Thailand: niedrigerer Medikamenten-Preis doch möglich

Thailands Positive dürfen damit rechnen, ein wichtiges Medikament zukünftig zu einem bezahlbaren Preis zu erhalten. Der Pharmakonzern Abbott vollzog eine Wende in seinem bisherigen Verhalten und kündigte deutliche Preisreduzierungen an.

Erst Ende März war der Konflikt um die Versorgung thailändischer Positiver mit Kaletra eskaliert. Die thailändische Regierung hatte eine Lizenz für den Import einer generischen Version erteilt, da der vom Pharmakonzern Abbott angebotene Preis für eine Monatsdosis angesichts der Zahl der Patienten und der Leistungsfähigkeit des Landes als weitaus zu hoch erschien. Als Reaktion darauf hatte der Pharmamulti angekündigt, zukünftig neu entwickelte Medikamente nicht mehr auf den Markt zu bringen.

Nun vollzieht der Pharmakonzern eine beachtenswerte Wende:
Abbott bot der thailändischen Regierung an, den Preis für die Monatsdosis Kaletra von 5.938 Baht (etwa 181$) auf umgerechnet 107$ zu reduzieren. Damit würde der Preis einer Monatsdosis sogar unter dem der generischen (aus Indien importierten) Version liegen (ca. 120$).

Presseberichten zufolge soll das Angebot von Abbott ohne weitere Auflagen (wie etwa den etwaigen Widerruf der Importlizenz) sein. Ursprünglich hätte der Preis für die Monatsdosis Kaletra bei 347$ (!) gelegen.

Analysten erscheint die Wendung im Verhalten des Pharmamultis als Versuch, den Bruch der Patentrechte durch die thailändische Regierung zu vermeiden. Zudem könnte der Konzern befürchtet haben, weitere Staaten wie Brasilien würden Thailands Beispiel folgen.

Die Ankündigung Abbotts, künftig keine neuen Medikamente mehr nach Thailand zu liefern, hatte weltweite Proteste hervorgerufen. Selbst die Welt- Gesundheits-Organisation WHO hatte das Recht Thailands zu Generika-Lizenzen betont. Das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids hatte zum Boykott des Konzerns aufgerufen.

Parallel zur Preisreduzierung für Thailand kündigte Abbott zudem an, für 40 Staaten mittleren Einkommens- Niveaus (von Indien über Weißrussland bis Jamaica) den Preis der Jahresdosis Kaletra auf 1.000$ zu senken. Diesem Schritt waren Diskussionen mit der WHO voraus gegangen.

„Und sie bewegt sich doch …“
Schienen die Schritte der thailändischen Regierung auch noch so verzweifelt, von einigen Kritikern geradezu als halsstarrig bezeichnet – sie haben sich ausgezahlt. Der Konzern hat sich bewegt und mit der Reduzierung des Preises auf 107$ einen beachtenswerten Schritt vollzogen.
Gewinner sind die Positiven Thailands, denen nun nicht nur eine wirksame, sondern auch hitzestabile Version eines Medikaments zur Verfügung steht. Die Einhaltung der Patentrechte scheint den Pharmakonzernen äußerst wichtig zu sein – so wichtig, dass bedeutende Zugeständnisse möglich sind.
Zudem wird wieder deutlich, dass mutiges und beherztes Eintreten für die eigenen Interessen (wie in Brasilien oder jetzt Thailand) sowie internationale Öffentlichkeit und Proteste durchaus eine Wirkung auf die Pharmamultis entfalten können.

Das Schuldprinzip in der Krankenversicherung

Am 1. April ist die lange diskutierte Gesundheits-Reform in Kraft getreten. Angesichts all der Berichte über Wahl-Tarife und Beitrags-Rückerstattungen ist ein kleines Detail kaum berichtet worden. Das Schuldprinzip ist in die Krankenversicherung eingeführt worden.

Ab dem 1. April dürfen wir uns nicht nur für Wahltarife entscheiden, mit verschiedenen Prämien, Selbstbehalten, Rückerstatttungen. Sondern die Kassen müssen auch nicht mehr aufkommen für Kosten in Folge von Piercings sowie Kosten nach unnötigen Schönheits- Operationen (das Gesundheitsministerium nennt das „Behandlung von Folgeerkrankungen aufgrund nicht notwendiger medizinischer Eingriffe“).

