Petition gegen Wahlcomputer

Eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag fordert derzeit die Abschaffung der „Stimmabgabe mit Wahlgeräten“. Noch bis 28.11.2006 ist eine Mit-Zeichnung online möglich.

Wahlen erfordern viel Aufwand, wird oft formuliert, deswegen seien Vereinfachungen anzustreben. Hierzu hat das Bundeswahlgesetz einen Paragraphen 35, der die Stimmabgabe mit Wahlgeräten regelt.

Hinter dem schlichten Wort ‚Wahlgerät‘ verbirgt sich eigentlich ein Wahlcomputer. Und genau hiergegen wendet sich der Petent Tobias Hahn, der inzwischen, Stand 28.10.06, knapp 15.000 Unterstützer gefunden hat. Er fordert die ersatzlose Streichung dieses Paragraphen – und somit die Abschaffung der Möglichkeit, Wahlcomputer einzusetzen.

Die -nicht nur vom Petenten- vorgebrachte Kritik gegen Wahlcomputer zielt u.a. auf ihre leichte Manipulierbarkeit und fehlende Kontrolle.
Dass Wahlcomputer manipulierbar sind, ist vielfach gezeigt worden – man kann sie sogar dazu bringen Schach zu spielen. Insbesondere aber sei, so der Petent, bei Einsatz von Wahlcomputern nach Abgabe der Stimme keinerlei Kontrolle über die Korrektheit des Wahlablaufs mehr möglich (wie dies hingegen bei Stimmzetteln jederzeit leicht machbar ist).

Ein theoretisches Problem? Bei weitem nicht – und man muss zu Problemen mit Wahlmaschinen und Wahlanfechtungen nicht erst in die USA reisen. Auch in Deutschland werden ab und an Wahlen angefochten, erneute Auszählungen erforderlich (wie zuletzt Volkskammer-Wahl 1989 und Dachau 2002).

Durch das Fehlen der Kontrollmöglichkeit bei Einsatz von Wahlmaschinen würden fundamentale Prinzipien der Demokratie ausgehebelt (u.a. Kontrollierbarkeit des Wahlablaufs und Überprüfung einer Wahl), so der Petent.

Die Petition zur Abschaffung von Wahlmaschinen ist (nach Einrichten einer „Ersatz-Petition“ aus „technischen Gründen“) online hier erreichbar. Eine Mit-Zeichnung ist noch bis einschließlich 28. November 2006 möglich.

Hintergrund:
Öffentliche Petitionen sind ein zunächst auf 2 Jahre befristeter Pilotversuch des Petitionsausschusses des deutschen Bundestags, der seit dem 1.9.2005 läuft und über das allgemeine Petitionsrecht hinausgeht. Die Frist, innerhalb derer sich Mit-Zeichner der Petition des Haupt-Petenten anschließen können, beträgt sechs Wochen. Danach wird die Petition gemäß den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen für Petitionen vom Ausschuss behandelt. Ab 50.000 Unterschriften besteht die Möglichkeit, dass der Petent im Bundestag gehört wird.

Und falls Sie sich über die seltsame englische Internet-Adresse wundern: dazu erklärt der Bundestag selbst „Das System „Öffentliche Petition“ des Deutschen Bundestages basiert auf einem System des Schottischen Parlaments und den dort gesammelten Erfahrungen. Im Rahmen eines Modellversuchs werden die Internetseiten „Öffentliche Petition“ vom International Teledemocracy Centre an der Napier-Universität in Edinburgh zur Verfügung gestellt.“ Eigentlich beruhigend, dass im Rahmen des Modellversuchs zunächst kostensparend ein bereits bestehendes System genutzt wird (auch wenn die Adresse zunächst irritiert).

Mehr lesen:
Weitere Informationen zu Wahlcomputern, ihrer Manipulierbarkeit und ihren (nur vermeintlichen) Kosteneinsparungen in Andreas‘ Blog sowie auf Wikipedia.
Informationen zur Petition und ‚was man noch machen kann‘ auf der Wiki der Berliner Gruppe des Chaos Computer Club.

Die Macht der Googles & Co.

Gestern hab ich ja schon über den Kauf von YouTube durch Google geschrieben (Milliarden für unsere Inhalte) und die Frage, wessen Inhalte an wen verkauft werden. Die Übernahme hat aber noch eine weitere Dimension – die der Macht.

Das Internet ist inzwischen ein Massenmarkt, längst kein Exotikum mehr. Etwa zwanzig Milliarden (!) US-$ werden allein in den USA dieses Jahr für Online-Werbung umgesetzt. Und um diese Märkte geht es, gerade auch bei den boomenden Online-Gemeinschaften und User-Content-Angeboten.

