Sex? Outing?

Ein Versuch mich zu dem Artikel „HIV und Sex, soll ich es sagen oder schweigen? Gedanken einer HIV-positiven Frau“ partiell zu äussern.

Ich hatte – als Frau – mit oder ohne HIV/AIDS – immer ein erfülltes Sexualleben, auch vor meiner jetzigen Liebesbeziehung.

Wenn ich Lust auf Sex hatte, habe ich gesucht und gefunden. Das war zumindest wenn es um Sex mit Männern ging, nie ein Schwierigkeit.  (Ich habe öfters mal grinsen müssen, wenn ich mir die Klagen von Heteromännern diesbezüglich anhörte. Allerdings glaube ich nicht daran, dass es an HIV/AIDS scheiterte, als vielmehr an ungeschicktem Werben und Freien! )

Zugegeben, einen Partner zu finden war etwas schwieriger, aber Sex?

Nun, am Anfang meiner Infektion hatte ich öfters Sex mit anderen Menschen mit HIV/AIDS als mit Ungetesteten oder HIV-Negativen. Allerdings orientiert sich mein Begehren nicht an einem Virus.

Ich wollte weiterhin frei wählen können. Und das tat ich.

Das Outing fand ich nie nicht besonders spannend, brachte es doch immer eine vorübergehende Ablenkung vom Knistern und Funkeln mit sich. Es hat übrigens selten jemanden von gemeinsam erlebter Lust abgehalten. Ich glaube gesamthaft genau zweimal begehrte ich und wurde (angeblich) wegen HIV/AIDS abgewiesen. Das war schmerzhaft, weil es nicht Begehren alleine war, sondern Verliebtheit und Zukunftswünsche im Spiel waren.

Drei weitere Male habe ich jemanden von der Bettkante gestoßen, weil er dem Kondom trotzen wollte. Sprich ich habe nach erfolgreicher Suche nach Sexualpartner dreimal selbst entschieden auf  Sex zu verzichten. Einmal mittendrin, ja, weil der Idiot meinte er müsse heimlich das Kondom entfernen (ich hoffe er liest mit und errötet nochmals!).

Natürlich will ich damit nicht sagen, HIV/AIDS mache sexy, bestimmt nicht. Das Virus hatte einfach nie diese Macht über mich, dass ich aus Scham und Angst meine Libido zurückstellen wollte oder musste.

Wahrscheinlich hatte die Infektion meine Sexualität und Körperlichkeit nicht einschneidend verletzt. Dafür gab es anderes, vor meiner Infektion, das mir einiges abverlangte. Aber ich glaube tatsächlich, dass ich, was meine Sexualität angeht, ein hohes Mass an ( körperlicher und seelischer?) Freiheit genieße.

Für mich ist das Outing eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht auch, weil ich selbst – seit es die HIV-Antikörpertests gibt – informiert war, über den HIV-Status meiner (Sexual-)Partner, gerade auch vor meiner eigenen Infektion. Zudem kommuniziere ich prinzipiell gerne über einiges vor dem Sex.

Ich sage ja auch, hey ich habe gerade die Menstruation … oder ich will auch wissen, ob mein Gegenüber gerade Pilz oder andere „nette Käfer“ hat!

Was mich allerdings seit meiner Infektion lernen musste, ist, dass die Kommunikation nicht einseitig wird, nur wegen meiner Infektion!  Irgendwann habe ich mir angewöhnt zumindest mündich Auskunft zu verlangen, darüber, was das Gegenüber über seinen eigenen Serostatus weiß. Denn  der Umstand, dass doch einige meiner Sexualpartner und Sexualpartnerinnen, sowie einige meiner Ex-en, es fertig gebracht haben nach dem Sex oder nach der Liebelei tatsächlich hinzugehen und sich auf HIV testen zu lassen, hat mich wütend gemacht.  Oft war’s dann zum ersten (!) Mal in ihrem Leben oder zumindest das erste Mal seit langem. Ich hatte schlicht keine Lust die Gesamtverantwortung für ihr Handeln in sexuellen Begegnungen zu übernehme und mir was anhängen zu lassen, mit dem ich nichts zu tun habe!

Abgesehen davon, ich will mich schützen können vor weiteren Infektionen und möglichen Komplikationen bei Verlauf und Behandlung.

