USA ändern HIV-Test-Politik – zukünftig „Routine“

In den USA werden die Empfehlungen für HIV-Tests geändert. HIV-Tests sollen zukünftig zu einer „normalen Routine-Untersuchung“ werden.

Die US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control) empfiehlt ab heute (22.9.2006) allen Erwachsen und Heranwachsendem im Alter zwischen 13 und 64 Jahren, einen HIV-Test als „routinemäßige medizinische Screening-Untersuchung“ durchzuführen.

Die neuen Richtlinien empfehlen, Patienten sollte bei ihrem Hausarzt zukünftig regelmäßig ein HIV-Antikörper-Test (umgangssprachlich fälschlicherweise gern Aids-Test genannt) angeboten werden. De facto soll dies dazu führen, dass HIV-Test zu einem medizinischen Routine-Angebot werden

Ärztevereinigungen in den USA zeigten sich erfreut über die Änderung. HIV-Ärzte betonten, sie sähen derzeit viel zu viele Patienten, die erst zusammen mit einer schwersten Erkrankungen von ihrer HIV-Infektion erfahren. Ein früherer Test könne diesen Patienten rechtzeitiger wirksame Therapien ermöglichen. Zudem seien die Behandlungskosten insgesamt niedriger, wenn Patienten rechtzeitig behandelt würden.

Bisher wird der HIV-Antikörper-Test (nicht nur in den USA) anders als übliche Gesundheitsuntersuchungen gehandhabt. Insbesondere sind bisher intensive vorherige Beratung und ein getrennte schriftliche Einwilligung (informed consent) erforderlich.
Zukünftig sollen die Beratungen vor einem Test auf ein Minimum beschränkt werden. Die Einwilligung soll innerhalb des Standard-Formulars für ansonsten bisher schon übliche Untersuchungen mit erfolgen (kein getrennter informed consent mehr).

Warum die jetzt als Hemmnisse empfundenen, damals aber ja absichtsvoll eingeführten Maßnahmen heute als nicht mehr erforderlich empfunden werden, wurde von den CDC nur unzureichend erklärt.

Die aktuelle Änderung soll, so US-Ärzte, ein Schritt dazu sein, Test-Hemmnisse abzubauen. Routine- HIV-Tests könnten dazu beitragen Leben zu retten, betonen sie. Hintergrund ist, dass trotz zahlreicher Präventionsbemühungen sich ca. 40.000 US-Amerikaner im Jahr mit HIV infizieren.

Aids-Aktivisten kritisierten vereinzelt, auch in den USA sei Diskriminierung aufgrund von HIV immer noch gesellschaftliche Realität. Wenn der Staat nunmehr mit Routine-Tests dermaßen tief in die Privat-Sphäre eindringe, verdient es der Einzelne, zumindest darüber informiert zu werden, die positive Test-Ergebnisse gespeichert und von wem weiterverwendet werden.

Fragen wie inwieweit die US-Regierung mit ihren Abstinenz-Kampagnen vielleicht an der Präventions-Realität vorbei arbeitet, werden durch die neuen Richtlinien nicht gestellt, erst recht nicht gelöst.

Centers for Disease Control and Prevention. Revised recommendations for HIV testing of adults, adolescents and pregnant women in health-care settings. MMWR 55 (RR-14): 1-18, 2006

Positive wollen Asyl

Eine von der Mehrzahl der Organisatoren wohl weniger erwartete Folgewirkung hat die Welt-Aids-Konferenz, die vor einem Monat in Toronto (Kanada) stattfand. 160 HIV-positive Teilnehmer der Konferenz ersuchten im Anschluss um Asyl in Kanada.

Wie die kanadische Presse berichtet, haben 160 Teilnehmer der Welt-Aids-Konferenz einen Antrag auf Asyl gestellt.

Die HIV-positiven Frauen und Männer stammen u.a. aus El Salvador, Südafrika, Uganda, Eritrea, Simbabwe und Peru. Unter ihnen befindet sich z.B. auch der Gründer der eritreischen Positiven-Vereinigung.
Viele berufen sich in ihrem begehren um Asyl nicht ausschließlich auf einen Wunsch nach medizinischer Behandlung. Vielmehr steht meist die Diskriminierung als HIV-Positive/r oder als politisch Aktiver im Vordergrund.

