HIV und Depression

Depressionen sind ein großes Tabu-Thema. Insgesamt in der Gesellschaft, besonders aber auch unter Schwulen und bei HIV-Positiven. Über Depressionen spricht man nicht, Betroffene verschweigen sie schamhaft, Partner und Angehörige reagieren rat- und hilflos.

Eine Broschüre der deutschen Aids-Hilfe will abhelfen und kurzgefasst allgemein verständliche Informationen geben: gemeinsam von Schwulenberatung Berlin und der Redaktionsgruppe des Med-Info wurde die Broschüre ‚depression? – Informationen für Menschen mit HIV‚ erstellt, die jetzt von der Deutschen Aids-Hilfe veröffentlicht wurde.

„Zahlreiche Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für Menschen mit HIV, an einer Depression zu erkranken. Leider erhalten die wenigsten von ihnen die erforderliche fachgerechte Behandlung.
Zu groß ist die Scham der Betroffenen, sich Unterstützung zu holen, zu mächtig ist das gesellschaftliche Tabu, welches das Thema „seelische Erkrankungen“ immer noch umgibt. Hierdurch wird Leiden unnötig verlängert und der Zugang zu vorhandenen, wirkungsvollen Behandlungsmöglichkeiten erschwert.
Ziel dieser sehr kurz gefassten Broschüre ist, allgemeinverständlich über die Zusammenhänge von HIV, Angst und Depression zu informieren. Beschrieben wird, an welchen Symptomen man eine Depression bei sich selbst und anderen erkennen kann, an wen man sich in einem solchen Fall wenden kann und welche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Es geht darum, Betroffenen und Angehörigen deutlich zu machen, dass es sich bei depressiven Symptomen nicht um den Ausdruck einer Verfehlung oder Willensschwäche handelt, sondern dass die Depression eine ernsthafte Erkrankung darstellt, für die es heute wirksame Behandlungsmöglichkeiten gibt.“ (Deutsche Aids-Hilfe)

depression? – Informationen für Menschen mit HIV„, Deutsche Aids-Hilfe, DIN A6, 45 Seiten, Berlin 2008, Bestellnummer 027001 (Direktlink zur Online-Bestellung hier)

weitere Informationen zum Thema:
– Med-Info Nr. 46 „HIV und Depression“, DIN A4, 16 Seiten (Direktlink zur Online-Bestellung hier (derzeit leider vergriffen); Direktlink zum pdf-Download hier)
– Med-Info Nr. 58: „Stress, Stressbewältigung und HIV“, DIN A4, 16 Seiten (Direktlink zur Online-Bestellung hier; Direktlink zum pdf-Download hier)
– ein interessanter Vortrag, den Andreas Mertens, Facharzt für Psychiatrie, bei ‚HIV im Dialog‘ 2008 zum Thema ‚Depression und Angst bei HIV und Aids“ gehalten hat als pdf hier

Talkrunde 25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe

1983 wurde die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) gegründet. Auf dem 126. Bundes­weiten Positiventreffen fand aus Anlass des 25jährigen Jubiläums am 25. Juni 2008 eine Podiumsdiskussion statt unter dem Motto „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe – Geschichte auch für die Gegenwart“

Ich weiss was ich tu!Auf dem Podium:
Bernd Aretz – seit 1984 immer wieder und in vielerlei Funktionen Aktiver in Sachen HIV/Aids und deren Institutionen, u.a. Herausgeber Infakt (früher posT), Vorstandsmitglied Aids-Hilfe Offenbach
Claudia Fischer-Czech – 1992 bis 1996 Frauen-Beauftragte, später Frauen-Referentin der Deutschen Aids-Hilfe, danach im Ausland, zeitweise bei ICW (In­ternational Community of Women with HIV and Aids); ab 1.7.2008 bei Kassan­dra (Prostituierten-Selbsthilfe)
Dirk Hetzel – in seinen letzten Tagen als HIV-Referent der Deutschen Aids-Hil­fe (DAH)
Carsten Schatz – Landesgeschäftsführer ‚Die Linke‘ Berlin, seit vielen Jahren Mitglied bei positiv e.V. (Veranstalter der Bundesweiten Positiventreffen)
Michael Schumacher – Seit 23 Jahren hauptamtlich im Aidsbereich beschäf­tigt. 5 Jahre Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Aids-Hilfe (u.a. als HIV-Referent), seit 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln
Moderation: Prof. Dr. Martin Dannecker – Professor für Sexualwissenschaften, früher Frankfurt am Main, jetzt Berlin

War Aidshilfe schon von Anfang an gesundheitsbezogene Selbsthilfe? Oder begann sie als Reflex zur Abwehr antischwuler Affekte ange­sichts der Bedrohung Aids?“ Mit dieser Frage eröffnet Martin Dannecker die Diskussion.

Bernd AretzDie Frankfurter Aidshilfe wurde gegründet von HIV-positiven Männern, die Mar­burger Aidshilfe hingegen aus politischen Gründen, aus der Befürchtung an­tischwuler Momente heraus, berichtet Bernd Aretz, der 1984 mit einem posi­tiven Testergebnis nach Frankfurt kam.

In Marburg z.B. sei die Schwulenbewe­gung vor Ort nicht begeistert gewesen. Tatsächlich habe es kaum HIV-infizierte gegeben; der HIV-Test sei gegen die politische Strömung angeboten worden. Dieses Spannungsfeld von Selbsthilfe positiver Männer und Abwehr antischwu­ler Reflexe durchzog Aidshilfe in ihren Anfängen.

Aretz kolportiert zur Illustrati­on eine Begegnung aus dieser Zeit: als er sich als hessischer Delegierter im DAH-Beirat vorstellte mit den Worten „ich bin ein schwuler Mann mit HIV“, habe ihm damals Dieter Runze entgegnet „sowas bespricht man hier nicht“.

Carsten SchatzCarsten Schatz wurde 1991 unfreiwillig im Krankenhaus auf HIV getestet. Er engagierte sich schnell bei Pluspunkt, einer aus Patienten der Charité (der sog. ‚Sofarunde‘) hervor gegangenen Gruppe in Berlin Prenzlauer Berg.

1992 sei er erstmals auf einer Bundes-Positiven-Versammlung (BPV) gewesen (damals in Hamburg). Er habe schockiert reagiert, als er erleben musste, dass HIV-positive Frauen ihren Platz in Aidshilfe erst gegen Widerstände einfordern, erkämpfen mussten.

Aidshilfe verstehe er als politische Organisation, die dafür einzutreten habe, dass Menschen mit HIV und Aids nicht ‚unter den Teppich gekehrt werden‘.

Dabei gelte es nach vorne zu stellen, was uns verbindet, wofür wir gemeinsam eintreten können.

Claudia Fischer-CzechDie Braunschweiger Aidshilfe wurde überwiegend von schwulen Männern ge­gründet, zur Abwehr von Stigmatisierung und Diskriminierung, ‚da gab es da­mals noch keine Positiven‘, berichtet Claudia Fischer-Czech, damals selbst Gründungs-Mitglied. Sie habe Aidshilfe zu dieser Zeit in Braunschweig als eine sehr solidarische Gemeinschaft empfunden, schnell seien auch Frauen aus den Be­reichen Drogengebrauch sowie Prostitution engagiert gewesen. Nach vier Jah­ren sei sie zu Hydra, einem Prostituiertenprojekt, gewechselt.

Mit ihrem positiven Testergebnis 1992 habe sie zunächst nicht offen umgehen wollen, die Ausschreibung der Stelle als Frauen-Beauftragte der DAH sei mit ei­nem ’nicht ganz freiwilligen Outing‘ verbunden gewesen. Damals hätten sich Frauen im schwulen Kontext der Aidshilfe nicht wohl, nicht gleichberechtigt ge­fühlt. Ziel sei es gewesen, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen. Auch re­gional habe es damals begonnen zu ‚brodeln‘, daraus habe sich dann die (schon von Carsten Schatz angesprochene) Hamburger ‚Palast-Revolution‘ er­geben. Im Frauenreferat der DAH habe sie zunächst gegen viele Widerstände arbeiten müssen, vor allem wenn es um Mittel und Eigenständigkeit ging.

Dirk HetzelIn die Aidshilfe Karlsruhe sei er als junger Mann gekommen, weil dies wohl der Ort gewesen sei, um schwule Männer kennen zu lernen, erzählt Dirk Hetzel. Die Aidshilfe dort sei aus der universitären Schwulenbewegung heraus entstan­den, nicht als Gesundheitsbewegung sondern mit dem Moment der Gefahren­abwehr und Antidiskriminierung. Offen positive Menschen habe er damals kaum gekannt, seine erste Begegnung mit einem HIV-Positiven sei Oliver Trautwein gewesen.

1989 sei er nach (damals noch West-) Berlin gewechselt, habe als Job im Som­mer 1989 bei der DAH im Versand angefangen, später im damals noch vorhandenen Presse-Bereich (Ausschnitt-Dienst). Der damalige Leiter des Referats Psychosoziales, Axel Krause, holte ihn in sein Referat. Krause erkrank­te bald schwer, Hetzel war de facto 2 Jahre lang alleiniger Mitarbeiter des Refe­rats, da keine Krankheitsvertretung (außer ihm als junger ‚Aushilfe‘) engagiert wurde. Damals habe es eine große Scham gegeben zu akzeptieren, dass Mit­arbeiter erkrankten, für lange Zeit nicht wieder kommen würden – ein heute befremdlich anmutender Umgang mit Krankheit und drohendem Verlust. 1992 habe er seine Festanstellung in der DAH erhalten; 1997 bei einem Kranken­haus-Aufenthalt sein positives Testergebnis.

Michael SchumacherIn Bonn habe es zwar positive Testergebnisse gegeben (Doktorarbeit Köthe­mann), im lokalen Schwulenzentrum jedoch keine Positiven, erzählt Michael Schumacher über die damalige Situation.

‚Da müssen wir was tun‘, sei der Impuls gewesen, der zur Gründung der Aids-Hilfe Bonn geführt habe. Er sei ei­nes der 7 Gründungsmitglieder der Aids-Hilfe Bonn, die zunächst in den Räu­men des Schwulenzentrums angesiedelt war. Dort habe er zunächst ehrenamt­lich mitgearbeitet, dann die erste hauptamtliche Stelle erhalten.

Nach 5 Jahren in Bonn habe er dann 5 Jahre in der DAH in Berlin gearbeitet (Schwulenreferat, dann Referent für Menschen mit HIV und Aids), nach einem einjährigen Kran­kenhaus-Aufenthalt sei er seit nun 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln. In Köln habe er auch selbst sein positives Testergebnis erhalten.

Martin DanneckerEs gibt eine Phase der Angst vor der politischen Instrumentalisie­rung dieser Krankheit, primär schwuler Männer – und daraus die Bemühun­gen, befürchtete Re- Diskriminierungen schwuler Männer abzuwehren. Positive hatten darin keinen richtigen Platz, fast gab es ein Tabu des offen Positiven,“ fragt Martin Dannecker in die Runde, „ist da was dran?

Bernd Aretz erinnert sich an eine Begegnung 1987. Damals habe Ian Schäfer auf einer Tagung der HuK (Homosexuelle und Kirche) gefragt „was können wir für euch tun“. Fragen dieser Art seien damals sogar von Männern gekommen, sie selbst HIV-positiv waren. Sein Ziel sei hingegen immer gewesen zu fragen „was können wir für uns tun“. Auch erinnere er sich an eine Situation bei dem Treffen, an ein deutliches Erschrecken anderer Teilnehmer, als sie feststellen dass es offensichtlich auch Sex mit HIV-Infizierten geben könne.

