Schockeffekte führen ins Nichts

„Schockeffekte führen ins nichts, die Wirkung verpufft“ – Aus Anlass einer am 16.2.2010 startenden ’neuen‘ Kampagne einer Stiftung, die immer noch der Ansicht ist, Schock wirke als Schutz gegen HIV, ein Hinweis auf ein Interview zum Thema Schock-Kampagnen:

„Natürlich muss man dem Thema Geltung verschaffen, aber der Weg mit Schockeffekten führt ins Nichts, die Botschaft verpufft. Solche Spots sind ja auch keine Kampagnen. Funktionierende Gesundheitskampagnen sind strategisch langfristig geplant, sie beziehen die Zielgruppen schon bei der Planung mit ein. Mich ärgert außerdem, dass diese Aktionen oft mit Stigmatisierung arbeiten. Sie treffen damit immer die Falschen, zum Beispiel die HIV-Positiven, und sie gehen komplett an der Realität vorbei.“

Dr. Dirk Sander, DAH
Dr. Dirk Sander, DAH

das ganze Interview:
Dr. Dirk Sander, Deutsche Aids-Hilfe: Prävention schockt nicht

.

‚Ich weiss was ich tu!‘, die bundesweite Präventionskampagne der Deutschen Aids-Hilfe, kommentiert den Start der ’neuen‘ Kampagne einer Stiftung trocken

„Aids-Experten und Kritiker hatten in der Vergangenheit bereits häufiger bemängelt, dass die Stich-Stiftung mit angsterzeugenden Kampagnen kontraproduktiv im Bemühen und Prävention wirke. Zudem fördere dies die Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen. Von der Schelte unbeeindruckt setzt die Stiftung ihre Angst-Kampagnen fort.“

.

Sehr lesenswert ist auch, was Beate Jagla schon im Juni 2008 zu damaligen ‚Kampagnen‘ einer gewissen Stiftung äußerte. Jagla betonte damals unter anderem

„HIV ist kein Todesurteil! Abgesehen davon, dass wir es in Deutschland mit keinem Massenphänomen zu tun haben, liegt die Zeit, in der aus HIV sehr schnell Aids wurde, und in der eine Aidsdiagnose tatsächlich das zeitnahe Todesurteil bedeutete, hinter uns. Wir können uns heute freuen, dass aus positiven Kindern Jugendliche werden. Sie haben Zeit, ihre (Achtung!) Sexualität zu entdecken und sie hoffentlich auch zu entwickeln. Werden dann in den Augen der Michael-Stich-Stiftung aus Unschuldigen Schuldige werden?“

Jagla kam damals zu dem Schluss

„Hören Sie auf, HIV und Aids zu dramatisieren und zu dämonisieren. „More Drama, Baby!“ – das ist das Niveau der Daily Soaps im Privatfernsehen.“

Dies und mehr nachzulesen in: Beate Jagla: No more Drama, Michael and Oliver!
.

HIVisible 2009: and the winner is …

Die Gewinner des diesjährigen „clip & klar“ Wettbewerbs für Aids-Spots kommen aus Portugal und Deutschland.

„HIVisible“ lautetet das Motto des diesjährigen Wettbewerbs „clip & klar“. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat 2008 einen neuen Kreativwettbewerb an Film- und Medienhochschulen ins Leben gerufen.

„Ziel des Europäischen Aidsspotwettbewerbs clip & klar europe 09 ist es, kreativ, ansprechend und aufklärend auf die nach wie vor bedeutsamen Themen Schutz vor HIV und Aids in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.“

HIVisible01

Der Wettbewerb steht in diesem Jahr unter der Schirmherrschaft von Eva Luise Köhler, der Frau des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Frau Köhler betonte in ihrem (von BZgA-Direktorin Prof. Pott verlesenen) Grußwort die Notwendigkeit von Aufklärung; daneben sei die Solidarität mit von HIV betroffenen Menschen von besonderer Bedeutung,. weil HIV-Positive immer noch von Ausgrenzung bedroht seien.

Die Jury des diesjährigen Wettbewerbs wurde gebildet von Dorka Gryllus, Schauspielerin (u.a. ‚Irina Palm‘), Michael Gubbins, Co-Organisator des Screenwriter’s Festival, Jukka-Pekka Laakso, Direktor des Tampere International Film Festival, Andrea Babar, Deutsche Aids-Stiftung, Robert Fieldhouse, Mitherausgeber ‚Base Line‘, Gisela Lange, EU-Kommission GD Gesundheit und Verbraucherschutz, Dr.Dr. Wolfgang Müller, BZgA, sowie Prof. Dr.- Jürgen Rockstroh, Präsident AIG.

Der Preis wird in zwei Kategorien verliehen: Kategorie 1: Beste nationale TV- und Kinokampagnen zur Aidsprävention, und Kategorie 2: Beste Aidsspots freier Filmemacherinnen und Filmemacher sowie Filmstudentinnen und Filmstudenten. In Kategorie 2 ist der Preis zudem mit einem Preisgeld dotiert: der 1. Preis mit 5.000,- Euro, der 2. Preis mit 3.000,- Euro und der 3. Preis mit 2.000,- Euro.

Die Gewinner 2009:

1. Kategorie „Beste nationale TV- und Kinokampagnen zur Aids-Prävention“
1. Platz: Portugal „5 reasons not to wear condoms“
2. Platz: Belgien / Wallonien „Gay“
3. Platz: Schweiz „Beach Bar“, und Russland „Pool“

2. Kategorie „Beste Aids-Spots freier europäischer Filmemacherinnen und Filmemacher sowie Filmstudentinnen und Filmstudenten“
1. Platz: Frauke Thielecke, Deutschland „Sturmfrei“
2. Platz: JuPo Köln „A perfect day“
3. Platz: Philipp Fricker, Deutschland „Was die Großmutter schon wusste“

.

Der von BZgA-Direktorin Prof. Pott in ihrer Begrüßung formulierte Gedanke, mit dem europaweiten Wettbewerb auch zu Austausch und gegenseitigem Lernen beitragen zu wollen erscheint begrüßenswert, zumal auch die deutsche Aids-Prävention manches mal ein wenig behäbig daher zu kommen scheint – gegenseitiger Austausch, frischer Wind, Kreativität und neue Ideen könnten sicher nicht schaden.

Erfreulich auch Prof. Potts erneutes klares Statement (in der an die Preisverleihung anschließenden Podiumsdiskussion), dass Schock-Prävention (nach der auch die BZgA immer wieder gefragt werde) mit hohen Risiken belastet sei, die BZgA eher auf emotional positive, lernorientierte Spots setze und insbesondere Kampagnen wie die jüngste „Massenmörder-Kampagne“, die potentiell Menschen mit HIV schaden oder diskriminieren, eindeutig ablehne.

Dass allerdings beinahe zwei Jahre nach dem EKAF-Statement und dessen inzwischen breiter Akzeptanz nicht nur unter Medizinern sondern auch Präventionsexperten sämtliche Spots ausschließlich auf Kondome fokussiert sind, überrascht und erstaunt. Wenn Prof. Rockstroh auch Spots zu HIV-Tests anregt, so ist auf der anderen Seite z.B. zu fragen, wo denn Spots bleiben, die lebensnah individuelles Risikomanagement, insbesondere in Zeiten wirksamer Medikamente, zum Thema haben.

weitere Informationen:
Internetseite des Wettbewerbs HIVisible
.

