Bericht „HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen“ (akt.)

Bericht über die Expertenanhörung
HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen
am 22. Oktober 2009 in Hannover

Am 22. Oktober 2009 fand in Hannover ein „Expertenworkshop zur zukünftigen Strategie von HIV-Testungen im deutschen Gesundheitswesen“ statt. Als Ziel war von den Veranstaltern vorab formuliert worden, „Empfehlungen zum zukünftigen HIV-Testungsansatz in Deutschland zu entwickeln“.

Prof. Reinhold Schmitt, Vorsitzender des GWB (Gemeinsamer Wissenschaftlicher Beirat für die Behörden und Anstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit) betonte in seiner Begrüßung der 35 Teilnehmer, der GWB habe das Thema auf die Tagesordnung gebracht mit dem Ziel, verschiedene Stakeholder zusammenzubringen. Zeitlich parallel sei der HIV-Testungsansatz durch ‚HIV in Europe‘ und die DAIG zum Thema gemacht worden.

Frau Knufmann-Happe, Abteilungsleiterin 3 im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird aufgrund aktueller Entwicklungen (‚Schweinegrippe‘) durch Herrn Bindert vertreten, der auch die anwesenden Vertreter/innen von WHO, UNAIDS und ECDC (European Center for Disease Control) begrüßt.
Er erinnert an die schnelle Reaktion des BMG vor 25 Jahren gemeinsam mit NGOs, die zu einer international anerkannten Aids-Bekämpfungs-Strategie geführt habe, die immer wieder auch an aktuelle Anforderungen angepasst worden sei. Die im internationalen Vergleich niedrige HIV-Neuinfektionsrate dokumentiere den Erfolg dieser deutschen Aids-Politik und der erfolgreichen Zusammenarbeit von öffentlichen Partnern (ÖGD, Gesundheitsämter) und Zivilgesellschaft (DAH, Aids-Hilfen). Ein wesentlicher Aspekt der deutschen Aids-Politik bleibe die Auseinandersetzung mit Stigmatisierung und Diskriminierung. Auch wenn Verbesserungen offensichtlich seinen, „ideal sind die Verhältnisse noch lange nicht“.
Der HIV-Test habe einen Bedeutungswandel erfahren; nach dem Paradigmenwechsel 1996 habe die präventive Indikation heute einen höheren Stellenwert, eine niedrige Zugangsschwelle sowie anonyme Testmöglichkeiten seien von hoher Bedeutung. Deutschlands Haltung sei und bleibe im Einklang mit der WHO Einvernehmlichkeit, Vertraulichkeit und Beratung vor/nach dem Test.
Das BMG begrüße außerordentlich die iwwit-Testwochen, die ein gutes Beispiel eines niedrigschwelligen Angebots seien, das speziell auf die Erfordernisse der Zielgruppe MSM ausgerichtet ist.
Bezüglich des HIV-Tests merkt Bindert an, dass schon aus rechtlichen Gründen in Deutschland opt-in indiziert sei, dies entspreche auch den WHO- und UNAIDS-Empfehlungen für Länder mit konzentrierter HIV-Epidemie (wie Deutschland).

Prof. Jürgen Rockstroh, Vorsitzender der DAIG (Deutsche Aids-Gesellschaft), betont, etwa 50% der HIV-Infizierten in Europa wüssten nicht von ihrer Infektion (Deutschland ca. 25 bis 30%).
Ein früherer Therapiebeginn biete nicht nur die Chance einer besseren Prognose, sondern wichtig sei auch der zweite Aspekt einer potentiell deutlichen Reduzierung der zahl der Neuinfektionen.
Rockstroh verwies auch auf den internationalen Kontext; dem Präsidenten der International Aids Society (IAS) Julio Montaner sei ein wichtiges Thema auch die Vermeidung von nicht-Aids-bedingten Erkrankungen und Todesfällen sowie von HIV-Übertragungen. Die Initiative ‚HIV in Europe‘ sei wesentlich auf Initiative von Lundgren und Gazzard sowie der Gruppe EATG entstanden. Eine erste Folge der ersten Konferenz von ‚HIV in Europe‘ (Brüssel 2007) sei eine Resolution des Europäischen Parlaments, Europa solle gemeinsam formulierte HIV-Teststrategien entwickeln, die Mitgliedsstaaten seien dazu aufgerufen, aktiver auf diesem Feld zu werden. Aktuell werden bei ‚HIV in Europe‘ eine Konsens-Definition zum Begriff „late presenter“ erarbeitet, diese werde demnächst auf der Website zur Kommentierung online gestellt. Zudem sei eine Studie in Durchführung, bei welchen Indikator-Erkrankungen welcher Prozentsatz an HIV-Diagnosen auftrete (um herauszufinden, ob es sinnvoll sei, bei diesen Indikator-Erkrankungen zu screenen). An einem Pilotprojekt seien Bonn und Essen beteiligt.

Dr. Ulrich Marcus (RKI) stellt in einem Vortrag „Begrifflichkeiten und Eckdaten“ zum Thema vor (Bericht folgt getrenntHIV-Testung – Begrifflichkeiten und Eckdaten„).

Drei Arbeitsgruppen wurden gebildet, die jeweils in zweistündigen Sitzungen ihre Themenfelder behandelten:
1. „HIV-Testungen in Deutschland aus Perspektive der Gesundheitsversorgung“ (Rapporteure Prof. Goebel, Behrens)
2. „HIV-Testungen in Deutschland aus Public Health Perspektive“ (Rapporteure Prof. Pott 7 Rosenbrock)
3. „HIV-Testungen in Deutschland aus rechtlicher und ethischer Perspektive“ (Rapporteure Dr. Eberbach / Hoesl)

Ergebnisse der Arbeitsgruppen:

1. „HIV-Testungen in Deutschland aus Perspektive der Gesundheitsversorgung
Prof. Goebel berichtet über die in der AG erarbeiteten Ziele:

Ist:
– Diskussion von Testangeboten ist eng mit Präventionsbemühungen und den derzeitigen Strukturen, in denen getestet wird / werden könnte verbunden
– Strukturdefizite wurden speziell aufgezeigt für STD, Tbc-Versorgung
– HIV-relevante Defizite in der ärztlichen Weiterbildung
– Zwei Prävalenzgruppen (Migranten, Inhaftierte) haben besondere Defizite der HIV-spezifischen Versorgung
– Insgesamt positive Entwicklung der HIV-Testbereitschaft Deutschland

Ziele 1:
– niedrigschwelliges Angebot zur Versorgung von Patienten mit STD (spezifische Institutionen) mit besonderer Berücksichtigung des HIV-Tests
– zielgruppenorientierte Testung, weil niedrige HIV-Prävalenz
– opt out derzeit kein erforderliches Konzept
– provider-initiated testing
– Konzept der Indikatorerkrankungen umsetzen

Ziele 2
– HIV-Test Aufklärungs-Kampagne für Ärzte (Nicht-HIV-Spezialisten), v.a. Hausärzten, HIV-Test zu berücksichtigen
– Re-Testung soll integraler Bestandteil eines jeden Beratungsgesprächs zum HIV-Test sein
– Kommunikation Thema „Indikator-Erkrankung/Test“ durch DAIG mit anderen Fachgesellschaften
– engere Kooperation von Aids-Hilfen mit ÖGD und weiteren Ärzten

