Milliarden für unsere Inhalte

Blogger, MySpace, YouTube – immer mehr interessieren sich große Konzerne für die bunte Welt des user-generated content. Was da jedoch für viel Geld verkauft wird, sind eigentlich wir selbst. Ohne gefragt zu werden, klar. Demokratie im Web 2.0 …

Für 1,65 Milliarden Dollar kauft Google YouTube. Bereits 2003 hatte Google auch Blogger, eine der weltweit größten Blogging-Platformen (auf der auch dieses Blog läuft [damals …]) übernommen. Und Medienzar Murdoch übernahm im Juli 2005 das Online-Angebot MySpace für 580 Millionen Dollar – damals ebenfalls ein Rekordpreis.

YouTube, jetzt von Google übernommen, ist eines dieser Internet-Angebote, die auch als Web 2.0 bezeichnet werden – Stichwort ‚user generated content‘. Der Anbieter stellt ein System bereit, das Inhalte verwaltet und publiziert, die Nutzer sorgen für die Inhalte (nicht mehr, wie im Web 1.0, der Anbieter).
Das heißt andererseits aber auch: was diese Übernehmer kaufen, ist eigentlich zweierlei: die „Hülle“, der Programmrahmen, den der Anbieter bereitstellt, und unsere Inhalte.

Was wären Blogger, YouTube, MySpace und Co. ohne unsere Inhalte?
Nicht viel mehr als ein leerer Schuhkarton!
Das was da für absurde Beträge verkauft wird, sind unsere Inhalte, sind wir! Sind unsere Texte, unsere Bilder, unsere Videos, unsere Inhalte.

Ob die Damen und Herren, die jetzt Milliarden einnehmen bzw. ausgeben sich schon einmal überlegt haben, was ihre tollen Internetangebote wert sind, wenn wir plötzlich einmal keine Lust mehr haben sollten, darauf unsere Inhalte zu posten? Etwa, weil wir plötzlich mit Werbung zugeballert werden? Oder plötzlich Teile von Angeboten gebührenpflichtig werden? Über beides denkt Google in Sachen YouTube bereits nach, wie Googles Nordeuropa-Chef im Spiegel-Online-Interview bestätigt. Oder weil es uns nicht gefällt, dass wir rundum in unserem Surfverhalten ausspioniert werden, um die Werbemethoden zu verfeinern und die Werbeeinnahmen zu steigern? Oder gar, weil es uns irgendwann nicht mehr gefällt, dass einige wenige Unternehmen ganze Marktsegmente im Internet dominieren? Schließlich, Microsoft hat schon ein Image-Problem…

Irgendwie, wird mir immer bewusster, klemmt dieses tolle Web2.0 – Modell. Wir machen die Inhalte, und andere Leute setzen die Regeln, verdienen prächtig an unseren Inhalten.
Kann es das sein?
Wollen wir nicht langsam mal gefragt, beteiligt werden?
Ist die Tatsache, dass ich unentgeltlich eine Plattform bekomme, meine Gedanken Fotos Videos etc. ins Internet zu stellen es wert, dass andere über meine Inhalte verfügen, damit Geld verdienen?
Oder brauchen auch diese Modelle eine andere Form von Nutzer-Beteiligung, von Demokratie?

Monopoly der Bücher – im Namen des Herrn

Die Frankfurter Buchmesse, gerade zuende gegangen, lässt mich noch einmal über Bücher und den Buchmarkt nachdenken.

Eigentlich habe ich ja (statt einer Literatur-Mail ) lieber ein Buch in den Händen. Emails sind etwas Praktisches, aber nicht „das Lesevergnügen“. Und auch Hörbücher probiere ich ab und zu ganz gerne aus, merke aber immer wieder, was für ein Unterschied es ist zu lesen oder vorgelesen zu bekommen. Am liebsten nehme ich also doch ein ‚echtes‘ Buch zu Händen. Nur in Büchern kann ich mich, wenn ich sie mag, richtig ‚verkriechen‘, sie fühlen, ganz abtauchen.

Das Kaufen der Bücher wird allerdings immer mehr zur „Glaubenssache“, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, leider.
Wenn ich in Berlin durch die City West gehe, oder in einem der Shopping Center bin – Bücher kauft man irgendwie immer häufiger (wenn man genauer nach dem Eigentümer des Geschäfts schaut) bei den katholischen Bischöfen.

