Im Bett mit dem Staatsanwalt?

Über eine beunruhigende Entwicklung in Sachen Kriminalisierung von HIV-Positiven informiert die aktuelle Ausgabe des HIV-Reports der Deutschen Aids-Hilfe.

Schweizer Forscher hatten ermitteln wollen, in welchem Umfang HIV-Übertragungen in der frühen oder in der chronischen Phase der HIV-Infektion stattfinden. Grundgedanke war dabei die derzeit viel diskutierte These, dass besonders in der Phase der frischen HIV-Infektion HIV-Übertragungen stattfinden.

Für ihre Studie verwendeten die Schweizer Forscher Daten aus zwei Schweizer Studien, der Züricher Primoinfektionsstudie (Zurich Primary HIV Infection Study, kurz ZPHI) sowie der Schweizer HIV-Kohortenstudie (SHCS). Die Daten der Studienteilnehmer wurden verglichen, um anhand von Infektionsverläufen zu errechnen (!), wann eine Infektion stattgefunden haben könnte.

Die Forscher konnten mehrere Cluster identifizieren, in denen errechnet (!) wurde, wer wann wen infiziert haben könnte.

Armin Schafberger, Medizin-Referent der DAH, kommentiert im HIV-Report dieses Vorgehen:

„Die Ermittlung von Infektionsketten mittels Kohortendaten erscheint beunruhigend, wenn man weiß, dass die Kriminalisierung der HIV-Übertragung in vielen Ländern eher zunimmt. Staatsanwälte könnten ein Interesse an einer solchen Forschung haben. Die Pseudonymisierung der Kohortenteilnehmer bietet vor staatsanwaltlichen Eingriffen zwar einen guten, aber keinen kompletten Schutz. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat 2009 ein Rechtsgutachten zum „Beschlagnahmeschutz von Patientenakten (insbes. im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen) eingeholt. Steffen Taubert berichtete im Kompl@t 4/2009 des Kompetenznetzes zusammenfassend über die Ergebnisse“

Das fragwürdige Verhalten der Schweizer Forscher schockiert. Der Staatsanwalt dürfte sich schon die Hände reiben und prüfen, auf welchem Weg er an die Daten kommen kann. Selbst wenn es sich nur um errechnete Infektionswege und wahrscheinliche Infektionsketten handelt, für einen Ermittlungen begründenden Anfangsverdacht dürften diese Daten vielleicht schon genügen.Ganz abgesehen davon, dass das Vorgehen in der Studie vermutlich geradezu eine Handreichung für interessierte Ermittler sein dürfte …

Mit derartigen Studien und Vorgehensweisen bestärken derartige Forscher einmal mehr Vorbehalte gegen Studien und insbesondere Kohorten, besonders wenn diese nicht völlig anonymisiert (sondern wie im vorliegenden Fall nur pseudonymisiert, also prinzipiell rück-identifizierbar) sind.

HIV-Positiven kann -nicht nur angesichts dieser aktuellen Studie – nur geraten werden, sich äußerst gründlich zu informieren und bedacht zu entscheiden, ob sie an Studien teilnehmen, und wenn ja welche Daten und erst recht welche Bio-Materialien sie von sich zur Verfügung stellen.

Weitere Informationen:
Armin Schafberger: „HIV-Übertragungen in der akuten und chronischen Phase der Infektion„, in: HIV-Report Nr. 01/2010, 30. April 2010
Rieder P et al. (2010) HIV-1 transmission after cessation of early antiretroviral therapy among men having sex with men. AIDS 24(8):1177-1183, May 15, 2010 (abstract)
DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen
Kompl@t 4/2009 (pdf)
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HIV-Prävention und Homosexualität

Die aktuelle Ausgabe der „Swiss Aids News“ befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „HIV-Prävention und Homosexualität“.

In der online verfügbaren Ausgabe finden sich u.a. Artikel zu Themen wie
– Auf welches Fundament baut «schwule Gesundheit»?
– ART for Prevention: Die Pillen sollens richten?
– Sex und HIV bei schwulen und bisexuellen Männern
– HIV-Prävention bei MSM: Mission Impossible für die AHS?
– Machen wir die richtige HIV-Prävention?
– Wem gehören die Krankenakten?