Eine HIV-Infektion an sich ist in Kanada kein Grund für die Bewilligung von Asyl. Andererseits ist ein HIV-positiver Serostatus auch kein Ausschlussgrund für Asyl.
Auch die ökonomische Situation (z.B. sich keine antiretrovirale Behandlung leisten zu können) sei kein ausreichender Asylgrund, betonten Offizielle. Vielmehr müsse eine konkrete Verfolgung nachgewiesen werden, oder bei einer Auslieferung an ihr Heimatland eine massive Gefährdung vorliegen. Die Unfähigkeit des Heimatlandes, für wirksame Behandlung zu sorgen, sei kein Grund für Asyl.

Eigentlich hatten die Organisatoren eine derartige Entwicklung bereits im Vorfeld verhindern wollen. So war versucht worden, von jedem Teilnehmer (insbesondere wenn für sein Visum Hilfestellungen gewährt wurden) ein gültiges Rückflug-Ticket vorlegen zu lassen.

Bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag erhalten die Antragsteller in Kanada auf Wunsch antiretrovirale Behandlung.

Putsch in Thailand

In Thailand hat heute das Militär gegen den Premierminister geputscht.

Ein Staatsstreich, ein Staatsstreich jedoch zur Lösung einer Staatskrise, die Premierminister Thaksin selbst ausgelöst hat (auch wenn er demokratisch gewählt wurde.)

Dem abgesetzten Premierminister Thaksin werden Korruption und Wahlbetrug vorgeworfen.
Thaksin, auch genannt der Berlusconi Asiens, ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der zunehmend politisches und geschäftliches Gebahren nicht unterscheiden konnte, zum eigenen Vorteil handelte. Zuletzt hat er noch die eigentlich für den 15. Oktober geplante Wahl verschoben (eine Wahl im Frühjahr hatte das thailändische Verfassungsgericht für nicht verfassungsgemäß erklärt).

Man wolle die Macht nur zeitweise übernehmen und baldmöglichst wieder dem Volk geben, so ein Militärsprecher.

Ich erinnere mich, damals, vor vielen Jahren, wir kamen gerade in Bangkok an. Etwas wagemutig schien es uns schon, nach Bangkok zu reisen – Studentenunruhen liefen noch bis einen Tag vor Abreise aus Deutschland, Forderungen nach mehr Demokratie, das Militär intervenierte, Schüssen fielen. Noch bei Spaziergängen durch die Stadt sehen wir Barrikaden der Studenten, Spuren von Auseinandersetzungen.
Damals schritt König Bhumibol ein (übrigens, auch wenn das nichts zur Sache tut, ihn aber für mich noch sympathischer macht, ein Saxophon-Spieler). Rief das Militär zurück, verhandelte zugleich mit Studentenführern eine friedlich Lösung des Konflikts.

Auch heute, so die Fernsehbilder, bewegen sich viele Soldaten in Bangkok mit gelben Armbinden. Gelb als Farbe des Königshauses. Eines der der zahlreichen Hinweise, dass der Putsch vermutlich mit Unterstützung des Königs Bhumibol stattfindet? Dass bald wieder demokratische Verhältnisse hergestellt werden? Ein Hoffnungszeichen für ein Land am Rand einer Staatskrise?

Leben und Sterben in MeckPomm

In MeckPomm lebt sich’s gefährlicher (und das nicht erst seit der Wahl letzten Sonntag …)

Wenn Sie einen Unfall haben, schwer verletzt sind, sind Sie in Deutschland in guten Händen. Denn Deutschland hat eine hervorragende Unfall-Versorgung, die Mehrzahl der Verletzten wird schnell und erfolgreich versorgt. Die Überlebensrate bei Mehrfach-Verletzten ist auf 78% (1996: 63%) gestiegen. Diese hohe Qualität erwarten wir selbstverständlich überall, und für jeden gleich, so verspricht es uns auch das Gleichheitsgebot.

Eine überall gleich gute Unfallversorgung zu erwarten, das anzunehmen kann sich jedoch als gefährlicher Trugschluss erweisen.

