Homophobie tötet

„Homophobie tötet“ – eine neue Kampagne thematisiert in Frankreich landesweit Homophobie und ihre Folgen.

Am 17. Mai ist zum 5. Mal der Internationale Tag gegen Homophobie (International Day Against Homophobia IDAHO). Aus diesem Anlass stellte eine in Südfrankreich ansässige Gruppe (Collectif Contre l’Homophobie CCH, Montpellier) ihre erste Kampagne gegen Homophobie vor.

Die neue Kampagne soll in Frankreich landesweit gezeigt werden, sowohl in Großstädten als auch in der Provinz.

l'homophobie tue - Homophobie tötet (c) CCH
l'homophobie tue - Homophobie tötet (c) CCH

weitere Informationen:
Centre Collectif contre l’Homophoibie CCH
International Day Against Homophobia internat. Site
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5. April 2009: Fotos – Homo- Denkmal erneut beschädigt

Am Sonntag 05. April 2009 frühmorgens gegen 03:30 Uhr wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zum dritten Mal beschädigt. Die Sichtscheibe wurde stark zerkratzt, vermutlich mit einem Diamantschneider o.ä.

Hier aktuelle Fotos:

Fotos von den Beschädigungen auch bei samstagisteingutertag
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Homo-Mahnmal am 5.4.2009 erneut beschädigt (akt.)

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde in der Nacht zum Sonntag 5. April erneut beschädigt. Der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ist erst vor weniger als einem Jahr (im Mai 2008) eingeweiht worden.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, Gedenkveranstaltung Juni 2008
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, Gedenkveranstaltung Juni 2008

Aktuelle Fotos der Beschädigungen vom 5. April 2009 folgen in Kürze hier.

Mit dem Mahnmal werden diejenigen Homosexuellen geehrt, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, unterdrückt, in KZs und Strafgefangenenlagern inhaftiert, ermordet wurden.

Bereits in der Nacht zum 16. August 2008 war das Denkmal zum ersten Mal beschädigt worden. Kurz darauf reagierten Schwule und Lesben mit einer Mahnwache.
Ein zweites Mal war das Denkmal am 16.12.2008 beschädigt worden. Kurz darauf verurteilte auch Bundespräsident Köhler den erneuten Anschlag.

Mitarbeiter des Wachdienstes stellten einem Bericht der Polizei zufolge die erneute Beschädigung gegen 03:30 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag 5. April 2009 fest. Das Sichtfenster, das den Blick auf eine Kuß-Szene geben soll, wurde zerkratzt. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen, da ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen wird.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - Kuss-Szene
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – Kuss-Szene

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands LSVD verurteilte die erneute Beschädigung in einer ersten Stellungnahme und betont

„Die wiederholten Anschläge auf das Denkmal zeigen: Homosexuellenfeindlichkeit ist nach wie vor stark verbreitet. Allein der Anblick eines Kusses zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts kann massive Gewalt hervorrufen. Das ist bis heute auch bittere Alltagserfahrung vieler Schwuler und Lesben. Viele haben bereits antihomosexuelle Gewalt erleben müssen. Wir brauchen daher dringend einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie. Das Land Berlin geht auf diesem Feld vorbildlich voran. Es wird höchste Zeit, dass auch die Bundesregierung, insbesondere der Bundesinnenminister hier endlich tätig wird und vor homophober Gewalt nicht mehr die Augen verschließt.“

Aktualisierung 05.04.2009, 15:00 Uhr:
Es soll sich um zwei Täter gehandelt haben. Diese wurden vom Wachdienst bei der Tat gestört. Dies wurde auf dem heutigen LSVD-Verbandstag berichtet. Ob die Täter flüchten konnten oder festgehalten wurden, ist bisher nicht bekannt.

siehe auch
samstagisteingutertag 05.04.2009: Homosexuellen-Mahnmal erneut beschädigt
koww 05.04.2009: Erneuter Anschlag auf Homosexuellen-Denkmal ist eine abscheuliche Tat
gayweb.de 05.04.2009: Erneuter Anschlag auf Homosexuellen-Denkmal
mythopoeia 2.0 06.04.2009: Provokation
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unheilbar schwul

Gerade rechtzeitig zu plötzlichem Sommer-Aufschwung, Eis-Wetter und Draußenliegenwollen kommt die neue Button-Kollektion frisch mit der Post …

unheilbar schwul
unheilbar schwul

… der aktuelle Button, auch gegen Homo-Heiler und Umpolungs-Seminare …

… schnell und freundlich (und: gratis!) zugesandt von netten Menschen aus Österreich:  gruene-andersrum.at
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Europawahlen 2009 – wählen für Menschenrechte, gegen Homophobie

Anfang Juni 2009 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Wählen gehen, und Abgeordneten wählen, die Menschenrechts-freundliche Politiken unterstützen, fordert die internationale Schwulen- und Lesbenorganisation ILGA Europe.

Vom 4. bis 7. Juni 2009 finden in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt – in Deutschland am Sonntag, 7. Juni. Von den 736 zu wählenden Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden gemäß Nizza-Vertrag 99 aus Deutschland gewählt.

„Mach dir Gedanken – Wähle für ein Menschenrechts-freundliches Europäisches Parlament“, dazu ruft anlässlich der anstehenden Wahl die europäische Sektion der ILGA International Lesbian and Gay Association auf.

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„Vote for a human rights friendly European Parliament“ – dieser Slogan mag zunächst abstrakt, weit weg von der eigenen Realität klingen.

Doch schon einige Schlagzeilen der vergangenen Zeit zeigen deutlich, welche Bedeutung das Europäische Parlament gerade auch für Schwule und Lesben haben kann:
EU-Parlament fordert gegenseitige Anerkennung vom Homo-Ehen
EU-Bericht zu Homophobie und Diskriminierung
EU gegen Homophobie
oder auch z.B. Anfragen von Europa-Parlamentariern in Sachen Einreisebeschränkungen für HIV-Positive

Zur Wahl zum Europäischen Parlament 2009 hat die ILGA Europe einen Zehn-Punkte-Katalog aufgestellt, der sich mit EU-Gesetzgebung, den Rechten von Schwulen, Lesben und Transgender sowie der Bekämpfung von Homophobie beschäftigt. Die Kandidaten zum Europäischen Parlament werden aufgefordert, sich diesen Forderungen anzuschließen.

Ja, beim Thema Europa kommen vielen immer noch zuerst Gedanken wie Kamellen- und Bananen-Verordnung, Bürokratie und Bürgerferne.
Aber Europa heißt auch Chance – Chance nicht nur für Schwule und Lesben in anderen EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch bei uns.

Noch mag die EU zu wenig bürgernah sein, zu fern unserer Lebensrealitäten, zu bürokratisch. Ändern wird sich dies sicherlich nicht, wenn wir nicht zur Wahl gehen. Ändern wird es sich, wenn wir, wenn auch Schwule und Lesben, verstärkt auch in Europa ihre Anliegen vorbringen, ihre Stimmen hör- und sichtbar machen – europaweit, grenzüberschreitend.

Beklagen wir nicht, wie die EU heute ist, bejammern wir nicht, wie sie sein könnte – ändern wir sie, auch indem wir wählen gehen.
Und indem wir dann bei (und vor allem: vor und während) Debatten z.B. zu für Schwule und Lesben relevanten Themen bei den jeweiligen Europa-Abgeordneten nachhaken. Nachfragen, ‚warum hast du so abgestimmt? warum nicht …? Sind Homos nicht auch deine Wähler?‘

Und – fordern wir die Kandidaten auf, sich dem Forderungskatalog der ILGA Europe anzuschließen! Bisher (Stand 31.03.2009) hat dies (der Karte zufolge, siehe Link unten) kein einziger Kandidat aus Deutschland getan … !
Fragen wir sie, warum hast du für uns wichtige Initiativen nicht unterstützt? (siehe Übersicht unten)

Durch Nicht-Wählen-Gehen, durch Kopf-in-den-Sand-Stecken wird sich nichts ändern. Wohl aber, wenn wir, jeder von uns, ein kleines Stückchen aktiv wird – und für seine Interessen eintritt.
Dazu gehört auch: wählen gehen! Einfluss nehmen! Interessen deutlich machen!

weitere Informationen:
ILGA-Europe’s European Parliament Elections Pledge
wie viele Kandidaten aus welchen Staaten haben sich bisher angeschlossen? die Karte
wie haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in der jetzt zu ende gehenden Legislatur-Periode bei für Lesben, Schwulen und Transgender wichtigen Themen und Anträgen abgestimmt? eine Übersicht
Über den homo-Horizont hinaus lesenswert: Social Europe Journal
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Umpolungsseminare beim internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge – Universität und die Stadt Marburg sollen sich distanzieren

Auf dem „6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“ vom 20. bis 24.05.2009 in der Stadthalle und Universität von Marburg werden Referenten auftreten, die Homosexuelle zu Heterosexuellen „therapieren“ wollen.

