Vom vergesslichen Aids

Aids scheint ein vergessliches Ding zu sein.
Kaum jemand mag sich an die Zeiten erinnern, damals, als Positive ihre Katze halb liebevoll, halb angstvoll ‚Toxe‘ nannten und einen weiten Bogen um Mett-Brötchen machten. An Zeiten, als die Haupt-Gesprächsthemen um Stutenmilch und Esberitox kreisten. An Zeiten, als der Weg zum Arzt kaum lohnte, gab es doch eh nur sinkende Helferzell-Zahlen und andere schlechte Nachrichten, aber nichts was half.

Aids scheint ein vergessliches Ding zu sein.
Noch vergessener (wenn Vergessen denn steigerbar ist) die Zeiten, in denen einige ungläubig vor Artikeln aus den USA saßen. Eher befürchteten, es gehe um eine besonders perverse Art, Schwule erneut zu unterdrücken, kriminalisieren. Zeiten, in denen Aids noch offiziell ‚Schwulen-assoziierte Immunschwäche‘ (GRID) genannt wurde. Zeiten, in denen einige sich sicher wähnten, das Ganze sei eine besonders perfide ‚Erfindung‘ der CIA, Verschwörungstheorien vor welchem Hintergrund auch immer.

Aids scheint ein vergessliches Ding zu sein.
Genauso vergessen die Zeiten, als Schwulengruppen, vor allem Lederclubs, zur Selbsthilfe schritten, ‚Sozialwerke‘ und Ähnliches gründeten – weil sonst niemand half. Die Zeiten, in denen man oft sorgenvoll zum Briefkasten ging, ‚hoffentlich ist nicht schon wieder eine Trauerkarte drin‘. Die Zeiten, in denen es irgendwann laut aufschrie in einem, ’nicht weiter so, ich kann nicht mehr, nicht noch mehr Tod‘.

Manchmal beschleicht mich nachts die Angst, diese Zeiten könnten irgendwann zurückkehren.

Immer mehr HIV-Infektionen – und nun?

Die Zahl der HIV-Diagnosen 2006 ist gestiegen – und wieder gehen Meldungen voller Sensationsgier und Aktionismus durch die Medien. Schon ein kurzer Blick in die Zahlen gibt ein differenzierteres Bild – wieder einmal sind Bedacht bei den Zahlen und Blicke in die Details angeraten.

Das Robert-Koch-Institut hat die neuesten Zahlen zu den Neu-Infektionen mit HIV veröffentlicht. Selbst eher bedächtige Medien sprechen von „HIV-Infektionen auf dem Höchststand“, „trotz aller Warnungen“, „Anstieg im 81%“ (und erwähnen nur kleingedruckt den Zeitraum: 2001 bis 2006). Und es steht zu erwarten, dass sich bald schon wieder die kuriosesten Meldungen und Vorschläge überschlagen werden. Einige fühlen sich ja schon seit längerem in ihren Vorstellungen bestätigt und fordern (in der irrigen Meinung, mit Strafrecht könnne man Prävention betreiben) eine Verschärfung der Gesetze.

Worum geht es?
Im Jahr 2006 wurde nach Angaben des Robert-Koch- Instituts bei 2.611 Personen in Deutschland eine neue HIV-Infektion festgestellt. Im Jahr 2005 lag diese Zahl bei 2.500 Personen. Diese Zahlen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) im Detail in seinem ‚Epidemiologischen Bulletin‘.

Das RKI spricht selbst davon, im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der „gemeldeten HIV-Neudiagnosen nochmals leicht um 4%“ angestiegen.

Vielen der aufgeregten Medienberichte liegt zunächst ein Mißverständnis zugrunde. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet HIV-Neudiagnosen, nicht Neu-Infektionen.
Dieser Unterschied ist (z.B. für die aus den Zahlen möglicherweise zu ziehenden politischen Konsequenzen) bedeutend: Nicht jeder, dessen Infektion mit HIV im Jahr 2006 diagnostiziert wurde, hat sich auch in diesem Jahr infiziert. Vielmehr werden viele Infektionen erst Jahre später diagnostiziert. Die Zahlen über die Neu-Diagnosen geben also nicht ein Bild des Infektions-Geschehens im vergangenen Jahr, sondern nur der diagnostizierten Fälle!

So ist auch der Anstieg der vom RKI gemeldeten Zahlen nicht ausschließlich auf einen Anstieg der Zahl der Neu-Infektionen zurückzuführen. Vielmehr kommen weitere Faktoren hinzu:

– HIV-Infizierte lassen sich früher testen (dies zeigen auch Untersuchungen über die Zahl der CD4-Zellen bei Erst-Diagnose).
– In einigen (insbes. auch Groß-) Städten haben Aidshilfen offensiv für einen HIV-Test geworben. Auch dies dürfte in diesen Regionen den Trend zur früheren Diagnose verstärkt haben.
– Und schließlich: das RKI hat 2006 sein Melde- System verbessert (bessere Unterscheidung zwischen Erst- und Folgemeldungen möglich). Dies führt dazu, dass nun mehr Meldungen als Erstmeldungen gezählt werden.

Insgesamt bedeutet dies: nur ein Teil des Anstiegs der Neu-Diagnosen ist auch auf einen Anstieg der Neu- Infektionen zurückzuführen.
So formuliert das RKI selbst vorsichtig, dass von dem gemeldeten Anstieg um 81% zwischen 2001 und 2006 wohl etwa 40% auf einen ‚tatsächlichen Anstieg der HIV-Erstdiagnosen‘ zurückzuführen sei.

Wie schon in den letzten Jahren erfolgte ein Teil des Anstiegs der Zahl der Neu-Infektionen in der Gruppe, die so dezent mit „MSM“ bezeichnet wird (Männer, die Sex mit Männern haben). Die Zahl stieg um 9,2% von 1.250 (2005) auf 1.358 (2006). Ein besonders deutlicher Anstieg zeigte sich mit 15% bei iv-Drogengebraucher- Innen, während die Zahl der Neu-Diagnosen bei Menschen aus Hoch-Prävalenz-Regionen um 13% zurück ging.

Bei allen jetzt wieder zu erwartenden Aufgeregtheiten sollte vermieden werden, einige Details der Analysen aus den Augen zu verlieren, wie z.B. die aufschlussreiche regionale Verteilung. So konstatiert das RKI für die meisten Bundesländer eine Stagnation oder nur geringe Anstiege – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In NRW sei zudem die hohe Zahl der Syphilis-Meldungen bemerkenswert.
Die äußerst angespannte Mittelsituation in den Aids- Hilfen – besonders in NRW – dürfte vor diesem Hintergrund nochmals neue Brisanz bekommen. Wurden hier seitens der Politik Weichen in die verkehrte Richtung gestellt?
Und umgekehrt erstaunt so manche Berliner Hektik, wenn das RKI davon spricht, dass in den östlichen Bundesländern (einschl. Berlin) die Zahlen unter Schwulen stagnieren oder zurückgehen (Berlin: im Jahr 2006 unter MSM 271 gemeldete Neu-Diagnosen).

