Bare? Oder Back? Oder wohin?

Ist safer Sex out in Berlin? Wie weiter mit der HIV-Prävention? Zwei einfache Fragen – deren eingebauter Sprengstoff auf einer Veranstaltung im SchwuZ zu hitzigen Debatten und einem Anflug von Ratlosigkeit führten, sowie zu vielen Rollen rückwärts.

Bareback 01
Schon bei den Begriffen ging und geht es munter durcheinander. „Über welches Bareback redest du eigentlich?“ „Ich unterscheide Bareback lite und heavy Bareback!“ usw. Was einst Ende der 90er Jahre als eine Variante des Sex‘ unter Positiven begann, als „bewusste Entscheidung informierter Positiver“ oder (wie M. Dannecker es nennt) ‚Emanzipation vom Kondom‘, hat sich längst verselbständigt, ist zu einer pseudo-positiv besetzten Worthülse geworden, die jegliche Form von unsafem Sex zu umfassen scheint.

Nicht nur unter Teilnehmern der Diskussion, sondern weit bis in Aids-Hilfen hinein ist eine Art „Roll Back“ in der Präventionspolitik zu beobachten. Eine beunruhigende Entwicklung, bei der über „selbstverschuldete Infektionen“, „Schuld“ und „Drohen“ diskutiert und wild konzipiert wird. Eine Entwicklung, die Stefan Etgeton pointiert hinterfragt mit „wem schadet die Bareback-Debatte in der Prävention eigentlich?“ – und einen differenzierten Umgang mit dem Thema wünscht.
Warum statt Plattitüden à la „wir brauchen wieder mehr Abschreckung“ nicht abwägende, an Vernunft und informiertes persönliches Risiko-Management appellierende Botschaften wie „unter diesen Umständen [wie: 2 als Paar sexuell monogam lebende schwule Männer] ist Bareback okay, und in diesen Kontexten [z.B. der Quickie mal eben nebenbei, unüberlegt ohne Kondom] hast du ein hohes Risiko für …“ ?

Bareback 02 Doch diese Art überlegender Vernunft scheint derzeit auf dem Rückzug zu sein – diesen Eindruck konnte man zumindest zeitweise während der Veranstaltung gewinnen. „Back to the 80s“, das schien einigen Teilnehmern eher vorzuschweben.
Immer wieder kamen aus dem Publikum, vereinzelt unterschwellig auch vom Podium Rufe nach „schockierenden Plakaten“ [als gäbe es nicht längst Daten, dass auch Fotos von Raucherlungen die Anzahl der Raucher oder den Umfang des Tabakkonsums nicht senken], nach „wieder mehr Angst machen“, waren verquere Rufe nach drakonischen Maßnahmen spürbar. Woher diese Sehnsucht nach Repression, nach ‚law and order‘? Ist es die Hoffnung auf ein neues Glücksversprechen risikofreier Zeiten? Oder ein kruder Weg individueller ‚Verarbeitung‘ von Schuld- und Angstgefühlen?

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, riefen die Besonneneren in die Runde, „Horror-Szenarien bringen nichts“. Rolf de Witt betonte, wie wichtig es ist, Respekt für den anderen zu zeigen, nicht auszugrenzen, nicht zu verurteilen. „Tacheles reden ja – aber nicht wild in der Gegend rum provozieren“.
Erwachsene Menschen in ihren Entscheidungen zu akzeptieren, ihnen dafür kompetent Informationen an die Hand zu geben, das scheint – statt mehr Angst, mehr Repression – ein Gebot der Stunde.
Das aber erfordert nicht zuletzt neben guten Ideen aber auch ausreichende finanzielle Mittel. Oder anders herum: wer in den letzten Jahren die Mittel für HIV-Prävention ständig gekürzt hat, wie kann der sich nun über steigende Zahlen bei Neu-Diagnosen wundern? Für Information und Prävention wird zu wenig getan – ja! Aber eben (auch), weil immer weniger finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Von „mehr miteinander reden“ über „mehr Achtsamkeit füreinander“ und „neue Räume schaffen“, „verschiedenen Strategien für verschiedene Räume“ bis zu „safer Sex einfacher machen“ [wie es z.B. einige Wirte mit ihrer safety 4 free – Kampagne versuchen] – Ideen sind zahlreich im Raum, warten darauf, aufgegriffen, zu ausgereiften Konzepten weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.

Warum dann immer wieder diese Schreie nach „Angst machen“, nach Drohkulissen, oft von auffallend impertinenten Schwestern vorgebracht?

