Deutsche AIDS-Hilfe: Gesundheitsreform schadet chronisch Kranken

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) kritisiert die Gesundheitsreform der Bundesregierung: Das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ (AMNOG) und das „Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Finanzierungsgesetz) bringen für einen Großteil der chronisch Kranken keinerlei Verbesserungen. Der Sozialabbau schreitet voran: Durch die beschlossenen Regelungen verschlechtert sich die Situation vieler HIV-Infizierzter und an Aids Erkrankter.

Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe: „Die Gesundheitsreform schadet vielen chronisch Kranken. Sie lässt keine stärkere Orientierung am Patientenwohl – wie von Gesundheitsminister Dr. Rösler postuliert – erkennen. Im Gegenteil: Die steigenden Kosten müssen vom Patienten allein getragen werden. Da die Zusatzbeiträge nicht an das Einkommen gebunden sind, werden gerade Geringverdienende überproportional belastet. Leider tragen die neuen Gesetze nicht dazu bei, die Kosten der viel zu teuren HIV-Medikamente zu reduzieren. Die Öffnung des deutschen Pharmamarktes für HIV-Generika wird nicht gefördert. Die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung von HIV-Patienten verbessern sich zwar stetig, die soziale Entwicklung hält dem aber nicht stand: Chronisch Kranke werden vom Staat nur unzureichend sozial abgesichert.“

GKV-Finanzierungsgesetz benachteiligt Menschen mit Behinderung

Das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz) benachteiligt Menschen mit Behinderung. Aus diesem Grunde hat der Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE, Dr. Martin Danner, am 14. September 2010 einen Brief an Hubert Hüppe, den Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, geschrieben. Darin fordert Dr. Danner den Behindertenbeauftragten auf, sich dafür einzusetzen, dass Menschen mit Behinderung von der Entrichtung von Zusatzbeiträgen ausgenommen werden.

Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz sucht die Bundesregierung den Einstieg in eine durch Zusatzbeiträge finanzierte gesetzliche Krankenversicherung. Menschen mit einem geringen oder gar keinem Einkommen sollen einen automatischen Sozialausgleich erhalten. Dieser soll letztendlich dadurch erfolgen, dass Sozialleistungsträger die Zusatzbeiträge an die gesetzliche Krankenversicherung überweisen. Der Sozialausgleich soll jedoch auf einen jährlich vorab bestimmten durchschnittlichen Zusatzbeitrag beschränkt sein.

Tatsache ist, dass sehr viele Menschen mit Behinderung auf Transferleistungen wie die Eingliederungshilfe oder ALG II angewiesen sind. Für diese Menschen wären die nun vorgesehenen Regelungen nicht nur diskriminierend, sondern hätten auch unzumutbare Konsequenzen hinsichtlich ihrer Versorgung. Da die Beitragszahlung auf den durchschnittlichen Zusatzbeitrag beschränkt wäre, hätten diese Menschen aufgrund ihrer Behinderung keinen Zugang mehr zu allen gesetzlichen Krankenkassen. Zudem ändert sich das Niveau der Zusatzbeiträge ständig. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit Behinderungen unter Umständen jährlich die Krankenkasse wechseln müssen, was gerade bei komplexen Krankheitsbildern zu gravierenden Nachteilen und zu einem unzumutbaren Papierkrieg führen würde.

Weiter wäre Menschen mit Behinderung der Zugang zu kassenspezifischen Angeboten aus Rabattverträgen, kassenindividuellen Hilfsmittelverträgen, Verträgen der integrierten Versorgung, bestimmten Reha-Einrichtungen und zu Satzungsleistungen bestimmter Kassen verschlossen. Dies ist insbesondere deshalb unangemessen, weil gerade solche Krankenkassen behinderungsadäquate Leistungen anbieten werden, die im Kassenwettbewerb auf Versorgungsqualität und nicht auf einen Billigbeitrag setzen.

Schließlich ist zu befürchten, dass die Kostenträger, insbesondere die Kommunen, diejenigen Beträge nicht mehr für die Versorgung und Förderung von Menschen mit Behinderungen ausgeben werden, die sie für die Bereitstellung der Beiträge für die GKV aufwenden müssen. Auch unter diesem Gesichtspunkt droht eine erhebliche Verschlechterung der Versorgungssituation von Menschen mit Behinderungen.

Aus den vorstehenden Gründen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bislang die entsprechenden Passagen des GKV-Finanzierungsgesetzes für die anstehenden Kabinettsberatungen nicht mitgetragen. Der Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE bat Hubert Hüppe in dem Schreiben vom 14. September dringend, sich in seiner Position als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Menschen mit Behinderungen von der Entrichtung von Zusatzbeiträgen ausgenommen werden oder dass zumindest die Kostenträger verpflichtet werden, nicht nur den durchschnittlichen Zusatzbeitrag, sondern den kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu entrichten. Die Kommunen müssten jedoch dann entsprechende Kompensationsleistungen erhalten, erklärte Dr. Martin Danner.

(Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe)

17. Legislaturperiode – wer ist wer in der Gesundheitspolitik? (akt.3)

Am 27. Oktober 2009 fand die konstituierende Sitzung des 17. Deutschen Bundestags statt, am 28.10. wurde das Kabinett vereidigt.  Am 9. November beginnt die erste Sitzungswoche des Bundestags in der 17. Legislaturperiode.

