Cori Obst: „Bürgerrechte müssen für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion“

Als Dokumentation die Rede von Cori Obst (früher: Tigges) anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuz am Bande durch Oberbürgermeister Peter Jung im Rathaus Wuppertal am 27. Mai 2009

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Peter Jung, sehr geehrte sonstige „offizielle“ Damen und Herren rund um oder aus der schönen Hauptstadt des Bergischen Landes: Wuppertal, meine Heimatstadt.
Liebe ehemalige Kolleginnen und Kollegen, Bekannte, mir mehr oder – so hoffe ich – noch mehr wohlgesonnene Menschen, Freundinnen und Freunde.
Liebe Nana, lieber Papi, lieber Männe.

Ich möchte die mir nun zur Verfügung stehenden Redezeit nicht mit den sonst üblichen Danksagungen ausfüllen. Nicht weil es Nichts und Niemandem zu danken gäbe. Auch nicht, weil eine solche Ansprache immer die Gefahr in sich birgt, Irgendjemanden oder Irgendetwas zu vergessen.
Sondern, weil das Thema um das es mir hier und heute geht, es erfordert, eventuell vorhandene persönliche Eitelkeiten zurückzustellen und den Focus auf etwas zu richten, dass uns alle als eine auf demokratisch basierenden Grundsätzen lebende Gemeinschaft herausfordert: Der Umgang mit den Menschen, die hierzulande mit HIV und AIDS leben!

Schlimm genug, dass das Thema AIDS in den letzten Jahren aufgrund vermeintlich oder tatsächlich verbesserter medizinischer Therapien in den Hintergrund geraten ist. Für nahezu unverantwortlich halte ich es jedoch, dass wenn das Thema AIDS in die breite Öffentlichkeit gerät wie jüngstens am Fall Nadja B. geschehen es sich ausschließlich um eine Diskussion über Schuld und Verantwortung der HIV-Infizierten handelt. (Um es kurz zu erklären: Nadja B. ist Sängerin der Popgruppe No Angels, die nur aufgrund des Verdachts auf eine bereits länger bestehende HIV-Infektion und in diesem Zusammenhang angeblich bewusster Weitergabe der Infektion an Sexualpartner von der Hessischen Justiz in Untersuchungshaft genommen wurde)
Das ist nicht nur ein Affront gegenüber dem Gesamtverband der Deutschen AIDS-Hilfen und der deutschen HIV- und Aidsbekämpfung, die seit über 20 Jahren eine beispielhafte und vor allem sehr erfolgreiche Aufklärungspolitik betreiben – immer im Verständnis der Verantwortung JEDES Einzelnen und in der Bekämpfung jeder Art von Stigmatisierung und Diskriminierung.
Nein, diese Art der Berichterstattung ist eine längst überholte, vor allem aber falsche Skandalisierung von Aids, bei der die gleichen archaischen Regungen geweckt werden wie zu Beginn der AIDS-Hysterie Anfang der 80er Jahre oder um es noch deutlicher zu machen wie einst im Mittelalter (die Kuh wird durchs Dorf getrieben und öffentlich hingerichtet)
Damit ist es –zugespitzt formuliert – auch ein Angriff auf uns alle. Auf uns als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die wir uns vor nunmehr 60 Jahren (und das dürfte uns spätestens seit diesem Jahr klar geworden sein) auf demokratische Grundsätze als Handlungsmaxime verständigt haben.

So möchte auch ich „die Gunst der Stunde“, besser gesagt der Geburtsstunde unseres Geburtstagskindes BRD mitsamt Verfassung und Grundgesetz nutzen und – wie zu Beginn angekündigt – ein HIV und AIDS bezogenes Schlaglicht auf unsere viel zitierte Verfassung werfen.

Betrachten wir beispielsweise den Bekanntesten, sozusagen „die Mutter“ aller Artikel. Den Artikel 1des Grundgesetzes:
Hier lautet es „Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Hm. Jetzt könnte man natürlich in einen philosophischen Exkurs darüber ausschweifen was ist eigentlich Würde? Woher kommt sie? Wie definiert sie sich? Und der Skeptiker könnte fragen: Gibt es überhaupt Würde? Wer legt eigentlich fest was Würde ist bzw. was beinhaltet sie? Kritiker könnten diesem Artikel 1 Schwammigkeit vorwerfen und dass es mit der Würde und deren Unantastbarkeit somit Auslegungssache ist. Eine durchaus überdenkenswerte Fragestellung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es weiter heißt: „… Sie zu achten und zu pflegen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.
Im besten Sinne begründet sich eine gewisse Schwammigkeit darin, Fortschritt, gesellschaftliche Entwicklungen und Prozesse aufgreifen und anpassen zu können. Im schlimmsten Fall aber führt sie zu Willkür. Wie – um noch einmal darauf zurück zu kommen – der Fall Nadja B. mutmaßen lassen könnte, da hier eine eindeutige Vorverurteilung durch die Justiz vollzogen wurde (Stichwort: Unschuldsvermutung).

Ich gebe zu bedenken, dass Letzteres (ich meine Willkür) nicht im eigentlichen Sinne dem Grundgedanken unserer Verfassung entspricht. Schon aufgrund unserer Historie nicht.

Gehen wir also davon aus, dass die Freiheits- und Gleichheitsrechte unseres Grundgesetzes im besten Sinne verfasst worden sind.
So besonders auch der Artikel 3, in dem heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.
Wieder ein nachdenkliches „Hm“. Diesmal jedoch nicht wegen seiner vermeintlichen Schwammigkeit, sondern mehr wegen seiner eher konkreten Anweisungen, mit den in einer Gesellschaft lebenden Menschen umzugehen. Ich denke, ich sage vielen von Ihnen und Euch, die im sozialen Bereich arbeiten nicht Neues, wenn ich anmerke, dass diese im Artikel formulierten Absichten nicht unbedingt der bundesdeutschen Wirklichkeit entsprechen. Insbesondere dann nicht – um im meinem Themenfeld zu bleiben – wenn es die Lebensentwürfe und Lebensbereiche von Menschen mit HIV und AIDS betrifft. Hier sei explizit auf den letzen Satz „… Keine Benachteiligung durch Behinderung“ verwiesen, was verschiedene Formen der Erkrankung mit einschließt. Bezogen auf den gesamten und sehr existentiellen Komplex Arbeit inkl. das Recht auf Arbeit ist die Benachteiligung von Menschen mit HIV und AIDS eher an der Tagesordnung.
Nur ein Beispiel: Seit der verbesserten medizinischen Therapiemöglichkeiten, die in vielen Fällen eine höhere Lebenserwartung bedeuten kann, ist seit dieser Umstand bekannt ist, die Aussicht, eine vorzeitige Rente auf Erwerbsunfähigkeit bewilligt zu bekommen, deutlich geringer geworden. Das wäre nicht so schlimm, weil die meisten Menschen ja durchaus gerne arbeiten, wenn denn die entsprechenden Möglichkeiten dazu gegeben wären. Miteinbezogen der Einschränkungen, die durch eine Erkrankung möglicherweise entstehen können. Das betrifft viele Menschen mit Behinderungen. Hinzu kommt jedoch bei HIV-Infizierten die berechtigte Angst vor Ausgrenzung und Stigmatisierung am Arbeitsplatz.

Diese Angst, ist nicht nur irgendein subjektiv empfundenes Gefühl, sondern Folge vielfältig dokumentierter tatsächlicher Erfahrungen. Diese Form der negativen Erfahrungen stellt genau genommen auch alle anderen Freiheits- und Gleichheitsrechte für Menschen mit HIV und Aids zumindest auf den Prüfstand.