Dazu erklärt Manfred Bruns, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD):“ Wir fordern die Universität und die Stadt Marburg auf, sich von den allen Angeboten und Seminaren zu distanzieren, die mit vermeintlich wissenschaftlichem Duktus homophobe und gefährliche Umpolungsangebote machen. Die Seminare tragen den Titel „Reifung in der Identität als Frau und als Mann“ sowie „Weibliche Identitätsentwicklung und mögliche Probleme“ und richten sich gegen homosexuelle Identitäten und Lebensweisen.

Der Veranstalter des Kongresses, die „Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e.V.“ in Frankenberg, ist dafür bekannt, antihomosexuelle Angebote zu unterstützen. Auch die Referenten sind eindeutig der Evangelikalen Richtung homophober Hetze zuzuordnen: Markus Hoffmann von der Organisation „Wüstenstrom e.V“ und Christl Ruth Vonholdt vom „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“.

Die Bundesregierung hat zu diesen Organisationen festgestellt (Bundestags-Drucksache 16/8022 vom 12.02.2008): „Die vor allem in den 60er und 70er Jahren häufig angebotenen so genannten „Konversions“- oder „Reparations“-Therapien, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten oder der homosexuellen Orientierung abzielten, werden heute in der Fachwelt weitestgehend abgelehnt.“ Es ist unverantwortlich, wenn die die Universität und die Stadt Marburg solche Organisationen oder
Gruppierungen unterstützen.

Der LSVD hat deshalb den Oberbürgermeister von Marburg, den Präsidenten der Philipps-Universität Marburg und den Dekan des Fachbereichs Psychiatrie aufgefordert, solche pseudowissenschaftlichen Angebote nicht zu unterstützen.

(Pressemitteilung des LSVD)

weitere Informationen:
offener Brief des LSVD vom 26. März 2009
FR 31.03.2009: Marburg: Therapeuten erzürnen Homosexuelle
Steven Milverton 31.03.2009: Die Umpolungsseminare von Marburg
FR 06.04.2009: SPD schaltet Landesregierung ein
FR 14.04.2009: Wirbel um ‚Homo-Heiler‘
SpON 17.04.2009: Massive Kritik am Auftritt von „Homoheilern“
queer.de 20.04.2009: Wissenschaftler kritisieren Homo-Heiler
PinkNews 20.04.2009: ‚Gay cure‘ conference to be held in London
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Nachtrag 08.04.2009: „In Marburg und Umgebung hat sich ein Bündnis gegründet, das sich kritisch mit dem Kongress auseinander setzen will. Infos: noplace.blogsport.de“ (siehe Kommentare unten)
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Istanbul: Trans-Aktivistin ermordet (akt.)

Ebru, Trans-Aktivistin und Mitglied von Lambda Istanbul, sei ermordet worden – dies berichtet ein Mitglied von Lambda Istanbul.

Ebru Soykan, Trans-Aktivistin ist am 10. März 2009 in Istanbul tot aufgefunden worden. Im Blog „Transmission“ berichtet dazu Sinan, ebenfalls Mitglied von Lambda Istanbul,

„Apparently, she went to the police and sought protection from a man she refused to be with recently, she was found dead in her apartment this morning.“

Noch seien die genauen Umstände des Todes von Ebru nicht bekannt.

Die generellen Lebensbedingungen von Trans-Frauen in der Türkei jedoch seien von Diskriminierungen, Belästigungen und Gewalt gekennzeichnet:

„Trans women in Turkey face extreme amounts of harassment and violence from their partners, people in the street and police forces on a daily basis. When the perpetrators are caught or called out, patriarchal bullshit protection mechanisms of violence such as „crimes of passion“ or „moral provocation“ help these men get away with it.“

Aus Anlass des Todes von Ebru sollen heute (12.3.2009) Protestversammlungen stattfinden.

Transmission 12.03.2009: Trans*aktivistin in Istanbul ermordet
dazu am 12.03.2009 Lambda Istanbul (in türkischer Sprache)
zum Hintergrund: indymedia 24.11.2008: ‚Hassmorde‘ an Transsexuellen in der Türkei
Human Rights Watch 12.03.2009: Turkey: Transgender Activist Murdered
Advocate 13.03.2009: Trans Activist Murdered in Turkey
Pinknews 13.03.2009: Transgender Activist Murdered in Turkey
queer.de 13.03.2009: Istanbul: Transgender-Aktivistin ermordet
365gay.com 13.03.2009: Police accused of ignoring transwoman’s pleas for help
indymedia.de: Trans*-Aktivistin in Istanbul ermordet
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Potsdam: Ausstellung zur Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit

Im Potsdamer Landtag erinnert eine Ausstellung noch bis Mitte März an die Verfolgung Homosexueller während der NS-Zeit.

Der Brandenburger Landtag erinnert mit der Ausstellung „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit“ an die Situation Homosexueller zwischen 1933 und 1945.

Ausstellung Homosexuellen-Verfolgung 1933-45
Ausstellung Homosexuellen-Verfolgung 1933-45

Auf insgesamt 38 Tafeln wird die Bandbreite der Verfolgung Homosexueller und der Homosexualität Verdächtigter in der Zeit des Nationalsozialismus skizziert, werden Schicksale Verfolgter exemplarisch vorgestellt, Täter benannt.

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Lediglich die Tafel zum Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen hätte gerne aktualisiert werden können – sie zeigt noch die Planungen des Denkmals, das inzwischen am 27. Mai 2008 eingeweiht wurde.

Die Ausstellung wurde konzipiert vom ‚Kulturring in Berlin e.V.’bzw. dessen 2001 gegründete ‚Projektgruppe Rosa Winkel‚. Sie wurde bereits 2006 im Deutschen Bundestag und in der Akademie der Künste gezeigt. Eine Dokumentation über die 2006er Ausstellungen liegt in der Ausstellung im Potsdamer Landtag aus.

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„Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit“
Landtag Brandenburg
14473 Potsdam, Am Havelblick 8
3. Februar bis 12. März 2009
montags bis freitags 8:00 bis 16:00 Uhr

Rede von Bundespräsident Köhler zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

In seiner Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus rief Bundespräsident Köhler dazu auf, die Erinnerung an die Verbrechen des Holocaust wachzuhalten. Köhler gedachte auch der homosexuellen NS-Opfer. Die Rede als Dokumentation.

„Heute, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, gedenken wir ihrer: der Juden, der Sinti und Roma, der Kranken und Menschen mit Behinderung, der politisch Andersdenkenden und der Homosexuellen und aller, die der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und den deutschen Raub- und Vernichtungskriegen zum Opfer fielen.“

Die Rede Köhlers im Wortlaut (Quelle: Bundespräsidialamt):

Vor dem Mannheimer Hauptbahnhof gibt es einen merkwürdigen Wegweiser: „Gurs 1170 Kilometer“, steht auf dem Schild.

Gurs, das ist ein Dorf in den französischen Pyrenäen. In Mannheim war der Ort lange Zeit unbekannt.

Am 22. und 23. Oktober 1940 wurden in Baden, im Saarland und in der Pfalz mehr als 6.000 Menschen aus ihren Häusern geholt, zu den Bahnhöfen getrieben, auf Züge verladen und quer durch Frankreich transportiert. Es waren Handwerker, Arbeiter, Ärzte, es waren Männer und Frauen, Greise und Säuglinge. Sie hatten nur eines gemeinsam: Es waren Juden und ihre Familien.