Wer ist wer in der Gesundheitspolitik der 17. Legislatur-Periode?
(Aufstellung wird  fortlaufend aktualisiert)

Deutscher Bundestag

Ausschuss für Gesundheit
Vorsitzende: Dr. Carola Reimann,SPD (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)
Mitglieder:
Jens Ackermann, FDP
Christine Aschenberg-Dugnus, FDP
Bärbel Bas, SPD
Birgitt Bender, Bündnis90/Die Grünen
Dr. Martina Bunge, Die Linke
Ulrike Flach, FDP
Dr. Edgar Franke, SPD
Peter Friedrich, SPD
Rudolf Henke, CDU/CSU
Michael Hennrich, CDU/CSU
Maria Klein-Schmeink, Bündnis90/Die Grünen
Dr. Rolf Koschorrek, CDU/CSU
Heinz Lanfermann, FDP
Dr. Karl Lauterbach, SPD
Steffen-Claudio Lemme, SPD
Lars Lindemann, FDP
Dr. Erwin Lotter, FDP
Karin Maag, CDU/CSU
Hilde Mattheis, SPD
Maria Michalk, CDU/CSU
Dietrich Monstadt, CDU/CSU
Mechthild Rawert, SPD
Dr. Carola Reimann, SPD
Lothar Riebsamen, CDU/CSU
Erwin Josef Rüddel, CDU/CSU
Elisabeth Scharfenberg, Bündnis90/Die Grünen
Kathrin Sänger-Schäfer, Die Linke
Jens Spahn, CDU/CSU
Stephan Stracke, CDU/CSU
Max Streibinger, CDU/CSU
Dr. Harald Terpe, Bündnis90/Die Grünen
Stefanie Vogelsang,CDU/CSU
Kathrin Vogler, Die Linke
Dr. Marlies Volkmer, SPD
Harald Weinberg, Die Linke
Wolfgang Zöller, CDU/CSU
Willi Zylajew, CDU/CSU

Bundesregierung

Drogenbeauftragte: Mechthild Dyckmans (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)
Patientenbeauftragter der Bundesregierung: Wolfgang Zöller (Biografie BMG)
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Leiterin Christine Lüders (Internetseite Antidiskriminierungsstelle)

Bundesminister für Gesundheit

Dr. Philip Rösler, FDP (Biografie BMG, persönliche Internetseite)
parlamentarische Staatssekretärin: Annette Widmann-Mautz, CDU (Biografie BMG, Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)
parlamentarischer Staatssekretär: Daniel Bahr, FDP (Biografie BMG, Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)
beamteter Staatssekretär: Stefan Kapferer, FDP (Biografie Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Biografie BMG, persönliche Internetseite)

Bundestags-Fraktionen

CDU/CSU-Fraktion
Arbeitsgruppe Gesundheit
Vorsitzender: Jens Spahn (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)

SPD-Fraktion
Arbeitsgruppe Gesundheit
Sprecher: Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)

FDP-Fraktion
Arbeitskreis III (Politikfelder: Arbeit und Soziales, Gesundheit)
Vorsitzender: Heinz Lanfermann (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)

Fraktion Die Linke
Arbeitskreis V Gesundheit, Pflege, Behindertenpolitik
Vorsitzende Dr. Martina Bunge (Biografie Bundestag, persönliche Internetseite)

Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen
Arbeitskreis 1 Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Finanzen, Haushalt
fachpolitische Sprecherin Gesundheit: Birgitt Bender (Biografie Bundestag), persönliche Internetseite)

Koalitionsvertrag zum Thema Gesundheit unausgegoren

Die Eckpunkte des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und FDP zur künftigen Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung sind aus Sicht der BAG SELBSTHILFE unausgegoren und in sich widersprüchlich.

„Die ins Auge gefasste Regierungskommission sollte in erster Linie dazu genutzt werden, sich das Prinzip der solidarischen Krankenversicherung noch einmal vor Augen zu führen“, so Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE. Die bisherigen Überlegungen der Koalition sind jedenfalls aus Sicht der BAG SELBSTHILFE in keiner Weise akzeptabel.

„Auf der einen Seite würden chronisch kranke und behinderte Menschen über Zuzahlungen, Eigenanteile, Praxisgebühren, Aufzahlungen und nun auch Zusatzbeiträge unzumutbar belastet. Auf der anderen Seite sollen diese Menschen über ein Zurückfahren des Morbi-RSA dann auch noch zu Opfern des Gesundheitsfonds werden – das wäre im höchsten Maße ungerecht“, so Dr. Danner weiter. Derartige Pläne hätten zur Folge, dass chronisch kranke und behinderte Menschen zu Patienten zweiter Klasse würden. Kernbestandteil des „Zusammenhalts“ in der Gesellschaft muss aber die solidarische Krankenversicherung bleiben.

(Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe)

Was kostet Gesundheit?

Was kostet Gesundheit? Wofür werden all die Milliarden verwendet? Und wer zahlt was? Eine neue Publikation informiert im Detail.