Unabhängig davon, dass (s.o.) nicht der gesamte Anstieg der Neu-Diagnosen auch einem Anstieg der Neu-Infektionen entspricht, ist zu fragen, ob und wie zu reagieren ist.
So wird sich die Politik (insbesondere in einigen Bundesländern) fragen lassen müssen, ob die immer stärkere Verknappung von Mitteln für die Aids- Prävention sich nicht zunehmend als kontraproduktiv erweist.

Und auch die Aids-Hilfe auf die Entwicklung der Zahlen reagieren müssen. Wird prüfen müssen, ob und wo Defizite in der Prävention bestehen und wie dem begegnet werden kann.

Vielleicht finden dabei neuere Studien Beachtung, die (erneut) zeigen dass die Hälfte der HIV-Übertragungen während der Phase der akuten HIV-Infektion stattfinden – knapp 50% der Übertragungen erfolgen von Personen, die selbst erst kurze Zeit HIV-infiziert sind.
Damit gewinnt auch die Frage neue Bedeutung, ob die alte Präventions-Polarität negativ-positiv noch situationsgerecht ist. Viele dieser Infektionen dürften erfolgen, weil Menschen (fälschlicherweise) meinen sie seien HIV-negativ – in dieser Situation der Fehleinschätzung der eigenen Situation dürfte z.B. kaum eine Strategie des Serosortings greifen, da hilft nur ’safer sex‘.

Hier könnten neue Strategien der Prävention erforderlich sein, die z.B. auch auf Annahmen über den Serostatus (den eigenen wie den des Partners) eingehen.

Schärfere Gesetze hingegen dürften wenig hilfreich, Repression vermutlich eher kontraproduktiv sein.

PS: Die Internetseiten des RKI ermöglichen auch eigene Recherchen in den Daten zu HIV-Neu-Diagnosen (auf der Ebene Bundesländer, Regierungsbezirke, Großstädte). Zu finden unter www3.rki.de/SurvStat > Meldekategorie: Nichtnamentlich direkt an das RKI“

Ein heikler Punkt

Der Datenschutz-Skandal beim Kompetenznetz HIV/Aids ist immer noch nicht geklärt, strukturelle Probleme des Datenschutzes nicht gelöst – und doch wird nun auch eine europäische Harmonisierung gewünscht.

„Ein heikler Punkt ist immer wieder der Datenschutz. Hier ist es dringend an der Zeit, dass ein einheitliches europäisches Datenschutzkonzept geschaffen wird …“, schreibt das Kompetenznetz HIV/Aids in seinem neuen (übrigens laut Impressum von ‚publicis‘, einer großen auch Nestlé betreuenden PR-Agentur verantworteten) Newsletter.

Wohl wahr, möchte man ihm antworten, der Datenschutz ist wirklich ein wichtiges Thema. Gerade wenn man daran denkt, wie das Kompetenznetz HIV/Aids bisher mit dem Schutz von Patienten-Daten umgegangen ist.

Die Patienten, deren (nicht anonymisierte, sondern nur pseudonymisierte) Daten und Blutproben wie berichtet ohne deren Wissen, geschweige denn deren vorheriges Einverständnis ins Ausland geliefert wurden, sind bis heute offensichtlich nicht informiert worden.

Deutliche Probleme mit den Datenschutz bestehen selbst wenn man nicht so weit gehen mag wie die ‚Zeitschrift für sexuelle Emanzipation‘ „Gigi“ in ihrer Ausgabe Nr. 49. Dort berichtet der Autor des Artikels über derzeitige gesetzgeberische Planungen im Kontext von Barebacking (Infos dazu u.a. hier und hier), und versucht, die Datenschutz-Probleme des Kompetenznetzes HIV/Aids auch aus dem Blickwinkel zu beleuchten, welche „Schützenhilfe schließlich das Kompetenznetz HIV/Aids bei der Ausforschung HIV-Infizierter vielleicht unbeabsichtigt übernehmen könnte“. Nicht ganz von der Hand zu weisen, dieser Gedanke, denn, wie der Autor resümiert, schließlich „könnte auch die deutsche Justiz an diesem Datenpool interessiert sein, in dem ein Drittel der Positiven des Landes sich freiwillig und gutgläubig erfassen ließ.“

Auch wenn dieses Szenario überzogen erscheinen mag, es fragt sich doch, welche Hilfe sich das Kompetenznetz HIV/Aids von einem europäischen Datenschutzkonzept verspricht, wenn schon der eigene Umgang mit dem Thema so umstritten ist. Oder geht es hier doch eigentlich nur darum, eine ‚legale‘ Basis zu haben, um möglichst viele Patientendaten breit und vor allem auch international zu nutzen?

Schlimmer noch, wenn man die Datenschutz- Bestimmungen in Europa vergleicht, steht zu befürchten, dass eine etwaige Harmonisierung in Richtung des jetzt (nicht nur vom Kompetenznetz) geforderten europäischen Datenschutz-Konzeptes wieder einmal nur eine Harmonisierung hin zum kleinsten gemeinsamen Nenner wäre – und somit ein de facto Abbau des deutschen Datenschutz-Standards zu befürchten stünde.

Aber – geht es dem Kompetenznetz überhaupt um den Datenschutz, um den Schutz sensibler Daten HIV- Infizierter? Wenn man auf die Vorgänge um den jüngsten Datenschutz-Skandal blickt, kann man Zweifel bekommen.

Nein, ganz in Gegenteil, Ideologie vieler deutscher HIV-Forscher (die im Kompetenznetz teilweise an prominenter Stelle engagiert sind) scheint zu sein „Datenschutz behindert doch nur wichtige Forschung“. Wer sich für die Interessen der Patienten engagiert, kritisch nachfragt, bekommt gerne entgegen gehalten, er solle doch bitte die wichtigen Forschungsbemühungen nicht unnötig behindern.

Wessen Interessenlage hier im Vordergrund steht, dürfte klar sein. Die der Positiven scheinbar jedenfalls nicht …
Und – ein ‚Vorzeigeprojekt‘ jedenfalls, als das das Kompetenznetz HIV/Aids sich selbst bezeichnet, sieht anders aus …

Thailand: niedrigerer Medikamenten-Preis doch möglich

Thailands Positive dürfen damit rechnen, ein wichtiges Medikament zukünftig zu einem bezahlbaren Preis zu erhalten. Der Pharmakonzern Abbott vollzog eine Wende in seinem bisherigen Verhalten und kündigte deutliche Preisreduzierungen an.

Erst Ende März war der Konflikt um die Versorgung thailändischer Positiver mit Kaletra eskaliert. Die thailändische Regierung hatte eine Lizenz für den Import einer generischen Version erteilt, da der vom Pharmakonzern Abbott angebotene Preis für eine Monatsdosis angesichts der Zahl der Patienten und der Leistungsfähigkeit des Landes als weitaus zu hoch erschien. Als Reaktion darauf hatte der Pharmamulti angekündigt, zukünftig neu entwickelte Medikamente nicht mehr auf den Markt zu bringen.