2. „HIV-Testungen in Deutschland aus Public Health Perspektive
Prof. Rolf Rosenbrock berichtet über die Ergebnisse:

– Jede HIV-Test-Policy ist Teil der gesamten HIV/Aids-Policy (individueller / Public Health Nutzen)
– gezielte Vermehrung von HIV-VCT erwünscht und notwendig
– 4-Stufen-Modell: awareness – motivation – testing process – follow-up
– anonyme, niedrigschwellige, kostenlose Testangebote durch ÖGD, NGOs, Versorgungssystem (Klinik, niedergelassen)
– maßgeschneiderte Angebote abhängig von Prävalenz, Symptomatik, Gruppenzugehörigkeit und Setting
– Risikoanamnese, Beratung, Empfehlung, Test, Beratung , ggf. Verweisung
– Qualitätssicherung
– Attraktivität von Testangeboten erhöhen
– Grundlage: shared decision making, informed consent
– Testakzeptanz durch Diskriminierungsabbau erhöhen
– keine Diskriminierung bei Testablehnung
– Daten für Versorgungsforschung, Evaluation und Qualitätsentwicklung

3. „HIV-Testungen in Deutschland aus rechtlicher und ethischer Perspektive
Dr. Eberbach stellt Ergebnisse der „im wesentlichen juristischen“ AG vor:

Ist-Analyse:
a) gesundheitliche und soziale Ausgangssituation Vergleich früher / heute
b) welche rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen bestehen zu HIV-Testungen?
Test wegen Gesundheit des Betroffenen (individualrechtliche Ebene): Test grundsätzlich nur mit Einwilligung [es gibt keine Pflicht, seinen Gesundheitszustand zu kennen; Recht auf Nichtwissen]
Test zum Schutz Dritter (ordnungsrechtliche Ebene): bisher keine Regelung [nur: nicht-namentliche Meldepflicht nach InfSchGes; mehr: verfassungsrechtlich überhaupt möglich?]

Empfehlungen:
erforderliches Konzept individualrechtlich: keine Änderung:
– opt-out-Ansatz nicht vereinbar mit Selbstbestimmungsrecht
– Recht auf Nichtwissen
– Vergleich mit anderen Erkrankungen

ordnungsrechtlich / zu diskutieren:
– opt-out-Ansatz im InfSchG
– klare politische Entscheidung
– verfassungsrechtlich schwierige Abwägung

Auf Nachfrage von Prof. Goebel betont Dr. Eberbach, dass es vor einer etwaigen Opt-Out es eine Gesetzesänderung geben müsste.
Auf Nachfrage Prof. Pott betont Dr. Eberbach, dass laut Aussagen Bennet (CDC) selbst in den USA einzelne Bundesstaaten informed consent gesetzlich vorschreiben und opt-out bisher weiterhin nicht zulässig sei.

Der anschließende Tagesordnungspunkt „Diskussion im Plenum mit anschließender Beschlussfassung und Formulierung von konkreten Empfehlungen“ gestaltete sich kurz:
Prof. Schmitt stellte fest, dass die eigentliche anfängliche Kontroverse um „opt out oder nicht“ „vom Tisch ist“. Prof. Pott betont die hohe Übereinstimmung in den drei AGs, die Frage ‚opt-in oder opt-out‘ habe keine Rolle gespielt, stattdessen habe es eine Konzentration auf ‚das was notwendig ist‘ gegeben.
Auf Nachfrage von Prof. Rosenbrock erläutert Prof. Schmitt, die zu erstellenden Empfehlungen dienten zur Umsetzung im wissenschaftlichen Beirat des BMG sowie der DAIG für die Arbeit auf der europ. Ebenen (insbes. HIV in Europe).

Auf Vorschlag von Prof. Rosenbrock beschließt die Gruppe, dass die Ergebnisse der AGs nebst einem Vorschlag der Konsolidierung zu Empfehlungen den Teilnehmern per Email zur Verfügung und Abstimmung / Beschlussfassung gestellt werden.

Erläuterungen:
DAIG Deutsche Aids-Gesellschaft
EATG European Aids Treatment Group
IAS international Aids Society
ÖGD Öffentlicher Gesundheitsdienst
VCT Voluntary Counselling and Testing

26.10.09: Aktualisierung / Nachtrag von Workshop-Ergebnissen

HIV-Test – eine positive Perspektive

Derzeit wird auch in Europa und Deutschland eine (leider nicht sehr offene und zu wenig wahrgenommene) Debatte geführt um die Zukunft des HIV-Tests (siehe „quo vadis HIV-Test?„) – gerade heute auf dem Workshop über die Zukunft der HIV-Testung in Deutschland.
Gerade Menschen, die bereits eine Diagnose HIV-positiv hinter sich haben, verfügen über vielfältige Erfahrungen, was es bedeutet, als HIV-positiv diagnostiziert zu werden, wissentlich und dokumentiert mit HIV zu leben.

Die Frage der Zukunft des HIV-Tests aus positiver Perspektive – einige Gedanken:

Leben mit HIV hat sich verändert – gottseidank. Die Zeiten, in denen Freunde oder Bekannte reihenweise starben, wöchentlich mehrere Trauerkarten sich im Briefkasten fanden, sind vorbei. Ebenso seit Ende der 1990er Jahre die Zeiten, in denen keine oder fast keine wirksamen Medikamente zur Verfügung standen, die Diagnose ‚HIV-positiv‘ unweigerlich baldiges Aids, baldiges Leid, baldigen Tod zu bedeu­ten schien.

Doch die Diagnose ‚HIV-positiv‘ ist auch heute noch weit davon entfernt, der inzwischen so oft gehörten Bezeichnung ’normal‘ gerecht zu werden. Die Diagnose ‚HIV-positiv‘ ist etwas völlig anderes als die Diagnose ‚hohe Cholesterinwerte‘. HIV-positiv zu sein ist keine Bagatelle.

Leben mit HIV, das heißt auch heute, 2009, noch immer
– sozialrechtlich mit massiven Einschränkungen konfrontiert zu sein. Eine ba­nale Lebensversicherung abzuschließen, oder gar eine Berufsunfähigkeits- oder private Renten-Versicherung – für HIV-Positive immer noch nahezu ein Ding der Unmöglich­keit. Dies bedeutet nicht nur, dass z.B. die eigene Altersvorsorge drastisch gefährdet, oft unmöglich gemacht wird – sondern gefährdet auch berufliche Kar­rieren, wenn z.B. eine Selbständigkeit, ob als Handwerker oder Unternehmer, an der unmöglichen Ab­sicherung über eine Lebensversicherung scheitert.
– mit Medikamenten zu leben, die mit teils massiven Neben- und Langzeitwir­kungen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität behaftet sind. Fettumverteilungsstörungen (Lipodystrophie-Syn­drom) führen dazu, dass HIV-Positive erneut als ‚Aids-Kranke‘ erkenntlich und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Die Kosten möglicher Therapien hiergegen werden von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung weiterhin nicht übernom­men.
– Viele Menschen mit HIV haben immer noch mit massiven Problemen und Einschränkungen im Arbeitsleben bis hin zu Berufsverboten zu rechnen.
– Menschen mit HIV sehen sich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, wobei ihnen oftmals einseitig die alleinige Verantwortung für Schutz zugeschoben werden soll.
– Gesellschaftlich werden HIV-Positive auch weiterhin ausgegrenzt, stigmatisiert, diskriminiert. In viele Staaten ist die Einreise als HIV-Positiver verwehrt oder stark erschwert, ein Aufenthalt streng reglementiert.