Sehr erfahrbar war dieser „Prüfstand“ für die Frauen, die mit HIV und AIDS leben. Ich möchte, nein, ich muss an dieser Stelle noch einmal auf die wahrscheinlich am kontroversesten geführte Debatte aus dem Jahre 1994 verweisen. Dabei ging es um das Thema Frauen, und ihr Recht, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Eine Debatte, die bis dahin von Frauenrechtlerinnen mit Erfolg geführt worden ist. Soll heißen, jeder Frau muss das Recht zugesprochen werden, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden. Jede Frau, so war auch unser Ansatz, bezieht HIV-positive Frauen mit ein. Eben auch die Entscheidung für ein Kind. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Diskussion über das grundsätzliche Recht einer Frau dafür oder dagegen einseitig. Es ging nur noch darum, ob HIV-Infizierte Frauen überhaupt ein Recht auf Schwangerschaft -und damit auf ein Kind haben. So war es nicht verwunderlich, dass wir, die sich für die Rechte HIV-infizierter Frauen engagiert haben, plötzlich in einem Boot mit so genannten „Lebensschützern“ befanden. Ging es doch schnell um lebens- und nicht lebenswertes Leben. Wer hat das Recht Kinder zu bekommen? Wer nicht? Was ist unverantwortlich? Was nicht? Eigentlich ging es auch uns nur um das generelle Recht von Frauen auf eine freie Entscheidung. Allerdings mussten wir mit einiger Vehemenz damals erst einmal darum kämpfen, dass HIV-positive Frauen gleichermaßen das Recht auf ein Kind haben. Auch jenseits aller Statistiken, z. B. mit wieviel prozentiger Wahrscheinlichkeit möglicherweise das entstehende Leben selber infiziert ist. Unsere Haltung dazu ist bis heute, dass auch wenn mit 100% Sicherheit das Kind infiziert sein würde, es weder das grundsätzliche Recht von (auch HIV-positiven) Frauen in Frage stellen darf, noch das Leben eines „versehrten“ Menschen. D.h. für die gegenwärtige Situation, dass jenseits einer besseren Statistik, was die Übertragung der Infektion von der Mutter auf das Kind angeht, die Rechte von Frauen davon nicht abhängig gemacht werden dürfen.

So ist zusammenfassend vielleicht zu sagen, dass der erste Absatz des Artikel 1 des Grundgesetzes möglicherweise so zu verstehen ist, dass der elementarste Bestandteil der Menschenwürde das Recht auf Leben ist und unantastbar eben dieses.

Dies gilt für alle, auch für Menschen die mit HIV und AIDS leben. Bürgerrechte müssen also für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion.

Dies kann als Leitmotiv für unser Handeln verstanden werden.

Ich freue mich – zum Ende hin – sinngemäß die Worte des Mannes zu zitieren, der, wenn ich dem offiziellen Schreiben des Presseamts der Stadt Wuppertal Glauben schenken darf – unter anderem dafür verantwortlich ist, dass ich hier und heute diese Auszeichnung entgegen nehmen durfte – unseren alten und neuen Bundespräsidenten Prof. Dr. Horst Köhler (Glück gehabt, wer weiß ob Frau Gesine mit mir noch einverstanden gewesen wäre…)
Anlässlich des 60ten Geburtstags unseres Grundgesetzes sagte er: „Unser Grundgesetz lebt von den Bürgern, welche dieses mit Leben füllen“.

D.h. für mich im Umkehrschluss, dass auch so etwas wie unsere Verfassung im Grunde immer so gut ist, wie wir, die Menschen selbst.

Oder, um mit den Worten eines echten Politikwissenschaftlers zu sprechen: „Eine Bevölkerung, die sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet fühlt, muss sich auch an ihren Worten und Taten messen lassen.“

Das verstehe ich als Motivation, als Aufforderung zum Handeln.

Dies gilt selbstredend auch für mich selbst.

Ich möchte diese Auszeichnung zum Anlass nehmen, meine Ressourcen zu aktivieren und meine Erfahrungen, mein Wissen und meinen tiefen Glauben daran, Welt tatsächlich verändern und damit verbessern zu können wieder vermehrt in den „Dienst der Sache“ zu stellen. D. h. den Anliegen der Menschen mit HIV und AIDS eine Stimme zu verleihen.

Dabei möchte ich mich in meiner Motivation stets an den Schwächsten orientieren. In meinem Handeln jedoch mit den Stärksten messen.

Ich will dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft ein Klima schafft, dass es Menschen mit HIV und AIDS ermöglicht, offen mit ihrer Infektion umgehen zu können. In der sie keine Benachteilung erfahren und ihre Grundrechte tatsächlich gewahrt werden.

Nur ein solches Klima wird langfristig das einzig wirksame Mittel im Kampf gegen AIDS sein.

Im Vermächtnis der bereits Verstorbenen widme ich dieses Bundesverdienstkreuz (in der Ladyversion) allen Menschen, die mit HIV und AIDS leben.

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siehe auch
DAH-Blog 17.07.2009: Bundesverdienstkreuz: Coris Rede online
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Biowaffen und Meinungsfreiheit

HIV-Positive dürfen als Bio-Waffe bezeichnet werden. Der SPD-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Medienausschusses Ehrmann hat mit dieser Äußerung sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung genutzt.

Der SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann wurde Mitte April 2009 von einer Boulevard-Zeitung (Ausgabe 17.04.2009) im Zusammenhang mit der Verhaftung einer Sängerin zitiert mit der Aussage

„Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.”

Ist man mit HIV vogelfrei?, und darf man HIV-Positive als ‚Bio-Waffe‘ bezeichnen?, diese Fragen stellten sich viele nach diesen Aussagen.

Man darf, kann muss nun  resümiert werden.
Die ‚unbeantwortete Frage‘ ist nun beantwortet.

Am 24. April 2009 hatte ich aufgrund seiner Äußerungen via Internetwache gegen Herrn Ehrmann Strafanzeige wegen Verdachts der Volksverhetzung gem. StGB gestellt.

Gestern, am 11.6.2009, traf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Wie bereits erwartet teilte sie mit, man habe das Ermittlungsverfahren eingestellt. Es bestehe kein Anlass, in strafrechtliche Ermittlungen einzutreten:

„Die von Ihnen geschilderte Äußerung des Beschuldigten mag auf Unverständnis und Befremden stoßen, eine strafrechtliche Relevanz hat die Äußerung jedoch nicht.“

Die Äußerung sei

„vor dem Hintergrund, vor dem sie gefallen ist, noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt“.

Ich schätze unser Grundgesetz und seine Grundrecht, auch das auf freie Meinungsäußerung. Ich kann mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft leben.
Die Äußerung Ehrmanns empfinde ich allerdings weiterhin als prekär und bestürzend, auch nach seiner seltsamen ‚Klarstellung‘ (pdf). Bestürzend besonders auch, da sie von einem Politiker stammt, und zudem nicht einem mit Medien wenig erfahrenen Politiker, sondern dem stellvertretenden Vorsitzenden des Medienausschusses.
Und wie diese Äußerung mit seiner kirchlichen Tätigkeit vereinbar ist, wird wohl auch sein Geheimnis bleiben …

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Pop-Star: HIV-Outing bleibt ungeklärt – Prozess geplatzt

Recht auf Information der Öffentlichkeit, oder Recht auf Privat-Sphäre? HIV-Outing durch die Medien – zulässig im ‚höheren Interesse‘? Diese Frage, aufgeworfen durch den Fall der Verhaftung eines Pop-Stars wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung sowie die Medien-Berichterstattung darüber, diese Frage wird vorerst ungeklärt bleiben. Die Sängerin zog ihre Anträge zurück, die Verhandlung findet nicht statt.