Der Transport begann am Laubhüttenfest. Es dauerte drei Tage, und als die Menschen aus Mannheim und Karlsruhe, aus Kaiserslautern und dem Saarland endlich ankamen, waren sie in Gurs. Aber nicht in dem kleinen Bergdorf, sondern in einem Internierungslager nahebei. Die Lebensbedingungen waren entsetzlich. Mehr als tausend Deportierte starben an Hunger und Krankheit. Einigen gelang es, zu entkommen, aber die meisten wurden schließlich nach Auschwitz geschafft und dort ermordet.

Am 13. Mai 2005 machten sich wieder Menschen aus Mannheim und Umgebung auf den Weg nach Gurs. Es waren Jugendliche, die mehr wissen wollten über die Geschichte ihrer Stadt und der verschleppten und ermordeten Bürger. In Gurs stießen sie auf die Überreste des Lagers und besuchten den Friedhof, auf dem viele Menschen aus Mannheim begraben liegen. Sie verglichen Namenslisten. Sie trafen sich mit Überlebenden. Das hat sie verändert.

Als sie zurückkehrten, machten sie eine Ausstellung. Bis heute interessieren sich viele Menschen dafür. Und die Jugendlichen schafften es, dass der Stadtrat beschloss, den Wegweiser vor dem Hauptbahnhof zu errichten. Als Zeichen. Zur Erinnerung. Zum Nachdenken. Zum Nachfragen.

Die jüdischen Bürger aus Mannheim, aus den übrigen Teilen Badens und der Saarpfalz gehören zu den Millionen von Menschen, die während des so genannten Dritten Reiches erniedrigt, entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Heute, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, gedenken wir ihrer: der Juden, der Sinti und Roma, der Kranken und Menschen mit Behinderung, der politisch Andersdenkenden und der Homosexuellen und aller, die der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und den deutschen Raub- und Vernichtungskriegen zum Opfer fielen.

„Auschwitz“ – dieser Name ist Inbegriff für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Er steht für den Versuch, ein ganzes Volk auszulöschen. Was uns an Auschwitz erschüttert und fassungslos macht, das ist nicht allein das Ausmaß des Völkermordes. Es ist die fabrikmäßige Rationalität, die Maschinerie. Es sind die Schicksale, die hinter den Opferzahlen stehen – die Lebensgeschichten von Männern, Frauen und Kindern aus ganz Europa, die hier getötet wurden, weil die Nationalsozialisten ihnen das Recht zu leben absprachen.

Die Nationalsozialisten kamen weit mit dem Versuch, das Volk zu vernichten, das nach biblischer Überlieferung von Gott die Zehn Gebote erhalten hat, und sie wollten diese Gebote selbst und den Respekt vor der Heiligkeit des Lebens auslöschen. Sie wollten den Deutschen das Gewissen austreiben. So ist die Schoah mehr als ein ungeheuerlicher Verstoß gegen moralische Prinzipien, die alle Kulturen und Religionen verbinden. Sie ist der Versuch, alle Moral abzuschaffen.

Das Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten hat gezeigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, wie zweischneidig die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik, wie zerbrechlich die kulturellen Sicherungen, auf die wir uns täglich wie selbstverständlich verlassen.

Hitler und seine Leute hätten ihre Verbrechen nicht begehen können, wenn es nicht so viele Mittäter und Mitläufer gegeben hätte: glühende Fanatiker, aber auch „ganz normale Männer“ und Frauen, stumpfe Befehlsempfänger und bedenkenlose Profiteure, in denen uns die Banalität des Bösen begegnet. Und schließlich die vielen, die wegschauten und schwiegen.

Diese Vergangenheit in eine Beziehung zur eigenen Gegenwart und Zukunft setzen und Lehren aus ihr ziehen – das ist der Sinn unseres Erinnerns. Wir erinnern uns aus Respekt vor den Opfern. Wir erinnern uns, um aus der Geschichte zu lernen. Und wir erinnern uns um unserer selbst willen. Denn Erinnerung bedeutet auch: Nach der Wahrheit, nach einem festen Grund für das eigene Leben suchen.

Wer sich der eigenen Vergangenheit nicht stellt, dem fehlt das Fundament für die Zukunft. Wer die eigene Geschichte nicht wahrhaben will, nimmt Schaden an seiner Seele. Das gilt für jeden Menschen. Und ich bin überzeugt: Es gilt auch für Völker und Nationen. Denn nur mit der Erinnerung leben, birgt die Chance, mit sich und anderen ins reine zu kommen.

Die Verantwortung aus der Schoah ist Teil der deutschen Identität. Die Trauer über die Opfer, die Scham über die furchtbaren Taten und der Wille zur Aussöhnung mit dem jüdischen Volk und den Kriegsgegnern von einst – sie führen uns zu den Wurzeln unserer Republik: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So lautet der erste Artikel unseres Grundgesetzes. Dieser Satz ist die Antwort auf die Erfahrung der Hitler-Diktatur. Er ist ein Bekenntnis zu Menschlichkeit und Freiheit.

Es geht um die Frage, wie Menschen – also: wie wir – miteinander umgehen: Wie wollen wir miteinander leben – in unserem Land, in unserer Einen Welt? Wie gelingt es uns, wenn wir einander begegnen, bei all unserer Verschiedenheit nie zu vergessen: Der Andere, das ist ein Mensch. Einzigartig. Gleichwertig. Teil der Schöpfung, wie Du und ich.

Das geht uns alle an: ganz gleich, wann und wo wir geboren sind; ganz gleich, ob wir zur Generation der Kinder, der Enkel oder Urenkel gehören.

Es ist gut, dass Bundespräsident Roman Herzog 1996 den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert hat. Es ist gut, dass die Vereinten Nationen diesen Tag 2005 zum internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt haben – denn die Lehren aus der Geschichte sind wichtig für alle.

Und ich danke Generalsekretär Ban Ki-moon, dass er die Weltgemeinschaft in einer eindringlichen Botschaft auf die Bedeutung dieses Tages hinweist.

Wir Deutsche haben uns unserer Geschichte gestellt. Und wir lassen in unserem Ringen mit ihr nicht nach. Ich bin froh, dass gerade auch junge Menschen weiter Fragen stellen. Sie wollen wissen: Was geschah mit den Juden in unserer Stadt? Was wurde aus den Patienten der örtlichen Psychiatrie? Wie lebten Christen und Juden in den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor 1933 zusammen? Welches Schicksal hatten die überlebenden Opfer nach 1945 – welches die Täter? Und: Wie gehen wir heute mit Minderheiten um? Was können wir dagegen ausrichten, wenn neuer Ungeist sich regt? Diese Fragen sind nicht neu. Aber es ist wichtig, dass sie immer neu gestellt werden.

Fragen wie diese haben vor über 20 Jahren engagierte Bewohner des Bayerischen Viertels hier in Berlin-Schöneberg dazu veranlasst, die Geschichte ihres Wohngebietes zu erforschen, das vor 1933 ein Ort blühenden deutsch-jüdischen Lebens war. Das Ergebnis waren eine Ausstellung, ein Straßenverzeichnis mit über 6.000 Namen und Lebensdaten jüdischer Einwohner und die Errichtung eines ungewöhnlichen Denkmals: 80 Tafeln, verteilt im ganzen Viertel, auf denen der Text antijüdischer Gesetze und Verordnungen abgedruckt ist. Da heißt es zum Beispiel: „Juden dürfen keine Haustiere mehr halten.“ Und auf einer anderen Tafel lesen wir vom Besitzer eines Wellensittichs, der sich von dem Tier nicht trennen konnte. Daraufhin musste er zur Gestapo, und seine Frau berichtet: „Nach vielen angstvoll durchlebten Wochen bekam ich von der Polizei eine Karte, dass ich gegen Zahlung einer Gebühr von 3,- Reichsmark die Urne meines Mannes abholen soll.“

In Landsberg am Lech legten Schülerinnen und Schüler des Ignaz-Kögler-Gymnasiums 1995 die Fundamente eines vergessenen KZ-Außenlagers frei, in dem während des Krieges Hunderte von Juden der so genannten „Vernichtung durch Arbeit“ zum Opfer gefallen waren.

Im Stuttgarter Jugendamt wurde im Jahr 2000 auf Initiative von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Denkmal errichtet, das an die Kinder aus Sinti- und Roma-Familien erinnert, die während der Nazi-Zeit von ihren Eltern getrennt, für Versuche missbraucht und schließlich in Auschwitz ermordet wurden.