Nun vollzieht der Pharmakonzern eine beachtenswerte Wende:
Abbott bot der thailändischen Regierung an, den Preis für die Monatsdosis Kaletra von 5.938 Baht (etwa 181$) auf umgerechnet 107$ zu reduzieren. Damit würde der Preis einer Monatsdosis sogar unter dem der generischen (aus Indien importierten) Version liegen (ca. 120$).

Presseberichten zufolge soll das Angebot von Abbott ohne weitere Auflagen (wie etwa den etwaigen Widerruf der Importlizenz) sein. Ursprünglich hätte der Preis für die Monatsdosis Kaletra bei 347$ (!) gelegen.

Analysten erscheint die Wendung im Verhalten des Pharmamultis als Versuch, den Bruch der Patentrechte durch die thailändische Regierung zu vermeiden. Zudem könnte der Konzern befürchtet haben, weitere Staaten wie Brasilien würden Thailands Beispiel folgen.

Die Ankündigung Abbotts, künftig keine neuen Medikamente mehr nach Thailand zu liefern, hatte weltweite Proteste hervorgerufen. Selbst die Welt- Gesundheits-Organisation WHO hatte das Recht Thailands zu Generika-Lizenzen betont. Das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids hatte zum Boykott des Konzerns aufgerufen.

Parallel zur Preisreduzierung für Thailand kündigte Abbott zudem an, für 40 Staaten mittleren Einkommens- Niveaus (von Indien über Weißrussland bis Jamaica) den Preis der Jahresdosis Kaletra auf 1.000$ zu senken. Diesem Schritt waren Diskussionen mit der WHO voraus gegangen.

„Und sie bewegt sich doch …“
Schienen die Schritte der thailändischen Regierung auch noch so verzweifelt, von einigen Kritikern geradezu als halsstarrig bezeichnet – sie haben sich ausgezahlt. Der Konzern hat sich bewegt und mit der Reduzierung des Preises auf 107$ einen beachtenswerten Schritt vollzogen.
Gewinner sind die Positiven Thailands, denen nun nicht nur eine wirksame, sondern auch hitzestabile Version eines Medikaments zur Verfügung steht. Die Einhaltung der Patentrechte scheint den Pharmakonzernen äußerst wichtig zu sein – so wichtig, dass bedeutende Zugeständnisse möglich sind.
Zudem wird wieder deutlich, dass mutiges und beherztes Eintreten für die eigenen Interessen (wie in Brasilien oder jetzt Thailand) sowie internationale Öffentlichkeit und Proteste durchaus eine Wirkung auf die Pharmamultis entfalten können.

Synonymisiert im Kompotenz-Netz

Früher – ja früher, da fingen Märchen noch mit „es war einmal“ an…..
Und Datenschutz war noch ein hehres Anliegen, ein Thema, das viele politisch denkende Menschen bewegte.

Und heute?
Ich wundere mich, welche (geringe) Bedeutung anscheinend Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Bewusstsein vieler nur noch haben.

Selbst Menschen, die noch vor einigen Jahren den Volkszählungs-Boykott mit organisierten, haben heute keine Bedenken, ihre privatesten Daten bereitwillig zur Verfügung zu stellen.
Selbst diejenigen, die noch vor wenigen Jahren hinter jedem Spiegel eine ‚Rosa Liste‘ vermuteten, sind heute mit persönlichsten Details im Netz zu finden.
Und auch ich selbst muss mich ja immer wieder selbst beäugen – wie viel Privates will ich von mir, z.B. in diesem Blog, preisgeben?

Das alles sind aber immer noch freiwillige, selbst entschiedene (und hoffentlich nicht nur unüberlegte) Preisgaben persönlicher Informationen.
Nun aber – werden selbst medizinische Daten Positiver unkontrolliert und ungenehmigt ins Ausland geliefert? Ohne Einwilligung, unter Umgehung des Datenschutzes? Für eine Studie, die Genom-Untersuchungen macht?
Ein interessanter Artikel auf gay-web zeigt, dass die Affäre noch lange nicht vorbei zu sein scheint. Sondern der weiteren, neutralen Aufarbeitung harrt.

Jetzt einfach im nachhinein einige Einverständnisse doch noch einholen, etwas die Formulare (der Einverständnis-Erklärung) aufhübschen, dann weiter wie bisher – das ist zu wenig.
Das wäre ein Herumdoktern an Symptomen, mehr nicht.
Zu viele Fragen sind noch offen, zu viele Probleme noch nicht befriedigend geklärt.
Erforderlich wäre ein offensives Angehen der bestehenden Probleme. Die zahlreicher zu sein scheinen, als einige offensichtlich wahrnehmen zu wollen bereit sind. Probleme, die z.B. reichen von einer (dann hoffentlich verständlichen) Patienten-Aufklärung über Konzept und Realität des Datenschutzes, die Klärung juristischer Fragen (z.B. Beschlagnahmeschutz) bis zur Klärung von Fragen von Doppel-Funktionen und Interessen-Konflikten.

Ein größerer Katalog, gewiss. Aber wohl der einzig saubere Weg, mit bestehenden Problemen umzugehen. Und zu vermeiden, dass an der nächsten Ecke (z.B. der nächsten Studie, internationalen Kooperation o.ä.) die nächste Krise auftritt.

Vor allem aber – nur ein offener Umgang mit der Situation, die nun einmal entstanden ist, kann eventuell das beeinträchtigte Vertrauen wieder herstellen, vielleicht eine neue Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit legen. Eine Zusammenarbeit, bei der dann PatientInnenrechte und Datenschutz selbstverständlich gewahrt und respektiert werden – und nicht ausgetrickst.
Dies wird wohl nur eine unabhängige Aufklärung der Vorgänge ermöglichen können.

Daten von Positiven wieder geschützt?

In Sachen des laxen Umgangs mit Patienten-Daten hat sich eine teilweise Lösung ergeben: Daten und Material sollen vernichtet bzw. zurückgesandt werden.

Das Kompetenznetz HIV plant (auch weiterhin), an internationalen Studien teilzunehmen. Hierzu sollten auch Daten deutscher HIV-Patienten an ausländische Forscher (in diesem Fall an die sogenannte Euro-CHAVI-Kohorte in der Schweiz) geliefert werden.
Deutsche Aids-Hilfe, Patienten-Beirat und Positiv e.V. hatten sich hiergegen gewandt. Der Grund: die Einverständnis-Erklärung, die die Patienten unterschrieben haben, deckt derzeit nur eine Verwendung in Deutschland ab. Der Datenschutz sensibler Daten HIV-positiver Patienten sei nicht gewährleistet.

Inzwischen teilte der Leiter des Kompetenznetzes HIV mit, die italienischen Stellen seien gebeten worden, dort vorhandene Daten zu löschen und das Material zu vernichten bzw. zurückzusenden. Blutproben sollen vernichtet oder ebenfalls zurückgesandt werden.
Für die zukünftige Fortsetzung und Erweiterung internationaler Zusammenarbeit soll die Patienten- Einverständniserklärung überarbeitet werden.