Swiss Aids News Nr. 3 September 2009: HIV-Prävention und Homosexualität

Schweiz: nackte Schüler werben für Toleranz

Nackte Tatsachen gegen Homophobie – mit dieser Aktion machen Schülerinnen und Schüler in der Schweiz auf ihre Aktion für mehr Toleranz aufmerksam.

er ist schwul - na und? (Plakat: Verein HalloWelt!)
er ist schwul - na und? (Plakat: Verein HalloWelt!)

Nackte Schülerinnen und Schüler werben für Toleranz, fragen ‚wie lesbigayfriendly bist du?‘ – eine Aktion, die in der Schweiz Aufsehen erregt.

Der Verein ‚HalloWelt! – Schwule und Lesben an Schulen‘ verschickte die Plakate an über 400 Schulen in der Schweiz.Man wolle durch diese Blickfänger zu Diskussionen anregen, betonte der 23jährige Präsident der Gruppe gegenüber der Presse.

Verbunden ist die Aktion mit einem ausführlichen ‚Akzeptanz-Test‘ „Wie LesBiGayfriendly bist du?„. Die Aktion entstand im Umfeld des Coming Out Day. Man wolle „auf die Dazugehörigkeit von Lesben und Schwulen in unserem Alltag aufmerksam“ machen, so die Veranstalter.

Der Verein ‚HalloWelt!‘ „ist aus der Maturarbeit ‚Aktion HalloWelt!‘ entstanden und wurde am 8. September 2005 von einer Hand voll Kantischüler aller sexuellen Ausrichtungen gegründet“.

Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen

‚Unwissen schützt vor Strafe nicht‘, so könnte das Motto eines Urteils in der Schweiz lauten. Ein Mann wurde wegen fahrlässiger HIV-Infektion verurteilt – obwohl er selbst von seiner HIV-Infektion nicht wusste.

Das Bundesgericht der Schweiz (das höchste Schweizer Gericht) hat am 13. Juni ein bemerkenswertes Urteil gesprochen: ein Mann soll seine Partnerin fahrlässig mit HIV angesteckt haben. Der Mann wusste nicht von seiner HIV-Infektion – es habe aber konkrete Anzeichen für die eigene Infektion gegeben, so das Bundesgericht, deswegen ‚fahrlässiges Verhalten‘.

Wie die NZZ berichtet, hatte der Mann ungeschützten Sex mit seiner Partnerin. Bei der Frau wurde später eine HIV-Infektion diagnostiziert, und mit einem Virus-Typ, der eine Infektion durch den Mann als nach Ansicht des Bundesgerichts ‚medizinisch nachgewiesen‘ erscheinen lässt.

Der Mann hatte kein positives Ergebnis eines HIV-Tests. Er hatte auch zuvor mit anderen Partnerinnen ungeschützten Sex, unter anderem auch mit einer Frau, von der er wusste dass sie HIV-positiv ist.

Genau hier setzte das Bundesgericht an. Er habe, da er Risikokontakte hatte, die Möglichkeit einer eigenen Infektion nicht ausschließen können. Er habe konkrete Anzeichen für die mögliche eigene HIV-Infektion gehabt. Folglich hätte er Schutzvorkehrungen treffen müssen. Insofern sei sein Verhalten fahrlässig gewesen.

Das Bundesgericht widersprach damit einem vorherigen auf Freispruch lautenden Urteil des Züricher Obergerichts. Dieses Gericht hatte noch geurteilt, es bestehe keine Rechtspflicht, sich nach ungeschützten Sex vor dem nächsten ungeschützten Sex auf HIV testen zu lassen.

Der Mann wurde vom Bundesgericht zu einer bedingten Gefängnisstrafe von neuen Monaten sowie einer Geldstrafe von 30.000 Franken und Schadenersatz verurteilt. (Urteil 6B-235/2007)

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Als Dokumentation die Haltung der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Sachen des EKAF-Statements („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„):

Der Delegiertenrat der DAH hat in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand folgenden Beschluss gefasst:

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Die HIV-Prävention wird einfacher, also komplexer

Die Reaktionen auf die Botschaft der EKAF in der Schweiz haben eine grundlegende Debatte über realistischere Risikoeinschätzung und die Infektiösität von Menschen mit HIV und AIDS forciert.