Steht das Recht der Öffentlichkeit auf Information über dem Recht auf Privatsphäre? Die Verhaftung einer Pop-Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Übertragung und die anschließende drastische Medien-Berichterstattung darüber haben die Bedeutung dieser Frage erneut sichtbar gemacht.

Was ist höher zu bewerten? Das Recht der Öffentlichkeit auf Information? Oder das Recht einer (auch prominenten) Person auf Privatsphäre?

Darf man, konkreter dürfen die Medien Details aus dem Privat- und Intimleben einer Person, auch über ihre Gesundheit, eine etwaige HIV-Infektion, groß an die Öffentlichkeit bringen? Ist ein unfreiwilliges HIV-Outing in ‚höherem Interesse‘ (einer ‚informierten Öffentlichkeit‘) zulässig, auch zu Lasten der betreffenden Person?

Mit diesen Fragen sollte sich am 28. Mai 2009 die Pressekammer des Berliner Landgerichts zu beschäftigen haben.

Verhandelt werden sollte über den Einspruch des Axel-Springer-Verlags gegen eine Verfügung des Berliner Landgerichts. Dieses hatte dem Verlag auf Antrag der Anwälte der betreffenden Sängerin untersagt, weiterhin über die Ermittlungen in Zusammenhang mit der Verhaftung einer Popsängerin zu berichten, der HIV-Übertragung vorgeworfen wird.

Sollte – denn die für heute 28.5.2009 angesetzten Verhandlungen finden nicht statt.

Angesetzt waren wegen getrennter Verfügungen zwei Termine, einer zur Berichterstattung über die Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung sowie einer wegen der Berichterstattung über den Grund ihrer Festnahme.

Doch die Sängerin nahm am Mittwoch, 27. Mai überraschend über ihren Anwalt die beiden Anträge auf einstweilige Verfügungen gegen den Axel Springer Verlag zurück. Der Anwalt ebenso wie die betroffene Zeitung wiesen Spekulationen zurück, es sei zwischen beiden Seiten zu einem außergerichtlichen Deal gekommen.

Der Anwalt der Sängerin gab „strategischer Gründe“ für den Rückzieher an. Zuvor hatte er gegenüber der Presse geäußert, „wir arbeiten im Hintergrund“.
Ein Vertreter von Springer zeigte sich erfreut – der Verlag sehe sich in seiner Überzeugung bestätigt. Ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung über den Fall sei unbestreitbar. Den vollen Namen der verhafteten Sängerin hätten Staatsanwalt und Polizei mitgeteilt.

Der hessische Justizminister, der wegen der Umstände der Verhaftung und des Verhaltens der Staatsanwaltschaft unter Druck geraten war, hatte sich bereits Ende April öffentlich hinter die Staatsanwaltschaft gestellt. Die Kritik sei unbegründet, in diesem Fall gehe das Recht der Öffentlichkeit vor.

Die Frage, wie weit darf das Recht der Öffentlichkeit auf Information ausgelegt werden, wie weit darf in die Privatsphäre eingegriffen werden bleibt damit vorerst unbeantwortet.

Letztlich geht es dabei (auch) um die Frage, ob die Medien ein Recht auf ein unfreiwilliges HIV-Outing haben – oder eben nicht. Eine wichtige Frage, an deren Beantwortung großes Interesse bestanden hätte.

Der überraschende Rückzug ist eine weitere erstaunliche Facette im Fall der wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung verhafteten Sängerin.

Über die Verhandlung vor der Berliner Pressekammer wollte in ein Gastbeitrag Adam F. berichten. Adam hatte auf meine Suche nach einem Berichterstatter über die Verhandlung reagiert hat und sich bereit erklärt, zum Prozess zu gehen und zu berichten. So hätte er den Lesern von ondamaris (da ich selbst aufgrund anderer Termine nicht kann) einen Bericht aus erster Hand über diese wichtige Verhandlung ermöglicht. Dazu kommt es nun leider nicht – dennoch: auch an dieser Stelle ein besonders herzliches Dankeschön an Adam für sein Engagement!

weitere Informationen:
presseportal 15.04.2009: Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall Xxx Xxxxx
SZ 27.05.2009: No Angel: der Saal bleibt leer
SZ 27.05.2009: Ein Star sagt ab
FAZ 27.05.2009: Verfügung gegen Xxxxs „Brandbrief“
queer.de 28.05.2009: Xxxx Xxxxx geht nicht gegen Springer vor
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„Man merkt ihr die Krankheit nicht an“ – Plaudereien einer „Aids-Betreuerin“

Aids-Beratung – kompetent, verlässlich, vor allem: vertraulich. Eigentlich selbstverständlich. Außer wenn. Zum Beispiel wenn es um Prominente geht. Oder wenn „Aids-Betreuer“ in der Presse plaudern.

Beratung sollte unabhängig, kompetent und vor allem vertraulich erfolgen. Ganz selbstverständlich erscheint vielen, dass kompetente Aids-Beratung diese Kriterien erfüllt und diesen Ansprüchen auch in der praktischen Arbeit gerecht wird.

Doch – was für Aids-Berater der Aids-Hilfen selbstverständlich gilt (und durch umfangreiche Qualitätssicherungs-Maßnahmen auch fortlaufend sichergestellt und optimiert werden soll), ist noch lange nicht in jeder anderen Aids-Organisation üblich.

So gibt es auch „Aids-Betreuer“ und „Aids-Betreuerin“.

‚Aids-Betreuerin‘ mag keine gängige Bezeichnung sein – aber scheinbar eine, deren Standards zumindest andere, vermutlich weit lockerere als die professionellen Standards der Aidshilfe sind.

Wie sonst ist es zu erklären, dass -angesichts der von der Deutschen Aids-Hilfe kritisierten Verhaftung einer Sängerin– eine ‚Aids-Betreuerin‘ in der Boulevard-Presse freimütig über ihre Arbeit plaudert?

„Sie hat einen völlig gesunden Eindruck gemacht, man merkt ihr die Krankheit nicht an“, so die Ärztin, die sich seit 22 Jahren um HIV-Patienten kümmert. „Es gibt auch einen Arzt, der sie im Gefängnis behandelt. Trotzdem war sie ganz dankbar dafür, dass ich ihr mein Wissen angeboten habe.“

So berichtet eine ‚Aids-Betreuerin‘ über die gesundheitliche Situation und Versorgung der verhafteten Sängerin, und ergänzt direkt zu deren psychischer Verfassung

„Sie schien mir nicht stabil zu sein und auch nicht zuversichtlich. Verständlich in dieser Situation. Ich konnte nur versuchen, sie zu trösten.“

Damit ist das Ende der Indiskretionen noch nicht erreicht, so wird auch über Kleidung, Körperpflege, Haftbedingungen berichtet.
Das ganze nicht bei einer Berater-Schulung, z.B. um eine Weiterbildung mit einem Fallbeispiel anonym zu illustrieren. Sondern in der Boulevard-Presse, mit Nennung des Namens der ‚betreuten‘ Person, unter dem Titel „Aids-Beraterin X hat sie in der Zelle besucht und berichtet in der Y“ [Name der ‚Betreuerin‘ mit X und der Zeitung mit Y ersetzt].