Bei einer Überarbeitung der Einverständnis-Erklärung könnte nun die Chance genutzt werden, auch weitere offene Fragen zu klären, die im Laufe der Diskussionen, aber auch im Rahmen einer Veranstaltung zum Kompetenznetz in der Berliner Aids-Hilfe erneut deutlich wurden. Hierzu zählen z.B. Fragen des Datenschutzes, aber auch der Verständlichkeit der Patienteninformation.

Laxer Umgang mit Patienten-Daten ?

Das Kompetenznetz HIV möchte an internationalen Studien teilnehmen, hier auch Daten und Biomaterial deutscher PatientInnen einbringen. Da die bisherige Einverständnis-Erklärung dies nicht zulässt, scheint man sich mit Tricksereien behelfen zu wollen.

Das Kompetenznetz HIV (1) plant, an internationalen Studien teilzunehmen. Hierzu sollen nun auch die Daten der Teilnehmer der HIV-Kohorten-Studie [immerhin etwa 14.000 Positive mit bis zu 400 Einzeldaten je Person, (3)] an ausländische Forscher und Studiengruppen weitergegeben werden – die Daten sollen in eine europäische Kohorte einfließen.
Allerdings – der Daten- (und Biomaterial-) Übermittlung ins Ausland haben bisher die Patienten (die ja für die Teilnahme und die Verwendung ihrer Daten und Biomaterialien eine Einverständnis-Erklärung unterschreiben müssen) nicht zugestimmt (in der derzeitigen Einverständniserklärung wird dezidiert von ‚deutschen Praxen und Kliniken‘ gesprochen).

Ärgerlich, dachte sich wohl das Netzwerk. Das jetzt bei jedem einzelnen der 14.000 PatientInnen nachzuholen, wird wohl recht zeit- und kostenaufwendig. Hätte man vorher dran denken können (an die Möglichkeit, auch mit ausländischen Forschern kooperieren zu wollen), hat man aber anscheinend nicht.
Wie bekommen wir das wieder hin, hat man wohl überlegt. Und ist Ende November auf einen ganz einfachen Trick verfallen – man nimmt den/die ausländischen Forscher, mit denen kooperiert werden soll, einfach in den Verein Kompetenznetz auf – dann müsste das doch gehen.

Nun ersetzt eine Aufnahme ausländischer Mitglieder keine Einverständniserklärung der Patienten, und ändert auch nichts daran, dass Daten und Bio-Material im Ausland verwendet werden sollen.

Nach der Deutschen Aids-Hilfe hat am Wochenende auch „Positiv e.V.“ (der Veranstalter der bundesweiten Positiventreffen) sich mit einem Protest an das Kompetenznetz gewendet. Darin wurde um Bestätigung gebeten, dass bisher keine Daten oder Biomaterialien ins Ausland geliefert wurden (2) und dies auch zukünftig nur mit Einverständnis der Patienten erfolgen wird. Notfalls müsse man, wissend um die mögliche Bedeutung einer Kohortenstudie, betroffenen Patienten den Rückzug aus der Studie empfehlen.

Wohlgemerkt, es geht nicht darum, eine an sich sicher sinnvolle deutsche Kohorten-Studie zu torpedieren. Auch nicht darum, ebenso sinnvolle internationale Forschungs-Kooperationen zu verhindern.

Wohl aber geht es um die Frage, wie hierzulande mit den sensiblen Daten von Tausenden HIV-Positiven (die Kohorte umfasst Daten zu einem Viertel aller Positiven in Deutschland) umgegangen wird. Es geht um die Frage, welche Bedeutung die Verantwortlichen den Einverständniserklärungen beimessen. Und um die Frage, welche Bedeutung für sie Datenschutz und das Recht der beteiligten Patienten auf informationelle Selbstbestimmung haben.

Es scheint, dass die Verantwortlichen des Kompetenznetzes mit ihrem trickreichen Umgehen der fehlenden Einverständnisse deutlich gezeigt haben, welche Bedeutung sie der Patienteninformation und -einverständniserklärung zumessen: eine äußerst niedrige. Eine lästige, leider wohl erforderliche Pflichtübung, die bei nächstbestem Anlass, und sei es mit umstrittenen Verfahrenstricks, ausgehebelt wird.

Bravo, mag man da nur noch zynisch sagen.
Wie soll man/frau da noch glauben, dass der Datenschutz funktioniert? Dass die Daten der Positiven beim Kompetenznetz gut aufgehoben sind? Dass die Daten als HIV-Patient sicher sind, wenn erst (statt „nur“ anderen Forschern) der Staatsanwalt vor der Tür steht?

Nachtrag: wer mehr über das Kompetenznetz, die Kohortenstudie und die derzeitigen Vorgänge erfahren möchte, kann sich informieren auf einer Veranstaltung in der Berliner Aids-Hilfe am 13.12.2006 um 18:30 Uhr.

Anmerkungen:
1) Das Kompetenznetz HIV ist eines von 18 deutschen Kompetenznetzen in der Medizin. In ihm sind Forscher, die in klinischer und praxisnaher Grundlagen-Forschung zu HIV/Aids arbeiten, zu einem Verbund zuzsammengeschlossen. Das Kompetenznetz HIV wird in bedeutendem Umfang vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.
2) Für die Bitte um die Bestätigung, dass bisher noch keine Daten ins Ausland geliefert wurden, gibt es konkreten Anlass. Nämlich die gelegentlich kolportierte Befürchtung, dies könnte längst passiert sein. Wir anders ließe sich erklären, dass die Teilnahme der deutschen Kohorte an einer internationalen Studie (COHERE) von ausländischen Forschern abgelehnt wurde, wie zu hören ist wohl auch mit Hinweis auf die Qualität der Daten? (Wer die Qualität der Daten beurteilen kann, muss ja doch wohl Einblick gehabt haben, könnte man vermuten?)
3) In der Kohortenstudie werden die Daten von derzeit ca. 14.000 HIV-positiven Patienten erfasst, die hierzu ihr Einverständnis erklärt haben. Erfasst werden u.a. „soziodemographische sowie fortlaufend detaillierte medizinische Daten“ (Newsletter 01/2006 des Kompetenznetzes).

DAH diskutiert Leitbild

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) plant, ihre Grundsätze, Werte und Haltungen in einem Leitbild zusammen zu fassen. Bis zum 28. Februar 2007 findet die Diskussion darüber online statt.

Von welchen Grundsätzen, Haltungen und Werten wird die Arbeit der DAH getragen? Dies klar zu formulieren und damit auch die eigene Position zu bestimmen ist Ziel eines Leitbilds, dass der Verband sich geben will. Hierzu hat der Vorstand der DAH eine Programmkommission eingesetzt, die sich in mehreren Treffen und Diskussionen intensiv mit den Grundlagen und Zielen der Arbeit der DAH beschäftigt hat.

Auf dieser Grundlage ist ein Entwurf zu einem Leitbild erarbeitet worden, der am 13. Oktober zur Diskussion freigegeben wurde.