Seit langem stehe ich in der Öffentlichkeit dazu kondomlosen Sex zu haben, in gegenseitiger Absprache und unter den von der EKAF (eidgenössische Kommission für AIDS Fragen) formulierten Bedingungen. In der Schweiz mache ich mich dennoch strafbar, jedenfalls so lange, bis der Artikel 231 des StGb im Epidemiengesetz nicht tatsächlich geändert wird. Ich hoffte dadurch ein Bundesgerichtsurteil zu provozieren, was bisher aber nicht gelungen ist.

Was mich immer wieder erstaunt ist, wie viele Menschen mit HIV/AIDS davon überzeugt sind, dass sie ihren HIV-Status verschweigen müssen.

Ich verstehe sehr gut, dass der Status verschwiegen wird aus Angst vor Ablehung im intimen Setting, oder aus Angst vor Ausgrenzung und Arbeitsplatzverlust, und ja, schlussendlich auch aus Angst vor Kriminalisierung.  Und ich weiß wohl wie machtvoll Angst ist.

Aber, ich bin überzeugt, dass Mensch durchaus lernen kann damit umzugehen. Nur Mut! Wenn sich was ändern soll, dann müssen wir das schon selber bzw. gemeinsam an die Hand nehmen. Ich glaube nicht, dass schweigen und abwarten der Weg ist. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es nicht der einfachste Weg ist und ich erwarte auch nicht, dass sich alle outen.

Aber, mich kann das Versteckspiel samt der Klagerei mitunter auch mal gehörig ärgern. Wie soll denn die Stigmatisierung bitte ändern, ( falls das überhaupt möglich ist?!) wenn Versteckspiel die Norm ist?

Aber vor allem, wie ehrlich wird mit der Motivation hinter dem Schweigen umgegangen? Manchmal habe ich den Verdacht, dass der Weg des geringsten Widerstandes gewählt wird um sich vermeintlich selbst zu schützen.

Nun, wer seinen Status verschweigen will – Betonung auf will – der kann das doch tun, meiner Meinung nach, kein Problem. Und wer dabei safer sex pflegt, braucht sich ja auch null Gewissen zu machen, oder? Unverständnis empfinde ich erst, wenn darüber dann geklagt wird, ohne dass Mensch andere Wege sucht, die ihn befreien oder erleichtern. Es gibt genug Menschen, die offen leben und auch bereit sind ihre Erfahrungen (mit-) zu teilen. Bestimmt fehlt es an gezielter Unterstützung und Begleitung beim Outing und die Beratungen lassen da öfters zu wünschen übrig. Aber den eigenen Prozess muss JedeR selbst an die Hand nehmen und wer sich unfrei fühlt in seinem Schweigen, ist oftmals durchaus frei genug sich Gedanken über andere Möglichkeiten im Umgang mit dem persönlichen Outing zu machen. Sich hinter der Angst zu verstecken, empfinde ich als etwas bequem.

Was anderes ist es bei Einigen, die politisch, juristisch oder medizinisch im Bereich HIV/AIDS unterwegs sind. Ich weiß dass ihre Professionalität und die ihrer Arbeit abgewertet würden, weil der Nimbus der Parteilichkeit oder Befangenheit dabei plötzlich ins Feld geführt würde. Ihr Schweigen bedeutet groteskerweise auch ein Einstehen für die Sache!

Und „Gopferdeggel“, einige unter uns leben mit HIV/AIDS, weil nicht geredet wurde, vor dem Sex, weil die Angst vor Ablehnung zu groß war …

Keine Bange, ich stehe weiterhin für mich, und für jene ein, die selbst nicht hinstehen können oder wollen, das ist keine Frage. Und ich bin weit davon entfernt jemanden zu verurteilen der sich über seinen HIV-Status ausschweigt, in welchem Setting auch immer.  Nur wünsche ich mir, dass manch EineR auch mal genauer hinschaut und seine Motivationen und Möglichkeiten prüft, anstatt zu sich „nur“ als Opfer zu fühlen und zu klagen. Nur Mut!

lch wollte nie wieder Sex haben.

lch wollte nie wieder Sex haben.

