Rilpivirin bei HIV: Zusatznutzen für Monopräparat belegt – Dossier für Kombinationspräparat inhaltlich unvollständig: Vorhandene Studiendaten nicht adäquat ausgewertet

Seit Anfang 2012 steht erwachsenen Patientinnen und Patienten, die mit dem Humanen Immundefizit-Virus Typ1 (HIV-1) infiziert sind, auch der Arzneistoff Rilpivirin zur Verfügung. Es gibt ihn sowohl als Monopräparat (Handelsname Edurant ®) als auch in fester Kombination mit anderen HIV-Medikamenten (Handelsname Eviplera ®). Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun bei zwei frühen Nutzenbewertungen gemäß AMNOG überprüft, ob die beiden neuen Medikamente gegenüber den bisherigen Standardtherapien Vorteile haben.

Demnach gibt es Belege, dass Rilpivirin als Einzelwirkstoff Männern, die mit HIV-1 infiziert sind, einen beträchtlichen Zusatznutzen bietet. Für Frauen liefern die verfügbaren Studien entsprechende Hinweise.

Für die Fixkombination lässt sich aus dem Dossier des Herstellers ein Zusatznutzen dagegen nicht ableiten – und das obwohl beiden pharmazeutischen Unternehmen dieselben Studien zur Verfügung standen. Denn im Unterschied zum Hersteller des Monopräparats hat der Hersteller des Kombinationspräparats die Studiendaten nicht in angemessener Weise ausgewertet. Sein Dossier ist deshalb inhaltlich unvollständig.

(Pressemitteilung IQWIG, Anfang; vollständige Pressemitteilung mit Links zu Ergebnissen der beiden Nutzenbewertungen hier)

Kurz notiert … November 2010

29. November 2010: Die südlichen US-Bundesstaaten haben eine ausgeprägte HIV-Epidemie, jedoch ineffizienten Aids-Politik – sie verweigern sich anerkannten Präventions-Methoden, kritisiert Human Rights Watch.

25. November 2010: Der Pharmakonzern Gilead hat in den USA einen Antrag auf Zulassung einer Kombinations-Pille aus drei Wirkstoffen (Emtricitabine, Tenofovir und Rilpivirine) gestellt.

23. November 2010: Vatikan-Sprecher Federico Lombardi konkretisiert die Papst-Aussagen; das „gelockerte Kondom-Verbot“ gelte für weibliche, männliche und transsexuelle Prosituierte.

21. November 2010: In „begründeten Einzelfällen“ will der Papst die Verwendung von Kondomen auch nach katholischer Lehre ‚zulassen‚.

20. November 2010: Nach eine Besuch der Oppositions-Politikerin Suu Kyi schließt Birmas Militärjunta eine Aids-Klinik.

18. November 2010: Die Rock-Musikerin Patti Smith wird mit dem US – National Book Award ausgezeichnet für ihr Buch über den 1989 an den Folgen von Aids verstorbenen Photographen Robert Mapplethorpe.

16. November 2010: Eine iPhone-App der Universität Liverpool informiert über Wechselwirkungen von HIV-Medikamenten mit anderen Substanzen.

15. November 2010: Auf ihrem Jahresempfang 2010 nimmt die Deutsche Aids-Hilfe am 11. November Cori Obst und Bernd Aretz als Ehrenmitglieder auf.

9. November 2010: Das EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) scheint in der Schweiz Einfluss auf das Sex-Verhalten HIV-Positiver zu haben: Forscher berichten über einen vermutlichen Zusammenhang zwischen erfolgreicher HIV-Therapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) und kondomfreien Sex (im aidsmap-Artikel fälschlicherweise pauschal als „ungeschützter Sex“ bezeichnet).

8. November 2010: Bei Leberkrebs sind die Dreijahres-Überlebensraten bei HIV-Negativen und HIV-Positiven ähnlich, zeigt eine US-Studie.

