Kurz notiert … Juni 2010

28. Juni 2010: In Kiel wird ein 47jähriger HIV-positiver Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt wegen vollendeter sowie gefährlicher Körperverletzung.

25. Juni 2010: Ist einer Heilung von HIV/Aids möglich? Kann HIV komplett wieder aus dem Körper entfernt werden? Das US-amerikanische Magazin Technology Review untersucht diese Frage in einem umfangreichen Artikel „Can AIDS be cured?“

24. Juni 2010: Eine Kommission der Vereinten Nationen soll sich zukünftig einsetzen gegen Gesetze, die HIV-Positive und Aids-Kranke diskriminieren.

22. Juni 2010: Auch Aidshilfen können insolvent werden (auch wenn die Malaise in diesem Fall bereits eine längere Vorgeschichte hat): Aids-Hilfe steht vor dem Aus

19. Juni 2010: Courage beim Berliner CSD. Die Veranstalter wollen Judith Butler, Gender-Theoretikerin aus den USA, mit dem Zivilcourage-Preis ehren – und Butler lehnt auf der Bühne ab, der CSD sei zu kommerziell und richte sich nicht gegen wichtige Problem wie Rassismus oder doppelte Diskriminierung, z.B. von homo- oder transsexuellen Migrant/innen: Judith Butler nimmt Preis nicht an

17. Juni 2010: Kondome bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika, oder nicht?: Erst gegen Aufklärung. Jetzt plötzlich dafür, als sei nichts gewesen. – Endlich: Fifa gegen Aids.

15. Juni 2010: Nadja Benaissa hat eine Biografie verfasst. „Alles wird gut“ soll am 9. September erscheinen. Zuvor muss sich die Pop-Sängerin vor Gericht verantworten, am 16. August beginnt ihr Verfahren wegen des Vorwurfs gefährlicher Körperverletzung.
Die Einwohner von St. Petersburg (und der Rest der Welt) staunen über die Penis-Brücke.

12. Juni 2010: schwule Feuerwehrleute willkommen? – „Deutscher Feuerwehrtag Leipzig – Feuerwehr weltoffen und tolerant – Homosexualität als Thema auf der Interschutz“

10. Juni 2010: In Frankreich häufen sich Probleme mit der Medikamenten-Versorgung bei anti-HIV-Therapien. „Antirétroviraux: des ruptures de stocks en France“
Deutschland blockiere immer noch die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der EU, klagen (nicht nur) EU-Vertreter: „Brussels keen for Berlin to unblock EU gay rights law“.

9. Juni 2010: Kleinkrieg in der Aids-Arbeit in Brandenburg? „Kontrovers – Krieg im Präventionsmilieu“, berichtet blu.

8. Juni 2010: Steiermark: Mutter vor Gericht. Sie hatte ihr HIV-positives Kind nicht behandeln lassen wollen, trotz lebensbedrohlicher Lungenentzündung. Heute steht die ‚Anhängerin eines bekannten Wunderheilers‘ in Graz vor Gericht: „Körperverletzung – Mutter von HIV-Baby heute vor Gericht“
Reifungs-Inhibitoren sind eine neue Substanzklasse mit einem völlig neuen Ansatz gegen HIV – dich der einzig verbleibende Hersteller hat nun die Entwicklung vorerst gestoppt. man wolle für die weitere Entwicklung der Substanzklasse einen Partner suchen. „Myriad halts HIV maturation inhibitor drug programme“

7. Juni 2010: Muss Chemotherapie bei HIV-Positiven unter HAART mit Krebs-Erkrankungen anders dosiert werden? „People on HIV Meds Might Need Different Chemo Doses for Cancer“, berichtet POZ vorab über ein Poster auf der Jahreskonferenz der American Society of Clinical Oncology (ASCO).

5. Juni: Infizierte ein Akupunkteur in der Schweiz zahlreiche Menschen mit HIV, womöglich mit Absicht? Was bisher ein Verdacht ist, formuliert die Boulevard-Presse als vermeintliche Tatsache: „Heiler steckte 18 Menschen mit Aids an“.

4. Juni 2010: Anlässlich der Fußball-WM in Südafrika: Philipp Lahm ruft Fans zu Schutz vor HIV/Aids auf

3. Juni 2010: Bio-Terrorismus-Vorwürfe gegen HIV-Positive auch in den USA, nicht nur in Deutschland. Vorwürfe, die gegen einen HIV-Positiven unter Verwendung eines staatlichen Bioterrorismus-Gesetzes erhoben wurden, wurden nun niedergerschlagen. „Activists, advocates applaud dismissal of bio-terrorism charges“, berichtet The Michigan Messenger.