„Daseinsvorsorge“, „gleiche Lebensbedingungen für alle“ – was einst selbstverständliche Ansprüche bundesdeutscher Politik war, ist inzwischen längst außer Mode gekommen, für die einen zum Synonym eines zu ‚liberalisierenden‘, soll wohl oft heißen zu überwindenden Sozialstaats geworden, für viele andere zu einem vergessenen Begriff der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Nur folgerichtig also, dass auch die Versorgung nach einem Unfall keineswegs überall gleich gut funktioniert. Womit wir wieder bei MeckPomm wären…

Laut Statistischem Bundesamt sterben nämlich in Mecklenburg-Vorpommern Unfallopfer weitaus häufiger als in anderen Bundesländern. Haben Sie in MeckPomm einen Unfall mit schweren Verletzungen, liegt Ihr Risiko, diesen Unfall nicht zu überleben, statistisch bei 2,7 Prozent. Haben Sie den gleichen Unfall hingegen in Berlin, liegt Ihr Risiko nur bei 0,5 Prozent, und selbst im Flächenland Nordrhein-Westfalen nur bei 1,1 Prozent.

Die Ärzte und Unfallhelfer in MeckPomm sind nicht etwa blöder oder weniger gut ausgebildet als anderswo. Und auch die vielen ostdeutschen Alleen sind an der niedrigeren Überlebensrate nicht schuld (vielleicht eher an manchem Unfall-Schwerpunkt).
Aber: in Mecklenburg-Vorpommern muss ein Krankenhaus durchschnittlich eine Fläche von 4.634 km² versorgen – in Nordrhein-Westfalen hingegen nur von 541 km². Ein ähnlich gravierender Unterschied findet sich auch bei der Fläche, die ein Rettungshubschrauber zu versorgen hat.

Nun ist MeckPomm sicher wesentlich dünner besiedelt als NRW. Das allerdings kann kein Grund sein, ein über fünffach erhöhtes Todesrisiko zu akzeptieren.

Zumal auch die Krankenhäuser unterschiedlich gut auf die Versorgung von Unfallopfern vorbereitet sind. Zu oft fehlen in der Notaufnahme wesentliche Geräte, um schnell reagieren zu können: 14% haben in der Notaufnahme kein Röntgen-Gerät, 23% fehlt selbst eine Möglichkeit zum Ultraschall. So geht wertvolle Zeit durch Verlegen des Patienten verloren, in der längst behandelt werden könnte.

Wenn Sie also einen Unfall in MeckPomm haben, verletzt sind, und dann auch noch in ein nicht optimal ausgerüstetes Krankenhaus kommen …
Vielleicht doch besser bis Berlin warten? 😉

(oder den zuständigen Gesundheitspolitikern mal einige kritische Fragen stellen?)

Perlen der Alltags-Kultur 2

Die bekannt gute deutsche Küche wird durch Integration und Assimilation gerade wieder einmal bereichert.

Besonders erfolgreich sind dieses Mal Mitbürger asiatischer Abstammung. So gibt es jetzt beim Asia-Imbiss deutsche Küche – man beachte die liebevolle Farbgebung…
Perlen01a

Aber auch die Esskultur türkisch-deutsch-kreuzberger Abstammung wird in der Bude nebenan mit integriert:
Perlen01b

Multi-Kulti in der Küche…

Happy Birthday, Freddie!

Am 6.11.2006 wäre Freddie Mercury 60 Jahre alt geworden …

Am 24. November 1991 ist Freddie Mercury in London gestorben. Er hatte nie ein Coming Out, hat sich nie öffentlich als schwul geoutet – obwohl, war das erforderlich? Ja!

Ich erinnere mich. Ende 1975, Bohemian Rhapsody. Ich war gerade 16, hatte noch keine Ahnung davon, dass das, was ich da so fühlte, irgendwie mit Schwulsein, mit diesem komischen Begriff zu tun haben könnte.
Einige Zeit später sah ich ein seltsames Etwas in der Glotze auf der Bühne. Das war Freddie Mercury, das war Queen? Irgendwie, naja die sahen ja alle seltsam aus damals, aber, sieht so ein Mann aus? Weiter allerdings hab ich nicht gedacht, ich fand einfach den Song geil, und Queen auch.
Schwule, offen schwule Vorbilder wären toll gewesen damals.,Das wurde mir aber erst später klar. Der einzige Schwule, den ich damals kannte, war ein von beinahe allen gemiedener älterer femininer Mann, über den höchstens mal abfällig getuschelt wurde. Die Jimmy Somervilles und Marc Almonds gab es damals in meiner Welt noch nicht. Schwule Vorbilder oder Idole kannte ich nicht, da war damals noch Fehlanzeige.