Ein neuer experimenteller (auf Basis einer südamerikanischen pflanze entwickelter) Wirkstoff zur Behandlung von Durchfällen (‚Cofrelemer‘)soll sich in Studien als wirksam erwiesen haben, berichtet POZ.

7. November 2010: Das Oberhaupt der katholischen Kirche Belgiens, Bischof Léonard, bekam während eines Gottesdienstes von einem Unbekannten eine Torte ins Gesicht. er hatte u.a. Aids als „eine immanente Gerechtigkeit für den Missbrauch der Liebe“ bezeichnet.

6. November 2010: Forscher entschlüsselten, warum einige Menschen natürlich immun gegen eine Infektion mit HIV sind.

3. November 2010: „Jesus war HIV-positiv„, mit dieser Aussage in seinen Predigten will ein südafrikanischer Pastor darauf hinweisen, dass HIV-Positiver immer noch stigmatisiert werden.

Das oberste US-Gericht (Supreme Court) hat eine Klage der Stanford University gegen den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche akzeptiert. Stanford will erneut gegen eine Vereinbarung mit dem Pharmakonzern aus dem Jahr 1989 vorgehen, insbes. um die Rechte an einem verfahren zur Bewertung von Aids-Medikamenten.

2. November 2010: Wie hängen Stigma und HIV-Test zusammen? Menschen, die stigmatisierende Vorstellungen von HIV haben, machen mit deutlich niedrigerer Wahrscheinlichkeit einen HIV-Test. Und Menschen, die einen HIV-Test gemacht haben, haben signifikant seltener negative Einstellungen zu und Vorstellungen von Menschen mit HIV. Dies stellte eine Studie in Südafrika fest.

Schweiz: Auf Basis der ersten neun Monate rechnet das Bundesamt für Gesundheit mit ca. 600 bis 640 HIV-Neudiagnosen 2010. 2010 sind bisher (bis 30.9.2010) 18 Menschen an den Folgen von Aids gestorben.

1. November 2010: Der auf politischen Druck gegangene Ex-IQWIG-Chef Prof. Peter Sawicki wechselt ab November 2010 an das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Uni Köln. Sawickis (indirekter) Chef dort: Prof. Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD – und Institutsleiter seit 1998, seit 2005 aufgrund seiner Abgeordneten-Tätigkeit beurlaubt. Sawickis Nachfolger als Chef des IQWIG ist seit 1.9.2010 Prof. Jürgen Windeler.

Korruption bei Ärzten? Bei Umsatz Scheck – erstmals wurden vom Amtsgericht Ulm zwei Mediziner verurteilt, die von einem Pharma-Unternehmen Schecks erhielten – die Höhe jeweils abhängig von der Menge der verordneten Präparate des Herstellers.

Eine hohe Sterblichkeitsrate sowie eine niedrigere Erfolgsrate der Hepatitis-C-Therapie stellten französische Forscher bei mit HIV und Hepatitis-C-Virus ko-infizierten Patienten fest.

Einer der ‚führenden‘ ‚Aids-Leugner‚ Südafrikas, Dr. Anthony Mbewu, ist von seinem Posten als Direktor des ‚Global Forum for Health Research‘ zurückgetreten. Er war für diesen Posten trotz Kritik seitens vieler Aids-Aktivisten vor 10 Monaten ernannt worden.

Jürgen Windeler ab 1.9.2010 neuer Chef des IQWIG

Jürgen Windeler, bisher Leiter des Fachbereichs evidenzbasierte Medizin des Medizinischen Diensts der Krankenkassen, wird neuer Chef des IQWIG. Er folgt damit dem im Januar 2010 geschassten Peter Sawicki.

2004 wurde es gegründet, das ‘Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen’ IQWIG. Seit seiner Gründung Direktor des Instituts: Prof. Dr. Peter Sawicki (52). Bis er im Januar 2010 seinen Posten verlor. Sein Nachfolger wird nun der 1957 geborene Prof. Dr. Jürgen Windeler werden.