In Leipzig haben Bürgerinnen und Bürger die verwischten Spuren jüdischen Lebens in ihrer Stadt wieder sichtbar gemacht: durch eine Ausstellung, im Internet und mit einer CD, die man auch als Stadtführer nutzen kann.

In Darmstadt haben Studenten der Technischen Universität zerstörte Synagogen aus vielen deutschen Städten am Bildschirm rekonstruiert und die Bilder und Pläne im Internet zugänglich gemacht – als Informationsquelle und als virtuelles Denkmal.

Das Bundesarchiv und das Institut für Zeitgeschichte haben vor einem Jahr den ersten Band einer wissenschaftlichen Quellensammlung über die „Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland“ vorgestellt. Darin werden auch viele neu zugängliche Dokumente aus osteuropäischen Archiven veröffentlicht, die unseren Blick für das Ausmaß der Verbrechen in Mittel- und Osteuropa schärfen. Zugleich ist die Sammlung ein Schriftdenkmal für die Opfer, denn sie enthält auch viele private Briefe und Tagebuchaufzeichnungen.

Ungezählte Beispiele wie diese zeigen: Die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten und das Gedenken an die Verfolgten und Ermordeten sind lebendig bei uns.

Viele Erinnerungsprojekte befassen sich auch mit der Geschichte derjenigen, die nicht schwiegen und wegschauten, sondern Verfolgten beistanden. Es berührt uns, wenn wir in den Tagebüchern von Victor Klemperer lesen, wie nichtjüdische Nachbarn und Geschäftsleute ihm und seiner Frau heimlich Lebensmittel zusteckten. Es bewegt uns, bei Hannah Arendt und Arno Lustiger zu lesen, wie der Wehrmachts-Feldwebel Anton Schmid in Wilna Juden vor der Erschießung rettete und dafür zum Tode verurteilt und ermordet wurde.

Ein Lesebuch mit preisgekrönten Aufsätzen von Schülern, das Bundespräsident Johannes Rau herausgegeben hat, setzt solchen Stillen Helden ein Denkmal. Es ist wichtig, dass wir uns an diese mutigen Frauen und Männer erinnern. Sie retteten ihre Mitmenschen. Sie verteidigten die Menschlichkeit.

Wer solche Aufzeichnungen liest und sich von ihnen anrühren lässt, schärft das eigene Gewissen. Millionen von Kindern und Jugendlichen sind mit dem „Tagebuch der Anne Frank“ und Judith Kerrs Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ groß geworden. Zehntausende Menschen kennen den erschütternden Briefwechsel zwischen der nach Auschwitz verschleppten Jüdin Lilli Jahn und ihren Kindern. Und in den vergangenen Jahren gab es auch beeindruckende Versuche für neue literarische Zugänge zu diesem schwierigen Thema. Ich denke zum Beispiel an Art Spiegelmans Bildgeschichte „Maus“ oder die Comic-Reihe des Anne-Frank-Hauses, die auf großes Interesse gestoßen sind.

Die Auseinandersetzung mit dem Naziregime und seinen Verbrechen steht in den Lehrplänen aller Schulformen. Aber Untersuchungen zeigen immer wieder, dass es mit dem Geschichtswissen bei unseren jungen Leuten nicht zum Besten steht. Das betrifft nicht allein ihr Wissen über die erste deutsche Diktatur und den Holocaust; aber da ist der Befund besonders bedrückend. Wie passt das zusammen? Fehlt es da an Unterrichtszeit, an guten Büchern und Filmen, an pädagogischen Hilfen für die Lehrer? Fehlt es an Zusammenarbeit mit außerschulischen Geschichtsprojekten, die es doch fast überall längst gibt?

Ich sehe hier eine gemeinsame Aufgabe für alle in Deutschland, denen die Zukunft der Erinnerung (Roman Herzog) wichtig ist. Sie sollten zusammenfinden und zusammen arbeiten. Wir wollen dafür viele Wege bahnen, und für junge Menschen auch viele Wege außerhalb des Klassenzimmers. Wir wollen erreichen, dass alle Schulen in ihrem Umfeld gute Partner für den Geschichtsunterricht finden können.

Die Anstrengung lohnt sich, das wissen alle Lehrerinnen und Lehrer, die sich in diesem Bereich schon engagieren und denen ich an dieser Stelle von Herzen danke. Die Anstrengung lohnt sich auch deshalb, weil diese historische Bildung zugleich ein Baustein für die Humanität der Gesellschaft ist, in der wir morgen leben werden.
Das Ziel ist hoch gesteckt: Wir wollen erreichen, dass die Seele jedes Menschen berührt wird vom Leid der Opfer, vom Mut der Helfer und von der Niedertracht der Täter.

Das ist unser gemeinsamer Auftrag.

Immer wieder haben mir Jugendliche berichtet, wie sehr ihr Interesse an Geschichte, ihr Engagement und ihr Verantwortungsbewusstsein für ein gutes Miteinander gerade dadurch beflügelt wurden, dass sie den Spuren der Vergangenheit in ihrem heutigen Alltag nachgingen, dass sie zum Beispiel das Schicksal jüdischer Schüler an ihrer eigenen Schule erforschten und mit Zeitzeugen darüber sprachen, wie damals eine Minderheit ausgegrenzt und verteufelt wurde, und dass sie schließlich überlegten: Wie kann ich das, was ich erfahren und gelernt habe, meinen Mitschülern vermitteln – auch denen, die nichts davon wissen wollen?

Es gibt viele gute Beispiele für Initiativen, die den Schulunterricht ergänzen und vertiefen können und deren Erfahrungen möglichst allen zugänglich sein sollten. Ich denke etwa an das Projekt „step21“, das Jugendliche zu Zivilcourage, Aufgeschlossenheit und Toleranz erziehen will, oder an die Arbeitsgemeinschaft „Spurensuche“ der Jakob-Grimm-Schule in Rotenburg an der Fulda, die im Internet die Geschichte der Juden in der Region seit dem 13. Jahrhundert vorstellt. Oder an die Schüler aus Apolda in Thüringen und Mühlheim am Main in Hessen, die seit der friedlichen Revolution in der DDR jedes Jahr gemeinsam nach Auschwitz fahren. Im ehemaligen Konzentrationslager helfen sie bei Erhaltungsarbeiten, sie betreiben eigene Recherchen und lassen die Eindrücke dieses Ortes auf sich wirken. Einen Teil ihres Aufenthalts verbringen sie in den Familien von Schülern einer polnischen Partnerschule. So verbindet sich Erinnerungsarbeit mit Völkerverständigung – und junge Menschen lernen fürs Leben.

Ich wünsche mir, dass die vielen guten Erinnerungsprojekte, die es in unserem Land bereits gibt, immer neue Nachahmer und Nachfolger finden. Ich wünsche mir, dass vor allem junge Menschen weiter auf Spurensuche gehen und sich darum bemühen, den Opfern und den Tätern Namen und Gesicht zu geben – dort, wo sie gelebt und gearbeitet haben; dort, wo sie unsere Nachbarn hätten sein können.

Wir brauchen viele „Stolpersteine“ und immer wieder neue, die unseren Alltag unterbrechen. Und wir brauchen auch die Kraft der Künstler, die Auseinandersetzung mit dem Unfassbaren immer wieder neu anzustoßen.

Die Zeit wird kommen, in der kein Mensch mehr am Leben sein wird, der aus eigener Erfahrung über die Jahre vor 1945 berichten kann. Deshalb ist das Gespräch der Zeitzeugen mit den Nachgeborenen so wichtig. Denn eines Tages werden die jungen Menschen, die heute den Alten zuhören, die unmittelbarsten Träger der Erinnerung in Deutschland sein.

Zur Vorbereitung auf diese Rede habe ich vor ein paar Tagen mit Jugendlichen gesprochen und sie gefragt, wie sie die Zukunft der Erinnerung sehen. Ein Schüler aus Berlin, der einen Film mit Überlebenden gedreht hat, sagte mir: „Jetzt sind wir die Zeugen der Zeitzeugen. Wenn uns unsere Enkelkinder eines Tages fragen, gibt es viel, was wir ihnen erzählen können.“

Diese Antwort hat mir Zuversicht gegeben. Sorgen wir dafür, dass es immer viel gibt, was junge Menschen in Deutschland über die Untaten der Nationalsozialisten wissen und zu erzählen haben.

