Olympische Winterspiele: Aids-Aktivist bei Fackellauf

Eric Sawyer, langjähriger Aids-Aktivist, nimmt als offizieller Vertreter für Menschen mit HIV am Fackellauf der XXI. Olympischen Winterspiele teil.

Vom 12. bis 28. Februar 20910 finden im kanadischen Vancouver die XXI. Olympischen Winterspiele statt.

Vor der Eröffnung der Winterspiele findet der traditionelle Fackellauf statt, an dem sich rund 12.000 Läufer beteiligen. Unter ihnen wird auch ein offizieller Vertreter für Menschen mit HIV sein: Der langjährige US-AIDS-Aktivist Eric Sawyer.

Wie Sawyer am 10. Januar via Facebook mitteilte, wird er am 20. Januar gegen 08:00 Uhr Ortszeit in Calgary die Fackel mit dem Olympischen Feuer tragen – als offizieller Vertreter für Menschen mit HIV und Aids, UNAIDS und UNPlus. Seine Teilnahme ist sei Bestandteil der gemeinsamen HIV/Aids-Kampagne von UNAIDS und Olympischem Kommittee.

Eric Sawyer engagiert sich seit Ende der 1980er Jahre in der Aids-Bewegung, ist u.a. zusammen mit Larry Kramer Gründer von ACT UP New York.

weitere Informationen:
POZ 22.01.2010: HIV Activist, UNAIDS Staffer Eric Sawyer Carries the Olympic Torch
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Viruslast-Methode ist Mist – sagt ACT UP Paris

Sich seine Sexpartner nach HIV-Status auszusuchen, sei gefährlich, ebenso die Viruslast-Methode, sagt ACT UP Paris – in großflächigen Anzeigen in Paris.

Rosa und schwarz gehaltene Anzeigen warnen seit Ende Juni in Paris. Seinen Sexpartner nach dem HIV-Status auszusuchen sei nutzlos und gefährlich, sagt dort die Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris. Ebenso gefährlich und falsch sei es, seine individuellen Präventionstrategien nach der Viruslast zu richten.

Je baise sans capote ...
Je baise sans capote ...

„Ich ficke ohne Kondom, weil … oops, ich bin HIV-positiv!. Einzig das Kondom schützt!“

sous tritherapie efficace ...
sous tritherapie efficace ...

„Unter wirksamer Kombinationstherapie … riskiere ich es, meine Sexpartner zu infizieren“

Die Propagierung der Viruslastmethode für individuelle Strategien des Schutzverhaltens fördere nur die Bereitschaft, Risiken einzugehen, meint ACT UP Paris.

Erst jüngst hatte es in Frankreich Wirbel um die Aids-Empfehlungen gegeben: Die französische Gesundheitsministerin widersprach einer Empfehlung ihrer Aids-Experten, Therapie als Mittel der Prävention zu sehen. Nur Kondome schützen, meint die Ministerin – gegen den Rat des französischen Nationalen Aids-Beirats (Conseil national du Sida).
Dieser war vorher seiner Stellungnahme u.a. zu dem Schluss gekommen, in hochwirksamer antiretroviraler Therapie liege ein hohes Potenzial hinsichtlich HIV-Übertragung und Prävention. Auch antiretrovirale Therapie haben ihren Platz in der individuellen Schutzstrategie.

ACT UP Paris stellt sich mit seiner neuen Kampagne gegen die Einschätzung des französischen Aids-Expertenrats CNS (Centre National du Sida), sowie zahlreicher internationaler Experten – an die Seite der konservatioven französischen gesundheitsministerin, die beenfalls meint, nutr Kondome schützten.

Selbst die Welt-Gesundheitsorganisation WHO hingegen hatte erst jüngst betont

„There is little doubt that ART has preventive effects …“

Die Deutsche Aids-Hilfe hatte bereits im April 2009 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie u.a. zu dem Schluss kommt “Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.”

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weitere Informationen:
ACT UP Paris 25.06.2009: Act Up-Paris lance une campagne sur la prévention gay et adresse une lettre ouverte à l’INPES
tetu 02.07.2009: Prévention, sérotriage… Act Up-Paris contre les idées reçues
WHO Bulletin Juli 2009: Preventing HIV transmission with antiretrovirals
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ACT UP Paris versucht, mit grellen Anzeigen die Uhren zurück zu drehen.

Es ist schon bizarr, immer wieder neu zu erleben, dass eine Organisation, die insbesondere auch als engagierte Interessenvertretung von und für Menschen mit HIV entstand, sich zu einer beinahe stalinistisch anmutenden konservativen Präventionsagentur gewandelt hat.
Selbst der (von der Gesundheitsministerin zurück gepfiffene) AIDS-Expertenrat Frankreichs kommt zu dem Schluss, eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senke die HIV-Übertragung drastisch, und dies müsse auch gesagt werden. Sollte es ACT UP Paris zu denken geben, dass selbst Virologen und Infektiologen inzwischen anders zur Viruslast-Methode denken?

Nach vorne denken, statt rückwärtsorientiert zu handeln – das sollte eigentlich Ansatz von ACT UP sein …

Der Papst ein Komplize von Aids? – ACT UP Paris protestiert (akt.)

Der Papst meint, Kondome vergrößerten das Aids-Problem nur. Er mache sich damit zum Komplizen von Aids, entgegnen ACT UP – Aktivisten in Paris.