Freddie Mercury war auch nie offen positiv. Hat, obwohl er bereits 1987 erkrankte, erst sehr spät, am 23. November 1991, nach vielen Gerüchten die Öffentlichkeit dann doch noch davon unterrichtet, dass er Aids hat. Nur wenige Stunden später starb er dann an den Folgen einer Lungenentzündung.
Immerhin, er hat den Schritt noch kurz vor seinem Tod gemacht. Ein Signal gesetzt.

Nach Freddie Mercurys Tod wurde „Bohemian Rhapsody“ erneut als Singel veröffentlicht, alle Einnahmen gingen an eine Aids-Stiftung.

Bohemian Rhapsody hör‘ ich heute noch gerne – und wenn ich mir vorstelle, Freddie Mercury heute, Sondersendung zum Jubiläum, dann singt er live, mit 60 Jahren – soll ich da lachen? Oder weinen?

Andererseits, Mick Jagger steht heute immer noch auf der Bühne …

Happy Birthday, Freddie!

Baby Poop

In einer New Yorker Galerie wurde eine Bronze-Statue vorgestellt. Nichts besonderes. Das Kunstwerk ist in einem Glaskasten installiert. Na und? Es soll demnächst bei Ebay versteigert werden. Auch das, na ja, nichts besonderes. Ich lese weiter, wo ist denn die Story?

Die Bronzeskulptur stellt dar – einen Bronzeabguss des ersten Stuhlgangs von Suri. Suri, der am 18.4.2006 geborenen Tochter von Tom Cruise und Kathie Holms. Suris erster Stuhlgang …

Mein Besuch, dem ich die Geschichte prustend vorlese, kann sich vor Lachen kaum halten, bis ihm rausrutscht, „na, das ist ja echte Scientology-Scheiße!“

Und falls Sie denken, es ist doch nicht 1. April – hier ist der Link, sehen Sie selbst: Suri Cruise’s Baby Poop …

Der Künstler selbst kommentiert sein Werk „Ein Bronzeguss des ersten Stuhlgangs kann eine wertvolle Erinnerung für die Familie sein.“ Ah ja!
Und immerhin, der Erlös der Versteigerung soll für einen wohltätigen Zweck gestiftet werden…

Polnische Traditionen

Der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski war am 30. August in Brüssel bei der EU zu Besuch. Im Anschluss an ein Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Baroso betonte er vor der Presse, Homosexuelle würden in Polen nicht diskriminiert.

Erstaunt reibe ich mir die Augen. Habe ich in den letzten Jahren, besonders während der letzten Monate eine andere Realität mitbekommen als dass doppelte Polit-Lottchen in Polen? Oder hat der Begriff der Diskriminierung inzwischen, von mir unbemerkt, eine neue Bedeutung bekommen?

Wie war das in der Zeit, als sein Bruder Lech, heute Staatspräsident, noch Bürgermeister von Warschau war? Wie war das mit jüngsten Äußerungen aus seiner Regierung gegen Homosexuelle? Wurden Schwulen- und Lesbenclubs nicht gerade erst unter fadenscheinigen Gründen geschlossen? Sprach die Regierungspartei PiS auf einer Pressekonferenz nach dem Warschauer CSD nicht vor kurzem von „westlichen terroristischen Gruppierungen“, die friedliche Bürger angegriffen hätten?

„Homosexuelle“, so betonte Kaczynski in Brüssel, hätten in seinem Land „alle Rechte“. Wäre ja auch noch schöner, wenn’s anders wäre, mit welchem Grund wollte er sie ihnen denn aberkennen?
Und weiter, es gebe „keine Tradition“, Homosexuelle zu verfolgen
Nein, eine Tradition war das in Polen bisher vielleicht nicht. Auch wenn es Polens Lesben und Schwule in den Jahren zumeist nicht leicht hatten. Während der letzten Monate allerdings kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass Polens Regierung mit einem rechtskonservativen Wertewandel auch eine verstärkte antihomosexuelle Stimmung durchzusetzen versucht.

Erfreulich, wenn auch nicht ausreichend, zu wissen dass viele Regierungen, jetzt auch wieder die EU-Kommission, Pole immer wieder an die europäischen Werte, auch an den der ‚Nicht-Diskriminierung‘, erinnern, mahnen.