Marcel ist 21 Jahre alt, lebt in Essen und arbeitet als Angestellter bei der Stadt

Homo? Hetero? Bi? Ich war verwirrt
Seit etwa eineinhalb Jahren lebe ich in meiner eigenen Wohnung, ganz in der Nähe von meinem Elternhaus. Zu meinen Eltern hatte ich immer ein sehr gutes Verhältnis. Elf Jahre lang war ich ein Einzelkind, dann wurde meine kleine Schwester geboren, sie war eine richtige Nachzüglerin.

So mit 13 oder 14 ist mir aufgefallen, dass ich Jungs mag. Anfangs haben mich allerdings manche Mädchen auch noch interessiert. Deshalb wusste ich erst mal nicht, was ich eigentlich bin: Homosexuell? Heterosexuell? Bisexuell? Ich habe dann einige Erfahrungen gemacht, auch mit Mädchen, und es hat sich herausgestellt, dass ich schwul bin. Mit Mädchen, das hat irgendwie überhaupt nicht gepasst.

Diese Klarheit war für mich wichtig, und dann konnte ich es auch anderen erzählen. Zu Hause war es zunächst mein Vater, mit dem ich ein sehr gutes Verhältnis habe. Seine Reaktion: „Du bist mein Sohn, und es bleibt alles so, wie es ist.“ Meine Mutter hat es auch ganz gut aufgefasst. Allerdings war sie zunächst ein bisschen enttäuscht, da ich es dann wohl nicht sein werde, der ihr Enkelkinder schenken wird. Meine Eltern haben mich aber immer unterstützt und das ist für mich sehr wichtig!

In der Schule habe ich mich dann auch geoutet – und zwar gleich vor der ganzen Klasse. Mein Lehrer hat mir dabei den Rücken gestärkt. Ich hatte mich darauf vorbereitet, dass vielleicht nicht alle begeistert und verständnisvoll reagieren werden. Aber es gab keine Probleme – im Gegenteil! Ein Mitschüler war so ein typischer Machotyp, der immer den Mädchen hinterhergelaufen ist und sehr gut aussah. Ich hatte gedacht, dass er ein Problem mit Schwulen haben würde. Aber er sagte: „Warum sollen wir das nicht akzeptieren? Du musst ja auch akzeptieren, dass ich auf Mädchen stehe.“ Diese Reaktion hat mir gezeigt, dass man Leute nicht voreilig als intolerant und oberflächlich einschätzen sollte.

Klar wusste ich, dass es HIV gibt – aber das war alles sehr oberflächlich
So mit 18 Jahren bin ich das erste Mal in die Szene gegangen. Klar wusste ich da schon, dass es so etwas wie HIV gibt, aber es war für mich nicht sichtbar. Es gab da niemanden, der gesagt hätte: „Hallo, hier bin ich und ich habe HIV.“ Ab und an wurden irgendwo Kondome, aber das war alles sehr oberflächlich. Vielleicht ist diese Erfahrung einer der Gründe dafür, dass ich heute einen ganz anderen Blick auf diese Sache habe.

Aber eins nach dem anderen: Den ersten Sex hatte ich mit meinem ersten Freund, als ich 18 Jahre alt war. Ich war mit ihm etwa anderthalb Jahre zusammen. Anfangs haben wir Kondome verwendet. Als es ernster wurde mit uns, haben wir jeder einen HIV-Test gemacht, uns das Ergebnis gegenseitig gezeigt und dann auf Kondome verzichtet. Ich hatte dafür genügend Vertrauen zu ihm. Bis zum Ende dieser Beziehung habe ich über Safer Sex nicht mehr nachgedacht. Vielleicht habe ich es mir da ein bisschen zu leicht gemacht. Aber ich glaube bis heute, dass er nicht fremdgegangen ist – genau wie ich.

Nach der Trennung wollte ich mich dann mal ein bisschen austoben. Auch da habe ich nur Safer Sex gemacht. Nicht aus Angst davor mich anzustecken, sondern einfach weil ich verstandesmäßig wusste, dass man sich mit Kondomen vor HIV und einigen anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützen kann.

Dann ist es doch passiert …
Wie kommt es dann, dass ich trotzdem HIV-positiv bin? Ich hatte jemanden kennen gelernt, und die Sache entwickelte sich in Richtung Beziehung. Alles lief super und nach ein paar Wochen hatte ich das Gefühl, dass er das auch so sah. Deswegen habe ich mich darauf eingelassen, ohne Kondom mit ihm zu schlafen. Ich hatte Vertrauen zu ihm und in meiner vorherigen Beziehung war ja auch alles gut gegangen. Ich habe gedacht: Wenn er mich mag, dann will er mir nicht wehtun. Wenn er HIV-positiv wäre, würde er keinen ungeschützten Sex mit mir haben. Dass es Leute gibt, die gar  nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind, daran habe ich nicht gedacht.