Die Deutsche Aids-Hilfe hatte bereits kurz nach den Äußerungen des Papstes betont „Papst lädt Schuld auf sich – Papst-Äußerungen gegen Kondomgebrauch sind unverantwortlich und weltfremd„.

In Paris gingen Aktivisten von ACT UP Paris nun weiter. „Le pape complice du sida“ (Der Papst ein Komplize von Aids“) lautete das Motto einer Aktion am vergangenen Sonntag, 22. März 2009.

Etwa 30 ACT UP – Aktivisten protestierten mit einem Die In vor der Kirche Notre Dame in Paris gegen die ihrer Meinung nach unverantwortlichen Äußerungen des Papstes.

Die ACT UP – Aktivisten wurden von jungen Katholiken attackiert und mit Eiern und Wasserbeuteln beworfen. Dabei riefen sie ACT UP Paris zufolge u.a „Kondome sind Mord“ und „Sterbt schnell an Aids“.

(alle Fotos © ACT UP Paris)

Parallel zur ACT UP – Aktion kam es bei einer Aktion, bei der Kondome vor Notre Dame verteilt wurden, zu Auseinandersetzungen zwischen ca. 30 Aktivisten der Öko-Bewegung sowie lokalen Vertretern der PCF (frz. kommunistische Partei)  einerseits und etwa 20 Vertretern der extremen Rechten andererseits.

weitere Informationen:
BBC 23.03.2009: Paris youths in row over condoms
Video über die Aktion und die Polizeieinsätze auf YouTube: French police harassing Activists Distributing Condoms Outside The Notre Dame
e-Ilico 23.03.2009: Act Up a manifesté devant Notre-Dame contre les propos du pape sur le préservatif
Kritik an den Papst-Äußerungen auch vom Fach-Journal The Lancet: ‚Redemption for the Pope?
über eine kreative Aktion berichtet SpON: Facebook Users to Flood Vatican with Condoms
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Andreas Salmen

Am 13. Februar 1992, heute vor 17 Jahren, starb Andreas Salmen, Berliner Schwulen- und Aids-Aktivist, an den Folgen von Aids.

Der Diplom-Politologe Andreas Salmen, 1962 in Göttingen geboren, war seit seiner Jugend politisch engagiert. Er recherchierte Wikipedia zufolge Undercover in der Berliner Neonazi-Szene, war Mitbegründer der Siegessäule, Mitbesetzer des Tuntenhauses in der Berliner Bülowstr. 55  (1981 – 1983), Redakteur der Positiven-Zeitung ‚Virulent‚, und 1989 Mitbegründer von ACT UP in Deutschland.

Salmen war immer kritischer, gerne auch unbequemer Denker und Aktivist.
„Die Geschichte des Verhältnisses der Schwulenbewegung zu Aids ist die Geschichte von Verdrängung und einer Kette von Versäumnissen“, zitiert Jörg Hutter z.B. eine Äußerung von Andreas Salmen in der Siegessäule 1989.

Andreas Salmen brachte, frisch zurück von einem einjährigen USA-Aufenthalt, politischen Aids-Aktivismus in Form von ACT UP mit nach Deutschland. Ohne Salmen wäre ACT UP in Deutschland vermutlich kaum denkbar – und auf einem Koordinierungstreffen deutscher ACT UP – Gruppen erfuhren seine Aktivisten-Kollegen von seinem Tod.

Andreas Salmen Traueranzeige 1
Andreas Salmen Traueranzeige 1

In einer Traueranzeige der deutschen ACT UP Gruppen heiß es 1992

„Die Königin hat ihr Königreich selbst geboren.
… Andreas war derjenige, der die us-amerikanische ACT UP – Idee aufgegriffen und auf unsere Verhältnisse übertragen hat. … Andreas war sicherlich ein schwieriger Mensch; es fiel uns nicht immer leicht mit seiner kompromisslosen und fordernden Art umzugehen. Er war voller Ideen und Konzepte für neue Aktionen, mit denen er den Kampf gegen die AIDS-Krise aufgenommen hatte. Die ungeheuere Energie, die er dabei entfaltete, war nicht zuletzt auch Ausdruck seiner eigenen Betroffenheit. Dabei verstand er die AIDS-Epidemie nicht als isoliertes medizinisches, sondern vor allem auch als politisches Problem. Seine Arbeit war geprägt von seiner Fähigkeit, analytisch zu denken und gleichzeitig leidenschaftlich zu denken. Er hat uns vorgelebt, was SILENCE = DEATH / ACTION = LIFE bedeuten kann.“

Andreas Salmen Traueranzeige 2
Andreas Salmen Traueranzeige 2

Andreas Salmen starb am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids.
Andreas‘ Nachlass wird im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung bewahrt.

Bücher und Veröffentlichungen (nach Homowiki):
* Salmen, A.: AIDS. Solidarität als Alternative. 1988. In: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Jahrbuch 1987. Sensbachtal/Odenwald
* Salmen, A.: „Wir werden die Krise überleben.“ Stop-AIDS-Projekte. 1988. In: Siegesäule 5 (6), 1988
* Salmen, A.: „Schwulenbewegung und AIDS – Endlich aus der Opferrolle herauskommen!“ 1989. In: Siegessäule 6 (1), 1989
* Salmen, A.; Eckert, A. (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung. 1969-1989 Bundesverband Homosexualität, Köln 1989
* Salmen, A.: „Ein Scharlatan findet seine Jünger. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Duesbergs.“ 1989. In: Siegessäule 6 (7), 1989
* Salmen, A.; Rosenbrock, R.: (Hg.) AIDS-Prävention. 1990. Berlin Edition Sigma Bohn
* Salmen, A.: (Hg.) „ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS-Aktionsgruppen in Deutschland und den USA“ 1991. AIDS-Forum DAH Sonderband, Berlin, 1991

ACT UP – Mythos oder Modell?