Auch in Bonn gab es damals keine offen positiven schwulen Männer – sondern offen positiv war Oliver Köppchen, ein Hämophiler, erinnert Michael Schuma­cher.

Gab es ein Klima, dass man zwar solidarisch war, aber mit uns nichts zu tun haben wollte?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

„Sag es uns nicht“, sei das damalige Klima gewesen, antwortet ihm Bernd Aretz spontan. Damals sei eindeutig signalisiert worden, ‚ihr seid zumindest vollständig nicht erwünscht‘. Damals seien wohl auch eigene Ängste durch Ver­schweigen kompensiert worden.

Claudia Fischer-Czech weist auf einen Perspektiv-Wechsel hin. Sie habe sich ja schon „in wissentlicher Zeit“ mit HIV infiziert. Damals habe sich die Wahr­nehmung ihrer Person verschoben, eine ‚Degradierung zur Positiven‘ sei einge­treten, der eine Instrumentalisierung gefolgt sei. Sie sei damals Mittel zum Zweck geworden. Zu dieser Zeit sei in Reaktion auf diese Situation das ‚Netzwerk Frauen und Aids‘ gegründet worden. Doch auch dies sei heute von ‚Professio­nellen‘ durchdrungen, die die Mühen der damaligen Positionierungs-Arbeit nicht mit gemacht hätten, jetzt aber sehr wohl die Chancen nutzten.

Carsten SchatzDie Begründung der Bundesweiten Positiventreffen im Jahr 1986 hatte auch damit zu tun, dass sich Positive in Aidshilfen nicht wohl fühlten, erinnert sich Carsten Schatz. Auf einer Tour durch ostdeutsche Aidshilfen sei Michael Schu­macher und ihm in einer Aidshilfe ein ‚Posi-Thron‘ gezeigt worden – für den einzigen Positiven, der damals in diese Aidshilfe kam. Genau davor seien die Positiven damals weg gelaufen, „mit Liebe und Zuneigung wurde dir dein Leben entzogen“. Damals sei schon hinzu gekommen, dass er ja auch schon nicht mehr „die jungfräuliche Generation“ gewesen sei. Die Frage „du wusstest doch alles – warum trotzdem?“ habe unausgesprochen oft mit ihm Raum gestanden.

Die jungen Positiven heute infizieren sich alle „beim einzigen unsafen Sex“ ihres Lebens, ergänzt Michael Schumacher, und weist auf das Gefühl hin, man müsse sich in Aidshilfe erklären, rechtfertigen für seine Infektion.

Er habe damals für sich selbst keinerlei Schuldgefühle gegenüber seiner Infek­tion gehabt, berichtet Dirk Hetzel, wohl aber davor, wie das im professionellen Kontext wahrgenommen werde. Leider hätten genau diese Ängste sich auch als begründet erwiesen. Ein Kollege, der ihn damals bereits seit 10 Jahren kannte, habe in einer Mitarbeiterbesprechung nach seinem Statement reagiert mit den Worten „also das war jetzt die Meinung der beiden Positiven“. Er habe die Re­aktion einiger Kollegen damals als ‚Ausgrenzung pur‘ empfunden, sei nicht mehr als Fach-Kollege, sondern nur noch als ‚der Positive‘ wahrgenommen worden.

„Aidshilfe wurde 1985, zu Süßmuths Zeiten, erstmals vom Staat finanziert, übernahm Aufklärungsarbeit, da sie in den ‚Risikogruppen‘ über großes Ver­trauen verfügte. Geriet damals die Autonomie in Gefahr? Die Mischung von ’solidarisch‘ und ‚Gesundheitsfürsorge‘ – macht genau die das Pro­blem?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

Dirk Hetzel weist auf die Ambivalenz des Problems hin. Aidshilfe brauche die Neu-Infektionen ja geradezu, sonst gebe es ja zukünftig kein Geld mehr. Dies erkläre implizit auch die immer repressiveren Forderungen aus Politik und Me­dien – je mehr Normalisierung von HIV/Aids, desto mehr müsse skandalisiert werden, um den betriebenen Aufwand überhaupt noch zu rechtfertigen.

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, bemerkt Michael Schuma­cher, und wir beteiligen uns zu sehr an einer Verharmlosung der Situation. Dass die Zahlen steigen werden angesichts veränderter Rahmenbedingungen, mit der neuen Freiheit durch erfolgreiche Medikationen, sei geradezu normal. Hier sei Aidshilfe nicht ehrlich. Das müsse auch offen gesagt werden, dem müsse nicht mit Repressionen begegnet werden – und Aidshilfe müsse hier auch Konflikte aushalten, sei derzeit nicht mutig genug.

Bernd AretzBernd Aretz weist darauf hin, dass in der Anfangszeit keine Alternative zu staatlicher Finanzierung bestanden habe. Eine andere Frage sei, wie dies jetzt aussehe. Er stelle sich die Frage, ob die derzeitige Situation wirklich von einer Zensur seitens BzgA oder Ministerium gekennzeichnet sei – oder es sich nicht vielmehr um eine hausgemachte Krise handele, ein Versagen der eigenen In­stitutionen?

Es hat früher eine Zeit gegeben, in der Positive auch selbst politische Forderun­gen an die Öffentlichkeit getragen haben, erinnert Carsten Schatz. Heute fehle genau dies, dass Menschen mit HIV und Aids selbst ihre Interessen auf den Tisch legen und einfordern. Die DAH sei artig geworden, artig auch weil es an Druck fehle.

Das sei ein schwieriges Thema, bemerkt Dirk Hetzel, selbst in der Positiven-Community sei politische Meinungsäußerung schwierig, die Solidarität mit ein­ander sei brüchiger geworden.

Dieses „wir“ sei wesentlich verschwommener geworden als in den 90ern, dar­auf weist Martin Dannecker hin. Heutzutage differenzieren wir zu wenig, füh­ren zu wenig Diskurse. Er fordert, mehr das „wir“ zu reflektieren, deutlicher die unterschiedlichen Stränge aufzunehmen, unterschiedliche Interessen versteh­bar zu machen.

Die Positivenbewegung sei doch lange Zeit ein „Verein ich möchte Opfer bleiben e.V.“ gewesen, entgegnet Bernd Aretz. Erst seit zwei, drei Jahren zeichne sich langsam wieder mehr Bewegung ab.

Die Positivenbewegung hat sich mit der Aidshilfe als Präventions-Agentur ’soli­darisiert‘, bemerkt Dirk Hetzel. Der integrative Gedanke sei breit akzeptiert – mit der Folge, dass nun ein kritisches Gegenüber fehle, eine kritisch-solidari­sche Opposition außerhalb der Organisation.

Ein Großteil der Positiven glaubt, Aidshilfe nicht mehr zu brauchen, darauf weist Carsten Schatz hin. Bestimmt Themen -wie den Bereich ‚Aids und Arbeit‚- bearbeite Aidshilfe nicht mehr so, wie Positive es bräuchten. In den Mittelpunkt von Aidshilfe-Arbeit gehörten wieder mehr Themen gestellt, die le­bensnah an Positiven-Realitäten orientiert seien.

„Warum bewegen sich Positive nicht? Weil wir in Aidshilfen nur noch als Klien­ten behandelt werden“, wirft ein Zuhörer ein. „Positive haben keinen Raum mehr in Aidshilfen.“

„Es gibt einen zunehmenden Bruch zwischen Hauptamtlichen und Basisorgani­sation“, bemerkt ein weiterer Zuhörer, „entweder der Laden wird umgekrem­pelt und wieder zu einem Sprachrohr der Basis, oder er wird bald zum Sprach­rohr des Bundesgesundheitsministeriums.“

Martin DanneckerPrävention mit einem realistischen Blick auf die Lebenssituation schwuler Män­ner, genau da fange der Konflikt an, bemerkt Carsten Schatz. Die Frage sei, wie viel lasse sich Aidshilfe vom Staat vorschreiben, wie viel Selbstbewusstsein habe man noch?

Die Aidshilfen haben Arbeit für den Staat übernommen, und für relativ wenig Geld – und dafür einen verdammt guten Job gemacht, bemerkt Dirk Hetzel.

Man dürfe nicht die Realitäten in Aidshilfen und Selbsthilfen verkennen, wirft ein Zuhörer ein, auch dort gebe es grauenhafte Spießbürgerlichkeiten.

Und eine weit reichende Ent-Solidarisierung, entgegnet ein weiterer Zuhörer, und weist auf Rollbacks z.B. bei Themen wie Spritzen in den Knast oder Prosti­tution hin.

Ursprünglich autonome Positionen seien aufgegeben worden, darauf weist Mar­tin Dannecker gegen Ende der Veranstaltung hin. Als wie autonom, wie un­abhängig vom Staat versteht sich Aidshilfe noch? Es sei offensichtlich – wir brauchen eine offensive inhaltliche Debatte.

Ethik-Konferenz – Gedanken über eigene Standards

Beinahe zwei Wochen ist sie nun her, die dreitägige Ethik-Konferenz. Einige persönliche Gedanken, nicht über die Inhalte, sondern die Organisation.

Einst hatte es sich Aidshilfe als Erfolg angerechnet, auf wissenschaftliche Konferenzen zu HIV/Aids in Strukturen und mit Rahmenbedingungen dermaßen Einfluß auszuüben, dass HIV-Positiven und Aids-Kranken eine aktive Teilnahme ermöglicht wurde. „Nicht über, sondern mit uns reden“, lautete damals eine der Devisen. Der Deutsche Aids-Kongress Essen 1999 mag hier in vielfacher Hinsicht als Beispiel dienen, von Community-Beteiligung in Planung und Entscheidungsgremien über Community-nahe Themen im Kongressprogramm bis zu Ruheräumen und Rückzugsmöglichkeiten.

Erinnert man sich an diese damals erreichten Standards, erscheint die Ethik-Konferenz in Frankfurt in erstaunlichem Licht:
– Eine Community-Beteiligung bei der Konferenz-Planung und -Gestaltung? Keine Spur.
– Menschen mit HIV und Aids als (womöglich gar gleichberechtigte) Partner nicht nur im Auditorium, sondern auch als Experten auf den Podien? Fehlanzeige.
– Stattdessen genau das, was wir früher zu vermeiden trachteten: professorale Frontalbeschallung, oft weit ab von dem, was Lebensrealitäten von Aidshilfen, von HIV-Positiven seit Jahren ausmacht.
– Programmgestaltung, die auch Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten (nicht nur für ausgepowerte Positive) vorsieht? Null.
– Stattdessen wissenschaftliches Programm von morgens 9:00 Uhr bis abends 22:00 Uhr, keine Ruheräume, ein Hotel, das Kilometer vom Tagungsort entfernt ist.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen …

Organisatorisch in der Summe: eine Konferenz weit ab von allem, was im Aids-Bereich schon an Standards erreicht wurde. Ein Rückfall in Zeiten frühester Aids-Konferenzen.
Ein Rückschritt, ein bemerkenswerter Rückfall. Sagt er auch etwas darüber aus, wie ernst die eigenen früher so hoch gehaltenen Standards noch genommen werden?