Ich glaube, dass sehr viele Ansteckungen auf so eine Weise entstehen: Man vertraut jemandem, aber es gibt eigentlich noch gar keine richtige Beziehung und man weiß noch nicht genug vom anderen. Oder der Partner geht eben doch fremd. Es gibt Leute, die oberflächlich lieb und nett wirken, aber in Wirklichkeit ist denen egal, was mit dir passiert. Deswegen möchte ich gerade jungen Leuten erzählen, wie wichtig es ist, sich in solchen Situationen zu schützen.

Ich selbst habe sogar damals noch gedacht, dass es besser wäre, wenn wir ein Kondom benutzen würden. Nach dem Sex kamen dann auch Zweifel und Ängste auf. Die hab ich dann aber erst mal verdrängt: Warum sollte ausgerechnet ich bei diesem einen Mal zur falschen Zeit am falschen Ort mit der falschen Person Sex gehabt haben?

Nach zwei Wochen kamen die ersten Symptome: eine Grippe und eine Entzündung der Mundschleimhaut. Obwohl ich meinem Arzt davon erzählt hatte, was passiert war, gab er mir einfach nur Antibiotika. Die haben auch erst mal geholfen – aber die Angst blieb. Na ja, ich hab dann einen Test gemacht. Und der war positiv.

Am Anfang habe ich noch gedacht: Ich bin selber schuld – total blöd, naiv und dumm
Als ich auf dem Gesundheitsamt mein Ergebnis bekommen hatte, bin ich direkt nach Hause gefahren und habe mich schlafen gelegt. Ich war traurig, klar – aber das richtige Gefühlschaos kam erst ein paar Tage später. Ich habe mich erst mal zurückgezogen, mit niemandem gesprochen. Irgendwann hat meine Mutter mich gefragt, was denn los sei, warum ich mich so abschotte. Und da habe ich es ihr gesagt. Das war ein sehr emotionaler Moment.

Meine Eltern sind dann mit mir zur Aidshilfe gegangen. Es hat ihnen geholfen,
Informationen zu bekommen. So ging es mir selbst ja auch: Ich habe mit professionellen Leuten geredet und dabei mehr und mehr über HIV erfahren. Für mich war es genauso wie für meine Eltern: Mit jedem Schritt wurde es ein bisschen leichter.

"Ich wollte nie wieder Sex haben." - Marcel
"Ich wollte nie wieder Sex haben." - Marcel

Am Anfang habe ich noch gedacht: Ich bin selber schuld – total blöd, naiv und dumm. Heute denke ich, dass nichts davon zutrifft. Ich habe halt einen Fehler gemacht – und das ist einfach nur menschlich. Viele anderen machen den gleichen Fehler und haben vielleicht einfach Glück. Andere machen andere Fehler, nur dass die nicht so schwere Folgen haben. Wenn mir heute jemand erzählen will, ich sei Opfer meiner Dummheit oder Naivität, dann denke ich: „Leck mich, pass lieber auf dich selber auf!“

Meine Offenheit hilft auch mir selbst, mit der Infektion umzugehen
Ich versuche jetzt, mit der HIV-Infektion zu leben, so gut es geht. Dazu gehört für mich auch, darüber zu sprechen, privat genauso wie auf Facebook, in meinem Blog und in meinem Youtube-Kanal. Ich will mich nicht verstecken, weder in der Familie und bei Freunden noch bei der Arbeit. Ich möchte erreichen, dass sich die Menschen mit HIV auseinandersetzen und Vorurteile abbauen. Im Netz habe ich bisher keinen anderen HIV-Positiven in meinem Alter gefunden, der aus seinem Leben erzählt. Also tue ich das.

Meine Offenheit hilft auch mir selbst, es ist ein bisschen wie eine Therapie. Wenn ich über meine Erlebnisse erzähle oder schreibe, kann ich sie gleichzeitig mit ein bisschen Abstand betrachten und sortieren.