Die Konzentration im Buchhandel schreitet munter voran, und einer der muntersten Player dabei scheint ausgerechnet die katholische Kirche zu sein:

Am 17. August 2006 haben Hugendubel und Weltbild bekannt gegeben, gemeinsam die Buchhandelsholding DBH zu bilden.
Damit ist ein Imperium entstanden, das u.a. die Buchhandelsketten Hugendubel, Weltbild, Weltbild plus, Jokers, Wohlthat und einige kleinere Buchhändler umfasst. Der Verlagsgruppe Weltbild gehören zudem u.a. 50% an der Verlagsgruppe Droemer Knaur und 25% an buecher.de. Hugendubel ist zudem zu 49% Eigentümer des größten Schweizer Buchhändlers Orell Füssli.

Dieses Konglomerat ist inzwischen der größte Buch-“Händler“ in Deutschland. Und als würde das noch nicht reichen, hat Weltbild – die am aggressivsten wachsende Mediengruppe in Deutschland – inzwischen angekündigt, zukünftig auch in Supermärkten Bücher zu verkaufen. Ein erster Test-Shop in einem Discounter wurde bereits im Sommer eröffnet.

Gesellschafter von Weltbild sind 14 katholische deutsche Diözesen sowie die Soldaten-Seelsorge Berlin.
Thalia, die Nummer 2 der Buch-“Händler“ in Deutschland, ist eine 75%ige Tochter der Douglas Holding.

Und wenn Sie nun antworten, ’na, ich kauf meine Bücher ja bei 2001′, und dabei denken, die sind doch immer noch ein wenig alternativ – weit gefehlt. Ende September verkauften die bisherigen Eigentümer (Lutz Kroth, Wolfgang Müller & Walter Treumann) das Unternehmen an Michael und seinen Bruder Rainer Kölmel.
Kölmel? Ja, genau der Kölmel, der nach der Insolvenz (andere sagen Milliarden-Pleite) seiner Kinowelt-Gruppe wegen Untreue und Insolvenzverschleppung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde – und die Firma kurz darauf in Leipzig statt München wiederbelebte.

Bleibt bald nur noch die Auswahl zwischen wenigen riesigen Buchhandelsketten, von denen die größte die katholische Kirche ist? Ich glaube ich muss mal wieder zu der kleinen Buchhandlung bei mir um die Ecke gehen …

Literatur-Mail

Heute geht die Frankfurter Buchmesse zuende. Und – habe Sie sich auch wieder gefragt, wann Sie zuletzt ein Buch gelesen haben?

Ja, das wäre schön, mal wieder ganz in Ruhe ein schönes Buch lesen! Wenn man nur genug Zeit hätte … Schon mit dem geplanten Englisch-Kurs hat’s ja nicht geklappt, aus Zeitmangel. Wie soll da noch Zeit für Lesen sein?

Wie wär’s, beides zu kombinieren?
Und dann noch recht zeitsparend? Sie brauchen nur wenige Minuten täglich …

Geht nicht?
Na – vielleicht ja doch.

Das Internet-Angebot DailyLit bietet einen erstaunlichen Service: englischsprachige Literatur per Email, in kleinen Häppchen. Täglich eine E-Mail, mit einem „Lese-Happen“, der ca. 5 Minuten Zeit benötigt.

Dieser Service, der übrigens zudem noch kostenlos ist, hat eine erstaunliche Auswahl zu bieten (die zudem noch ständig erweitert wird). Da findet sich Dante Aligheri neben Jane Austen, die „Wuthering Heights“ neben „Don Quichote“. Der Politik-Interessierte erfreut sich vielleicht am „Kommunistischen Manifest“, Philosophie-Begeisterte am „Tao Te King“, und selbst Jahreszeitliches wie „A Christmas Carol“ von Charles Dickens gibt’s als E-Maiul-Häppchen-Literatur. Über 200 titel sind inzwischen verfügbar, eine Erweiterung geplant.

Der Service funktioniert sehr unkompliziert: auf dailylit.com suchen Sie sich mit der Suchfunktion einen Titel aus, geben an wann und wie häufig Sie Ihrer Literatur-Email bekommen wollen, nennen Ihre Email-Adresse und los geht’s – täglich kommt eine Mail, der Lesespaß auf Englisch kann beginnen.

Und ist das ganze legal? In den USA anscheinend ja, alle Bücher sind nach Angaben des Site-Betreibers im public domain. Na dann! Auf ans E-Mail-Lesen!