2. Juni 2010: Annie Lennox wird zum International UNAIDS Goodwill Ambassador ernannt.

1. Juni 2010: Outing oder nicht Outing? Mit der „Ethik und Etikette des Outing“ beschäftigt sich aus aktuellem Anlass Timothy Kincaid auf Box Turtle Bulletin: „The ethics and etiquette of outing

Droht eine Rückkehr des Problems der Resistenzen, falls HIV-Medikamente in großem Umfang zur ‚Prä-Expositions-Prophylaxe‘ (PrEP) eingesetzt werden? „Treatment and PrEP could be on a ‘collision course’, warns resistance expert“, berichtet aidsmap.

Nadja Benaissa: war Outing durch Staatsanwaltschaft unzulässig?

Mitte April 2009 wurde die Popsängerin Nadja Benaissa ohne ihr Wissen und Wollen durch die Staatsanwaltschaft Darmstadt als HIV-positiv geoutet. War dies zulässig? Nein, meint eine juristische Seminararbeit.

Mitte April 2009 wurde Nadja Benaissa, Sängerin der Pop-Band ‚No Angels‘, unter dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Übertragung verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wandte sich mit Informationen zu dem Fall, insbesondere auch zur HIV-Infektion von Frau Benaissa, an die Presse und Öffentlichkeit.

War dieses ‚Outing‘ durch die Staatsanwaltschaft zulässig?
War das Verhalten, die Medien proaktiv zu informieren, vom Informationsrecht der Medien gedeckt?
Oder kollidierte es mit dem höher einzuschätzenden Recht auf Privatspähre, gerade in einer solch stark die Privatheit angehenden Angelegenheit weie eine HIV-Infektion?

Die Staatsanwaltschaft geriet bald in Kritik, und auch der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn – der die Vorwürfe jedoch als „unbegründet“ zurück wies.

Die grundlegende Frage, gerade im aktuellen Fall, wie steht es um das Verhältnis von Informationsrecht der Öffentlichkeit und Recht der Person auf Privatsphäre ist damit jedoch weiterhin nicht beantwortet.

Eine Seminararbeit an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock fragt nun dazu, wie es um die „Rechtliche Zulässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Offenlegung der HIV-Infektion im Fall Nadja Benaissa“ steht.

Die 17seitige Seminar-Arbeit beschäftigt sich mit Ansprüchen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden sowie den Grundrechten der Pressefreiheit und den allgemeinen Persönlichkeitsrechten der Beschuldigten.

Bei der Abwägung von Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten betont der Autor

„Der freiwillig Auskunft gebende Staatsanwalt kann sich nicht ohne weiteres auf den Informationsauftrag der Presse oder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit berufen. Eine vom Leiter einer Staatsanwaltschaft veranstaltete Pressekonferenz mit der Preisgabe persönlichkeitsbezogener Daten kann nicht ohne weiteres mit dem Grundrecht der Pressefreiheit gerechtfertigt werden, das eine offensive Informationspolitik fordere.“

Er betont den (höheren) Rang der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten und konstatiert eine

„Ungleichrangigkeit der widerstreitenden Rechtsgüter …: während das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten Verfassungsrang genießt, ist ein solcher für einen Informationsanspruch der Presse gegen die Staatsanwaltschaft nicht gegeben“. Und später: „Vielmehr setzt sich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als gegenüber dem Informationsinteresse der Presse höherrangiges Gut regelmäßig durch.“

Der Autor kommt nach mehrfachen Abwägungen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu dem Schluss

„Deshalb sei hier abschließend betont, dass es sich bei der Meldung der Darmstädter Staatsanwalt bezüglich der HIV-Infektion einer jungen Frau um eine jener grundrechtliche geschützten Information handelt, die niemals ein so hohes öffentliches Interesse hervorrufen können, dass sie in der Abwägung zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zulässig sind. Frau Benaissa stünde damit ein verfassungsrechtliches Auskunftsverbot seitens der Staatsanwaltschaft zu.“

Danke an MgN!

weitere Informationen:
„Rechtliche Zulässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Offenlegung der HIV-Infektion im Fall Nadja Benaissa“, Seminararbeit zum Kommunikationsrecht am Juristischen Seminar der Universität Rostock (Prof.Dr. Gersdorf) (Sommersemester 2009)

Pop-Star: HIV-Outing bleibt ungeklärt – Prozess geplatzt

Recht auf Information der Öffentlichkeit, oder Recht auf Privat-Sphäre? HIV-Outing durch die Medien – zulässig im ‚höheren Interesse‘? Diese Frage, aufgeworfen durch den Fall der Verhaftung eines Pop-Stars wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung sowie die Medien-Berichterstattung darüber, diese Frage wird vorerst ungeklärt bleiben. Die Sängerin zog ihre Anträge zurück, die Verhandlung findet nicht statt.