Google und YouTube zusammen haben allein im August 2006 in Deutschland 3,8 Millionen Menschen erreicht (Einzelbesucher, Besucher beider Sites nur einmal gezählt). Der nächstgrößte Wettbewerber MySpace (der gerade erst an seinen deutschen Seiten arbeitet und als Suchmaschine weltweit eben jenen Wettbewerber Google einsetzt) kommt in Deutschland gerade auf 1,3 Millionen Besucher im gleichen Monat. Auf den weiteren Rängen folgen Lycos Movie (1,2 Mio.) und Myvideo (0,88 Mio.; gehört zu 30% ProSiebenSat1).

Bei Online-Gemeinschaften hat Google durch die Übernahme von YouTube eine Marktpräsenz (nicht nur) in Deutschland erreicht, die kaum jemandem bewusst ist. Dies wird noch deutlicher, wenn die 1,5 Mio. Anwender, die blogger.com (das ebenfalls Google gehört) allein in Deutschland hat, noch dazu gerechnet werden.
Google ist längst nicht mehr „nur“ dominierend im Business der Suchmaschinen (und im Geschäft der dazugehörigen Werbung).

Google hat als Suchmaschinen-Betreiber inzwischen sogar geschafft, die Denkrichtung ‚umzudrehen‘: nicht mehr Google (bzw. sein Such-Algorithmus) richtet sich danach, wie Internetseiten gestaltet sind. Vielmehr ist es längst üblich geworden, sich bei der Seitengestaltung daran zu orientieren, wie Google sucht und bewertet.

Google setzt den Standard. Google wird zudem zu einem global agierenden Internet-Konzern mit Markt-Dominanz. Diese starke Position auch für die Zukunft zu sichern, das scheint der eigentliche Sinn des Kaufs von YouTube zu sein.
YouTube steht bisher für die „Demokratisierung des Fernsehens“, wie Medienkritiker schreiben. Die Entwicklung der Markt-Macht einiger Internetkonzerne könnte jedoch bald in Widerspruch zum Begriff „Demokratisierung“ geraten, gerade wenn sie auf ein Oligo- oder Monopol zuzulaufen scheint.

Und wie damit umgehen?
Zeit für Demokratisierung?

Dass nicht alles geht, dass auch die Welt des User-Content ein Gewissen kennt, zeigte jüngst gerade YouTube: von der NPD produzierte und dort eingestellte Sendungen wurden nach massiven User-Protesten bald wieder vom Server genommen.
Dies zeigt den Weg: User, wenn sie nur einer Meinung sind, haben Macht (analog zu Ralph Naders ‚Macht der Konsumenten‘). Während Konkurrenten von Google, Ebay & Co. schon aufgeben müssen, haben diejenigen, die wirklich Macht haben, dies bisher meist weder erkannt noch umgesetzt: die Nutzer ihrer Angebote.

Web 3.0 – das Web der User?

Milliarden für unsere Inhalte

Blogger, MySpace, YouTube – immer mehr interessieren sich große Konzerne für die bunte Welt des user-generated content. Was da jedoch für viel Geld verkauft wird, sind eigentlich wir selbst. Ohne gefragt zu werden, klar. Demokratie im Web 2.0 …

Für 1,65 Milliarden Dollar kauft Google YouTube. Bereits 2003 hatte Google auch Blogger, eine der weltweit größten Blogging-Platformen (auf der auch dieses Blog läuft [damals …]) übernommen. Und Medienzar Murdoch übernahm im Juli 2005 das Online-Angebot MySpace für 580 Millionen Dollar – damals ebenfalls ein Rekordpreis.

YouTube, jetzt von Google übernommen, ist eines dieser Internet-Angebote, die auch als Web 2.0 bezeichnet werden – Stichwort ‚user generated content‘. Der Anbieter stellt ein System bereit, das Inhalte verwaltet und publiziert, die Nutzer sorgen für die Inhalte (nicht mehr, wie im Web 1.0, der Anbieter).
Das heißt andererseits aber auch: was diese Übernehmer kaufen, ist eigentlich zweierlei: die „Hülle“, der Programmrahmen, den der Anbieter bereitstellt, und unsere Inhalte.

Was wären Blogger, YouTube, MySpace und Co. ohne unsere Inhalte?
Nicht viel mehr als ein leerer Schuhkarton!
Das was da für absurde Beträge verkauft wird, sind unsere Inhalte, sind wir! Sind unsere Texte, unsere Bilder, unsere Videos, unsere Inhalte.