Prävention schockt nicht

Mit ICH WEISS WAS ICH TU geht die HIV-Prävention neue Wege. Sind es die richtigen? DAH-Schwulenreferent Dr. Dirk Sander über Einwände, Hitlerspots und die Frage, ob Schwule sich heute weniger vor HIV schützen als früher

Herr Dr. Sander, seit Jahren wird sehr häufig die gleiche Frage gestellt: Wie kriegen wir die Schwulen dazu, endlich wieder mehr Kondome zu benutzen. Haben Sie eine Antwort darauf?

Die Schwulen benutzen doch wie verrückt Kondome! (lacht) Im Ernst: Die Motivation, sich zu schützen, ist bei schwulen Männern ungebrochen.

Wie können Sie da so sicher sein?

Studien zeigen immer wieder, dass das Schutzverhalten nicht abnimmt. Die Bereitschaft, sich beim Sex zu schützen, bleibt auf hohem Niveau stabil. Rund 70 Prozent schützen sich immer oder fast immer vor HIV, 20 Prozent meistens, nur 10 Prozent selten oder nie.

Dr. Dirk Sander, DAH
Dr. Dirk Sander, DAH

Wieso ist dann die Zahl der HIV-Neuinfektionen in den letzten Jahren gestiegen?

Das hat verschiedene Ursachen. Die wichtigste ist, dass sich andere sexuell übertragbare Infektionen verbreiten, insbesondere die Syphilis. Wenn ein HIV-negativer Mensch die Syphilis hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich mit HIV infiziert. Ein HIV-Positiver mit Syphilis kann HIV leichter weitergeben.

Was ist mit der Vermutung, die HIV-Neuinfektionen seien gestiegen, weil HIV den Schrecken des Todes verloren hat?

So einfach ist der Zusammenhang nicht. Viele Leute haben lange auf bestimmte Dinge beim Sex verzichtet, aus Furcht vor einer HIV-Infektion. Jetzt gibt es wieder mehr sexuelle Aktivität, auch mehr Analverkehr. Dabei kommt es logischerweise auch zu mehr Risikosituationen. Es hat immer Situationen gegeben, wo der Schutz nicht hundertprozentig gelingt, das liegt in der Natur der Sache. Es gibt mehr Sex – und damit mehr Risiko. Das ist ein reines Rechenspiel! Es bedeutet eben nicht, dass sich immer weniger Leute schützen wollen.

Interessant: Man könnte ja denken, dass mit der Todesdrohung tatsächlich eine wesentliche Motivation verschwunden ist.

Die Leute haben doch auch Grund genug, sich vor einer chronischen Erkrankung zu schützen. Auch heute ist HIV noch lange kein Zuckerschlecken. Es gehört zu unseren Aufgaben, das zu vermitteln.

Wie haben sich die Botschaften der Prävention verändert?

Die grundlegenden Safer-Sex-Botschaften sind gelernt und bekannt. Das Schutzverhalten ist stabil, und nur noch ein Fünftel der Befragten sagt in unserer aktuellen Erhebung zu den Bedürfnissen der Zielgruppe, dass sie Infos zu Safer Sex wollen. Das bestätigen auch die Vor-Ort-Arbeiter: Wenn sie mit der altbekannten Safer-Sex-Ansage kommen, dann fragen die Leute: Habt ihr nicht was Neues auf der Pfanne?

Und haben Sie?

Statt mit der puren Aufforderung, Kondome zu benutzen, arbeiten wir mit differenzierten Botschaften. Wir sagen zum Beispiel: Benutzt Kondome, wenn sie nötig sind. Das ist aber nicht immer der Fall. Wir wollen nicht, dass alle sich gleich verhalten, obwohl sie unter ganz verschiedenen Bedingungen Sex haben – zum Beispiel als Positive oder als Negative, in einer gefestigten Beziehung oder nachts auf dem Parkplatz.

Überfordert man die Männer nicht mit differenzierten Botschaften?

Die Leute suchen selber zunehmend nach individuellen Lösungen. Ein Beispiel: Innerhalb einer offenen Beziehung wird das Kondom weggelassen und außerhalb wird es genommen. Früher hätte man den Leuten gesagt, sie sollen auch innerhalb der Beziehung ein Kondom benutzen.

Es gibt Leute, die sagen: Wenn einfach alle weiter Kondome nehmen, statt irgendwelche Strategien auszuprobieren, hätten wir kein Problem.

Ich glaube nicht, dass das alte Konzept auf Dauer tragfähig ist. Man muss berücksichtigen, dass sich die Konsequenzen einer HIV-Infektion verändert haben – und damit ändert sich auch das Verhalten der Menschen. Unsere Prävention setzt an den Lebensrealitäten an, weil wir sonst an den Leuten vorbei gehen. Das ist einfach pragmatisch und menschlich. Wir wollten ganz bewusst weg von den ganzen negativen Diskussionen der letzten Jahre. Die haben nämlich eine offene und ehrliche Auseinandersetzung verhindert.

Bei vielen bleibt die Wahrnehmung: Es passiert mehr ungeschützter Sex.

Wir gucken genau hin und fragen: Ist das wirklich so unsafe, was da unsafe scheint? Aber auch umgekehrt: Ist wirklich Safer Sex, was danach aussieht? Die Leute wollen sich weiterhin schützen, passen sich aber mit ganz verschiedenen Strategien den neuen Bedingungen an. Beim Abschätzen des Risikos, das man dabei in Kauf nimmt, kann man sich vertun. Wir wollen, dass die Leute über die Risiken, die sie eingehen, Bescheid wissen. Gegen Mythen setzen wir Fakten. Deswegen heißt unsere Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU.

Ist es gelungen, die Leute zu sensibilisieren?

Ich denke ja. Deutschland liegt bei der Zahl der Neudiagnosen in Europa ganz unten in der Statistik.

Warum haben Sie sich entschieden, echte Menschen als Rollenmodelle zu nehmen?

Über bestimmte Lebenswelten wird viel fantasiert, etwa über HIV-Positive. Da kursieren extrem negative Bilder: Das seien Menschen, denen ihre Gesundheit egal ist – und die anderer Menschen ebenfalls. Das ist Unsinn, denn diese Männer sind Menschen wie du und ich. Sie waren aus bestimmten Gründen in einer Situation mal schwach. Oder wenden Risikomanagementstrategien an, die fehlerhaft sind. Das genau wollten wir zeigen, statt Ideal-Typen konstruieren. Wir fordern auch dazu auf, mal ehrlich zu sich selbst zu sein, den eigenen Umgang mit Risiko zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern.

Manche Rollenmodelle sagen ganz offen, dass sie nicht durchgängig Kondome benutzen. Hat das auch Ärger gegeben?

Ja, es gab manche Irritation. Rollenmodell Stephan ist da ein gutes Beispiel. Er hat sein Leben lang Safer Sex gemacht. In der Beziehung gab es eine Absprache: Außerhalb der Beziehung nur mit Kondom, innerhalb ohne. Er und sein Freund haben sich infiziert. Das zeigt, dass man auch mit bewussten Strategien scheitern kann. Safer Sex birgt immer ein Restrisiko. Es ist ehrlich, das auch zu sagen.