Wieder einmal ist das Tor weiter aufgemacht worden. Ein Tor, über dem als Überschrift stehen könnte „Das Schuldprinzip“.

Früher einmal war die Krankenversicherung nach dem Solidarprinzip gestaltet, wie beinahe die gesamte Sozialversicherung. Doch inzwischen greift zunehmend die Schuldfrage um sich – „ist der/die doch selbst schuld dran, was soll die Versicherten-Gemeinschaft dafür zahlen?“

Nun mag man/frau ja denken, „stimmt ja auch, was soll’s, hat ja selbst schuld., wer sich ein Piercing machen lässt (oder eine Schönheits-OP), und dann hinterher Probleme auftreten. Was soll ich mit meinen Krankenversicherungs- Beiträge dafür zahlen.“
Und schon ist man/frau in die populistische Falle der Entsolidarisierungs- Politik getappt.

Denn das könnte allerdings etwas kurz gedacht sein.
Vielleicht ist dann der nächste Ski-Unfall, der Sturz mit dem Motorrad demnächst auch nicht mehr versichert? Oder der die kleinen Problemchen, letztens, hingefallen als Sie so ein klein wenig beschwipst waren?
Und irgendwann dann auch die Behandlung der Raucher-Lunge, oder der HIV-Infektion? (schließlich, sie mussten ja nicht rauchen, und das mit dem Virus, das wussten sie doch vorher, dass das riskant ist…)

Das mag absurd erscheinen, nicht vorstellbar sein. Aber – mit Piercings und Schönheits-OPs ist ein Anfang (der ‚Selbst-Haftung‘) gemacht. Und das ‚Schuld-Prinzip‘ wird weiter ausgeweitet werden. Die so genannten ‚Risiko-Sportarten‘ sind bereits (nicht nur bei CDU-Politikern) in der Diskussion, könnten als nächste aus dem Versicherungsschutz der Krankenversicherungen ausgeschlossen werden.

Wollen wir das wirklich? Wollen wir ein derart immer mehr ent-solidarisiertes System?
Ein System, das Risiken wieder privatisiert? Für jeden und alles private Vorsorge-Versicherungen verlangt?
Oder nicht doch eine solidarische Krankenversicherung, die für alle Risiken der Gesundheit einsteht, und von allen für alle getragen wird?

Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste

Aids-Aktivisten und Patienten protestieren vor den Büros eines Pharma-Multis. Aus Europa und den USA kennt man dieses Bild seit ACT UP.
Doch dieser Konflikt mit dem Pharma-Multi Abbott findet im thailändischen Bangkok statt. Demonstranten blockierten den dortigen Unternehmenssitz. Und das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids ruft zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen zum Boykott des Konzerns auf.

Immer wieder geraten die Patentrechte in die Kritik, da sie die Medikamenten-Versorgung der Bevölkerung in zahlreichen armen Staaten erschweren oder unmöglich machen. Dies gilt auch für Thailand.

Die thailändische Regierung hatte nach vorangehenden Ankündigungen am 29. Januar eine so genannte ‚Compulsory Licence‘ erteilt, damit eine generische Version des Abbott-Medikaments Kaletra® im Land hergestellt oder (aus Indien) importiert werden kann.

In Thailand sind ca. 500.000 der 65 Millionen Einwohner mit HIV infiziert, etwa 200.000 benötigen eine antiretrovirale Therapie. Vor Einführung generischer Medikamente kostete eine Standard-HIV-Therapie in Thailand 33.300 Baht pro Monat (924$). Nur 3.000 Menschen erhielten damals eine Therapie. Mit generischen Medikamenten konnten die Kosten drastisch reduziert werden. Entsprechend konnte die Zahl der thailändischen Positiven, die eine Kombi-Therapie erhalten, auf inzwischen 100.000 (!) gesteigert werden (20.000 davon erhalten Kaletra®). Doch weitere mindestens 100.000 Positive im Land warten darauf, wirksame und bezahlbare Aids-Medikamente erhalten zu können.

Um die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu verbessern, hatte die thailändische Regierung nun die umstrittene Lizenz erteilt.

Diese würde einen Bruch des Abbott-Patents für dieses Medikament bedeuten – andererseits lassen die Regeln des Welthandels genau diese Lizenzen zu: nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land diese Lizenzen vergeben, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Selbst US-Regierungsvertreter gestehen deswegen ein, dass Thailands Verhalten rechtlich zulässig ist. Allerdings hätte Thailand besser vor der Lizenzerteilung mit dem Pharmakonzern verhandeln sollen, betonten sie.