„Alle Beraterinnen und Berater verfügen über ausreichende Erfahrung, wurden speziell für die Online-Beratung geschult und dem Datenschutz verpflichtet“  – der Anspruch, der selbstverständlich ist für Beraterinnen und Berater der Aidshilfen (hier am Beispiel der Online-Beratung), scheint für andere andere Organisationen so nicht uneingeschränkt zu gelten.

Danke an K. für den Hinweis!

Mit HIV vogelfrei für die Medien“ – schade, dass sich auch manche „Aids-Betreuer“ an dieser fragwürdigen Inszenierung beteiligen.

„vertraulich – verlässlich – kompetent“, unter diesem Motto wirbt die Online-Beratung der Aidshilfen für ihre Angebote. Und skizziert damit kurzgefasst den Standard, der für jegliche Gesundheitsberatung gelten sollte.

Vertraulichkeit steht dabei nicht grundlos an erster Stelle. Dass Privates z.B. zu Gesundheit und Psyche in den Medien ausgeplaudert wird, ist bei diesen Standards nicht vorgesehen.

Leider halten sich nicht alle, die im Aids-Bereich aktiv sind, an diese Standards. Ein Grund mehr, genau hinzuschauen, von wem man sich beraten lässt. Und im Zweifelsfall sich auf die bewährte Arbeit derjenigen Organisationen zu verlassen, die sich verpflichtet haben diese Standards einzuhalten: die in der Deutschen Aids-Hilfe zusammengeschlossenen Aids-Hilfen.

Hessen: Justizminister weist Kritik an Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück (akt.2)

Die Darmstädter Staatsanwaltschaft habe sich bei der Verhaftung einer Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Infektion korrekt verhalten und auch korrekt darüber berichtet, äußerte der hessische Justizminister bei einer Anhörung heute  im Rechtsausschuss des Hessischen Landtags.

Nach der Verhaftung einer Sängerin war der Hessische Justizminister unter Druck geraten. Grund war unter anderem das fragwürdige Verhalten der Staatsanwaltschaft Darmstadt.

Doch – da sei nichts fragwürdig, meint der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn, wie die FR meldet:

„Bei der Abwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Sängerin und dem Recht der Medien auf Information habe in diesem Fall der Anspruch der Medien Vorrang, sagte Hahn am Mittwoch bei einer Sitzung des Landtags- Rechtsausschusses in Wiesbaden.“

Weder in der Arbeit der Darmstädter Staatsanwaltschaft, noch in der Berichterstattung der Darmstädter Staatsanwaltschaft sehe er Fehler, betonte Hahn. Vielmehr bezeichnete er die Vorgehensweise laut FAZ als „rechtlich zulässig und fachlich geboten“.

Demgegenüber hatten sowohl die Grünen am 22.4.2009 als auch die SPD am 28.4.2009 betont, hier seien Persönlichkeitsrechte nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Hahn gab in der Anhörung u.a. an, bereits am Donnerstag vor Ostern von dem Fall und der bevorstehenden Aktion informiert worden zu sein. Die Verhaftung erfolgte am darauf folgenden Samstag. Hahn sagte, er habe zu keinem Zeitpunkt Veranlassung gehabt, einzugreifen.

Andreas Jürgens, rechtspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, betonte

„Es bleibt dabei, dass wir die Sache unterschiedlich werten. Nach unserer Auffassung ist die Staatsanwaltschaft mit ihrer Informationspraxis über das Ziel hinausgeschossen, es wurden Persönlichkeitsrechte verletzt. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass in diesem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens diese nicht wieder rückholbaren Informationen an die Öffentlichkeit hätten gegeben werden dürfen.“

Heike Hoffmann, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, äußerte die Ansicht, im Hinblick auf das Verbot einer unnötigen Bloßstellung sei die von der Staatsanwaltschaft Darmstadt herausgegebene Information über eine HIV-Infizierung kritisch zu betrachten.

Unterdessen bestätigte das Berliner Landgericht, dass am 19. Mai die Pressekammer mündlich über den Widerspruch des Axel-Springer-Verlags gegen die Anordnung des Landgerichts verhandeln wird, nicht über das Ermittlungsverfahren gegen die Sängerin zu berichten.
Aktualisierung: Das Landgericht Berlin teilte am 18.5.2009 ohne Angabe von Gründen mit, dass der Verhandlungstermin „kurzfristig vom 19. Mai 2009 auf den 28. Mai 2009, 13.30 Uhr, Saal 143 verleg“ wurde.

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weitere Informationen:
ondamaris 26.04.2009: Die Patientenakte und der Staatsanwalt
FR 29.04.2009: Hahn stellt sich hinter Staatsanwalt
FAZ 29.04.2009: Minister: Justiz handelte korrekt im Fall Benaissa
Grüne Hessen 29.04.2009: Rechtsausschuss zum Fall Nadja B. – GRÜNE sehen weiterhin Verletzung der Persönlichkeitsrechte
SPD Hessen: Auch bei Ermittlungsverfahren gegen Prominente müssen die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden
alivenkickin 29.04.2009: HIV Positive für vogelfrei erklärt
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Die Patientenakte und der Staatsanwalt (akt.2)

Wie sicher sind Patientenakten beim Arzt, in der Klinik? Hat der Staatsanwalt Zugriff auf Patientendaten, wenn er will? Im Fall der verhafteten Sängerin scheint es so …

Am 11. April wurde eine Sängerin verhaftet, mit dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Infektion. „Sicherungshaft“, wegen „des dringenden Verdachts, weiterhin ungeschützten Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern zu haben“.

Ein unappetitlicher Vorgang. Einer, der bald auch die handelnde Staatsanwaltschaft und den hessischen Justizminister in Erklärungsnöte bringt.

Ein Vorgang allerdings auch, der am Rande auf eines hinweist: Patientenakten sind nicht so sicher, wie manche es glauben.

Der ‚Spiegel‘ berichtet in einem Artikel über den Fall (Ausgabe 17/2009, S. 93):

„Am 25. März ordnet ein Darmstädter Amtsrichter ein immunologische Gutachten an, das klären soll, ob die Sängerin den Künstlerbetreuer angesteckt hat. Eine Woche später lässt er ein Frankfurter Klinikum durchsuchen und X‘ Krankenakte kopieren.“

Der Staatsanwalt (der laut FAZ „diese Angaben nicht kommentieren“ wollte) „lässt die Krankenakte kopieren“ – einfach so?

Wer hat denn das Recht, meine Daten als Patient einzusehen?

Unterliegen diese Daten nicht der ärztlichen Schweigepflicht?

Besteht nicht zwischen Arzt und Patient ein besonderes Vertrauensverhältnis?