Die nunmehr öffentlichen Informationen können für Menschen mit HIV und AIDS eine konkrete Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -Perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglichen. Sie entlasten serodiskordante Paare unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und erleichtern in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV und AIDS.

Somit können Stigmatisierung und Diskriminierung – auch in juristischer Hinsicht – vermindert und Solidarität gefördert werden.

Zudem werden unsere bisherigen Präventionsbotschaften sinnvoll und wirksam ergänzt.

Auf der Grundlage des im Leitbild formulierten Menschenbildes ist es Ziel der DAH, Menschen dazu zu befähigen und ihnen zu ermöglichen informiert, selbst bestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV und AIDS umgehen zu können.

„Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger Menschen wissen aber zugleich um die Grenzen der Prävention.“

Wir werden daher weiterhin und verstärkt niedrigschwellige und umfassende Informationen zur Verfügung stellen, um kompetentes und differenziertes Risikomanagement zu ermöglichen.

Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung gewinnen auch für die Prävention an Bedeutung. Die DAH sieht daher dringenden Bedarf, die bisherige Datenlage durch intensivere Forschung zu verbessern.

Gerade hier spielt die AIDS-Hilfe eine entscheidende Rolle, da sie in der Lage ist, solche Ergebnisse und deren Auswirkungen auf die Lebenssituation ihrer Zielgruppen zu interpretieren und in lebenspraktisches Risikomanagement umzusetzen.

Die DAH muss diese Informationen in ihrer Arbeit aufgreifen und umsetzen – beispielsweise im Internet, den Printmedien, der Aufklärungs- und Beratungsarbeit vor Ort und in ihren Präventions-Kampagnen (aktuell die Kampagne „Ich weiß, was ich tu“).

Diese Haltung gilt es konsequent gegenüber der Öffentlichkeit und unseren Kooperationspartnern einzunehmen und zu vertreten

Berlin, 08.03.2008

Nachtrag 16.11.2008:
Über Ergänzungen zur Haltung im Rahmen der Diskussionen und Bedenken zur EKAF-Veröffentlichung seitens der AG Prävention berichtet koww.

Kleine Kohorte

Aus dem Kompetenznetz HIV ist seit Wochen Erstaunliches zu vermerken: die HIV-Kohorte, die schon aufgrund von Datenschutz-Problemen in die Kritik geriet, soll drastisch verkleinert werden.

Derzeit umfasst die HIV-Kohorte nach mühevollem Start in den vergangenen Jahren jetzt die Datensätze von weit über 16.000 Patienten (andere Quellen sprechen von 14.000). Nun, so ist zu hören, soll sie auf ‚Empfehlung‘ von Gutachtern drastisch verkleinert werden – auf bald nur noch 8.000 Patienten. Auch die Zahl der beteiligten Zentren solle reduziert werden. Zudem solle die so entstehende ’neue Kohorte‘ zukünftig geschlossen sein – neue Patienten sollen nach Etablierung nicht mehr eingeschlossen werden.

Die ‚Eindampfung‘ der Kohorte mag Gründe haben, Gründe sowohl wissenschaftlicher als auch finanzieller Natur. Die Datensätze der über 16.000 eingeschleusten Patienten waren nicht alle von gleich guter Qualität. Doppelte Datensätze, Datensätze mit nur wenig Angaben und Ähnliches minderten die Qualität, schränkten die Auswertbarkeit ein. (Daten zur Kohorte Stand Dezember 2006 hier)

Dennoch – Fragen stellen sich. Die Kohorte sei das ‚Rückgrat des Kompetenznetzes‘, ist auf seinem Internetangebot zu lesen.
Die Größe der Kohorte (‚ein enormer Anteil der in Deutschland in Behandlung befindlichen HIV-Positiven‘) war bisher eines der gern für die Kohorte ins Feld geführten Argumente. Nun nicht mehr?
Und – eine geschlossene Kohorte wird für die Zukunft eine sich ständig verkleinernde Kohorte bedeuten. Patienten wechseln den Arzt, wechseln den Wohnsitz, beenden aus eigenem Entschluss die Teilnahme, versterben oder gehen dem ‚Followup‘ aus sonstigen Gründen verloren. Welche Relevanz können Aussagen aus einer kleineren, ständig schrumpfenden Kohorte haben?