Die Diskussion über den Entwurf dieses Leitbilds (in 13 Leitsätzen) findet vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 ausschließlich online statt auf dem Internetangebot der DAH unter dieser Adresse.

Für die Teilnahme an der Diskussion ist eine einmalige Registrierung erforderlich (z.B. als hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Mitgliedsorganisation der DAH oder als sonstiger Engagierter).

Über andere Seiten im Iran

Auf den Iran wird ja gerne eingeprügelt. Fortschritte werden dabei gern übersehen – Fortschritte auch in der Aids-Bekämpfung.

Der Iran wird in hiesigen Medien gern als Quelle allen (oder vielerlei) Übels gesehen, als Unterstützer von des Terrors verdächtigten Einrichtungen und Organisationen, als expansionistische Mittelmacht, als potenzielle Atommacht mit ideologischem Bedrohungspotenzial usw.

Dabei wird gern übersehen, dass nicht alles im Iran so schwarz ist. Zum Welt-Aids-Tag möchte ich gern auf einen Aspekt der Aids-Bekämpfung im Iran hinweisen.

Der Direktor der Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS, Peter Piot, bezeichnet den Iran (in einem Interview in der FAZ vom 28.10.2006) als „Musterland“. Und wem jetzt ob des unerwarteten Urteils der Atem stockt, für den hier im O-Ton Piots Begründung:

„Im Iran gibt es eine wachsende Zahl junger Menschen, die Drogen injizieren. Das Rauschgift stammt aus dem Nachbarland Afghanistan und ist beliebt, weil es billig zu haben ist. Die Gefängnisse im Iran sind voll mit jungen Drogenkonsumenten. Die Regierung im Iran geht allerdings pragmatisch mit dem Problem um: In allen Provinzen werden Methadon-Programme angeboten, auch in den Gefängnissen. Spritzen und Nadeln werden ausgetauscht. Und überall stehen Kondome unentgeltlich zur Verfügung. Ich wünschte, alle Länder der Region wären dazu bereit.“
(Piot weist im weiteren Verlauf des Interviews auch darauf hin, dass es weiterhin schwer sei, im Iran offen über Sex zwischen Jugendlichen oder zwischen Männern zu sprechen.)

Wenn ich mich daran erinnere, wie die Situation (nicht nur) in hiesigen Knästen aussieht, was Spritzentausch, Nadeln oder auch nur Kondome angeht, kommen mir ganz seltsame Gedanken …

Nicht, dass ich den Iran verteidigen möchte – erst recht nicht in Fragen im Kontext Proliferation / Atomwaffen. Aber eine differenzierte Sicht (auch beim Thema Iran) ist doch immer wieder angebracht, statt einseitiger ‚Verteufelungen‘ oder schwarz-weiß-Malereien.

http://www.unicef.de/trackback.html

Na dann Gesundheit …

Die Berliner Aids-Hilfe hat ein neues Plakat:

Gesundheit Plakat BAH

Nun sind Plakate ja was Schönes, gerade wenn hübsch gestaltet und ein netter Männerkörper drauf ist. Aber – was will mir dieses Plakat sagen?

Unter dem Motto „Wissen schafft Klarheit“ fordert es zum HIV-Test auf, weist auf ein diesbezügliches Angebot der BAH hin.

Klarheit soll hier ja offensichtlich über den eigenen HIV-Status geschaffen werden. Und dann? Soll sich der als positiv getestete Mensch danach dann als nicht mehr gesund fühlen? Oder warum diese Überschrift? Frag ich mich nun ratlos …

Viel Empfängnis im E-Werk

Am vergangenen Donnerstag (23.11.) fand wieder einmal der Jahresempfang der DAH statt, diesmal unter dem Namen „Welt-Aids-Tags-Empfang“. Es wurde vieieiel geredet …

DAH-Empfang 2006 01

Reden Reden Reden
Abends irgendwann nach sieben. Der Saal ist gut besetzt bis in die hinteren Reihen.
Es tritt auf – Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin. Macht, was ihr Job ist. Hält eine Rede, die viel hinterher „toll“ oder „doch ganz gut“ finden. Wohl auch weil sie sich für das ‚unermüdliche Engagement der DAH‘ bedankt und für das Jahr 2007 eine Mittel-Aufstockung des Aids-Etats um 3 Mio. € ankündigt.DAH-Empfang 2006 02
Sie spricht viel über die tolle erfolgreiche Aids-Politik der Bundesregierung, der NGOs, über die anstehende Bremer Konferenz im März 2007 [die den innovativen Titel ‚Verantwortung und Partnerschaft – gemeinsam gegen Aids‘ tragen soll] und kommt zu dem Schluss, dass der ‚Kampf gegen HIV und Aids unvermindert fortgesetzt werden muss‘.

Irgendwie denke ich, bei mir wäre diese Rede nicht mal in den Briefkasten gekommen – der hat nämlich einen Aufkleber „keine Werbung“. Und ich werde angesichts all der ungesagten Themen und Fragen [nichts z.B. zum neuen Aids-Aktionsplan] den Gedanken nicht los, früher hätte sich irgend ein ACT UP protestierend eingemischt, heute hingegen sitzen alle brav im Anzug, klatschen und fühlen sich gebauchpinselt ob der ministeriellen Aufmerksamkeit.

Weiter geht’s schon mit Reden.
Ein Vorstandsmitglied der DAH kommt in seiner Rede zu der sicherlich bedeutenden Einschätzung einer „Solidarität, die – so meine ich – unteilbar ist“.

Frau Pott (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzgA) schließt sich an mit einer Rede à la „wir sind gut und freuen uns darüber“. Den Zustand der Zusammenarbeit von BzgA und DAH beschreibt sie analog zum Heranwachsen eines Kindes, von Streits in Kindertagen über pubertäre Flegeljahre bis zu einer „jetzt erwachsenen Zusammenarbeit“ – Matthias und ich schauen uns belustigt an, na – dann ist die DAH ja wohl jetzt im Zustand handzahmer Banalität angekommen? Klingt so eine Ohrfeige? Ah ja, dann ist die Aufsässigkeit der DAH ihrer Ansicht nach ja anscheinend erfolgreich weg-subventioniert – auf gute Zusammenarbeit!

Die m.E. einzig bemerkenswerte Rede hält der Geschäftsführer der DAH, Dr. Luis Carlos Escobar Pinzón, der über alles gegenseitige Lob hinweg auch kritische Gedanken und Worte findet. Endlich einmal darauf hinweist, dass die DAH nicht nur für die Primärprävention da sei, sondern ihre Rolle auch im Engagement für Menschen mit HIV und Aids sehe [z.B. ’negativ bleiben und positiv handeln ist für uns untrennbar‘], engagiert gegen Diskriminierung und Repression. Der auch auf das gerade nach Kabinettsbeschluss von Einstellung bedrohte Heroin-Modellprogramm hinweist und betont, dass die DAH hier protestieren und sich für die Fortsetzung der Heroin-Vergabe an Schwerstabhängige einsetzen werde.