ACT UP – Mythos oder Modell einer Bürgerrechts-Bewegung HIV-Positiver?
einige persönliche Gedanken

Einer der ‚Höhepunkte‘ von Positiven-Aktivismus in Deutschland war ACT UP. Eine Bewegung, eigentlich aus den USA stammend, die bald auch hier mit zahlreichen Gruppen präsent war. Aktionen durchführte, Themen in die Öffentlichkeit brachte, Aufmerksamkeit in den Medien herstellte. Um dann recht schnell wieder zu verschwinden – warum?

Wie kam es, dass plötzlich Ende der 1980er HIV-Positive mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Forderungen für ihre Interessen eintraten? ACT UP entstand m.E. in Deutschland aus zwei Momenten heraus, einem Gefühl von Angst und Bedrohung sowie einem Erleben von Aktivwerden unter US-Schwulen und -Positiven.

Eine nennenswerte Zahl (überwiegend schwuler) Menschen in Deutschland empfand Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre Gefühle von Angst. Gefühle, die sich vielleicht festmachen lassen an damaligen nicht immer unbegründeten Befürchtungen wie „jetzt machen die uns fertig / unsere mühsam erkämpften Freiheiten kaputt / unsere Szenen kaputt (Gauweiler)“, und von Bedrohung, die sich u.a. manifestierte in Stichworten wie ‚Maßnahmenkatalog‘, ‚Internie­rung; ‚Absonderung‘, und an einigen Personen, unter ihnen ein schwedischer Arzt, ein bayrischer Politiker (von nämlichen Arzt beraten) und ein Berliner In­nensenator.

Hinzu kamen erste Berichte aus den USA, über die zu er­leben war, dass dort (nicht nur) Schwule auf die Straße gingen, für ihre Rech­te eintraten, für ihre Szenen, für ihre Leben kämpften. Mit medienwirksamen Aktionen öffentliche Meinung beeinflussten und so ignorante Politiker, Behör­den und Unternehmen unter Druck setzten.

Ignoranz und Bedrohung waren in den USA sicher größer ausgeprägt als in Deutschland, ebenso das Gefühl der Angst (Stichwort Debatte ‚gay holocaust‘), dennoch waren auch in Deutschland genügend Druck, genügend Emotion vorhanden, dass eine nennenswerte Zahl Menschen aktiv wurde. Hinzu kam, dass Andreas Salmen, frisch zurück aus den USA, direkten Transfer amerika­nischer Ideen, Strategien und Kampagnentechniken möglich machte – und sich selbst massiv engagierte.

Bald gab es auch in Deutschland zahlreiche ACT UP Gruppen (Berlin, Bonn, Dortmund, Hamburg, Frankfurt, Karlsruhe, Mainz, München, Nürnberg, Würz­burg), die viele lokale und einige teils sehr gut wahrgenommene bundesweite Aktionen durchführten (die bekanntesten darunter sicher Die Ins gegen Luft­hansa, der ‚Marlboro-Boykott‘ und die Besetzung des Doms zu Fulda im Sep­tember 1991).

 

ACT UP - Feuer unter'm Arsch (Aids-Froum DAH Sonderband 1991)
ACT UP - Feuer unter'm Arsch (Aids-Froum DAH Sonderband 1991)

 

Doch die Blüte von ACT UP dauerte in Deutschland nicht lange. Zwar gab es eine ACT UP – Gruppe noch bis Ende der 1990er Jahre (Frankfurt), ACT UP als aktionistische Form positiver und positivenpolitischer Selbsthilfe jedoch spielte schon Mitte der 1990er Jahre in Deutschland keine nennenswerte Rol­le mehr.

ACT UP – warum ein schnelles Ende?
Zum baldigen Ende der ACT UP – Bewegung in Deutschland nach kurzzeitiger Blüte trugen m.E. mehrere Gründe bei, u.a.:
– mit den Tod von Andreas Salmen im Februar 1992 verloren die deut­schen Aktivisten nicht nur ihren spiritus rector, sondern auch eine Füh­rungsperson, Theoretiker und Kristallisationspunkt.
– viele der Aktionen in Deutschland waren letztlich aus den USA und der dortigen Situation gesetzte Themen (z.B. Kirche, Philip Morris) und hatten mit der Lebensrealität vieler deutscher Positiver nur wenig zu tun.
– die medizinische Situation änderte sich seit der Zulassung von ddI zu­nächst schleichend, bald schneller. Der existentielle Handlungsdruck wurde geringer.
– einige Aktive wandten sich bald vom politischen Aktivismus ab und (aus einem Gefühl veränderter Notwendigkeiten heraus) dem Therapie-Akti­vismus zu.
Letztlich scheint mir hatte in Deutschland zudem ACT UPs Tendenz zu zuspit­zen, zu provozieren, zu polarisieren keine ausreichende Basis im Kontext einer Gesellschaft, die eher geprägt ist von Konsens-Politik. Die kulturel­len Unterschiede zwischen Deutschland und den USA spiegeln sich hier m.E.deutlich wieder. So fassten auch aktionistischere Schwulen- und Lesbengruppen wie OutRage oder QueerNation, die in Folge von ACT UP in Großbritannien und den USA entstanden, in Deutschland nie recht Fuß.
Nebenbei, auch in den USA, wo es noch zahlreiche ACT UP – Gruppen gibt (wie ebenfalls in Paris), ist ACT UP seinem ‚godfather‘ Larry Kramer zufolge „dead – a shadow of its former self. The greast days of Aids activism are no more“ (Larry Kramer im Interview auf gaywired.com, 27.11.2008).