Ob die Damen und Herren, die jetzt Milliarden einnehmen bzw. ausgeben sich schon einmal überlegt haben, was ihre tollen Internetangebote wert sind, wenn wir plötzlich einmal keine Lust mehr haben sollten, darauf unsere Inhalte zu posten? Etwa, weil wir plötzlich mit Werbung zugeballert werden? Oder plötzlich Teile von Angeboten gebührenpflichtig werden? Über beides denkt Google in Sachen YouTube bereits nach, wie Googles Nordeuropa-Chef im Spiegel-Online-Interview bestätigt. Oder weil es uns nicht gefällt, dass wir rundum in unserem Surfverhalten ausspioniert werden, um die Werbemethoden zu verfeinern und die Werbeeinnahmen zu steigern? Oder gar, weil es uns irgendwann nicht mehr gefällt, dass einige wenige Unternehmen ganze Marktsegmente im Internet dominieren? Schließlich, Microsoft hat schon ein Image-Problem…

Irgendwie, wird mir immer bewusster, klemmt dieses tolle Web2.0 – Modell. Wir machen die Inhalte, und andere Leute setzen die Regeln, verdienen prächtig an unseren Inhalten.
Kann es das sein?
Wollen wir nicht langsam mal gefragt, beteiligt werden?
Ist die Tatsache, dass ich unentgeltlich eine Plattform bekomme, meine Gedanken Fotos Videos etc. ins Internet zu stellen es wert, dass andere über meine Inhalte verfügen, damit Geld verdienen?
Oder brauchen auch diese Modelle eine andere Form von Nutzer-Beteiligung, von Demokratie?

Fundamentalisten in Deutschland

Fundamentalisten – dabei denken Sie sicherlich zuerst an „islamische Fundamentalisten“.
Aber, es gibt sie auch im Christentum. Christliche Fundamentalisten, Menschen die glauben, die Antworten auf alle Fragen (auch des heutigen Lebens) seien in der Bibel zu finden. Und es gibt sie zunehmend auch in Deutschland.

Ganz vorne mit dabei im Reigen christlicher Fundamentalisten: die Kreationisten.
Sie sind gegen die Evolutionstheorie, glauben nicht, dass der Mensch sich aus dem Affen entwickelt habe (nach Darwin, „Die Entstehung der Arten“). Gott habe die Welt erschaffen, nicht nur im religiösen Sinn, sondern ganz real.

Die Kreationisten, eine Bewegung, die in den USA längst breit Fuß gefasst hat, sind in den letzten Jahren zu einer starken Kraft geworden. Lehrpläne von Schulen werden beeinflusst, „Museen“ der Schöpfungsgeschichte entsprechend der Lesart der Kreationisten gebaut. Bis in höchste Regierungskreise hat die Bewegung Unterstützer. In den letzten Jahren werden Kreationisten auch in Europa aktiv.

ErdmaennchenZunehmend promoten die Kreationisten dabei eine Variante ihrer Überzeugung, die sie „intelligent design“ nennen. Gott habe die Welt erschaffen, lehren sie. Versuchen, so genannte Mikro- Evolution von so genannter Makro- Evolution zu unterscheiden. Einige, die zentralen Teile der Natur seien keine „zufälligen Ereignisse“ (wie nach Darwin), sondern Teil einer bewussten Schöpfung, eines göttlichen Plans.
Diese Volte hat einen Hintergrund: Kreationismus an Schulen zu unterrichten ist in den USA verboten. Ein „wissenschaftlicher Anstrich“ musste her … oder: Religion (hier: fundamentalistische Religion) wird als „Wissenschaft“ verkauft, um sie besser in der Gesellschaft durchsetzen zu können.
Schöner Nebeneffekt: indem sie sich einen „wissenschaftlichen Anstrich“ geben, beanspruchen sie auch, mit Naturwissenschaften auf einer Ebene zu stehen.

Auch in Deutschland findet dieses Gedankengut zunehmend Ausbreitung, selbst im Schulwesen. „Wort und Wissen“ – diese Organisation ist eine der wichtigsten im Bereich Kreationisten hierzulande.
Die August Hermann Franke Schule in Gießen unterrichtet z.B. im Biologie-Unterricht neben der Evolutionstheorie auch ‚intelligent design‘, verwendet ein (für den Unterricht nicht zugelassenes) Schulbuch von Kreationisten – und das in einer staatlich anerkannten (Privat-) Schule.
Die staatliche Schulaufsicht Hessens fühlt sich für ‚intelligent design‘ nicht zuständig, die Schule sei ja zugelassen. Die Eltern würden sich ja freiwillig für die Schule entscheiden.
Selbst deutsche Politiker wie Anette Schavan begrüßen die von Kreationisten begonnene Debatte – und spannen sich so, bewusst oder unbewusst, vor den Karren einer fundamentalistischen christlichen Bewegung.