Im privaten Bereich habe ich mit dieser Strategie bisher überhaupt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Auch bei der Arbeit gab es keine Probleme. Im Gegenteil, ich bekomme viel Unterstützung. Im Internet ist das anders, da gibt’s schon Menschen, die mich angreifen. Das geht bis hin zu Morddrohungen. Oft höre ich zum Beispiel: „Wenn du nicht schwul wärst, dann wäre dir das auch nicht passiert.“ Dahinter steckt Schwulenhass. Ich denke, die Leute, die sowas sagen, haben Frust und trampeln dann eben auf anderen rum.

Manchmal habe ich fünf E-Mails am Tag, in denen ich beleidigt werde, zum Beispiel als „Virenschleuder“. Wenn ich bedroht werde, zeige ich das bei der Polizei an. Ansonsten antworte ich auf solche Sachen nur, wenn falsche Behauptungen drinstehen, zum Beispiel dass HIV eine Schwulenkrankheit ist. Das lasse ich dann so nicht stehen.

Die Leute sind insgesamt viel zu wenig aufgeklärt über HIV. Viele sprechen von Aids, wenn sie HIV meinen. Das hat man in der Berichterstattung über Nadja Benaissa gut sehen können. Da hieß es dann: „der Aids-infizierte Todesengel“ Aber das stimmt ja nicht: Sie hat das Virus, nicht Aids. Und die Infektion ist heute eine chronische Krankheit, die nicht mehr zu Aids führen muss – bei allen Problemen und Nebenwirkungen der Medikamente, die damit verbunden sind. Ich wünsche mir sehr, dass solche Informationen in die Köpfe kommen!

Wie wenig sogar Ärzte manchmal aufgeklärt sind, zeigt mir das Verhalten meines Zahnarztes. Ich habe ihn darüber informiert, dass ich positiv bin, damit er die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen ergreifen kann – für ihn und für mich. Aber er wollte mich dann nicht mehr behandeln, weil er seine Patienten und seinen Ruf gefährdet sah! Diese Erfahrung machen viele HIV-Positive. Ich habe das akzeptiert, auch wenn ich natürlich weiß, dass keinerlei Gefahr besteht, wenn der Zahnarzt sich an alle Hygieneregeln hält.

Diskriminierung und Zurückweisung sind ohnehin ein großes Thema. Nicht jeder kann an seinem Arbeitsplatz oder bei Freunden so einfach über seine Infektion sprechen wie ich. Manchmal werde ich auf Partys von Leuten angesprochen, die auch positiv sind, es aber auf jeden Fall geheim halten wollen. Oft merke ich dann, wie unglücklich sie damit sind – obwohl es ihnen gesundheitlich nicht schlecht geht. Der Grund ist nur das, was sie in ihrem sozialen Umfeld erleben. Deswegen vertrete ich den Standpunkt, dass die Diskriminierung viel schlimmer ist als die gesundheitlichen Auswirkungen von HIV.

Natürlich frage ich mich auch, warum ich so offen sein kann und kaum schlechte Erfahrungen mache. Ich denke, das liegt einfach daran, dass ich mit mir Reinen bin. Man muss sich selber akzeptieren, dann ist es einfacher, mit dem Druck von außen umzugehen. Meine Erziehung hat viel dazu beigetragen, dass ich so selbstbewusst bin. Meine Eltern haben mir beigebracht, nicht auf die anderen zu achten, sondern auf mich. Es geht nicht um das, was man nach außen darstellt, sondern um das, was man ist, um die Persönlichkeit.

Nur weil ich damit so offen mit meiner Infektion umgehe, erwarte ich das aber nicht von jedem. Es ist nicht notwendig, anderen davon zu erzählen, um zu wissen, was man wert ist und sich zu akzeptieren.

Ich wollte nie wieder Sex haben
Ich stehe noch ganz am Anfang mit meiner Infektion: Das Testergebnis habe ich im Sommer 2009 bekommen, infi ziert habe ich mich relativ kurz davor. Bis auf ein paar kleine Ausnahmen geht es mir gesundheitlich sehr gut. Eine Therapie mache ich noch nicht, denn meine Blutwerte sind recht gut.

Was sich als erstes verändert hat, war mein Sexleben: Ich hatte wochenlang keinen Sex. Ich habe mich nicht einmal selbst befriedigt. Irgendwie hatte ich Angst vor dem, was da passiert, wenn ich einen Orgasmus habe. Ich habe mein Sperma und auch mein Blut gehasst und ich wollte eigentlich nie wieder Sex haben. Schließlich konnte da wer weiß was passieren, dachte ich.