ACT UP – ein Modell für positiven Aktivismus?
Als Mythos hat ACT UP lange überlebt. Gelegentlich sind selbst heute noch Bemerkungen zu hören wie „Jetzt müsste man ACT UP haben“ oder „warum macht ihr nicht mal wieder ACT UP“. Es stellt sich die Frage, ist ACT UP heute noch möglich, denkbar?

Über die spontane Antwort an den Fragenden hinaus „dann mach’s doch – sei ACT UP“ bleibt im Rückblick der Eindruck, ACT UP war in Deutschland Er­gebnis eines seltenen Moments, getrieben von Wut und Angst, getrieben auch von Aktivismus der eine Bahn suchte – und selbst damals immer nur von einer kleinen Gruppe Menschen aktiv nach vorne gebracht. Diese Aus­gangsvoraussetzungen (und die Bereitschaft, das erforderliche nicht geringe Maß an Zeit und Engagement aufzubringen) scheinen mir heute nicht gege­ben.

Die Frage, ob ACT UP hierzulande als Modell für positiven Aktivismus generell taugt, hat sich damit m.E. weitgehend erledigt. Ich denke nein.

(Randbemerkung: Die These „Gefühle von Angst/Bedrohung/Wut als Basis für Aktivismus“ scheint sich in den USA derzeit erneut zu bewahrheiten. Dort gehen nach den als Schock erlebten Abstimmungsniederlagen junge Leute zu Tausenden auf die Stra­ßen, engagieren sich erneut (‚Stonewall 2.0‚). Ein Druck, der hier -auch angesichts einer kon­sens-orientierten Gesellschaft – derzeit nicht vorhanden ist.)

Allerdings zeigt ACT UP auch in Deutschland eines: Auch wenige können die Welt verändern – wenn sie es wollen. ACT UP bestand nie aus vielen aktiven Menschen, vielleicht einigen Tausend in den USA, sicher kaum 100 in Deutschland. Und dennoch – ACT UP konnte Öffentlichkeit schaffen, Aids-Politik und -Lebensrealitäten ein wenig verändern. In dieser Hinsicht könnte ACT UP auch heute noch Modell sein – dafür, dass es „nur“ eine kleine, motivierte und zu Engagement bereite Gruppe Menschen braucht, um Themen zu setzen, um Veränderungen anzustoßen. Dies ist m.E. eine Erfahrung, die man an ACT UP sichtbar machen kann.

Mir persönlich schiene dabei die Frage spannend, ob Aktions- und Organisationsformen wie ACT UP nicht nur gegen etwas (wie eine damals in Sachen Aids ignorante Politik), sondern auch für eine Idee, einen Gedanken, eine Hoffnung möglich wäre, und wenn ja wie …
„il sogno di una cosa“ (PPP)

Wenn allerdings Kramer Recht hat („activism was based, pure and simple, on fear“), dann fehlt dieser Art Aktivismus heute einfach die Grundlage.

(Text konzipiert für die Veranstaltung ‚25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe‚ der Akademie Waldschlößchen)

Paris: Bareback-Party von ACT UP verhindert

Paris: Aktivisten der Aids-Aktionsgruppe ACT UP haben eine Bareback-Party in der Stadt mit Aktionen verhindert.

„Aids-Komplizen“, „Nein zum Bareback-Business“ oder „Hier zählt das Leben eines Schwulen nichts“ – mit provokanten Parolen und Rufen hat ACT UP Paris mit 15 Aktivisten am Samstag, 4. Oktober 2008 in Paris eine Bareback-Party verhindert.

ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)
ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)

Der ‚Banque Club‘ ist ein beliebter Club im 8. Arrondissement von Paris, der sich auf seiner Internetseite selbst als „underground sex area“ bezeichnet. Für den Abend des 4. Oktober war der gesamte Club für eine Bareback-Party reserviert. Für die Teilnahme an der Party war eine Anmeldung über das Internet erforderlich, ein Eintritt von 18,50 Euro wurde vorab erhoben – erst dann wurde die Adresse der Party-Location mitgeteilt.

Veranstalter der geschlossenen Party war die Internetseite ’squatNOk‘, ein französischsprachiges Internetangebot für Barebacker. Dieses ist seit Oktober 2008 ein völlig privates Portal, das -außer dem Info-Bereich zu STDs, Testmöglichkeiten etc.- nur nach Einladung mit Zugangscodes genutzt werden kann (1). Zukünftig solle alle zwei Monate eine solche Party stattfinden, hatten die Veranstalter vorab angekündigt.

