In einer bereits seit längerer Zeit laufenden Studie wird in Deutschland untersucht, welche Krankheitskosten HIV-Positive verursachen. Brisantes Material für gesundheitspolitische Diskussionen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie … ja wen?
„Krankheitskosten- Kohortenanalyse (K3A)“ – so nennt sich kurz und knapp eine Studie, die die DAGNÄ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) zusammen mit dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen derzeit durchführt.
Ziel der Untersuchung, so die Autoren, sei es, „die Krankheitskosten der HIV-Infektion in Deutschland anhand eines in HIV-Schwerpunktpraxen behandelten Patientenkollektivs zu erheben“. Die Kosten sollen dabei sowohl „aus Sicht der Gesellschaft“ als auch „aus der Perspektive der Krankenkassen“ dargestellt werden.
Die Studie läuft bereits seit 1. Januar 2006 (erste Einschleusung von Patienten). Die Rekrutierung der insgesamt 630 Patienten an 34 teilnehmenden Zentren ist inzwischen abgeschlossen. Für jeden Patienten sollen 18 Monate lang Daten gesammelt werden; die Datenerhebung soll Mitte 2009 abgeschlossen sein. Mit ersten Ergebnissen wird für Ende 2009 gerechnet.
Welche Art Ergebnisse?
Die Autoren dazu: Die Ergebnisse werden „erstmalig eine Abschätzung der finanziellen Belastung für die Gesellschaft durch die HIV-Erkrankung ermöglichen“. Zudem sollen sie „eine Aussage darüber zulassen, welche finanziellen Ressourcen die GKV [Gesetzliche Krankenversicherung, d.Verf.] für diese Erkrankung aufbringen muss“. Die Studie soll „Informationen für die gesundheitspolitische Diskussion zur Allokation [Zuteilung, Bereitstellung, d.Verf.] von Ressourcen erbringen“.
Welche Art Ergebnisse zu welchen Fragen mit den Daten der Studie möglich werden, lässt sich u.a. aus dem Aufbau der Studie und Daten erahnen.
So sollen im Rahmen der Studie verschiedene Sub-Gruppen untersucht werden, Therapie-naive Positive (ohne ART) genauso wie Positive unter ihrer ersten, zweiten oder dritten ART oder unter vierter und weiterer ART.
Analysiert werden soll in der Studie „ggf.“ auch auf andere Sub-Gruppen, nämlich die ‚HIV-Transmissions-Risiko-Gruppen‘ (sprich: Männer die Sex mit Männern haben (MSM), iv-DrogengebraucherInnen, über heterosexuelle Kontakte Infizierte, ‚Personen aus Endemiegebieten‘).
Zudem sollen bei den Daten zu den einzelnen Patienten „Umstellungs- und Abbruchgründe dokumentiert“ werden – wiederum, um „Subgruppen bilden zu können“.
Abgefragt (und vermutlich ausgewertet?) wird u.a. weiterhin auch die „psychosoziale Situation des Patienten“ (siehe „Arztcheckliste“, hier als pdf), sowie ob der Patient die Pillen regelmäßig, termintreu und zeitgerecht nimmt (mit mindestens sieben detaillierten Fragen, siehe pdf hier, Seite unten links vergrößern, oder der gesamte ‚Patienten-Reminder‘ als pdf hier).
Über eine etwaige Beteiligung von HIV-Positiven oder der Deutschen Aids-Hilfe bei der Studien-Gestaltung oder -Auswertung ist nichts bekannt.
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Die HIV-Infektion ist eine kostenintensive Erkrankung, sowohl in ihrer medikamentösen Therapie (Kosten der Aids-Medikamente) als auch der Betreuung und Behandlung der Patienten, keine Frage. Und ‚Wirtschaftlichkeit‚ ist längst eines der Entscheidungskriterien auch im deutschen Gesundheitswesen.
Aber – ist diese Studie erforderlich, sinnvoll? Für wen?
Worum geht es den Initiatoren? Wirklich um „gesundheitspolitische Diskussion“? Man könnte -wenn man sich den Begriff der ‚Ressourcen-Allokation einmal auf der Zunge zergehen lässt- beinahe den Eindruck gewinnen, dass Ärzte mehr Geld erhalten wollen und dafür Argumente suchen? Ein Artikel aus 2006 (pdf hier), der bezeichnenderweise die Studie u.a. in den Zusammenhang des ‚Bundesmantelvertrags HIV‚ (Schlagzeile ‚das liebe Geld‘) stellt, weist vielleicht den Weg …
Die Daten und Ergebnisse dieser Studie, wenn sie erst einmal in der Welt sind, dienen aber sicherlich nicht nur ärtzlichen Entlohnungs-Debatten.
Was sich zunächst harmlos anhört, könnte gewaltige Sprengkraft entwickeln. Die Daten, die zunächst ‚unschuldig‘ wirken, könnten brisante Ergebnisse bringen – und noch brisantere Folge-Diskussionen.
Nur einige erste Beispiel: angenommen z.B. die Daten zeigen, dass DrogengebraucherInnen im Vergleich zu Schwulen ‚teurere‘ Patienten sind. Oder Migranten, oder Asylbewerber. Oder dass Therapie-Abbrecher oder Menschen mit Problemen bei der ‚Therapietreue‘ weit höhere Gesamtkosten verursachen.
Was geschieht dann mit diesen Daten, wenn sie erst einmal in der Welt sind? Wer ‚wertet‘ sie aus? Wer zieht aus ihnen politische Konsequenzen?
Ob an der Studie beteiligten Positiven bewusst ist, welche Aussagen mit ihren Daten möglich werden könnten? Oder dass sie, falls sie ihre Kombi in nennenswertem Umfang nicht vollkommen korrekt einnehmen, ihre Chroniker-Regelung (Chronikerregelung: 1% Zuzahlung statt 2%) gefährden könnten (genau wegen fehlender Therapietreue)? Und dass für Politiker, die genau diese Leistungseinschränkungen durchsetzen wollen, Studien wie diese auch noch die erforderlichen Daten und Argumente liefern könnte?
Oder die bewusste Wahl auch der Perspektive der Krankenkassen für die Datenauswertung. Wenn Kassen jetzt schon versuchen, nach dem Sex-Partner zu fragen, durch den eventuell eine Infektion stattgefunden haben könnte (wegen möglicher Kosten-Regressforderungen, siehe ‚Fall Barmer‚), was wird dann erst mit Daten zur Ökonomie von Therapie, Therapietreue und Therapieabbruch angestellt? Wo „Therapietreue“ eh gerade als Kriterium der GKV eingeführt werden soll?
Ob den Autoren der Studie bewusst ist, welche Büchse der Pandora sie möglicherweise aufmachen?
Bedenken mögen zunächst unbegründet oder ‚ängstlich‘ erscheinen. Wenn ich jedoch allein einmal daran denke, dass Begriffe wie Verantwortung, Eigenverantwortung, Schuld zunehmend Einzug in den gesundheitspolitischen Diskurs halten, sich selbst in Gesetzesentwürfen und -texten wiederfinden …
Die aktuelle Ausgabe des ‚Retrovirus Bulletin‘ mit dem Artikel „HIV-Behandlung – die gesundheitsökonomische Perspektive“ (S.1-3) steht hier als pdf online.
Die Studie wird auch im Rahmen der (in Berlin stattfindenden) Münchner Aids-Tage präsentiert – am 15. März 2008, Workshop B27