Gesundheit ist ein hohes Gut – und ein teures. 245 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland für Gesundheitsleistungen von Prävention bis Pflege, von Arzt bis Krankenhaus ausgegeben. Aber wieviel wofür? Und wer finanziert was?

„Wie viel wird in Deutschland für Gesundheit ausgegeben? Wer trägt die Ausgaben? Für welche Leistungen wird wie viel gezahlt? Von welchen Einrichtungen werden die Leistungen erbracht? Wie viel wenden die privaten Haushalte für die Gesundheit auf?“ (RKI-PM)

Das am 2. Juni 2009 neu erschienene Heft 45 der Gesundheits-Berichterstattung des Bundes widmet sich ausgiebig dem Thema „Ausgaben und Finanzierung des Gesundheitswesens

„Nach einem Einführungskapitel zu Rahmenbedingungen, zum Beispiel zu den Gesundheits- und Strukturreformen der vergangenen Jahre, folgen Abschnitte zu Gesundheitsausgaben (aufgeschlüsselt nach Ausgabenträgern, Leistungsarten und Einrichtungen), zu Finanzierungsströmen, zu Beitragsentwicklungen und zur Beteiligung der privaten Haushalte.“

Robert-Koch-Institut (Hrsg.):
Ausgaben und Finanzierung des Gesundheitswesens
Heft 45 der Reihe Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE)
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Schuld und Vertrauen

Mit der Verabschiedung des Pflegegesetzes durch das Bundeskabinett ist auch die Einführung des Schuldprinzips in der Krankenversicherung weiter voran geschritten.

Der Bundestag hat am 14. März 2008 nach zweistündiger Debatte das Pflegegesetz (genauer: ‚Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung‘) verabschiedet. Von vielen unbemerkt, ist dabei auch ein Passus mit umgesetzt worden, der zukünftig weitreichende Änderungen in der Krankenversicherung nach sich ziehen könnte: das Schuldprinzip ist eingeführt worden.

Zukünftig sollen Ärzte den Krankenkassen melden, wenn ein Patient eine Erkrankung hat, die eine Folge einer Schönheitsoperation, einer Tätowierung oder eines Piercings ist. In diesen Fällen soll der Patient dann an den Kosten beteiligt werden; die für die Kostenbeteiligung erforderliche gesetzliche Regelung ist bereits seit April vergangenen Jahres in Kraft. Die neuen Auskunftspflicht soll sogar gelten, wenn sich der Patient den gesundheitlichen Schaden selbst zugefügt hat.

Bisher gilt zwischen Arzt und Patient ein sehr weit reichendes Vertrauensverhältnis. Ärzte dürfen Informationen, die ihnen ein Patient anvertraut, nur in absoluten Ausnahmefällen an Dritte weitergeben – nämlich, wenn dies zum Schutz eines „höherwertigen Rechtsgutes“ notwendig ist, wie die Berufsordnung der Ärzte es (in §9(2)) definiert.

Alle drei Oppositionsfraktionen hatten Änderungsanträge (auch zur Frage der Schweigepflicht) eingebracht. Die jetzige Änderung wird das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten nachhaltig negativ verändern, befürchten Kritiker. Der Arzt werde zum Handlanger der Krankenkassen, die ärztliche Schweigepflicht werde torpediert.

Die Änderung zeigt, dass die derzeitige Gesundheitspolitik zunehmend das Ziel einer Solidargemeinschaft verlässt. Risiken werden von der Gemeinschaft auf den einzelnen verlagert. ‚Mehr Verantwortung übernehmen‘ lautet die euphemistische Bezeichnung für diesen Sozialabbau.
Der Gedanke, jeder habe für selbst verschuldete gesundheitliche Probleme selbst aufzukommen, mag zunächst verlockend erscheinen. Doch wie lange wird dieses „Schuldprinzip“ nur auf Schönheitsoperationen, Piercings und Tätowierungen beschränkt bleiben? Wann folgen Sportverletzungen, und warum ist eigentlich nicht jemand auch ’selbst Schuld‘ an einer sexuell erworbenen Infektion? Oder die Hepatitis- oder HIV-Infektion? Der ‚Fall Barmer‚ zeigt, dass diese Gedanken, so absurd sie heute erscheinen mögen, nicht sehr weit hergeholt sind.

Das Tor für weitere Änderungen ist breit geöffnet … und die nächste Gesundheitsreform kommt bestimmt …

die Kosten von HIV – alles eine Frage des Geldes?

In einer bereits seit längerer Zeit laufenden Studie wird in Deutschland untersucht, welche Krankheitskosten HIV-Positive verursachen. Brisantes Material für gesundheitspolitische Diskussionen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie … ja wen?

„Krankheitskosten- Kohortenanalyse (K3A)“ – so nennt sich kurz und knapp eine Studie, die die DAGNÄ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) zusammen mit dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen derzeit durchführt.

Ziel der Untersuchung, so die Autoren, sei es, „die Krankheitskosten der HIV-Infektion in Deutschland anhand eines in HIV-Schwerpunktpraxen behandelten Patientenkollektivs zu erheben“. Die Kosten sollen dabei sowohl „aus Sicht der Gesellschaft“ als auch „aus der Perspektive der Krankenkassen“ dargestellt werden.
Die Studie läuft bereits seit 1. Januar 2006 (erste Einschleusung von Patienten). Die Rekrutierung der insgesamt 630 Patienten an 34 teilnehmenden Zentren ist inzwischen abgeschlossen. Für jeden Patienten sollen 18 Monate lang Daten gesammelt werden; die Datenerhebung soll Mitte 2009 abgeschlossen sein. Mit ersten Ergebnissen wird für Ende 2009 gerechnet.