In diesem Jahr gab es den Spot „Aids ist ein Massenmörder“ mit Adolf Hitler und eine Kampagne der Michael-Stich-Stiftung, die ebenfalls mit sehr drastischen Bildern gearbeitet hat. Die Macher haben argumentiert: Man muss schockierende Bilder zeigen und mit der Faust auf den Tisch hauen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Natürlich muss man dem Thema Geltung verschaffen, aber der Weg mit Schockeffekten führt ins Nichts, die Botschaft verpufft. Solche Spots sind ja auch keine Kampagnen. Funktionierende Gesundheitskampagnen sind strategisch langfristig geplant, sie beziehen die Zielgruppen schon bei der Planung mit ein. Mich ärgert außerdem, dass diese Aktionen oft mit Stigmatisierung arbeiten. Sie treffen damit immer die Falschen, zum Beispiel die HIV-Positiven, und sie gehen komplett an der Realität vorbei.

Ist Prävention also heute notwendigerweise eine komplexe und langwierige Angelegenheit?

Von einer Kampagne kann man nicht erwarten, dass sie allen Angehörigen der Zielgruppe in einem Jahr Dinge wie ein individuelles Risikomanagement beibringen kann. Ergänzende Botschaften zu der bewährten Strategie zu etablieren dauert meines Erachtens mindestens fünf Jahre. So eine Kampagne muss langfristig angelegt sein.

Herr Dr. Sander, vielen Dank für das Gespräch!

(Interview und Foto: DAH)

Bildervielfalt prägen – Menschen mit HIV entstigmatisieren!

Als Dokumentation die Rede von DAH-Vorstand Tino Henn aus Anlass des Welt-Aids-Tags-Empfangs der Deutschen AIDS-Hilfe:

Bildervielfalt prägen – Menschen mit HIV entstigmatisieren!
Rede von Tino Henn
Mitglied des Bundesvorstands der Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH)
anlässlich der Veranstaltung
„Empfang zum Welt-AIDS-Tag 2009“
im
ATRIUM der Deutschen Bank AG, Unter den Linden, Berlin
5. November 2009
(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Pott,
sehr geehrter Herr Wiesniewski,
sehr geehrter Herr Schaub,
sehr geehrte Vertreter der Medien,
liebe Mitglieder, Kooperationspartner und Förderer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Namen der Deutschen AIDS-Hilfe begrüße ich Sie ganz herzlich zu unserem –inzwischen traditionellen – Welt-Aids-Tags-Empfang. Mein besonderer Dank gilt noch einmal den Sponsoren und Unterstützern dieses Abends, ohne die eine solche Veranstaltung nicht mehr möglich wäre. Und nicht zuletzt danke ich allen Helferinnen und Helfern, die im Vorfeld dieser Veranstaltung aktiv waren und heute hinter, vor und vor allem auf der Bühne mitwirken.

Gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise und damit einhergehender sinkender Spendenmöglichkeiten vieler Bürgerinnen und Bürger sind wir Aidshilfen mehr denn je auf Sponsoren angewiesen: und dies sind nicht nur die Sponsoren aus der Wirtschaft, sondern Mäzene aus allen Teilen der Gesellschaft! Gut, dass so viele Menschen und Organisationen bereit sind, sich zu engagieren, um damit die Arbeit der Aidshilfen zu unterstützen. Das ist uns sehr wichtig, denn Prävention ist nicht alleine die Aufgabe von Gesundheitseinrichtungen und großen Institutionen, sondern fängt bei jedem Einzelnen an. „Ganz Deutschland zeigt Schleife“ lautet die Botschaften unserer diesjährigen Welt-Aids-Tags-Kampagne, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Deutsche AIDS-Stiftung gemeinsam veranstalten. Die Unterstützer des heutigen Abends zeigen Schleife – vielen Dank dafür!

Als gutes Beispiel, wie Sponsoren sich in der Prävention engagieren, möchte ich den Bielefelder Erotikprodukteanbieter Eis.de herausstellen. Die Eis.de GmbH hat der Deutschen AIDS-Hilfe im September zwei Millionen Kondome gespendet. Dies ist die größte Kondom-Spende, die wir je in unserer 26-jährigen Geschichte erhalten haben. Eis.de will mit dieser Auftaktspende „Zeichen setzen und eine langfristige, intensive Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe begründen“. Wir werden 2010 unsere Fundraising-Aktivitäten ausbauen, um weitere solche strategischen Partner zu gewinnen.

Wir brauchen auch in Zukunft starke Förderer, mit denen wir das bisher Erreichte sichern und gemeinsam unsere Strategien für die Prävention sowie gegen Diskriminierung und gegen Stigmatisierung durchsetzen können. Das vergangene Jahr hat uns auf das Schmerzlichste gezeigt, welche schlimmen Vorurteile von HIV und Aids bedrohten und betroffenen Menschen immer noch entgegengebracht werden: So haben viele Medien – aber auch einzelne Politiker – eine regelrechte Hetzjagd gegen die Künstlerin Nadja Benaissa geführt, als ihre HIV-Infektion bei ihrer Verhaftung gezielt öffentlich gemacht wurde. Viele Medien, die Darmstädter Staatsanwaltschaft und einige Politiker haben die Persönlichkeitsrechte von Frau Benaissa mit Füßen getreten und Sexismus und Rassismus erneut Vorschub geleistet. Die regelrechte Medienkampagne gegen Nadja Benaissa hat der weiteren Kriminalisierung von HIV-Positiven Vorschub geleistet. Erst die massiven, öffentlichkeitswirksamen Beschwerden der Deutschen AIDS-Hilfe gegen diese Form der Medienberichterstattung und gegen das Verhalten der hessischen Justiz haben einen Sinneswandel in der Bewertung des Umgangs mit Frau Benaissa und ihrer HIV-Infektion bewirkt. An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich:
Wir lassen keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV und Aids zu! Und wir gehen gegen jede Form der Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-Positiven vor!
Dafür werben wir um Unterstützung: in den Medien, in Unternehmen, bei Gewerkschaften, Kirchen, in der Politik und bei allen Bürgerinnen und Bürgern.

Tino Henn, Vorstand DAH
Tino Henn, Vorstand DAH

Fast 30 Jahre nach dem Ausbruch der HIV-Epidemie sind die Medienbilder über HIV und Aids immer noch sehr einseitig. Der inzwischen in Berlin angesiedelte Verein „Regenbogen“ und die Hamburger Werbeagentur „das comitee“ wollten erst vor Wochen eine abscheuliche Hetzkampagne gegen HIV-Positive starten, die Adolf Hitler beim Sex mit einer Frau zeigt. Der Claim „Aids ist ein Massenmörder“ verunglimpft nicht nur die Opfer der Nazidiktatur, sondern setzt auch HIV-Positive mit Mördern gleich. Diese für die Prävention völlig ungeeignete und schädliche Kampagne konnte auf Druck der Deutschen AIDS-Hilfe verhindert werden. Einige Beispiele: YouTube nahm den Spot aus dem Internet, der Zentralrat der Juden sprach von einer „unerträglichen Entgleisung“, der Deutsche Werberat sowie die RTL-Mediengruppe distanzierten sich öffentlich, in vielen Leserbriefen dankten Menschen der Deutschen AIDS-Hilfe. Wir finden, dass solchen Institutionen wie dem Regenbogen e.V. die Gemeinnützigkeit entzogen werden muss. Aufmerksamkeit durch übelste Effekthascherei erreichen zu wollen und dies auf dem Rücken von HIV-Positiven– das wird es mit uns nicht geben, und dagegen gehen wir mit allen rechtlichen Mitteln vor!