Ich danke den Menschen, die sich am heutigen Tag überall in unserem Land und auf der ganzen Welt versammeln, um der Ermordeten zu gedenken. Und ich danke auch den Rednern, die in den vergangenen Jahren bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag eindrucksvolle Worte gefunden haben. Viele von ihnen waren Zeitzeugen, die über ihr eigenes Erleben und Erleiden berichtet haben. Ihre Botschaft ist kostbar für uns. Wir werden sie weitertragen. Und vielleicht können wir an dieser Stelle in den nächsten Jahren einmal einen jungen Menschen hören, der berichtet, was Erinnerung für ihn und seine Generation bedeutet.

Erinnerung stiftet Vertrauen. Michaela Vidlakova aus Prag war als Kind sechs Jahre lang im Konzentrationslager Theresienstadt eingesperrt. Nach der Befreiung schwor sie sich, nie wieder ein Wort Deutsch zu sprechen. Im vergangenen Jahr kam sie nach Berlin, zum 50. Jahrestag der Gründung der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, und hielt eine Rede.

Sie sprach auf Deutsch, und ihre ersten Worte waren: „Liebe Freunde“. Und dann sprach sie davon, wie wichtig für die Holocaust-Überlebenden in Prag die Begegnung mit Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen ist – weil diese jungen Deutschen ihnen das Gefühl vermitteln, dass das Bekenntnis „Nie wieder!“ für sie keine Floskel ist.
Ich bin dankbar dafür, wenn ich erlebe, wie Juden und Angehörige anderer Opfergruppen uns die Hand zur Versöhnung reichen. Ich bin froh darüber, dass die Präsidenten der Lagergemeinschaften der ehemaligen Konzentrationslager heute hier sind.

Es ist ein Geschenk, dass heute in Deutschland wieder jüdisches Leben erblüht, dass die jüdischen Gemeinden wachsen, dass Rabbiner bei uns ausgebildet und neue Synagogen gebaut werden. Aber dass die Orte jüdischen Lebens von der Polizei vor alten und neuen Extremisten geschützt werden müssen, das ist eine Schande. Stellen wir uns an die Seite unserer jüdischen Landsleute. Wer sie angreift, greift uns alle an.

Die größten Feinde der Erinnerung sind die Verdrängung und die Lüge. Wir dürfen nicht zulassen, dass Holocaust-Leugner und Extremisten aller Art in unserem Land Beifall oder auch nur Verständnis finden. Wer gegen Juden und andere Minderheiten hetzt, wer Anderen die Menschenwürde abspricht, hat nichts aus unserer Geschichte gelernt. Treten wir solchen Leuten entschieden entgegen. Gestatten wir es ihnen nicht, Deutschlands Namen zu beflecken.

Bei meinem Besuch in Israel im Jahr 2005 war ich auch in Sderot. Viele kennen den Namen dieser Stadt im Süden Israels aus den Nachrichten. Seit Jahren schlagen dort immer wieder Raketen ein, die aus dem benachbarten Gaza-Streifen abgefeuert werden. Ich habe bei diesem Besuch die Atmosphäre der Angst und der Bedrohung gespürt, unter der die Menschen leiden: das bange Warten auf den Sirenenton, das beständige Ausschauhalten nach dem nächsten Bunker am Straßenrand oder auf dem Schulhof. Das ist Terror.

Doch auch die vielen Toten und Zerstörungen des Krieges im Gaza-Streifen sind Teil eines Teufelskreises der Gewalt, der endlich gebrochen werden muss. Die Welt muss jetzt zusammenstehen, damit Frieden im Nahen Osten möglich wird. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung aktiv in diesen Prozess einbringt.

Deutschland steht mit seiner Geschichte in besonderer Verantwortung für Israel. Wir Deutsche wollen, dass die Bürger Israels in sicheren Grenzen frei von Angst und Gewalt leben können. Und wir wollen, dass das palästinensische Volk in einem eigenen lebensfähigen Staat seine Zukunft finden kann.

Damit im Nahen Osten endlich Frieden möglich wird, braucht es Realismus und Mut – auch den Mut, an Wunder zu glauben und dafür zu arbeiten, dass sie Wirklichkeit werden. Menschen, die diesen Mut haben, habe ich neulich kennen gelernt, hier in Berlin beim Konzert des von Daniel Barenboim und Edward Said 1999 gegründeten West-Eastern Divan Orchestra. Es waren junge Musiker aus Israel und Palästina. In der Pause sprach ich mit einigen. Sie standen zu ihren unterschiedlichen Meinungen. Sie verleugneten nicht ihre Herkunft. Und doch fanden sie in einer Erklärung auch zu Gemeinsamkeit. Zwei Sätze aus der Erklärung will ich hier zitieren:

„Wir, die Mitglieder des West-Eastern Divan Orchestra, sind überzeugt davon, dass es keine militärische Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt gibt.“

„Wir streben nach völliger Freiheit und Gleichheit zwischen Israelis und Palästinensern – das ist die Basis, auf der wir heute zum gemeinsamen Musizieren zusammenkommen.“

Ich finde, diese beiden Sätze zeigen auch: Frieden im Nahen Osten ist keine Utopie. Lassen wir uns von dieser Botschaft anstecken.

Die Nationalsozialisten wollten eine Welt schaffen, in der es keine Anderen mehr geben sollte: keine Andersdenkenden und Andersfühlenden, keine Kranken und Schwachen und auch nicht diejenigen, die man zwang, den Judenstern zu tragen.

Eines der bekanntesten Bilder des ermordeten Felix Nussbaum ist ein Selbstporträt, das er wenige Monate vor seiner Verhaftung gemalt hat. Es zeigt unter düsterem Himmel eine hohe Mauer und davor einen ernsten Mann, der den Stern trägt und dem Betrachter seinen Ausweis entgegenhält. Geburtsdatum und Geburtsort sind ausradiert. Bei „Nationalität“ steht „ohne“. Geblieben sind nur der Name, das Passbild und in großen roten Buchstaben die Worte „Juif – Jood“ – Jude, die für Nussbaum und Millionen von Leidensgenossen das Todesurteil bedeuteten.

Auch heute werden Menschen auf ihre Abstammung, ihre Herkunft oder andere äußerliche Merkmale reduziert und verächtlich gemacht. Auch nach Auschwitz gab und gibt es Versuche, Menschen und ganze Völker zu vernichten. In Ruanda, in Darfur, in Bosnien und anderswo.

„Es vergeht kein Jahr ohne ein Srebrenica irgendwo auf der Welt.“ schrieb der polnische Journalist Konstanty Gebert, nachdem er 1995 Tadeusz Mazowiecki durch das frühere Jugoslawien begleitet hatte. „Könnte es daran liegen“, so Gebert weiter, „dass wir Auschwitz als Museum ansehen, in dem man die Vergangenheit studieren kann – nicht als einen Ort, an dem wir mit unserer Gegenwart und Zukunft konfrontiert sind?“

Für uns Deutsche darf diese Vergangenheit nicht zum Museum werden. Das Geschehene bleibt Teil unserer Gegenwart, und die Lehren aus der Vergangenheit gehören zum Fundament unseres Selbstverständnisses als Nation.

Herr Bundestagspräsident, meine Damen und Herren, ich möchte heute das Versprechen ablegen: Wir Deutsche werden die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Gedenken an die Opfer wach halten. Wir sehen einen Auftrag darin. In unserem Einsatz und in unserer Arbeit für die Freiheit, für die Menschenrechte und für Gerechtigkeit. Für die Seelen der Toten. Und für unsere eigenen.

Demonstration gegen homophobe Gewalt (akt.2)

Mehrere Hundert Schwule und Lesben demonstrierten in Schöneberg gegen homophobe Gewalt. Politiker aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien riefen zu gesellschaftlichem Engagement gegen Homophobie auf.