Das Bundesministerium für Gesundheit erläutert die Rechtslage (in der Broschüre „Patientenrechte in Deutschland“, 5. Auflage September 2007, pdf):

„Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten, Pflegepersonal, Krankenhäusern und Krankenversicherern vertraulich zu behandeln. Sie dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen weitergegeben werden.“

Zudem haben Ärzte (wie Zahnärzte, Apotheker und Hebammen) nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 Strafprozeßordnung (StPO) das Recht, das Zeugnis über das, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden ist, zu verweigern. § 97 Abs. 1 und 2 StPO ergänzt dies um ein Beschlagnahmeverbot:

§97 (1) 2.: „Der Beschlagnahme unterliegen nicht … Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt; …“, und

§97 (2) Satz 2: „Der Beschlagnahme unterliegen auch nicht Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt oder eines Dienstleisters, der für die Genannten personenbezogene Daten erhebt, verarbeitet oder nutzt, sind, sowie Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und 3b genannten Personen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam der in dieser Vorschrift bezeichneten Beratungsstelle sind.“

Entsprechend kommt z.B. der Landesbeauftragte für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern zu dem Schluß

„Den Mitarbeitern sollte durch einen entsprechenden Hinweis in der Dienstanweisung bewusst werden, dass Beschlagnahmen von Patientenunterlagen durch die Staatsanwaltschaft in der Regel unzulässig sind und Akten nicht heraus gegeben werden dürfen …“ (Der Landesbeauftragte für Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern: „Datenschutz im Krankenhaus“,S.74, pdf)

Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Frage der Patientenakten geäußert:

„Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt.“ (BVerfGE 32, 373, 380)

Das BVerfG ergänzt sogar explizit

„Andererseits läßt sich ein solcher Eingriff [Einblick in die Patientenkartei, d.Verf.] nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten rechtfertigen, die allein dem Patienten zur Last gelegt werden. Wird bei einem Arzt die Karteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen beschlagnahmt, so liegt darin in aller Regel eine Verletzung des dem Einzelnen zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs.“ (ebenda)

Wie also kommt ein Darmstädter Amtsrichter an die Krankenakte aus dem Klinikum?

Laut Aussage des Frankfurter Fachanwalts für Medienrecht Felix Damm („Beckmann“, 27.04.2009) ist es „zu einer Beschlagnahme gekommen“.

Was erst recht viele Fragen aufwirft, z.B. die nach der Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses.

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weitere Informationen:

Unabhängiges Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein: Datenschutzrechte der Patienten

Deutsches Ärzteblatt 2008: Krankenunterlagen: Wer darf Einsicht nehmen?

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Darf man HIV-Positive als „Bio-Waffe“ bezeichnen?

„Körper als Bio-Waffe“ – darf man, darf ein MdB, darf ein stellvertretender Vorsitzender des Medienausschusses so Menschen mit HIV bezeichnen?

Der SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann wird von der BILD-Zeitung (Ausgabe 17.04.2009) im Zusammenhang mit der Verhaftung einer Sängerin zitiert mit der Aussage

„Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.”

Die Aussage ist u.a. dokumentiert beim Medien-Journalisten Stefan Niggemeier.

Herr Ehrmann ist seit 2002 Mitglied des deutschen Bundestags (SPD-Fraktion, direkt gewählt Krefeld II – Wesel II) und seit 2005 ordentliches Mitglied im Innenausschuss und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien.

Herr Ehrmann hat in einer auf den 23.4.2009 datierten schriftlichen Stellungnahme (pdf) seine Äußerungen inzwischen bestätigt.

In seiner Stellungnahme äußert Herr Ehrmann, er würde „die Formulierung ‚Körper als Biowaffe‘ … heute so nicht mehr verwenden, weil sich durch ihn die weit überwiegende Zahl der sich verantwortlich verhaltenden HIV-Infizierten diskreditiert werden können.“ Dies liege ihm fern.

Herrn Ehrmann scheint nicht daran zu liegen, seine Äußerung als falsch, unzutreffend oder politisch gefährlich zu bezeichnen. Sich zu entschuldigen. Bei der betreffenden Person, oder bei allen HIV-Infizierten. und sei es nur für Stigmatisierung und Diskriminierung.

Seine Entschuldigung lässt m.E. zudem den Schluss zu, dass Herr gegenüber HIV-Positiven, die sich nicht „verantwortlich verhalten“ (ohne zu erläutern, was das denn sei), diese Bezeichnung weiterhin für angebracht hält.

Paragraph 130 Absatz 1 Strafgesetzbuch lautet:

„Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Abgesehen davon, dass gerade von einem stellvertretenden Vorsitzenden des Medienausschusses ein umsichtigeres Umgehen mit Persönlichkeitsrechten und der öffentlichen Bezeichnung HIV-Infizierter erwartet werden kann: Ich fühle mich durch die Äußerungen von Herrn Ehrmann (‚Bio-Waffe‘) böswillig verächtlich gemacht und in meiner Menschenwürde angegriffen. Die Bezeichnung von HIV-Positiven als ‚Bio-Waffe‘ ist eindeutig geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Aus diesem Grund habe ich heute Strafanzeige wegen Verdachts der Volksverhetzung gem. StGB gestellt.

Ein Bekannter schrieb mir heute folgende Gedanken:

Wie werden es nicht mehr zulassen das man uns weiterhin stigmatisiert, diskriminiert und kriminalisiert. Wir werden es nicht mehr zulassen das die Medien weiterhin unsere Würde mit den Füßen treten. Wir werden es nicht mehr zulassen das die Medien sich zum Sprachrohr derjenigen machen die HIV Positive als Virenschleudern und Bio Waffen bezeichnen. Wir werden es nicht mehr zulassen das die Medien über uns Mythen und Lügen erzählen, das die Medien die Wahrheit verzerren.
Ich bin das Schweigen leid, also werde ich darüber sprechen. Und ich will, das auch Ihr darüber sprecht.

Ich kann nur sagen, er hat mir aus der Seele gesprochen …

siehe auch:
Andreas Bemeleit 21.05.2009: “Biowaffe Mensch” – unbeantwortete Fragen
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HIV-Verhaftung: Hessens Justizminister unter Druck

Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn habe die Rechte einer Sängerin, die wegen des Verdachts auf HIV-Infektion verhaftet worden war, nicht ausreichend geschützt. Die Grünen Hessen fordern ihn zur Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Landtags auf.

Am 10.4.2009 war eine Sängerin wegen des Verdachts auf HIV-Infektion verhaftet worden. Zahlreiche Details aus ihrem Privatleben gelangten an die Öffentlichkeit.Die Deutsche Aids-Hilfe kritisierte die Verhaftung als „unverhältnismäßige Aktion der hessischen Justiz“.

Nun gerät der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn unter Druck. Die hessischen Grünen haben einen „dringenden Berichtsantrag“ eingebracht, der am Mittwoch, 29.4.2009 im hessischen Landtag behandelt werden soll.

Jörg-Uwe Hahn, Justizminister Hessen
Jörg-Uwe Hahn, Justizminister Hessen

Der rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, Andreas Jürgens, zum Berichtsantrag:

„Mit einem dringlichen Berichtsantrag für die Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags am Mittwoch kommender Woche wollen wir in Erfahrung bringen, ob und wann Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) Kenntnis davon hatte, dass die Staatsanwaltschaft die Verhaftung der Beschuldigten als öffentliche Inszenierung plante und danach sehr intime Einzelheiten aus dem Ermittlungsverfahren veröffentlichte. Außerdem wollen wir wissen, was er unternommen hat, um die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten zu wahren. Es kann nicht angehen, dass im Verantwortungsbereich des Justizministers eine Beschuldigte öffentlich zur Schau gestellt wird und der Minister dazu bis heute anhaltend schweigt.“

Jürgens begründet den Antrag u.a.

„Immerhin ist die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu den Gerichten weisungsgebunden. Letztendlich ist daher der Justizminister verantwortlich für alle Handlungen der Staatsanwaltschaft. Es kann nicht sein, dass eine Staatsanwaltschaft so mit den Persönlichkeitsrechten von Beschuldigten verfährt und der verantwortliche Justizminister so tut, als hätte er mit der ganzen Sache nichts zu tun.“

Der Antrag umfasst einen detaillierten Fragenkatalog aus 13 Punkten zum Verhalten der hessischen Justiz und des Justizministers.