Die Diagnose ‚HIV-positiv‘ stellt schon aus diesen beispielhaften Gründen einen tief greifen­den Einschnitt in das Leben, in die künftige Biographie eines Menschen dar. Dies bedeutet auch, dass die Entscheidung, einen HIV-Test durchführen zu lassen, vorbereitet, wohl überlegt und gut informiert getroffen werden sollte – und nicht aus der momentanen Situation heraus, spontan.

Dies gilt auch für andere wohlklingende Namen, wie z.B. das Modell „european guidance“ (verkürzt: generell solle für bestimmte (von HIV besonders betroffene) Zielgruppen sowie Indikator-Erkrankungen ein HIV-Test angeboten / dringend empfohlen werden). Klingt akzeptabel – aber es gibt Konstellationen, Aids-Experten, die dahinter eine opt-out-Strategie verbergen. Dies scheint nicht viel mehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“, eine Einführung von opt-out „durch die Hintertür“ – und könnte nur zu schnell z.B. zu regelmäßigen Massenscreenings auf HIV bei schwulen Männern führen.

Dies alles sind keine Argumente gegen einen HIV-Test – sondern für einen HIV-Test in einem adäquaten Setting und zu entsprechenden Standards.
Und dies ist ein Plädoyer auch für ein Beibehalten des Rechts auf Nicht-Wissen. Wer seinen HIV-Status nicht wissen will, hat auch dazu ein Recht.
Und wer seinen HIV-Status wissen möchte, hat ein Recht auf eine vorherige qualifizierte Beratung, nach der er sein informiertes Einverständnis erteilen kann.

Solange Menschen, allein weil und sobald sie den serologischen Status ‚HIV-positiv‘ haben, weitreichende negative persönliche und gesellschaftliche Konsequenzen zu befürchten haben, kann eine Test-Konstellation des ‚opt out‘ aus der Sicht HIV-positiver Menschen keine sinnvolle Alternative zum etablierten guten Standard sein.

Riskieren wir nicht unnötig erfolgreiche Errungenschaften – nur zugunsten eines Experiments namens opt-out, für das die Nutzen-Hinweise bisher (in Regionen wie Deutschland) mehr als dürftig sind. Behalten wir die bisher erfolgreiche Strategie des opt-in mit Beratung und informiertem Einverständnis bei.

Zukunft HIV-Test: Experten-Anhörung

Ein Expertenworkshop diskutiert am 22. Oktober 2009 in Hannover die Zukunft der HIV-Testung in Deutschland.

Am 22. Oktober 2009 findet in Hannover ein

„Wissenschaftlicher Workshop des Gemeinsamen Wissenschaftlichen Beirats für die Behörden und Anstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (GWB) und der deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) zum HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen“

statt. Die Einladung konkretisiert, dass es um die „zukünftige Strategie von HIV-Testungen im deutschen Gesundheitswesen“ gehe.

Nach Begrüßung und Einführung in die Thematik soll in vier Arbeitsgruppen nach einem Impulsreferat diskutiert werden über HIV-Testungen in Deutschland
– aus Perspektive der Gesundheitsversorgung
– aus Public Health Perspektive
– aus rechtlicher Perspektive
– aus ethischer Perspektive

Anschließend ist nach nur kurzer Pause vorgesehen eine „Diskussion im Plenum mit anschließender Beschlussfassung und Formulierung von konkreten Empfehlungen“.

Hintergrund der Veranstaltung ist eine europäische Initiative. In Brüssel fand 2007 ein Meeting statt, das sich mit der Frage der HIV-Testung befasste. Träger war die Initiative „HIV in Europe„.

Am 2. und 3. November 2009 findet nun das Folge-Treffen in Kopenhagen statt. Zu dessen Vorbereitung dient vermutlich der Workshop am 22.10. in Hannover.

.

Es mag sinnvoll sein, über das weitere Vorgehen in Sachen HIV-Test zu debattieren. Auch wenn unklar scheint, warum am erfolgreichen status-quo gerüttelt werden sollte, warum quo vadis HIV-Test gefragt werden soll. Aber – wenn schon Diskussion, dann doch bitte transparent, unter Einbeziehung möglichst breiter Kreise.

Fragwürdig scheint auf europäischer Ebene z.B., dass eine Initiative, die sich die Diskussion des HIV-Testungs-Ansatzes auf die Fahnen geschrieben hat (und massiv den Ansatz des opt-out promotet) ausgerechnet von der Aids-Medikamente herstellenden Pharma-Industrie gefördert wird (siehe ‚Endorsers and Sponsors‚). Und dass ‚Platin Partner‘ ausgerechnet das Pharma-Unternehmen ist, das Medikamente herstellt die derzeit in PreP-Studien (Prä-Expositions-Prophylaxe, Medikamenten-Gaben vor einem etwaigen Infektionsrisiko) untersucht werden.

Im Vorfeld dieses Hannoveraner Vorbereitungs-Treffens gibt es zudem viel Wunderliches. Vieles an der Veranstaltung scheint bemerkenswert. Die Vorbereitung verlief bisher wenig transparent – wer wurde aus welchem Grund von wem eingeladen, wer nicht? Mit welchem Mandat, welcher Legitimation? Und warum so verdeckt, warum mit so wenig Öffentlichkeit? Warum gab es keinerlei vorbereitende Unterlagen vorab?

Und: wie sollte eine Veranstaltung von wenigen Stunden (in denen zudem teils parallel verschiedene Workshops stattfinden sollen) in der Lage sein zu „Beschlussfassung und Formulierung von konkreten Empfehlungen“? Empfehlungen an wen, mit welcher Reichweite, welchen Konsequenzen?

Kein sehr transparenter Auftakt für eine Veranstaltung, die so Großes vorhat wie Beschlüsse „zum HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen“  …


quo vadis HIV Test?

Wie soll es weiter gehen  mit HIV-Tests? Wie bisher – mit Beratung und expliziter Einwilligung? Oder zukünftig der HIV-Test als Bestandteil der ’normalen Routine-Untersuchung‘ ?

In Deutschland ist vor einem HIV-Test die Einwilligung der Person erforderlich. Eine Beratung ist Standard.
Ein Test ohne vorherige Einwilligung des Patienten (ebenso ein heimlicher HIV-Test) ist unzulässig und eine Körperverletzung.