Was wollen die Kreationisten?
Die Bibel ist wahr, ist ihre Überzeugung. „Schöpfung ohne Kompromisse“, wie der Titel einer Kreationisten-Konferenz deutlich macht. Wer Darwin zustimme, rufe den Zorn Gottes hervor. Ziel des ‚intelligent design‘ sei eine mit dem Christentum verträgliche Wissenschaft, erklärt einer ihrer Vertreter.
Ein Beispiel, was das nach ihrer Vorstellung heißt: ‚Die Welt ist 6.000 Jahre alt. Stern und Planeten sind dabei etwas jünger als die Erde – denn in der Bibel steht, Gott habe die Erde am ersten, Sterne und Planeten jedoch am vierten Tag erschaffen.‘

Es geht nicht darum, hier Kreationisten durch Berichte aufzuwerten, Aufmerksamkeit zu schaffen, oder sie Darwin in Frage stellen zu lassen. Wohl aber geht es darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, wenn diese Bewegung auch hier Fuß fasst.

War nicht erst die Trennung von Wissenschaft und Religion eigentlicher Beginn der modernen Naturwissenschaften, der Aufklärung, der modernen Gesellschaften?

Naturwissenschaft erklärt das ‚wie‘, nicht das ‚warum‘. Ist die Suche nach dem ‚warum‘, nach dem Sinn (des Lebens) ein Grund für die Erfolge der Kreationisten und ihres modernen Kindes, des ‚intelligent design‘? (Dabei, selbst die katholische Kirche kann heute Gott und Darwin gut miteinander vereinbaren. Einer ihrer Ansätze: der Körper mag wie von Darwin postuliert entstanden sein, die Seele des Menschen ist göttlicher Natur.)

Darwin ist eine, ist die Grundlage der modernen Naturwissenschaften – hinter den Kreationisten steht damit auch ein Angriff generell auf wissenschaftliche Sichtweisen, auf die moderne Gesellschaft.

Kreationismus – das steht für ein fundamentalistisches Weltbild, das eine Generalabrechnung auch mit Homosexuellen, modernem Frauenbild beinhaltet – mit überhaupt allem, was die moderne Gesellschaft ausmacht.

Die eigentliche Gefahr ist der christliche Fundamentalismus, sind dessen Folgewirkungen für das Demokratieverständnis unserer Gesellschaft.

Die Trennung von Religion und Naturwissenschaft ist das Fundament der modernen aufgeklärten Gesellschaft – ein Fundament, das wir nicht auf’s Spiel setzen sollten.

Oder wollen wir wieder zurück zu mittelalterlichem Denken, zu einer Gesellschaft, in der alles, was nicht mit christlichem Denken verträglich ist, nicht zulässig ist? Eine Gesellschaft, in deren fast logisch anmutender Konsequenz eine Inquisition steht?

Nachtrag 2.10.06: ein sehr umfassender Artikel von David Thorstad über ‚intelligent design‘ findet sich beim geschätzten etuxx

Watergate in Polen

Werden die Kaczynskis auch für breite Teile der polnischen Öffentlichkeit jetzt demaskiert, in ihrer wahren Politik sichtbar?
Fast scheint es so.

Parlamentarier der polnischen Regierungspartei ‚PiS‘, die derzeit nicht die Mehrheit im Parlament hat, versuchten eine Parlamentarierin (Renata Beger, Samaa Obrona) einer anderen Partei zum Überlaufen zu überreden – u.a. mit Versprechen eines Staatssekretärs-Postens und finanziellen Zusagen.

Dummerweise wurde der Politiker der PiS dabei gefilmt, der Beitrag kurz darauf im polnischen Fernsehen (Privatsender TVN) gesendet.
Gespräche über eine neue Regierungskoalition unter Leitung Jaroslaw Kaczynskis platzten daraufhin endgültig.

Inzwischen kommt es vor dem Parlamentsgebäude zu massiven Protesten gegen die Kaczynski-Regierung – aktuelle Fotos der polnischen LGBT-Press gibt’s
hier.

Der Sejm, das polnische Parlament, wird demnächst auf Antrag einer Oppositionspartei über seine Selbstauflösung diskutieren.

Bereits in der Vergangenheit war es zu zahlreichen
Protesten auch bei Kaczynski-Besuchen in Berlin und selbst Mahnungen der EU gekommen.