Jörg-Uwe Hahn ist seit 5.2.2009 hessischer Justizminister und gleichzeitig stellvertretender Ministerpräsident Hessens. Seit 2005 ist er Landesvorsitzender der hessischen FDP.

weitere Informationen:
Grüne Hessen 22.04.2009: Umstände der Verhaftung von Nadja B. und die Rolle von Justizminister Hahn müssen dringend aufgeklärt werden
Grüne Hessen 22.04.2009: Dringlicher Berichtsantrag (pdf)
ad-hoc-news 29.04.2009: Rechtsausschuss des hessischen Landtags diskutiert Fall Benaissa
SPD Hessen 28.04.2009: Auch bei Ermittlungsverfahren gegen Prominente müssen die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden
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HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!

Ist Kriminalisierung von HIV, von HIV-Positiven ein geeignetes Mittel, die HIV-Infektionszahlen zu senken? Einige Beiträge angesichts der Verhaftung einer Sängerin wegen HIV-Übertragung erwecken den Eindruck. Was ist HIV – ein Verbrechen? Oder ein Virus?

Der Fall einer Sängerin, die wegen des Verdachts verhaftet wurde, einen Sex-Partner mit HIV infiziert zu haben, geht breit durch die Medien. Mancher Artikel, einige Berichte wägen ab, argumentieren, überlegen. Viele hingegen spitzen zu, überzeichnen, kaprizieren sich auf vermeintliche Horror-Geschichten. Einige benutzen eine Sprache, die eher von Terrorbekämpfung bekannt ist, reden von Virusschleuder, Todesengel oder Biowaffe. Manche schwingen die ganz große Keule, phantasieren von ‚lebenslang‘ oder fordern Verschärfung des Rechts, mehr Kriminalisierung.

Worum geht es?
Ist HIV ein Virus?
Oder ein Verbrechen?
Kriminalisierung – was bedeutet das bei HIV, und was sind ihre Konsequenzen?

Justitia
Justitia - nicht immer ohne Ansehen der Person?

Kriminalisierung von Positiven

In zahlreichen Staaten häufen sich Urteile gegen HIV-Positive. In manchen Staaten wird gar eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Die Kriminalisierung von HIV scheint immer breiteren Raum zu gewinnen – aber ist sie ein probates Mittel? Mit Justitia gegen Positive?

„HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!“, betonte Edwin Cameron auf der XVII Internationalen Aids-Konferenz in Mexiko am 8. August 2008 in seiner Rede „Criminal Statutes and Criminal Prosecutions in the Epidemic: Help or Hindrance?“. Er forderte eine ‚Kampagne gegen Kriminalisierung‘.
Edwin Cameron ist Richter am Supreme Court of Apeal in Südafrika. Er lebt offen HIV-positiv und ist u.a. Autor des Buches „Witness to AIDS“ (deutsch: ‚Tod in Afrika – mein Leben gegen Aids‘).

In Deutschland wendet sich u.a. auch Pro Familia gegen Kriminalisierung. „Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Kriminalisierung ein Klima des Leugnens, der Verheimlichung und der Angst schafft und damit einen Nährboden für kontinuierliche und schnelle Ausbreitung von HIV“, betonte der Bundesverband Pro Familia Ende November 2008.

Und auch UNAIDS, die Aids-Organisation der Vereinten Nationen, betont (policy paper „Criminalization of HIV Transmission“, pdf) das Strafrecht sei nicht dazu geeignet, die HIV-Übertragungsrate zu senken. Es gebe keinerlei Evidenz dafür, dass mit einer breite Anwendung des Strafrechts bei der HIV-Infektion HIV-Übertragungen verhindert werden könnten. Vielmehr müssten die allgemeinen Menschenrechte auch für HIV-Positive gewahrt werden. Zudem empfiehlt UNAIDS HIV-Tests und vertrauliche Beratungsangebote.

Kriminalisierung hingegen wird – z.B. nach der (von der Deutsche Aids-Hilfe kritisierten) Verhaftung einer Sängerin – von interessierter Seite gelegentlich auch hierzulande gefordert, eine Verschärfung des Strafrechts angemahnt. So bezeichnet der Osnabrücker Strafrechts-Professor Arndt Sinn HIV-Positive im Interview mit der FR (17.04.2009) als „Gefährdungspotenzial“ und fordert die Einführung eines „Gefährdungstatbestands“.

Folgen der Kriminalisierung der HIV-Infektion

Wenn nun angesichts des Falles der Verhaftung einer Sängerin von manchen Stellen eine verschärfte Kriminalisierung gefordert wird – welche Folgen mag diese haben?

Die gesellschaftlichen Folgen, die aus zunehmender Kriminalisierung resultieren, hat u.a. der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Rosenbrock beschrieben:

„Ich bin immer davon ausgegangen, dass diese polizeistaatlichen Vorstellungen, mit Gewalt könne man das Risiko in der Bevölkerung auf Null bringen, in totalitären Wahnphantasien enden.“ (Rolf Rosenbrock, „Entscheidend ist die Kommunikation, in Deutsche Aids-Hilfe (Hg.): Jahrbuch 2007/2008)

Und die Folgen für Aids-Prävention und die Vermeidung von HIV-Neuinfektionen?

Nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Welche ‚Anreize‘ setzt dann eine zusätzliche Kriminalisierung?

Bizarre Folgen hätte eine Verschärfung der strafrechtlichen Bedrohung von HIV-Positiven, darauf weisen Kritiker hin: Nicht-Wissen wird wieder attraktiver als Wissen, nicht zuletzt aus Angst vor Repression – mit all seinen Konsequenzen.

Wer nicht weiß, dass er HIV-Positiv ist, weiß sich sicher vor strafrechtlicher Bedrohung, angesichts seines Nicht-Wissens. Auch wenn er sich beim Sex unsafe verhält, er mag sich selbst gefährden, ist aber von rechtlichen Folgen (einer Gefährdung Dritter) sicher.

Dies kann zu gravierenden Konsequenzen führen. Bereits jetzt, so zeigen zahlreiche Studien, ist ein Großteil der HIV-Neuinfektionen auf Personen zurück zu führen, die selbst bisher nichts von ihrer eigenen HIV-Infektion wissen. Die Zahl der ungetesteten HIV-Positiven, sie dürfte steigen durch zunehmende Kriminalisierung, warnen Präventionsexperten.

Und, ergänzen Behandler, wer nicht von seinem Status als HIV-Positiver weiß, bekommt keine entsprechende medizinische Betreuung, keine Behandlung, keine antiretrovirale Therapie. Ist nicht nur als nicht behandelter Positiver infektiöser, sondern vor allem selbst im Risiko einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands, einer Verschlechterung seiner späteren Behandlungsmöglichkeiten, eines vorzeitigen Todes.

Nicht von seinem HIV-Status zu wissen, kann potenziell ein Risiko sein. Für die eigene Gesundheit (als HIV-Infizierter, der von seiner eigenen Infektion nicht weiß), aber auch für die öffentliche Gesundheit insgesamt.

Nicht von seinem HIV-Status zu wissen wird wieder attraktiv, wenn Positive noch mehr als bisher stigmatisiert, kriminalisiert werden.