In Anwesenheit von Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, fand am Samstag, 24.01.2009 eine Mahnwache mit Kundgebung und anschließender Demonstration gegen homophobe Gewalt statt. Konkreter Anlass war ein Vorfall am 21. Januar, bei dem ein junger Mann im Nollendorf-Kiez von Angreifern lebensgefährlich verletzt worden war.

Bei der Kundgebung sprachen Sebastian Finke (Maneo), Mechthild Rawert (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages), Sascha Steuer (CDU, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin), Stefan Liebich (LINKE, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin), Thomas Birk (Grüne, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin) und Markus Löning (FDP, Mitglied des Bundestages).

Mechthild Rawert betonte, Homophobie müsse gesellschaftlich begegnet werden. Derartige Attacken seien ein Angriff auf eine freie Gesellschaft und eine Herausforderung für alle. Sie forderte unter dem Beifall der Teilnehmer erneut, die sexuelle Identität mit in das Grundgesetz aufzunehmen.

Sascha Steuer hob ebenfalls hervor, dass es sich hier nicht nur um einen Angriff auf einzelne handele, sondern auf die freie Gesellschaft als Ganzes. Niemand könne hier aus seiner Verantwortung entlassen werden. Er appellierte an die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, beim Thema Umgang mit Homophobie zusammen zu arbeiten und sich gemeinsam zu engagieren.

Stefan Liebich wies darauf hin, dass -so notwendig ein Eingreifen des Staates gegen homophobe Gewalttäter sei- der Homophobie doch gesellschaftlich begegnet werden müsse. Es gehe nicht darum, sich gegen einzelne Gruppen zu wenden – Gewalt sei niemals zu tolerieren, egal von wem sie ausgeübt werde. Gegen Schwulenfeindlichkeit dürfe nicht nur mit Mahnwachen reagiert werden, jeder sei aufgefordert auch im Alltag gegen Homophobie einzutreten.

Thomas Birk forderte ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Homophobie, an dem sich nicht nur Schwule und Homosexuellen-Organisationen beteiligen sollten.

Markus Löning forderte, die Arbeit an Schulen zu intensivieren. Insbesondere gelte es darauf zu achten, dass die vorhandenen Unterrichtsmodule zu Homosexualität auch gelehrt würden. Auch er betonte, Toleranz sei nicht nur ein Thema für Sonntagsreden, sondern im täglichen Leben zu leben.

An die Mahnwache und Kundgebung schloss sich eine Demonstration durch den Nollendorf-Kiez an, die bis zum Nollendorf-Platz führte. Die Veranstalter schätzten die Zahl der Teilnehmer auf über 500 (Polizeischätzung 400).

Die Mahnwache gegen homophobe Gewalt, nur 48 Stunden vorher angekündigt, kann sicher als Erfolg betrachtet werden. Politiker aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien entsandte sofort Sprecher, und die Zahl von 500 Teilnehmern ist angesichts des kurzen zeitlichen Vorlaufs beachtlich.
Bemerkenswert: die beiden Fugblätter zur Ankündigung der Demonstration (die vorab im Viertel verteilt wurden) hingen bei einem Großteil der schwulen Kneipen, Bars, Geschäfte nicht im Fenster – wohl aber z.B. beim Nachbarschafts-Kiosk. Manche Gaststätte homosexueller Natur zog es vor, statt für die Kundgebung gegen Homophobie lieber für eine ‚Gay Wedding Messe‘ zu plakatieren …

siehe auch
SamstagIstEinGuterTag: Die Szene wehrt sich – 500 bei Demo gegen homofeindliche Gewalt
Tagesspiegel24.01.2008: 500 Menschen protestieren gegen Überfall auf Homosexuellen
Tagesspiegel 26.01.2008: Angst im schwulen Kiez
taz: Protest gegen Homophobie
SZ: Von wegen Toleranz
Handelte es es sich doch nicht um einen homophoben Überfall? SamstagIstEinGuterTag: doch kein schwulenfeindlicher Hintergrund? queer.de: kein schwulenfeindlicher Hintergrund?
oder doch? Maneo: Übergriff hatte „homophobe Intention“
„If you’re homophobic, you must be an immigrant?“
Siegessäule 13.2.2009: Doch kein homophober Überfall?
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Heile Homo-Welt Nollendorfplatz? – ‚reclaim the Kiez‘

Ein 23jähriger junger Mann ist vor einer schwulen Bar in Berlin-Schöneberg zusammengeschlagen worden. Schwer verletzt, musste er u.a. wegen Schädelfraktur und massiver Gesichtsverletzungen notoperiert werden. Das Antigewaltprojekt Maneo geht von einem gezielt antischwulen Angriff aus; bei den Tätern soll es sich um Männer osteuropäischer Herkunft gehandelt haben.

Berlins Schwulen- und Lesbenszene reagiert bestürzt. Erst kürzlich war erneut das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschädigt worden. Nun eine weitere Eskalation homophober Gewalt? Eine ganze ‚Welle‘, wie der LSVD formuliert?
Stammtisch-Debatten auf schwulen Internetseiten faseln bereits von ‚mehr Polizei‘, ‚akuter Sicherheitsplan‘, ‚hart durchgreifen‘, ‚Elektroschockern‘, versteigen sich in Demagogie, rechtspopulistischen Parolen und Phantastereien.

Gewalt ist auch im Nollendorf-Kiez keine neue Erscheinung. Es hat sich atmosphärisch etwas verändert – ‚Heile Homo-Welt Nollendorf‘ – vielleicht bei Tage, vielleicht bei den schwul-lesbischen Hochämtern wie Ostertreffen, CSD, Straßenfest.
Aber längst schon nicht immer. Bereits seit längerem hört man von abendlichen Kneipenbesuchern Klagen über Belästigungen, Rüpeleien, verbale Gewalt auf der Motzstrasse und im umliegenden Kiez. Und so bestürzend es ist, es ist auch nicht das erste Mal, dass im Nollendorf-Kiez jemand angegriffen, verletzt, krankenhausreif zusammengeschlagen wird.

Heile Homo-Welt Nollendorfplatz – ein ‚krimineller Brennpunkt‘?
Ist ein ‚reclaim the Kiez‘ Motto der Stunde?

Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die ‚Flucht‘ des ‚Café PositHiv‘ aus der Alvenslebener Straße vor einigen Jahren. Auch hier waren Gewaltattacken aus der Nachbarschaft einer der Hintergründe (es gab auch andere, Zivilcourage könnte einer gewesen sein). Gewaltattacken bei denen mir letztlich unklar blieb, ob sie serophob (gegen HIV-Positive) oder homophob (gegen Schwule) waren. Oder gar ’nur‘ allgemein xenophob? Im Sinne von ‚wir leben hier, wir verteidigen unser Viertel gegen ‚das Fremde‘, und das seid in diesem Fall ‚ihr‘?

Klaus Wowereit könnte mit seinem (über Homophobie hinausreichenden) Hinweis, Offenheit und Toleranz zu verteidigen, so verkehrt nicht liegen.

Und – ‚verteidigen‘ hat mehr Seiten als ’nur‘ nach mehr Rechtsstaat und mehr Polizeipräsenz zu rufen. Jeder kann sich fragen – was tun wir, was tue ich, was tust du, um Offenheit und Toleranz zu verteidigen? Um Stimmungsmache, neue Feindbilder, Eskalation zu verhindern? Um Toleranz und Zivilcourage selbst zu leben?

Berlin: Mahnwache gegen homophobe Gewalt

Mit einer Mahnwache und einer Demonstration protestieren heute Schwule und Lesben in Berlin gegen homophobe Gewalt in der Stadt.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, gegen 01:30 Uhr, wurde im Berliner Homo-Kiez um den Nollendorf-Platz ein 23-jähriger Mann von vier bis fünf bisher unbekannt gebliebenen Männern zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt.

Berliner Schwule und Lesben reagieren am Samstag, 24. Januar (12:00 Uhr, Eisenacher Straße Ecke Kleiststraße) mit einer Mahnwache mit anschließendem Zug durch das Viertel. Aufgerufen zur Mahnwache hatten LSVD und Maneo.