Hoffnungen? Auf eine Zeit ohne zumindest einen der „doppelten Lottchen“? Oder wird’s danach noch Bauernpartei-schlimmer?

Mit Justitia gegen Positive?

Sind es nur Zufälle? Oder mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland vermehrt mit juristischen Mitteln gegen HIV-Positive vorgegangen werden soll?
justitia
Einige Fälle in jüngster Zeit veranlassen zum Nachdenken.

In Großbritannien und einigen skandinavischen Ländern wird bereits seit einigen Jahren vermehrt das Mittel des Strafrechts gegen Positive eingesetzt. In jüngster Zeit gab es nun auch in Deutschland einige bemerkenswerte Fälle, in denen Positive Gegenstand juristischer Ermittlungen wurden:

Der Fall „Barmer“
Die Siegessäule berichtet in ihrer September-Ausgabe über mehrere Fälle, in denen die Barmer Ersatzkasse bei ihr krankenversicherte Positive angefragt hat mit der Bitte anzugeben, bei wem sie sich mit HIV infiziert hätten.
Auf Nachfrage und Beschwerde des HIV-/Aids-Wohnprojekts ZiK bestätigte die Barmer, ja, sie habe diesbezüglich nachgefragt, Ziel seien mögliche Regressforderungen. Sie sei sich zwar der Problematik der haftungsrechtlichen Prüfung bewusst, glaube aber zu Regress-Versuchen verpflichtet zu sein.
Regress heißt in diesem Fall: die Barmer versucht, ausfindig zu machen, wer den bei ihr versicherten Patienten infiziert haben könnte – um dem dann etwa die Behandlungs- und weiteren Folge-Kosten aufzubürden?
Sollen hier wieder einseitig Positive zur Verantwortung gezogen werden? Als gäbe es nicht eine beidseitige Verantwortung, auch beim Thema Safer Sex? Versucht hier eine Krankenkasse (etwa als „vorgeschobener Versuchsballon“?), eine Drohkulisse auszubauen? Oder drohen echte finanzielle Regress-Versuche gegen Positive?

Der Fall „Memmingen“
Aus Süddeutschland wird der Fall der Verurteilung eines Positiven wegen gefährlicher Körperverletzung gemeldet.
Das Landgericht Memmingen verurteilte am 27. Juni 2006 einen HIV-Positiven zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2004 einen Sex-Partner zumindest bedingt vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben (Körperverletzung).

Ein Tötungsvorsatz wurde im konkreten Fall nicht unterstellt. Das Teilgeständnis des Angeklagten wurde strafmildernd gewertet; zu Lasten des Angeklagten wurde hingegen gewertet, dass er wahrheitswidrig seine eigene HIV-Infektion verleugnet hatte (erhebliche kriminelle Energie). Gutachter im Prozess war Prof. Goebel (München).

Die Situation in Großbritannien
In Großbritannien ist es in den vergangenen Jahren bereits zu zahlreichen Verurteilungen von Positiven u.a. wegen Körperverletzung gekommen.

Erst vor kurzem (Mitte September) wurde ein 43jähriger Brite (die britische Presse nannte in Berichten seinen vollen Namen und Adresse!) zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, mit einer 49jährige britische Frau (die in der darauf folgenden Zeit HIV-positiv getestet wurde) ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ohne sie über seine HIV-Infektion aufzuklären. Psychische Probleme des Angeklagten wurden als nicht urteilsrelevant erachtet.

Dieser Fall war bereits der neunte Fall einer Verurteilung eines Positiven in Großbritannien wegen HIV-Übertragung. Von den ersten acht Fällen kamen nur zwei zur Verhandlung vor Gericht, in den übrigen sechs Fällen lagen vorher Schuld-Erklärungen vor. Die sieben ersten Fälle betrafen heterosexuelle Männer und Frauen, denen eine bewusste Infektion eines Sexpartners vorgeworfen wurde.

Ende Juli wurde erstmals auch ein schwuler Mann wegen bewusster Infektion verurteilt. Er hatte sich anfangs aufgrund virologischer Daten (und dem Rat seiner Verteidiger) selbst für schuldig erklärt. Ein Widerruf dieses Geständnisses wurde dann nicht für glaubwürdig erachtet.
Anfang August war erstmals in Großbritannien ein schwuler Mann vom Vorwurf der bewussten Infektion eines Sexpartners freigesprochen worden. Sein Verteidiger hatte mithilfe von Gutachtern nachweisen können, dass mit größter Wahrscheinlichkeit das HIV des Angeklagten keine Verwandtschaft mit dem HIV des Klägers haben kann (er also seine Infektion bei einem anderen Partner erworben haben müsse).