Die Kriminalisierung der HIV-Infektion erschwert Prävention, verschlechtert die medizinische Situation Betroffener und riskiert eine Verschlechterung der epidemiologischen Situation.
Und damit geht es in der aktuellen Debatte um weit mehr als ’nur‘ den‘ Staatsanwalt in meinem Bett‚ – es geht darum, ob die Aids-Bekämpfung in Deutschland weiterhin auf Aufklärung, Information, Selbstbestimmung und Verantwortung  setzt und damit erfolgreich ist. Oder ob populistische Impulse von Boulevard-Presse und Präventions-Nicht-Experten zu einem Rollback führen.

Dies, darauf weisen Kritiker hin, ist die bizarre, bestürzende Konsequenz von Vorschlägen à la Sinn. Sie warnen vor rechtspolitischem Populismus mit drastischen Public-Health-Konsequenzen.

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Es ist zu hoffen, dass verbale Geisterfahrten und journalistische Amokläufe der vergangenen Tage sich bald wieder legen (oder der nächsten Sau zuwenden, die durch das mediale Dorf getrieben wird). Debatten über eine Weiterentwicklung und Optimierung von HIV-Prävention sind oft sinnvoll, manchmal erforderlich. Gerade das Statement der Deutschen Aids-Hilfe (‚HIV-Therapie und Prävention‚) zur Frage der Präventionsmethode ‚Viruslast unter Nachweisgrenze‘ zeigt, dass diese Debatten auch geführt werden. Allerdings ist diesen Debatten statt aufgeregter Platitüden und auflagengeilem Populismus eher ein Klima von konstruktivem Dialog, Nachdenklichkeit und zielorientiertem Handeln förderlich.

In der Diskussion über HIV und Strafrecht wird gerne unterschlagen, dass in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten bereits seit Jahren Rechtsvorschriften existieren, die u.a. regeln wie zu verfahren ist, wenn eine Person einer anderen Schaden für Leib und Leben zufügt. Diese allgemeinen Regelungen können auch auf HIV angewendet werden – und werden es auch, wie gelegentliche Prozesse, ein aktuelles Urteil in Kanada und eine aktuelle Studie (Pärli 2009) zeigen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass diese bestehenden rechtlichen Regelungen nicht ausreichen.

Wo sie im bestehenden Recht Lücken sehen, erklären und begründen die Kriminalisierungs-Befürworter nicht. Weswegen ein Sonder-Recht besser als allgemein gültige Vorschriften sein sollte, ebenfalls nicht.

Und die Folgen, die solcherlei Verschärfungen haben könnten?
Über potenzielle Folgen für HIV-Prävention, für HIV-Positive, für die Entwicklung der Infektionszahlen machen sie sich oftmals scheinbar keine Gedanken. Oder doch?  Schielen sie schon auf die steigenden Zahlen, um dann zum nächsten Schlag ausholen zu können?

So laufen die Apologeten einer zunehmenden Kriminalisierung Gefahr, sich als Brandstifter zu betätigen, als Brandstifter einer Verschlechterung der Situation von HIV-Positiven, vor allem aber auch als Apologeten einer Verschlimmerung der HIV-Epidemie in Deutschland. Und mittelfristig zu einem ‚law-and-order-Staat, zu ‚old-school- Public Health‘, zu Gauweilereien und anderen längst in ihrem Versagen als untauglich erkannten Konzepten.

Polizeistaatliche Vorstellungen weisen nicht nur -wie Rosenbrock treffend betont- den Weg in totalitäre Wahn-Phantasien. Sie gefährden auch die Erfolge, die 25 Jahre Aids-Prävention in Deutschland erreicht haben. Erfolge, die nicht mutwillig und leichtsinnig riskiert werden sollten.

Erfolgreiche Aids-Bekämpfung braucht nicht mehr, sie braucht weniger Kriminalisierung!

siehe auch
ondamaris 26.01.2009: Zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen
Ärztezeitung 21.04.2009: Aids ist kein Verbrechen
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mit HIV vogelfrei für die Medien? – Fragen an den Staatsanwalt (akt.)

Eine junge Frau wird unvermittelt verhaftet – und die Medien geraten in Aufruhr, die Schlagzeilen der Titelseiten glühen rot. Aids, Schuld, Gefängnis schreien sie uns an. Als habe es keine jahrelange Aids-Prävention gegeben, werden alte Klischees bemüht – und Präventionserfolge riskiert.

Rufen wir uns zunächst den Sachverhalt in Erinnerung. Einer jungen Frau wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Sexpartner mit HIV infiziert zu haben. Sie wird verhaftet, mit dem Vorwurf gefährlicher Körperverletzung. Dabei geht es bisher um staatsanwaltliche Ermittlungen – nicht um eine Anklage, geschweige denn um eine Verurteilung. Sondern um einen Verdacht.

Die Medien erfahren von diesen Ermittlungen – von der ermittelnden Staatsanwaltschaft.
Und nicht nur das, der zuständige Pressesprecher der Staatsanwaltschaft gibt darüber hinaus gerade Boulevard-Medien bereitwillig Interviews (Quelle: (1)).

Eine Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, die Fragen aufwirft, hier z.B.:
– War es überhaupt erforderlich, die Person festzunehmen?
– Und war es erforderlich, angesichts einer eventuellen Tat, die schon vor Jahren (2004 und 2005) stattgefunden haben soll?

Aber neben dem konkreten Ermittlungs-Verhalten stellen sich erst recht Fragen an die freudige Auskunftsbereitschaft der Staatsanwaltschaft:
– Was macht erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft sich in diesem Fall von sich aus aktiv an die Presse wendet?
– Warum war es notwendig, den vollen Namen der betreffenden Person zu nennen?
– War es tatsächlich zwingend notwendig, den HIV-Status dieser Person offen zu legen, und dann gegenüber den Medien? Ist der HIV-Status der beschuldigten Person als Faktum bekannt, oder wurde auch hier nur ein Verdacht an die Medien gegeben?
– Worin besteht der „dringende Tatverdacht“ verbunden mit „Wiederholungsgefahr„, die als Begründung für die plötzliche Festnahme angeführt werden?
– Was hat die Staatsanwaltschaft veranlasst, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen so völlig hintan zu stellen gegenüber dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit?
– Besteht die Unschuldsvermutung nicht mehr?

Fragen über Fragen, denen sich weitere hinzu gesellen, wie die, ob aktuelle Erkenntnisse in Sachen Infektiosität (EKAF-Statement) überhaupt berücksichtigt wurden, oder die, warum -wenn die Gesundheit der Bevölkerung so wichtig ist- derart lange mit Reaktionen gewartet wurde.

Für die Medien wurde der ‚Fall‘ durch das Verhalten der Staatsanwaltschaft, durch Pressemitteilung und bereitwillige Interviews erst recht zum ‚gefundenen Fressen‘ – und mit zusätzlicher Attraktivität versehen, gab es doch gar Staatsanwälte als Quelle zu zitieren.
Entsprechend gerieren sich Medienvertreter auch, als die Anwälte der Verhafteten sich mit einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen. Und sich auf die Pressefreiheit berufen.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, Ger Neuber, kommentierte Kritik am Verhalten der Staatsanwaltschaft kühl mit den Worten „Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat.“
Ganz im Gegenteil, man wolle weiter machen: „“In der konkreten Situation sehen wir uns nach wie vor verpflichtet, den äußeren Tatbestand der Vorwürfe den Medien mitzuteilen.“ (laut taz)

Geraten so Staatsanwaltschaften in Gefahr, sich bewusst oder unbewusst zum Helfer der Medien zu machen – und die Belange, insbesondere die Schutzinteressen der betroffenen Personen, gegen die sie ermitteln, aus den Augen zu verlieren?
Und – beschwören Staatsanwaltschaften nicht so geradezu die Gefahr herauf, dass jegliches faire Verfahren unmöglich oder zumindest erschwert wird, die Unschuldsvermutung ausgehöhlt, der Beklagte in seinen Rechtspositionen beeinträchtigt und das Verfahren vorgeprägt wird?