Abbott hate Mitte Februar eine Reduzierung des Preises von 347$ pro Monat auf 167$ angeboten. Die Import-Version aus Indien würde ungefähr 120$ monatlich kosten. In Afrika stellt Abbott das Medikament für 500$ pro Patient und Jahr zur Verfügung, will diesen Preis jedoch nicht für Thailand bieten.

Der Lizenz-Entschluss der (erst vor einigen Monaten an die Macht geputschten) thailändischen Regierung wurde von den (in Thailand traditionell politisch starken) Militärs unterstützt. Ende letzten Jahres hatte Thailands Regierung bereits eine Compulsory Licence für Efavirenz (vermarktet als Sustiva® und Stocrin®) erteilt.

Abbott bezeichnete das Verhalten der thailändischen Regierung als reine Willkür und Preisdrückerei und reagierte deutlich: der Pharma-Multi kündigte am 14. März an, zukünftig seine neu entwickelten Medikamenten in Thailand nicht mehr auf den Markt zu bringen. Dies ist das erste Mal, dass ein Pharmakonzern Medikamente bewusst vorenthält und dies öffentlich kundtut. Nicht in Thailand auf den Markt bringen will Abbott u.a. eine neue (für Thailand nicht unwichtig: hitzestabile) Version von Kaletra® sowie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel sowie ein Medikament gegen Bluthochdruck.

Ein Vertreter von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ bezeichnete das Verhalten des Multis Abbott als ‚unmoralisch‘. Die Organisation betonte, man sei frustriert über die Entwicklung.

US-Vertreter betonen inzwischen unverhohlen, Thailand drohe Investitionen von US-Unternehmen zu verlieren.

Thailand zeigt sich bisher unbeeindruckt von Abbotts Verhalten. Man werde weitere Compulsory Licences prüfen, u.a. um die Bürger des Landes auch mit bedeutenden Krebs- und Herzmedikamenten versorgen zu können, so der Gesundheitsminister des Landes.

Der Pharmakonzern Abbott erhielt unterdessen Unterstützung u.a. vom deutschen Multi Bayer. Er halte die Entwicklung für gefährlich und unterstütze Abbott vollkommen, betonte der Chef von Bayer Healthcare, Arthur Higgins.

Pharmakonzerne begründen ihre harte Haltung in Sachen Patentschutz gerne mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten, die mit neuen Medikamenten verbunden sind. Kritiker betonen hingegen, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten gegen lebensbedrohende Erkrankungen (wie Aids) dürfe nicht wegen der Profite der Pharma-Multis gefährdet werden.

Pillen-Absurditäten

Ein Blick nach Brasilien zeigt, welche Entwicklungen möglich sind, wenn Gesundheit zunehmend nur noch zu einem ‚ganz normalen Markt‘ gemacht wird.

Wie Klaus Hart via OST:BLOG berichtet, ist die Potenzpille Viagra in Brasilien das meistverkaufte Medikament des Landes, schon das sechste Jahr nacheinander. Auf Platz zwei der meistverkauften Medikamente Brasiliens: Viagra-Konkurrent Cialis.
Auch in Brasilien sind Potenzpillen rezeptpflichtig – in der Theorie. In der Realität seien sie in jeder Apotheke so leicht wie Kondome zu kaufen, so der Bericht. Über eine Million von ihnen würden jeden Monat abgesetzt.

Potenzpillen scheinen in der Machokultur Brasiliens (für finanziell Bessergestellte) zu einer von den Herstellern aggressiv beworbenen Normalität zu werden. Medikamente, nicht von Ärzten verordnet, unkontrolliert eingenommen, uninformiert über Risiken und Wechselwirkungen. Pillen, die vermeintlich problemlos konsumiert werden – überwiegend von jüngeren Männern, die Fitnesscenter oder Sportstudions besuchen.

Für Pharmakonzerne muss das wie ein Traum sein – Medikamente, ohne Rezept verfügbar, die ‚Kunden‘ an einer schwachen, mit Werbung gut bespielbaren Stelle treffen können. Was für Märkte wären da noch zu erschließen …

Drohen derartige Entwicklungen bald auch hierzulande? Schrankenlose Märkte für Pharmakonzerne, die ihre Produkte wie Schoko-Drops bewerben und verkaufen dürfen?