Nebenbei – die kleine Schweiz hat seit 1988 (!) eine HIV-Kohorte, die (bei Kosten von jährlich ca. 3,5 Mio. sFr.) gute Studiendaten produziert. An 5 Universitäten und 2 Kantonsspitälern wurden bisher über 14.500 HIV-Positive in die Kohorte eingeschlossen (Bericht über die Swiss HIV Cohort als pdf hier, aktuelle Daten auf der Site der Kohorte unter ’state of the cohort‘)

Der Aufbau der deutschen HIV-Kohorte wurde seit Juni 2002 mit beträchtlichen öffentlichen Geldern finanziert.
Eine Reduzierung von über 16.000 Patienten auf 8.000 Patienten bedeutet eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte. Wurden für über 8.000 Patienten Daten vergeblich eingegeben, Biomaterialien vergeblich abgenommen und eingelagert? Die Kosten, die vor Ort, bei Ärzten und in Kliniken, dafür entstanden, wurden ihnen erstattet. Mittel, die nun vergeblich investiert wurden?

Doch neben der Frage einer effizienten Verwendung öffentlicher Mittel stellen sich noch weitere Fragen. Scheiden die ‚weg-reduzierten‘ Patienten aus der Kohorte aus? Werden die Patienten, deren Daten in der Kohorte nicht mehr verwendet werden, über ihr Ausscheiden und/oder den neuen Status informiert? Werden Daten und Biomaterial der betroffenen Patienten sicher vernichtet? Und, die Fragen, die sich aus den Datenschutz-Problemen Ende 2006 ergaben stehen auch größtenteils noch im Raum …

Die Verkleinerung der deutschen HIV-Kohorte – ist sie ein Schritt zu einer neuen erfolgreicheren Zukunft? Oder wird hier ein einstiges vermeintliches Renommier-Projekt still und leise auf elegantem Weg einer baldigen Entsorgung entgegen geführt?

Pikanterweise ist zu hören, dass einige der auch an Kompetenznetz und HIV-Kohorte beteiligten Forscher parallel damit beschäftigt sein sollen, selbst (mit noch weniger Patienteninformation) eine eigene Kohorte aufzubauen – vermutlich nicht gerade ein Vertrauensbeweis in die ’neue‘ HIV-Kohorte.

Zu Grabe getragen

In Sachen der Darkroom-Schließungen reagiert die Züricher Szene – der dortige CSD wird statt einer Spaß-Party wieder politischer … mit einem hübschen T-Shirt gegen die dortige Polizei-Cheffin, auf dem symbolisch das (nicht nur homosexuelle) Nightlife der Stadt zu Grabe getragen wird.

Nachtrag 09.12.2008: ‚Zürich: Darkrooms doch legal‘, meldet queer.de über ein urteil des Obergerichts Zürich.

Über dunkle Räume

In Zürich geht die Polizei gegen Etablisssements mit Darkrooms vor, meldet u.a. das Homo-Portal Queer.

Die Wogen der Diskussionen schlagen hoch – und plätschern doch nur, auf teils peinlichem Niveau. Da wird gar die Polizei verteidigt, vor (im Internet durchaus dokumentiertem) club- und schwulenfeindlichem Verhalten der Züricher Polizei werden munter beide Augen verschlossen. Neueste Posse: der Vorschlag, eine Homo-Einheit der Polizei könne doch ‚Berührungsängste abbauen‘.

Der an Jahren schon etwas ältere Leser mag sich vielleicht erstaunt die Augen reiben. Sich erinnern an längst vergangene Zeiten, an längst überwunden geglaubte Diskussionen. An ausgehängte Sauna-Türen und eben Darkroom-Verbote. An Gauweilereien und andere ‚Maßnahmen‚ Mitte der 80er Jahre.