„Die Vornahme eines HIV-Antikörpertests ohne die Einwilligung des Patienten ist ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht dieses Patienten.“ (LG Köln, 08.02.1995, 25 O 308/92)

Zudem sollte vor dem Test sowie nach dem Test bei Übermittlung des Ergebnisses eine Beratung stattfinden.
So betont auch die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

„Sie sollten sich auf ein mögliches positives Testergebnis vorbereiten. Denn die Tatsache, sich mit HIV angesteckt zu haben, wäre höchstwahrscheinlich ein Schock und ein tiefer Einschnitt in Ihr Leben.“

Doch inzwischen wird von einigen Ärzten und Politikern eine Veränderung dieser HIV-Test-Strategie gefordert. Die USA wechseln seit September 2006 (Empfehlung der CDC) auf die Strategie des ‚opt-out‘.

Worum geht es in dieser Debatte?
Prinzipiell gibt es zwei Strategien, mit HIV-Tests umzugehen. Sie werden unterschieden nach der Frage, ob die untersuchte Person eine ausdrückliche Einwilligung in den HIV-Test geben muss oder nicht. Beide Alternativen werden kurz bezeichnet als opt-in und opt-out.

opt-in: Die heutige Situation: Vor dem Durchführen eines HIV-Tests erfolgt eine umfassende Beratung, die auch ein Besprechen der individuellen Situation und Risiken der Person umfasst. Die Beratung behandelt u.a. auch die Frage, wie die Person mit einem positiven Test umgehen könnte. Der Patient erteilt nach der Beratung seine ausdrückliche Einwilligung in einen HIV-Test (‚informed consent‘). Nach Übermittlung des Test-Ergebnisses erfolgt ebenfalls eine Beratung.
(In der Fachpresse wird diese Variante gelegentlich auch bezeichnet als HIV-CT HIV counselling and testing)

opt-out: Was einige fordern: Der HIV-Test wird Bestandteil der normalen Routine-Untersuchungen. Patienten werden hierüber einmalig allgemein informiert (ggf. auch in einem Formblatt) und haben die Möglichkeit, ’nein‘ zu sagen.  Es gibt keine spezifische HIV-Test-Beratung mehr, keine Einverständnis-Erklärung in den HIV-Test (‚informed consent‘); die allgemeine Einwilligung in Laboruntersuchungen wird als ausreichend auch für einen HIV-Test betrachtet.

Argumentation der Befürworter einer Veränderung der HIV-Test-Strategie, der Einführung von opt-out: Viele Menschen sind sich ihres HIV-Status nicht bewusst, viele HIV-Positive wissen nicht von ihrem HIV-Status – und erhalten so potentiell auch verspätet Zugang zu medizinischer Behandlung und antiretroviraler Therapie (‚late diagnosis‘). Die Zahl dieser Menschen könnte durch mehr HIV-Tests reduziert werden. Um mehr Menschen auf HIV zu testen, solle der HIV-Test in die normale Labor-Routine einbezogen werden.

Argumentation der Befürworter des Beibehaltens der heutigen HIV-Test-Strategie „Beratung plus HIV-Test“ (des opt-in): Die Diagnose HIV-positiv ist alles andere als ’normal‘ oder gar ‚banal‘, kann im Gegenteil traumatisierend sein. HIV-positiv zu sein ist mit einem hohen Maß an potentieller Diskriminierung und Stigmatisierung verbunden, kann unkalkulierbare soziale Folgen (z.B. Versicherungen) haben. Ein HIV-Test hat im Gegensatz zu anderen Tests weitreichende Folgen – und sollte -wie bisher erfolgreich praktiziert- in ein entsprechendes Setting mit qualitätsgeprüfter Beratung und informierter Entscheidung eingebaut sein.

Die Debatte um die Zukunft des HIV-Tests wird weitreichende Konsequenzen haben – für die Wahrnehmung von HIV, von HIV-Positiven, für die Arbeit von Aids-Hilfen  – vor allem aber für Menschen, die auf HIV getestet werden, für potentiell Positive, für HIV-positiv getestete Menschen.

Was denkst du? Wie sollten HIV-Tests in Zukunft gehandhabt werden? So wie bisher, mit ausdrücklicher vorheriger Einwilligung, und umfassender Beratung? Oder so schnell, ungefragt und einfach wie ein Diabetes-Test? Opt-In oder Opt-Out?

Mich interessiert deine Meinung!
Schreib mir, kommentiere – wie soll es weiter gehen mit dem HIV-Test?

weitere Informationen:
Deutsche Aids-Hilfe: Informationen rund um den HIV-Test (pdf)
.
siehe auch
someabout.net 09.10.2009: “Ach ja, im Übrigen, Sie sind HIV-positiv…”
.

Deutsche AIDS-Hilfe startet „ICH WEISS WAS ICH TU“-Testwochen

Deutsche AIDS-Hilfe startet „ICH WEISS WAS ICH TU“-Testwochen
Ziel ist, mehr unentdeckte HIV-Infektionen zu erkennen

Von September bis November 2009 finden im Rahmen der „ICH WEISS WAS ICH TU“- Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (DAH) bundesweite HIV-Testwochen statt: Während dieses Zeitraums werden durch fast 90 Projekte Test- und Beratungsangebote zu HIV und teilweise auch zu anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STDs) beworben und durchgeführt. Diese Testwochen richten sich gezielt an schwule, bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Erreicht werden sollen vor allem HIV-Infizierte, die noch nichts von ihrer Infektion wissen, Männer mit erhöhtem Risikoverhalten sowie Männer, die Testangebote bisher eher nicht in Anspruch genommen haben. Von den ca. 63.500 HIV-Infizierten in Deutschland weiß laut Expertenschätzung jeder Dritte nicht von seiner Infektion und ist dadurch für die Botschaften der HIV-Prävention nicht ausreichend erreichbar.

Dazu erklärt Carsten Schatz, Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:  „Ziel der Testwochen ist es, Männer zu motivieren, sich Klarheit zu verschaffen, ob sie HIVnegativ oder HIV-positiv sind. Wenn wir nun durch unsere konzertierte Aktion helfen, bisher verdeckte Infektionen aufzudecken, dann ist das ein großer Erfolg im Rahmen unserer langfristigen und nachhaltigen Strategien in der Prävention: Je früher die eigene HIV-Infektion bekannt ist, desto effektiver kann schweren Folgen einer HIV-Infektion begegnet werden. Die modernen Therapien können das HI-Virus gut in Schach halten, vor allem, wenn sie rechtzeitig eingesetzt werden. Durch die zunehmende Bereitschaft in der Zielgruppe, sich mit einem positiven HIV-Test auseinanderzusetzen, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg der beim Robert Koch Institut (RKI) gemeldeten Neudiagnosen kommen. Dies wäre kein Misserfolg, sondern im Gegenteil ein Erfolg unserer Arbeit: Denn wer über seine Infektion Bescheid weiß, kann sich und andere besser schützen und gegebenenfalls eine medikamentöse Therapie beginnen. So können wir nachhaltig und langfristig die Infektionszahlen senken.“

Matthias Kuske, DAH-Kampagnenmanager: „An der Umsetzung der in Europa bisher einmaligen HIV-Testwochen sind insgesamt 86 Organisationen beteiligt: Dies sind 48 Aidshilfen, 38 Gesundheitsämter und Vereine der schwulen Selbsthilfe sowie Landesverbände der Aidshilfen. In vielen dieser Einrichtungen wird der sogenannte HIV-Schnelltest angeboten, der bereits innerhalb von wenigen Minuten ein Ergebnis ermöglicht. Insgesamt gibt es während der IWWIT-Testwochen bundesweit 533 einzelne Veranstaltungen, in denen der Test einschließlich der obligatorischen Testberatung erfolgt. Die Deutsche AIDS-Hilfe startet „ICH WEISS WAS ICH TU“-Testwochen Ziel ist, mehr unentdeckte HIV-Infektionen zu erkennen.