Kriminalisierung von Positiven in Europa

Vor einigen Tagen habe ich ja bereits über die Kriminalisierung von Positiven, über ein Urteil in Deutschland, Verfolgungsversuche der Krankenkassen und die drastische Situation in Großbritannien geschrieben.

Nun befasst sich auf dem „Eigth International Congress on Drug Therapy in HIV Infection“, einem der wichtigsten HIV-Kongresse in Europa, ein ganzer Workshop mit dem Thema.
Im Verlauf des Kongresses, der vom 12. bis 16. November 2006 in Glasgow stattfindet, wird es ein Satelliten-Symposium unter dem Titel „Criminalisation of HIV Transmission: The implications for clinical services, confidentiality and doctor-patient relations, national policy“ geben.

Einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Kriminalisierung von Positiven in Europa (Datenbasis 2004) gibt die Untersuchung „Criminalisation of HIV transmission in Europe – A rapid scan of the laws and rates of prosecution for HIV transmission within signatory States of the European Convention of Human Rights“ auf den Seiten von gnp+, dem Global network of people living with HIV/Aids.

Republikanischer Sex-Chat

Kurz vor den anstehenden Wahlen am 7. November erschüttert u.a. ein Sex-Skandal die Partei der ‚Republikaner‘. Der Abgeordnete Mark Foley (Rep) chattete in sexuell eindeutiger Weise mit Minderjährigen.

Wer schon immer einmal wissen wollte, wie ein 52jähriger Politiker mit einem 16jährigen Büro-Jungen chattet, der findet hier eine Dokumentation eines Chats aus dem Jahr 2003.

In der US-Presse wird der Chat des Politikers zu einem großen Skandal aufgeblasen – oft mit deutlich anti-schwulen Untertönen. Gern vergessen wird dabei, dass z.B. in beinahe allen (bis auf 2) US-Bundesstaaten bereits Teenagern ab 16 Jahren (mit elterlichem Einverständnis) die Heirat erlaubt ist. Das Alter erster sexueller Aktivitäten dürfte auch in den USA noch niedriger liegen …

Übrigens, US-Präsident Bush zeigte sich „angeekelt“ vom Verhalten seines Parteifreundes. Foley selbst, der u.a. Vorsitzender eines Gremiums des Repräsentantenhauses war, das sich für missbrauchte und vermisste Kinder einsetzt, erklärte inzwischen seinen Rücktritt.

Fundamentalisten in Deutschland

Fundamentalisten – dabei denken Sie sicherlich zuerst an „islamische Fundamentalisten“.
Aber, es gibt sie auch im Christentum. Christliche Fundamentalisten, Menschen die glauben, die Antworten auf alle Fragen (auch des heutigen Lebens) seien in der Bibel zu finden. Und es gibt sie zunehmend auch in Deutschland.

Ganz vorne mit dabei im Reigen christlicher Fundamentalisten: die Kreationisten.
Sie sind gegen die Evolutionstheorie, glauben nicht, dass der Mensch sich aus dem Affen entwickelt habe (nach Darwin, „Die Entstehung der Arten“). Gott habe die Welt erschaffen, nicht nur im religiösen Sinn, sondern ganz real.

Die Kreationisten, eine Bewegung, die in den USA längst breit Fuß gefasst hat, sind in den letzten Jahren zu einer starken Kraft geworden. Lehrpläne von Schulen werden beeinflusst, „Museen“ der Schöpfungsgeschichte entsprechend der Lesart der Kreationisten gebaut. Bis in höchste Regierungskreise hat die Bewegung Unterstützer. In den letzten Jahren werden Kreationisten auch in Europa aktiv.

ErdmaennchenZunehmend promoten die Kreationisten dabei eine Variante ihrer Überzeugung, die sie „intelligent design“ nennen. Gott habe die Welt erschaffen, lehren sie. Versuchen, so genannte Mikro- Evolution von so genannter Makro- Evolution zu unterscheiden. Einige, die zentralen Teile der Natur seien keine „zufälligen Ereignisse“ (wie nach Darwin), sondern Teil einer bewussten Schöpfung, eines göttlichen Plans.
Diese Volte hat einen Hintergrund: Kreationismus an Schulen zu unterrichten ist in den USA verboten. Ein „wissenschaftlicher Anstrich“ musste her … oder: Religion (hier: fundamentalistische Religion) wird als „Wissenschaft“ verkauft, um sie besser in der Gesellschaft durchsetzen zu können.
Schöner Nebeneffekt: indem sie sich einen „wissenschaftlichen Anstrich“ geben, beanspruchen sie auch, mit Naturwissenschaften auf einer Ebene zu stehen.