Ich merke, wie diese Sehnsucht nach Repression mich erschreckt, schockiert, diese Sehnsucht nach drakonischen Maßnahmen [gern gemischt mit mangelhaften Wissen oder Inkompetenz (da wird schnell mal von der Aids-Hilfe gefordert, BZgA-Plakate zu ändern) und schnellem Delegieren an Andere („die Positiven müssen doch endlich einmal …“, „da muss die Aids-Hilfe aber doch dringend …“)]. Munter wird da Verantwortung zu-geschoben – den Positiven, der Aids-Hilfen, den Schwulen. Als sei man nicht selbst Teil davon. Als habe man nicht auch selbst Hirn und Hand, selbst aktiv zu werden, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Und mich frustriert, dass erneut Diskussionen geführt werden, die wir schon in den 80ern hatten. Das anscheinend viele nicht auf die Idee kommen, die Politik vergangener Jahre sei vielleicht doch ab und an überlegt gewesen, und die Zeiten heute anders. Ich bin froh, als Matthias das wunderbar auf den Punkt bringt: „das Leben mit Aids, mit HIV ist heute anders als vor 20 Jahren. Es ist schön, dass der Grund zur Angst weniger geworden ist – warum nur wollt ihr immer wieder Angst machen, Angst haben?“

Horror-Szenarien bringen nichts. Es gilt zu überlegen, wie wir heute realistisch und ohne Angst Informationen, auch über Risiken (zu denen neben HIV auch sexuell übertragbare Krankheiten, auch Hepatitis C gehören sollten) an den Mann bringen, die eigene Handlungskompetenz in verschiedensten Szenarien stärken können.
Nach vorne blicken, nicht Rollen rückwärts bringen uns weiter.

Bedacht bei den Zahlen

„Die Schwulen infizieren sich wieder mehr mit HIV“ – so oder ähnlich geistert es langsam wieder durch die Medien. Ein wenig Bedacht mit den Zahlen ist angebracht.

Der Welt-Aids-Tag naht, und viele starren gebannt auf die neuen HIV-Infektions-Statistiken. Die ersten Blogs und Journale vermelden bereits, schon wieder seien die Zahlen gestiegen, die Schwulen wären wieder unvorsichtig, usw. Fast meint man manchmal, eine verquere Sehnsucht nach ‚damals‘ und allerlei Gauweilereien durch die Zeilen riechen zu können.

Aber Vorsicht. Die Zahlen wollen schon interpretiert werden.

Das Robert-Koch-Institut spricht in seinen Statistiken von „neu diagnostizierten HIV-Infektionen“.“Neu diagnostiziert“, nicht „neu infiziert“. Es gilt also, nicht Neu-Infektionen und Neu-Diagnosen miteinander zu verwechseln. Was jetzt gemessen (=diagnostiziert) wird, muss sich nicht auch jetzt (im Betrachtungszeitraum) infiziert haben. Gemessen werden Neu-Diagnosen.

Hinzu kommt: in einigen Städten (wie z.B. schon länger München, jetzt auch Berlin) wird unter Schwulen teils massiv für den HIV-Test geworben [manchmal mit dem mir seltsam anmutenden Gedanken, das sei Primärprävention], werden ganze Testkampagnen durchgeführt.
Das bleibt nicht ohne Folgen, auch für die Statistik: wer viel misst – fördert logischerweise auch mehr Infektionen zutage. Und, da gezielt unter Schwulen der Test propagiert wird, führt dies auch zu einer Erhöhung des Anteils der Gruppe der Schwulen (statistisch MSM) unter den gesamten Neu-Diagnosen.
Und – auch diese Neu-Diagnosen sind nicht zwingend auch (jetzige) Neu-Infektionen.

Aus Anstiegen in den Zahlen also einfach zu schließen, die Zahl der Neu-Infektionen unter Schwulen wäre jetzt gestiegen, wäre gleich zweifach (Neu-Diagnosen ungleich Neu-Infektionen, statistische Auswirkungen der Testkampagnen unter Schwulen) zu kurz gedacht …

Noch eine persönliche Anmerkung:
Auch ich habe Bauchschmerzen bei der Tatsache, dass sich jedes Jahr um die 2.000 Menschen allein in Deutschland mit HIV infizieren. Ja, ich habe „die schlimmen Jahre“ Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre miterlebt, weiß was es bedeutet Aids zu haben, jämmerlich daran zu sterben. Auch ist mir unwohl bei dem Gedanken, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, an diese 2.000 Neu-Diagnosen pro Jahr, sie als etwas beinahe ‚Normales‘ hinnehmen.
Aber wenn wir wirksam dagegen handeln wollen, statt nur plakativ ‚drauf einzuschlagen‘, zu abgestandenem ‚law and order‚ zurückzukehren, dann ist es doch erforderlich bei den Zahlen genauer hinzu sehen. Nicht voreilig bequeme Schlüsse ziehen, die doch oft nur bestehende Vorurteile bestätigen sollen, sondern bedacht analysieren und gezielt handeln.