Und der ein oder andere erinnert sich vielleicht, dass erst jüngst die Schweizerischen Verhältnisse als Vorbild für Deutschland herhalten musste. Dass auch deutsche Politiker fordern, mit schweizerischen Maßnahmen hierzulande ‚Infektionsschutz‘ zu betreiben, und die Bundesregierung schon eine Untersuchung beauftragt hat.

Worum geht es?
Nachdem es bereits häufiger zu Schikanen gekommen war gegen Wirte, die auch Darkrooms anboten, schloß die Züricher Wirtschaftspolizei am 20. April 2007 einen Club mit Darkroom ganz. Ein weiterer Club ist noch geöffnet, der Darkroom jedoch geschlossen.
‚Unhaltbare hygienische Zustände‘ wurden später offiziell für die Schließung angegeben. Doch diese weisen die Clubbetreiber weit von sich. Sie (die (ehemaligen) Betreiber des Labyrinth) schreiben dazu u.a. auf ihrer Website:

  • In der schriftlichen Verfügung des Kommissariats Polizeibewilligungen zum „Entzug des Gastwirtschaftspatentes“ ist unter anderem folgendes festgehalten: „In dem Lokal wurden einmal mehr desolate Zustände festgestellt. Es wurde festgestellt, dass in den widerrechtlich genutzten sog. Darkrooms sowie in und um die Toiletten insbesondere im hygienischen Bereich unhaltbare Zustände herrschen. Aufgrund der festgestellten Missstände, insbesondere der wiederholten Verletzung der öffentlichen Ordnung und guten Sitten, ist der sofortige Entzug des Gastwirtschaftspatentes die einzig wirksame Massnahme, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.“ …
    Langjährige Gäste des Labyrinth werden wissen, dass die Toiletten im Club seit vielen Jahren gleich aussehen und wir seit bald 14 Jahren unseren Gästen einen Darkroom anbieten. Von dem her mutet es zumindest merkwürdig an, dass all dies bei früheren Kontrollen niemals Anlass zur Beanstandung gab, die Behörden uns aber jetzt in einer schwierigen Zeit einen Strick daraus drehen. Es entsteht – im Zusammenhang mit den polizeilichen Aktionen der letzten Monate im Labyrinth-Club und unlängst auch in der Lobby-Bar – der Eindruck, dass die Behörden das Labyrinth und dessen Betreiber aus was auch immer für Gründen ganz einfach nicht mehr im Zürcher Nachtleben dulden wollen.

Die Wirte reagieren über Zürich hinaus: Der ‚VEGAS‚ Verein Gay-Betriebe Schweiz‘ soll laut Queer seinen Mitgliedern derzeit raten, Darkrooms in Zukunft geschlossen zu halten. Am 30.3. noch hatte VEGAS in einer Pressemitteilung mitgeteilt, Darkrooms könne es auch zukünftig geben, allerdings unter anderen Bedingungen (aus Gastrobereich ausgeschlossen).

Im Diskussionsforum auf dem Internetangebot des geschlossenen Clubs wird bereits resümiert „Das Klima in Zürich wird homophober, Razzien auf Clubs und Partys werden als entwürdigend und unverhältnismässig empfunden.“ Und zum Handeln aufgerufen: „Die Gespräche mit der Polizei bringen offenbar nichts. Der CSD 2007 kann deshalb nicht einfach eine bunte Parade bleiben.“ (Pink Cross)

Auf dem Diskussionsforum zum Queer-Artikel hingegen verteidigen Schwule munter die Polizei, nach dem Motto ‚ja, es gibt ja auch Sauberkeitsprobleme, und diese Drogen …‘ und warnen gar vor ‚Vorurteilen gegen die Schweizer Polizei‘.
Da passt es, dass auf die Frage ‚Nach Zürich: Sollen Darkrooms in Deutschland schließen?‘ immerhin 29% (Stand 5.5.) der Nutzer des ‚Queer‘-Votings‘ mit ‚Ja, diesen Schmuddelsex braucht niemand‘ antworteten …