Testangebote an 61 Testorten im gesamten Bundesgebiet sind bewusst niedrigschwellig: Viele Angebote sind z.B. direkt in Einrichtungen der schwulen Szene zu finden, um Männer zu erreichen, die sonst eher nicht
zum Test gehen. Das obligatorische Beratungsangebot vor dem Test kann zudem falsche Bewertungen in der Risikoeinschätzung korrigieren und damit die Primärprävention stärken.“
Alle Hintergrundinformationen (z.B. über die Qualitätsstandards beim Test) und die Kontaktdaten der beteiligten Partner sowie Orte und Zeitpunkte der Test-Angebote finden Sie im Internet unter www.iwwit.de/testwochen.

(Pressemitteilung der deutschen AIDS-Hilfe)

Wissen, Einstellungen und Risikoverhalten bei Nutzern eines HIV-Testangebots in Köln

In wenigen Tagen beginnen die iwwit-Testwochen. Testangebote bestehen in einigen Städten bereits seit längerem. Im Epidemiologischen Bulletin wird über erste Erfahrungen aus Köln berichtet.

Ab 1. September 2009 bewirbt die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) mit den iwwitt-Testwochen gezielt und bundesweit die bestehenden Testangebote auf HIV und andere STDs. Mit dieser Aktion will die DAH den HIV-Test und Tests auf andere sexuell übertragbare Infektionen (STDs) in den Fokus ihrer erfolgreichen Präventionskampagne „ich weiss was ich tu!„“ (iwwit) rücken.

Im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts wird in der Ausgabe 34 / 2009 über erste Erfahrungen eines Test-Angebots in Köln (Checkpoint / Check-Up) berichtet.

Dargestellt werden Ergebnisse von Testangeboten an vier Abenden im November / Dezember 2008. Hierbei wurden 162 Personen erreicht, bei 157 wurden Schnelltests durchgeführt. Als Haupt-Zielgruppe des Angebots bezeichnet der Bericht

„Männer, die (auch) Sex mit Männern haben, unabhängig davon ob sie sich als homosexuell (schwul) beziehungsweise bisexuell bezeichnen, oder diese Kategorien für sich ablehnen“ (MSM).

Diese Zielgruppe wurde mit 74% der Test-Teilnehmer erreicht (24% mit Migrations-Hintergrund; 23% erstmaliger HIV-Test). In acht Fällen wurde ein positives Ergebnis des Schnelltests festgestellt, dies wurde in 7 Fällen durch eine Laboruntersuchung bestätigt. Zwei Personen holten das Ergebnis des Bestätigungstests nicht ab.

Der Bericht beschäftigt sich ausgiebig mit dem Umgang mit Risiken durch die getesteten Personen (Gründe für das Eingehen von Risiko-Situationen, Strategien der Risiko-Reduzierung, Beziehungsformen, Partnerzahlen etc.).

Explizit geht die Darstellung auch auf die Frage ein, in wie weit die Frage der Reduzierung der Infektiosität bei nicht nachweisbarer Viruslast in das individuelle Risikomanagement hat. Dies sei nur bei 2% der Fall gewesen, was u.a. mit der unterschiedlichen Wahrnehmung des EKAF-Statements durch HIV-Positive und HIV-Negative zu erklären versucht wird.

Der Report entwickelt die Hypothese, statt bewusst angesprochener Risiko-Informationen spiele eher eine „gefühlte Sicherheit“ eine Rolle als versuchte Risiko-Minimierungs-Strategie:

„Die im ersten Teil dargestellten Zahlen lassen vermuten, dass viele der Männer, die im Rahmen des Beratungs- und HIV-Schnelltest-Angebotes befragt werden konnten, die Sicherheit bei Sexkontakten nicht explizit verbal aushandeln (im Sinne einer „Negotiated Safety“), sondern sich häufig situativ auf eine eher „gefühlte“ Sicherheit verlassen.“

Das Kölner Test-Angebot scheint mit 74% (davon 23% erstmalig) die eigentliche Zielgruppe der Männer die Sex mit Männern haben gut zu erreichen – erfreulich im Vergleich zu Auswertungen eines anderen Testangebots, das deutlich niedrigere Raten hatte.

Erfreulich, dass auch die Frage reduzierter Infektiosität bei nicht nachweisbarer Viruslast (Viruslast-Methode) mit in dem Bericht betrachtet wird. Hingewiesen wird, dass nur 2% diese Frage mit in ihr Risikomanagement einbezogen. Wünschenswert wäre gewesen, wenn zur  Einordnung dieser niedrigen Rate auch Information dargestellt worden wäre, ob zu diesem Thema im Test-Gebiet (Köln) schon wirksame Informationen in den Zielgruppen zum Themengebiet „EKAF-Statement“ erfolgten.

weitere Informationen:
„Begleiterhebung von Wissen, Einstellungen und Risikoverhalten bei Nutzern von HIV-Testangeboten“ in Epidemiologisches Bulletin Nr. 34 24. August 2009
DAH-Blog 21. August 2009: BZgA und RKI warnen vor HIV-Heimtests
.

„Wer weiß, dass er HIV infiziert ist, hat heute einen gewissen Vorteil“ – die iwwit-Testwochen

Am 1. September starten im Rahmen der Präventionskampagne der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) „Ich weiss was ich tu!“die bis Ende November dauernden „HIV-Testwochen“.
Dazu ein Interview mit Matthias Kuske, Kampagnenmanger von ICH WEISS WAS ICH TU:

Du reist mit Deinem Team gerade von einer Stadt zur nächsten. Die ICH WEISS WAS ICH TU-Kampagne ist stark auf den CSDs vertreten. Wie kommt die Kampagne aktuell bei den Männern, die Sex mit Männern haben, an?

Matthias Kuske: Momentan wird unsere ICH WEISS WAS ICH TU-Kampagne sehr stark deutschlandweit wahrgenommen. Viele Leute kommen jetzt erstmals mit der Kampagne direkt in Berührung. Das liegt daran, dass wir jetzt nicht nur über Anzeigen, Partys und Präventionsteams präsent sind, sondern zusätzlich mit unseren Wagen auf den meisten CSDs sehr stark vertreten sind. Unsere CSD-Wagen sind mit riesigen Bannern bespannt, auf denen die Rollenmodelle unserer Kampagne zu sehen sind. Das sorgt für große Aufmerksamkeit auf allen CSDs und kommt bei den Männern besonders gut an. Viele Leute werden dadurch auch auf unsere Kampagnenhomepage www.iwwit.de aufmerksam und lesen sich dort z.B. die Interviews mit den Kampagnenmodellen durch oder testen in einem Quiz, wie gut sie sich wirklich beim Thema Prävention auskennen. Auf den CSDs sind immer jemand aus unserem Kampagnenteam und mindestens eines der Rollenmodelle vor Ort mit dabei. Das erhöht die Authentizität der Kampagne.