Der LSVD erklärte im Vorfeld der Mahnwache:

„Innerhalb kurzer Zeit erlebte Berlin eine ganze Welle homophober Gewalt, beinahe monatlich haben wir Anschläge und brutale Übergriffe hinnehmen müssen: Die Anschläge auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im August wie auch im Dezember. Die Attacke auf einen offen schwulen Mann, die mit einem Kieferbruch endete im Oktober, der brutaler Angriff auf 2 lesbische Frauen im November, ein Ende scheint nicht in Sicht.“

Der Regierende Bürgeremeister Klaus Wowereit verurteilte die homophobe Gewalt:

„Die Gewaltakte der vergangenen Tage zeigen ebenso wie die Anschläge auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, dass Feindseligkeit gegen Lesben und Schwule in unserer Stadt leider nach wie vor ein virulentes Problem ist. Berlin ist und bleibt aber eine offene und tolerante Metropole, auch wenn es immer wieder Leute gibt, die gegen dieses Prinzip militant und gewaltsam verstoßen. Offenheit und Toleranz müssen dort, wo gegen diese Prinzipien verstoßen wird, mit allen rechtstaatlichen Mitteln verteidigt werden. Die Ermittlungsbehörden arbeiten daran, die Täter ausfindig zu machen und einem Strafverfahren zuzuführen. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, Courage zu beweisen und Gesicht zu zeigen gegen Intoleranz und Gewalt.“

Als Redner treten bei der Mahnwache vor Ort auf

– Mechthild Rawert (SPD) – Mitglied des Deutschen Bundestages
– Sascha Steuer (CDU) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Stefan Liebich (LINKE) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Thomas Birk (Grüne) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Markus Löning (FDP) – Mitglied des Bundestages

weitere Informationen:
Senatskanzlei: Wowereit verurteilt Angriff auf Homosexuelle
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Friedrich Enchelmayer – homosexuellen NS-Opfern wieder ein Gesicht geben

Homosexuelle zählen zu den ‚vergessenen und verdrängten Opfern des Nationalsozialismus‘. Oft ist nur wenig über ihre Geschichte bekannt. In Stuttgart versuchen nun engagierter Bürger und Angehörige, schwulen NS-Opfern wieder ein Gesicht, eine Geschichte zu geben.

Immer noch ist nicht viel bekannt über das Schicksal der meisten Männer, die von den Nazis als Homosexuelle verfolgt wurden. Nur in wenigen Ausnahmen gibt es detailliertere Zeitzeugen-Berichte, verfassten schwule Männer, die von den Nazis verfolgt und verhaftet wurden, später Bücher, Artikel oder andere Berichte.

Das Schicksal der meisten von den Nazis verfolgten, verhafteten und oftmals ermordeten Homosexuellen bleibt bisher im Dunkel. Homosexuelle – vergessene Opfer des Nationalsozialismus, die auch nach 1945 weiterhin zu Opfern gemacht wurden.
Nicht nur gab es vom Staat keine Unterstützung, gar Anerkennung, dem Staat, der ihnen lange Anerkennung als NS-Opfer, Rehabilitierung und Entschädigung verweigerte. Vielmehr schwiegen viele Betroffene auch nach 1945 aus Scham – oder auch aus Angst vor den Reaktionen ihre Umfelds, ihrer Verwandten, ihrer Nachbarn.

Erst langsam kommt Licht in das Dunkel der Geschichte vieler in der NS-Zeit verfolgter Homosexueller.
Oft ist dabei Anlass oder ‚Unterstützer‘ das im Mai 2008 eingeweihte Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, durch das auch Rudolf Brazda als vermutlich einer der letzten noch lebenden in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen sich zu Wort meldete.

Oder auch mutige und aufgeschlossene Nachfahren. Wie jetzt in der Stadt Eßlingen am Neckar.

Friedrich Enchelmayer landete wegen „widernatürlicher Unzucht mit Männern“ im KZ – Großnichte sucht Detail“ titelt die „Eßlinger Zeitung“. Und berichtet von eben diesem Friedrich Enchelmayer, einem der zahlreichen bisher namen- und geschichtlosen homosexuellen Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung.

Der 1908 geborene Enchelmayer erlebte, erlitt früh die verschiedene Stufen der NS-Homosexuellen-Verfolgung. „Von 29. Mai 1934 bis 19. April 1935 verbüßte er eine Strafe wegen ‚widernatürlicher Unzucht mit Männern‘, wie das Urteil im damaligen Chargon hieß. Danach begab er sich wegen seiner Homosexualität in ärztliche Behandlung und führte auch zwei Jahre eine Beziehung mit einer Frau, mit der er sich verlobte.“

Seine Großnichte Suse berichtet über sein weiteres Schicksal: „Am 8. Dezember 1937 wurde mein Großonkel erneut wegen eines Vergehens gegen Paragraf 175 zu zwei Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt. Er kam am 1. Juni 1940 ins KZ Dachau und wurde am 3. September 1940 als befristeter Vorbeugehäftling nach Sachsenhausen überstellt.“
Kurze Zeit später wurde er nach Neuengamme überstellt, wo er am 9. November 1940 im Alter von 32 Jahren starb – an ‚Herzversagen‘, wie die KZ-Akten lakonisch und vermutlich verfälschend vermerken.

Seine Großnichte versucht nun, noch mehr Licht in das bisherige Dunkel um das Schicksal ihres Großonkels zu bringen – und in das weiterer homosexueller NS-Opfer aus der Region Stuttgart. Sie engagiert sich im ‚Arbeitskreis Rosa Winkel‚, der „es sich zur Aufgabe gemacht [hat], diese Verbrechen des Faschismus in geeigneten Formen sichtbar zu machen“.

„Friedrich Enchelmayer landete wegen ‚widernatürlicher Unzucht mit Männern‘ im KZ – Großnichte sucht Detail“
Eßlinger Zeitung online vom 08.01.2009

Gewalt ist kein ethnisches Problem, sondern ein soziales

Welche Ursachen hat Jugendgewalt? Ist sie ein ethnisches oder ein soziales Problem? Und wie damit, wie mit homophober Gewalt umgehen? Gedanken des Sozialforschers Bernd Holthusen sowie der Künstler Elmgreen/Dragset, Schöpfer des ‚Homo-Mahnmals‘.

Der Sozialforscher Bernd Holthusen (Deutsches Jugendinstitut München) äußerte sich Ende Dezember 2008 zur Frage der Jugendgewalt.

Auf die Frage „Sind vor allem junge Ausländer gewalttätig, wie viele behaupten?“ antwortet Holthusen der SZ:

„So pauschal ist diese Aussage nicht richtig. Es gibt ja nicht ‚die jungen Ausländer‘, sondern vielmehr unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen mit sehr unterschiedlichen Migrationshintergründen. Hier gilt es, sehr genau zu differenzieren. Sowohl in den Hellfeldstatistiken, als auch in verschiedenen empirischen Dunkelfeldstudien zeigen sich stärkere Gewaltbelastungen in bestimmten Gruppen. Zunächst muss konstatiert werden, dass Jungen häufiger mit Gewalt auffallen als Mädchen. Auch zeigen sich Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund in einer Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wesentlich stärker belastet als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Diese Jugendlichen haben auch häufiger selbst Gewalt in der Familie erfahren oder beobachten müssen, und sie stimmen gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen eher zu. Gleichzeitig zeigen die Studien aber auch, dass diese Jugendlichen häufiger an Hauptschulen sind und aus sozial belasteten Familien stammen. Werden diese Faktoren berücksichtigt, also Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund aus ähnlichen sozialen Verhältnissen, relativieren sich die Unterschiede. Verkürzt könnte man sagen: Gewalt ist kein ethnisches Problem, sondern eines der sozialen Lage.“

Bernd Holthusen, Sozialforscher, im Interview in der SZ (Teil ‚München/Bayern‘) am 29.12.2008 im Artikel „Vor einem Jahr wurde ein Pensionär in der U-Bahn halbtot geprügelt – ‚Jugendgewalt ist kein ethnisches Problem‘ – Sozialforscher Bernd Holthusen über Schläger wie Serkan A. und die schwierige Rolle der Hauptschulen“.

Michael Elmgreen und Ingar Dragset, Schöpfer des bereits mehrfach beschädigten Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen,  äußern sich in ‚Cicero online‘ zur Frage homophober Gewalt.