Auch in Deutschland findet dieses Gedankengut zunehmend Ausbreitung, selbst im Schulwesen. „Wort und Wissen“ – diese Organisation ist eine der wichtigsten im Bereich Kreationisten hierzulande.
Die August Hermann Franke Schule in Gießen unterrichtet z.B. im Biologie-Unterricht neben der Evolutionstheorie auch ‚intelligent design‘, verwendet ein (für den Unterricht nicht zugelassenes) Schulbuch von Kreationisten – und das in einer staatlich anerkannten (Privat-) Schule.
Die staatliche Schulaufsicht Hessens fühlt sich für ‚intelligent design‘ nicht zuständig, die Schule sei ja zugelassen. Die Eltern würden sich ja freiwillig für die Schule entscheiden.
Selbst deutsche Politiker wie Anette Schavan begrüßen die von Kreationisten begonnene Debatte – und spannen sich so, bewusst oder unbewusst, vor den Karren einer fundamentalistischen christlichen Bewegung.

Was wollen die Kreationisten?
Die Bibel ist wahr, ist ihre Überzeugung. „Schöpfung ohne Kompromisse“, wie der Titel einer Kreationisten-Konferenz deutlich macht. Wer Darwin zustimme, rufe den Zorn Gottes hervor. Ziel des ‚intelligent design‘ sei eine mit dem Christentum verträgliche Wissenschaft, erklärt einer ihrer Vertreter.
Ein Beispiel, was das nach ihrer Vorstellung heißt: ‚Die Welt ist 6.000 Jahre alt. Stern und Planeten sind dabei etwas jünger als die Erde – denn in der Bibel steht, Gott habe die Erde am ersten, Sterne und Planeten jedoch am vierten Tag erschaffen.‘

Es geht nicht darum, hier Kreationisten durch Berichte aufzuwerten, Aufmerksamkeit zu schaffen, oder sie Darwin in Frage stellen zu lassen. Wohl aber geht es darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, wenn diese Bewegung auch hier Fuß fasst.

War nicht erst die Trennung von Wissenschaft und Religion eigentlicher Beginn der modernen Naturwissenschaften, der Aufklärung, der modernen Gesellschaften?

Naturwissenschaft erklärt das ‚wie‘, nicht das ‚warum‘. Ist die Suche nach dem ‚warum‘, nach dem Sinn (des Lebens) ein Grund für die Erfolge der Kreationisten und ihres modernen Kindes, des ‚intelligent design‘? (Dabei, selbst die katholische Kirche kann heute Gott und Darwin gut miteinander vereinbaren. Einer ihrer Ansätze: der Körper mag wie von Darwin postuliert entstanden sein, die Seele des Menschen ist göttlicher Natur.)

Darwin ist eine, ist die Grundlage der modernen Naturwissenschaften – hinter den Kreationisten steht damit auch ein Angriff generell auf wissenschaftliche Sichtweisen, auf die moderne Gesellschaft.

Kreationismus – das steht für ein fundamentalistisches Weltbild, das eine Generalabrechnung auch mit Homosexuellen, modernem Frauenbild beinhaltet – mit überhaupt allem, was die moderne Gesellschaft ausmacht.

Die eigentliche Gefahr ist der christliche Fundamentalismus, sind dessen Folgewirkungen für das Demokratieverständnis unserer Gesellschaft.

Die Trennung von Religion und Naturwissenschaft ist das Fundament der modernen aufgeklärten Gesellschaft – ein Fundament, das wir nicht auf’s Spiel setzen sollten.

Oder wollen wir wieder zurück zu mittelalterlichem Denken, zu einer Gesellschaft, in der alles, was nicht mit christlichem Denken verträglich ist, nicht zulässig ist? Eine Gesellschaft, in deren fast logisch anmutender Konsequenz eine Inquisition steht?

Nachtrag 2.10.06: ein sehr umfassender Artikel von David Thorstad über ‚intelligent design‘ findet sich beim geschätzten etuxx

Watergate in Polen

Werden die Kaczynskis auch für breite Teile der polnischen Öffentlichkeit jetzt demaskiert, in ihrer wahren Politik sichtbar?
Fast scheint es so.