Was macht ICH WEISS WAS ICH TU denn genau auf den CSDs?

MK: Wir sind nun seit Wochen schon auf fast allen CSDs in Deutschland präsent. Und immer zusammen mit den regionalen Teams, die die Präventionsarbeit vor Ort machen. Die regionalen Vor-Ort-Teams verteilen Informationsmaterial der Kampagne, sprechen Leute an, verteilen Cruising Packs. Häufig stellen wir die Kampagne auch bei den Empfängen, begleitenden Straßenfesten etc. kurz persönlich auf der Bühne vor. Die Rollenmodelle sind auf diesen Veranstaltungen für Fragen zur Kampagnen ansprechbar.

Matthias Kuske, Kampagnenmanger von ICH WEISS WAS ICH TU
Matthias Kuske, Kampagnenmanger von ICH WEISS WAS ICH TU

Du hast einen Flyer „HIV-Testwochen“ entwickelt, der auf einigen CSDs bereits verteilt wird. Testwochen klingt ja ziemlich auffordernd und auch ein wenig nach Werbekampagne. Um was handelt es sich hier eigentlich?

MK: Wir starten im Herbst vom 1. September bis zum 30. November die ICH WEISS WAS ICH TU-Testwochen. Mit dieser Aktion wollen wir den HIV-Test und Tests auf andere sexuell übertragbare Infektionen (STDs) in den Fokus rücken. Wir bewerben damit ganz gezielt und bundesweit die bestehenden Testangebote auf HIV und andere STDs, damit sich Männer, die Sex mit Männern haben, verstärkt testen lassen.

Bisher waren die Deutsche AIDS-Hilfe und die lokalen Aidshilfen eher zurückhaltend bei der Bewerbung der Testangebote. Warum wird der Test jetzt so stark propagiert?

MK: Da gibt es eine Reihe von Gründen. Aus Präventionsgesichtspunkten ist es zu begrüßen, wenn sich Menschen mit Risikoverhalten verstärkt testen lassen. Wenn man z.B. weiß, dass man HIV-positiv ist, kann man heute mit den Mitteln der antiretroviralen Therapie den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen und den Ausbruch von AIDS verhindern. Man hat heute bei HIV eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch, vorausgesetzt, dass man gut therapiert wird. Wer also weiß, dass er HIV infiziert ist, hat heute einen gewissen Vorteil. Das war nicht immer so. Und wenn man weiß, ob man HIV-negativ oder -positiv ist, kann man sein Safer-Sex-Verhalten und seine Risikomanagementstrategien anpassen. Wir wissen, dass Menschen nach wie vor Angst vor dem Test haben, und wir möchten HIV auch nicht verharmlosen. Wir möchten der Krankheit aber den tödlichen Schrecken nehmen. Nur eine zeitgemäße und ehrliche Prävention erreicht die Männer heutzutage noch. Da bei den Tests immer auch eine Beratung angeboten wird, kann man dabei Informationen zu Risikoverhalten und Safer Sex setzen. Viele Männer wissen z.B. nicht, dass das Risiko, sich mit HIV zu infizieren um ein Vielfaches steigt, wenn man sich z.B. mit Syphilis infiziert hat oder wenn gerade Herpesbläschen am „Blühen“ sind. Die Leute wissen noch zu wenig, dass die Infektiösität – und damit das Risiko für andere – in den ersten Monaten der HIV-Infektion besonders hoch ist.

iwwit - Testwochen 01.09. - 30.11.2009
iwwit - Testwochen 01.09. - 30.11.2009

Wo können sich die Männer überhaupt testen lassen?

MK: Es gibt bundesweit eine Vielzahl an Projekten, die sich an den ICH WEISS WAS ICH TU-Testwochen beteiligen. Das sind viele Aidshilfen, Präventionsprojekte und auch einige Gesundheitsämter, die zielgruppenspezifische Angebote vorhalten. Gerade die Aidshilfen und die Präventionsprojekte gehen besonders sensibel auf schwule Männer ein. Nichts zuletzt, weil auch viele schwule Männern beraten und auch viele schwule Ärzte die Tests durchführen. Für viele Männer fällt dadurch die Hemmschwelle, die Testangebote auch wahrzunehmen und Fragen zu ihrem Sexleben und ihren individuellen Ansteckungsrisiken zu stellen. Man wird vor dem Test beraten und man kann auch hinterher mit den geschulten Experten reden. Alle Tests finden anonym statt.

Wo erfahre ich denn, welche Testangebote es überhaupt gibt?

MK: Seit Juli gibt es auf www.iwwit.de einen Bereich für unsere Testwochen, wo man alle Angaben zu den beteiligten etwa 50 Projekten in ganz Deutschland erfährt, die von September bis November im Rahmen der ICH WEISS WAS ICH TU-Kampagne mitmachen.

Kostet der Test etwas?

MK: Das ist von Region zu Region ganz unterschiedlich. Das kommt auch darauf an, welche verschiedenen Tests z.B. auf STD angeboten werden. Zum Teil wird der Standardtest angeboten, d.h. man bekommt eine Nummer und muss einige Tage auf sein Ergebnis warten. Zum Teil wird der Schnelltest angeboten, dessen Ergebnis man nach einer halben Stunde erfährt und wo es nur bei einem positiven Ergebnis zu einer erneuten Blutentnahme und einem Bestätigungstest kommt. All dies kann man sehr transparent aufgebaut auf www.iwwit.de nachlesen.

Wenn sich nun viele Leute testen lassen und vielleicht mehr HIV-Infektionen als bisher angenommen entdeckt werden – ist dies dann ein Erfolg der DAH-Präventionsarbeit oder eine Niederlage für die ICH WEISS WAS ICH TU-Kampagne?

MK: Das wäre auf jeden Fall ein „Erfolg“, weil wir ja die bisher nicht entdeckten Infektionen erkennen wollen, damit sich die Männer gegebenenfalls behandeln lassen und ihr Präventionsverhalten anpassen können. Je länger eine HIV-Infektion unentdeckt bleibt, desto größer ist die Gefahr irreparabler Gesundheitsschäden bis hin zum Ausbruch von AIDS. Auch die Therapieerfolge sinken, wenn man bereits jahrelang positiv war, da das Immunsystem dann schon sehr stark geschädigt sein kann. Viele ändern ihr Verhalten, wenn sie das Testergebnis kennen – egal ob es positiv oder negativ ausfällt. In der Testberatung bekommen die Leute Hilfestellungen, wie sie sich besser vor HIV und anderen STD schützen können. Manch einer hat nämlich ziemlich vage Vorstellung, was Safer Sex ist und was nicht. Abschließend: Die Testwochen können vorübergehend zu steigenden Neudiagnosezahlen führen, denn wir werden schließlich mehr unerkannte Infektionen entdecken. Das ist allen Beteiligten klar.