Eine Aidshilfe, die die einst selbst entwickelten und proklamierten Standards in ihren eigenen Veranstaltungen nicht einhalten mag, gerät in Gefahr unglaubwürdig zu werden. Erst recht, wenn sie diese dann beim nächsten (fremden) Kongress wieder einfordert.

Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven – Theorien und Praxis

Vor sechs Monaten hat die EKAF (Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, Schweiz) ihr Statement zur Frage der Infektiosität von erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven veröffentlicht. Seit langem ist eine gemeinsame Stellungnahme deutscher Stellen hierzu angekündigt – sie wird immer noch diskutiert. Derweil läuft die Realität der Politik davon.

Das Statement der EKAF ist eindeutig:
„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‘wirksame ART’) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).”

Das Statement der EKAF sorgte für vielfältige Reaktionen. Nachdem die Deutsche Aids-Hilfe zunächst einige ermutigende Aussagen traf (siehe Rede Maya Czajka auf dem parlamentarischen Abend der DAH, „Betroffene zu Beteiligten machen„), folgte bald eine enttäuschende gemeinsame Presseerklärung von DAH, RKI und BZgA. Seitdem wird an einer gemeinsamen Stellungnahme gefeilt – die bisher immer noch nicht vorliegt.
Und auch auf internationaler Ebene herrscht alles andere als Aussage-Freude. Ein von UNAIDS Anfang Juni organisiertes ‚closed meeting‘ mit Teilnehmern aus den Anliegerstaaten der Schweiz zeigte die Unterschiedlichkeit der vertretenen Meinungen – und die Unfähigkeit, sich auf gemeinsame Positionen zu einigen. Fast kann man gelegentlich den Eindruck gewinnen, interessierte Kreise setzten sich mit ihrer Meinung ‚das darf man doch nicht laut sagen‚ doch wieder durch.

Derweil ist das EKAF-Statement längst in der Praxis angekommen. In des Wortes doppelter Bedeutung …

Menschen mit HIV und ihre Partnerinnen und Partner fragen sich längst, was heißt dieses Statement für mich, für uns, hat es praktische Konsequenzen, eröffnet es neue Möglichkeiten, und wenn ja – wie lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Und viele zeigen dabei weit mehr Überlegtheit und Nachdenklichkeit als in hektischen Szenarien einiger Präventions-Zyniker an die Wand gemalt.

Und auch in der ärztlichen Praxis sind diese Fragen längst angekommen. Ärzte, die über die dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Sachverhalte schon seit mindestens Monaten informiert sind, überlegen längst, was sie ihren HIV-Positiven Patienten und deren PartnerInnen sagen können.

Ein Weg, der gelegentlich nicht nur aus einigen Berliner Praxen zu hören ist, sieht so aus:
Ein schwules Paar, serodiskordant – einer HIV-positiv, einer HIV-negativ oder ungetestet. Seit längerer Zeit ist der Positive aufgrund einer erfolgreichen Therapie mit seiner Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Zusammen mit ihrem Arzt beratschlagen sie, was möglich ist. Der Arzt untersucht beide gründlich auf sexuell übertragbare Erkrankungen. Eventuell Festgestelltes wird therapiert, ggf. werden zusätzlich einige Tage Breitband-Antibiotika eingesetzt, um z.B. auch die letzten möglichen Chlamydien zu verdrängen. Beide versprechen sich sexuelle Monogamie – u.a. um das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen zu minimieren, die auch das HIV-Übertragungsrisiko erhöhen könnten. Und haben ab dann kondomfreien Sex, der dennoch ’safer‘ ist. Regelmässig lassen sie sich vom Arzt untersuchen.

Ein denkbarer Weg unter vielen. Ein Weg, der viel Information und vor allem viel Vertrauen auf allen Seiten voraussetzt.
Ein Weg, von dem mehr als nur gelegentlich zu hören ist, dass er von informierten Ärzten und informierten Patienten gemeinsam gegangen wird.

Ein Weg, der u.a. auch eines zeigt: Prävention und Politik müssen acht geben, dass die Lebenspraxis, die gelebte sexuelle Realität (sowohl bei HIV-Positiven und ihren PartnerInnen als auch bei Ärzten) ihren fehlenden Aussagen, ihrer Zögerlichkeit nicht zu weit davon läuft. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Prävention stünden sonst auf dem Spiel.

schneller als vorgestellt

Die 12. Münchner Aidstage (zu Gast in Berlin) wurden am Freitag, 14.3.2008 mit Reden von Bundes-Justizministerin Zypries, DAH-Geschäftsführer Pinzón und der ehemalige RKI-Präsident Kurth eröffnet.

Dr. Hans JägerIn seiner Begrüßung betonte Dr. Hans Jäger, Präsident der „12. Münchner Aids-Tage – zu Gast in Berlin“, die HIV-Prävention ändere sich derzeit „schneller, als wir es uns vorgestellt haben.“ Neben dem aktuellen Beschluss der EKAF, der im Verlauf des Kongresses häufig und kontrovers diskutiert wurde, erwähnte er auch den Bereich der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit HIV und Aids. Auch hier spiegele sich der (nicht nur medizinische) Fortschritt, so biete die Allianz neuerdings eine Lebensversicherung für HIV-Positive an, ein deutliches Abbild drastisch gesteigerter Lebenserwartungen mit HIV („Versicherungsmathematiker sind Realisten …“).

Brigitte Zypries, Bundesministerin der JustizBundesjustizministerin Brigitte Zypries hielt die erste der drei Eröffnungsreden. Sie habe die Einladung gerne angenommen, da Aids ja -neben allen medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen- auch eine „juristische, und das heißt vor allem auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung“ sei.
Sie wies -angesichts auch der gerade stattfindenden Debatten um die Folgen des EKAF-Statements beinahe prophetisch- darauf hin, „erfolgreiche Aids-Bekämpfung hängt auch davon ab, dass hier in Berlin politisch die richtigen Weichen gestellt werden.“ Zypries forderte, Prävention „offen und offensiv“ anzugehen

Luis Carlos Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer Deutsche AidshilfeDr. Luis Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) wies auf die Veränderungen in den Paradigmen hin. Damit Prävention glaubwürdig und erfolgreich sein kann, müsse sie sich an aktuellen Forschungsergebnissen orientieren. Daher arbeite die DAH an „differenzierten Risikominimierungsstrategien“. Bei der neuen Kampagne „Ich weiss was ich tu“ werde das Internet eine zentrale Rolle spielen.
Er betonte, das Leben mit HIV werde sich auch in den kommenden Jahren entspannter werden. Deswegen müsse Aidshilfe den Mut haben, sich von einer nicht mehr sachgerechten Dramatisierung der HIV-Infektion zu verabschieden. Wesentlicher sei eine wirksame HIV-Prävention, die sich an der Wirklichkeit des Lebens mit HIV orientiere.

Dr. Reinhard Kurth, Präsident RKI a.D.Dr. Reinhard Kurth, bis November 2007 Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), erinnerte an die heftigen Auseinandersetzungen um die Richtung der Aids-Politik, die er und das RKI an der Seite der damaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth gegen die von Strauß und Gauweiler propagierte Linie geführt habe. Der damals verankerten Richtung der deutschen Aids-Politik sei es auch zu verdanken, dass in Deutschland heutzutage im Vergleich sehr niedrige Neu-Diagnosezahlen vorliegen, „um die uns die Nachbarländer beneiden“. Kurth zeigte sich „sehr vorsichtig in der Unterstützung der EKAF“ und ihres derzeit diskutierten Statements.

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Als Dokumentation die Haltung der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Sachen des EKAF-Statements („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„):

Der Delegiertenrat der DAH hat in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand folgenden Beschluss gefasst:

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Die HIV-Prävention wird einfacher, also komplexer

Die Reaktionen auf die Botschaft der EKAF in der Schweiz haben eine grundlegende Debatte über realistischere Risikoeinschätzung und die Infektiösität von Menschen mit HIV und AIDS forciert.

Die nunmehr öffentlichen Informationen können für Menschen mit HIV und AIDS eine konkrete Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -Perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglichen. Sie entlasten serodiskordante Paare unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und erleichtern in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV und AIDS.

Somit können Stigmatisierung und Diskriminierung – auch in juristischer Hinsicht – vermindert und Solidarität gefördert werden.

Zudem werden unsere bisherigen Präventionsbotschaften sinnvoll und wirksam ergänzt.

Auf der Grundlage des im Leitbild formulierten Menschenbildes ist es Ziel der DAH, Menschen dazu zu befähigen und ihnen zu ermöglichen informiert, selbst bestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV und AIDS umgehen zu können.

„Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger Menschen wissen aber zugleich um die Grenzen der Prävention.“

Wir werden daher weiterhin und verstärkt niedrigschwellige und umfassende Informationen zur Verfügung stellen, um kompetentes und differenziertes Risikomanagement zu ermöglichen.

Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung gewinnen auch für die Prävention an Bedeutung. Die DAH sieht daher dringenden Bedarf, die bisherige Datenlage durch intensivere Forschung zu verbessern.

Gerade hier spielt die AIDS-Hilfe eine entscheidende Rolle, da sie in der Lage ist, solche Ergebnisse und deren Auswirkungen auf die Lebenssituation ihrer Zielgruppen zu interpretieren und in lebenspraktisches Risikomanagement umzusetzen.

Die DAH muss diese Informationen in ihrer Arbeit aufgreifen und umsetzen – beispielsweise im Internet, den Printmedien, der Aufklärungs- und Beratungsarbeit vor Ort und in ihren Präventions-Kampagnen (aktuell die Kampagne „Ich weiß, was ich tu“).

Diese Haltung gilt es konsequent gegenüber der Öffentlichkeit und unseren Kooperationspartnern einzunehmen und zu vertreten

Berlin, 08.03.2008

Nachtrag 16.11.2008:
Über Ergänzungen zur Haltung im Rahmen der Diskussionen und Bedenken zur EKAF-Veröffentlichung seitens der AG Prävention berichtet koww.

mehr Mut, weniger Aufregung

Podiumsdiskussion Kondomverzicht?Zu engagierte Debatten kam es am Freitag Morgen (14.3.2008) bei der Podiumsdiskussion unter dem Titel „Aktuelle Kontroverse: Kondomverzicht bei nicht nachweisbarer Viruslast möglich?“
Auf dem Podium: Prof. Pietro Vernazza (Schweiz), Roger Staub (BAG Schweiz), Prof. Bernd Salzberger (Regensburg), Bernd Vielhaber, Dr. Dirk Sander (DAH), sowie als Moderatoren Rainer Kamber (Aidshilfe Schweiz) und Armin Schafberger (DAH).

Prof. Pietro VernazzaProf. Vernazza betonte, mit der Publikation des EKAF-Statements habe auch eine ‚Doppelbödigkeit‘ beendet werden sollen. Was einzelne Ärzte, oftmals unter dem Siegel ‚nur für Sie‚, schon lange ihren Patienten sagen, müsse nun endlich auch offen ausgesprochen werden. Die Datenlage sei reif genug gewesen für diesen Schritt.
Generell habe nicht die Biologie zum EKAF-Beschluss geführt, sondern die Epidemiologie,die Biologie habe dann nur dieses mit Daten bestätigt.
Zum Analverkehr bei Heteros sei die Datenlage knapp, noch knapper bei Analverkehr zwischen Männern die Sex mit Männern haben (MSM). Allerdings sei ein Analogieschluss zum Vaginalverkehr möglich und zulässig, wie er detailliert anhand einer Diapräsentation erläuterte.