Das hat eine ganze Zeit angehalten. Beim ersten Onanieren nach dem Testergebnis hatte ich nicht nur Lustgefühle, sondern ich habe mich auch geekelt. Aber dann ist eine Last von mir abgefallen: „So schlimm ist es nicht.“ Heute empfinde ich beim Sex wieder Lust. Aber ich achte sehr auf mich – denn ich möchte das Risiko einer Co-Infektion mit irgendeiner anderen Krankheit so gering wie möglich halten.

Bevor ich mit jemandem Sex habe, sage ich ihm immer, dass ich HIV-positiv bin. Ich sage es, sobald ich das Gefühl habe, da könnte was laufen. Das war am Anfang nicht einfach – aber inzwischen habe ich keine Angst mehr davor, einen Korb zu bekommen. Ich kann sogar verstehen, wenn jemand einen Rückzieher macht, denn ich weiß selber nicht, wie ich früher damit umgegangen wäre.

Die Szene ist ein für mich ein zweischneidiges Schwert
Ich gehe gern und oft in die Szene. Das bedeutet für mich Freiheit, weil’s eben eine Welt ist, wo man so sein kann, wie man ist – egal, ob man jetzt schwul ist, bisexuell, oder hetero. Das alles spielt da kaum eine Rolle – da gibt’s einfach nur Party! Alles mischt sich. Zugleich bedeutet Szene für mich aber, mich mit anderen Leuten austauschen zu können, die auch homosexuell sind.

Leider gibt es in der Szene auch viel Oberflächlichkeit und Intoleranz. Manche Leute glauben offenbar, dass man da nur hingehen darf, wenn man gut aussieht, wenn man cool ist oder tolle Klamotten anhat. Das sehe ich ganz anders! Schwule fordern Toleranz, verbreiten aber untereinander sehr viel Intoleranz. Deswegen ist Szene für mich ein zweischneidiges Schwert: Es macht Spaß, da hinzugehen für ein paar Stunden. Aber ich muss jetzt nicht montags bis sonntags jeden Abend in eine schwule Kneipe gehen – das wäre zu viel des Guten. Die Mischung macht’s.

Frankreich: ja, ich bin schwul – Minister Karoutchi outet sich (akt.)

Roger Karoutchi, Staatssekretär im Ministerrang für die Beziehungen zum Parlament, bestätigte am Freitag seine Homosexualität. Er sei glücklich, es gebe nichts zu verbergen.

Roger Karoutchi, 1951 in Casablanca geboren, ist Mitglied der UMP (früher des RPR) und seit 18. Mai 2007 Staatssekretär im Ministerrang für die Beziehungen zum Parlament (Secrétaire d’État chargé des Relations avec le Parlement).

Karoutchi betont „J’ai un compagnon et je suis heureux avec lui. Comme je suis heureux, je ne vois pas pourquoi il faudrait que je cache mon homosexualité“ (‚Ich habe einen Partner, und ich bin glücklich mit ihm. Ich bin glücklich, und ich wüsste nicht, warum ich meine Homosexualität verbergen sollte.‘).

Roger Karoutchi (Foto: rogerkaroutchi.info)
Roger Karoutchi (Foto: rogerkaroutchi.info)

Die Grundhaltung von Präsident Sarkozy habe ihm die Entscheidung, offen mit seiner Homosexualität umzugehen, leicht gemacht. Dieser lade seinen Partner zu privaten wie auch offiziellen Empfängen in gleicher Weise ein wie die Angehörigen anderer Minister.

Sarkozy habe ihn einmal in den Ferien eingeladen. Dabei habe er ihn gebeten auch seinen Partner mitzubringen, und auf sein (Karoutchis) Erstaunen habe Sarkozy bemerkt „Je te connais depuis trente ans. Je sais tout de toi, on n’en parle jamais. Ça suffit!“ (Ich kenne dich nun seit 30 jahren. Ich weiss alles von dir, auch wenn wir niemals darüber sprechen. Das reicht.“)

Das Interview für das Magazin ‚L’Optimum‘, in dem Karoutchi erstmals öffentlich über seine Homosexualität spricht, strahlt der französische Sender TF1 am 24. Januar erstmals aus.
Im Februar veröffentlicht Karoutchi ein Buch („Mes quatre vérités“), in dem er Medienberichten zufolge detaillierter über seine Homosexualität und seine Partnerschaft sprechen wird.