Welche Art Ergebnisse?
Die Autoren dazu: Die Ergebnisse werden „erstmalig eine Abschätzung der finanziellen Belastung für die Gesellschaft durch die HIV-Erkrankung ermöglichen“. Zudem sollen sie „eine Aussage darüber zulassen, welche finanziellen Ressourcen die GKV [Gesetzliche Krankenversicherung, d.Verf.] für diese Erkrankung aufbringen muss“. Die Studie soll „Informationen für die gesundheitspolitische Diskussion zur Allokation [Zuteilung, Bereitstellung, d.Verf.] von Ressourcen erbringen“.

Welche Art Ergebnisse zu welchen Fragen mit den Daten der Studie möglich werden, lässt sich u.a. aus dem Aufbau der Studie und Daten erahnen.

So sollen im Rahmen der Studie verschiedene Sub-Gruppen untersucht werden, Therapie-naive Positive (ohne ART) genauso wie Positive unter ihrer ersten, zweiten oder dritten ART oder unter vierter und weiterer ART.
Analysiert werden soll in der Studie „ggf.“ auch auf andere Sub-Gruppen, nämlich die ‚HIV-Transmissions-Risiko-Gruppen‘ (sprich: Männer die Sex mit Männern haben (MSM), iv-DrogengebraucherInnen, über heterosexuelle Kontakte Infizierte, ‚Personen aus Endemiegebieten‘).

Zudem sollen bei den Daten zu den einzelnen Patienten „Umstellungs- und Abbruchgründe dokumentiert“ werden – wiederum, um „Subgruppen bilden zu können“.
Abgefragt (und vermutlich ausgewertet?) wird u.a. weiterhin auch die „psychosoziale Situation des Patienten“ (siehe „Arztcheckliste“, hier als pdf), sowie ob der Patient die Pillen regelmäßig, termintreu und zeitgerecht nimmt (mit mindestens sieben detaillierten Fragen, siehe pdf hier, Seite unten links vergrößern, oder der gesamte ‚Patienten-Reminder‘ als pdf hier).

Über eine etwaige Beteiligung von HIV-Positiven oder der Deutschen Aids-Hilfe bei der Studien-Gestaltung oder -Auswertung ist nichts bekannt.

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Die HIV-Infektion ist eine kostenintensive Erkrankung, sowohl in ihrer medikamentösen Therapie (Kosten der Aids-Medikamente) als auch der Betreuung und Behandlung der Patienten, keine Frage. Und ‚Wirtschaftlichkeit‚ ist längst eines der Entscheidungskriterien auch im deutschen Gesundheitswesen.
Aber – ist diese Studie erforderlich, sinnvoll? Für wen?

Worum geht es den Initiatoren? Wirklich um „gesundheitspolitische Diskussion“? Man könnte -wenn man sich den Begriff der ‚Ressourcen-Allokation einmal auf der Zunge zergehen lässt- beinahe den Eindruck gewinnen, dass Ärzte mehr Geld erhalten wollen und dafür Argumente suchen? Ein Artikel aus 2006 (pdf hier), der bezeichnenderweise die Studie u.a. in den Zusammenhang des ‚Bundesmantelvertrags HIV‚ (Schlagzeile ‚das liebe Geld‘) stellt, weist vielleicht den Weg …

Die Daten und Ergebnisse dieser Studie, wenn sie erst einmal in der Welt sind, dienen aber sicherlich nicht nur ärtzlichen Entlohnungs-Debatten.
Was sich zunächst harmlos anhört, könnte gewaltige Sprengkraft entwickeln. Die Daten, die zunächst ‚unschuldig‘ wirken, könnten brisante Ergebnisse bringen – und noch brisantere Folge-Diskussionen.

Nur einige erste Beispiel: angenommen z.B. die Daten zeigen, dass DrogengebraucherInnen im Vergleich zu Schwulen ‚teurere‘ Patienten sind. Oder Migranten, oder Asylbewerber. Oder dass Therapie-Abbrecher oder Menschen mit Problemen bei der ‚Therapietreue‘ weit höhere Gesamtkosten verursachen.
Was geschieht dann mit diesen Daten, wenn sie erst einmal in der Welt sind? Wer ‚wertet‘ sie aus? Wer zieht aus ihnen politische Konsequenzen?

Ob an der Studie beteiligten Positiven bewusst ist, welche Aussagen mit ihren Daten möglich werden könnten? Oder dass sie, falls sie ihre Kombi in nennenswertem Umfang nicht vollkommen korrekt einnehmen, ihre Chroniker-Regelung (Chronikerregelung: 1% Zuzahlung statt 2%) gefährden könnten (genau wegen fehlender Therapietreue)? Und dass für Politiker, die genau diese Leistungseinschränkungen durchsetzen wollen, Studien wie diese auch noch die erforderlichen Daten und Argumente liefern könnte?