Pfizer versucht schon, auch bei uns Viagra bald rezeptfrei zu verkaufen . Gemeinsam mit zahlreichen Abgeordneten und EU-Bürokraten sowie Lobbyisten bemüht sich die europäische Pharmaindustrie zudem immer wieder das Direktwerbeverbot für Medikamente abzuschaffen.
Wie gut, dass da gerade auch die entsprechende Zulassungsbehörde in Privatisierung ist. Das wird in Zukunft sicher einiges erleichtern …

Wohin die Reise geht, zeigt vielleicht die Fettpille für Hunde.
Eigentlich wäre doch jetzt bestimmt auch eine Potenzpille für Hunde der echte Bringer, oder?
Da bekommt der Begriff Kampfhund bestimmt nochmal ne ganz andere Bedeutung …

Medikamenten- Zulassung in Privatisierung

Die Privatisierung schreitet munter voran, auch in Deutschland. Nun hat es die Arzneimittel-Sicherheit erwischt – sie soll privat organisiert werden, unter (Mit-)Aufsicht und Finanzierung der Pharmaindustrie.

Für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland sowie deren Nutzen- und Risiken-Bewertung war bisher ein Bundesinstitut zuständig, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte). Bei zentralisierten Zulassungsverfahren über die europäische Arzneimittelagentur EMA vertritt das BfArM die Interessen der Bundesrepublik.
Mit einem neuen Gesetz soll jetzt das BfArM in die DAMA (Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur) umgewandelt werden. Die Umstellung begründet das Gesundheitsministerium in seiner Pressemitteilung u.a. damit, das ein „effektives … Zulassungsmanagement geschaffen werden“ solle.

Das BfArM wie auch die neue DAMA sind zuständig für die Arzneimittelsicherheit in Deutschland. Wem wird dieses „effektive Zulassungsmanagement“ zugute kommen? Kritiker befürchten, der Pharmaindustrie, die nun auf schnellere Bearbeitung ihrer Zulassungsanträge hoffen kann. Eine gründliche Prüfung von Arzneimitteln vor deren Zulassung hat ihre guten Gründe – besonders seit dem Contergan-Skandal in den 1960er Jahren. Wird hier Gründlichkeit einer unter wirtschaftlichen Aspekten definierten „Effizienz“ geopfert? Einer Effizienz, deren Risiken dann der Patient trägt (der nicht ausreichend getestete, analysierte und kontrollierte Medikamente bekommen könnte)?

Doch es kommt noch dicker:
Der HIV-Report weist in seiner jüngsten Ausgabe auf weitere erstaunliche Punkte des Gesetzentwurfs hin. So soll zukünftig die DAMA weitestgehend selbständig agieren, das Gesundheitsministerium ist außer in akuten Notlagen nicht mehr weisungsbefugt und hat auch keine Fachaufsicht mehr. Der Verwaltungsrat der DAMA wird besetzt – unter anderem mit Vertretern der Pharmaindustrie, die vom Wirtschaftsminister berufen werden sollen.

Das heißt: für die Arzneimittel-Sicherheit in Deutschland ist zukünftig eine Agentur zuständig, auf die das fachlich verantwortliche Ministerium fast keinen Zugriff mehr hat – wohl aber die Industrie, deren Produkte genau diese Agentur überwachen soll.

Das beste aber: die DAM soll sich zukünftig ausschließlich selbst finanzieren, über Gebühren, die sie erhebt – eben u.a. für die Bearbeitung der Arzneimittel-Zulassung. Das bedeutet, die Agentur, die Arzneimittel zulässt, wird gesteuert und finanziert genau von denen, deren Produkte sie eigentlich überwachen soll.

Irgendwie fühle ich mich auffällig an das Bild von dem Bock und dem Gärtner erinnert …
Wieder ein Parade-Beispiel, wie der Staat hoheitliche Aufgaben (hier die Arzneimittel-Sicherheit) privatisiert.

Der bisher hohe Stand der Arzneimittel-Sicherheit in Deutschland (seit Contergan gab es keinen von Zulassungsbehörden zu verantwortenden Arzneimittel-Skandal mehr) wird hier potenziell unnötig gefährdet. Die Risiken, die hier eingegangen werden, tragen Patienten, die Effizienzgewinne hingegen die Pharmaindustrie.