Wir sehen es vielmehr als einer unserer wichtigsten und ureigenen Aufgaben an, differenzierte Bilder von HIV zu zeigen, die den heutigen Lebensrealitäten von Menschen mit HIV und Aids gerecht werden. Unsere Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU ist ein Beispiel dafür. Sie bekommen hier im ATRIUM einen ersten Eindruck davon. Wir erhielten in den vergangenen Monaten viel Lob für diese vom Bundesministerium für Gesundheit und der BZgA finanzierte Kampagne, die moderne Gesundheitsförderung und zielgruppengerechte HIV-Prävention mit Maßnahmen zur Entstigmatisierung verbindet. Das Gesundheitswissen zu erhöhen und Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken – das sind wichtige Ziele, damit Mann oder Frau individuelle Risiken besser wahrnehmen, einschätzen und das eigenen Verhalten gegebenenfalls anpassen kann.

Von den etwa 65.000 HIV-positiven Menschen in Deutschland weiß ein Drittel nichts von der eigenen HIV-Infektion. Die Infektion wird bei vielen von ihnen häufig erst dann erkannt, wenn schon schwere gesundheitliche Schäden aufgetreten sind. Wenn HIV-Positive aber weiterhin diskriminiert, ausgegrenzt und kriminalisiert werden, und wenn Mobbing und unbegründete Ängste der Familie, Freunden und Kollegen zu befürchten sind, wie sollen sie sich dann für einen HIV-Test entscheiden, und wie kann ihnen dann ein „positives Coming-out“ ermöglicht werden? Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für Verhältnisse zu sorgen, die ein solches Coming-out ermöglichen. Und daran werden wir mit all unserer Kraft und Kreativität arbeiten.

In den vergangenen zwölf Monaten haben wir erneut vertrauensvoll und erfolgreich mit dem Bundesministerium für Gesundheit und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammen gearbeitet. An dieser Stelle danken wir insbesondere der Bundesgesundheitsministerin a.D. Ulla Schmidt für ihre Förderung in den vergangenen Legislaturperioden. Wir freuen uns zugleich darauf, diese bewährte Zusammenarbeit mit dem neuen Gesundheitsminister Herrn Dr. Philipp Rösler fortsetzen und weiter ausbauen zu können.

Wenn wir uns den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zum Thema Gesundheit anschauen, so gibt es aber auch Gründe zur Sorge – z.B. bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung: Der Vertrag ist – so sieht es auch die Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE – an vielen Stellen unausgegoren und widersprüchlich. Wir sehen die Gefahr, dass viele chronisch kranke und behinderte Menschen zu Patienten zweiter Klasse werden. Eine höhere finanzielle Belastung chronisch Kranker werden wir nicht akzeptieren. Es darf keine Entsolidarisierung geben! Kernbestandteil des Zusammenhalts in der Gesellschaft muss das Solidaritätsprinzip in der Gesundheitsversorgung bleiben! Wir werden die weiteren Entwicklungen im Bundesgesundheitsministerium genau beobachten und uns einmischen, wenn die berechtigten Interessen von Menschen mit HIV und Aids bedroht sind!

Ein weiteres, wichtiges Thema ist die Integration chronisch Kranker in das Erwerbsleben: Viele HIV-Positive können wieder einer Arbeit nachgehen oder müssen – anders als noch vor wenigen Jahren – keine Frühverrentung mehr fürchten. Dennoch leiden sie darunter, dass sie ihre Infektion meist verleugnen und zusätzlich Diskriminierung erfahren müssen. Arbeitnehmer, die sich als HIV-positiv outen, müssen auch im Jahre 2009 noch um ihren Arbeitsplatz bangen und Ausgrenzung, Mobbing und Stigmatisierung ertragen. Daher verstecken viele ihre Krankheit. Im Schulterschluss mit anderen Verbänden, Gewerkschaften, der Politik und den Medien möchten wir daher das Thema versteckte Erkrankungen – die sogenannten „hidden diseases“ – in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Die DAH hat sich dieses Thema als Schwerpunkt für den diesjährigen Welt-Aids-Tag und das Jahr 2010 gesetzt, weil darin einiges deutlich wird:
Das Leben mit HIV hat sich verändert. Aber in den Köpfen herrschen immer noch die alten Bilder vor. Daher wollen und müssen wir eine neue Bildervielfalt prägen und Menschen mit HIV entstigmatisieren! Bitte unterstützen Sie uns auf diesem Weg!

Bevor ich schließe, gilt mein Dank den ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Aidshilfen, die im vergangenen Jahr wieder eine sehr gute Arbeit geleistet haben. Stellvertretend für diese Frauen und Männer ehren wir heute Rainer Jarchow, der in den vergangenen 30 Jahren vorbildliche Arbeit sowohl als ehren- als auch als hauptamtlicher Mitarbeiter in zahlreichen Projekten und Institutionen innerhalb und außerhalb von Aidshilfe und in ganz Deutschland geleistet hat. Mein Vorstandskollege Winfried Holz wird ihn nachher in einer Laudatio würdigen. Ich wünsche Ihnen einen gesprächsreichen und unterhaltsamen Abend. Vielen Dank!

Schock-Prävention und die Inflation der Währung Aufmerksamkeit

Wie und warum funktioniert Schock-Prävention? Was hat Thilo Sarrazin damit zu tun? Und was Inflation und Ignorieren?

Thilo Sarrazin, seines Zeichens Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank und ex-Finanz-Senator von Berlin, hat wieder einmal deutliche Worte gefunden. Die verbreitet Anstoß erregen – und erinnern an den wohl bekannten Mechanismus, Aufmerksamkeit zu erzeugen, egal was es kostet – oder was die Folgen sind.

In einem Artikel in der Wochenend-Ausgabe der ‚Süddeutschen Zeitung‘ betrachtet Evelyn Roll die Frage öffentlicher Provokation. Und analysiert die zugrunde liegende Wirkweise:

„Es ist ja so: Viel wichtiger, lukrativer und karrierefördernder als Taten und Leistungen sind heute Bedeutung und Prominenz. Aufmerksamkeit ist die Währung. Und Provokation, der gezielte Tabubruch also, ist, was das Herstellen dieser Währung angeht, immer und zuverlässig erfolgreich. Die verbale Provokation, der unpassende Vergleich und die öffentliche Beleidigung sind also niemals wirklich Ausrutscher oder selbstentlarvende Versehen. Es handelt sich immer um eine so einfache wie nur gelegentlich gefährliche Medienstrategie im Durchlauferhitzer der Erregungsdemokratie. Sie stößt auf eine fein ausgesteuerte und leicht anzusteuernde Kultur von Empörung und Heuchelei, die zuverlässig anspringt. Jedes durch Sprech- und Denktabus eingeklemmte Publikum hasst und liebt deswegen den Provokateur.“

Wohl war, denke ich. Und ich fühle mich erinnert an Schock-Kampagnen, mit denen sich eine gewisse Stiftung, ein ominöser Verein gelegentlich hervortun. Bei denen mir auch oft der Eindruck kommt, es ginge hier um vieles, um Aufmerksamkeit, um Spenden, um mediale Hypes – nur nicht um die eigentliche und doch nur vordergründig plakatierte Frage, die Aids-Prävention.