Interview: Jörg Litwinschuh, Deutsche AIDS-Hilfe

Foto Matthias Kuske: Manoploy

Obamas öffentlicher HIV-Test

US-Präsident Barack Obama und Frau Michele haben einen HIV-Test machen lassen. Das Weiße Haus hat nun ein Video dazu veröffentlicht.

Zum 14. Mal fand am 27. Juni 2009 in den USA der ‚National HIV Testig Day‘ statt. Aus diesem Anlass veröffentlichte das Weiße Haus ein Video über einen HIV-Test von Barack und Michele Obama:

„For the 14th commemoration of National HIV Testing Day, we wanted to share this video of the President and First Lady with you“

Noch zu Zeiten als Senator von Illinois hatte Obama 2006 Kenia besucht (wo seine Großmutter lebte) und dort am 6. August 2006 im Rahmen einer öffentlichen Präventions-Veranstaltung einen HIV-Test machen lassen.

Mit der Veröffentlichung des Videos wollte Obama auf die Bedeutung eines HIV-Tests für alle Amerikaner hinwiesen, so das Weiße Haus. Jeder Fünfte HIV-Infizierte in den USA wisse bisher nicht von seiner Infektion. Gerade Menschen, die nicht von ihrer HIV-Infektion wissen, trügen besonders zur weiteren Verbreitung vin HIV bei, so Obama. Die damals in Kenia gemachte Botschaft sich testen zu lassen  sei auch heute und in den USA gültig.

.

weitere Informationen:
boston.com 27.08.2006: Obama takes HIV test to lessen stigma
Illinois senator is visiting Kenya

Whitehouse.gov Blog 27.06.2009: Get tested!
Aids.gov Blog 27.06.2009: National HIV Testing Day – A message from President Obama
.

Vertrieb und Durchführung von HIV-Schnelltest gesetzlich neu geregelt

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat auf das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften hingewiesen, dessen Neuerungen ab dem 21. März 2010 in Kraft treten. Eine Regelung dieses Gesetzes tritt jedoch aller Voraussicht nach bereits Ende Juli in Kraft, wenn sie den Bundesrat passiert hat:

Für den HIV-Schnelltest ist nun geregelt, dass die Test-Kits zukünftig generell nur noch an Ärzte, ambulante und stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen sowie an die Deutsche AIDS-Hilfe und Gesundheitsbehörden abgegeben werden dürfen. Festgeschrieben ist außerdem, dass eine ärztliche Beratung sichergestellt sein muss. Den Internet-Handel mit HIV-Tests wird die Regelung nicht unterbinden können. Sie kann aber dazu beitragen, die Qualität des HIV-Tests als wichtiges Mittel der Prävention zu sichern.

Die DAH hatte in der Vergangenheit immer wieder vor HIV-Heimtests aus dem Internet gewarnt, die i.d.R. über ausländische Anbieter ausgeliefert werden: Testverfahren, die eine HIV-Infektion nachweisen können, gehören in die Hände von Fachleuten und sind nicht für den häuslichen Gebrauch geeignet. Auch die notwendige individuelle Beratung und Interpretation des Ergebnisses ist im privaten Umfeld nicht gegeben. Bereits kleine Fehler bei der Anwendung können falsche Testergebnisse mit erheblichen Folgen für die oder den Getesteten zur Folge haben. Diese neue gesetzliche Regelung ist daher ausdrücklich zu begrüßen.

Auskunft über den HIV-Test geben z.B. die Beraterinnen und Berater der Aidshilfen unter der bundeseinheitlichen Telefonberatungsnummer 0180-33 19411 oder online unter www.aidshilfe-beratung.de.

[Eine Information der Deutsche Aids-Hilfe]

neues Medizinprodukte-Gesetz regelt auch HIV-Heimtests

Die Bundesregierung beabsichtigt, Prüfung und Zulassung von Medizinprodukten neu zu regeln. Implizit werden auch HIV-Heimtests untersagt.

Das Bundeskabinett hat am 24. Februar 2009 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften beschlossen.

Der Entwurf, der mehr Rechtssicherheit für Medizinprodukte sowie verbesserte Patientensicherheit bringen soll, regelt u.a. auch HIV-Tests:

„In-vitro-Diagnostika zur Erkennung von HIV-Infektionen sollen künftig nur an Angehörige der Heilberufe oder des Heilgewerbes, an Einrichtungen, die der Gesundheit von Menschen dienen, und an Gesundheitsbehörden des Bundes und der Länder abgegeben werden dürfen. Diese Maßnahme dient dem Verbraucherschutz. Die Interpretation der Testresultate erfordert Fachkenntnisse, zudem sollte der Test mit einer Beratung verbunden werden. Dies wird bei der Durchführung als „HIV-Heimtest“ nicht gewährleistet.“

Weitere Informationen:
Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften (pdf)
Bundesministerium für Gesundheit: Mehr Sicherheit für Medizinprodukte – Kabinett beschließt Gesetzentwurf zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften
.

Das Recht auf Nicht-Wissen

Anlässlich einer Verurteilung in der Schweiz (‚Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen‚), einiger Diskussionen und Kommentare hierzu wie auch eines Posts von TheGayDissenter (‚HIV/Aids: ungetestete Risikostifter!? – Ein Urteil aus der Schweiz‘) steht immer wieder die Frage im Raum, ob es ein Recht auf Nicht-Wissen (hier: des eigenen HIV-Status) gebe.

Dazu einige Gedanken:

Rückblende, Mitte der 1980er Jahre. In westdeutschen Großstädten haben sich nach der tristen Zeit der 50er, 60er und frühen 70er Jahre florierende schwule Szenen entwickelt. Boomende kommerzielle und alternative Strukturen, diskussionsfreudige und experimentierwillige schwule Bewegungen, Ideen und Projekte für andere, buntere, vielfältigere Zukunft.

In diese lebensfrohen schwulen Strukturen platzt 1983 Aids wie eine Bombe. Nach ersten Berichten über vermeintlich skurile Krebs-Fälle in den USA anfangs kaum wahrgenommen, wird Aids bald schon von vielen erlebt als eine massive Bedrohung der neu errungenen schwulen Freiheiten. Als Szenario erneuter Rückfälle in Adenauersche Zeiten, in Diskriminierung und Unterdrückung. Bis Aids zur selbst erlebten Realität wird, Bekannte Freunde Lover sterben, der Besuch von Trauerfeiern und Beerdigungen zu schmerzvoller Alltagsrealität junger, eigentlich lebensfroher Menschen Mitte Ende 30 wird.

Aids, das bedeutet in diesen Jahren Mitte, Ende der 1980er z.B.:
– Politiker, bei weitem nicht nur in Bayern, und erst recht ihre schwedischen Handlanger, diskutierten ernsthaft Absonderung, Internierung und Kennzeichnung von Menschen mit HIV und Aids.
– Schwule Treffpunkte, Bars Diskotheken Saunen sollen geschlossen werden (in Bayern werden dann z.B. ersatzweise in Saunen die Türen ausgehängt).
– In der Öffentlichkeit, auch in Teilen schwuler Szenen, werden HIV-Infizierte wahlweise als ‚Opfer‘, ‚Aids-Bomben‘ oder ‚Virenschleuder‘ wahrgenommen.
– Medikamente gegen HIV gibt es in den Anfängen nicht. Das erste später zugelassene Medikament wird anfänglich so hoch dosiert, dass viele den Eindruck haben, Aids-Kranke sterben nun an den Folgen des Medikaments, nicht an Aids.