Bisher ist das Vorhaben der Umwandlung des BfArM in die DAMA nur ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Zustimmung im Bundestag gilt jedoch als sicher – so dass letztlich nur hilft, den öffentlichen Druck gegen dieses Gesetz zu erhöhen, und zu hoffen, dass der Bundespräsident (wieder einmal) wegen verfassungsrechtlicher Bedenken die Gesetzesausfertigung nicht unterzeichnet.

Nachtrag 06.03.2007: der Gesetzentwurf zur Errichtung der DAMA findet sich hier

Gewinne Gewinne Gewinne

Heute noch so eine Geschichte, die man lieber nicht erzählen möchte. Wieder eine Geschichte aus dem bunten Pharma-Zirkus, in dem sich alles um Gewinne Gewinne Gewinne dreht. Eine Geschichte um Pillen und Aids.

Die Immunschwäche-Krankheit Aids wird ausgelöst durch eine Infektion mit dem HI-Virus. Die HIV-Infektion kann inzwischen oftmals erfolgreich behandelt (wenn auch nicht geheilt) werden, eine größere Anzahl Medikamente steht in den wohlhabenden Industriestaaten, zunehmend aber auch in einigen Staaten der sogenannten ‚Dritten Welt‘ zur Behandlung zur Verfügung.

Die Pillen, der Markt und der Preis
Eines dieser Medikamente ist Norvir des Herstellers Abbott. Norvir (Wirkstoff Ritonavir) wurde ab Mitte der 90er Jahre als Medikament gegen HIV eingesetzt (von den Patienten allerdings u.a. aufgrund seiner Nebenwirkungen wenig geliebt). Bis man feststellte, dass Norvir auch in der Lage ist, schon in einer geringen Dosierung andere Medikamente in ihrer Wirksamkeit zu verstärken. Dies wurde bald zum hauptsächlichen Einsatzgebiet von Norvir, während als eigentliches Medikament oftmals Substanzen von Wettbewerbern eingesetzt wurden. Fast jedesmal jedoch verdiente Abbott mit, da als ‚Verstärker‘ Norvir eingesetzt wurde.

Nun könnte man als Hersteller überlegen, ’na, schön dass unsere Pille trotz all der Nebenwirkungen und besseren Konkurrenzprodukte überhaupt noch ein Einsatzgebiet hat und damit Umsatz bringt‘. Nicht so jedoch der Pharmakonzern Abbott.
Dem reichte der Umsatz als „Verstärker“ nicht. Im Jahr 2003 begann man zu überlegen, was denn getan werden könnte, um den eigenen Marktanteil zu sichern und den Umsatz anzukurbeln. Welch perfide Vorschläge dabei ernsthaft erwogen wurden, enthüllte jetzt das Wall Street Journal.

Eine der Ideen: der Pharmakonzern könnte Norvir in den USA ganz vom Markt nehmen – um Wettbewerber zu schädigen, die Norvir als Verstärker (Booster) für ihre Medikamente nutzen (und dann nicht mehr einsetzen könnten).
Eine weitere Option: die Kapseln durch den Saft zu ersetzen (der wirklich so eklig schmeckt, dass selbst die Außendienst-Mitarbeiter des Konzerns sich nach Ausprobieren weigerten, die Probe zu wiederholen).
Dies hätte Patienten vermutlich gezwungen, auf das konzerneigene Medikament Kaletra zu wechseln (in das Norvir selbstverständlich als Booster, und geschmacksneutral, eingebaut ist).

Was hätten diese Alternativen in der Praxis bedeutet?
Abbott hätte Norvir (Kapseln) vom Markt genommen. Da wenig Umsatz, wäre der direkte finanzielle Verlust nicht sehr groß gewesen.
Die Patienten und ihre Ärzte hätten sich entscheiden müssen. Sie könnten weiterhin Medikamente eines anderen Herstellers einnehmen, aber nur ohne „Verstärker“, oder nur mit dem wirklich unerträglich schmeckenden Norvir-Saft. Oder sie wechseln zu einem Produkt von Abbott (hier also Kaletra) – denn in seine eigenen Pillen baut der Konzern selbstverständlich den Verstärker auch weiterhin ein, auch mit erträglichem Geschmack.