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

Schock in Brandenburg

Dass Justitia in London und Memmingen gegen Positive vorgeht, hatte ich ja bereits berichtet.

Nun aber zeigt sich das bekannte Fachblatt mit den vier Buchstaben schockiert …

Schock in Brandenburg
Dass ein sogenannter ‚HIV-Kranker‘ (was soll denn das sein? Ein HIV-Positiver? oder ein Aids-Kranker?) mit Frauen schlief, und gleich mit zwölf! Schock schwere Not! Na welcher Neid steht da denn dahinter, hat da ein frustrierter Redakteur überlegt, ‚zwölf, wann hatt‘ ich das jemals‘??? Und darüber vergessen, dass es nicht um den Sex an sich, sondern das Wörtchen ’safer‘ geht?

Besonders ekelig, dazu direkt ein Portrait-Foto mit notdürftigem Augen-Balken abzubilden. Vielleicht noch direkt die Adresse und den vollen Namen dazu, wie wär’s direkt mit ’ner Aufforderung zum Lynchen?

Das „Gold-Bingo“ darunter fällt dann wohl eher in die Kategorie „unfreiwillige Satire“ …

Ich bin nicht willens, auch noch Geld für dieses Erzeugnis auszugeben – so dass ich Ihnen den Rest der Story leider nicht erzählen kann. Aber es reicht ja auch so …

Denkmal: was wird realisiert?

Neues im Streit um das Denkmal: der LSVD Berlin-Brandenburg fordert die Realisierung entsprechend dem Entwurf der Künstler.

Denkmal 01 In Berlin wird ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geplant. Über die konkrete Form der Realisierung hatte es zuletzt heftigen Streit gegeben.

Die Mitgliederversammlung des LSVD Berlin-Brandenburg hat am 28.10.2006 eine Resolution beschlossen. In ihr wird gefordert, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Sinne des Bundestagsbeschlusses und in Form des preisgekrönten Entwurfs des Künstler-Duos Elmgreen/Dragset zu realisieren.

Unter den Erstunterzeichnern der Resolution finden sich nur Personen männlichen Vornamens. Über eine Berücksichtigung irgendwelcher bei der Diskussion am 29.8. vorgebrachten Argumente oder ebenfalls diskutierter Lösungsmöglichkeiten enthält die Rersolution keine Angaben.

Antrittsbesuch

Heute ist Polens Premierminister (und Parteichef der PiS) Kaczynski in Berlin. Über die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Polen wird vermutlich nicht gesprochen werden.

Jaroslaw Kaczynski ist heute zu seinem offiziellen Antrittsbesuch in Berlin.
Gesprochen wird sicher über: eine Gaspipeline durch die Ostsee, ein ‚Zentrum gegen Vertreibung‘, die EU, vielleicht generell über die gestörten Beziehungen.

Gesprochen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht darüber, wie immer noch in Polen mit Lesben und Schwulen umgegangen wird.

Das konservative doppelte Lottchen der polnischen Restauration, das nun trotz einer tiefen Regierungskrise doch gemeinsam weiter an der Macht bleibt, kann mit seiner systematischen Diskriminierung und Unterdrückung von Schwulen und Lesben weiter machen.

Als Staatspräsident Lech Kaczynski im März an der Humboldt-Uni eine Rede hielt, kam es noch zu massiven Protesten von Lesben und Schwulen.

Mehr zur Situation von polnischen Lesben und Schwulen und einer polnischen Schwulen- und Lesbengruppe in Frankfurt/Oder auch in diesem Gayweb-Artikel.
Ein weiterer Bericht über die März-Demo gegen Kaczynski findet sich hier.
Einige schöne Zitate aus einem Times-Interview Lech Kaczynskis über Homosexualität finden sich in Argus‘ Blog.

Schwule lesen … überraschend

Schwule lesen. Einen neuen Bildband vielleicht, einen Comic, manchmal auch eine Zeitschrift. Aber Marx, ach nee, das is doch längst passé. Denkste!Über den schwulen Literatursalon erfahre ich Erstaunliches: Schwule lesen Marx.
Nein, das ist kein Versprecher, kein Versehen.

wahrAus dem Programm des ‚Sub‘ in München: „Die Literaturgruppe liest und diskutiert ‚Das Kapital‘. Zehn Abende lang geht es um Karl Marx‘ Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft…“

Schwule lesen Marx.
Es gibt also doch noch Schwule, die an trockener Lektüre interessiert sind. Die politisch diskutieren wollen, sich mit gesellschaftlichen Entwürfen, zumal kontrovers, auseinander setzen wollen.