Parlamentarier der polnischen Regierungspartei ‚PiS‘, die derzeit nicht die Mehrheit im Parlament hat, versuchten eine Parlamentarierin (Renata Beger, Samaa Obrona) einer anderen Partei zum Überlaufen zu überreden – u.a. mit Versprechen eines Staatssekretärs-Postens und finanziellen Zusagen.

Dummerweise wurde der Politiker der PiS dabei gefilmt, der Beitrag kurz darauf im polnischen Fernsehen (Privatsender TVN) gesendet.
Gespräche über eine neue Regierungskoalition unter Leitung Jaroslaw Kaczynskis platzten daraufhin endgültig.

Inzwischen kommt es vor dem Parlamentsgebäude zu massiven Protesten gegen die Kaczynski-Regierung – aktuelle Fotos der polnischen LGBT-Press gibt’s
hier.

Der Sejm, das polnische Parlament, wird demnächst auf Antrag einer Oppositionspartei über seine Selbstauflösung diskutieren.

Bereits in der Vergangenheit war es zu zahlreichen
Protesten auch bei Kaczynski-Besuchen in Berlin und selbst Mahnungen der EU gekommen.

Hoffnungen? Auf eine Zeit ohne zumindest einen der „doppelten Lottchen“? Oder wird’s danach noch Bauernpartei-schlimmer?

Mit Justitia gegen Positive?

Sind es nur Zufälle? Oder mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland vermehrt mit juristischen Mitteln gegen HIV-Positive vorgegangen werden soll?
justitia
Einige Fälle in jüngster Zeit veranlassen zum Nachdenken.

In Großbritannien und einigen skandinavischen Ländern wird bereits seit einigen Jahren vermehrt das Mittel des Strafrechts gegen Positive eingesetzt. In jüngster Zeit gab es nun auch in Deutschland einige bemerkenswerte Fälle, in denen Positive Gegenstand juristischer Ermittlungen wurden:

Der Fall „Barmer“
Die Siegessäule berichtet in ihrer September-Ausgabe über mehrere Fälle, in denen die Barmer Ersatzkasse bei ihr krankenversicherte Positive angefragt hat mit der Bitte anzugeben, bei wem sie sich mit HIV infiziert hätten.
Auf Nachfrage und Beschwerde des HIV-/Aids-Wohnprojekts ZiK bestätigte die Barmer, ja, sie habe diesbezüglich nachgefragt, Ziel seien mögliche Regressforderungen. Sie sei sich zwar der Problematik der haftungsrechtlichen Prüfung bewusst, glaube aber zu Regress-Versuchen verpflichtet zu sein.
Regress heißt in diesem Fall: die Barmer versucht, ausfindig zu machen, wer den bei ihr versicherten Patienten infiziert haben könnte – um dem dann etwa die Behandlungs- und weiteren Folge-Kosten aufzubürden?
Sollen hier wieder einseitig Positive zur Verantwortung gezogen werden? Als gäbe es nicht eine beidseitige Verantwortung, auch beim Thema Safer Sex? Versucht hier eine Krankenkasse (etwa als „vorgeschobener Versuchsballon“?), eine Drohkulisse auszubauen? Oder drohen echte finanzielle Regress-Versuche gegen Positive?

Der Fall „Memmingen“
Aus Süddeutschland wird der Fall der Verurteilung eines Positiven wegen gefährlicher Körperverletzung gemeldet.
Das Landgericht Memmingen verurteilte am 27. Juni 2006 einen HIV-Positiven zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2004 einen Sex-Partner zumindest bedingt vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben (Körperverletzung).

Ein Tötungsvorsatz wurde im konkreten Fall nicht unterstellt. Das Teilgeständnis des Angeklagten wurde strafmildernd gewertet; zu Lasten des Angeklagten wurde hingegen gewertet, dass er wahrheitswidrig seine eigene HIV-Infektion verleugnet hatte (erhebliche kriminelle Energie). Gutachter im Prozess war Prof. Goebel (München).

Die Situation in Großbritannien
In Großbritannien ist es in den vergangenen Jahren bereits zu zahlreichen Verurteilungen von Positiven u.a. wegen Körperverletzung gekommen.

Erst vor kurzem (Mitte September) wurde ein 43jähriger Brite (die britische Presse nannte in Berichten seinen vollen Namen und Adresse!) zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, mit einer 49jährige britische Frau (die in der darauf folgenden Zeit HIV-positiv getestet wurde) ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ohne sie über seine HIV-Infektion aufzuklären. Psychische Probleme des Angeklagten wurden als nicht urteilsrelevant erachtet.