Um dem ganzen noch einen besonderen Akzent zu geben, wurde diskutiert, wie denn diese schwer erträgliche Entwicklung vor Ärzten und Patienten gerechtfertigt werden könnte. Die perverse Idee: die ‚dritte Welt‘ könnte doch die Schuld bekommen. Man benötige alle Produktionskapazitäten, um den Staaten der ‚Dritten Welt‘ ausreichend Norvir zur Verfügung stellen zu können, so das Gedankenspiel zur Begründung der diskutierten Möglichkeit, Norvir in den USA vom Markt zu nehmen.

Und wie gingen diese perfiden Planspiele aus?
Der Pharmakonzern entschied sich im Dezember 2003 für eine dritte Option. Der Preis für Norvir wurde in den USA erhöht, und zwar drastisch.
Die angenehme Nebenfolge für Abbott: während sich die Gesamt-Preise für die Produkte der Wettbewerber, die ja das nun 5fach teurere Norvir als Verstärker benötigen, massiv erhöhten, würde Kaletra (das hauseigene Produkt mit ‚eingebautem‘ Norvir-Verstärker) preislich attraktiver sein und dadurch massive Marktanteile gewinnen.
Diese Begründung wurde natürlich nie offiziell gegeben. Abbott begründete vielmehr die Preiserhöhung damit, der neue Preis reflektiere nun endlich den ‚wahren Wert‘ der Substanz in der Therapie.

Der ‚wahre Wert‘ allerdings erschreckte nicht nur Marktbeobachter, Ärzte und Patienten. Abbott verfünffachte (!) den Preis von Norvir in den USA.
Der Großhandelspreis für eine Packung Norvir-Kapseln (100 Stück à 100mg) wurde von Abbott erhöht von 205,74 US-$ auf nunmehr 1.028,71$. Trotz massiver Proteste von Ärzten, Aktivisten, Patientenvertretern und Gesundheitspolitikern blieb es bis heute bei dieser Preiserhöhung.

Eine Geschichte, die beinahe so klingt, als hätten sie Drehbuch-Autoren wenig ambitionierter Movies sich nachts aus den Fingern gesogen – und die dennoch traurige Wirklichkeit ist.
(weitere Informationen: Hintergrundinformationen hier)
Norvir und Kaletra sind geschützte Warenzeichen von Abbott

Potenz bald rezeptfrei?

Auch Gesundheit und Medikamente sind ein Markt. Klar doch.
Oder nicht?
Geht es nicht um mehr als „nur“ darum, möglichst viel Profit zu machen mit Krankheit und Gesundheit? Sind Medikamente wirklich das gleiche wie Autoreifen oder Fastfood, nämlich nur ein Wirtschaftsgut, mit dem Konzerne versuchen möglichst viel Gewinn zu machen?
Manchmal befürchte ich, ja, auch Medikamente sind nur ein Markt, ein Monopoly, Geschäftemacherei.

Wie bei der Meldung jüngst, der Pharmakonzern Pfizer überlege, seine Potenzpille Viagra auch ohne Rezept zugänglich zu machen.

Und warum, gerade bei Viagra (das ja trotz Rezeptpflicht nicht von den Kassen erstattet wird, sondern vom Anwender selbst zu bezahlen ist)? Hat sich vielleicht bei den vielen Millionen Anwendungen bisher gezeigt, dass dieses Medikament harmlos, ohne potenzielle Nebenwirkungen oder Schäden ist? Oder macht sich ein selbstloser Pharmakonzern Sorgen, dass vielleicht nicht alle Männer in der Lage sein könnten, von den Vorteilen seines tollen Produkts zu profitieren?

Mitnichten, keineswegs.

Der Grund ist vielmehr, ganz profan: Umsatz. Gewinn. Geld.
Auch bei Potenzmittel ist seit der Zulassung der Viagra-Konkurrenten Cialis und Levitra der Wettbewerb ausgebrochen, wenn auch nicht über den Preis, so doch über die ‚Leistung‘. Und diesen Wettbewerb scheint Pfizer nun zu merken, am Viagra-Umsatz (der, nebenbei, allein im dritten Quartal 2006 bei 423 Millionen US-$ lag).