Beachtenswert ist, dass britische Gerichte in letzter Zeit vermehrt virologische Gutachten für die Urteilsfindung heranziehen. Virologisch kann nachgewiesen werden, ob zwischen zwei Varianten von HIV (zum Beispiel dem des Klägers und dem des Angeklagten) eine genetische Verwandtschaft besteht und wie eng diese ist.

Die britische Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service) hat inzwischen einen Entwurf für Richtlinien erstellt und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Diese Richtlinien sollen zukünftig regeln, wie die Staatsanwaltschaften mit Fällen umgehen, in denen die sexuelle Übertragung von Infektionskrankheiten (u.a. HIV) schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen hervorruft. Vor Abfassung des Entwurfs waren u.a. auch HIV-Ärzte sowie Aids-Gruppen konsultiert worden.

Land des Lächelns

Nach dem Militärputsch in Thailand am 19. September entwickelt sich die politische Lage in Thailand derzeit nicht zum Vorteil, leider.

Zwar ist der Putsch ruhig, ohne Blutvergießen verlaufen, ja von weiten Teilen der Bevölkerung (wie auch schwule thailändische Blogger berichten) begrüßt worden.
Inzwischen aber ist eine Militärregierung an der Macht, die sich in bester Orwell’scher Neusprech-Tradition ‚Rat für die Reform der Demokratie‘ nennt – und als erstes die Gewaltenteilung abgeschafft, Legislative, Exekutive und Judikative an sich gezogen hat. Dazu ein Versammlungsverbot erlassen hat (auch wenn Versammlungen gegen den Militärputsch demonstrierender Studenten wohl in Bangkok bisher toleriert wurden).

Ein neuer ‚ziviler‘ Regierungschef solle am Mittwoch bestimmt werden, hieß es am Wochenende. Wie zivil aber kann eine Regierung sein, die von Militärs eingesetzt ist, die jeglicher demokratischer Legitimation entbehrt?

Der Befehl der Militärs, Thailand solle ein ‚Land des Lächelns‘ bleiben, die Soldaten sollten, besonders wenn sie um Fotos gebeten werden, lächeln, wird da nicht reichen…

Thailand ist eines der (wenigen) Länder Asiens mit einer gewissen demokratischen Tradition. Bleibt zu hoffen, dass Bevölkerung, König und Militär den Weg zurück zu dieser Tradition finden …

Zarenzeit ?

Seit ich Sabines Blog über Dänemark und die Dänen lese, lerne ich ja vieles Wissens- und manchmal auch Staunenswertes über unseren Nachbarn im Norden.

Jetzt allerdings gibt’s wahrlich Bizarres aus Dänemark zu berichten: Die Zarenwitwe, 1928 verstorben, wird auf ihre nun wohl allerletzte Reise geschickt, nach St. Petersburg, an die Seite des Zaren.

Maria Fjodorowna, Mutter des russischen Zaren Nikolaus I., war eine Tochter des dänischen Königs Christian IX. In der Zeit nach der russischen Revolution entkam sie 1919 nach England, kehrte bald darauf nach Dänemark zurück, wo sie 1928 starb und in Roskilde (nicht nur Sitz eines bedeutenden Musik-Festivals, sondern auch Ruhestätte dänischer Könige) beigesetzt wurde.

Nun wird ihr Sarg tatsächlich mit offiziellen Feierlichkeiten nach St. Peterburg überführt, und – als ob das allein nicht schon absurd genug wäre – auf der selben Route wie ihre damalige Reise zur Hochzeit mit dem russischen Thronfolger.
Die halbe dänische Regierung (!) nahm am Auftakt der Feierlichkeiten teil, zusammen, selbstredend, mit über 40 Verwandten der Romanows.
Pikante Bei-Note: Bedingung des dänischen Königshauses für die Zustimmung zur Überführung war, dass der Sarg nicht geöffnet und keinerlei DNA-Proben entnommen werden dürfen…

Ich erspare mir alle Kommentare, frage mich nur, ob die dänische Regierung nichts Wichtigeres zu tun hat. Und wundere mich wieder einmal über unsere liebenswerten Nachbarn im Norden …

… und hoffe gleichzeitig, dass die lieben Niederländer uns von irgendwelchen Nachlassenschaften aus Doorn verschonen mögen.

Putsch in Thailand

In Thailand hat heute das Militär gegen den Premierminister geputscht.

Ein Staatsstreich, ein Staatsstreich jedoch zur Lösung einer Staatskrise, die Premierminister Thaksin selbst ausgelöst hat (auch wenn er demokratisch gewählt wurde.)