Prof. Dr. med. Jürgen Windeler (Foto: MDS)
Prof. Dr. med. Jürgen Windeler (Foto: MDS)

Der Stiftungsrat des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) empfahl am Mittwoch 2. Juni 2010 einstimmig Windelers Ernennung. IQWIG-Stiftungs-Vorstand und Bundesministerium für Gesundheit müssen dem Votum noch zustimmen. Windeler wird seinen Dienst zum 1. September 2010 antreten.

Windeler war bisher seit 1999 Leiter des Fachbereichs evidenzbasierte Medizin und seit 2004 stellvertretender Geschäftsführer und leitender Arzt des Medizinischen Diensts des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (MDS).

Das IQWIG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat vereinfacht die Aufgabe, Therapien und Medikamente auf ihren nutzen und ihre Wirtschaftlichkeit zu beurteilen. Es liefert damit Entscheidungsgrundlagen für den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der u.a. entscheidet, für welche Medikamente und Therapien die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten übernehmen.

weitere Informationen:
SZ 02.06.2010: Windeler wird oberster Pharmakontrolleur
SpON 02.06.2010: Neuer IQWiG-Chef: Jürgen Windeler wird oberster Arzneimittelprüfer

Weser-Kurier 08.06.2010: Neuer Chef will Unabhängigkeit des IQWiG wahren
SpON 09.06.2010: Aufsichtsinstitut IQWiG – Neuer Pharmaprüfer will sich als Kostenkiller profilieren
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Medikamentenpreise: rechtfertigt der Nutzen den Preis?

Ein bedeutender Teil der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung entfällt auf Medikamente. Die Preise für neue Medikamente können die Hersteller in Deutschland bisher frei nach eigenem Ermessen festsetzen. Doch – rechtfertigt der Nutzen jeden Preis?

Gut ein Sechstel sämtlicher Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung entfällt allein auf Kosten für Arzneimittel (2008 nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 16,8%). „Noch immer ist Deutschland ein Paradies für die Arzneimittelindustrie: In keinem anderen europäischen Land kann sie die Preise so frei festsetzen“, schreibt SpON.

Noch deutlicher formuliert es Peter Sawicki, der erst jüngst geschaßte Chef des IQWIG:

„Für die Unternehmen [der Pharma-Industrie, d.Verf.] ist es in Deutschland paradiesisch: Alle Präparate werden sofort nach der Zulassung verordnet – zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu dem Preis, den die Industrie festlegt.“

Wenig erstaunlich, dass bei derartigen Markt-Strukturen die Kosten, die der Krankenversicherung (der gesetzlichen wie der privaten) für Arzneimittel entstehen, sehr hoch sind.

Doch entsprechende Instrumente stünden längst zur Verfügung. Schon seit längerem gibt es das Wirtschaftlichkeits-Gebot in der Krankenversicherung, und seit der Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG) ist es auch Aufgabe des IQWiG zu prüfen, ob die Preise für ein Arzneimittel in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

Damit ist neben die Nutzen-Bewertung eines Arzneimittels schon vor einigen Jahren auch die Kosten-Nutzen-Bewertung getreten. Vereinfacht gesagt bedeutet dies die Frage: steht der Preis eines Medikaments in einem vertretbaren Verhältnis zum gesteigerten Nutzen dieses Medikaments (im Verglich zu verfügbaren Standard-Therapien)? Eine solche Kosten-Nutzen-Bewertung kann dann Grundlage für die Festsetzung eines Höchstbetrages durch den GKV-Spitzenverband für nicht-festbetragsfähige Arzneimittel sein.