Und klar doch, was liegt da näher, als ein Medikament, zudem ein in seiner Anwendung nicht immer gerade risikoloses, rezeptfrei zugänglich zu machen? Nehmen wir’s mal schnell aus der Rezeptpflicht, wird sich schon ein Weg zu finden (z.B. Dosisänderung).
Umsatzförderung durch Senken der Schwellen?
Dann braucht der schüchterne Mann nicht einmal mehr seinen Arzt zu fragen, sondern kann gleich in den Supermarkt um die Ecke gehen und vielleicht einfach so neben H-Milch und Billig-Bier auch noch eine Packung Potenz kaufen? Und nebenbei stimmt der Umsatz dann auch wieder?

Und wann dreht die BZgA dann einen Spot mit „Tina, wat kosten die Viagra?“
Und wo bleibt der Unterschied zwischen Medikamenten und Waschmittel?

Fette Hunde

Hunde können anscheinend intelligent sein und sogar Schilder lesen. Hunde können aber anscheinend (wie ihre Herrchen und Frauchen) auch zu fett werden.

Wie gut, dass wir da die fürsorgliche Industrie haben. Denn: die Überfluss-Gesellschaft hat eine neue Errungenschaft geboren, die Abnehm-Pille für fette Hunde.

Der Wirkstoff Dirlotapide gegen Fettleibigkeit im Tier-Bereich wurde am 4.1.2007 mit Wirkung ab 12. Dezember 2006 von der US-Medikamentenbehörde FDA für Hunde zugelassen. Die FDA begrüßte dies als Bereicherung für die Tiermedizin, weil Fettleibigkeit bei Hunden ein zunehmendes Problem sei.

Eine Fettpille für Hunde halte ich für mindestens so überflüssig und dekadent wie Biofutter für Hunde

… und jeglichen Kommentar, wie viele Menschen täglich auf der Welt sterben an den Folgen von Mangelernährung oder Erkrankungen, die mit Medikamenten wirkungsvoll bekämpft werden könnten, die nur Cent-Beträge kosten (oder noch nicht entwickelt wurden, weil sie für die Pharmaindustrie zu wenig Profit versprechen), versuche ich mir zu verkneifen …

… und werde den Gedanken nicht los, warum Hersteller Pfizer nicht direkt auch noch Viagra für Hunde auf den Markt bringt? Gewinn bringt das bestimmt auch …

Leben und Sterben in MeckPomm

In MeckPomm lebt sich’s gefährlicher (und das nicht erst seit der Wahl letzten Sonntag …)

Wenn Sie einen Unfall haben, schwer verletzt sind, sind Sie in Deutschland in guten Händen. Denn Deutschland hat eine hervorragende Unfall-Versorgung, die Mehrzahl der Verletzten wird schnell und erfolgreich versorgt. Die Überlebensrate bei Mehrfach-Verletzten ist auf 78% (1996: 63%) gestiegen. Diese hohe Qualität erwarten wir selbstverständlich überall, und für jeden gleich, so verspricht es uns auch das Gleichheitsgebot.

Eine überall gleich gute Unfallversorgung zu erwarten, das anzunehmen kann sich jedoch als gefährlicher Trugschluss erweisen.

„Daseinsvorsorge“, „gleiche Lebensbedingungen für alle“ – was einst selbstverständliche Ansprüche bundesdeutscher Politik war, ist inzwischen längst außer Mode gekommen, für die einen zum Synonym eines zu ‚liberalisierenden‘, soll wohl oft heißen zu überwindenden Sozialstaats geworden, für viele andere zu einem vergessenen Begriff der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Nur folgerichtig also, dass auch die Versorgung nach einem Unfall keineswegs überall gleich gut funktioniert. Womit wir wieder bei MeckPomm wären…

Laut Statistischem Bundesamt sterben nämlich in Mecklenburg-Vorpommern Unfallopfer weitaus häufiger als in anderen Bundesländern. Haben Sie in MeckPomm einen Unfall mit schweren Verletzungen, liegt Ihr Risiko, diesen Unfall nicht zu überleben, statistisch bei 2,7 Prozent. Haben Sie den gleichen Unfall hingegen in Berlin, liegt Ihr Risiko nur bei 0,5 Prozent, und selbst im Flächenland Nordrhein-Westfalen nur bei 1,1 Prozent.

Die Ärzte und Unfallhelfer in MeckPomm sind nicht etwa blöder oder weniger gut ausgebildet als anderswo. Und auch die vielen ostdeutschen Alleen sind an der niedrigeren Überlebensrate nicht schuld (vielleicht eher an manchem Unfall-Schwerpunkt).
Aber: in Mecklenburg-Vorpommern muss ein Krankenhaus durchschnittlich eine Fläche von 4.634 km² versorgen – in Nordrhein-Westfalen hingegen nur von 541 km². Ein ähnlich gravierender Unterschied findet sich auch bei der Fläche, die ein Rettungshubschrauber zu versorgen hat.