Oder die bewusste Wahl auch der Perspektive der Krankenkassen für die Datenauswertung. Wenn Kassen jetzt schon versuchen, nach dem Sex-Partner zu fragen, durch den eventuell eine Infektion stattgefunden haben könnte (wegen möglicher Kosten-Regressforderungen, siehe ‚Fall Barmer‚), was wird dann erst mit Daten zur Ökonomie von Therapie, Therapietreue und Therapieabbruch angestellt? Wo „Therapietreue“ eh gerade als Kriterium der GKV eingeführt werden soll?

Ob den Autoren der Studie bewusst ist, welche Büchse der Pandora sie möglicherweise aufmachen?
Bedenken mögen zunächst unbegründet oder ‚ängstlich‘ erscheinen. Wenn ich jedoch allein einmal daran denke, dass Begriffe wie Verantwortung, Eigenverantwortung, Schuld zunehmend Einzug in den gesundheitspolitischen Diskurs halten, sich selbst in Gesetzesentwürfen und -texten wiederfinden …

Die aktuelle Ausgabe des ‚Retrovirus Bulletin‘ mit dem Artikel „HIV-Behandlung – die gesundheitsökonomische Perspektive“ (S.1-3) steht hier als pdf online.
Die Studie wird auch im Rahmen der (in Berlin stattfindenden) Münchner Aids-Tage präsentiert – am 15. März 2008, Workshop B27

G8 legen Gesundheitsbericht vor

Erstmals legen die G8-Staaten einen „Gesundheitsbericht zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria“ vor.

Der umstrittene G8-Gipfel in Heiligendamm hatte u.a. auch das Thema Gesundheit.
„Gesundheit ist der Grundstein für Wohlstand“, lautete 2000 in Okinawa der ökonomisierende Titel zum Thema Gesundheit. Seitdem befassten sich G8-Treffen immer wieder auch mit Gesundheit im Allgemeinen und HIV/Aids im Speziellen.

So wurde 2005 der Beschluss gefasst, bis zum Jahr 2010 solle universell möglichst jedermann/frau, der/die Zugang zu antiretroviralen Medikamenten benötige diesen auch bekommen. Entscheidende Schritte auf dieses Ziel hin vermissen Aids-Aktivisten leider bis heute.

Auch auf dem St-Petersburger G8-Treffen 2006 stand das Thema HIV/Aids auf der Tagesordnung. Hier wurde verabredet, zukünftig regelmäßig einen Bericht über den Stand der Maßnahmen zu verfassen, die die G8-Staaten zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria treffen.

Erstmals wurde nun solch ein Bericht vorgestellt. Der“Erste Gesundheitsbericht zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria“ will die eingegangenen Verpflichtungen der G8-Staaten vorstellen und im zweiten Teil einen Überblick über relevante Beiträge der G8 liefern.

Bei allem Selbstlob enthält der Bericht auch lesenswerte Detail. So erfährt der interessierte Leser z.B., dass Frankreich dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria 978 Mio. US-$ zur Verfügung gestellt hat. Zudem habe sich das Land verpflichtet, jährlich eine Milliarde US-$ in Gesundheitsmaßnahmen in Afrika zu investieren.

Diese Zahlen bestätigt in etwa auch der Globale Fonds selbst. Einer aktuellen Aufstellung zufolge (als Excel-Datei hier) hat Frankreich für den Zeitraum 2002 bis 2010 2.494 Mio. US-$ zugesagt und davon bisher 980 Mio. $ (39%) eingezahlt.
Deutschland, so der Fonds, habe für den gleichen Zeitraum 1.274 Mio. US-$ zugesagt, und davon bisher 403 Mio.$ (31%) eingezahlt.

Staaten wie Italien (Zusage 1.368 Mio.$, gezahlt bisher 821 Mio.$ =60%) oder Japan (Zusage 846 Mio.$, gezahlt bisher 663 Mio.$ =78%) zählen zu den bedeutenden Finanziers des Fonds, sowohl was die Zahlungstreue als auch das Engagement gemessen an der Bevölkerungszahl oder Wirtschaftskraft des Landes angeht.

Die Zahlen sprechen für sich … und relativieren so manch freudiges Eigenlob.

Der Bericht steht hier als pdf zum Download zur Verfügung.

Privatisierung der Arzneimittel-Zulassung vorerst gescheitert

Nach Plänen der Bundesregierung müsste sich längst die Medikamentenzulassung in Privatisierung befinden. Doch die Pläne sind gescheitert – vorerst.

Für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland sowie deren Nutzen- und Risiken-Bewertung ist bisher ein Bundesinstitut zuständig, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte). Bei zentralisierten europäischen Zulassungsverfahren, die über die europäische Arzneimittelagentur EMA abgewickelt werden, vertritt das BfArM dort die Interessen der Bundesrepublik.