In diesen Zeiten hatte es nicht nur oftmals keinen Nutzen, vom eigenen HIV-Status zu wissen (wenn man eh medizinisch nichts machen konnte …). Nein, von der eigenen HIV-Infektion zu wissen war mit derartig vielen Nachteilen verbunden, dass es geradezu ratsam sein konnte, sich nicht auf HIV testen zu lassen.

Über seinen eigenen HIV-Status nicht zu wissen, nicht wissen zu wollen, nicht wissen zu müssen war in dieser Zeit ein elementares Bedürfnis und gleichzeitig für viele beinahe (nicht nur gesellschaftliche) Notwendigkeit.
(Nebenbei, dass HIV-Tests mit Beratung vor- und nachher durchzuführen sind, und dass HIV-Tests ohne vorherige Einwilligung unzulässig und strafbar sind, hat sich in dieser Zeit entwickelt – und nicht grundlos.)

Und heute?
Vieles hat sich verändert. Gegen HIV stehen wirksame Medikamente Medikamente zur Verfügung. Die schlimmsten Szenarien gesellschaftlicher Diskriminierung sind derzeit weitgehend in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden (auch wenn einige Ärzte-Funktionäre sie immer wieder gerne hervor holen).

HIV-positiv zu sein jedoch ist immer noch weit davon entfernt, den Status von ‚Normalität‘, von gesellschaftlich unbeeinträchtigtem Sein zu haben. Ist immer noch mit Diskriminierung, Benachteiligung, Ausgrenzung verbunden.

Solange der HIV-Status eines Menschen weiterhin mit massiven Beeinträchtigungen und Diskriminierungen verbunden ist, solange HIV-Positive auf ihrer Arbeit mit Diskriminierungen und mehr rechnen müssen, von Versicherungen ausgeschlossen sind, von staatlichen und privaten Stellen, in Gesellschaft und eigenen Szenen diskriminiert werden, mindestens solange ist m.E. ein Recht auf Nicht-Wissen um den eigenen HIV-Status ein unabdingbares Recht jedes Menschen.

Es gibt ein Recht, von der eigenen HIV-Infektion nicht zu wissen.

Und, nebenbei, wer heute fordert, mehr Menschen gerade aus dem von HIV stark betroffenen Gruppen sollten sich auf HIV testen lassen (auch, um dann rechtzeitig Zugang zu Behandlung zu haben), der sollte zunächst auch überlegen, wie diejenigen Hemmnisse, Benachteiligungen und Diskriminierungen abgebaut werden können, die Menschen mit HIV und Aids das Leben schwer machen – und die Menschen begründet überlegen lassen, ob es wirklich in der Realität eine gute Idee ist, von eigenen HIV-Status zu wissen. Diskriminierungen abbauen schützt Menschenleben – auch hier.

Na dann Gesundheit …

Die Berliner Aids-Hilfe hat ein neues Plakat:

Gesundheit Plakat BAH

Nun sind Plakate ja was Schönes, gerade wenn hübsch gestaltet und ein netter Männerkörper drauf ist. Aber – was will mir dieses Plakat sagen?

Unter dem Motto „Wissen schafft Klarheit“ fordert es zum HIV-Test auf, weist auf ein diesbezügliches Angebot der BAH hin.

Klarheit soll hier ja offensichtlich über den eigenen HIV-Status geschaffen werden. Und dann? Soll sich der als positiv getestete Mensch danach dann als nicht mehr gesund fühlen? Oder warum diese Überschrift? Frag ich mich nun ratlos …

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

USA ändern HIV-Test-Politik – zukünftig „Routine“

In den USA werden die Empfehlungen für HIV-Tests geändert. HIV-Tests sollen zukünftig zu einer „normalen Routine-Untersuchung“ werden.

Die US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control) empfiehlt ab heute (22.9.2006) allen Erwachsen und Heranwachsendem im Alter zwischen 13 und 64 Jahren, einen HIV-Test als „routinemäßige medizinische Screening-Untersuchung“ durchzuführen.

Die neuen Richtlinien empfehlen, Patienten sollte bei ihrem Hausarzt zukünftig regelmäßig ein HIV-Antikörper-Test (umgangssprachlich fälschlicherweise gern Aids-Test genannt) angeboten werden. De facto soll dies dazu führen, dass HIV-Test zu einem medizinischen Routine-Angebot werden

Ärztevereinigungen in den USA zeigten sich erfreut über die Änderung. HIV-Ärzte betonten, sie sähen derzeit viel zu viele Patienten, die erst zusammen mit einer schwersten Erkrankungen von ihrer HIV-Infektion erfahren. Ein früherer Test könne diesen Patienten rechtzeitiger wirksame Therapien ermöglichen. Zudem seien die Behandlungskosten insgesamt niedriger, wenn Patienten rechtzeitig behandelt würden.

Bisher wird der HIV-Antikörper-Test (nicht nur in den USA) anders als übliche Gesundheitsuntersuchungen gehandhabt. Insbesondere sind bisher intensive vorherige Beratung und ein getrennte schriftliche Einwilligung (informed consent) erforderlich.
Zukünftig sollen die Beratungen vor einem Test auf ein Minimum beschränkt werden. Die Einwilligung soll innerhalb des Standard-Formulars für ansonsten bisher schon übliche Untersuchungen mit erfolgen (kein getrennter informed consent mehr).

Warum die jetzt als Hemmnisse empfundenen, damals aber ja absichtsvoll eingeführten Maßnahmen heute als nicht mehr erforderlich empfunden werden, wurde von den CDC nur unzureichend erklärt.

Die aktuelle Änderung soll, so US-Ärzte, ein Schritt dazu sein, Test-Hemmnisse abzubauen. Routine- HIV-Tests könnten dazu beitragen Leben zu retten, betonen sie. Hintergrund ist, dass trotz zahlreicher Präventionsbemühungen sich ca. 40.000 US-Amerikaner im Jahr mit HIV infizieren.

Aids-Aktivisten kritisierten vereinzelt, auch in den USA sei Diskriminierung aufgrund von HIV immer noch gesellschaftliche Realität. Wenn der Staat nunmehr mit Routine-Tests dermaßen tief in die Privat-Sphäre eindringe, verdient es der Einzelne, zumindest darüber informiert zu werden, die positive Test-Ergebnisse gespeichert und von wem weiterverwendet werden.

Fragen wie inwieweit die US-Regierung mit ihren Abstinenz-Kampagnen vielleicht an der Präventions-Realität vorbei arbeitet, werden durch die neuen Richtlinien nicht gestellt, erst recht nicht gelöst.

Centers for Disease Control and Prevention. Revised recommendations for HIV testing of adults, adolescents and pregnant women in health-care settings. MMWR 55 (RR-14): 1-18, 2006