Allein, Erinnern und Ermahnen reichen nicht. Als Lech Kaczynski in Berlin war, haben Schwule und Lesben aus beiden Ländern gemeinsam gegen seine Rede protestiert. Diese Tradition, diese grenzüberschreitende Solidarität gegen Diskriminierung, für freie Bürgerrechte gilt es fortzusetzen, auszubauen.

Küssende! Aber welche ?

Können und wollen Lesben sich in einem Mahnmal wiederfinden, in dem zwei sich küssende Männer dargestellt werden? Dies schien die zentrale Frage einer Diskussion über das geplante Denkmal für die in der NS-Zeit verfolgten und unterdrückten Lesben und Schwulen zu sein.

Berlin bekommt ein Homo-Denkmal. – Nein genau das nicht! Aber dazu später mehr.

Auf einem Grundstück im Tiergarten direkt gegenüber dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas soll erinnert werden an in der NS-Zeit verfolgte und unterdrückte Lesben und Schwule. Der Bundestag hat einen entsprechenden Beschluss zur Realisierung bereits gefasst. Der künstlerische Wettbewerb ist abgeschlossen, seit Januar 2006 stehen die Sieger fest: die beiden dänischen bzw. norwegischen Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Beide leben und arbeiten in Berlin.
ElmgreenDragset

Auf einer erfreulich gut besuchten Diskussionsveranstaltung (auf Einladung des Lesben- und Schwulenverband LSVD) am 28. August 2006 wurde intensiv über das geplante Projekt www.gedenkort.de diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und wie auch Lesben in dem Denkmal präsent sind.
Im Vorfeld der Diskussion hatte die Zeitschrift Emma mit einer nicht unumstrittenen Unterschriftenaktion protestiert „Mal wieder die Frauen vergessen“ http://www.emma.de/homo_denkmal.html.

Die einer kurzen Runde von Eingangsstatements sich anschließende Diskussion entzündete sich (sehr zum Erstaunen der Künstler) nicht an der äußeren Gestaltung, sondern fast ausschließlich am Inhalt der beinhalteten Videoprojektion – küssen sich da zwei Männer, zwei Frauen oder zwei was?

Ein Kerngedanke der Kritik war, dass das Denkmal in seiner derzeitigen Konzeption ein weiterer Ausdruck der jahrelangen Nichtwahrnehmung lesbischer Frauen sei und einen Rückfall hinter schon Erreichtes darstelle. Zudem sei nicht berücksichtigt, dass Frauen in der NS-Zeit nicht in gleicher Weise verfolgt und unterdrückt wurden.
Elmgreen/Dragset betonten daraufhin, es sei nicht bedeutend, ob sich zwei Männer oder zwei Frauen küssten. Das Fenster sei ein Bild, eine intime Darstellung zweier sich küssender gleichgeschlechtlicher Personen. Wichtig sei diese Intimität, der Kuss, nicht die Küssenden. Es ginge nicht um Repräsentation (die zwei Küssenden können niemals alle, nicht einmal alle Schwulen repräsentieren), sondern darum, ein Bild von Intimität und Zärtlichkeit zu schaffen – deswegen auch der ununterbrochene „ewige Kuss“.

Warum in dem seit 1992 (!) laufenden Prozess der Denkmal-Planung die massive inhaltliche und formale (z.B. Besetzung der Jury) Kritik von Seiten einiger Lesben allerdings erst jetzt, in einer relativ späten Phase eingebracht wird, blieb unklar.

Letztlich stelle ich mir mittenmang etwas frustriert die Frage, wäre die letzte Provokation -auch für uns selbst-, die definitive Irritation des Betrachters nicht eigentlich ein sich küssendes Hetero-Paar?

