geschützte Warenzeichen von Abbott