Irgendwie – hätte dort gestanden, die Schwule Gruppe Siegen oder Marburg veranstaltet eine Marx-Lesung, gut, das kommt hin, hätte ich sofort geglaubt. Innovatives aus den Mittelstädten, gerne. Aber aus einer Großstadt? Hamburg und Frankfurt kämen wohl eh nicht in Frage für Marx-Lesungen (obwohl, mit Kapital haben sie’s ja in beiden Städten…). Und Berlin? Nee, da bekommen die so was nicht gebacken. Nun also München. Überraschung. Noch überraschender wäre wohl nur Köln gewesen …

Wäre ja schön, wenn München mal wieder ein Zeichen setzt, Trendsetter ist
Und wer’s immer noch nicht glauben mag – hier der Link zu den Terminen der Marx-Lese-Reihe.

PS. Schwule Literatursalons gibt es auch in Dresden und Berlin, weitere Informationen hier.

Petition gegen Wahlcomputer

Eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag fordert derzeit die Abschaffung der „Stimmabgabe mit Wahlgeräten“. Noch bis 28.11.2006 ist eine Mit-Zeichnung online möglich.

Wahlen erfordern viel Aufwand, wird oft formuliert, deswegen seien Vereinfachungen anzustreben. Hierzu hat das Bundeswahlgesetz einen Paragraphen 35, der die Stimmabgabe mit Wahlgeräten regelt.

Hinter dem schlichten Wort ‚Wahlgerät‘ verbirgt sich eigentlich ein Wahlcomputer. Und genau hiergegen wendet sich der Petent Tobias Hahn, der inzwischen, Stand 28.10.06, knapp 15.000 Unterstützer gefunden hat. Er fordert die ersatzlose Streichung dieses Paragraphen – und somit die Abschaffung der Möglichkeit, Wahlcomputer einzusetzen.

Die -nicht nur vom Petenten- vorgebrachte Kritik gegen Wahlcomputer zielt u.a. auf ihre leichte Manipulierbarkeit und fehlende Kontrolle.
Dass Wahlcomputer manipulierbar sind, ist vielfach gezeigt worden – man kann sie sogar dazu bringen Schach zu spielen. Insbesondere aber sei, so der Petent, bei Einsatz von Wahlcomputern nach Abgabe der Stimme keinerlei Kontrolle über die Korrektheit des Wahlablaufs mehr möglich (wie dies hingegen bei Stimmzetteln jederzeit leicht machbar ist).

Ein theoretisches Problem? Bei weitem nicht – und man muss zu Problemen mit Wahlmaschinen und Wahlanfechtungen nicht erst in die USA reisen. Auch in Deutschland werden ab und an Wahlen angefochten, erneute Auszählungen erforderlich (wie zuletzt Volkskammer-Wahl 1989 und Dachau 2002).

Durch das Fehlen der Kontrollmöglichkeit bei Einsatz von Wahlmaschinen würden fundamentale Prinzipien der Demokratie ausgehebelt (u.a. Kontrollierbarkeit des Wahlablaufs und Überprüfung einer Wahl), so der Petent.

Die Petition zur Abschaffung von Wahlmaschinen ist (nach Einrichten einer „Ersatz-Petition“ aus „technischen Gründen“) online hier erreichbar. Eine Mit-Zeichnung ist noch bis einschließlich 28. November 2006 möglich.

Hintergrund:
Öffentliche Petitionen sind ein zunächst auf 2 Jahre befristeter Pilotversuch des Petitionsausschusses des deutschen Bundestags, der seit dem 1.9.2005 läuft und über das allgemeine Petitionsrecht hinausgeht. Die Frist, innerhalb derer sich Mit-Zeichner der Petition des Haupt-Petenten anschließen können, beträgt sechs Wochen. Danach wird die Petition gemäß den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen für Petitionen vom Ausschuss behandelt. Ab 50.000 Unterschriften besteht die Möglichkeit, dass der Petent im Bundestag gehört wird.

Und falls Sie sich über die seltsame englische Internet-Adresse wundern: dazu erklärt der Bundestag selbst „Das System „Öffentliche Petition“ des Deutschen Bundestages basiert auf einem System des Schottischen Parlaments und den dort gesammelten Erfahrungen. Im Rahmen eines Modellversuchs werden die Internetseiten „Öffentliche Petition“ vom International Teledemocracy Centre an der Napier-Universität in Edinburgh zur Verfügung gestellt.“ Eigentlich beruhigend, dass im Rahmen des Modellversuchs zunächst kostensparend ein bereits bestehendes System genutzt wird (auch wenn die Adresse zunächst irritiert).

