Das Landgericht Augsburg hat die Klagen zweier heroinabhängiger Häftlinge auf eine Substitutionsbehandlung zurückgewiesen.
Die Justizvollzugsanstalt Kaisheim habe die Behandlung zu Recht abgelehnt, heißt es in den bisher unveröffentlichten Beschlüssen vom 28.3.2012. Die Substitution der Gefangenen – einer davon HIV-positiv und mit dem Hepatitis-C-Erreger HCV infiziert – sei medizinisch nicht angezeigt.
Dazu erklärt Sylvia Urban, Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH):
„Die Substitution steht den Gefangenen nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zu. Wie in bayerischen Haftanstalten üblich, wird ihnen aus ideologischen Gründen eine wirksame Behandlung vorenthalten. Das schädigt ihre Gesundheit und möglicherweise auch die Gesundheit anderer Häftlinge. Das Gericht hat es versäumt, eine unabhängige fachliche Expertise einzuholen. Die Beschlüsse sind voller fachlicher Fehler und Missverständnisse.“
Das Gericht argumentiert unter anderem, es bestehe keine Aussicht auf Heilung. Die Gefangenen seien schon sehr lange abhängig und hätten bereits erfolglose Therapieversuche hinter sich. Damit nennt das Gericht genau die Kriterien, nach denen eine Substitution gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer sinnvoll ist.
Die Behandlung mit einem Ersatzstoff wie Methadon nimmt schwer Abhängigen den Suchtdruck, sodass kein Bedürfnis mehr nach Heroinkonsum besteht. So werden gesundheitliche Belastungen reduziert. Die Gefahr einer Übertragung von HIV oder HCV durch gemeinsam genutzte Spritzen wird ausgeschaltet. Zugleich dient die Substitution dem Vollzugsziel der Resozialisierung nach der Haftentlassung.
In der Begründung des Gerichts offenbart sich demgegenüber ein erschreckendes Menschenbild: Dem einen Gefangenen attestiert der Richter, er suche „bewusst die Illegalität“. Im anderen Fall betont er, die JVA habe bei dem Häftling „völlig zu Recht“ eine „antisoziale Persönlichkeitsstruktur“ ausgemacht.
„Von einem Verständnis der Abhängigkeit als behandlungsbedürftiger Krankheit fehlt hier jede Spur“, sagt DAH-Haftexpertin Bärbel Knorr. „Die Sucht als Charakterschwäche darzustellen, kann man nur menschenverachtend nennen. Die Begründung der Gerichtsbeschlüsse entbehrt jeder fachlichen Grundlage.“
Der Stellungnahme einer auf Substitution spezialisierten Ärztin der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) maß das Gericht keine Bedeutung bei. Es bestehe auch „keinerlei Grund, zu dieser medizinischen Frage ein Sachverständigengutachten einzuholen“ und an der Einschätzung der Anstaltsärzte zu zweifeln. Diese aber haben offenbar nicht die suchtmedizinische Ausbildung, die sie zu Substitution und entsprechenden Expertisen befähigen würde.
Alles deutet darauf hin, dass die Substitution aus prinzipiellen Gründen abgelehnt wird. Während Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin die Möglichkeiten zur Substitution in Haft ausbauen, ist diese hoch wirksame präventive Maßnahme in Bayern weiter verpönt und wird nur in Ausnahmefällen gewährt.
Sogar laufende Substitutionstherapien werden durch Inhaftierung beendet. Das zeigt ein weiterer aktueller Fall: Ein erfolgreich substituierter Mann kam nach einem kurzzeitigen Rückfall in Haft, wo man ihm die Weiterbehandlung verwehrte. Die Haftanstalt überließ den Mann seiner Sucht und damit erheblichen gesundheitlichen Risiken.
Laut Bayerischem Strafvollzugsgesetz müssen Gefangene eine genauso gute medizinische Behandlung erhalten wie Menschen in Freiheit. Gemäß Artikel 60 haben sie Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
„Diese Rechte werden in Bayern durch die Verweigerung von Substitution fortwährend missachtet“, sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban. „Die Landesregierung steht in der Pflicht, das medizinische Personal in den Anstalten aus- und weiterzubilden, damit auch in Haft eine bedarfsgerechte Versorgung von Suchtkranken gewährleistet ist.“
(Pressemitteilung DAH)