ACT UP Paris forderte „alle Schwulen Paris‘ auf, ein Etablissement zu boykottieren, das auf eure Gesundheit pfeifft“. ACT UP wies darauf hin, dass der Banque Club Mitglied der SNEG ist und die französische Präventionsvereinbarung (siehe ‚Umsatz und Kondome‚) unterzeichnet hat. Schon in früheren Aktionen hatte sich ACT UP Paris gegen den Club gewandt, mit dem wiederholten Vorwurf hier würden nicht einmal Mindestanforderungen wie die Bereitstellung von Kondomen und Gleitgel erfüllt. Mit riskantem Sex dürfe kein Geschäft gemacht werden.

ACT UP Paris rief zum Boykott des betreffenden Clubs auf und kündigte an, auch zukünftig gegen Etablissements vorgehen zu wollen, die Bareback-Sex ermöglichen.

‚Das könnte die letzte Bareback-Party in einem Sex-Club in Paris gewesen sein‘, befürchete schon das französische  Homo-Magazin Tetu.

Anmerkungen:
(1) Auf der Site heißt es „A compter du 5 octobre 2008, le Squat NOK est devenu entièrement privé. Sans être coloc il est devenu impossible de voir la cour et pour demander une piaule il faut y avoir été invité par un autre coloc. Le coloc invitant devient responsable de ses invités.“

Aus den vorliegenden Berichten ist unklar, ob die Bareback-Party letztlich doch offen für jedermann war, oder (wie bei ähnlichen Anlässen in Deutschland inzwischen eher üblich) gezielt als Party nur für Menschen mit HIV deklariert.
Die Pariser ACT UP – Gruppe ist für ihre Radikalität und insbesondere für ihre von manchen als ’stalinistisch‘ empfundene Haltung in Sachen ‚Bareback‘ bekannt.
In diesem Fall scheint das Engagement der Gruppe grenzwertig. Nicht nur, dass (wieder einmal) undifferenziert bareback und unsafer Sex gleichgesetzt werden. ACT UP scheint in Frankreich manchmal nicht in der Lage zu sein zu unterscheiden zwischen aktivem Einsatz für Prävention und Gesundheitsförderung und dem berechtigten Anliegen mancher Menschen, ohne Kondom Sex mit einander zu haben (der auch dann unter manchen Umständen safer oder auch nicht-infektiös sein kann).
Die Frage bleibt, ob solche provokanten Aktionen auf berechtigte Anliegen aufmerksam machen und auf Probleme hinweisen – oder ob sie in eine Polarisierung und Eskalation neuer Verbote (und Abdrängen in noch schwerer erreichbare Räume) führen.
So wenig ein in unseren Sexleben schnüffelnder und herumregelnder Staat erstrebenswert ist, genauso wenig scheint ACT UP als selbsternannte aktivistische Gesundheitspolizei ohne jegliche Legitimation eine angenehme Alternative zu sein.

Fast mag man sich angesichts Pariser Verhältnisse freuen, dass Forderungen à la ‚Bareback-Parties verbieten‚ hierzulande bisher ’nur‘ von den Schwusos kommen.
An Orten, an denen schwuler Sex stattfindet, sollte die Bereitstellung des erforderlichen ‚Zubehörs‘ (sprich Kondome, Gleitgel, Handschuhe etc.) selbstverständlicher Kundendienst sein. Orte, die ihren Kunden diesen Service nicht bieten – könnten einfach zugunsten besserer Alternativen gemieden werden.
Letztlich ändert jedoch auch die best-funktionierende Präventionsvereinbarung nichts daran, dass jeder -erst recht jeder, der einen Ort schwulen Sex‘ besucht- selbst dafür verantwortlich ist, seine Schutz-Möglichkeiten, also z.B. Kondome, bei sich zu haben.
Andererseits sollten sich jene Wirte so manchen schwulen Etablissements auch hierzulande, die sich immer noch weigern, in ihren Unternehmen Kondome auszugeben, fragen, ob sie hier nicht nur ihren Communities und Kunden, sondern nicht letztlich auch sich selbst einen Bärendienst erweisen.

Proteste gegen Roche

Französische Aids-Aktivisten protestierten am 3. Oktober am französischen Sitz des Pharma-Multis Hoffmann-LaRoche in Neuilly gegen die Politik des Konzerns. Sie warfen ihm vor, eine überzogene Preispolitik für den Fusionshemmer Enfuvirtide auf dem Rücken der Positiven in Südkorea zu betreiben.

ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche
ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche

Enfuvirtide (früher auch bekannt unter dem Forschungs-Namen T-20) ist ein bereits seit längerem auf dem Markt befindlicher Fusionshemmer gegen HIV. Enfuvirtide, entwickelt vom US-Biotech-Unternehmen Trimeris, wird vermarktet von Pharma-Multi Hoffmann-LaRoche unter dem Handelsnamen „Fuzeon“.

Fuzeon ist das teuerste derzeit am Markt erhältliche Medikament gegen HIV. Eine Packung mit 60 Durchstechflaschen sowie dem erforderlichen Lösemittel kostet in Deutschland derzeit 2.112,75 Euro. Dies ergibt Jahres-Therapiekosten für dies eine Medikament von schätzungsweise über 25.000 Euro – allein für ein einziges Medikament (das immer in einer Kombitherapie mit mindestens zwei weiteren Aids-Medikamenten eingesetzt wird).