Der DGB schläft
Lustig wird’s nochmal nach dem netten Buffet mit anregenden Plaudereien. Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema „Chronisch versteckt – HIV am Arbeitsplatz“ (Walter Riester / SPD, Wolfgang Heller / ILO, Jürgen Sendler / DGB, Prof. Stephan Letzel / Dt. Ges. für Arbeitsmedizin, Benno Fürmann / Schauspieler und Stefan Jäkel / Pluspunkt).
DAH-Empfang 2006 03
Einige mehr oder weniger bekannte Positionen werden ausgetauscht. Stephan Jäkel (Pluspunkt) gelingt es, die Situation von Positiven im Arbeitsleben mehrfach gut auf den Punkt zu bringen. Klar zu machen, dass i.d.R. nicht Positive in der starken Position des ersten Schritts eines offenen Umgangs mit HIV am Arbeitsplatz sind, vielmehr die Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte hier (auch) in der Pflicht seien.

Überhaupt, die Gewerkschaften. Lustig war’s wieder mit ihnen. Immerhin, Herr Sendler (DGB Bundesvorstand) bekennt, das Thema HIV und Arbeit sei im DGB ‚bisher viel zu klein angegangen worden‘, kündigt an, der DGB habe sich vorgenommen, das nun zu ändern. „Nun“. Immerhin – wir schreiben nicht das Jahr 1986. Auch nicht das Jahr 1996. Sondern das Jahr 2006.

Anzuerkennen ist, dass der DGB angesichts dieser peinlichen Situation überhaupt kommt, und mit Bundesvorstand. Aber – wie lange wollen sie noch warten, um wach zu werden?

Nachtrag
Die ‚Promis‘ der Veranstaltung wie auch der Vorstand des Vereins sind, wie zu hören ist, in Maseratis vorgefahren worden. Irgendwie frage ich mich, Promis in Maseratis vor Blitzlicht-Gewitter karren lassen, ist es jetzt das, was die DAH unter Professionalisierung versteht?
Oder was soll mir das sagen? Aber vielleicht ist es der Deutschen AIDS-Hilfe auch nur gelungen, ihre Position zum Thema Selbsthilfe auf eindrückliche Weise zu verdeutlichen.
Mit ist plötzlich so seltsam zumute …

HIV-Prävention in Zeiten knapper Kassen

„Neue Konzepte in der HIV-Prävention“ fordert die Koalitionsvereinbarung des neuen rot-roten Senats – und stellt keine zusätzlichen Mittel bereit. Da gilt es zu fragen, wofür werden HIV-Senatsmittel bisher eingesetzt? Und – sind sie effizient (gegen HIV wirksam) eingesetzt?

Im rot-roten Entwurf zum Koalitionsvertrag 2006-2011 findet sich im „Bereich 15: Gesundheit“ der Hinweis, neue Ansätze in der HIV-Prävention sollten unterstützt werden: „In den letzten Jahren hat die Zahl von Neuinfektionen mit dem HIV wieder zugenommen. Um dieser Entwicklung entgegen steuern zu können, sind neue Konzepte der Prävention für spezifische Zielgruppen zu entwickeln und durchzuführen, insbesondere zur Ansprache von jungen Homosexuellen sowie von schwulen und bisexuellen Migranten.“
Ein begrüßenswerter, sicher auch erforderlicher Beschluss – nur dass hierfür (angesichts der bekannten Berliner Finanzsituation wenig überraschend) keine neuen Mittel zur Verfügung stehen. Woher sollen Mittel für neue Präventionskonzepte kommen?

HIV-Prävention bei Schwulen wird in Berlin von mehreren Stellen gemacht, u.a. der Berliner Aids-Hilfe, Pluspunkt und Mancheck. Die Projekte widmen sich dabei teils verschiedenen Aufgaben.
Es gibt HIV-Projekte in Berlin, die dabei vor allem gute Vor-Ort – Präventionsarbeit zu machen scheinen. Ihr Problem: sie sind gar nicht weiter ausbaubar sind unter derzeitigen Umständen, wie ich auf einer Podiumsdiskussion lerne. Die Zahl der Freiwilligen, die als DarkAngel oder Freiwilligenteams vor Ort in den Bars, Saunen und Sexparties über HIV und STDs informieren, kann gar nicht weiter aufgestockt werden – das Geld fehlt, um ihre Betreuung, Weiterbildung und Unterstützung durch die (wenigen) hauptamtlichen Mitarbeiter sicherzustellen. Kurz und knapp gesagt: eine gute vor-Ort-Arbeit wird dadurch massiv eingeschränkt, dass die nötigen Mittel für die Betreuung fehlen.

Neue Wege in der HIV-Prävention, wie sie jetzt wieder die Koalitionsvereinbarung fordert, aber keine neuen Mittel – eine Zwickmühle, ein unlösbar scheinender Widerspruch.
Aber auch eine erneute Aufforderung, die vorhandenen Ressourcen möglichst wirksam einzusetzen. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir schon nicht genügend Geld in den Aids-Töpfen haben, wer fragt dann eigentlich einmal nach, welches Geld wofür und vor allem wie effizient ausgegeben wird? Wofür gibt Berlin überhaupt Geld aus im Rahmen der HIV-Prävention?

Ich beginne zu suchen, und wundere mich: ich habe anscheinend eine bedeutende Berliner HIV-Präventions-Einrichtung vergessen: Mann-O-Meter. Erstaunt reibe ich mir die Augen, die machen HIV-Prävention? Noch nie was davon gemerkt.
Mann-O-Meter (MoM), das schwul-lesbische Switchboard, wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbaucherschutz im „HIV-Topf“ gefördert. Über den LABAS (ab 2006 über den DPW) erhält MoM derzeit wohl etwa 200.000€ aus den HIV- Präventionsmitteln des Landes. Gemäß MoM- Jahresbericht 2005 machten diese Labas-Mittel 48,67% der gesamten Mittel des Projektes aus (der Rest u.a. Mittel für Maneo, Spenden u.a.)

Das erstaunt mich nun noch mehr. Wenn ich in einem ersten Ansatz Mittel und Engagement ungefähr gleichsetze, heißt das dass Mann-O-Meter etwa mindestens zur Hälfte ein HIV-Präventionsprojekt ist? Hab ich da was verpasst?
Ich studiere weiter die Website und die Jahresberichte von MoM. Ja, laut Satzung sind Zweck des Vereins u.a. ‚der Ausgrenzung von Menschen mit HIV und AIDS zu begegnen‘ und ‚Unterstützung von Positiven und AIDS-Kranken‘.
Und die Realität? Auch hier hat der Jahresbericht viele blumige Details zu vermelden, liest sich fast als sei MoM tatsächlich ein Aids-Projekt. Der Internetauftritt von MoM hingegen ist zu HIV/Aids schon spärlicher.
Aber ich bleibe zunächst beim Jahresbericht. Wieviele Menschen nutzen denn MoM? Unter all den vielen, erstaunlich vielen Nutzern fallen unter dem Punkt „Info-Vermittlung 8,84% = 1.440 Besucher und Anrufer zu „HIV/AIDS/STD“ auf (bei weit über 16.000 gesamt Besuchern und Anrufern, denn alle MoM-Bereiche von ‚anonym‘ über ‚Theke‘ und ‚Gruppen‘ bis ‚Maneo‘ werden getrennt per Strichliste erfasst und dann addiert). Bei der Gruppenraumbelegung finden sich allerlei Gruppen, jedoch nichts zu Aids, und von den 712 psychologische Beratungen (davon 408 im MoM) ist auch nicht angegeben, ob einige von ihnen auch zu Aids stattfanden.