Doch die Bundesregierung plante auf Vorschlag von Bundesgesundheitsminsterin Schmidt (SPD), das BfArM zu privatisieren. Aus dem BfArM sollte die DAMA werden – die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur. Diese Privatisierung sollte vor allem auch aus finanziellen Gründen erfolgen. Die DAMA sollte sich überwiegend aus Gebühren finanzieren – Gebühren für die Zulassung von Medikamenten und Medizinprodukten. Gebühren, die die Hersteller der Arzneimittel und Medizinprodukte entrichten sollten. Damit wäre die Agentur genau von denjenigen finanziert worden, deren Produkte sie kontrollieren und überwachen soll.

Diese Pläne stießen schon bald auf massive Proteste.

Nun hat die Bundesregierung beschlossen, die Pläne nicht weiter zu verfolgen. Die Politiker der Koalitions-Fraktionen konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Weg verständigen.
Zulassung und Überwachung von Arzneimittel sollen damit in Deutschland derzeit unverändert bleiben.

Infos:
Pressemitteilung ‚BAG Selbsthilfe fürchtet um Sicherheit der Patienten‘

Krankheit und das Schuldprinzip

Ich bin schuld … dass ich krank bin…“, unter diesem leider langsam wahr werdenden Titel weist Kalle auf eine geplante Reform des Sozialgesetzbuchs hin.

Sozial-was???

In den Sozialgesetzbüchern ist das gesamte Sozialsystem der Bundesrepublik rechtlich geregelt, und das genannte Sozialgesetzbuch 5 (SGB V) regelt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Und mit einer klitzekleinen Änderung führt der Gesetzgeber wieder ein Stückchen Schuldprinzip in die GKV ein. Und durchlöchert nebenbei die ärztliche Schweigepflicht.
Was mit Tätowierungen anfängt, muss bei HIV noch lange nicht aufhören …

Überrascht?

Bei Kalle gibt’s mehr dazu zu lesen …

Nachtrag 17.10.: guter Artikel der ‚Zeit‘ dazu: Vom Sozialstaat zum Kontrollsystem (und danke Blogoff für den Hinweis)
Nachtrag 29.10.07: Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe „Ärztliche Meldepflicht bei ’selbstverschuldeten Krankheiten‘ verstößt gegen Datenschutz“

Gute Therapie – auch eine Frage der Kosten?

Auch in das deutscher Gesundheitswesen zieht mehr und mehr der Gedanke der Wirtschaftlichkeit ein. Mag auch die Mehrzahl der Patienten noch denken, sie bekäme das an Therapien und Medikamenten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist – die Kosten der Maßnahmen spielen längst eine bedeutende Rolle.

Am leichtesten wird dies für jeden Patienten sichtbar in der Apotheke. Sofern mehrerer Hersteller ein Präparat anbieten, sind Arzt und Apotheker gehalten, eine kostengünstige Version zu verordnen bzw. abzugeben. Meist geht es hier jedoch um kleinere Beträge – die Kosten der Medikamente, die bereits als Generika vorliegen, sind oftmals wesentlich niedriger als die neuer Präparate.

Neue Medikamenten, die noch dem Patentschutz unterliegen, haben oftmals einen deutlich höheren Preis. Und verursachen damit Kosten, die die Budgets der Krankenversicherungen erheblich belasten.>

In der Folge zieht auch hier immer mehr der Gedanke an die Kosten ein: in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht ein Wirtschaftlichkeits-Gebot. Ein wesentlicher Hebel, dieses Gebot umzusetzen, wird zukünftig das IQWiG sein.
Dieses Institut soll medizinische Behandlungen und Arzneimittel auf ihre Nutzen beurteilen. Seit Kurzem ist es auch Aufgabe des IQWiG zu prüfen, ob die Preise für ein Arzneimittel in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

In der Praxis könnte dies zukünftig dazu führen, dass Patienten (zumindest zu Lasten ihrer Krankenkasse) manche Medikamente nicht mehr verschrieben bekommen können, da deren Preis als unangemessen im Verhältnis zum Nutzen betrachtet wird.

Wohin diese Entwicklungen führen können, zeigt Großbritannien. Dort spielen die Behandlungskosten schon heute eine größere Rolle auch in konkreten Therapie-Entscheidungen.
Bereits 2005 erwähnten die HIV-Behandlungs-Richtlinien der britischen BHIVA die Medikamenten-Kosten als einen Entscheidungsfaktor, den der Arzt zu berücksichtigen habe. Als Entscheidungshilfe enthielt die 2005-Richtlinie zudem erstmals eine Tabelle mit den Kosten der einzelnen Aids-Medikamente. Die 2006er Richtlinie setzt diese Tendenz fort, dort heißt es eindeutig „die Kosten der Therapie sollten [neben Wirksamkeit, Compliance und Verträglichkeit, d.Verf.] ebenfalls berücksichtigt werden“.

In der Realität führt dies, so vermutet aids treatment update 1), dazu, dass manche Präparate HIV-Patienten häufig verordnet werden, obwohl sie höhere oder gravierendere Nebenwirkungen, teils auch limitierte Wirksamkeit haben – weil sie kostengünstiger als Alternativ-Präparate sind.