Hoffmann-LaRoche erzielte Presseberichten zufolge 2006 mit Fuzeon einen Umsatz von 250 Mio. US-$(312 Mio. sFr.) – mit deutlich steigender Tendenz 2007. Presseberichte sprechen von 266,8 Mio. $ für 2007. In der ersten Jahreshälfte 2008 sollen die Umsätze stark gesunken sein – was auch der Verfügbarkeit neuer wirksamer HIV-Medikamente geschuldet sein könnte.

Schon aufgrund des hohen Preises steht Enfuvirtide Positiven in vielen Staaten der Welt nicht als Medikament zur Verfügung.
Auch in Südkorea ist Fuzeon bisher nicht verfügbar. ACT UP Paris zufolge sei die südkoreanische Regierung bereit gewesen, Jahres-Therapiekosten von 18.000 US-$ zu bezahlen. Roche habe jedoch auf seinem ursprünglichen  Preis von 22.000 $ beharrt.

ACT UP Paris protesierte am 3. Oktober gegen das Verhalten von Hoffmann-LaRoche. In Neuilly, Sitz der französischen Roche-Niederlassung, skandierte ein Dutzend Aktivisten vor der Firmenzentrale „Roche, du hast ein Herz aus Stein!“ und beklagte die Verweigerung einer Preisreduzierung. Der Pharmakonzern habe „südkoreanisches Blut an den Händen“.
Die Proteste in Neuilly sind Teil einer Woche von ACT UP – Aktionen gegen Roche unter dem Motto ‚Wer ein Monopol hat, muss nicht menschlich sein‘.

Enfuvirtide wird insbesondere bei HIV-Positiven eingesetzt, die keine oder kaum noch andere therapeutische Optionen haben.
Das Medikament wird zweimal täglich subkutan injiziert. Es ist bei vielen Positiven trotz oftmals guter Wirksamkeit nicht sehr beliebt, u.a. aufgrund sehr häufig auftretender und oft sehr schmerzhafter lokaler Reaktionen und Verhärtungen an den Einstichstellen. Eine verbesserte Applikationsform (mit Druck) wurde von Roche nicht zur Zulassung eingereicht.

Erst jüngst hatte Hoffmann-LaRoche angekündigt, seine Forschungsaktivitäten auf dem Aids-Gebiet einzustellen.

Jesse Helms tot

Im Alter von 86 Jahren ist am 4. Juli 2008 der frühere US-Senator (Republikaner) Jesse Helms gestorben.

Jesse Alexander Helms war einer der aggressivsten Kämpfer gegen Rechte von Schwulen und Lesben in den USA. Vielen nicht nur in den USA galt er als Inkarnation des Begriffs ‚Homophobie‘. Und wenig überraschend war Helms auch ein Vertreter einer ganz und gar nicht liberalen Aids-Politik.

Jesse Helms sprach sich u.a. lange gegen eine staatliche Förderung der Aids-Forschung aus. Und eine der bekanntesten „Erfolge“ von Helms ist – das Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids in die USA. Das wurde nämlich als sogenantes „Helms Amendment“ (benannt nach seinem Initiator) im Juli 1987 eingeführt (durch das Helms-Amendment wurde HIV in die Ausschluß-Liste der Einreiseregelungen des US Public Health Service aufgenommen [1]). Es wurde 1993 Gesetz.
Das durch Helms begründete HIV-Einreiseverbot besteht trotz zahlreicher nationale rund internationaler Proteste bis heute …

Aufgrund seiner aggressiv gegen die Interessen von Menschen mit HIV und Aids gerichteten Politik wurde Helms auch zur Zielscheibe von Aktionen von ACT UP. Auch Aktionen, die ACT UP gegen den damaligen Zigaretten-Konzern Philipp Morris durchführte, waren darin begründet, dass dieser Konzern Jesse Helms damals finanziell umfangreich förderte.

Auch politische Widersacher als Menschen zu respektieren halte ich für mich persönlich für eine Grundlage politischer Arbeit. Jesse Helms allerdings hat so viel Hass gesät, so unendlich viel Schaden angerichtet, agitiert und gekämpft gegen Lesben und Schwule, gegen Menschen mit HIV und Aids – es wäre wirklich geheuchelt, würde ich jetzt Trauer zeigen angesichts seines Todes.

[via boxturtlebulletin]

[1] Senate Record Vote Analysis (1987) ‚Supplemental appropriations/AIDS testing for immigrants‘, 100th Congress, 1st session, June 2,Vote No. 142 auf www.senate.gov

Späte Einsicht, teilweise

Der Pharmamulti Abbott hat sein gerichtliches Vorgehen gegen die Aids-Aktivistengruppe ACT UP Paris eingestellt. Grund dürften insbesondere die äußerst schlechte Resonanz in der Öffentlichkeit sein. Thailändischen HIV-Infizierte klagen, ein wichtiges Medikament werde ihnen jedoch weiterhin vorenthalten.

Am 23. Mai hatte der Pharmamulti Abbott Klage gegen ACT UP Paris eingereicht. Der Konzern warf der Gruppe eine Cyber-Attacke gegen die eigene Website vor. ACT UP Paris hatte wie viele andere Gruppen und Aktivisten weltweit zu Protesten gegen das Vorgehen des Konzerns in Thailand aufgerufen.

Nach Bemühungen der thailändischen Regierung, mit einer rechtlich zulässigen Zwangslizenz die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit einem Aids-Medikament des Konzerns sicherzustellen, hatte Abbott angekündigt, zukünftig keine neuen Medikamente mehr in das Land zu liefern. Dies hatte zu einem weltweiten Proteststurm geführt. Abbotts Verhalten hatte schon mehrfach den Eindruck erweckt, Profite stünden in weit höherem Interesse als die Medikamentenversorgung der Bevölkerung.