Prof. Bernd SalzbergerProf. Salzberger befasste sich mit der Frage, wie hoch das Risiko einer HIV-Übertragung sei, und welches Risiko als tragbar erachtet werden könne.
Ein Risiko von 1 zu 100.000 erscheine zunächst gering – aber selbst beim Lotto mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 13 Mio. (für ‚6 Richtige‘) gewinne jeden Samstag jemand. Er erachte ein Risiko von 1 : 100.000 (auf das sich das EKAF-Statement bezieht) als nicht niedrig genug und bleibe skeptisch.
Salzberger betonte zudem die Bedeutung sexuelle übertragbarer Infektionen (STDs) für die Infektiosität. Insbesondere ulzerierende STDs seien hier zu beachten. Die Frage, ob auch latente Infektionen (besonders mit HSV2) epidemiologisch relevant seien, wurde zwischen ihm und Vernazza kontrovers diskutiert.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub entgegnete auf Salzbergers Risiko-Betrachtungen, für Public Health sei es wesentlich, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. Hier falle doch zunächst das Fehlen jeglichen Berichts von belegten Infektionen (unter den von der EKAF betonten Bedingungen) in den vergangenen Jahren auf. Das Einzelfall-Risiko bei Kondombenutzung bezifferte er auf 1 : 30.000 – angesichts dieses Einzelfall- Risikos verstehe er die Aufregung um ein Risiko von 1 : 100.000 (Infektiosität bei erfolgreicher Therapie und keine STDs) überhaupt nicht.

Salzberger betonte in einer Replik, auch er erachte die von der EKAF veranschlagte Risiko-Einschätzung von 1 : 100.000 als ‚gute Obergrenze‘, die Berechnungen halte er für zutreffend. Es gebe aber eben in Form von Kondomen eine breit und preisgünstig verfügbare Möglichkeit, das Übertragungsrisiko noch einmal um den Faktor 100 zu reduzieren. Auch er sehe, dass es keine 100%ige Sicherheit gebe, stelle sich aber die Frage, was einzusetzen sei, um ein mehr an Sicherheit zu erhalten.

Staub betonte im Verlauf der Debatte, das Statement der EKAF ermächtige die Menschen gerade, selbst eine Entscheidung zu treffen. Es gehe darum, nicht aus der Medizin heraus eine höhere Sicherheit zu postulieren, sondern ‚das müssen die Menschen selbst machen‘. Hierzu wolle die EKAF ermächtigen, hierzu müssten Informationen und Wissen bereit gestellt werden.

Dr. Dirk Sander, DAHDr. Dirk Sander betonte, es gehe in der laufenden Debatte um Menschen – und nicht um Techniken. Es gelte zu vermeiden, jetzt wieder das Bild des ‚triebgesteuerten Homosexuellen‘ zu reaktivieren. Zudem zeigte er sich zuversichtlich, dass die Aidshilfe auch komplexere Risiken kommunzieren könne, dies haben auch Erfahrungen der vergangenen Jahre zahlreich gezeigt. Er forderte mehr Mut – die derzeit heiß diskutierten Informationen seien doch eh schon lange Teil des individuellen Risiko-Kalküls.

VielhaberAuch ’safer sex‘ beinhalte ein Risiko, sei keinesfalls die ‚Null-Risiko-Alternative, für die sie gerne gehalten werde, betonte Bernd Vielhaber. Dieses Risiko sei nur bisher kaum kommuniziert, wahrgenommen worden. Statt mit Angst auf die jetzigen Veränderungen zu reagieren, wäre es doch produktiver, nach vorne zu denken und proaktiv in die Diskussion einzusteigen.

Im Verlauf der anschließenden Diskussion (mit Publikumsbeteiligung) wurden die Unterscheide zwischen der medizinischen / Behandler-Perspektive und der epidemiologischen / public health- Perspektive nochmals deutlich. Beide Sichtweisen anzunähern, wo möglich zu vereinen sei auch zukünftig eine Herausforderung.
Podiumsdiskussion Kondomverzicht?Erfahrungen public-health- und Aids-Debatten der letzten 20 Jahre zeigen, dass es möglich ist, die anstehenden Fragen in konkrete und vor Ort verständliche Präventionsbotschaften umzusetzen – die Frage sollte mit Zuversicht statt Skepsis angegangen werden.
Erforderlich sei jetzt allerdings eine zwar engagierte, aber unaufgeregte Diskussion, war einhellige Meinung.

Vernazza wies abschließend darauf hin, dass die EKAF im Juni ein ‚closed meeting‘ organisieren werde, bei dem Wissenschaftler und Regierungsvertreter unterschiedliche Auffassungen wie auch Gemeinsamkeiten und Ziele diskutieren würden. Die Gemeinsamkeiten würden überwiegen, zeigte er sich zuversichtlich.

ein schweizer Meilenstein

Der „erste Salon Wilhelmstrasse“ stand unter dem Titel “Positiv und negativ : Wie leben HIV-diskordante Paare heute?”. Ein thematisch breit besetztes Podium diskutierte unter Moderation von Holger Wicht über Chancen und Risiken des Statements der Eidgenössischen Aids-Kommission “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“. Ein Bericht.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub, Leiter der Sektion Aids im Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Mitgründer der Aidshilfe Schweiz, skizzierte nochmals die wesentlichen Punkte des (im übrigen in der Kommission einstimmig zustande gekommenen) EKAF-Statements und betonte dabei, unter den dort genannten Bedingungen sei die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung „viel kleiner als 1 : 100.000“.
Staub betonte, der Fortschritt des Statements der EKAF liege vor allem auch darin, dieses Konzept jetzt auch zitier- und öffentlich verwendbar gemacht zu haben. Eine Zitierbarkeit, die wie später nochmals deutlich wurde, weit über den medizinischen Bereich hinaus ragt – gerade Gerichte und Verteidiger von HIV-Positiven benötigen zitierfähige Belege dafür, dass die Beurteilung der Infektiosität sich unter bestimmten Umständen verändert hat.
Der oft geäußerten Kritik, ob man das denn überhaupt und jetzt sagen dürfe, ob das Statement notwendig gewesen sei, entgegnete Staub „wenn es heute zu früh ist, wann ist es denn dann an der Zeit?“ Das Wissen um die Situation sei seit langer Zeit bekannt, werde von Ärzten verwendet, nun müsse man ehrlich an die Öffentlichkeit gehen. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, dem Statement entgegen stehende Fälle zu publizieren.

Dr. Gute, FrankfurtDr. Gute ist ein HIV-Behandler aus Frankfurt. Er behandelt u.a. den Positiven, der gerade dabei ist als ‚Frankfurt patient‘ in die HIV-Diskussion einzugehen. Dieser lebt seit Jahren in einer sexuell monogamen Beziehung mit seinem HIV-infizierten und erfolgreich therapierten Partner. Dennoch hat eine HIV-Übertragung stattgefunden, wie mit phylogenetischen Untersuchungen gezeigt wurde zwischen den beiden Beteiligten (nicht mit einem etwaigen Dritten). Der Fall soll in den nächsten Wochen in einer virologischen Fachzeitschrift publiziert werden.
Dr. Gute betonte, auch er schätze das Risiko einer HIV-Übertragung durch einen erfolgreich therapierten HIV-Positiven (bei Abwesenheit von STDs) als „sehr sehr niedrig“ ein, aber es sei eben nicht ’null‘, wie gerade dieser Fall zeige.
Staub betonte in einer Replik, der Frankfurter Fall zeige nichts. Das EKAF-Statement gehe ja davon aus, dass genau solche Fälle nicht ausgeschlossen seien (wohl aber ihr Risiko drastisch reduziert sei). An der Gültigkeit des Statements der EKAF ändere dieser Fall nichts.

Prof. Martin DanneckerWarum sind die Reaktionen auf das Statement der EKAF und die potenziellen Folgen für die Situation der Positiven so heftig? Endlich sei in Fachkreisen schon länger bekanntes ‚Herrschaftswissen‘ veröffentlicht worden, betonte Prof. Martin Dannecker. Er wies darauf hin, dass die Menschen bisher gewohnt seien, HIV-Positive als Opfer wahrzunehmen. Und „aus dieser Rolle entlässt man eben niemanden gerne“.
In den vergangenen Jahren sei zudem nie thematisiert worden sei, dass es eben um „safer“ Sex (mit dem „r“) gehe – die auch bei Kondomen bestehende Unsicherheit sei ein tabuisiertes Thema, das nun jedoch wieder ans Tageslicht komme.

Für wen und in welchen Situationen könnte das EKAF-Statement anwendbar sein? Diese Frage beschäftigt derzeit viele. Dannecker kritisierte hierzu die „Engführung der Diskussion auf Paare“. Die Folgen des EKAF-Statements seien verhandelbar zwischen halbwegs vernunftbegabten Menschen – und nicht nur in sexuell monogamen Partnerschaften.
Dannecker monierte eine aus dem Statement der EKAF sprechende Einmischung der Medizin. Dass ein Kondomverzicht erst nach intensiver Beratung Beider durch den Arzt erwogen werden könne, bringe ein Mißtrauen des Arztes dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, zudem sei dies ein unzulässiger Eingriff in das Binnenverhältnis des Paares.
Zukünftig, so Dannecker, könne es zu einem „paradoxen Sexualisieren“ kommen – im Vergleich zu einem vermeintlich HIV-Negativen mit all den Risiken negativen Serosortings könnte der HIV-Positive, der erfolgreich therapiert ist, zu einem attraktiven Sex-Partner werden.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bisher in den Diskussionen um das Statement der EKAF noch nicht Position bezogen, bemüht sich um eine noch in Erarbeitung befindliche gemeinsame Stellungnahme mit Robert-Koch-Institut (RKI) und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bernd Aretz Er sei erstaunt und erzürnt über den Umgang der Aidshilfe mit der aktuellen Situation, stieg Bernd Aretz in die Beleuchtung der Reaktion der Aidshilfen ein. Es scheine „verloren gegangen [zu sein], dass wir nicht die Regierung sind“. Die Aidshilfe sei ein politischer Verband, doch wo vertrete er derzeit die Interessen der HIV-Positiven?
Auch Martin Dannecker kritisierte, dass die Deutsche Aids-Hilfe immer noch nicht Position bezogen habe. Stehe dahinter die Angst um die staatlichen Mittel, an deren Tropf man zu hängen glaube?

Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Beiträge aus dem Publikum machte deutlich, das das EKAF-Statement sich als ein Meilenstein in der Geschichte von Aids erweisen könnte – ein Meilenstein, der Hoffnungen, aber auch Ängste auslöst.

Die Diskussion zeigte die Bruchlinien, um die herum sich die Diskussionen derzeit bewegen. Bruchlinien, die auch in Symposien und Veranstaltungen der folgenden Tage diskutiert wurden und die Diskussionen der kommenden Wochen bestimmen werden. Bruchlinien, die Etiketten tragen wie ‚Null Risiko oder Risiko-Minimierung?‘, ‚Frankfurt patient‘ oder ’neue Wege in der Prävention‘.