Dem abgesetzten Premierminister Thaksin werden Korruption und Wahlbetrug vorgeworfen.
Thaksin, auch genannt der Berlusconi Asiens, ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der zunehmend politisches und geschäftliches Gebahren nicht unterscheiden konnte, zum eigenen Vorteil handelte. Zuletzt hat er noch die eigentlich für den 15. Oktober geplante Wahl verschoben (eine Wahl im Frühjahr hatte das thailändische Verfassungsgericht für nicht verfassungsgemäß erklärt).

Man wolle die Macht nur zeitweise übernehmen und baldmöglichst wieder dem Volk geben, so ein Militärsprecher.

Ich erinnere mich, damals, vor vielen Jahren, wir kamen gerade in Bangkok an. Etwas wagemutig schien es uns schon, nach Bangkok zu reisen – Studentenunruhen liefen noch bis einen Tag vor Abreise aus Deutschland, Forderungen nach mehr Demokratie, das Militär intervenierte, Schüssen fielen. Noch bei Spaziergängen durch die Stadt sehen wir Barrikaden der Studenten, Spuren von Auseinandersetzungen.
Damals schritt König Bhumibol ein (übrigens, auch wenn das nichts zur Sache tut, ihn aber für mich noch sympathischer macht, ein Saxophon-Spieler). Rief das Militär zurück, verhandelte zugleich mit Studentenführern eine friedlich Lösung des Konflikts.

Auch heute, so die Fernsehbilder, bewegen sich viele Soldaten in Bangkok mit gelben Armbinden. Gelb als Farbe des Königshauses. Eines der der zahlreichen Hinweise, dass der Putsch vermutlich mit Unterstützung des Königs Bhumibol stattfindet? Dass bald wieder demokratische Verhältnisse hergestellt werden? Ein Hoffnungszeichen für ein Land am Rand einer Staatskrise?

Polnische Traditionen

Der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski war am 30. August in Brüssel bei der EU zu Besuch. Im Anschluss an ein Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Baroso betonte er vor der Presse, Homosexuelle würden in Polen nicht diskriminiert.

Erstaunt reibe ich mir die Augen. Habe ich in den letzten Jahren, besonders während der letzten Monate eine andere Realität mitbekommen als dass doppelte Polit-Lottchen in Polen? Oder hat der Begriff der Diskriminierung inzwischen, von mir unbemerkt, eine neue Bedeutung bekommen?

Wie war das in der Zeit, als sein Bruder Lech, heute Staatspräsident, noch Bürgermeister von Warschau war? Wie war das mit jüngsten Äußerungen aus seiner Regierung gegen Homosexuelle? Wurden Schwulen- und Lesbenclubs nicht gerade erst unter fadenscheinigen Gründen geschlossen? Sprach die Regierungspartei PiS auf einer Pressekonferenz nach dem Warschauer CSD nicht vor kurzem von „westlichen terroristischen Gruppierungen“, die friedliche Bürger angegriffen hätten?

„Homosexuelle“, so betonte Kaczynski in Brüssel, hätten in seinem Land „alle Rechte“. Wäre ja auch noch schöner, wenn’s anders wäre, mit welchem Grund wollte er sie ihnen denn aberkennen?
Und weiter, es gebe „keine Tradition“, Homosexuelle zu verfolgen
Nein, eine Tradition war das in Polen bisher vielleicht nicht. Auch wenn es Polens Lesben und Schwule in den Jahren zumeist nicht leicht hatten. Während der letzten Monate allerdings kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass Polens Regierung mit einem rechtskonservativen Wertewandel auch eine verstärkte antihomosexuelle Stimmung durchzusetzen versucht.

Erfreulich, wenn auch nicht ausreichend, zu wissen dass viele Regierungen, jetzt auch wieder die EU-Kommission, Pole immer wieder an die europäischen Werte, auch an den der ‚Nicht-Diskriminierung‘, erinnern, mahnen.

Allein, Erinnern und Ermahnen reichen nicht. Als Lech Kaczynski in Berlin war, haben Schwule und Lesben aus beiden Ländern gemeinsam gegen seine Rede protestiert. Diese Tradition, diese grenzüberschreitende Solidarität gegen Diskriminierung, für freie Bürgerrechte gilt es fortzusetzen, auszubauen.