[Nebenbei, es ist eine etwas kurios anmutende Methode, die Nutzerzahl durch Addition von Strichlisten der einzelnen Bereiche zu ermitteln: ich war am vergangenen Montag im MoM, um mit Bastian Finke über meine Erfahrungen mit Maneo zu sprechen. Ich fragte zunächst am Beratungscounter nach Bastian, bestellte dann in der Wartezeit ein Wasser am Tresen und sprach anschließend im Maneo-Büro mit Bastian. Zwischendurch war ich auch noch ‚anonym‘ an den Infomaterial- Auslagen. Bin ich nun als insgesamt 4 Besuchskontakte gezählt worden? Wie gut dass ich nicht auch noch nach dem Gruppenraum gefragt hat – das hätte ja die Statistiken arg verfälscht…]

8,84% der Besuchskontakte zu HIV/Aids – und zu beinahe 50% aus HIV-Mitteln finanziert, das ist ein seltsamer Kontrast. Mein Staunen über das vermeintliche HIV-Präventionsprojekt Mann-O-Meter wird größer. Und ich frage mich: warum werden Senats-Mittel aus dem Bereich „HIV-Prävention“ in hohem Umfang für ein Switchboard ausgegeben, das kaum HIV-Prävention zu machen scheint? Wären die wenigen HIV-Mittel, die verfügbar sind, nicht an anderer Stelle effizienter (gleich gegen HIV wirksamer) eingesetzt?

Wohlgemerkt, es geht hier nicht darum, ob das Projekt Mann-O-Meter sinnvoll ist. Aber es geht darum, die für HIV-Prävention und Aids-Bekämpfung vorgesehenen Landes-Mittel möglichst effizient genau für diesen Zweck einzusetzen.
Ein schwul-lesbisches Switchboard mag weiterhin seinen Sinn haben (auch wenn hier sicher die Frage im Raum steht, inwiefern sich z.B. durch Internet etc. veränderte Umfeldbedingungen ergeben haben), und es kann begrüßenswert sein, dieses aus Senatsmitteln zu fördern. Aber bitte doch aus einem Fördertopf für schwul-lesbische Projekte, nicht aus den eh schon sehr ausgezehrten Aids-Fördermitteln.

Wenn ich mir überlege, wie viel ein vor-Ort-Projekt zur HIV-Prävention mit 200.000€ jährlich und geschickter Kombination von hauptamtlicher Betreuung / Qualitätssicherung und ehrenamtlicher vor-Ort-Arbeit bewegen könnte – das würde schon einige der in der Koalitionsvereinbarung angemahnten ’neuen Ansätze in der Prävention‘ ermöglichen …

Bedacht bei den Zahlen

„Die Schwulen infizieren sich wieder mehr mit HIV“ – so oder ähnlich geistert es langsam wieder durch die Medien. Ein wenig Bedacht mit den Zahlen ist angebracht.

Der Welt-Aids-Tag naht, und viele starren gebannt auf die neuen HIV-Infektions-Statistiken. Die ersten Blogs und Journale vermelden bereits, schon wieder seien die Zahlen gestiegen, die Schwulen wären wieder unvorsichtig, usw. Fast meint man manchmal, eine verquere Sehnsucht nach ‚damals‘ und allerlei Gauweilereien durch die Zeilen riechen zu können.

Aber Vorsicht. Die Zahlen wollen schon interpretiert werden.

Das Robert-Koch-Institut spricht in seinen Statistiken von „neu diagnostizierten HIV-Infektionen“.“Neu diagnostiziert“, nicht „neu infiziert“. Es gilt also, nicht Neu-Infektionen und Neu-Diagnosen miteinander zu verwechseln. Was jetzt gemessen (=diagnostiziert) wird, muss sich nicht auch jetzt (im Betrachtungszeitraum) infiziert haben. Gemessen werden Neu-Diagnosen.

Hinzu kommt: in einigen Städten (wie z.B. schon länger München, jetzt auch Berlin) wird unter Schwulen teils massiv für den HIV-Test geworben [manchmal mit dem mir seltsam anmutenden Gedanken, das sei Primärprävention], werden ganze Testkampagnen durchgeführt.
Das bleibt nicht ohne Folgen, auch für die Statistik: wer viel misst – fördert logischerweise auch mehr Infektionen zutage. Und, da gezielt unter Schwulen der Test propagiert wird, führt dies auch zu einer Erhöhung des Anteils der Gruppe der Schwulen (statistisch MSM) unter den gesamten Neu-Diagnosen.
Und – auch diese Neu-Diagnosen sind nicht zwingend auch (jetzige) Neu-Infektionen.

Aus Anstiegen in den Zahlen also einfach zu schließen, die Zahl der Neu-Infektionen unter Schwulen wäre jetzt gestiegen, wäre gleich zweifach (Neu-Diagnosen ungleich Neu-Infektionen, statistische Auswirkungen der Testkampagnen unter Schwulen) zu kurz gedacht …

Noch eine persönliche Anmerkung:
Auch ich habe Bauchschmerzen bei der Tatsache, dass sich jedes Jahr um die 2.000 Menschen allein in Deutschland mit HIV infizieren. Ja, ich habe „die schlimmen Jahre“ Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre miterlebt, weiß was es bedeutet Aids zu haben, jämmerlich daran zu sterben. Auch ist mir unwohl bei dem Gedanken, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, an diese 2.000 Neu-Diagnosen pro Jahr, sie als etwas beinahe ‚Normales‘ hinnehmen.
Aber wenn wir wirksam dagegen handeln wollen, statt nur plakativ ‚drauf einzuschlagen‘, zu abgestandenem ‚law and order‚ zurückzukehren, dann ist es doch erforderlich bei den Zahlen genauer hinzu sehen. Nicht voreilig bequeme Schlüsse ziehen, die doch oft nur bestehende Vorurteile bestätigen sollen, sondern bedacht analysieren und gezielt handeln.

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

USA ändern HIV-Test-Politik – zukünftig „Routine“

In den USA werden die Empfehlungen für HIV-Tests geändert. HIV-Tests sollen zukünftig zu einer „normalen Routine-Untersuchung“ werden.

Die US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control) empfiehlt ab heute (22.9.2006) allen Erwachsen und Heranwachsendem im Alter zwischen 13 und 64 Jahren, einen HIV-Test als „routinemäßige medizinische Screening-Untersuchung“ durchzuführen.