Dieser Fall war bereits der neunte Fall einer Verurteilung eines Positiven in Großbritannien wegen HIV-Übertragung. Von den ersten acht Fällen kamen nur zwei zur Verhandlung vor Gericht, in den übrigen sechs Fällen lagen vorher Schuld-Erklärungen vor. Die sieben ersten Fälle betrafen heterosexuelle Männer und Frauen, denen eine bewusste Infektion eines Sexpartners vorgeworfen wurde.

Ende Juli wurde erstmals auch ein schwuler Mann wegen bewusster Infektion verurteilt. Er hatte sich anfangs aufgrund virologischer Daten (und dem Rat seiner Verteidiger) selbst für schuldig erklärt. Ein Widerruf dieses Geständnisses wurde dann nicht für glaubwürdig erachtet.
Anfang August war erstmals in Großbritannien ein schwuler Mann vom Vorwurf der bewussten Infektion eines Sexpartners freigesprochen worden. Sein Verteidiger hatte mithilfe von Gutachtern nachweisen können, dass mit größter Wahrscheinlichkeit das HIV des Angeklagten keine Verwandtschaft mit dem HIV des Klägers haben kann (er also seine Infektion bei einem anderen Partner erworben haben müsse).

Beachtenswert ist, dass britische Gerichte in letzter Zeit vermehrt virologische Gutachten für die Urteilsfindung heranziehen. Virologisch kann nachgewiesen werden, ob zwischen zwei Varianten von HIV (zum Beispiel dem des Klägers und dem des Angeklagten) eine genetische Verwandtschaft besteht und wie eng diese ist.

Die britische Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service) hat inzwischen einen Entwurf für Richtlinien erstellt und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Diese Richtlinien sollen zukünftig regeln, wie die Staatsanwaltschaften mit Fällen umgehen, in denen die sexuelle Übertragung von Infektionskrankheiten (u.a. HIV) schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen hervorruft. Vor Abfassung des Entwurfs waren u.a. auch HIV-Ärzte sowie Aids-Gruppen konsultiert worden.

Land des Lächelns

Nach dem Militärputsch in Thailand am 19. September entwickelt sich die politische Lage in Thailand derzeit nicht zum Vorteil, leider.

Zwar ist der Putsch ruhig, ohne Blutvergießen verlaufen, ja von weiten Teilen der Bevölkerung (wie auch schwule thailändische Blogger berichten) begrüßt worden.
Inzwischen aber ist eine Militärregierung an der Macht, die sich in bester Orwell’scher Neusprech-Tradition ‚Rat für die Reform der Demokratie‘ nennt – und als erstes die Gewaltenteilung abgeschafft, Legislative, Exekutive und Judikative an sich gezogen hat. Dazu ein Versammlungsverbot erlassen hat (auch wenn Versammlungen gegen den Militärputsch demonstrierender Studenten wohl in Bangkok bisher toleriert wurden).

Ein neuer ‚ziviler‘ Regierungschef solle am Mittwoch bestimmt werden, hieß es am Wochenende. Wie zivil aber kann eine Regierung sein, die von Militärs eingesetzt ist, die jeglicher demokratischer Legitimation entbehrt?

Der Befehl der Militärs, Thailand solle ein ‚Land des Lächelns‘ bleiben, die Soldaten sollten, besonders wenn sie um Fotos gebeten werden, lächeln, wird da nicht reichen…

Thailand ist eines der (wenigen) Länder Asiens mit einer gewissen demokratischen Tradition. Bleibt zu hoffen, dass Bevölkerung, König und Militär den Weg zurück zu dieser Tradition finden …

Zarenzeit ?

Seit ich Sabines Blog über Dänemark und die Dänen lese, lerne ich ja vieles Wissens- und manchmal auch Staunenswertes über unseren Nachbarn im Norden.

Jetzt allerdings gibt’s wahrlich Bizarres aus Dänemark zu berichten: Die Zarenwitwe, 1928 verstorben, wird auf ihre nun wohl allerletzte Reise geschickt, nach St. Petersburg, an die Seite des Zaren.