Nach dem Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë (öffentliches Coming Out 1998) ist Roger Karoutchi der zweite französische Spitzenpolitiker (und erstes Regierungsmitglied), der offen schwul ist.

weitere Informationen:
LeMonde online 23.01.2009 : Le ministre Roger Karoutchi révèle son homosexualité
Tetu 23.01.2009: Roger Karoutchi fait son coming-out
Karoutchis private Site rogerkaroutchi.info
Karoutchis Site als (früherer) Senator
Karoutchi im französischen Regierungs-Portal
tetu 26.01.2009: Roger Karoutchi préférait parler lui-même de son homosexualité
tetu 26.01.2009: GayLib salue le courage de Roger Karoutchi (GayLib ist der Name der Schwulengruppe der UMP)
tetu 25.03.2009: Pour Sarkozy, Karoutchi «n’aurait pas dû» faire son coming out
e-Ilico 25.03.2009: Karoutchi : Sarkozy attribue sa défaite à la primaire UMP à son coming out
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et – merci a un ami francais 🙂

Coming Out schwuler Fussball-Profis?

Gibt es bald das erste Coming Out eines schwulen Fußball-Profis?

Ja, meint Corny Littmann, und warum nicht gleich massenhaft?:

„Das halte ich für denkbar, ja. Allerdings wird es sicherlich kein Einzelner sein. Wenn es passiert, werden es mehrere zeitgleich tun. Mannschafts- und vielleicht auch ligenübergreifend. Vorher erwarte ich aber noch das Outing eines namhaften Exprofis. Das wäre der nächste Schritt.“

Und erklärt auch gleich, warum ein Coming Out eines Fussball-Profis nicht so einfach ist. Outing könnte der Karriere schaden (sie der Fall Daum, der sich ja sogar doch noch endlich irgendwann vielleicht mit schwulen Fans versöhnt …):

„Kölns Trainer Christoph Daum ist doch das lebende negative Beispiel.“

Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli, im Interview mit dem Hamburger Abendblatt am 30.10.2008.
Und das Blatt signalisiert mit der Überschrift „Schon bald kollektives Outing“, dass es den Unterschied zwischen Outing und Coming Out nicht verstanden hat …

Nachtrag 30.10.2008: ergänzend: am 7. November 20:15 bis 21:15 erneut im Programm des DSF: die Doku „Das große Tabu – Homosexualität und Fußball“ von Aljoscha Pause, gerade ausgezeichnet mit dem Felix-Rexhausen-Preis 2008

Coming Out eines Profi-Fußballers

Premiere im Fußball, zumindest im französischen Profi-Fußball: erstmal hat ein hochrangiger ehemaliger Liga-Spieler und früherer Nationalspieler sein Coming-Out.

Olivier Rouyer hat in der Fußballsendung ‚L’Equipe Magazine‘ (Ausgabe 16.2.2008) erklärt „Ja, ich bin schwul“. (via)

Rouyer, heute 52 Jahre alt, war in den 1970er Jahren Stürmer der Erstliga-Mannschaft von Nancy und der französischen Fußball-Nationalmannschaft. Heute ist er u.a. Berater des Bezahl- Kanalsystems Canal+.

Rouyer berichtete im TV weiter: „Anfangs hab ich ich versteckt. Eine Freundin diente mir als Alibi. Aber als ich nach Strasbourg ging [1981], hab ich mich verliebt, und ich wurde es leid zu lügen.“ Rouyer zog sich zurück. Bis heute. „Ich bin jetzt 52 Jahre alt, und ich bin glücklich. Es ist an der Zeit darüber zu sprechen …“

Einer von elf Fußballern ist schwul„, hatte das deutsche Fan-Magazin ‚Rund‘ schon Ende 2006 getitelt. Der Ruf blieb bisher ungehört, kein deutscher Profi-Fußballer hatte bisher sein Coming-Out als Schwuler.
Doch hierzulande heißt es nur zu oft immer noch ‚Ich bin Fußballer. Ich kann nicht schwul sein‘. Zur EM 2008 findet in Wien immerhin ein Plakat-Wettbewerb gegen Homophobie im Fußball statt, ‚endlich schwuler kicken‚ …

Coming Out in der Bank

Über ein ‚Coming Out mit Ende 20‘ berichtet die Frankfurter Rundschau. Offen als Schwuler auftreten am Arbeitsplatz .