Oder ist die Staatsanwaltschaft gar nur ganz modern, setzt sich auf den Zug der „litigation PR“ (dem Managen der Kommunikation in rechtlichen Auseinandersetzungen)? Und die Anwälte spielen gar mit, mit ihrer einstweiligen Verfügung, die gerade Boulevard-Journalisten nur noch mehr herausfordern muss?

Der bzw. hier die Dumme im ganzen Vorgang: die Verhaftete mit ihren Persönlichkeitsrechten – und indirekt HIV-Positive und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, sowie die Aids-Prävention.
Oder ist der Staatsanwaltschaft, die kühl sagt “Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat” nicht bewusst, welche Folgen ihr Handeln für das Bild von HIV-Positiven und für HIV-Prävention haben kann? Wie sehr sie Diskriminierung und Stigmatisierung Tür und Tor öffnet?

Ist der Staatsanwaltschaft nicht bewusst, dass sie hier -wie selbst die Deutsche Aids-Stiftung beklagt und die TV-Nachrichten (2) bemerken – potenziell Präventionserfolge gefährdet?

Über Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechte hinaus – die eigentliche, über den konkreten Fall hinaus weisende Kernfrage lautet deswegen m.E.: seit wann betreiben Staatsanwaltschaften Aids-Prävention?

Was (und wer) legitimiert, vor allem auch was qualifiziert eine Staatsanwaltschaft, sich als Player auf dem Gebiet der Aids-Prävention zu gerieren?

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(1) Schertz Bergmann Rechtsanwälte: „Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall X“, online auf presseecho.de
(2) ZDF heute journal 16.04.2009
Litigation-PR-Blog 16.04.2009: PR-Periskop I: Bärendienst für X
3A 16.04.2009: HIV-Behandlerinnen fordern sofortige Freilassung von Nadja Benaissa – Inhaftierung unverhältnismäßig
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auch lesen:
koww 17.04.2005: Keine Gelegenheit auslassen …
Antiteilchen 17.04.2009: Manchmal fragt man sich wer in Bwerlin alles Richter werden darf
alivenkickin 17.04.2009: Der Spießrutenlauf
taz 17.04.2009: Ende der Unschuldsvermutung
SZ 16.04.2009: Intimes, inszeniert und vorgeführt
SZ 16.04.2009: Auf das Wie kommt es an
„Medien können sich doch bei der Entscheidung, was und wie sie berichten, nicht nur von der Frage leiten lassen, was erlaubt ist. Sie müssen sich die Frage stellen, was richtig ist. Und was notwendig ist. Ich weiß nicht, ob es erlaubt war, über den Verdacht gegen eine Sängerin, über ihr Intimleben und ihre HIV-Infektion zu berichten. Aber ich bin überzeugt davon, dass es nicht notwendig war.“ Stefan Niggemeier
Steven Milverton 18.04.2009: HIV in der öffentlichen Wahrnehmung
FAZ 19.04.2009: Der Staatsanwalt in meinem Bett
DAH-Blog 15.05.2009: Deutschland disst den Superstar
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Deutsche AIDS-Hilfe kritisiert Verhaftung von Sängerin

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) kritisiert die Verhaftung einer jungen Frau wegen angeblich bewussten Infizierens von Sexualpartnern mit dem HI-Virus.

Dazu erklärt Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.: „Die junge Frau sollte so schnell wie möglich freigelassen werden. Ihre Verhaftung ist nach Einschätzung der uns bisher vorliegenden Informationen eine unverhältnismäßige Aktion der hessischen Justiz. Wir fordern die Medien auf, sachlich über den Fall zu berichten und nicht vorzuverurteilen. Die Verantwortung für den angeblich ungeschützten Sexualverkehr wird allein der jungen Frau zugeschoben, ohne nach der Mitverantwortung ihrer Sexualpartner zu fragen. Die deutsche Politik der HIV- und Aidsbekämpfung wird aber gerade deshalb als beispielhaft betrachtet, weil sie von der Verantwortung jedes einzelnen, von der Solidarität und der Bekämpfung jeder Art von Stigmatisierung ausgeht. Die hessische Justiz will offenbar ein Exempel statuieren. Die Justiz ist und darf aber keine Akteurin der HIV-Prävention in Deutschland sein.“

Seit den 1990er Jahren haben die Verurteilungen im Zusammenhang mit HIV-Übertragungen zugenommen. Das ist nicht ohne Auswirkungen auf die Präventionsarbeit im HIV/Aids-Bereich geblieben. Die öffentlichkeitswirksame Bestrafung von Menschen mit HIV/Aids kann aber leicht die Illusion entstehen lassen, der Staat habe das Problem unter Kontrolle, und so Personen dazu veranlassen, ihr Schutzverhalten (Safer Sex) zu vernachlässigen. Strafrechtliche Prozesse haben in solchen Fällen keine abschreckende Wirkung. Denn nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung führt unter Umständen dazu, dass Menschen es vorziehen, sich aus Angst vor Repressionen nicht testen zu lassen. Die DAH geht weiterhin von gemeinsamer Verantwortung aller Beteiligten in einvernehmlichen sexuellen Kontakten aus. Das war und bleibt die Basis unserer Arbeit.

[Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe vom 14.04.2009]
[15.04.2009 abends: Namen und identifizierende Merkmale aus Text und Kommentaren entfernt]

weitere Informationen:
SpON 14.04.2009: Xxxxx in Haft – Xxxxx  soll Partner mit HIV infiziert haben
Stern 14.04.2009: Anwälte sprechen von Indiskretion
SZ 14.04.2009: Xxxxx  soll Partner mit HIV infiziert haben
kalle bloggt 14.04.2009: Todesengel
queer.de 14.04.2009: Xxxx verhaftet: Partner mit HIV infiziert?
POZ 14.04.2009: German Pop Star Accused of Exposing Her Partners to HIV
Advocate 14.04.2009: Pop Star Arrested for Infecting Partner With HIV
queer.de 15.04.2009: Aids-Hilfe verurteilt Verhaftung von Xxxxx-Sängerin
Deutsche AIDS-Stiftung 15.04.2009: Präventionserfolge nicht gefährden
alivenkickin 15.04.2009: Pressefreiheit und Klimawandel
NGZ 15.05.2009: Aids hat den Schrecken verloren
Welt 15.04.2009, 18:04: Xxxxxx – Über den Fall Xxxxxx darf nicht berichtet werden
Bildblog.de 15.04.2009: Was schützt am besten vor Aids? U-Haft!
Tetu 15.04.2009: Allemagne: une popstar en prison pour transmission du VIH
Tagesspiegel 16.04.2009: Sex wider die Vernunft
Tagesspiegel 18.04.2009: Das Dilemma der Aids-Hilfe
POZ 07.05.2009: Media Hysteria and HIV Criminalization
Bild 04.10.2009: Nadja Benaissa von den „No Angels“: Seht mich an und hört mir zu
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