Mehr lesen:
Weitere Informationen zu Wahlcomputern, ihrer Manipulierbarkeit und ihren (nur vermeintlichen) Kosteneinsparungen in Andreas‘ Blog sowie auf Wikipedia.
Informationen zur Petition und ‚was man noch machen kann‘ auf der Wiki der Berliner Gruppe des Chaos Computer Club.

Homophobie auf den Faröer Inseln

Die Regierung der Färöer Inseln lehnt es ab, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu verurteilen – Schwule und Lesben zu diskriminieren ist entsprechend der Gesetzgebung der Färöer vollkommen in Ordnung …

Gewalt und Diskriminierung von Homosexuellem, die als solche öffentlich auftreten, sind auf den Färöer nicht selten. Hiergegen einzutreten ist auf den Färöer schwierig – viele Bewohner scheinen der Ansicht, wenn es keine Gesetze dagegen gebe, seien Gewalt gegen und Diskriminierung von Schwulen und Lesben völlig okay.

Hiergegen protestiert die Organisation AAH Act Against Homophobia mit einer Unterschriften-Aktion . Die gesammelten Unterschriften sollen der Regierung der Färöer übergeben werden.

Die Färöer sind innerhalb des Königreichs Dänemark gleichberechtigte Nation (ähnlich wie Grönland). Die Färöer sind im Gegensatz zu Dänemark jedoch nicht Mitglied der EU.
In Dänemark ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gesetzlich verboten.

Die Färöer sind allerdings über Dänemark Mitglied in der UNO – erkennen somit die Universelle Deklaration der Menschenrechte an.
Alles nur graue Theorie? Die nicht für Schwule und Lesben gilt?

… und Dank an Sabine für den Hinweis in ihrem Blog!

Wir schaffen das auch alleine …

Das Bundesverfassungsgericht hat am 19.10.2006 entschieden:
Berlin hat keinen Anspruch auf Finanzhilfen des Bundes und muss sich mit eigener Kraft von den hohen Schulden befreien. Na denn … wir schaffen das auch alleine!

Trotz? Ironie? Letzte Verzweiflung? Oder pure Satire?
Die Initiative Interaktive Demokratie http://www.idemokratie.de/ hat die Online-Spendenkampagne „Wir schaffen das auch alleine“ in’s Leben gerufen.

BerlinSpenden Mit Unterstützung des Hauptstadt-Blogs ruft iDemokratie (die auch schon bezaubernde Projekte wie „Schöner leben ohne Nazis“ initiierte) dazu auf, einen Euro (oder einen beliebigen höheren Betrag) auf ein Sammelkonto zu überweisen. Dafür darf Spenderin und Spender sich auf der Internetseite der Aktion http://www.1-euro-fuer-berlin.de mit einem Foto verewigen …

Die Initiatoren kündigen an „die Spenden werden von iDemokratie bis Weihnachten gesammelt und dann dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zusammen mit Ihren Anregungen für den Verwendungszweck des Geldes übergeben“.

Zeigen wir gemeinsam, dass Berlin Willen und Kraft hat, zu überleben, mit (auch für weniger Wohlhabende bezahlbarer) bunter Kultur, mit (auch für Studenten bezahlbaren) Universitäten …

Und, iDemokratie betont, diese Aktion ist kein Fake …

Perlen der Alltagskultur 9

Ich kauf‘ ja auch gerne Bio – weil ich denke ich zieh mir schon genug Chemie rein in From von Pillen, und außerdem schmeckt’s einfach besser. Leider lässt die Haushaltskasse nur selten den Gang in den Bio-Markt zu, aber letzte Woche war’s wieder soweit – und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen:

Bio-Hundefutter

Bio für den Hund? Um genauer zu sein, für „Junior bis 1 Jahr“?
Brauchen wir das wirklich? Haben wir keine größeren Probleme?
Na ja, wenn’s denn sein soll…
„Verkauft sich aber gut!“, erklärt die freundliche Verkäuferin auf Nachfrage, „Wir müssen den Korb täglich nachfüllen.“

Trendwende auf amerikanisch

In den Meinungsumfragen für die US-Wahlen am 7. November fallen die Republikaner immer weiter zurück, gehen die Demokraten in Führung. Leider aus zweifelhaften Gründen.