Leider ließen im Verlauf der überwiegend konstruktiven Diskussion einige der TeilnehmerInnen etwas an Respekt für den künstlerischen Schöpfungsprozeß und die künstlerische Freiheit vermissen. Und die beiden anwesenden Künstler mussten sich ausgiebig in Geduld üben

Trotz einer nicht immer zielführend wirkenden Diskussionsleitung zeichnete sich gegen Ende eine gemeinsame Zielsetzung der Mehrzahl der Diskussions-TeilnehmerInnen ab. Das Denkmal solle durch ein künstlerisch gestaltetes Informationsmedium ergänzt werden, darauf einigten sich alle schnell. Zum Kernproblem formulierte die Kabarettistin Maren Kroymann bereits recht früh die mögliche Kompromiss-Linie: wichtig ist eine Irritation beim Betrachter zu erzeugen, sind da Männer, die sich küssen? Oder Frauen? Oder Transsexuelle? Transgender?
Und, es geht um Lesben und Schwule. Deswegen (siehe oben): Berlin bekommt kein Homosexuellen-Mahnmal, sondern ein Lesben- und Schwulen-Monument.

Ein Kompromiss, dank einiger sehr qualifizierter, kritisch-konstruktiver Statements, und vor allem auch dank der souveränen Dialogbereitschaft und Geduld von Elmgreen/Dragset.

Und nebenbei: auf dem Weg in den ‚Bierhimmel‘ gegenüber denke ich, wie schön wäre es, eines fernen Tages, aus solch einer Diskussionsrunde zu kommen, in der über eine künstlerische Form des Gedenkens an all unsere an Aids Verstorbenen diskutiert wurde. Zukunftsträume. Schäume?

Obdachlosen-Politik à la polonaise

Erstaunliches weiß die Presse zu berichten:
die polnische Polizei fahnde nach einem 31jährigen Obdachlosen. Der Grund ist nicht etwa seine Obdachlosigkeit, nein, viel schlimmer, ihm soll der Prozess gemacht werden.
Warum?
Weil er in betrunkenem Zustand einen Fluch auf den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski gemacht haben soll!
Nach polnischem Recht sei nämlich die Beleidigung des Staatsoberhaupts mit bis zu drei Jahren Haft strafbar.
Nun ist es ja nicht nett, einen Staatspräsidenten zu verfluchen. Selbst bei diesem nicht. Aber wenn ich mir überlegen, wie viele Schwule und Lesben (z.B. allein nach der Berliner Demo bei seinem Staatsbesuch) Ähnliches gemacht haben dürften … die polnische Gefängnisse müssen ja bald überfüllt sein …

Das achte Feld

Ein riesiger ‚David‘ blickt vor dem Museum Ludwig über den Rhein. Eine pinkfarbene, neun Meter hohe Skulptur des Künstlers Hans-Peter Feldmann weist schon von weitem den Weg zur Ausstellung „Das achte Feld“.
achtes Feld

Innen drin: Lass einmal deine herkömmlichen Vorstellungen außer Acht, gehe auf die Reise. Experimentiere, probiere aus. Alles ist möglich, nur nicht „das Normale“. Dazu scheint die Ausstellung „Das achte Feld“ ihre Besucher aufzufordern.

Als erstes unter den „großen“ der deutschen Kunstmuseen wagt das Kölner Museum Ludwig eine umfassende Schau künstlerischer Auseinandersetzung mit Formen sexuellen Begehrens jenseits des Hetero-Mainstreams.

Der Titel der Ausstellung, das „achte Feld“, spielt dabei an auf das Schachspiel: rückt ein Bauer auf das achte Feld vor, kann er sich in jede andere Spielfigur verwandeln, auch in eine Dame – die stärkste Spielfigur im Schach. Dieser Wandel, der Bauer wird Dame, der Schwache wird zum Starken – die Ausstellungsmacher haben diesen „Geschlechterwechsel“ auf die Kunst übertragen und als Metapher verwendet für alle Möglichkeiten der Sexualität, die „außerhalb“ des heterosexuellen Mainstreams liegen, von Homo- bis Inter- und Transsexualität, Gender und Transgender, Queer und Travestie.

Die Ausstellung zeigt auf mehreren Etagen strukturiert in thematischen Feldern über 250 Werke von 80 Künstlern, darunter bekannte wie David Hockney oder Andy Warhol, aber auch für den ein oder anderen vielleicht erst zu entdeckende Künstler wie Piotr Nathan, Kaucylia Brooke oder Sunil Gupta.