Das IQWIG erläutert

„Die Kosten-Nutzen-Bewertung berechnet die Kosten für die Behandlung eines einzelnen Patienten. Um diese Kosten abzuschätzen, wird in der Regel die Perspektive der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen gewählt. Dabei können neben den Ausgaben der Krankenkassen auch die Zuzahlungen der Versicherten einbezogen werden. Ebenso kann je nach Auftrag die Perspektive erweitert werden, um zum Beispiel Arbeitsausfallzeiten, Verrentungen und die finanzielle Belastung von Angehörigen zu berücksichtigen. Wenn es zum Beispiel um Krankheiten wie Demenz geht, spielen auch Pflege- kosten eine entscheidende Rolle und werden entsprechend berücksichtigt.“

Der Auftrag zu einer Kosten-Nutzen-Bewertung eines Medikaments wird vom Gemeinsamen  Bundesausschuss (G-BA) erteilt. Das IQWIG führt die Bewertung nach einem standardisierten Verfahren durch und erstellt Empfehlungen. Die Entscheidungen zur Erstattungsfähigkeit eines Medikaments werden i.d.R. vom G-BA (mit Überprüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit) getroffen. Die Zuständigkeit für die Festlegung eines Höchstbetrags eines Medikaments hingegen liegt laut Gesetz alleine in den Händen der Gesetzlichen Krankenkassen. Die Krankenkassen werden dabei vom GKV-Spitzenverband vertreten.

Das Instrumentarium der Kosten-Nutzen-Analyse wurde bisher nur in wenigen Fällen angewendet. Der Gemeinsame Bundesauschuß erteilte erst im Dezember 2009 die ersten Aufträge zu einer Kosten-Nutzen-Bewertung (u.a. für bestimmte Medikamente zur Behandlung der Depression), mit dem Ergebnis wird frühestens im Winter 2010/11 gerechnet.

Wenn also Gesundheitsminister Rösler wie angekündigt „die Preisfindung der Arzneimittel kritisch prüfen“ will, wird er feststellen, dass mit der Kosten-Nutzen-Analyse ein potentiell sehr wirksames Instrumentarium bereits zur Verfügung steht. Eine Kostenbremse wäre möglich – vielleicht nicht ganz unter dem Beifall der Pharmaindustrie …

weitere Informationen:
FR 06.02.2010: Pharmakritiker Sawicki – Das Rezept der Profiteure
Ärzteblatt: Gemeinsamer Bundesausschuss: Mit Macht ins Zentrum
IQWIG: Methoden zur Kosten-Nutzen-Bewertung
Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste: Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln (Januar 2009; pdf)
G-BA 18.12.2009: Gemeinsamer Bundesausschuss erteilt erste Aufträge zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln
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Erektionsstörungen: Wirksamkeit und unerwünschte Wirkungen von Potenzmitteln

‚Erektionsstörungen: Wie wirksam sind Potenzmittel wie Viagra und welche unerwünschten Wirkungen haben sie?‘ Hierzu hat das IQWIG auf ‚gesundheitsinformationen.de‘  allgemeinverständliche Informationen zusammengestellt.

Das IQWIG weist auf fehlende Langzeit-Untersuchungen hin

„Leider gab es nur wenige Studien, die länger als drei Monate dauerten, und auch die unerwünschten Wirkungen wurden nicht routinemäßig untersucht“

und betont:

„Außerdem fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewisse Hinweise darauf, dass die Arzneimittelhersteller möglicherweise nicht alle von ihnen durchgeführten Studien auch veröffentlicht haben.“

gesundheitsinformationen.de (Hg.: IQWIG): Erektionsstörungen: Wie wirksam sind Potenzmittel wie Viagra und welche unerwünschten Wirkungen haben sie?
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IQWIG: Pharma-krititischer Chef wird gegangen (akt.2)

Zukünftig mehr Pharmanähe gewünscht? Der Vertrag des bisherigen Chefs des Medikamenten-Prüfinstituts IQWIG, Prof. Sawicki, wird nicht verlängert.