Obdachlosen-Politik à la polonaise

Erstaunliches weiß die Presse zu berichten:
die polnische Polizei fahnde nach einem 31jährigen Obdachlosen. Der Grund ist nicht etwa seine Obdachlosigkeit, nein, viel schlimmer, ihm soll der Prozess gemacht werden.
Warum?
Weil er in betrunkenem Zustand einen Fluch auf den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski gemacht haben soll!
Nach polnischem Recht sei nämlich die Beleidigung des Staatsoberhaupts mit bis zu drei Jahren Haft strafbar.
Nun ist es ja nicht nett, einen Staatspräsidenten zu verfluchen. Selbst bei diesem nicht. Aber wenn ich mir überlegen, wie viele Schwule und Lesben (z.B. allein nach der Berliner Demo bei seinem Staatsbesuch) Ähnliches gemacht haben dürften … die polnische Gefängnisse müssen ja bald überfüllt sein …

Berlin wählt – Kandidaten-Watch

Berlin wählt – und kann im Vorfeld erstmals auch per Internet Politiker befragen.

Was bei der Bundestagswahl 2005 sowie den Landtags-Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt bereits ein großer Erfolg war, steht nun auch den Berlinern und Berlinerinnen im Vorfeld der Wahlen zum Abgeordnetenhaus (am 17. September 2006) zur Verfügung: auf ww.abgeordnetenwatch.de können sie Politikern Fragen stellen – die von diesen, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, auch rege beantwortet werden.

Laut Angabe der Organisatoren, u.a. des Vereins Mehr Demokratie unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, wurden bei bisherigen Wahlen bis zu 86% der Fragen an die Politiker von diesen beantwortet. Allein zur Bundestagswahl wurde ww.abgeordnetenwatch.de über 2,6 Mio fach abgerufen. Eine der „antwortfaulsten“ Politikerinnen damals: Angela Merkel – sie beantwortetet keine einzige der von Bürgerinnen und Bürgern an sie gestellten Fragen.

Zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus sind nicht nur Fragen an die Spitzenkandidaten möglich, vielmehr können online Fragen an alle Kandidaten aller Wahlkreise gerichtet werden.

Also auf, Chance nutzen – und die Kandidaten, die dich, mich vertreten wollen, fragen, was ist mit dem Kinderspielplatz um die Ecke, was mit der versprochenen Verkehrsberuhigung, und warum wird das Aids-Beratungsprojekt für MigrantInnen nicht unterstützt? Direkte Demokratie, Einfluss nehmen – nie war es leichter als mit ww.abgeordnetenwatch.de … (die Site war übrigens in der Riege der letzten 30 Kandidaten für den Grimme online Award)

P.S.: die Fortsetzung von Kandidaten-Watch ist Abgeordneten-Watch – beobachten, wie die gewählten Abgeordneten sich verhalten, z.B. bei Abstimmungen, Fragen stellen, selbst ein Auge darauf haben, wer uns wie im Parlament vertritt. Leider bisher nur in Hamburg – hoffentlich auch bald für Berlin?

Kaczynski in Berlin

Donnerstag, 9. März 2006
Der polnische Staatspräsident Kaczynski ist in der Stadt, hält zum Abschluss seines Staatsbesuchs auf Einladung des Instituts für Europarecht der Humboldt-Universität (HU) eine Rede über das „Solidarische Europa“ im Audimax.

Genau jener Kaczynski, der sich schon als Bürgermeister von Warschau bei Schwulen und Lesben nicht nur in Polen einen zweifelhaften Ruf u.a. dadurch erworben hat, dass er Schwulen- und Lesbendemos verboten hat, oder Homosexualität auf alle mögliche Art und Weise verunglimpfte. Inzwischen hat er es zum Staatspräsidenten gebracht, irritiert selbst konservative deutsche Politiker durch zutiefst europaskeptische, manchmal europafeindliche Äußerungen.
Demo Kaczynski 01

Das Audimax, in dem Kaczynski sprechen soll, ist abgeriegelt, einzig eine Videoübertragung im Kinosaal ist offiziell zugänglich. Nach einer vom LSVD initiierten Demonstration vor dem Haupteingang der HU verschaffen sich einige schwule Aktivisten dennoch Eintritt in das Audimax, protestieren lautstark gegen die Verweigerung von Grundrechten für Schwule und Lesben in Polen. Hindern Kaczynski zunächst erfolgreich am Reden, ein Redakteur der ‚Siegessäule’ wirft ihm auf dem Podium vor, er „verhetze das polnische Volk, er schüre den Katholizismus“ (was auch immer er damit meinte).

Demo Kaczynski 02

Nach seiner Rede, aufgrund einer Frage aus dem Auditorium, kommt Kaczynski nicht umhin, sich doch noch zur Homosexualität zu äußern. Die Förderung der Homosexualität, meint er, führe doch in letzter Konsequenz dazu, dass die Menschheit aussterben müsse.