Ende Juli kündigte eine Abbott-Sprecherin nun an, die Klage gegen ACT UP Paris sei fallen gelassen worden. Man erwarte keine weiteren Cyber-Attacken der Gruppe.
ACT UP Paris dementierte Aussagen des Konzerns heftig, man habe sich mehrfach mit der Gruppe getroffen und suche eine schnelle gemeinsame Lösung. Dies sei skandalöse Desinformation.

Das thailändische Positiven-Netzwerk betont, dass Abbott die Versorgung der thailändischen HIV-Infizierten mit seinem lebensnotwendiges Medikament ‚Aluvia‘ weiterhin blockiere.
Der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten sie doch wohl wichtiger als der zeitweise Zugang zu einer Internetseite, betonten sowohl ein Sprecher der thailändischen Positivennetzwerks als auch ein Sprecher von ACT UP Paris.

Abbott gegen ACT UP

Der Pharmakonzern Abbott, der gerne mal drastisch wird, wenn es um die Medikamentenversorgung in ‚Entwicklungsländern‘ geht, geht nun gegen die Aktivistengruppe ACT UP Paris juristisch vor.

Abbott wirft ACT UP Paris eine ‚Cyber-Attacke‘ gegen den Internetauftritt des Konzerns vor. Am 26. April sei die Website des Konzerns für Stunden nicht erreichbar gewesen, genau am Vortag der jährlichen Aktionärs- Versammlung.
Am 23. Mai reichte der Konzern Klage in Paris ein, das Gericht setzte eine Anhörung für den 3. Oktober 2007 fest.

ACT UP Paris hatte nach dem drastischen Vorgehen des Pharmakonzerns gegen Thailand u.a. zu einem Internet-Protest am 26. April aufgerufen. Eine große Zahl Menschen hatte sich daran beteiligt. Massive Aufrufe der Abbott-Seiten sollten die Rechner des Internet- Auftritts des Konzerns verlangsamen oder überlasten.

ACT UP Paris betont angesichts der Abbott-Klage, dies sei das erste Mal, das ein Pharmakonzern eine Klage gegen die Gruppe eingereicht habe. Abbott zeigt sich scheinbar auch hier als zweifelhafte ‚Speerspitze‘ der Aids-Pharmaindustrie.

Der Pharmakonzern Abbott war erst jüngst massiv in die internationale Kritik geraten, nachdem er Thailand in der Auseinandersetzung um den Zugang zu lebenswichtigen Aids-Medikamenten drohte, dem Land zukünftig innovative Medikamente vorzuenthalten.

statt Wort zum Sonntag

Die Kirche möchte Berufung gegen ein zu mildes Urteil für eine ACT UP – Aktion

Manchmal gibt es ja geradezu niedliche Nachrichten….

Da machte ACT UP Paris eine Aktion in Notre Dame. Eine Aktion, natürlich ungenehmigt (wer hätte die denn auch genehmigt). Eine Aktion für die Homo-Ehe.

Und nun wurde ACT UP Paris zu einer symbolischen Strafe von einem Euro verurteilt.

Und die Kirche überlegt, in Berufung zu gehen….

Und ich frage mich verzweifelt …
Oh Gott, hat die Welt, hat deine Kirche keine größeren Probleme?
Und oh ACT UP, hat Aids keine größeren Probleme als die Homo-Ehe?
Und – wofür wurde der symbolische Euro eigentlich gespendet? (das schreibt Radio Vatikan nämlich leider nicht…)

Nun gut, der Gang kirchlicher Dinge ist übrigens langsam (kein Wunder, wenn man in Jahrhunderten denkt), die ACT UP – Aktion ereignete sich 2005 (!). Das Urteil kam erst am vergangenen Freitag …

Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste

Aids-Aktivisten und Patienten protestieren vor den Büros eines Pharma-Multis. Aus Europa und den USA kennt man dieses Bild seit ACT UP.
Doch dieser Konflikt mit dem Pharma-Multi Abbott findet im thailändischen Bangkok statt. Demonstranten blockierten den dortigen Unternehmenssitz. Und das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids ruft zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen zum Boykott des Konzerns auf.

Immer wieder geraten die Patentrechte in die Kritik, da sie die Medikamenten-Versorgung der Bevölkerung in zahlreichen armen Staaten erschweren oder unmöglich machen. Dies gilt auch für Thailand.

Die thailändische Regierung hatte nach vorangehenden Ankündigungen am 29. Januar eine so genannte ‚Compulsory Licence‘ erteilt, damit eine generische Version des Abbott-Medikaments Kaletra® im Land hergestellt oder (aus Indien) importiert werden kann.

In Thailand sind ca. 500.000 der 65 Millionen Einwohner mit HIV infiziert, etwa 200.000 benötigen eine antiretrovirale Therapie. Vor Einführung generischer Medikamente kostete eine Standard-HIV-Therapie in Thailand 33.300 Baht pro Monat (924$). Nur 3.000 Menschen erhielten damals eine Therapie. Mit generischen Medikamenten konnten die Kosten drastisch reduziert werden. Entsprechend konnte die Zahl der thailändischen Positiven, die eine Kombi-Therapie erhalten, auf inzwischen 100.000 (!) gesteigert werden (20.000 davon erhalten Kaletra®). Doch weitere mindestens 100.000 Positive im Land warten darauf, wirksame und bezahlbare Aids-Medikamente erhalten zu können.