Im Verlauf der Diskussionen konnte man den Eindruck gewinnen, die DAH sei ein wenig gefangen – und verliere hierüber vielleicht ihre Fähigkeit, eine eigenständige Position zu finden und auch nach außen zu vertreten. Gefangen nicht nur in ihrem Gefühl, es ihren Auftrag- und Geldgebern ‚recht machen‘ zu wollen, sondern auch in ihrem Bemühen, mit allen Beteiligten (RKI, BZgA) zu einem Konsens-Paper zu kommen. Vielleicht hätte man mehr Mut zu eigener Position gefunden, wäre bereits bekannt gewesen, dass die BZgA diesen Konsens zu dem Zeitpunkt schon aufgekündigt, eine eigene BZgA-Presseerklärung vorbereitet hatte, die am nächsten Tag herausgegeben wurde.

vorwärts nimmer, rückwärts immer? (akt.)

Die Schweizer Aids-Kommission EKAF hat mit ihrer Stellungnahme in Sachen Infektiosität bei wirksamer anti-HIV-Therapie breite Diskussionen ausgelöst. Inzwischen liegt auch eine Stellungnahme deutscher Organisationen vor.

Am 26. Februar trafen sich in Berlin in den Räumen der Deutschen Aidshilfe Vertreter unter anderem der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aidshilfe. Am Tag des Treffens wurde eine vorher vorbereitete Stellungnahme verabschiedet und veröffentlicht.
Eine weitere Stellungnahme, die sich detaillierter mit dem Statement der EKAF auseinandersetzt, soll als Ergebnis ihres Treffens in den nächsten Tagen folgen.

Schon der Titel der gemeinsamen Presseerklärung soll ganz offensichtlich zeigen, wo es langgehen soll: . „Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“, so lautet der Titel.

„Safer Sex, also Kondomnutzung“ sei weiterhin „die zentrale Botschaft“. Alles andere sei „kontrovers diskutiert“, „nur unter vom Arzt kontrollierten Bedingungen“. Für Männer die Sex mit Männern haben, gebe es „keine vergleichbaren Daten“. Man befürchte ein Verstehen „fälschlich als Entwarnung“.

Erste Positivenvertreter drücken bereits kurz nach Erscheinen der Pressemitteilung ihr Entsetzen aus und fordern zu Protestbriefen auf.

Die Pressemitteilung setzt safer Sex und Kondombenutzung gleich. Fast provokativ, als deutlichen Ausdruck eines beherzten „so aber nicht“ könnte man das nach den Veröffentlichungen aus der Schweiz verstehen.
Eine Gleichstellung (safer Sex = Kondombenutzung), als habe es die Studien, die Stellungnahme der EKAF nicht gegeben. Kaum ein Wort davon, dass zusätzlich zur Benutzung von Kondomen unter bestimmten Umständen auch andere Möglichkeiten des safer sex bestehen könnten. Nicht der geringste Anschein davon, mit der Situation (die ja längst ‚draußen‘, bei den Menschen vor Ort ist) kreativ präventiv umzugehen. Kein Wort von Information, informierter Entscheidung, Risikomanagement.

Noch einen Tag zuvor (am 25.2.) hatte eine BZgA-Vertreterin erklärt „Die durch die EKAF-Veröffentlichung angeregte Diskussion ist tatsächlich für einen Teil der Betroffenen relevant und dies sollte auf gar keinen Fall in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt werden“ (in einem Blog-Kommentar auf welt-aids-tag.de hier). Abgesehen davon, dass EKAF für alle Positiven relevant ist (mit wohl unterschiedlichen Konsequenzen), ist von diesem „auf keinen Fall vernachlässigen“ schon einen Tag später offensichtlich keine Rede mehr.

Im Gegenteil, munter wird an einem Rollback gestrickt. „Die allgemeine Gefährdungslage ist grundsätzlich unverändert …“ heißt es in der Pressemitteilung pikanterweise bei dem Versuch, die Situation von HIV in Deutschland zu beschreiben – fast als hätte Bundesinnenministerium eine Terrorwarnung herausgegeben.

Eine Pressemitteilung, bei der zudem die Frage auf die Zunge kommt, ob es die selbe Deutsche Aidshilfe ist, die diese Rede (‚Betroffene zu Beteiligten machen‚) gehalten hat und die nun diese Pressemitteilung mit unterzeichnet.

Viele Menschen mit HIV werden angesichts dieser Pressemitteilung vermutlich fassungslos reagieren. Nicht nur, dass sie, ihre Situation in der Pressemitteilung mit keinem Wort erwähnt werden. Nein, nur wenig verhohlen scheint wieder durch der Gedanke „ach, hätten die doch weiter geschwiegen“, denn dann wäre die Präventionswelt ja noch heil.

Nun wissen wir also, wo die Damen und Herren RKI, BzGA und wohl auch DAH weiter langgehen wollen: auf breit ausgetretenen Wegen, ja nichts Neues wagen. Hoffentlich wachen sie nicht irgendwann überrascht, schockiert vor kondomisierten Gemüsen auf, die sich dennoch mit HIV infiziert haben …

Wie die Deutsche Aidshilfe nun noch auf den Gedanken kommen kann, sie sei eine Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, erscheint grotesk. Ihr Verhalten wird die DAH wohl manchem Positiven erklären müssen, soll Czajkas Rede nicht als vereinzeltes Irrlicht erscheinen, das schnellstens wieder gelöscht wurde.
Und Positive sollten sich Gedanken machen, wer denn ihre Interessen vertritt .
..

„Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“
gemeinsame Pressemitteilung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aids-Hilfe vom 26. Februar 2008 (als pdf hier)

Nachtrag 03.03.2008: am 14.3. wird es zu einem weiteren Treffen kommen, bei dem laut DAH um „einen Entwurf einer ‚deutschen‘ Erweiterung der Präventionsbotschaften“ gehen soll.

Betroffene zu Beteiligten machen

Im folgenden angesichts der großen Bedeutung der Rede und der Aktualität des Themas (zumal hins. des EKAF-Beschlusses und der Reaktionen) auch hier dokumentiert eine Rede, die Maya Czajka, Vorstandsmitglied der Deutschen Aids-Hilfe, anlässlich eines Parlamentarischen Abends am 14. Februar 2008 in Berlin gehalten hat:

„Betroffene zu Beteiligten machen“

Rede von Maya Czajka,Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.
anlässlich des Parlamentarischen Abends zum Thema
„Erfolge in der klinischen Forschung im Bereich HIV/AIDS: Die Dualität von Prävention und Forschung“

Parlamentarische Gesellschaft Berlin, 14. Februar 2008 (Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Caspers-Merk,
sehr geehrter Herr Friedrich,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde!

Ich danke Ihnen, Herr Baars ganz herzlich, dass Sie unserer Einladung nach Berlin gefolgt sind und uns diese engagierten Eindrücke aus der journalistischen Perspektive eines professionellen Beobachters, der auch persönlich beteiligt ist, gegeben haben.

Ihnen, Herr Prof. Dr. Brockmeyer und Herr Prof. Dr. Rockstroh danke ich für Ihre allgemeinen und wissenschaftlichen Impulse.

Ich bin im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe neben der Sexindustrie auch für den Themenbereich „sexuelle Gesundheit“ zuständig. Mit dem Thema meines Referates, das mir mehr oder weniger in den Mund gelegt wurde, bin ich nicht ganz glücklich, weil die Betroffenenrhetorik häufig zu Stigmatisierungen führt und Betroffene eben nicht beteiligt. Und eigentlich war es ja auch – vor 25 Jahren eher so: Betroffene haben sich selbst zu Beteiligten gemacht – und daran hat sich bis heute im Wesentlichen nichts geändert.

Das Thema unseres heutigen Abends – die Dualität von Prävention und Forschung – ist aktueller denn je:

Wie wichtig es nämlich ist, dass die von einer HIV-Infektion bedrohten und betroffenen Menschen und ihre Communities beteiligt sind, zeigt beispielhaft die kontroverse Diskussion über die Auslegung eines Interviews mit dem HIV-Spezialisten Dr. Hans Jäger im Focus im Dezember 2007 sowie eine Stellungnahme, die die Schweizer Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen am 30. Januar veröffentlicht hat.

Ich werde im Verlauf meines Vortrages diese Kommission noch häufiger erwähnen und Sie dann aber nicht mehr mit diesem langen Titel, sondern nur noch mit dem Kürzel EKAF behelligen.

Die EKAF also kam in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass – unter bestimmten, von ihr klar definierten Bedingungen – „eine HIV-infizierte Person unter funktionierender antiretroviraler Therapie das HI-Virus nicht über Sexualkontakte weitergibt“.

Damit keine Missverständnisse entstehen oder jemand denkt, er oder sie habe sich gerade verhört, sage ich es noch einmal und etwas pointierter:

Der ungeschützte vaginale Sexualkontakt mit einer HIV+ getesteten Person, die unter erfolgreicher ART steht, ist weniger infektiös als geschützter vaginaler Sex mit einer HIV+ Person mit nachweisbarer Viruslast.

Noch einmal ganz deutlich: die folgenden drei Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein:

Die ART wird vom Patienten konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert.

Die Viruslast unter dieser Therapie liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze.

Es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern.

Die Reaktionen der Medien, aber auch einzelner Mitgliedsorganisationen und Präventionsprojekte unseres Verbandes sowie von Medizinern und Gesundheitspolitikern, reichen von „Tabubruch“, „blankem Entsetzen“ „Gefühl der Erleichterung“, „Normalisierung“, „Entstigmatisierung“ bis hin zu der Einschätzung, dass man mit dieser vielleicht vorschnellen und international noch nicht abgestimmten Botschaft der HIV-Prävention einen Bärendienst erwiesen hätte.

Die Debatte zeigt dabei sehr anschaulich, dass Prävention keine Sache ist, die sich nebenbei aus Forschungserkenntnissen selbst generiert.

Deshalb beschäftigen sich DAH und BZgA seit z.T. über 25 Jahren so intensiv mit dem Thema Prävention.

Emotional gesehen, hätten wir als DAH uns sicher eine andere Form der Veröffentlichung des EKAF- Papiers gewünscht. Uns wäre es in gewisser Weise lieber gewesen, uns in Bezug auf eine Modifikation und Differenzierung der eingeübten Präventionsbotschaften nicht bewegen zu müssen.

Die mit der Thematik notwendige Auseinandersetzung und die öffentliche Diskussion ist nämlich – für uns – genau wie für alle anderen Akteure – schwierig, kompliziert und von vielen Unwägbarkeiten begleitet.

Rational gesehen aber begrüßen wir die Veröffentlichung der EKAF jedoch sehr und freuen uns ausdrücklich über die Bewegung, die nun in die Präventionsdebatte kommt.

Denn: was tabuisiert ist, kann nicht gestaltet werden!

Die Auseinandersetzung um die EKAF-Stellungnahme stellt insofern einen Paradigmenwechsel in der Beurteilung einer chronischen Infektionserkrankung dar, als erstmals öffentlich und eindrücklich klargestellt wird, dass die bisherige Risikoeinschätzung in der Gesellschaft über die Ansteckungsgefahr, die von HIV-Infizierten ausgeht, eher Mythos als Realität ist.

Die häufig genug eher hysterisch und völlig überzogen geäußerten Ängste haben in den letzten 25 Jahren zu einer noch immer ungebrochenen Stigmatisierung von Menschen mit HIV in allen Lebensbereichen geführt.