Manchmal stellt sich die Frage, worüber man sich mehr wundern sollte…
Über die Schweiz und deren Maßnahmen aus der repressiven Mottenkiste?
Oder über deutsche Politiker, die hierin ein nur gar zu gerne nachzuahmendes Beispiel sehen?
Oder etwa über die vielen Nutzer eines Internetangebots für Schwule, die selbst für die Schließung von Darkrooms votieren?
Oder gar über Schwule, die immer noch nicht merken, wohin die Reise geht? (Ach, würden sie doch mal auf Wahlplakate achten …)
Oder erschrecken über den Geist, der einem da entgegen wabert? (Zitat: ‚Ja, ich bin stolz darauf, es NICHT nötig zu haben, mir SEX in irgendwelchen Büschen oder versifften dunklen Darkrooms … zu holen.‘)

Nebenbei, geradezu naiv finde ich die Vorstellung, man müsse nur einige Darkrooms schließen, und dann wären alle Probleme gelöst (oder auch nur etwas verbessert). Niedlich diese Naivität zu glauben, dann würde anonymer Sex nicht mehr stattfinden. Nicht doch an anderen (und schwerer erreichbaren) Orten gesucht und gefunden werden …

Strafrecht gegen unsafen Sex – ein Blick über die Grenzen

Die Bundesregierung lässt untersuchen, wie andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen HIV-Übertragung vorgehen. Ein Blick über die Grenzen öffnet erschreckende Perspektiven.

Marion Caspers-Merk (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- Gesundheitsministerium, bestätigte Presseberichten zufolge gegenüber dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck auf Nachfrage, in einem derzeit laufenden Forschungs- Vorhaben werde untersucht, welche Erfahrungen andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen Aids allgemein sowie speziell der Anbahnung von Bareback- Sex im Internet gemacht haben.
„Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir über weitere Maßnahmen sprechen“, so Caspers-Merk. Alles, was „erwiesenermaßen nutzt, werde umgesetzt“, kündigte sie an.

Caspers-Merks Ankündigung passt gut in den Kontext der jüngsten Bundestagsdebatten zu Aids, insbesondere auch dem ‚Spahn-Antrag‚, der ebenfalls auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Bareback zielte und hier insbesondere die Erfahrungen von Österreich (EU- Mitglied) und der Schweiz (nicht EU-Mitglied) ansprach. Im (am 23. März im Bundestag beschlossenen) ‚Spahn-Antrag‚ wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Erfahrungen Österreichs und der Schweiz mit Strafrechts- Verschärfungen auf eine Übertragbarkeit auf Deutschland zu untersuchen.

Wie sieht die Situation in diesen beiden Ländern aus?

Österreich:
§ 178 und § 179 StGB behandeln die vorsätzliche bzw. fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Für eine Strafbarkeit genügt, dass eine Infektion durch eine Handlung möglich gemacht wird (Infektion nicht erforderlich für Strafbarkeit). Nach österreichischer Rechtsprechung liegt Fahrlässigkeit bereits dann vor, wenn ein Betroffener zwar nichts von seiner Infektion weiß, aus den konkreten Umständen aber Kenntnis davon erlangt haben müsste.
Bisher fanden circa knapp 40 Verfahren statt, ca. 30 Personen wurden verurteilt.
Die Einschätzung, Bareback sei per se etwas ganz Gefährliches, wird auch von den österreichischen Aidshilfen in der Öffentlichkeit geteilt. Die Aidshilfe würde sich bemühen, Bareback-Veranstaltungen zu verhindern, wenn dies nicht erfolgreich sei auch mit rechtlichen Schritten, so ein Vertreter der Aidshilfe Wien.

Schweiz:
Art. 231 StGB (Verbreiten einer gefährlichen menschlichen Krankheit) – Strafbarkeit selbst dann, wenn die (bis dato nicht infizierte) Person zugestimmt hat, allerdings muss Infektion stattgefunden haben (nicht nur Versuch).
Zudem möglich: Körperverletzung oder versuchte Tötung nach Art. 122, 123, 111 & 112 StGB.
Bisher über 30 Ermittlungsverfahren, mehr als 20 Personen verurteilt. Auch die Übertragung von Hepatitis C wird strafrechtlich verfolgt.
Die geltenden Regelungen werden in der Schweiz immer wieder kritisch kommentiert und Abschaffung gefordert (wie 2001 von der Aidshilfe Schweiz), sie sind aber weiterhin in Kraft. Im Gegenteil, Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) ist stolz darauf durchgesetzt zu haben, dass die Einhaltung der Präventionsvereinbarung in den Betrieben kontrolliert und mit Schließung gedroht wird.