Maria Fjodorowna, Mutter des russischen Zaren Nikolaus I., war eine Tochter des dänischen Königs Christian IX. In der Zeit nach der russischen Revolution entkam sie 1919 nach England, kehrte bald darauf nach Dänemark zurück, wo sie 1928 starb und in Roskilde (nicht nur Sitz eines bedeutenden Musik-Festivals, sondern auch Ruhestätte dänischer Könige) beigesetzt wurde.

Nun wird ihr Sarg tatsächlich mit offiziellen Feierlichkeiten nach St. Peterburg überführt, und – als ob das allein nicht schon absurd genug wäre – auf der selben Route wie ihre damalige Reise zur Hochzeit mit dem russischen Thronfolger.
Die halbe dänische Regierung (!) nahm am Auftakt der Feierlichkeiten teil, zusammen, selbstredend, mit über 40 Verwandten der Romanows.
Pikante Bei-Note: Bedingung des dänischen Königshauses für die Zustimmung zur Überführung war, dass der Sarg nicht geöffnet und keinerlei DNA-Proben entnommen werden dürfen…

Ich erspare mir alle Kommentare, frage mich nur, ob die dänische Regierung nichts Wichtigeres zu tun hat. Und wundere mich wieder einmal über unsere liebenswerten Nachbarn im Norden …

… und hoffe gleichzeitig, dass die lieben Niederländer uns von irgendwelchen Nachlassenschaften aus Doorn verschonen mögen.

USA ändern HIV-Test-Politik – zukünftig „Routine“

In den USA werden die Empfehlungen für HIV-Tests geändert. HIV-Tests sollen zukünftig zu einer „normalen Routine-Untersuchung“ werden.

Die US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control) empfiehlt ab heute (22.9.2006) allen Erwachsen und Heranwachsendem im Alter zwischen 13 und 64 Jahren, einen HIV-Test als „routinemäßige medizinische Screening-Untersuchung“ durchzuführen.

Die neuen Richtlinien empfehlen, Patienten sollte bei ihrem Hausarzt zukünftig regelmäßig ein HIV-Antikörper-Test (umgangssprachlich fälschlicherweise gern Aids-Test genannt) angeboten werden. De facto soll dies dazu führen, dass HIV-Test zu einem medizinischen Routine-Angebot werden

Ärztevereinigungen in den USA zeigten sich erfreut über die Änderung. HIV-Ärzte betonten, sie sähen derzeit viel zu viele Patienten, die erst zusammen mit einer schwersten Erkrankungen von ihrer HIV-Infektion erfahren. Ein früherer Test könne diesen Patienten rechtzeitiger wirksame Therapien ermöglichen. Zudem seien die Behandlungskosten insgesamt niedriger, wenn Patienten rechtzeitig behandelt würden.

Bisher wird der HIV-Antikörper-Test (nicht nur in den USA) anders als übliche Gesundheitsuntersuchungen gehandhabt. Insbesondere sind bisher intensive vorherige Beratung und ein getrennte schriftliche Einwilligung (informed consent) erforderlich.
Zukünftig sollen die Beratungen vor einem Test auf ein Minimum beschränkt werden. Die Einwilligung soll innerhalb des Standard-Formulars für ansonsten bisher schon übliche Untersuchungen mit erfolgen (kein getrennter informed consent mehr).

Warum die jetzt als Hemmnisse empfundenen, damals aber ja absichtsvoll eingeführten Maßnahmen heute als nicht mehr erforderlich empfunden werden, wurde von den CDC nur unzureichend erklärt.

Die aktuelle Änderung soll, so US-Ärzte, ein Schritt dazu sein, Test-Hemmnisse abzubauen. Routine- HIV-Tests könnten dazu beitragen Leben zu retten, betonen sie. Hintergrund ist, dass trotz zahlreicher Präventionsbemühungen sich ca. 40.000 US-Amerikaner im Jahr mit HIV infizieren.

Aids-Aktivisten kritisierten vereinzelt, auch in den USA sei Diskriminierung aufgrund von HIV immer noch gesellschaftliche Realität. Wenn der Staat nunmehr mit Routine-Tests dermaßen tief in die Privat-Sphäre eindringe, verdient es der Einzelne, zumindest darüber informiert zu werden, die positive Test-Ergebnisse gespeichert und von wem weiterverwendet werden.

Fragen wie inwieweit die US-Regierung mit ihren Abstinenz-Kampagnen vielleicht an der Präventions-Realität vorbei arbeitet, werden durch die neuen Richtlinien nicht gestellt, erst recht nicht gelöst.