Galt vor der Sommerpause noch, dass ein knappes Behaupten der zugunsten der Republikaner erwartet wurde,vermuten einige Analysten inzwischen im Abgeordnetenhaus sowie im Senat einen Erdrutsch-Sieg der Demokraten.

Das Erstaunliche an dieser Entwicklung: der Stimmungsumschwung unter den Wählern ist nicht das Ergebnis einer Politik. Nicht auf den Irak-Krieg der Bush-Regierung ist der Umschwung zurückzuführen, nicht auf Bushs Innen- oder gar Außenpolitik, nicht auf seine Wirtschaftspolitik, auch nicht Iran- oder Nordkorea-Krise gaben den Ausschlag.

Entscheidend für den Stimmungswandel gegen die Republikaner ist scheinbar vielmehr in gravierendem Umfang ausgerechnet ein Schmierenstück – das Verhalten des schwulen Republikaner-Abgeordneten Foley, der inzwischen zurückgetreten ist, sowie der Umgang der Partei damit.

Die New York Times betont inzwischen (15.10.2006) den auffälligen Kontrast zwischen „outward homophobia and inner gayness“ bei den Republikanern, angesichts der großen Zahl offen und nicht offen schwuler Mitarbeiter und Abgeordneter in dieser Partei und der Parteipolitik in Sachen Homosexualität.

Die Affäre Foley – ein (in weiten Teilen schwulenfeindliches) Schmierenstück, das nicht für einen Umschwung in den Meinungsumfragen sorgt, sondern auch den Kern des Problems verdeckt.

Das eigentliche Problem sind Politiker, die nicht offen schwul sein können – aus welchen Gründen auch immer. Und Parteien, die immer noch nicht zu ihren schwulen (oder lesbischen) PolitikerInnen stehen wollen, aus eben dem Grund ihrer Homosexualität. Politiker, die aus gleichen Gründen nicht zu ihren KollegInnen stehen wollen. PolitikerInnen, die aufgrund ihres Schwulseins oder Lesbischseins beurteilt werden, nicht ihrer politischen Leistungen.

Wünschenswert wären politische Parteien, in denen die sexuelle Orientierung ihrer Mitglieder für die politischen Engagements nicht bedeutend ist (weder im Negativen noch im Positiven). Und das nicht nur in den USA …

Dass schwule Politiker anti-schwule Politik machen, wird das allerdings auch nicht wesentlich verhindern.

Fahrradsperre nachgehakt

Berlin ist eine fahrradfreundliche Stadt … ach das hatten wir ja schon. Aber nun gibt es Neuigkeiten.

Ich hab ja in den Perlen schon über die ominöse Sperre mitten auf dem Fahrradweg geschrieben (Kreuzung An der Urania / Kurfürstenstraße, für den der’s erleben möchte).

Ich hab inzwischen beim Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg per Email nach der Sinnhaftigkeit und etwaigen Behebung dieser Sperre gefragt und nach wenigen Tagen gestern eine Antwort erhalten.

Zunächst glaube ich an karabettistisches Talent des BA-Mitarbeiters, lese ich doch „Den geschilderten Radweg gibt es eigentlich nicht mehr“. Ah ja, und worauf fahre ich da gerade? Ist aber ein Missverständnis [auch wenn die Idee kabarettistischer Talente in den Bezirksämtern eine apparte Vorstellung wäre…].

Ich erfahre weiter, der Radweg „ist nur optisch noch erkennbar, wurde aber schon vor einigen Jahren als Radweg polizeilich abgeordnet. Der Radfahrer hat demnach die Fahrbahn zu benutzen“. [auch hübsch, ich dachte Abgeordnete sitzen im Roten Rathaus, sind nicht polizeilich und liegen auch nicht als Radweg in der Gegend. Verwaltungssprache ist was Schönes.]

Aber – es gibt Grund zur Hoffnung: „Vom Senat für Stadtentwicklung wurde jedoch für das Jahr 2007 der komplette Umbau des Verkehrsknotens An der Urania / Kurfürstenstraße eingeplant. Damit wird für den Radfahrer diese Radwegführung auch baulich so angelegt, dass er aus Richtung Charlottenburg kommend automatisch auf die Fahrbahn geleitet wird.“

Na immerhin – dann klärt sich das mit der Sperre. Schade nur, dass nicht statt der Weiterleitung auf die Fahrbahn ein Radweg eingeplant ist … aber das ist sicher wieder ein anderes Thema.