Herr Baars hat uns in seinem Vortrag dafür Beispiele aus der Arbeitswelt gegeben, und die DAH und ihre Mitgliedsorganisationen könnten die von ihm begonnene Liste sehr lang werden lassen…

Sie würde reichen über die Erlebnisse vieler HIV+ Menschen im Umgang mit Behörden und Institutionen, über Erfahrungen bei Fortbildungen in den Arbeitsagenturen, über solche mit etwa Zahnärzten und Chirurgen sowie natürlich auch hin zu den Erfahrungen, die Menschen mit HIV massenweise machen, wenn sie sich bei der Anbahnung von Sexualkontakten und/oder Beziehungen als positiv outen.

Die Stellungnahme der EKAF bedeutet nun vordergründig zuerst einmal eine wesentliche Erleichterung und Ent-Ängstigung von Menschen, die in diskordanten Partnerschaften leben.

Sowohl für den HIV-negativen Part, weil die Ängste vor Ansteckung auf ein wesentlich realistischeres Maß reduziert werden können, aber auch für den HIV-positiven Part, der in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle massive Ängste hat, den/die HIV-negative(n) Partner(in) anzustecken.

Nicht zu unterschätzen sein dürfte jedoch der indirekte Effekt sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene als hoffentlich auch auf die Justiz.

Diese drei Aspekte waren maßgebliche Motivation für die Erarbeitung der EKAF-Stellungnahme.

Die EKAF hat sich in ihrer Diskussion um die Implementierung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihre praktische Arbeit von dem ethischen Grundsatz leiten lassen, Menschen an den Stellen zu entlasten, an denen sie verantwortlich entlastet werden können.

Und ganz genau dies wird die DAH auch tun.

Nach dem bisherigen Stand der Forschung und der Diskussion gelten allerdings die bisherigen Präventionsbotschaften, die aufgrund ihrer Einfachheit so erfolgreich sind – für die Sexualkontakte weiter, die eben genau nicht unter den von mir oben genannten und zuvor von der EKAF definierten Bedingungen stattfinden.

Wir werden uns entsprechend schon bald für Deutschland dazu äußern, in welchen Situationen wir in der Prävention unsere Botschaften modifizieren müssen – ähnlich wie die Schweizer Kolleginnen und Kollegen es getan haben und wir werden – im Verein mit dem Kompetenznetzwerk, dem RKI, der BZgA und Behandler/innen in der übernächsten Woche bei einem Arbeitstreffen wahrscheinlich separate und sehr differenzierte Botschaften für Oralverkehr, Vaginalverkehr und Analverkehr zu diskutieren haben…

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die DAH heute noch keine abschließende Position zu diesem Thema veröffentlichen wird.

Vorab aber erlaube ich mir, hier einige grundsätzliche Gedanken zur Debatte zu äußern:

Die aufgeregten und teilweise sehr persönlich geführten Auseinandersetzungen um die Stellungnahme der EKAF zeigen einmal mehr, in welchem Spannungsfeld sich Prävention befindet:

Sie folgt der Public-Health-Logik:

Ihr Ziel ist die Reduktion (oder Stabilisierung) der Zahl von Neuinfektionen. Sie ist nicht am Einzelschicksal interessiert und sie muss individuelle Neuinfektionen in Kauf nehmen.

Sie kann – will sie erfolgreich sein – auch gar keiner anderen Logik folgen.

Die aktuelle Diskussion der EKAF-Empfehlung und der ihr zugrunde liegenden wissenschaftlichen Arbeiten wird jedoch von einem Blick auf das Einzelschicksal diktiert: Jede Neuninfektion MUSS verhindert werden!

Präventionsbotschaften, die auf dieser Haltung der 100%igen Risikoreduktion basieren, sind jedoch aus leicht nachvollziehbaren Gründen auf der Populationsbasis von vorneherein zum Scheitern verurteilt:

Auf HIV bezogen hieße eine 100-Botschaft schlicht: Keinen Kontakt zwischen Häuten, Schleimhäuten oder gar Körperflüssigkeiten – mit anderen Worten: gar keinen Sex mehr! Oder nur in einem Ganzkörperkondom.

Beides hält dem Leben nicht stand.

Die Public-Health-Sicht und die Sicht auf das Individuum bedingen zugegebenermaßen ein unauflösliches ethisches Dilemma, das sich zwar – wie schon gesagt – nicht auflösen, sich jedoch dahingehend „verkleinern“ lässt, als dass das vertretbare Restrisiko diskutiert und vereinbart werden muss.

In diesem Sinne hat die DAH stets ihre Präventionsbotschaften entwickelt und diese NIEMALS als 100% sicher (safe) definiert, sondern IMMER als safer (also risikominimierend).

Und rückblickend haben sich die noch vor wenigen Jahren aufs heftigste attackierten – weil Vielen viel zu laschen (sprich: verantwortungslosen) – Präventionsbotschaften der Deutschen als erheblich effektiver, lebensnäher und umsetzbarer erwiesen, als die deutlich restriktiveren Ansätze wie „No lips under the hips“ oder die Abstinenz-Kampagne der amerikanischen Bundesregierung) etwa. Selbst wenn (oder gerade weil?) wir in Deutschland in unseren Präventionsbotschaften ein höheres Maß an Restrisiko akzeptiert haben, hat sich über die Jahre herausgestellt, dass wir besser als die allermeisten Industrienationen in der Lage waren, die Prävalenz auf einem sehr niedrigen Niveau zu halten.

Der aktuelle Diskurs zeigt auch, wie schwierig es ist, Prävention, Entstigmatisierung und Antidiskriminierung zusammen zu bekommen.

Antidiskriminierung aber ist eine wesentliche Voraussetzung für gelingende Prävention (bzw. für nicht gelungene, wie die Entwicklung in Osteuropa sowohl im Bereich HIV und Aids, als auch im Bereich der Drogenpolitik zeigt).

Damit unsere Prävention in Deutschland weiterhin glaubwürdig ist, müssen wir mit dem wissenschaftlichen Fortschritt und ihren neuen Erkenntnissen mithalten: Wie immer in der Forschung zeigt sich auch im Feld von HIV/AIDS, dass Forscher und Wissenschaftler die gleichen Ergebnisse zum Teil sehr unterschiedlich interpretieren:

Persönliche Überzeugungen, der politische Kontext, gesellschaftliche, wissenschaftliche Tabus, der (wissenschaftliche) Mainstream als solcher, der Grad der Abweichung der Ergebnisse bzw. der Interpretation der Autoren vom Mainstream etc. markieren wesentliche Aspekte dabei.

Hier spielen Menschen mit HIV/AIDS bzw. die AIDS-Hilfe eine wichtige Rolle: Nicht nur, dass sie aus ihren Perspektiven die Ergebnisse valide interpretieren können und müssen, sie bereichern die wissenschaftliche Debatte mit ihren Perspektiven und tragen so dazu bei, dass Bodenhaftung in die Debatte kommt.

Gerade die in die praktische Anwendung gehende Interpretation von Ergebnissen aus der Transmissionsforschung, der Therapieforschung und der Epidemiologie sind ohne die Expertise derjenigen, die es direkt betrifft, kaum wirklich sinnvoll möglich.

Auch nach 25 Jahren HIV/AIDS und einer vergleichsweise sehr deutlichen Kommunikation über Sexualität und Sexualpraktiken scheinen nämlich selbst altgediente Forscher und HIV-Spezialisten immer noch nicht begriffen zu haben, wie Sexualität funktioniert – was zu aus unserer Sicht manchmal absurden Studienplanungen und Interpretationen von Ergebnissen beiträgt.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel:

Es ist derzeit nahezu unmöglich, belastbare Aussagen zum passiven Analverkehr zu treffen. Den Forschern scheint (noch) nicht klar zu sein, wie das anatomisch vonstatten geht. So hat die jüngste zu diesem Thema veröffentlichte Studie von der Viruslast in den Sekreten des Zwölffingerdarms auf die Ansteckungswahrscheinlichkeit beim Analverkehr geschlossen – eine der Absurditäten, von denen vorhin die Rede war.

Beispiel mit Zwölffingerdarm!!!

Vor fast 20 Jahren – 1989 auf der IV. Welt-AIDS-Konferenz in Montreal – haben sich erstmals HIV-Patienten erfolgreich in die Forschung eingemischt. ACT UP und andere Aktivistengruppen aus den USA hatten die Konferenz gestürmt und mit ihrer National AIDS Research Agenda erstmals massiv Einfluss auf die HIV-Forschung genommen, die bis dahin weder ein klares Ziel noch eine klare Struktur oder gar übergreifende Fragestellungen gehabt hat.

Heute darf man sagen: Die aktuelle HIV-Forschung wäre ohne die kontinuierliche und mit hoher Expertise erfolgte und erfolgende Einmischung der Selbsthilfe in die Forschung nicht denkbar.

So werden Patientenvertreter im Rahmen der Medikamentenzulassung in den USA und der EU mittlerweile angehört. Sie haben in der Vergangenheit – damals, als noch jedes neue Medikament sofort und direkt Leben rettete – erfolgreich Lobbyarbeit dafür betrieben, den Zulassungsprozess zu verkürzen sie betreiben inzwischen erfolgreich Lobbyarbeit dafür, den Zulassungsprozess wieder zu entschleunigen und fordern mehr und längere Studien um die Risiko-Nutzen-Relation neuer Substanzen besser einschätzen zu können.

Sie haben die Forschung an Lipodystrophie initiiert, haben dafür Sorge getragen, dass im HIV-Bereich keine Placebo-kontrollierten Medikamentenstudien mehr durchgeführt werden, und sie versuchen seit Jahren die Forschung zu Therapiestrategien zu beleben.

Sowohl in der Grundlagenforschung (etwa an der Frage, wie die so genannten „Elite-Controller“ – das sind Menschen mit HIV, die auch nach 20 und mehr Jahren keinerlei Zeichen einer Krankheitsprogression zeigen – es schaffen, trotz HIV-Infektion und ohne Medikamenteneinnahme nicht an HIV zu erkranken und eben keinen Immundefekt zu entwickeln), als auch in der klinischen Forschung und auch in der Impfstoffforschung haben Menschen mit HIV und ihre Vertreter Einfluss auf die Forschungsfragen genommen.

Und nicht zu vergessen: Sie haben sich selbst für die Forschung zur Verfügung gestellt!

Um diese Motivationen allerdings aufrechterhalten zu können, ist neben der Partizipation auch die Transparenz der Forschung für Menschen mit HIV/AIDS notwendig und wichtig:

Deshalb führt die DAH im Rahmen des Kompetenznetzes HIV/AIDS ein Projekt durch, das den Dialog zwischen Wissenschaftlern und Menschen mit HIV und AIDS ermöglicht.

Wir sind zudem an Entscheidungen über künftige Forschungsprojekte beteiligt, damit diese auch einen Nutzen für die Betroffenen haben können.

Zudem hat die DAH ein Projekt initiiert, das die Möglichkeiten und Grenzen von Prävention in der Arztpraxis erforscht.

Dem Kompetenznetz HIV/AIDS wird von seinem internationalen Gutachtergremium bescheinigt, dass man ihm wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse verdankt, die wegweisend für Innovationen in Prävention, Diagnostik und Therapie sind.

Entsprechend freuen wir uns selbstverständlich über den Zuwendungsbescheid des Bundesforschungsministeriums für eine weitere Unterstützung des Hauptprojekts – der Kohortenstudie – bis 2010.