„Für die Angriffe der letzten Zeit wurden häufig Jugendliche mit Migrantenhintergrund verantwortlich gemacht…
Dragset: Ich finde es sehr gefährlich, das so auf eine Gruppe zu beschränken. Man kann auf keinen Fall sagen, dass Homophobie nur mit Herkunft oder Religion zu tun hat.
Elmgreen: Ich glaube, Berlin hat in den letzten Jahren einige soziale Umwälzungen erlebt. … Ich glaube, dass das ein soziales Problem ist, das vor allem mit Arbeitslosigkeit und niedriger Bildung zu tun hat, vielleicht auch mit religiösen Überzeugungen, aber sicherlich nicht in erster Linie.“

Und weiter:

„Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfahren haben, dass das Mahnmal beschädigt worden ist?
Dragset: Wir waren nicht überrascht.
Elmgreen: Das Video in dem Mahnmal zeigt zwei Männer, die sich leidenschaftlich küssen. Das Mahnmal wird – zum Glück! – nicht bewacht. Es hat eine Menge mediale Aufmerksamkeit erfahren, als es eröffnet wurde. Und es ist ein akzeptierter Teil der Stadt geworden. Natürlich wird sich irgendjemand davon provoziert fühlen, der dann glaubt, er müsste irgendwie zeigen, dass er anders denkt. Aber natürlich war dieser Angriff auf das Mahnmal ziemlich dämlich: denn danach wurde es noch mehr beachtet, es wurde noch mehr darüber geschrieben und noch mehr Leute wurden so darauf aufmerksam gemacht. Der Effekt war also kontraproduktiv. Und ich finde es sowieso besser, wenn diese Leute das Mahnmal kaputtmachen, als wenn sie schwule Männer angreifen.
Dragset: An dem Montag nach dem Angriff gab es eine große Demo, und es waren sogar mehr Politiker da als bei der Eröffnung. Und bisher ist ja auch nichts weiter passiert. Wir nehmen das mit Gelassenheit, wir kennen das auch von anderen Aktionen: Dinge passieren, es wird immer Leute geben, die etwas gegen Kunst im öffentlichen Raum haben, diese Werke sind einfach exponierter und damit auch verletzlicher.“

Auch wenn Holthusen sich in dem SZ-Interview allgemein zu Jugendgewalt, nicht explizit zu homophoben Gewaltattacken äußert – der Hinweis, dass nicht ethnische Fragen sondern die soziale Lage im Vordergrund stehen, könnte (statt manches Mal nur mühsam verborgener Ausländerfeindlichkeit) auch in der Debatte um Gewalt gegen Schwule und Lesben stärker berücksichtigt werden – auch von homosexuellen Mit-Diskutanten.

Elmgreen/Dragsets Appell zu einer gewissen Gelassenheit überzeugt – Angriffe gegen das ‚Homo-Mahnmal‘ rein als ethnisches Problem zu betrachten könnte sich nur zu schnell als Sackgasse erweisen. Zudem – Gewalt-Akte gegen das Denkmal machen auch sichtbar, dass homophobe Gewalt immer noch Realität, Handeln erforderlich ist.

Josef schwul, Maria lesbisch – und Jesus?

Skandal in den Niederlanden … eine Krippe auf dem Amsterdamer Weihnachtsmarkt, in der Joseph als schwul und Maria als lesbisch dargestellt wird, in der Schwule und Lesben in ‚erotischer Kleidung‘ darghestellt werden, fhrt zu aufgeregten Debatten über das Verhältnis von Homosexualität und Religion. Berichten die Zeit sowie der Tagesspiegel in ihren Ausgaben vom 22.12.2008 (online).

Wird da eine saisonale Kuh durch das Dorf medialer Aufregung getrieben? Wer zwingt konservative Christen dazu, sich diese Krippe auf einem als „Rosa Weihnacht“ deklarierten Weihnachtsmarkt für Lesben und Schwule anzusehen? Fragen über Fragen, über die die Weihnacht den Mantel des Schweigens hüllen möge …

Homo-Denkmal am 16.12.2008 erneut beschädigt (akt.)

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ist erneut beschädigt worden.

Am Dienstag Morgen (16.12.2008) bemerkten Polizisten, dass das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erneut beschädigt wurde. Die Glasscheibe, durch die die Kuß-Szene betrachtet werden kann, wurde vermutlich mit einem Stein beschädigt und weist nun Risse auf.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen kurz vor seiner offiziellen Eröffnung im Mai 2008
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen kurz vor seiner offiziellen Eröffnung im Mai 2008

Da die Polizei einen politischen Hintergrund nicht ausschließt, wurde der Staatsschutz in die Ermittlungen eingeschaltet.

Nur wenige Wochen nach seiner Einweihung war das Homo-Denkmal am 16. August 2008 erstmals beschädigt worden, schon bald hieß es jedoch ‚es wird wieder geküsst‚.

Nach der erneuten Beschädigung erklärte Volker Beck, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen: „Der erneute Anschlag zeigt, wie präsent Homophobie in Deutschland noch ist. Es darf in Deutschland keine Toleranz für Gewalt und Hass gegen Minderheiten geben. Dass zwei küssende Männer – wie im Mahnmal gezeigt – Wut und Gewalt hervorrufen, macht fassungslos und mahnt uns alle zu mehr Aktionen und Aufklärung gegen Homophobie.“

Der LSVD Berlin-Brandenburg ruft für den kommenden Freitag (19. Dezember 2008) um 12.30 Uhr zu einer Mahnwache am Denkmal auf, um gegen die verbreitete Homophobie zu protestieren.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen war erst im Mai 2008 eingeweiht worden.

Die erneute Beschädigung des Denkmals zeigt, dass es schon kurz nach seiner Einweihung neben dem primären Zweck (dem Gedenken an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen) eine weitere, vielleicht ungeplante Funktion übernommen hat: sicht- und erlebbar zu machen, dass es auch heute noch, und häufiger als oftmals eingestanden, Homophobie in unserer Gesellschaft gibt, und dass diese Homophobie gewaltbereit ist.
Gegen die Beschädigungen jetzt mit permanentem Wachschutz oder gar Video-Überwachung zu reagieren, wie es von einigen gefordert wird, hielte ich für verfehlt, mindestens für verfrüht (Videoüberwachung? früher beschwerten wir uns über Repression und Überwachung, ich erinnere nur an die ‚Spiegel-Affäre‘, die Hamburger Klappen-Überwachung… sollten Schwule und Lesben da tatsächlich unüberlegt, aus einem momentanen Reflex heraus für mehr Überwachung, für Abbau von Privatsphäre eintreten?). Mir scheint es besser, diese Beschädigungen immer wieder als das zu thematisieren, was sie sind: eine Aggression gegen das freie Leben schwuler und lesbischer Menschen in Deutschland. Mahnwachen, die Behandlung dieser Beschädigungen in den Medien, die Thematisierung in der Politik – diese und ähnliche Maßnahmen bewirken m.E. mehr, als wenn diese homophoben Vorfälle zwar aufgrund von Sicherheits-Maßnahmen nicht hier geschehen würden, wohl aber an anderen, weniger sichtbaren, von der Öffentlichkeit weniger bemerkten Stellen.
Gelassenheit, Ausdauer – und gleichzeitig Standhaftigkeit und aktives Eintreten für das Denkmal scheinen mit die gebotenen Strategien gegen homophobe Gewaltakte.

Nachtrag
Über die erneute Beschädigung berichten u.a. auch samstag ist ein guter tag, queer, Tagesspiegel, shaveskin, rbb online, Poz and Proud, pinknews,

17.12.2008: „Das ist traurig, schrecklich traurig. Einige sind wohl unbelehrbar. Sie werden es offenbar nie akzeptieren, dass es Menschen gibt, die von Natur aus anders sind als sie. Erst das Attentat auf den Polizisten in Passau, nun erneut ein Anschlag auf das Homosexuellen-Denkmal. Und das nach der Nazi-Hölle, durch die wir alle gegangen sind. Sauhunde sind das! Aber das Nazi-Pack ist offenbar nicht totzukriegen. Das sind Verbrecher, das bleiben Verbrecher“, zitiert blu.fm Rudolf Brazda, einen der letzten homosexuellen KZ-Überlebenden.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit nimmt an der Protestkundgebung am Freitag 19.12.2008 teil
19.12.2008: Bundespräsident Köhler verurteilt Anschlag auf Homo-Denkmal