[Nachtrag 17.10.2007: anlässlich der Blogumstellung, beim erneuten Lesen des Artikels, bleibt anzumerken, bisher hat sich an der Kreuzung in Sachen Radweg nichts getan …]

Bonbons statt ‚dfg‘

Statt einem Vortrag über Porno stehe ich heute vor einem Stapel Bonbons.Torres03 Eigentlich – ja eigentlich hatte ich heute zum Symposium „Post Porn Politics“ in der Volksbühne gehen wollen. Die Lecture „Poor guys do it better“ hören, untertitelt „Ethnic gay pornography and class“. Vielleicht auch noch Bruce LaBruce mit seiner Presentation (und sicher rhetorisch gemeinten Frage) „But is it art?“.
„Poor guys“ ist jedoch leider auf morgen verschoben, den Ersatz-Vortrag über „Penis-Ersatz“ muss ich mir wirklich nicht antun, erst recht nicht für 6,-€ Eintritt.

Spontan fahre ich stattdessen zum Hamburger Bahnhof (für die nicht-Berliner Leser: der ehemalige Bahnhof ist seit 10 Jahren Museum für Moderne Kunst). Die Felix Gonzalez-Torres Retrospektive hatte ich mir doch eh ansehen wollen,warum nicht jetzt.

Gleich am Eingang: ein riesiges Quadrat goldfarben eingepackter Bonbons. Einige Besucher stehen irritiert davor, andere belustigt. Ein kleiner Junge nervt seine Mutter offensichtlich damit, eines der Bonbons zu wollen. „Halt den Mund, das ist Kunst“, höre ich sie sagen.

Felix Gonzalez-Torres, US-amerikanischer Konzept-Künstler, starb 1996 an den Folgen von Aids. Die NGBK, die einige seiner Werke schon Ende der 80er Jahre erstmals in Deutschland zeigte (im Rahmen der Ausstellung „Vollbild Aids“), veranstaltet eine umfassende Retrospektive.

Torres02Eine Vielzahl Arbeiten aus Werk- Gruppen erwarten mich: „candy pills“ neben „stacks“, Stapel von Postern in unlimitierter Auflage. Puzzle-Bilder, Lichterketten, Fotografien und Schrift-Arbeiten auf den Museumswänden.
Häufig: das Nebeneinander des Banalen und des Intensiven, des Alltäglichen und des Außerordentlichen, des Privaten und des Öffentlichen. Blutwerte und Krieg in einem fernen Land. In erschreckender, irritierender Dichte, Aufeinanderfolge.

Die Auseinandersetzung mit Aids ist dabei immer wieder Thema seiner Arbeiten, sei es in den Bonbon-Bergen, Fotografien oder Wort-Arbeiten. Die Geschichte hinter den Kunstwerken wird nicht erzählt, es bleibt Aufgabe des Besuchers sie sich zu erschließen.

Vielen Besuchern allerdings scheint das kaum zu gelingen, habe ich das Gefühl. Sie schlendern durch die Ausstellung, klauben Plakate zusammen und naschen Bonbons (auch der kleine Junge kommt bald doch noch auf seine Kosten) – nutzen jedoch kaum die in einem abgetrennten Bereich (dem „Archiv“) bereitgestellten Hintergrund-Informationen.

Torres04 So erfahren sie wahrscheinlich nicht, was hinter den Lichterketten steckt (O-Ton: ‚Das ist aber hübsch, wollen wir das bei uns auch so machen im Treppenhaus?‘). Nichts über die Explosion von Information und gleichzeitige Implosion von Bedeutung. Oder dass eine 60-Watt-Birne genau die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Dass einer der Bonbon-Berge („untitled“, (Ross), 1991) zu Ausstellungsbeginn gut 79 Kilogramm wog, was dem Gewicht seines verstorbenen Lovers Ross entspricht.

Was für ein bezaubernder, metaphysisch anmutender Gedanke. Ich nehme ein Bonbon, mit dem Lutschen wird Ross, wird ein Stück von Gonzalez-Torres‘ Kunstwerk Teil von mir. Das Kunstwerk wird so einerseits immer weniger im Verlauf der Ausstellung – doch auch wieder nicht. Den Anweisungen des Künstlers folgend (‚endloser Vorrat‘) ist spätestens mit jeder neuen Ausstellung ein neuer Bonbon-Berg vorhanden.
Verschwinden und Unmöglichkeit des Verschwindens gleichzeitig.
Was für ein Umgang mit Trauer Erinnern Verlust.

Nachspiel: steht ansonsten eher „Bitte nicht berühren“ auf den Schildern im Museum, gern auch mit Ausrufezeichen, finde ich hier einen anderen Hinweis:

Torres01

Die Macht der Googles & Co.