Wie gesagt, noch ist dies Realität in Großbritannien, nicht in Deutschland. Aber das Beispiel zeigt, wohin der Zug fährt, und welche Entwicklungen auch uns bevor stehen könnten …

1) vgl. „cost matters“ im Artikel „an uncertain future“, als pdf hier

PS: ‚uncertain future‘ – die Gesundheitsreform hat für die Zukunft noch weitere Überraschungen bereit – eines der Stichworte heisst „Therapietreue“ – doch dazu später mehr …

Das Schuldprinzip in der Krankenversicherung

Am 1. April ist die lange diskutierte Gesundheits-Reform in Kraft getreten. Angesichts all der Berichte über Wahl-Tarife und Beitrags-Rückerstattungen ist ein kleines Detail kaum berichtet worden. Das Schuldprinzip ist in die Krankenversicherung eingeführt worden.

Ab dem 1. April dürfen wir uns nicht nur für Wahltarife entscheiden, mit verschiedenen Prämien, Selbstbehalten, Rückerstatttungen. Sondern die Kassen müssen auch nicht mehr aufkommen für Kosten in Folge von Piercings sowie Kosten nach unnötigen Schönheits- Operationen (das Gesundheitsministerium nennt das „Behandlung von Folgeerkrankungen aufgrund nicht notwendiger medizinischer Eingriffe“).

Wieder einmal ist das Tor weiter aufgemacht worden. Ein Tor, über dem als Überschrift stehen könnte „Das Schuldprinzip“.

Früher einmal war die Krankenversicherung nach dem Solidarprinzip gestaltet, wie beinahe die gesamte Sozialversicherung. Doch inzwischen greift zunehmend die Schuldfrage um sich – „ist der/die doch selbst schuld dran, was soll die Versicherten-Gemeinschaft dafür zahlen?“

Nun mag man/frau ja denken, „stimmt ja auch, was soll’s, hat ja selbst schuld., wer sich ein Piercing machen lässt (oder eine Schönheits-OP), und dann hinterher Probleme auftreten. Was soll ich mit meinen Krankenversicherungs- Beiträge dafür zahlen.“
Und schon ist man/frau in die populistische Falle der Entsolidarisierungs- Politik getappt.

Denn das könnte allerdings etwas kurz gedacht sein.
Vielleicht ist dann der nächste Ski-Unfall, der Sturz mit dem Motorrad demnächst auch nicht mehr versichert? Oder der die kleinen Problemchen, letztens, hingefallen als Sie so ein klein wenig beschwipst waren?
Und irgendwann dann auch die Behandlung der Raucher-Lunge, oder der HIV-Infektion? (schließlich, sie mussten ja nicht rauchen, und das mit dem Virus, das wussten sie doch vorher, dass das riskant ist…)

Das mag absurd erscheinen, nicht vorstellbar sein. Aber – mit Piercings und Schönheits-OPs ist ein Anfang (der ‚Selbst-Haftung‘) gemacht. Und das ‚Schuld-Prinzip‘ wird weiter ausgeweitet werden. Die so genannten ‚Risiko-Sportarten‘ sind bereits (nicht nur bei CDU-Politikern) in der Diskussion, könnten als nächste aus dem Versicherungsschutz der Krankenversicherungen ausgeschlossen werden.

Wollen wir das wirklich? Wollen wir ein derart immer mehr ent-solidarisiertes System?
Ein System, das Risiken wieder privatisiert? Für jeden und alles private Vorsorge-Versicherungen verlangt?
Oder nicht doch eine solidarische Krankenversicherung, die für alle Risiken der Gesundheit einsteht, und von allen für alle getragen wird?

Medikamenten- Zulassung in Privatisierung

Die Privatisierung schreitet munter voran, auch in Deutschland. Nun hat es die Arzneimittel-Sicherheit erwischt – sie soll privat organisiert werden, unter (Mit-)Aufsicht und Finanzierung der Pharmaindustrie.

Für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland sowie deren Nutzen- und Risiken-Bewertung war bisher ein Bundesinstitut zuständig, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte). Bei zentralisierten Zulassungsverfahren über die europäische Arzneimittelagentur EMA vertritt das BfArM die Interessen der Bundesrepublik.
Mit einem neuen Gesetz soll jetzt das BfArM in die DAMA (Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur) umgewandelt werden. Die Umstellung begründet das Gesundheitsministerium in seiner Pressemitteilung u.a. damit, das ein „effektives … Zulassungsmanagement geschaffen werden“ solle.

Das BfArM wie auch die neue DAMA sind zuständig für die Arzneimittelsicherheit in Deutschland. Wem wird dieses „effektive Zulassungsmanagement“ zugute kommen? Kritiker befürchten, der Pharmaindustrie, die nun auf schnellere Bearbeitung ihrer Zulassungsanträge hoffen kann. Eine gründliche Prüfung von Arzneimitteln vor deren Zulassung hat ihre guten Gründe – besonders seit dem Contergan-Skandal in den 1960er Jahren. Wird hier Gründlichkeit einer unter wirtschaftlichen Aspekten definierten „Effizienz“ geopfert? Einer Effizienz, deren Risiken dann der Patient trägt (der nicht ausreichend getestete, analysierte und kontrollierte Medikamente bekommen könnte)?