Sehr intensiv haben mich selbst (wieder einmal) die Fotografien Nan Goldins berührt – besonders (auch: wieder) das Triptychon eines schwulen Paares, einer von beiden an Aids erkrankt; sowie eine Installation aus Klappen-Türen und Fotografien, die das Spannungsfeld zwischen dem Suchen nach schnellem Sex und der Sehnsucht nach Nähe thematisiert.
Einer meiner ersten Gedanken hinterher, nach Verlassen der Ausstellung: jetzt kommen Homosexualitäten schon ins (Kunst-) Museum. Ist das jetzt ein Fortschritt? Oder ein weiterer Hinweis auf die (selbst gewählte) Selbstauflösung des Schwulseins?

Das achte Feld – Leben und Begehren in der Kunst seit 1960
Museum Ludwig, Köln
noch bis 12. November 2006
weitere Informationen: Museum Ludwig

Zur Ausstellung ist ein Band mit Erzählungen erschienen („Feldforschung“, im Eintrittspreis der Ausstellung enthalten; erhältlich auch in der Edtion Suhrkamp): Thomas Meinecke berichtet anhand einzelner Exponate über historische Ereignisse, erzählt Geschichten und Geschichtchen von und zu Kunstwerken, Tief- und Vordergründiges, erweitert mit seiner ‚Feldforschung‘ diese Studie sexuellen Begehrens.

Zahlen allein sind (k) eine Qualität

Im kanadischen Toronto endete am Freitag die 16. Welt-Aids-Konferenz mit einer Abschluss-Zeremonie. Peter Piot, Direktor der Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS, wertete die Konferenz, die vom 13. bis 18. August unter dem Motto „Time To Deliver“ stattfand, als großen Erfolg.

Die von der International Aids Society IAS organisierte Welt-Aids-Konferenz in Toronto war die größte Aids-Konferenz aller Zeiten mit 24.000 (!) Teilnehmern – Ärzte, Wissenschaftler, Politiker und Aktivisten.

Gigantisch war vermutlich auch das Budget der Konferenz, das mehrere Millionen US$ umfasst haben dürfte, zuzüglich der Aufwendungen jedes der 24.000 Teilnehmer (Reise- und Hotel-Kosten, etc.), Aufwendungen der Pharma-Industrie für ihre oppulenten Stände und Veranstaltungen etc. Allein die Registrierungsgebühr (standard) belief sich für Teilnehmer aus OECD-Staaten auf 750 US$ (nach 15.6. 995$), für Teilnehmer aus nicht-OECD-Staaten auf immer noch 550$ (nach 15.6. 730$).

Ich erinnere mich an die (wenigen) Welt-Aids-Konferenzen, an denen ich selbst teilgenommen habe. Riesige Treffen, eine beinahe unüberschaubare Vielzahl an Veranstaltungen, Symposien, Plena. Vorträge auf höchsten oder manchmal auch beklagenswertem Niveau. Viel Trubel um den immer gut besuchten Marketing-Zirkus der Pharma-Industrie.

Weltweit sind derzeit etwa 65 Millionen Menschen mit HIV infiziert, 25 Millionen an den Folgen von Aids verstorben.
Das Motto der diesjährigen Konferenz, „Time To Deliver“, wies u.a. auf die Notwendigkeit hin, allen Positiven, insbesondere in den ärmsten Staaten der Welt, wirksame antiretrovirale Therapien verfügbar zu machen.
Viele Millionen US-Dollar für eine gigantomanische Konferenz auszugeben scheint mir angesichts dieser Zahlen ein seltsam anmutendes, fragwürdiges Unternehmen.

Laut Welt-Gesundheits-Organisation WHO sind wirksame antiretrovirale Therapien in ‚Entwicklungsländern‘ schon für Kosten von 300 bis 1.200 US$ für den Medikamentenbedarf eines ganzen Jahres machbar. Pro Million Dollar, die die Konferenz gekostet hat, könnten also (bei der 300$-Therapie) weit über dreitausend Positive ein ganzes Jahr lang mit Medikamenten versorgt werden.
Gehen wir einmal als Annahme davon aus, dass die Konferenz mindestens 30 Mio. $ an Kosten verursacht haben dürfte, hätten also allein mit diesen Kosten 100.000 (einhundert Tausend) Positive in den ärmsten Staaten der Welt ein Jahr lang antiretroviral behandelt werden können!