Um die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu verbessern, hatte die thailändische Regierung nun die umstrittene Lizenz erteilt.

Diese würde einen Bruch des Abbott-Patents für dieses Medikament bedeuten – andererseits lassen die Regeln des Welthandels genau diese Lizenzen zu: nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land diese Lizenzen vergeben, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Selbst US-Regierungsvertreter gestehen deswegen ein, dass Thailands Verhalten rechtlich zulässig ist. Allerdings hätte Thailand besser vor der Lizenzerteilung mit dem Pharmakonzern verhandeln sollen, betonten sie.

Abbott hate Mitte Februar eine Reduzierung des Preises von 347$ pro Monat auf 167$ angeboten. Die Import-Version aus Indien würde ungefähr 120$ monatlich kosten. In Afrika stellt Abbott das Medikament für 500$ pro Patient und Jahr zur Verfügung, will diesen Preis jedoch nicht für Thailand bieten.

Der Lizenz-Entschluss der (erst vor einigen Monaten an die Macht geputschten) thailändischen Regierung wurde von den (in Thailand traditionell politisch starken) Militärs unterstützt. Ende letzten Jahres hatte Thailands Regierung bereits eine Compulsory Licence für Efavirenz (vermarktet als Sustiva® und Stocrin®) erteilt.

Abbott bezeichnete das Verhalten der thailändischen Regierung als reine Willkür und Preisdrückerei und reagierte deutlich: der Pharma-Multi kündigte am 14. März an, zukünftig seine neu entwickelten Medikamenten in Thailand nicht mehr auf den Markt zu bringen. Dies ist das erste Mal, dass ein Pharmakonzern Medikamente bewusst vorenthält und dies öffentlich kundtut. Nicht in Thailand auf den Markt bringen will Abbott u.a. eine neue (für Thailand nicht unwichtig: hitzestabile) Version von Kaletra® sowie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel sowie ein Medikament gegen Bluthochdruck.

Ein Vertreter von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ bezeichnete das Verhalten des Multis Abbott als ‚unmoralisch‘. Die Organisation betonte, man sei frustriert über die Entwicklung.

US-Vertreter betonen inzwischen unverhohlen, Thailand drohe Investitionen von US-Unternehmen zu verlieren.

Thailand zeigt sich bisher unbeeindruckt von Abbotts Verhalten. Man werde weitere Compulsory Licences prüfen, u.a. um die Bürger des Landes auch mit bedeutenden Krebs- und Herzmedikamenten versorgen zu können, so der Gesundheitsminister des Landes.

Der Pharmakonzern Abbott erhielt unterdessen Unterstützung u.a. vom deutschen Multi Bayer. Er halte die Entwicklung für gefährlich und unterstütze Abbott vollkommen, betonte der Chef von Bayer Healthcare, Arthur Higgins.

Pharmakonzerne begründen ihre harte Haltung in Sachen Patentschutz gerne mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten, die mit neuen Medikamenten verbunden sind. Kritiker betonen hingegen, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten gegen lebensbedrohende Erkrankungen (wie Aids) dürfe nicht wegen der Profite der Pharma-Multis gefährdet werden.

Guck mal wer da spricht …

„Nicht über uns reden, sondern mit uns“ forderte ACT UP Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre, ging mit Aktionen und Inhalten in die Aids-Kongresse, zwang Mediziner Forscher und Pharmaindustrie zum Dialog, zum Streitgespräch mit ‚Betroffenen‘.

Und heute?

Manchmal scheint mir, die gleichen ACT UP – Aktionen müssten heute in so einigen Aidshilfen stattfinden. Damit Positive endlich (wieder) nicht nur als Klienten, als zu bespaßende und beratende Kundschaft (und, nebenbei, als Existenzgrundlage der Jobs vieler Mitarbeiter) betrachtet werden, sondern als Partner mit denen zusammen Aidshilfen handeln, und die selbstverständlich aktiv mit einbezogen werden.

Viele Aidshilfen haben sich inzwischen zu Organisationen entwickelt, in denen Selbsthilfe, aktives Einbeziehen von Positiven (auch in Entscheidungen) oder Fördern von positivem Selbst-Engagement Fremdworte zu sein scheinen, die höchstens noch zu dunklen Schatten einer fernen Vergangenheit gehören.

Dazu ist es nicht ohne Grund gekommen – welche/r Positive will sich denn heute noch einmischen, sich auch nur Gedanken machen? Ich fürchte, ihre Zahl ist gering, ihr Alter eher hoch.

Und dennoch – brauchen wir nicht neben aller Bespaßung Betreuung Befütterung -auch- wieder eine Kultur, in der die, die es angeht, selbstverständlich aktiv mit eingebunden werden? In der Positive ermuntert, aktiv unterstützt werden sich zu beteiligen? In der Selbsthilfe und positives Engagement wieder selbstverständlich und erwünscht sind? In der Kritik geschätzt, Diskussionen und Debatten gewürdigt (und nicht als unerwünschtes Einmischen abgekanzelt) werden?

Oder müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass Aids-Hilfe noch etwas mit Selbsthilfe, mit aus eigener Betroffenheit engagierter Interessenvertretung zu tun hat?