Und genau darin liegt das Problem, auch in Rolls Analyse. Derartige Strategien können eben doch gefährlich sein. Sie konterkarieren bisher erfolgreiche HIV-Prävention, können erzielte Erfolge zunichte machen oder gefährden, produzieren Klärungs- und Richtigstellungs-Aufwand (bei anderen selbstverständlich, nicht beim Verursacher) – und verpuffen schon nach wenigen Tagen im Dunst des nächsten medialen Hypes. Die Arbeit ist getan, die Aufmerksamkeit erzielt, irgend etwas wird sicher hängen blieben – und die Arbeit und den Schaden haben andere.

Doch Roll weist auch Wege aus dieser medialen Aufmerksamkeits-Falle. Ein wenig mehr Bedacht in den Reaktionen, etwas weniger Aufregung und Empörung, überlegtere Kommentare, weniger Geschrei – indem wir ihnen ihre Währung, die Aufmerksamkeit entziehen, können wir ihren Schaden vielleicht begrenzen. Und ihre regelmäßige Wiederkehr vielleicht nach und nach unattraktiver, da erfolgloser machen. Die Inflation der Währung ‚Schock-Aufmerksamkeit‘. Wir können handeln – schalten wir ihn zumindest in unserem Bereich wenn schon nicht ‚aus‘, dann doch einige Stufen kälter, den ‚Durchlauferhitzer der Erregungsdemokratie‘.
Stattdessen könnten wir von der Bedeutung der Aufmerksamkeit, der Prominenz, des Image vielleicht wieder ein wenig mehr zurück kehren zur Bedeutung von Taten, von Handeln, von Ergebnissen für die Menschen (und nicht für die Initiatoren).

Schock-Kampagnen & co. – in die Mülltonne. Aber vielleicht nicht immer durch lauten Protest, sondern gelegentlich auch durch überlegte Gelassenheit, vielleicht auch geflissentliches Ignorieren?

.

weitere Informationen:
Evelyn Roll: „Das musste mal gesagt werden“ (Süddeutsche Zeitung 10./11.10.2009)
(online zweiteilig unter dem Titel „Thilo Sarrazin und die Folgen„)

Deutsche AIDS-Hilfe fordert sofortigen Stopp der Aids-Kampagne mit Hitler-Spot

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) fordert den sofortigen Stopp der Kampagne „Aids ist ein Massenmörder – schütz dich selbst“, die von der Hamburger Werbeagentur „das comitee“ für den Regenbogen e.V. entwickelt wurde. Es ist eines der schlimmsten Kampagne seit dem Ausbruch der HIV-Epidemie. So wird in einem Spot der Diktator Adolf Hitler beim Geschlechtsverkehr mit einer Frau gezeigt. Dieser Spot soll u.a. im Fernsehen und im Kino gezeigt werden.

Dazu erklärt Carsten Schatz, Mitglied im Bundesvorstand der DAH:
„Die Deutsche AIDS-Hilfe verurteilt den Spot des Vereins Regenbogen auf das Schärfste. Wir fordern den sofortigen Stopp der Kampagne. Dieser widerliche Spot mit einem Adolf-Hitler-Imitator verhöhnt alle Opfer des Nationalsozialismus und setzt HIV-positive Menschen mit Massenmördern gleich. Das äußert provozierende Video setzt auf dumpfe Angst. Diese Kampagne schadet der HIV-Prävention, sie hat keine Botschaft, wie man sich vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen schützen kann. Gerade für Jugendliche und junge Erwachsene ist sie völlig ungeeignet. Wir fordern die Medien und Kinobetreiber auf, diese Kampagne nicht auszustrahlen. Unser Appell geht auch an die Gesundheitspolitiker, sich von dieser Kampagne zu distanzieren. Dem Verein Regenbogen sollte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, da es hier offensichtlich um Panikmache auf dem Rücken von Menschen mit HIV und Aids geht. Wir prüfen rechtliche Schritte gegen den Verein. Die prominenten Unterstützerinnen und Unterstützer des Regenbogen e.V. sollten sich fragen, ob sie ihren guten Namen für eine solche Kampagne hergeben wollen – wir fordern sie auf, sich zu distanzieren.“

Dr. Dirk Sander, Referent für strukturelle Prävention der DAH:
„Aus fachlicher Sicht ist dieses Kampagne im Hinblick auf die angegebenen Ziele wirkungslos, überflüssig und kontraproduktiv. Es geht hier nur um billige Effekthascherei – allerdings auf besonderes ekelerregende und infame Weise. Der Spot ist eine fürchterliche Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen. Die erfolgreiche HIV-Prävention der Deutschen AIDS-Hilfe (www.aidshilfe.de, www.iwwit.de) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA (www.machsmit.de) informieren sachlich über die Gefahren einer HIV-Infektion und motivieren zum Schutz mit Kondomen. Unsere Kampagnen arbeiten mit alters- und zielgruppengerechten Botschaften und wirksamen Präventionsmaßnahmen, die Menschen mit und ohne HIV unterstützen, sich und andere vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen.“

(Pressemitteilung der deutschen Aids-Hilfe vom 08.09.2009)

Offener Brief an die Organisation Regenbogen e.V.

Darf man Aids-Prävention mit Massenmördern machen? Darf man Menschen mit HIV mit Diktatoren gleichsetzen? Nein, denkt die niederländische Positivengruppe ‚poz and proud‘, und fordert die Organisatoren der Kampagne auf, den Spot unverzüglich zurück zu ziehen:

„Offener Brief an die Organisation Regenbogen e.V.

Ich, als HIV-positiver Mensch, fordere den Verein Regenbogen e.V. in Deutschland dazu auf, unverzüglich ihren neuen Präventionsspot “AIDS ist ein Massenmörder” zurückzuziehen.

Es ist eine Schande wie in diesem Spot Menschen mit HIV und AIDS dargestellt werden. Ich bin entsetzt und fühle mich in meiner persönlichen Ehre verletzt durch diese entwürdigende Kapagne.

Menschen mit HIV und AIDS mit Hitler, Stalin oder Sadam Hussein gleichzusetzen ist diskriminierend, ehrverletzend und indiskutabel, besonders noch von einem Verein, der sich Solidarität mit Menschen mit HIV und AIDS auf die Fahne schreibt.“

Menschen, die sich dem offenen Breif anschliessen wollen, sollten obigen Text per Email senden an hs@stopaids.de

Quelle: poz and proud

.

AIDS-Prävention mit Massenmördern ? (akt.5)

Seit Anfang September sorgt eine Aids-Kampagne für Aufregung, in der Menschen mit HIV als Hitler, Stalin und Saddam Hussein dargestellt werden. Menschen mit HIV fordern, die Kampagne sofort zurück zu ziehen.

Ein kopulierendes Paar ist in einem TV-Spot zunächst zu sehen, im Halbdunkel, sonst nichts. Ganz zum Schluss dann ein Gesicht, das des Mannes, und – es wird immer klarer, dies soll Adolf Hitler sein. „Aids ist ein Massenmörder“, schreit die Kampagne.

Und nur dies. Nichts weiter, keine Präventionsbotschaften, kein „Verwende Kondome“, kein „Safer Sex reduziert dein Risiko“ oder ähnliches.

Die Kampagne wurde initiiert von dem Verein „Regenbogen e.V.“ und realisiert von der Werbeagentur „das comitee“. Regisseur war Ivo Wejgaard. Der Spot ist als TV-Spot konzipiert und soll ab nächster Woche im TV laufen. Die Mediengruppe RTL allerdings hat inzwischen die Ausstrahlung des Spots abgesagt.
Erreichbar ist der Initiator der Kampagne auf der Kampagnenseite nur über eine kostenpflichtige Telefonnummer.