Doch es kommt noch dicker:
Der HIV-Report weist in seiner jüngsten Ausgabe auf weitere erstaunliche Punkte des Gesetzentwurfs hin. So soll zukünftig die DAMA weitestgehend selbständig agieren, das Gesundheitsministerium ist außer in akuten Notlagen nicht mehr weisungsbefugt und hat auch keine Fachaufsicht mehr. Der Verwaltungsrat der DAMA wird besetzt – unter anderem mit Vertretern der Pharmaindustrie, die vom Wirtschaftsminister berufen werden sollen.

Das heißt: für die Arzneimittel-Sicherheit in Deutschland ist zukünftig eine Agentur zuständig, auf die das fachlich verantwortliche Ministerium fast keinen Zugriff mehr hat – wohl aber die Industrie, deren Produkte genau diese Agentur überwachen soll.

Das beste aber: die DAM soll sich zukünftig ausschließlich selbst finanzieren, über Gebühren, die sie erhebt – eben u.a. für die Bearbeitung der Arzneimittel-Zulassung. Das bedeutet, die Agentur, die Arzneimittel zulässt, wird gesteuert und finanziert genau von denen, deren Produkte sie eigentlich überwachen soll.

Irgendwie fühle ich mich auffällig an das Bild von dem Bock und dem Gärtner erinnert …
Wieder ein Parade-Beispiel, wie der Staat hoheitliche Aufgaben (hier die Arzneimittel-Sicherheit) privatisiert.

Der bisher hohe Stand der Arzneimittel-Sicherheit in Deutschland (seit Contergan gab es keinen von Zulassungsbehörden zu verantwortenden Arzneimittel-Skandal mehr) wird hier potenziell unnötig gefährdet. Die Risiken, die hier eingegangen werden, tragen Patienten, die Effizienzgewinne hingegen die Pharmaindustrie.

Bisher ist das Vorhaben der Umwandlung des BfArM in die DAMA nur ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Zustimmung im Bundestag gilt jedoch als sicher – so dass letztlich nur hilft, den öffentlichen Druck gegen dieses Gesetz zu erhöhen, und zu hoffen, dass der Bundespräsident (wieder einmal) wegen verfassungsrechtlicher Bedenken die Gesetzesausfertigung nicht unterzeichnet.

Nachtrag 06.03.2007: der Gesetzentwurf zur Errichtung der DAMA findet sich hier

Bald Hartz 4 für Apotheker?

Ein bekannter Internet – Medikamenten-Versandhandel eröffnet – mit tatkräftiger Unterstützung des CDU-Landesgesundheitsministers – in Saarbrücken eine Apotheke. Na und, möchte man denken. Doch eine ganze Branche schreit auf, dazu Politiker und Lobbyisten fast aller Couleur.

Worum geht es? In Deutschland dürfen bisher nur natürliche Personen Apotheken eröffnen (Ausnahme: Krankenhäuser), und ein Apotheker darf maximal vier Filialen haben (Fremdbesitz- und Mehrbesitz-Verbote). So solle eine unabhängige, qualifizierte und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sichergestellt werden, so die Befürworter der geltenden Regelung.
DocMorris -um diese Internetapotheke geht es im Saarbrücker Fall- ist jedoch eine Kapitalgesellschaft. Und DocMorris verkauft wie auch andere Internet-Apotheken rezeptfreie Medikamente, aber auch einige verschreibungspflichtige Pillen (wie Viagra & Co) z.T. bedeutend preisgünstiger als in der Apotheke um die Ecke üblich. Für die Kunden eigentlich eine gute Sache – und für die Apotheker eine Gefahr, sehen sie doch ihre bisher so sicheren Gewinne schwinden.

Trotz Sparbekundungen und Gesundheitsreform, die deutschen Apotheker erzielten 2005 einen Rekordgewinn (Erlös-Zuwachs 7,7% im Vergleich zu 2004). Der durchschnittliche Gewinn einer Apotheke belief sich auf 85.000 Euro. Auch vom gern beklagten Apotheken-Sterben ist keine Spur: 2005 wurden 242 Apotheken geschlossen, aber 326 neu eröffnet. In Deutschland versorgt eine Apotheke durchschnittlich 3.875 Einwohner, damit ist die Apotheken-Dichte in Deutschland deutlich höher als in den meisten EU-Ländern. Ein Markt mit Rekordgewinnen, nahezu ohne Wettbewerb, ohne Konkurrenz, abgeschottet und geschützt.

Es geht also, entgegen allen altruistischen Begründungen von Apothekern und Funktionären, primär vermutlich um individuelle Profite und Privilegien.
Die Saarbrücker Entwicklung könnte eine Öffnung des Medikamentenhandels für Kapitalgesellschaften auch in Deutschland bedeuten, eine Zukunft mit niedrigeren Medikamentenpreisen, mit großen, profitorientierten Apotheken-Ketten.

Doch dies muss nicht die einzige Möglichkeit sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten preisgünstig zu gestalten: in Schweden darf bereits seit 1971 nur der Staat Medikamente verkaufen, er betreibt alle 950 (!) Apotheken des Landes. Ein Monopol, das dem Gedanken der staatlichen Daseins-Fürsorge entsprang, noch heute von der Bevölkerung geschätzt wird, und das für kostengünstige Medikamente sorgt, zu überall gleichen Preisen.

Medikamentenhandel ist auch ohne Gewinnorientierung möglich … Aber dann müssten sich ja einige Apotheker einschränken …