Jean-Luc Vey, ein Physiker, Mitarbeiter einer deutschen Groß-Bank, berichtet über sein Coming-Out bei der Deutschen Bank, und welche Rolle dabei der Max-Spohr-Preis des ‚Völklinger Kreises‘ (Bundesverband für schwule Führungskräfte) spielte.

Vor vielen vielen Jahren war ich selbst an der Gründung des ‚Völklinger Kreises‘ beteiligt. Nach einiger Zeit bin ich aufgrund inhaltlicher Differenzen ob des damaligen emanzipatorischen Selbstverständnisses der Gruppe ausgestiegen. Schön jetzt zu lesen, dass der Preis, den der VK verleiht, auch solch positive Folgen für den Einzelnen haben kann …

Über eine Lesbe, die Schöpfungslehre und Kreationistenförderung

Die Gazetten freuen sich über Schlagzeilen, der LSVD lobt den ‚Mut‘ und auch homosexuelle Medien scheinen erfreut. Endlich mal wieder jemand aus der Politik, der ein Coming Out hat. Und dann auch noch gleich eine Ministerin. Und dann noch aus der CDU, sogar der hessischen. Ja, wenn das nicht was zum Vorzeigen ist! Das gibt was zum Lamentieren beim CSD genannten sommerlichen Rosenmontagszug …

Aber Vorsicht!
Was die hessische Kultusministerin Karin Wolff uns da auftischt, wirkt bei näherem Betrachten eher wie ein Schmierenstück aus dem billigsten Boulevard-Theater.
Will die Dame mit ihrer kalkulierten Inszenierung des Privaten etwas verdecken?
Vielleicht möchte sie ja, dass wir etwas nicht so genau wahrnehmen. Zum Beispiel dies: nur kurze Zeit vor ihrem freiwilligen Coming Out hat die Dame sich dafür ausgesprochen, dass die christliche Schöpfungslehre im Biologie-Unterricht hessischer Schulen thematisiert wird.

Wohlgemerkt, im Biologie-Unterricht. Nicht etwa im Religions-Unterricht.
Ein Gedanke, der doch frappierend an manche christliche Fundamentalisten, an Kreationisten erinnert.
Ein Gedanke, der einer gefährlichen Aufweichung der bisherigen Trennung von Wissenschaft und Glaube gezielt Vorschub leistet.
(Und, nebenbei, ich bin gespannt, wie sie Homosexualität, Synodalmitgliedschaft, C-Partei und Schöpfungsgedanke überein bekommt, und das bei den Parteifreunden, bei dem homofeindlichen schulpolitischen Sprecher usw.)

‚Outing ohne Tamtam‘ titelt ‚Queer‚ zum Outing von Wolff. Na – ich glaube bei der Dame wäre ein wenig kritisches Tamtam dann doch angebracht …

Heute ist ‚Coming Out Day‘ …

Am 11. Oktober, also heute, ist „Coming Out Day“, erfahre ich von schwulen US-Bloggern.

Bitte was?

Eigentlich mag ich es ja nicht glauben, recherchiere ein wenig, lese in anderen schwulen US-Blogs.

Tatsächlich, die Amis haben heute „National Coming Out Day“. Der Tag, erfahre ich in der US-Wikipedia, solle an den 11. Oktober 1987 erinnern, an dem 500.000 Menschen in einem Marsch auf Washington Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben forderten.

Naja ,wenn es den Tag der Muttersprache gibt, den Tag des Welt-Post-Vereins, den Tag des Öffentlichen Dienstes und den Tag der Poesie, warum dann nicht auch den Tag des Coming Outs.

Warum, allerdings, frage ich mich irritiert, wollen das dann auch die Schweizer feiern?

Zufällig ist allerdings heute auch der „International Day for Disaster Reduction“ (sagt mir die UNO, die für die ‚Internationalen Tage‘ zuständig ist). Diese Kombination ist nun doch Anlass zu Erstaunen, und ich frage mich besorgt, ob zwischen Coming Out und Desaster nun ein Zusammenhang besteht 😉