Gestern hab ich ja schon über den Kauf von YouTube durch Google geschrieben (Milliarden für unsere Inhalte) und die Frage, wessen Inhalte an wen verkauft werden. Die Übernahme hat aber noch eine weitere Dimension – die der Macht.

Das Internet ist inzwischen ein Massenmarkt, längst kein Exotikum mehr. Etwa zwanzig Milliarden (!) US-$ werden allein in den USA dieses Jahr für Online-Werbung umgesetzt. Und um diese Märkte geht es, gerade auch bei den boomenden Online-Gemeinschaften und User-Content-Angeboten.

Google und YouTube zusammen haben allein im August 2006 in Deutschland 3,8 Millionen Menschen erreicht (Einzelbesucher, Besucher beider Sites nur einmal gezählt). Der nächstgrößte Wettbewerber MySpace (der gerade erst an seinen deutschen Seiten arbeitet und als Suchmaschine weltweit eben jenen Wettbewerber Google einsetzt) kommt in Deutschland gerade auf 1,3 Millionen Besucher im gleichen Monat. Auf den weiteren Rängen folgen Lycos Movie (1,2 Mio.) und Myvideo (0,88 Mio.; gehört zu 30% ProSiebenSat1).

Bei Online-Gemeinschaften hat Google durch die Übernahme von YouTube eine Marktpräsenz (nicht nur) in Deutschland erreicht, die kaum jemandem bewusst ist. Dies wird noch deutlicher, wenn die 1,5 Mio. Anwender, die blogger.com (das ebenfalls Google gehört) allein in Deutschland hat, noch dazu gerechnet werden.
Google ist längst nicht mehr „nur“ dominierend im Business der Suchmaschinen (und im Geschäft der dazugehörigen Werbung).

Google hat als Suchmaschinen-Betreiber inzwischen sogar geschafft, die Denkrichtung ‚umzudrehen‘: nicht mehr Google (bzw. sein Such-Algorithmus) richtet sich danach, wie Internetseiten gestaltet sind. Vielmehr ist es längst üblich geworden, sich bei der Seitengestaltung daran zu orientieren, wie Google sucht und bewertet.

Google setzt den Standard. Google wird zudem zu einem global agierenden Internet-Konzern mit Markt-Dominanz. Diese starke Position auch für die Zukunft zu sichern, das scheint der eigentliche Sinn des Kaufs von YouTube zu sein.
YouTube steht bisher für die „Demokratisierung des Fernsehens“, wie Medienkritiker schreiben. Die Entwicklung der Markt-Macht einiger Internetkonzerne könnte jedoch bald in Widerspruch zum Begriff „Demokratisierung“ geraten, gerade wenn sie auf ein Oligo- oder Monopol zuzulaufen scheint.

Und wie damit umgehen?
Zeit für Demokratisierung?

Dass nicht alles geht, dass auch die Welt des User-Content ein Gewissen kennt, zeigte jüngst gerade YouTube: von der NPD produzierte und dort eingestellte Sendungen wurden nach massiven User-Protesten bald wieder vom Server genommen.
Dies zeigt den Weg: User, wenn sie nur einer Meinung sind, haben Macht (analog zu Ralph Naders ‚Macht der Konsumenten‘). Während Konkurrenten von Google, Ebay & Co. schon aufgeben müssen, haben diejenigen, die wirklich Macht haben, dies bisher meist weder erkannt noch umgesetzt: die Nutzer ihrer Angebote.

Web 3.0 – das Web der User?

Heute ist ‚Coming Out Day‘ …

Am 11. Oktober, also heute, ist „Coming Out Day“, erfahre ich von schwulen US-Bloggern.

Bitte was?

Eigentlich mag ich es ja nicht glauben, recherchiere ein wenig, lese in anderen schwulen US-Blogs.

Tatsächlich, die Amis haben heute „National Coming Out Day“. Der Tag, erfahre ich in der US-Wikipedia, solle an den 11. Oktober 1987 erinnern, an dem 500.000 Menschen in einem Marsch auf Washington Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben forderten.

Naja ,wenn es den Tag der Muttersprache gibt, den Tag des Welt-Post-Vereins, den Tag des Öffentlichen Dienstes und den Tag der Poesie, warum dann nicht auch den Tag des Coming Outs.

Warum, allerdings, frage ich mich irritiert, wollen das dann auch die Schweizer feiern?

Zufällig ist allerdings heute auch der „International Day for Disaster Reduction“ (sagt mir die UNO, die für die ‚Internationalen Tage‘ zuständig ist). Diese Kombination ist nun doch Anlass zu Erstaunen, und ich frage mich besorgt, ob zwischen Coming Out und Desaster nun ein Zusammenhang besteht 😉