2004 wurde es gegründet, das ‚Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen‘ IQWIG. Seit seiner Gründung Direktor des Instituts: Prof. Dr. Peter Sawicki (52).Das IQWIG ist nach eigenem Bekunden „ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können.“

In den vergangenen fünf Jahren erwarb das Institut sich einen Ruf als unabhängiger „Medikamenten-TÜV“ und Pharma-Kontrolleur. Das Institut ging gegen ‚Pseudoinnovationen‘ vor und untersuchte kritisch, ob neue kostenintensive Medikamente auch mit erweitertem medizinischen Nutzen für die Patienten verbunden sind. Basis war die ‚evidenzbasierte Medizin‘ – ein Medikament muss in klinischen Studien am Menschen beweisen, dass es besser ist als bereits erhältliche Arzneimittel. Immer wieder ging das IQWIG auch gegen das Verschweigen von Studien-Daten vor.

Das IQWIG und Sawicki waren seit Beginn der Arbeit deutlicher Kritik ausgesetzt – seitens der Pharmaindustrie, aufgrund der kritischen Haltung gegenüber Arzneimittelherstellern.

Prof. Peter Sawicki, bisher Leiter des IQWIG (Foto: IQWIG)
Prof. Peter Sawicki, bisher Leiter des IQWIG (Foto: IQWIG)

Vorstand und Stiftungsrat des IQWIG beschlossen jetzt am Freitag, 22. Januar 2010, dass Sawickis Vertrag Ende August 2010 ausläuft und nicht verlängert wird. Ab September wird das Institut unter neuer Leitung stehen.

Sawickis Kündigung erfolgte, so Presseberichte, auf Druck von Medizinvertretern (Vertreter der Ärzteschaft und Deutsche Krankenhausgesellschaft) und mit Billigung von Gesundheitsminister Rösler. Patientenvertreter sind in die Entscheidungsgremien des IQWIG nicht eingebunden.
Als offizieller Grund für die Kündigung werden Ungereimtheiten bei der Abrechnung von Dienstwagen-Kosten angegeben. Experten gehen jedoch davon aus, das die Entlassung eher politisch motiviert sein dürfte, der wahre Grund eher in Sawickis kritischer Haltung gegenüber der Pharmaindustrie liege.

Rösler und die FDP hatten bereits seit längerem deutliche Kritik an Sawicki geäußert. Rösers Staatssekretär Stefan Kapferer sitzt im Vorstand des IQWIG.

Erst vor wenigen Monaten hatten die Bundesländer (damals mit Beteiligung Röslers als niedersächsischer Wirtschaftsminister) gefordert, Sawicki müsse auch „die Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der heimischen pharmazeutischen Unternehmen“ als Kriterium in die Arbeit seines Instituts einbeziehen – ein Ansinnen, das Sawicki weit von sich gewiesen haben dürfte.

Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und FDP festgelegt

„Die Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) werden wir auch unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer und Hersteller verbessern.“

SpON kommentiert dazu: „Minister Rösler sieht die Aufgabe des IQWiG offenbar darin, den Pillenabsatz in Deutschland anzukurbeln, und das sollte allen Patienten zu denken geben, wenn ihnen der Doktor beim nächsten Mal ein Medikament verordnet.“

Als neuer Chef des IQWIG ist einem Bericht des ‚Stern‘ zufolge Leo Hansen von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein im Gespräch.

Nachtrag 24.01.2010: Bundesgesundheitsminister Rösler kündigte unterdessen gegenüber SpON an, die Stellung des IQWIG im Gesundheitswesen solle zukünftig gestärkt werden.

Eine Pharma-kritische Stimme an wichtiger Position ist mundtot gemacht. Ein weiteres Lehrstück von Klientel-Politik à la FDP. Pharmaindustrie und Ärzteschaft werden sich freue. Für Patient/innen und Verbraucher hingegen dürfte der Rückzug Sawickis und die Stärkung der Interessen der Pharmalobby nichts Gutes bedeuten. Nicht nur, dass eine kritische Bewertung der Sicherheit und Nutzen von Arzneimitteln geschwächt wird – auch die Kosten im Gesundheitswesen dürften durch den Beschluss und seine Folgen nicht gerade nach unten tendieren.