Steht das Recht der Öffentlichkeit auf Information über dem Recht auf Privatsphäre? Die Verhaftung einer Pop-Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Übertragung und die anschließende drastische Medien-Berichterstattung darüber haben die Bedeutung dieser Frage erneut sichtbar gemacht.

Was ist höher zu bewerten? Das Recht der Öffentlichkeit auf Information? Oder das Recht einer (auch prominenten) Person auf Privatsphäre?

Darf man, konkreter dürfen die Medien Details aus dem Privat- und Intimleben einer Person, auch über ihre Gesundheit, eine etwaige HIV-Infektion, groß an die Öffentlichkeit bringen? Ist ein unfreiwilliges HIV-Outing in ‚höherem Interesse‘ (einer ‚informierten Öffentlichkeit‘) zulässig, auch zu Lasten der betreffenden Person?

Mit diesen Fragen sollte sich am 28. Mai 2009 die Pressekammer des Berliner Landgerichts zu beschäftigen haben.

Verhandelt werden sollte über den Einspruch des Axel-Springer-Verlags gegen eine Verfügung des Berliner Landgerichts. Dieses hatte dem Verlag auf Antrag der Anwälte der betreffenden Sängerin untersagt, weiterhin über die Ermittlungen in Zusammenhang mit der Verhaftung einer Popsängerin zu berichten, der HIV-Übertragung vorgeworfen wird.

Sollte – denn die für heute 28.5.2009 angesetzten Verhandlungen finden nicht statt.

Angesetzt waren wegen getrennter Verfügungen zwei Termine, einer zur Berichterstattung über die Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung sowie einer wegen der Berichterstattung über den Grund ihrer Festnahme.

Doch die Sängerin nahm am Mittwoch, 27. Mai überraschend über ihren Anwalt die beiden Anträge auf einstweilige Verfügungen gegen den Axel Springer Verlag zurück. Der Anwalt ebenso wie die betroffene Zeitung wiesen Spekulationen zurück, es sei zwischen beiden Seiten zu einem außergerichtlichen Deal gekommen.

Der Anwalt der Sängerin gab „strategischer Gründe“ für den Rückzieher an. Zuvor hatte er gegenüber der Presse geäußert, „wir arbeiten im Hintergrund“.
Ein Vertreter von Springer zeigte sich erfreut – der Verlag sehe sich in seiner Überzeugung bestätigt. Ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung über den Fall sei unbestreitbar. Den vollen Namen der verhafteten Sängerin hätten Staatsanwalt und Polizei mitgeteilt.

Der hessische Justizminister, der wegen der Umstände der Verhaftung und des Verhaltens der Staatsanwaltschaft unter Druck geraten war, hatte sich bereits Ende April öffentlich hinter die Staatsanwaltschaft gestellt. Die Kritik sei unbegründet, in diesem Fall gehe das Recht der Öffentlichkeit vor.

Die Frage, wie weit darf das Recht der Öffentlichkeit auf Information ausgelegt werden, wie weit darf in die Privatsphäre eingegriffen werden bleibt damit vorerst unbeantwortet.

Letztlich geht es dabei (auch) um die Frage, ob die Medien ein Recht auf ein unfreiwilliges HIV-Outing haben – oder eben nicht. Eine wichtige Frage, an deren Beantwortung großes Interesse bestanden hätte.

Der überraschende Rückzug ist eine weitere erstaunliche Facette im Fall der wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung verhafteten Sängerin.

Über die Verhandlung vor der Berliner Pressekammer wollte in ein Gastbeitrag Adam F. berichten. Adam hatte auf meine Suche nach einem Berichterstatter über die Verhandlung reagiert hat und sich bereit erklärt, zum Prozess zu gehen und zu berichten. So hätte er den Lesern von ondamaris (da ich selbst aufgrund anderer Termine nicht kann) einen Bericht aus erster Hand über diese wichtige Verhandlung ermöglicht. Dazu kommt es nun leider nicht – dennoch: auch an dieser Stelle ein besonders herzliches Dankeschön an Adam für sein Engagement!

weitere Informationen:
presseportal 15.04.2009: Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall Xxx Xxxxx
SZ 27.05.2009: No Angel: der Saal bleibt leer
SZ 27.05.2009: Ein Star sagt ab
FAZ 27.05.2009: Verfügung gegen Xxxxs „Brandbrief“
queer.de 28.05.2009: Xxxx Xxxxx geht nicht gegen Springer vor
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