Menschen mit HIV implizit als Hitler, Stalin oder Hussein darzustellen – geht das? Ganz klar nein, finden zahlreiche Menschen mit HIV, und auch zahlreiche Aids-Organisationen im In- und Ausland. Bezeichnen den Spot als menschenverachtend, positivenfeindlich, stigmatisierend. Kritisieren die Kampagne als unverantwortlich dramatisierend.

Auch im Internet ist die Kampagne inzwischen massiver Kritik ausgesetzt. Der Verein habe sich zum Ziel gesetzt „Ängste und Diskriminierung in der Gesellschaft gegenüber HIV positiven und an AIDS erkrankten Menschen entgegenzutreten“, betont ‚alivenkickin‘, und bezeichnet gerade angesichts dieser Zielsetzung die aktuelle Kampagne des Vereins als „Schlag ins Gesicht aller Menschen die HIV Positiv sind“. Er kritisiert zudem die fehlende Transparenz des Vereins – die Verwendung der akquirierten Spendengelder bleibe völlig im Dunklen.
Blogger Kalle betont „durch die Erzeugung von Angst und Schrecken bei den Betrachtern, werden (alte HIV-) Ängste neu geschürt, und Betroffene mit Massenmördern verglichen.“ „Aidskranke sind Nazis“, bringt netzfeuilleton die Wirkung des Spots auf den Punkt und resümiert „Wieder einmal ein Beispiel dafür, wie man etwas Gutes im Sinn haben kann und dabei noch mehr Schaden anrichtet.“

Reaktionen, die die Initiatoren bewusst in Kauf nehmen? Darstellungen von Positiven, die stigmatisieren, bewusst in Kauf genommen? „Dass die Kampagne möglicherweise über das Ziel hinausschießt, haben wir in Kauf genommen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen“, sagt ein Vertreter der Werbeagentur.
Und wenn Menschen mit HIV sich gekränkt, angegriffen, an den Pranger gestellt fühlen sollten? „Wenn sie das Video auf diese Weise verstehen, ist das ihr Problem“, so der Vizedirektor der Werbeagentur laut AP.

Es geht um Aufmerksamkeit – für wen, die Frage lässt die Agentur unbeantwortet. Die FAZ jedenfalls kommentiert lakonisch „Da hat man doch hoffentlich die Klickzahlen bei YouTube nicht mit einer Aufklärungsquote verwechselt?“

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) hat sich zu dem Spot und den Aktivitäten bisher nicht geäußert deutlich geäußert – als „ekelerregend“ und „entsetzend“ bezeichnete der Pressesprecher die Kampagne, „es ist unerträglich, die Aids-Prävention mit dem Holocaust zu vergleichen“. Die DAH forderte den sofortigen Stopp der Kampagne und kündigte an, TV-Sender aufzufordern, den Spot nicht auszustrahlen.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bezeichnete den Spot laut ZDF und AFP als „geschmacklos und kontraproduktiv für die Prävention“.

Auch die deutsche Aids-Stiftung (DAS) verurteilt die Kampagne. „Die Kampagne leistet damit der Stigmatisierung HIV-positiver Menschen Vorschub. Gleichzeitig ist sie geeignet, bei allen anderen Menschen Unsicherheit und Ängste zu schüren. … Auch angesichts der historischen Tatsachen ist der Spot untragbar. Männer die Sex mit Männern haben, wurden von den Nationalsozialisten grausam verfolgt. In Deutschland zählen sie zur am stärksten von HIV betroffenen Gruppe. Es ist eine Verhöhnung der NS-Opfer und dieser Männer, sie durch einen „Aufklärungsspot“ mit Adolf Hitler in der Hauptrolle schützen zu wollen.“

Die Schweizer Interessenvertretung von Menschen mit HIV und AIDS, LHIVE, forderte unterdessen den Verein auf, den Spot sofort zurück zu ziehen. Es sei „eine Schande wie in diesem Spot Menschen mit HIV und AIDS dargestellt werden. Wir sind entsetzt und erwarten insbesondere, dass alle Prominente, die sich vor bzw. hinter diesen Verein stellen, zu dieser entwürdigenden Kampagne Stellung nehmen. Menschen mit HIV und AIDS mit Hitler, Stalin oder Saddam Hussein gleichzusetzen ist indiskutabel.“ Werde der Spot nicht zurück gezogen, werde der Verein rechtliche Schritte erwägen.
Auch die niederländische Positiven-Gruppe ‚poz and proud‘ fordert in einem offenen Brief inzwischen auf, die Kampagne zurück zu ziehen, und bittet Positive, sich per Email an die Organisatoren der Kampagne zu wenden. LHIVE hat sich diesem offenen Brief angeschlossen.

Selbst Insbesondere im Ausland stößt die Kampagne auf irritierte Reaktionen, auf Erschrecken und Proteste. Irritationen, ob in den Niederlanden, der Schweiz, Kanada, Großbritannien oder den USA. So titelt der britische Aids-Informationsdienst Aidsmap „Hitler safe sex ad condemned as stigmatising. “

Zahlreiche Kritiker weisen auf die problematischen Folgen der Kampagne auch für die Aids-Prävention hin. So betont Henrik Arildsen, von HIV Danmark „warum sollten sich jetzt noch Menschen auf HIV testen lassen, wenn sie wissen, dass sie mit Massenmördern in einen Topf geworfen werden?“

Der Initiator der Kampagne, der Verein „Regenbogen e.V.“, steht bereits seit längerem in der Kritik, nicht nur wegen seiner intransparenten Spendenpraxis. So fragte Blogger ulgurath schon im Mai 2009 „Sind das Aufmerksamkeitstäter, die sich gewissenlos daran bedienen, dass Medien beim Thema Aids gerne „genommen“ wird?“ und weist auf die ominöse Struktur hin: „scheint der Regenbogen e.V. nichts anderes zu machen als Webseiten und TV-Spots zu produzieren und dafür Spenden zu sammeln und Merchandising zu verkaufen. Das Regenbogen-Kampagnenimperium ist groß – sehr groß für einen vorgeblich kleinen privaten Verein aus Saarbrücken.“ Seine Fragen nach Qualifikation und Seriosität der Arbeit wurde bisher ebenso wenig beantwortet wie die nach Umsätzen oder Kooperationen mit anderen Aids-Organisatoren.