Allerdings muss aus unserer Sicht kritisch angemerkt werden, dass die Bundesregierung die Erfahrungen anderer großer Kohortenstudien außer Acht zu lassen scheint: Eine solche Kohorte wie die unseres Kompetenznetzes – die einen so hohen Output verspricht wie kaum eine andere HIV-Kohorte weltweit – kann das nur leisten, weil sie von ihrer Struktur (Daten, die prospektiv erhoben werden und Biomaterialien, die ebenfalls prospektiv erhoben werden) her in der Lage ist, die „Erkenntnislöcher“ abzudecken, die aus historischen Gründen in den meisten älteren Kohorten naturgemäß bestehen bleiben müssen.

Was vor 10 oder 20 Jahren kein Gegenstand der Forschung oder der Projektionen war – etwa weil seinerzeit niemand damit gerechnet hat, dass Menschen mit HIV 30 Jahre und mehr mit Therapie leben können und eine nahezu normale Lebenswartung haben – ist in die meisten älteren Kohorten im Nachhinein nicht einzubauen.

Solch riesige Datenmengen, wie sie in der Kompetenznetzkohorte erhoben werden, stellen naturgemäß hohe Anforderungen an alle Beteiligten und selbstverständlich auch an die Geldgeber.

Aus anderen Kohorten ist jedoch bekannt, dass der Vorlauf – d.h., die Zeit, die vergeht, bis die Kohorte „rundläuft“ und die notwendigen Fehler gemacht worden sind, mehrere Jahre beträgt.

Insofern hat die zu knappe Finanzierung der Kompetenznetzkohorte und der zu kurze Atem des BMF eine wesentliche Reduktion des möglichen wissenschaftlichen Outputs der Kohorte verursacht, die auch auf der Ebene der mit HIV lebenden Menschen direkt Konsequenzen zeitigen wird.
Nicht heute oder morgen, aber wir werden in einigen Jahren genauso schmerzhaft an diese vergeudeten Chancen erinnert werden, wie wir heute schmerzhaft an die Limits der älteren und alten Kohorten stoßen.

Hier würden wir uns mehr Weitblick und langen Atem wünschen – sprich: eine solidere Finanzierung der Kompetenznetzkohorte, die die jüngst erfolgte, sehr drastische Reduktion der Patientenzahl um die Hälfte wieder aufhebt.

Neben den bereits geäußerten Kümmernissen sind wir allerdings auch besorgt darüber, dass dem Forschungsverbund weitere deutliche Einschnitte bevorstehen: Neben der Kohorte sind im Kompetenznetz Forschungsgruppen zusammengeschlossen, die für eine Belebung der deutschen HIV-Forschung und für eine bessere Verschneidung der Grundlagen- mit der klinischen Forschung sorgen.

Mit der derzeitigen Finanzierung wird nicht nur die Kohorte drastisch in ihren Möglichkeiten beschnitten, darüber hinaus fallen über 20 inhaltliche Forschergruppen aus der Förderung heraus.

Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich dessen ungeachtet zusammen mit dem Patientenbeirat weiterhin dafür einsetzen, dass zentrale Fragen auf der Tagesordnung bleiben: wie z.B.:

• Wann ist der richtige Startzeitpunkt für eine Therapie?
• Welche Medikamentenkombination ist in welchen Situationen die Günstigste für mich?
• Wann sollte eine Therapie umgestellt werden und auf welche Kombinationen?
• Kann ich frühzeitig einen Zugang zu Therapie haben usw.
• Hinzu kommen eine Fülle von Fragen psychosozialer Natur oder Fragen zu den Übertragungswegen

Für den diesen zuletzt genannten Aspekt will ich Ihnen ein Beispiel geben:

Die bereits zu Beginn thematisierte Stellungnahme der EKAF zur Übertragungswahrscheinlichkeit beim ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem/einer HIV-Positiven bezieht sich auf heterosexuellen, vaginalen Geschlechtsverkehr. Für hetero- bzw. homosexuellen Analverkehr – der ja per se infektiöser ist, als Vaginalverkehr – gibt es keine Aussagen.

Unsere eigenen Recherchen haben ergeben, dass man dazu zwar Aussagen treffen kann, diese aber aufgrund der vorliegenden Datenlage sehr unklar und komplex sind.

Ein internes Beratergremium hat den Vorschlag gemacht, diese Frage im Kompetenznetz zu beforschen, und zwar sowohl im Rahmen einer in die Kohorte implementierten Beobachtungsstudie, als auch über eine diese Beobachtungsstudie begleitende weiterführende Grundlagenforschung etwa zu Viruslast im Analkanal. Sie erinnern sich an das Zwölffingerdarm-Phänomen zu Beginn meines Vortrages…

Daten dazu wären in etwa einem, eineinhalb Jahren zu generieren und sehr wohl geeignet, die derzeit laufende Debatte an der Stelle ihrer größten wissenschaftlichen Unschärfe zu verbessern.

Denjenigen von Ihnen, die jetzt sämtliche Felle der Prävention davon schwimmen sehen kann ich beruhigend versichern:

Die BZgA und DAH sind sich einig:

Auf der Kampagnen-Ebene werden wir an unseren bisherigen Safer-Sex-Botschaften festhalten.

Nur: die neuen Forschungserkenntnisse gestalten unsere vereinten Präventionsbemühungen komplexer und eben auch schwieriger. Wir werden daher unsere Botschaften gerade in der Individualkommunikation erweitern müssen.

Unseren Zielgruppen im Zeitalter des Internets Erkenntnisse vorenthalten, ist sowieso unmöglich.

Unabhängig von der Fragestellung, ob es ethisch überhaupt vertretbar wäre, unseren Zielgruppen neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorzuenthalten – etwa weil wir befürchteten, sie könnten nicht verantwortlich genug mit diesen Feststellungen umgehen:

Ein kleiner Teil unserer Zielgruppen bastelt sich seine eigenen Risikominimierungstrategien – und zwar unabhängig von den Präventionsbemühungen von DAH und BZgA und ein noch kleinerer Teil sicherlich auch leider jenseits von Sinn und Verstand (oder anders formuliert: teilweise durchaus mutwillig und wissentlich, fast immer jedoch begleitet von fatalen Fehleinschätzungen).

Und das, meine Damen und Herren, nennt man dort, wo ich herkomme: das Leben!

Und auch hier gilt: Was verschwiegen oder tabuisiert wird, kann nicht gestaltet werden.

Die „Präventions-Erweiterungsbotschaften“ aus der Schweiz werden derzeit aus allen möglichen anderen als unseren Quellen gespeist und mit haufenweise „stiller Post“-Effekte weiter getragen, verfremdet und verfälscht.

Die DAH muss daher neue Erkenntnisse sowohl im Internet als auch in ihrer Beratungs- und Aufklärungsarbeit vor Ort rasch aufgreifen und sie zielgruppengerecht kommunizieren.

Auch dies bedeutet für uns, uns und unsere Zielgruppen zu beteiligen.

Im Moment entwickeln wir in Zusammenarbeit mit der BZgA und dem Bundesgesundheitsministerium unsere erste bundesweite HIV-Präventions- und Gesundheitskampagne für Männer, die Sex mit Männern haben.

Der Slogan der Kampagne heißt „Ich weiß was ich tu“.

Diese Kampagne werden wir Ihnen bald vorstellen. Sie wird den von mir kurz geschilderten Veränderungen und Herausforderungen Rechnung tragen und partizipativ angelegt sein: Unsere Kampagne wird HIV-Positive gleichwertig neben HIV-Negativen und Männern, die ihren Serostatus nicht kennen, in die Prävention einbeziehen.

Es hat sich nämlich längst gezeigt, wie weitsichtig wir schon vor 25 Jahren waren: Das Modell der Verbindung von Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unter Einbindungen der von HIV Betroffenen und Bedrohten gilt bis heute international als wegweisend und maßgeblich für die deutschen, vergleichsweise niedrigen HIV-Infektionszahlen.

Vor allem HIV-positive schwule Männer haben sich seit den 1980er Jahren an der Prävention beteiligt. Auch Frauen und Männer zum Beispiel mit Migrationshintergrund, drogengebrauchende Menschen oder Anbieterinnen und Anbieter sexueller Dienstleistungen sind seit Jahren Akteure in der Prävention: in unseren Mitgliedsorganisationen und Präventionsprojekten vor Ort, in unseren Netzwerken, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Bundesgeschäftsstelle in Berlin oder als Ehrenamtlerinnen in den Vorständen und der Vor-Ort-Arbeit.

Bei dieser Erfolgsgeschichte fragt man sich völlig zu Recht, wieso die HIV-Zahlen steigen. Und auch völlig zu Recht dürfen Sie von mir dazu eine Stellungnahme erwarten:

Ich will die aktuellen HIV-Zahlen nicht beschönigen: Es ist richtig, dass der Großteil des Anstiegs der HIV-Neudiagnosen bei schwulen und bisexuellen Männern zu verzeichnen ist. Und es ist leider auch wahr, dass es seit 2001 einen kontinuierlichen Anstieg der Diagnosezahlen in dieser Gruppe gibt.

Wir müssen allerdings die Diagnosen von den Infektionen unterscheiden und damit die oft behauptete Dramatik der Entwicklung relativieren:

Ca. 50 Prozent der Neudiagnosen sind Neuinfektionen, die zu 50 Prozent von Menschen „gesetzt“ werden, die sich in der ersten, hochansteckenden Phase ihrer HIV-Infektion befinden, in der ein HIV-Antikörpertest – nicht der Viruslasttest, der normalerweise in einer solchen, ersten Beratungssituation noch gar nicht gemacht wird! – in aller Regel noch negativ ausfällt.

Die restlichen 50 Prozent sind Infektionen, die zum Teil schon Jahre zurückliegen oder z.B. auf verbesserte Diagnose- und Meldeverfahren und unsere Testkampagnen zurückzuführen ist.

Daher führen die Aidshilfen Testkampagnen bei schwulen Männern durch und bieten seit kurzem auch Schnelltests an, um auch die zu erreichen, die nicht zum Arzt oder ins Gesundheitsamt gehen. Solche Kampagnen wollen wir ausbauen. Wir werden auch den Weg intensivieren, zunehmend über andere sexuell übertragbare Krankheiten (STDs) aufzuklären, denn wir wissen, dass das Vorliegen von STDs (z.B. Syphilis, Herpes) die Übertragung von HIV fördert.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass eine erhöhte Inanspruchnahme von HIV-Tests – etwa im Rahmen von lokalen so genannten Testkampagnen oder im Rahmen der bereits erwähnten MSM-Kampagne „Ich weiß was ich tu“ wahrscheinlich auch erst einmal zu einem Anstieg der Neudiagnosen führen werden, weil diese Kampagnen – wie sich international zeigt – in der Lage sind, die Dunkelziffer in den von HIV am intensivsten betroffenen Szenen schwuler Männer zu reduzieren.

Dessen ungeachtet: Die Menschen haben wieder mehr Sex und weniger Angst vor HIV und AIDS bzw. sie haben (manchmal risikobehaftete) Mechanismen entwickelt, trotz dieser Angst ihre Sexualität zu leben.

Dies ist auch ein Erfolg der klinischen Forschung und der hochwirksamen Therapie.

Die Krankheit Aids wandelt sich von der akuten, tödlichen Bedrohung hin zu einer mehr oder weniger schweren, chronischen Erkrankung.