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weitere Informationen:
SZ 22.01.2010: Sawicki – Dorn im Auge der Industrie: Pharmawächter muss gehen
SpON 22.01.2010: IQWiG-Chef Sawicki – Vorstand entlässt Institutsleiter
SpON 23.01.2010: FDP-Gesundheitspolitik – Triumph der Lobbykratie
SpON 24.01.2010: Kriselndes Gesundheitssystem – Rösler will Arzneikosten gesundschrumpfen
SpON 15.03.2010: Affären – Operation Hippokrates
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Gute Therapie – auch eine Frage der Kosten?

Auch in das deutscher Gesundheitswesen zieht mehr und mehr der Gedanke der Wirtschaftlichkeit ein. Mag auch die Mehrzahl der Patienten noch denken, sie bekäme das an Therapien und Medikamenten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist – die Kosten der Maßnahmen spielen längst eine bedeutende Rolle.

Am leichtesten wird dies für jeden Patienten sichtbar in der Apotheke. Sofern mehrerer Hersteller ein Präparat anbieten, sind Arzt und Apotheker gehalten, eine kostengünstige Version zu verordnen bzw. abzugeben. Meist geht es hier jedoch um kleinere Beträge – die Kosten der Medikamente, die bereits als Generika vorliegen, sind oftmals wesentlich niedriger als die neuer Präparate.

Neue Medikamenten, die noch dem Patentschutz unterliegen, haben oftmals einen deutlich höheren Preis. Und verursachen damit Kosten, die die Budgets der Krankenversicherungen erheblich belasten.>

In der Folge zieht auch hier immer mehr der Gedanke an die Kosten ein: in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht ein Wirtschaftlichkeits-Gebot. Ein wesentlicher Hebel, dieses Gebot umzusetzen, wird zukünftig das IQWiG sein.
Dieses Institut soll medizinische Behandlungen und Arzneimittel auf ihre Nutzen beurteilen. Seit Kurzem ist es auch Aufgabe des IQWiG zu prüfen, ob die Preise für ein Arzneimittel in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

In der Praxis könnte dies zukünftig dazu führen, dass Patienten (zumindest zu Lasten ihrer Krankenkasse) manche Medikamente nicht mehr verschrieben bekommen können, da deren Preis als unangemessen im Verhältnis zum Nutzen betrachtet wird.

Wohin diese Entwicklungen führen können, zeigt Großbritannien. Dort spielen die Behandlungskosten schon heute eine größere Rolle auch in konkreten Therapie-Entscheidungen.
Bereits 2005 erwähnten die HIV-Behandlungs-Richtlinien der britischen BHIVA die Medikamenten-Kosten als einen Entscheidungsfaktor, den der Arzt zu berücksichtigen habe. Als Entscheidungshilfe enthielt die 2005-Richtlinie zudem erstmals eine Tabelle mit den Kosten der einzelnen Aids-Medikamente. Die 2006er Richtlinie setzt diese Tendenz fort, dort heißt es eindeutig „die Kosten der Therapie sollten [neben Wirksamkeit, Compliance und Verträglichkeit, d.Verf.] ebenfalls berücksichtigt werden“.

In der Realität führt dies, so vermutet aids treatment update 1), dazu, dass manche Präparate HIV-Patienten häufig verordnet werden, obwohl sie höhere oder gravierendere Nebenwirkungen, teils auch limitierte Wirksamkeit haben – weil sie kostengünstiger als Alternativ-Präparate sind.

Wie gesagt, noch ist dies Realität in Großbritannien, nicht in Deutschland. Aber das Beispiel zeigt, wohin der Zug fährt, und welche Entwicklungen auch uns bevor stehen könnten …

1) vgl. „cost matters“ im Artikel „an uncertain future“, als pdf hier

PS: ‚uncertain future‘ – die Gesundheitsreform hat für die Zukunft noch weitere Überraschungen bereit – eines der Stichworte heisst „Therapietreue“ – doch dazu später mehr …