Hunderttausend Positive – das sind viele Menschenleben. Bleibt zu hoffen, dass diese Konferenz einen derart hohen Einsatz an Resourcen wert war – und doch, mir bleiben Zweifel, ob solche Riesen-Konferenzen wirklich noch Sinn machen. (Teilnehmer-) Zahlen allein machen eben noch keine Qualität aus…

Zumal die Konferenz andererseits ohne ausreichende Finanzierungs-Zusagen für die von Aids am stärksten betroffenen armen Staaten der Welt zuende ging. Die (reichen) G8-Staaten haben außerdem ihre bisher gegebenen Spendenzusagen noch nicht voll eingehalten.
Auch wegen fehlender finanzieller Mittel sterben jeden Monat Tausende Menschen an den Folgen von Aids.

Millionen HIV-Infizierte und Aids-Tote weltweit. Fehlendes Geld und fehlender politischer Wille (nicht nur in den ‚reichen‘ Staaten). Und andererseits eine monströse Konferenz mit riesigem finanziellen Budget und publicity-trächtigem Star-Aufgebot – welch seltsamer, bitterer Kontrast.

Nachtrag 17.10.06:
Die Konferenzkosten lagen bei ca. 48 Mio. US-$ (40 Mio. €). Dies würde bedeuten, mit den Beträgen, die die Konferenz (ohne sekundäre Kosten) verursacht hat, hätten 144.000 Positive ein Jahr lang antiretroviral behandelt werden können.

Bald Hartz 4 für Apotheker?

Ein bekannter Internet – Medikamenten-Versandhandel eröffnet – mit tatkräftiger Unterstützung des CDU-Landesgesundheitsministers – in Saarbrücken eine Apotheke. Na und, möchte man denken. Doch eine ganze Branche schreit auf, dazu Politiker und Lobbyisten fast aller Couleur.

Worum geht es? In Deutschland dürfen bisher nur natürliche Personen Apotheken eröffnen (Ausnahme: Krankenhäuser), und ein Apotheker darf maximal vier Filialen haben (Fremdbesitz- und Mehrbesitz-Verbote). So solle eine unabhängige, qualifizierte und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sichergestellt werden, so die Befürworter der geltenden Regelung.
DocMorris -um diese Internetapotheke geht es im Saarbrücker Fall- ist jedoch eine Kapitalgesellschaft. Und DocMorris verkauft wie auch andere Internet-Apotheken rezeptfreie Medikamente, aber auch einige verschreibungspflichtige Pillen (wie Viagra & Co) z.T. bedeutend preisgünstiger als in der Apotheke um die Ecke üblich. Für die Kunden eigentlich eine gute Sache – und für die Apotheker eine Gefahr, sehen sie doch ihre bisher so sicheren Gewinne schwinden.

Trotz Sparbekundungen und Gesundheitsreform, die deutschen Apotheker erzielten 2005 einen Rekordgewinn (Erlös-Zuwachs 7,7% im Vergleich zu 2004). Der durchschnittliche Gewinn einer Apotheke belief sich auf 85.000 Euro. Auch vom gern beklagten Apotheken-Sterben ist keine Spur: 2005 wurden 242 Apotheken geschlossen, aber 326 neu eröffnet. In Deutschland versorgt eine Apotheke durchschnittlich 3.875 Einwohner, damit ist die Apotheken-Dichte in Deutschland deutlich höher als in den meisten EU-Ländern. Ein Markt mit Rekordgewinnen, nahezu ohne Wettbewerb, ohne Konkurrenz, abgeschottet und geschützt.

Es geht also, entgegen allen altruistischen Begründungen von Apothekern und Funktionären, primär vermutlich um individuelle Profite und Privilegien.
Die Saarbrücker Entwicklung könnte eine Öffnung des Medikamentenhandels für Kapitalgesellschaften auch in Deutschland bedeuten, eine Zukunft mit niedrigeren Medikamentenpreisen, mit großen, profitorientierten Apotheken-Ketten.

Doch dies muss nicht die einzige Möglichkeit sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten preisgünstig zu gestalten: in Schweden darf bereits seit 1971 nur der Staat Medikamente verkaufen, er betreibt alle 950 (!) Apotheken des Landes. Ein Monopol, das dem Gedanken der staatlichen Daseins-Fürsorge entsprang, noch heute von der Bevölkerung geschätzt wird, und das für kostengünstige Medikamente sorgt, zu überall gleichen Preisen.

Medikamentenhandel ist auch ohne Gewinnorientierung möglich … Aber dann müssten sich ja einige Apotheker einschränken …