Die neuen Richtlinien empfehlen, Patienten sollte bei ihrem Hausarzt zukünftig regelmäßig ein HIV-Antikörper-Test (umgangssprachlich fälschlicherweise gern Aids-Test genannt) angeboten werden. De facto soll dies dazu führen, dass HIV-Test zu einem medizinischen Routine-Angebot werden

Ärztevereinigungen in den USA zeigten sich erfreut über die Änderung. HIV-Ärzte betonten, sie sähen derzeit viel zu viele Patienten, die erst zusammen mit einer schwersten Erkrankungen von ihrer HIV-Infektion erfahren. Ein früherer Test könne diesen Patienten rechtzeitiger wirksame Therapien ermöglichen. Zudem seien die Behandlungskosten insgesamt niedriger, wenn Patienten rechtzeitig behandelt würden.

Bisher wird der HIV-Antikörper-Test (nicht nur in den USA) anders als übliche Gesundheitsuntersuchungen gehandhabt. Insbesondere sind bisher intensive vorherige Beratung und ein getrennte schriftliche Einwilligung (informed consent) erforderlich.
Zukünftig sollen die Beratungen vor einem Test auf ein Minimum beschränkt werden. Die Einwilligung soll innerhalb des Standard-Formulars für ansonsten bisher schon übliche Untersuchungen mit erfolgen (kein getrennter informed consent mehr).

Warum die jetzt als Hemmnisse empfundenen, damals aber ja absichtsvoll eingeführten Maßnahmen heute als nicht mehr erforderlich empfunden werden, wurde von den CDC nur unzureichend erklärt.

Die aktuelle Änderung soll, so US-Ärzte, ein Schritt dazu sein, Test-Hemmnisse abzubauen. Routine- HIV-Tests könnten dazu beitragen Leben zu retten, betonen sie. Hintergrund ist, dass trotz zahlreicher Präventionsbemühungen sich ca. 40.000 US-Amerikaner im Jahr mit HIV infizieren.

Aids-Aktivisten kritisierten vereinzelt, auch in den USA sei Diskriminierung aufgrund von HIV immer noch gesellschaftliche Realität. Wenn der Staat nunmehr mit Routine-Tests dermaßen tief in die Privat-Sphäre eindringe, verdient es der Einzelne, zumindest darüber informiert zu werden, die positive Test-Ergebnisse gespeichert und von wem weiterverwendet werden.

Fragen wie inwieweit die US-Regierung mit ihren Abstinenz-Kampagnen vielleicht an der Präventions-Realität vorbei arbeitet, werden durch die neuen Richtlinien nicht gestellt, erst recht nicht gelöst.

Centers for Disease Control and Prevention. Revised recommendations for HIV testing of adults, adolescents and pregnant women in health-care settings. MMWR 55 (RR-14): 1-18, 2006

Zahlen allein sind (k) eine Qualität

Im kanadischen Toronto endete am Freitag die 16. Welt-Aids-Konferenz mit einer Abschluss-Zeremonie. Peter Piot, Direktor der Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS, wertete die Konferenz, die vom 13. bis 18. August unter dem Motto „Time To Deliver“ stattfand, als großen Erfolg.

Die von der International Aids Society IAS organisierte Welt-Aids-Konferenz in Toronto war die größte Aids-Konferenz aller Zeiten mit 24.000 (!) Teilnehmern – Ärzte, Wissenschaftler, Politiker und Aktivisten.

Gigantisch war vermutlich auch das Budget der Konferenz, das mehrere Millionen US$ umfasst haben dürfte, zuzüglich der Aufwendungen jedes der 24.000 Teilnehmer (Reise- und Hotel-Kosten, etc.), Aufwendungen der Pharma-Industrie für ihre oppulenten Stände und Veranstaltungen etc. Allein die Registrierungsgebühr (standard) belief sich für Teilnehmer aus OECD-Staaten auf 750 US$ (nach 15.6. 995$), für Teilnehmer aus nicht-OECD-Staaten auf immer noch 550$ (nach 15.6. 730$).

Ich erinnere mich an die (wenigen) Welt-Aids-Konferenzen, an denen ich selbst teilgenommen habe. Riesige Treffen, eine beinahe unüberschaubare Vielzahl an Veranstaltungen, Symposien, Plena. Vorträge auf höchsten oder manchmal auch beklagenswertem Niveau. Viel Trubel um den immer gut besuchten Marketing-Zirkus der Pharma-Industrie.

Weltweit sind derzeit etwa 65 Millionen Menschen mit HIV infiziert, 25 Millionen an den Folgen von Aids verstorben.
Das Motto der diesjährigen Konferenz, „Time To Deliver“, wies u.a. auf die Notwendigkeit hin, allen Positiven, insbesondere in den ärmsten Staaten der Welt, wirksame antiretrovirale Therapien verfügbar zu machen.
Viele Millionen US-Dollar für eine gigantomanische Konferenz auszugeben scheint mir angesichts dieser Zahlen ein seltsam anmutendes, fragwürdiges Unternehmen.

Laut Welt-Gesundheits-Organisation WHO sind wirksame antiretrovirale Therapien in ‚Entwicklungsländern‘ schon für Kosten von 300 bis 1.200 US$ für den Medikamentenbedarf eines ganzen Jahres machbar. Pro Million Dollar, die die Konferenz gekostet hat, könnten also (bei der 300$-Therapie) weit über dreitausend Positive ein ganzes Jahr lang mit Medikamenten versorgt werden.
Gehen wir einmal als Annahme davon aus, dass die Konferenz mindestens 30 Mio. $ an Kosten verursacht haben dürfte, hätten also allein mit diesen Kosten 100.000 (einhundert Tausend) Positive in den ärmsten Staaten der Welt ein Jahr lang antiretroviral behandelt werden können!

Hunderttausend Positive – das sind viele Menschenleben. Bleibt zu hoffen, dass diese Konferenz einen derart hohen Einsatz an Resourcen wert war – und doch, mir bleiben Zweifel, ob solche Riesen-Konferenzen wirklich noch Sinn machen. (Teilnehmer-) Zahlen allein machen eben noch keine Qualität aus…

Zumal die Konferenz andererseits ohne ausreichende Finanzierungs-Zusagen für die von Aids am stärksten betroffenen armen Staaten der Welt zuende ging. Die (reichen) G8-Staaten haben außerdem ihre bisher gegebenen Spendenzusagen noch nicht voll eingehalten.
Auch wegen fehlender finanzieller Mittel sterben jeden Monat Tausende Menschen an den Folgen von Aids.

Millionen HIV-Infizierte und Aids-Tote weltweit. Fehlendes Geld und fehlender politischer Wille (nicht nur in den ‚reichen‘ Staaten). Und andererseits eine monströse Konferenz mit riesigem finanziellen Budget und publicity-trächtigem Star-Aufgebot – welch seltsamer, bitterer Kontrast.

Nachtrag 17.10.06:
Die Konferenzkosten lagen bei ca. 48 Mio. US-$ (40 Mio. €). Dies würde bedeuten, mit den Beträgen, die die Konferenz (ohne sekundäre Kosten) verursacht hat, hätten 144.000 Positive ein Jahr lang antiretroviral behandelt werden können.