In den EU-Staaten
ist die Situation hinsichtlich des strafrechtlichen Umgangs mit HIV-Infektionen sehr unterschiedlich. Die Kriminalisierung von Positiven ist EU-weit in unterschiedlichem Umfang ein Problem.
Vor diesem Hintergrund befasst sich mit diesem Thema nicht nur das vom BMG in Auftrag gegebene Gutachten, sondern auch eine Untersuchung von GNP+ und Terrence Higgins Trust, deren erste Ergebnisse im November 2006 in Glasgow vorgestellt wurden.
Diese Analyse betrachtet den Bereich der Staaten, die die Europäische Konvention für Menschenrechte unterzeichnet haben. In mindestens 21 dieser Staaten fanden Verurteilungen wegen HIV-Infektion statt – ‚Spitzenreiter‘ waren Schweden sowie Österreich und die Schweiz.

Eine Tendenz zum zunehmenden Einsatz des Strafrechts stellt auch UNAIDS fest und warnt, dies führe möglicherweise zu einer Rückkehr zur alten (und wenig erfolgreichen) Politik der Schuldzuweisungen, zunehmender Stigmatisierung und abnehmender Eigenverantwortung für den eigenen Schutz. Die Anwendung des Strafrechts bei HIV-Übertragung sei unangemessen und kontraproduktiv, diese Erkenntnis von 2002 gelte auch 2007 unverändert.

Letztlich steht hinter vielen dieser Regelungen wie z.B. in der Schweiz oder Österreich, aber auch einigen Bemühungen deutscher Politiker und Homosexueller die (meines Erachtens irrige) Vorstellung, Epidemien ließen sich mit Repression bekämpfen.

Kann das Strafrecht überhaupt ein Mittel erfolgreicher Prävention sein?
Vielleicht lässt sich dies mit der Gegenfrage beantworten, ob die Strafbarkeit von Einbrüchen bisher einen Einbruch verhindert hat …

Vielleicht sollte den Warnungen und Hinweisen z.B. von UNAIDS mehr Beachtung geschenkt werden.

Das hindert allerdings auch zahlreiche Schwule nicht daran, Strafverschärfungen zu fordern (wie z.B. die LSU). Und besonders bizarr wird es, wenn Aidshilfen sich wie in Österreich an die Seite der Ermittler und Verfolger stellen.

Leider ist zu befürchten, dass die derzeit angestellten transnationalen Vergleiche nicht etwa dazu führen, dass in Richtung der liberaleren Gesetzgebungen reformiert wird. Vielmehr dürften (wie es der Spahn-Antrag ja vormacht) die schärferen Vorschriften als vermeintliche ‚guten Beispiele‘ dienen, auch hierzulande weitere Strafrechts-Verschärfungen vorzuschlagen und letztlich einzuführen (bei der derzeitigen Verbots- Manie…).

Caspers-Merks Ankündigung, alles was sich als nützlich erweise werde auch hierzulande umgesetzt, lässt für die nähere Zukunft wohl nichts Gutes ahnen…

Material:
Österreich: Rechtsgutachten Prof. Hinterhofer „Zur Strafbarkeit von Sexualkontakten HIV-Infizierter Personen nach §§ 178, 179 StGB“ (im Auftrag der österreichischen Aids-Hilfen) als pdf
hier
UNAIDS: Criminal law, public health and HIV transmission (2002, pdf
hier)
UNAIDS: Crminalisation of HIV transmission (2007, pdf
hier)
UNAIDS: handbook for Legislators on HIV/AIDS, Law and Human Rights (1999, pdf
hier)
EATG: Criminalisation of HIV transmission (workshop, 8th International Congress on Drug Therapy in HIV Infection; Programm und Links zu den einzelnen Vorträgen
hier)
die umstrittene Sendung von Report Mainz über Barebacking (28.11.2005) als Video und Mitschrift
hier