Weitere Informationen:
alivenkickin 07.09.2009: Regenbogen e.V. – ein Verein der mehr Fragen offenläßt als er beantwortet
netzfeuilleton.de 07.09.2009: Aidskranke sind Nazis
NGZ 07.09.2009: Hitler-Spot im Kampf gegen Aids
aidsmap 07.09.2009: Hitler safe sex ad condemned as stigmatising
LHIVE e.V. 07.09.2009: offener Brief an Regenbogen e.V.
ulgurath 03.05.2009: Der Regenbogen e.V. und die Aids-Aufmerksamkeits-Industrie
SpON 07.09.2009: Umstrittene Aids-Prävention – Im Bett mit Hitler
Kalle bloggt 07.09.2009: Was die Massen bewegt …
stern.de 07.09.2009: Sex mit Hitler
queer.de 07.09.2009: Scharfe Kritik an deutscher Hitler-Aids-Kampagne
pinknews 07.09.2009: German HIV advert uses Hitler lookalike
welt online 07.09.2009: Was das HI-Virus mit Adolf Hitler gemeinsam hat
Basler Zeitung online 07.09.2009: Aids-Kampagne mit Hitler-Spot wird heftig kritisiert
FAZnet Kommentar 07.09.2009: HIV negativ
BBC News 07.09.2009: Romping Hitler Aids ad criticised
AP 07.09.2009: German AIDS group uses Hitler look-alike in awareness video
poz and proud 08.09.2009: Hitler als boegbeeld van Duitse anti-aidscampagne
HIV Danmark 07.09.2009: AIDS – en trist affære!
TV2 (Dänemark) 07.09.2009: Hiv-Danmark: Aids-kampagne krænker
dagblat.no 07.09.2009: Bruker Hitler i sex-video mot aids
demorgen.be 08.09.2009: Aids-Hitler stoot op heftige kritiek
DAH 08.09.2009: DAH fordert sofortigen Stopp der Aids-Kampagne mit Hitler-Spot
DAS 08.09.2009: AIDS-Kampagne des Vereins Regenbogen stigmatisiert HIV-positive Menschen
ZDF 08.09.2009: HIV und Hitler: Geht das?
SZ 08.09.2009: Massenmörder im Bett
POZ 08.09.2009: Controversial German HIV Prevention Ads Feature Adolf Hitler, Saddam Hussein
Time 08.09.2009: Germany’s New AIDS Ad — Starring Hitler
FAZnet Video: Anti-Aids-Kampagne sorgt mit Hitler-Vergleich für Wirbel
werbeblogger 09.09.09: World AIDS Day 2009: Mass Murderer (Follow-Up)
ksta.de 09.09.09: Youtube sperrt umstrittenes Aids-Video
Saarbrücker Zeitung 08.09.2009: Aids-Spot mit Adolf Hitler sorgt für Wirbel
taz 08.09.2009: Hitler-Porno gegen Aids
kress mediendienst 08.09.2009: „Billige Effekthascherei“: Aids-Hilfe fordert Stopp der Hitler-Werbung
netplosiv 09.09.09: Zensur: Youtube sperrt Hitler-Aids-Video
gay.de 09.09.2009: „Aids ist ein Massenmörder“ – AIDS-Hilfen sind empört!
Tagesspiegel 09.09.2009: Nazis und nacktes Frauenfleisch ziehen immer
samstagisteingutertag 09.09.2009: HI-Viren mit Hitlerbärtchen
lifelube 09.09.09: Is Invoking Hitler the Right Way to Fight the AIDS Epidemic?
New York Times 08.08.2009: Safe-Sex Ad Featuring Hitler Stirs German Anger
yahoo-news 08.09.2009: Safe-sex ad featuring Hitler stirs German anger (AP-Meldung, die in diversen Medien bis nach Neuseeland aufgenommen wurde)
Welt 09.09.2009: Anti-Aids-Verein verteidigt Spot mit Hitler-Darstellung
bild.de 09.09.2009: Stich verteidigt Schock-Plakat gegen Aids
newsclick.de 10.09.2009: „Diese Bilder wecken Angst und beleidigen Aidskranke“
alivenkickin 10.09.2009: „Gedanken über ein deutliches Statement“
Financial Times 09.09.2009: Youtube sperrt umstrittenes Aids-Video
DAH-Blog 10.09.2009: Internationaler Protestbrief wegen “Hitler-Spot” an Ministerin Schmidt
termabox 10.09.2009: einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig (akt.)
queer.de 10.09.2009: Homo-Gurke für die HIV-Hitler-Kampagneros
DAH-Blog 11.09.2009: Laien beurteilen Schock-Kampagnen als wirksamer
Berliner Zeitung 09.09.2009: Empörung über Aids-Kampagne
xtra.ca 11.09.2009: Hitler HIV campaign = Colossal FAIL
Badische Zeitung 12.09.2009: Leitartikel: Die öffentliche Empörung
alivenkickin 13.09.2009: Nachhilfestunde für Jan Schwertner – Regenbogen e.V.
alivenkickin 15.09.2009: Danke Birgit Schrowange – Danke RTL Extra
Aids-Hilfe Schweiz 16.09.2009: Offener Brief an den Verein Regenbogen e.V.
.

Virusmythen 6 – Verkehrstot, oder: Bilder vom alten Aids, wiederbelebt

Das Leben mit HIV so abbilden, wie es heute Realität ist, oder mit alten Klischees Aufmerksamkeit erregen – wie sollte Aids-Prävention aussehen? Die Michael-Stich-Stiftung hat sich entschieden – und plakatiert erneut Virus-Mythen.

„Nicht alle Verkehrstoten hatten einen Unfall, manche hatten einfach kein Kondom“ – mit solcherlei Plakaten „wirbt“ die  Michael-Stich-Stiftung:

Verkehrstote - "Präventions"-Plakat der Michael-Stich-Stiftung
Verkehrstote - "Präventions"-Plakat der Michael-Stich-Stiftung

Verkehrstote durch fehlende Kondome, durch unsafen Sex – ein eingängiges Bild. Doch – ein Bild, das längst nicht mehr den Realitäten des Lebens mit HIV und Aids entspricht.

Eine Person, die sich heute mit HIV infiziert, hat in den westlichen Industriestaaten eine nahezu normale Lebenserwartung. Sie wird mit einiger Wahrscheinlichkeit an den Folgen eines Unfalls, irgendeiner nicht mit HIV zusammenhängenden Erkrankung oder ganz einfach eines natürlichen Todes sterben. Und mit einer zunehmend geringer werdenden Wahrscheinlichkeit an den Folgen von Aids, die von der Stich-Stiftung als  „Verkehstod“ deklamiert werden.

.

Die Michael-Stich-Stiftung bietet aktuell wieder einmal ein Beispiel,wie sich mit Bildern des „alten AIDS“ Aufmerksamkeit erregen lässt. Bildern eines AIDS, das es so heute nicht mehr gibt – das aber immer wieder gut zu sein scheint für Aufmerksamkeit, Attraktion und Spendenakquisition.
Ob der Stich-Stiftung bewusst ist, dass sie mit diesem ständigen Wiederbeleben alter Virusmythen nicht nur gängige Klischees bedient, sondern auch Abziehbilder für Stigmatisierung liefert?

‚Der Schwanz als Diktator‘ – oder: Männer sind gefährlich (akt.)

Die Münchner Aids-Hilfe hat eine neue Kampagne gestartet, „Der Schwanz als Diktator“ – eine Kampagne, die kontroverse Reaktionen hervorruft.