Centers for Disease Control and Prevention. Revised recommendations for HIV testing of adults, adolescents and pregnant women in health-care settings. MMWR 55 (RR-14): 1-18, 2006

Positive wollen Asyl

Eine von der Mehrzahl der Organisatoren wohl weniger erwartete Folgewirkung hat die Welt-Aids-Konferenz, die vor einem Monat in Toronto (Kanada) stattfand. 160 HIV-positive Teilnehmer der Konferenz ersuchten im Anschluss um Asyl in Kanada.

Wie die kanadische Presse berichtet, haben 160 Teilnehmer der Welt-Aids-Konferenz einen Antrag auf Asyl gestellt.

Die HIV-positiven Frauen und Männer stammen u.a. aus El Salvador, Südafrika, Uganda, Eritrea, Simbabwe und Peru. Unter ihnen befindet sich z.B. auch der Gründer der eritreischen Positiven-Vereinigung.
Viele berufen sich in ihrem begehren um Asyl nicht ausschließlich auf einen Wunsch nach medizinischer Behandlung. Vielmehr steht meist die Diskriminierung als HIV-Positive/r oder als politisch Aktiver im Vordergrund.

Eine HIV-Infektion an sich ist in Kanada kein Grund für die Bewilligung von Asyl. Andererseits ist ein HIV-positiver Serostatus auch kein Ausschlussgrund für Asyl.
Auch die ökonomische Situation (z.B. sich keine antiretrovirale Behandlung leisten zu können) sei kein ausreichender Asylgrund, betonten Offizielle. Vielmehr müsse eine konkrete Verfolgung nachgewiesen werden, oder bei einer Auslieferung an ihr Heimatland eine massive Gefährdung vorliegen. Die Unfähigkeit des Heimatlandes, für wirksame Behandlung zu sorgen, sei kein Grund für Asyl.

Eigentlich hatten die Organisatoren eine derartige Entwicklung bereits im Vorfeld verhindern wollen. So war versucht worden, von jedem Teilnehmer (insbesondere wenn für sein Visum Hilfestellungen gewährt wurden) ein gültiges Rückflug-Ticket vorlegen zu lassen.

Bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag erhalten die Antragsteller in Kanada auf Wunsch antiretrovirale Behandlung.

Putsch in Thailand

In Thailand hat heute das Militär gegen den Premierminister geputscht.

Ein Staatsstreich, ein Staatsstreich jedoch zur Lösung einer Staatskrise, die Premierminister Thaksin selbst ausgelöst hat (auch wenn er demokratisch gewählt wurde.)

Dem abgesetzten Premierminister Thaksin werden Korruption und Wahlbetrug vorgeworfen.
Thaksin, auch genannt der Berlusconi Asiens, ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der zunehmend politisches und geschäftliches Gebahren nicht unterscheiden konnte, zum eigenen Vorteil handelte. Zuletzt hat er noch die eigentlich für den 15. Oktober geplante Wahl verschoben (eine Wahl im Frühjahr hatte das thailändische Verfassungsgericht für nicht verfassungsgemäß erklärt).

Man wolle die Macht nur zeitweise übernehmen und baldmöglichst wieder dem Volk geben, so ein Militärsprecher.

Ich erinnere mich, damals, vor vielen Jahren, wir kamen gerade in Bangkok an. Etwas wagemutig schien es uns schon, nach Bangkok zu reisen – Studentenunruhen liefen noch bis einen Tag vor Abreise aus Deutschland, Forderungen nach mehr Demokratie, das Militär intervenierte, Schüssen fielen. Noch bei Spaziergängen durch die Stadt sehen wir Barrikaden der Studenten, Spuren von Auseinandersetzungen.
Damals schritt König Bhumibol ein (übrigens, auch wenn das nichts zur Sache tut, ihn aber für mich noch sympathischer macht, ein Saxophon-Spieler). Rief das Militär zurück, verhandelte zugleich mit Studentenführern eine friedlich Lösung des Konflikts.

Auch heute, so die Fernsehbilder, bewegen sich viele Soldaten in Bangkok mit gelben Armbinden. Gelb als Farbe des Königshauses. Eines der der zahlreichen Hinweise, dass der Putsch vermutlich mit Unterstützung des Königs Bhumibol stattfindet? Dass bald wieder demokratische Verhältnisse hergestellt werden? Ein Hoffnungszeichen für ein Land am Rand einer Staatskrise?