Um sie zu bekämpfen und um die Ausbreitung des HI-Virus zu stoppen nutzen wir die neuen Forschungserkenntnisse und Therapiestrategien für unsere Präventionsprogramme.

Und dies geht gut und erfolgreich eben nur mit der Beteiligung der bedrohten und betroffenen Menschen und nicht gegen sie, denn schlussendlich entscheidet sich im gelebten Leben, ob eine Präventionsbotschaft umgesetzt, gelebt und langfristig wirksam werden kann.

Diese Maxime bleibt aus unserer Sicht solange nötig, bis entweder eine Impfung oder die Heilung in Sicht sind.

Wenn wir uns jetzt die Zeitspanne vergegenwärtigen, die wir quasi „bedienen“ müssen, wenn wir Menschen in Bezug auf ihr sexuelles Leben begleiten bzw. beraten, dann sprechen also über ein Intervall, das ein ganzes sexuelles Leben umfasst. Und auch und gerade hier besteht dringender Forschungsbedarf:

Wir wissen nämlich nicht, wie es sich mit der realen Schutzwirkung unserer Präventionsbotschaften über einen Zeitraum von 30, 40 oder mehr Jahren verhält:

Die Präventionsbotschaften von DAH und BZgA sind untersucht und gut geeignet, das Pro-Kontakt-Risiko zu minimieren – wie gesagt: zu minimieren, nicht auszuschließen.

100prozentige Sicherheit gibt es nicht!

Was aber tun wir mit dem gut bekannten statistischen Phänomen des kumulativen Risikos, das begründet annehmen lässt, dass die ohnehin „nur“ relative Schutzwirkung über die Zeit nachlässt.

Es erreichen uns zunehmend Berichte, wonach sich Menschen, die glaubhaft versichern, sich trotz der 100prozentigen Befolgung der Safer-Sex-Botschaften mit HIV angesteckt zu haben.

Dies sind Phänomene, die derzeit in der Forschung leider (noch) nicht adressiert werden. Dem jedoch mit immer mehr desselben zu begegnen, ist nicht verantwortungsvoll, sondern im Gegenteil: es ist kurzsichtig.

Wir benötigen unbedingt zusätzliche Risikominimierungsstrategien, um der Herausforderung der HIV-Infektion langfristig so erfolgreich begegnen zu können, wie DAH und BZgA dies in den letzten 25 Jahren tun konnten.

Derzeit ist das Kondom (noch) der Goldstandard der HIV-Prävention.

Wie jedoch bei der HIV-Therapie längst und mehrfach geschehen, verändert sich dieser Goldstandard, wenn effektivere und mit weniger Nebenwirkungen behaftete Therapiemöglichkeiten vorhanden sind.

Gleiches sollte auch für die Prävention gelten – wobei Nebenwirkungen in diesem Sinne auch Anwendungshürden etwa auf der Verhaltensebene oder auch Anwendungsfehler sind.

Es gibt daher keinen Grund, vor Botschaften zurückzuschrecken, die die Kondom-Maßgabe zu ergänzen in der Lage sind und/oder ohne Kondom eine mindestens genauso hohe Schutzwirkung erreichen, als die Anwendung eines Kondoms – also besser sind, als der derzeitige Status Quo.

Das Prinzip der Beteiligung der Community ist Teil der Lösung und Teil eines verantwortlichen Umgangs mit der Infektion und nicht, wie immer noch manche meinen, Teil des Problems.

Die Beteiligung wird für uns auch in Zukunft einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren in den Veränderungsprozessen bleiben: Mit HIV infizierte und von dem Virus besonders bedrohte Menschen zu informieren, sie in ihrem Selbstbewusstsein und ihren Handlungskompetenzen zu stärken, ihnen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen und ihnen Lösungs-Strategien für eine gelingende Risikominimierung aufzuzeigen, dies wird auch in den kommenden Jahren unsere Aufgabe sein.

In diesem Sinne freut sich die Deutsche AIDS-Hilfe auf die weitere enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihnen allen.

Uns allen wünsche ich heute Abend – vielleicht auch erst nach der Stärkung durch das Büfett – erkenntnisreiche Begegnungen und interessante Gespräche.

Von unserer Seite dazu beitragen werden meine Vorstandskollegin Frau Urban, Mitglieder unseres Delegiertenrates, der Geschäftsführer der Bundesgeschäftsstelle und unsere Referentinnen und Referenten.

Und selbstverständlich stehe auch ich Ihnen gleich für Gespräche zur Verfügung.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns: guten Appetit

DAH diskutiert Leitbild

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) plant, ihre Grundsätze, Werte und Haltungen in einem Leitbild zusammen zu fassen. Bis zum 28. Februar 2007 findet die Diskussion darüber online statt.

Von welchen Grundsätzen, Haltungen und Werten wird die Arbeit der DAH getragen? Dies klar zu formulieren und damit auch die eigene Position zu bestimmen ist Ziel eines Leitbilds, dass der Verband sich geben will. Hierzu hat der Vorstand der DAH eine Programmkommission eingesetzt, die sich in mehreren Treffen und Diskussionen intensiv mit den Grundlagen und Zielen der Arbeit der DAH beschäftigt hat.

Auf dieser Grundlage ist ein Entwurf zu einem Leitbild erarbeitet worden, der am 13. Oktober zur Diskussion freigegeben wurde.

Die Diskussion über den Entwurf dieses Leitbilds (in 13 Leitsätzen) findet vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 ausschließlich online statt auf dem Internetangebot der DAH unter dieser Adresse.

Für die Teilnahme an der Diskussion ist eine einmalige Registrierung erforderlich (z.B. als hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Mitgliedsorganisation der DAH oder als sonstiger Engagierter).

Viel Empfängnis im E-Werk

Am vergangenen Donnerstag (23.11.) fand wieder einmal der Jahresempfang der DAH statt, diesmal unter dem Namen „Welt-Aids-Tags-Empfang“. Es wurde vieieiel geredet …

DAH-Empfang 2006 01

Reden Reden Reden
Abends irgendwann nach sieben. Der Saal ist gut besetzt bis in die hinteren Reihen.
Es tritt auf – Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin. Macht, was ihr Job ist. Hält eine Rede, die viel hinterher „toll“ oder „doch ganz gut“ finden. Wohl auch weil sie sich für das ‚unermüdliche Engagement der DAH‘ bedankt und für das Jahr 2007 eine Mittel-Aufstockung des Aids-Etats um 3 Mio. € ankündigt.DAH-Empfang 2006 02
Sie spricht viel über die tolle erfolgreiche Aids-Politik der Bundesregierung, der NGOs, über die anstehende Bremer Konferenz im März 2007 [die den innovativen Titel ‚Verantwortung und Partnerschaft – gemeinsam gegen Aids‘ tragen soll] und kommt zu dem Schluss, dass der ‚Kampf gegen HIV und Aids unvermindert fortgesetzt werden muss‘.

Irgendwie denke ich, bei mir wäre diese Rede nicht mal in den Briefkasten gekommen – der hat nämlich einen Aufkleber „keine Werbung“. Und ich werde angesichts all der ungesagten Themen und Fragen [nichts z.B. zum neuen Aids-Aktionsplan] den Gedanken nicht los, früher hätte sich irgend ein ACT UP protestierend eingemischt, heute hingegen sitzen alle brav im Anzug, klatschen und fühlen sich gebauchpinselt ob der ministeriellen Aufmerksamkeit.

Weiter geht’s schon mit Reden.
Ein Vorstandsmitglied der DAH kommt in seiner Rede zu der sicherlich bedeutenden Einschätzung einer „Solidarität, die – so meine ich – unteilbar ist“.

Frau Pott (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzgA) schließt sich an mit einer Rede à la „wir sind gut und freuen uns darüber“. Den Zustand der Zusammenarbeit von BzgA und DAH beschreibt sie analog zum Heranwachsen eines Kindes, von Streits in Kindertagen über pubertäre Flegeljahre bis zu einer „jetzt erwachsenen Zusammenarbeit“ – Matthias und ich schauen uns belustigt an, na – dann ist die DAH ja wohl jetzt im Zustand handzahmer Banalität angekommen? Klingt so eine Ohrfeige? Ah ja, dann ist die Aufsässigkeit der DAH ihrer Ansicht nach ja anscheinend erfolgreich weg-subventioniert – auf gute Zusammenarbeit!

Die m.E. einzig bemerkenswerte Rede hält der Geschäftsführer der DAH, Dr. Luis Carlos Escobar Pinzón, der über alles gegenseitige Lob hinweg auch kritische Gedanken und Worte findet. Endlich einmal darauf hinweist, dass die DAH nicht nur für die Primärprävention da sei, sondern ihre Rolle auch im Engagement für Menschen mit HIV und Aids sehe [z.B. ’negativ bleiben und positiv handeln ist für uns untrennbar‘], engagiert gegen Diskriminierung und Repression. Der auch auf das gerade nach Kabinettsbeschluss von Einstellung bedrohte Heroin-Modellprogramm hinweist und betont, dass die DAH hier protestieren und sich für die Fortsetzung der Heroin-Vergabe an Schwerstabhängige einsetzen werde.

Der DGB schläft
Lustig wird’s nochmal nach dem netten Buffet mit anregenden Plaudereien. Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema „Chronisch versteckt – HIV am Arbeitsplatz“ (Walter Riester / SPD, Wolfgang Heller / ILO, Jürgen Sendler / DGB, Prof. Stephan Letzel / Dt. Ges. für Arbeitsmedizin, Benno Fürmann / Schauspieler und Stefan Jäkel / Pluspunkt).
DAH-Empfang 2006 03
Einige mehr oder weniger bekannte Positionen werden ausgetauscht. Stephan Jäkel (Pluspunkt) gelingt es, die Situation von Positiven im Arbeitsleben mehrfach gut auf den Punkt zu bringen. Klar zu machen, dass i.d.R. nicht Positive in der starken Position des ersten Schritts eines offenen Umgangs mit HIV am Arbeitsplatz sind, vielmehr die Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte hier (auch) in der Pflicht seien.

Überhaupt, die Gewerkschaften. Lustig war’s wieder mit ihnen. Immerhin, Herr Sendler (DGB Bundesvorstand) bekennt, das Thema HIV und Arbeit sei im DGB ‚bisher viel zu klein angegangen worden‘, kündigt an, der DGB habe sich vorgenommen, das nun zu ändern. „Nun“. Immerhin – wir schreiben nicht das Jahr 1986. Auch nicht das Jahr 1996. Sondern das Jahr 2006.

Anzuerkennen ist, dass der DGB angesichts dieser peinlichen Situation überhaupt kommt, und mit Bundesvorstand. Aber – wie lange wollen sie noch warten, um wach zu werden?

Nachtrag
Die ‚Promis‘ der Veranstaltung wie auch der Vorstand des Vereins sind, wie zu hören ist, in Maseratis vorgefahren worden. Irgendwie frage ich mich, Promis in Maseratis vor Blitzlicht-Gewitter karren lassen, ist es jetzt das, was die DAH unter Professionalisierung versteht?
Oder was soll mir das sagen? Aber vielleicht ist es der Deutschen AIDS-Hilfe auch nur gelungen, ihre Position zum Thema Selbsthilfe auf eindrückliche Weise zu verdeutlichen.
Mit ist plötzlich so seltsam zumute …