Nun ist MeckPomm sicher wesentlich dünner besiedelt als NRW. Das allerdings kann kein Grund sein, ein über fünffach erhöhtes Todesrisiko zu akzeptieren.

Zumal auch die Krankenhäuser unterschiedlich gut auf die Versorgung von Unfallopfern vorbereitet sind. Zu oft fehlen in der Notaufnahme wesentliche Geräte, um schnell reagieren zu können: 14% haben in der Notaufnahme kein Röntgen-Gerät, 23% fehlt selbst eine Möglichkeit zum Ultraschall. So geht wertvolle Zeit durch Verlegen des Patienten verloren, in der längst behandelt werden könnte.

Wenn Sie also einen Unfall in MeckPomm haben, verletzt sind, und dann auch noch in ein nicht optimal ausgerüstetes Krankenhaus kommen …
Vielleicht doch besser bis Berlin warten? 😉

(oder den zuständigen Gesundheitspolitikern mal einige kritische Fragen stellen?)

Bald Hartz 4 für Apotheker?

Ein bekannter Internet – Medikamenten-Versandhandel eröffnet – mit tatkräftiger Unterstützung des CDU-Landesgesundheitsministers – in Saarbrücken eine Apotheke. Na und, möchte man denken. Doch eine ganze Branche schreit auf, dazu Politiker und Lobbyisten fast aller Couleur.

Worum geht es? In Deutschland dürfen bisher nur natürliche Personen Apotheken eröffnen (Ausnahme: Krankenhäuser), und ein Apotheker darf maximal vier Filialen haben (Fremdbesitz- und Mehrbesitz-Verbote). So solle eine unabhängige, qualifizierte und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sichergestellt werden, so die Befürworter der geltenden Regelung.
DocMorris -um diese Internetapotheke geht es im Saarbrücker Fall- ist jedoch eine Kapitalgesellschaft. Und DocMorris verkauft wie auch andere Internet-Apotheken rezeptfreie Medikamente, aber auch einige verschreibungspflichtige Pillen (wie Viagra & Co) z.T. bedeutend preisgünstiger als in der Apotheke um die Ecke üblich. Für die Kunden eigentlich eine gute Sache – und für die Apotheker eine Gefahr, sehen sie doch ihre bisher so sicheren Gewinne schwinden.

Trotz Sparbekundungen und Gesundheitsreform, die deutschen Apotheker erzielten 2005 einen Rekordgewinn (Erlös-Zuwachs 7,7% im Vergleich zu 2004). Der durchschnittliche Gewinn einer Apotheke belief sich auf 85.000 Euro. Auch vom gern beklagten Apotheken-Sterben ist keine Spur: 2005 wurden 242 Apotheken geschlossen, aber 326 neu eröffnet. In Deutschland versorgt eine Apotheke durchschnittlich 3.875 Einwohner, damit ist die Apotheken-Dichte in Deutschland deutlich höher als in den meisten EU-Ländern. Ein Markt mit Rekordgewinnen, nahezu ohne Wettbewerb, ohne Konkurrenz, abgeschottet und geschützt.

Es geht also, entgegen allen altruistischen Begründungen von Apothekern und Funktionären, primär vermutlich um individuelle Profite und Privilegien.
Die Saarbrücker Entwicklung könnte eine Öffnung des Medikamentenhandels für Kapitalgesellschaften auch in Deutschland bedeuten, eine Zukunft mit niedrigeren Medikamentenpreisen, mit großen, profitorientierten Apotheken-Ketten.

Doch dies muss nicht die einzige Möglichkeit sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten preisgünstig zu gestalten: in Schweden darf bereits seit 1971 nur der Staat Medikamente verkaufen, er betreibt alle 950 (!) Apotheken des Landes. Ein Monopol, das dem Gedanken der staatlichen Daseins-Fürsorge entsprang, noch heute von der Bevölkerung geschätzt wird, und das für kostengünstige Medikamente sorgt, zu überall gleichen Preisen.

Medikamentenhandel ist auch ohne Gewinnorientierung möglich … Aber dann müssten sich ja einige Apotheker einschränken …