Eines der Motive der Kampagne:

"Der Schwanz als Diktator" - neue Kampagne der Münchner Aids-Hilfe
"Der Schwanz als Diktator" - neue Kampagne der Münchner Aids-Hilfe (c) Münchner Aids-Hilfe

Die Münchner Aidshilfe schreibt zu ihrer neuen Kampagne:

„Natürlich ist es ein ganz übles Klischee!
Aber sicher auch eines, bei dem sich viele Schwule schon mal gefragt haben, ob es nicht doch ein Körnchen Wahrheit beinhaltet: Männer werden von ihrem Schwanz gesteuert! Also sind wir mal davon ausgegangen, dass es so ist: Dass ein kleiner Diktator zwischen unseren Schenkeln sagt, wo es lang geht. Und dass dies zu Problemen führen kann, kann man sich ja denken…“

Die Kampagne entstand aus einer Werbeagentur heraus: „Die Idee und die wunderbare Umsetzung ist uns von der Werbeagentur .start! zur Verfügung gestellt worden.“

„Der Schwanz als Diktator“ – eine Kampagne der Münchner Aidshilfe. Dazu ein Gastbeitrag von Martin Klatt:

Auch im Jahr 2009 ist in AIDS-Hilfe noch etwas drin, was man dort nicht auf den ersten Blick vermutet und es gibt viele Botschaften, die mir in den letzten Tagen begegneten. Im Folgendem handelt sich um Gedanken, die von mir interpretiert wurden und nichts mit der Kampagne zu tun haben müssen aber von ihr inspiriert sind:

· Männer sind gefährlich.

· (Männliche) Sexualität ist unberechenbar, gemeingefährlich und unterdrückend.

· Der Schwanz macht viele Probleme und ist ein Fremdkörper, mit dem „Ich“ nichts zu tun habe.

· Die Autonomie des einzelnen kann in Frage gestellt werden (auch wenn man es nicht will…)

· HIV-positive sind dafür verantwortlich, die Infektion nicht weiterzutragen.

· Sexualität ist gefährlich und muss zumindest aus seuchenmedizinischer Sicht kontrolliert werden (Herr Gauweiler und Co hatten doch nicht so unrecht…).

· Ist das (Begleitscheiben) von der oder für die katholischen Kirche?

· Ist das für die Kampf-Fraktion der Frauen in der Emanzipationsbewegung geschrieben?

· Warum ist Herr Gauweiler eigentlich nicht der abgebildete Diktator?

· Hat das irgendwas mit Schwulen zu tun? Waren vielleicht Diktatoren der angedeuteten Staaten MSM?

· Gibt es das auch mit Hitler?

· Der HIV-Schnelltest hilft (gegen oder für … ja was eigentlich ?- Diktatoren, die zwischen den Schenkeln schaukeln?)

· Alle MSM in diesem Lande, die ihr euch von AIDS-Hilfe nicht angesprochen fühlt – habt ihr es gut….es wird weiterhin dafür gesorgt, dass ihr gute Gründe habt, es dabei bewenden zu lassen.

· Was hat das mit Schnelltest zu tun? Auch in Diktaturen wird schon mal schnell geschossen.

· Eine Kampagne kommt gut ohne sinnvolle Botschaft aus.

· AIDS-Hilfe ist neben den Hochglanz-Leitbildern und wirklich gut klingenden Ansätzen auch noch etwas ganz anderes…
(es lohnt sich immer, hinter die Fassaden zu schauen…in diesem Fall bekommt man Inneres sogar frei Haus)

· Man muss auch Männer, die ihrem Schwanz ausgeliefert sind, dort abholen wo sie stehen.

· Diktaturen sind gut für eine leichte und witzige Werbekampagne.

· Braun als (Grund-)Farbe des Motivs muss nicht politisch gewertet werden und braucht nicht mit einer irgendwie gearteten Geschichte in Verbindung gebracht werden (außerdem gibt es dass ja auch in grau).

· Menschen, die aus politischen Gründen oder wegen ihrer homoerotischen Neigungen in Diktaturen verfolgt werden und wurden sind keine Gruppe, auf die Rücksicht genommen werden muss.

· Die Würde des Menschen ist unantastbar (sozusagen per Definition) und Angriffe dagegen muss eine Demokratie aushalten bzw. sind dann per Definition gar nicht möglich und beruhen logischerweise auf der Überempfindlichkeit derer, die sich als Opfer wähnen.

· Leitbilder in ihrer Tiefe zu verstehen und zu leben ist nachrangig, wenn es darum geht sich Gehör verschaffen zu wollen.

· Authentizität gegenüber eigenen Leitbildern ist nachrangig, wenn die Werbeindustrie mal wieder einen Coup gelandet hat.

· Man kann der Werbeindustrie nicht sagen: „Das geht gar nicht, das nehmen wir nicht“ – leichter ist es, die eigenen Werte zu verraten.

· Die Würde des Menschen ist ein Kostenfaktor und disponierbar.

· Man muss sich nicht dem Vorwurf aussetzen, feige zu sein (wenn man sich nicht mit der Werbeagentur anlegt), schließlich hat man ja eine mutige Kampagne gestartet.

· Der Zweck, ach nein – pardon, Geld heiligt die Mittel.

· Wandel in Geschichte kann in abgedroschenen Klischees durchaus ignoriert werden.

· In einer Diskussion (rund um den Test) erworbenes Renomee bürgt nicht für Qualität einer Einrichtung (man lasse sich nicht von schönen Worten blenden).

· „Der Farbige an sich schnackselt halt gerne“ wie man spätestens seit Frau von Thurn und Taxis weiß.

· Die einzelne AIDS-Hilfe ist grenzenlos autonom.

· Die einzelne AIDS-Hilfe muss es nicht kümmern, wenn sie verbandsschädigende Botschaften/Kampagnen verbreitet.

· AIDS-Hilfen (d.h. die Menschen darin) sind es selber schuld, wenn sie sich mit den Botschaften/Kampagnen anderer AIDS-Hilfen identifizieren (wollen).

· Der Karikaturen-Streit ist adaptierbar.

· Kampagnen in AIDS-Hilfe sind auf den ersten Blick gerne ohne klare Botschaften und sind bevorzugt für Menschen zugänglich, die sich (zeitlich und inhaltlich) intensiv und intellektuell mit Medien auseinandersetzen (können) und gerne zwei bis x mal um die Ecke denken.

· Mit genügend Ausdauer werden wir die verstandesgesteuerte, misstrauenbesetzte Sexualität schon noch hinbekommen.

· Vertraue keinem, auch dir selbst nicht – du kannst nie wissen, was du tust.

· Vermeide Leben, du könntest von ihm diktiert werden und schlimmer, es könnte dir schaden.

· Die Michael-Stich-Stiftung ist doch in guter Gesellschaft…

· Kann ein großer Diktator auch ein kleines Problem sein? – und wie ist das mit der Demokratie?… …ist mein Schwanz stimmberechtigt?

…ich schweife nun endgültig ab…ich liebe diese Kampagne…

also zurück zur Kampagne, die zwei Preise verdient:

Den „Schimmligen Schwanz 2009“ in Gold für die beste „Schlechteste Kampagne einer AIDS-Hilfe“.

Die „Goldene Irgendwas 2009“ die nicht mit Lob spart, wie toll diese mutige Kampagne doch zu einer offenen Diskussion anregt und somit dem Thema Aufmerksamkeit beschert und sich die Macher nicht scheuten, dazu in leichter und witziger Art kontrovers erlebte Motive aufzugreifen.

Gastbeitrag von Martin Klatt (nicht als Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Gießen e.V., nicht als Vorstand der AIDS-Hilfe Hessen e.V.)

queer.de 27.02.2009: ‚Münchner Aids-Hilfe schwanzfixiert
TheGayDissenter 27.02.2009: ‚Das Diktatorentreffen zu München‘

Nachtrag 07.03.2009: Die Münchner Aids-Hilfe hat inzwischen in ihrem Forum eine Diskussions-Seite zur Kampagne „Der Schwanz als Diktator“ eingerichtet