Immer wieder stehen auch in Deutschland Menschen vor Gericht mit dem Vorwurf, andere fahrlässig oder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. ‚Bei mir ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze‘, mag der ein oder andere denken, sich an das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode erinnern. Doch – wie sieht es in der Realität vor Gericht aus? Welche Bedeutung haben Viruslast und EKAF-Statement vor Gericht? In einem Gastbeitrag beleuchten Corinna Gekeler und Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe drei aktuelle Urteile und ihre Bedeutung.
(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht – Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?
von Karl Lemmen & Corinna Gekeler, Deutsche AIDS-Hilfe
Die deutsche Rechtsprechung weist große Unterschiede auf. Insbesondere die Viruslust unter HAART wird sehr verschieden beurteilt. Würde man die „EKAF-Kriterien“ auch als rechtstaugliche Maßstäbe 1:1 umsetzen, müsste die von den Schweizern vorgesehene Herstellung eines Informed Consent zwischen den Beteiligten nämlich auch eine Rolle spielen.
Wir dokumentieren hier aktuelle Fälle aus der Presse und ergänzt die Bewertung eines Würzburger Urteils aus 2007 durch neue Information aus einem medizinrechtlichen Fachblatt.
Urteil 1: Fulda
Das Amtsgericht Fulda verurteilte Anfang März eine 32-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr1. Der HIV-Positiven wurde zur Last gelegt, durch ungeschützten Sex eine Infektion ihres 41-jährigen Freunds „billigend in Kauf“ genommen zu haben. Die Frau erwartet das zweite Kind von ihrem Partner, der inzwischen wieder ungeschützten Sex mit ihr habe. Weder er noch das erste Kind wurden infiziert, jedoch ein Kind aus erster Ehe. Der Ex-Mann hatte laut Berichten in der Lokalpresse ausgesagt, seinen Nachfolger von der HIV-Infektion seiner Ex-Frau informiert zu haben. Auch die Verurteilte bestritt, über ihre Infektion gelogen oder geschwiegen zu haben.
„Zudem habe ihr eine Ärztin gesagt, die Viruslast sei so gering, dass sie nicht ansteckend sei. Doch während eines Gesprächs mit dem Richter hatte die Ärztin dieser Behauptung widersprochen. Auch ein medizinischer Sachverständiger aus Fulda, bei dem die Angeklagte in Behandlung ist, gab an, dass man eine Ansteckungsgefahr nie ganz ausschließen könne“, so die Lokalpresse.
Urteil 2: Kiel
Seit April 2010 ist ein 47-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (HIV-Übertragungen) und wegen versuchter Körperverletzung in fünf Fällen vor dem Kieler Landgericht angeklagt. Der HIV-Positive sitzt wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft. Als Zeuginnen geladene Sexpartnerinnen sagten aus, er habe in Internetforen gezielt „Sex ohne Gummi“ gesucht.
Er gibt zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Auf Anraten seines Arztes nimmt der Angeklagte jetzt wieder HIV-Medikamente, obwohl er sich über die Notwendigkeit wundere. Die Idee, dass die Viruslast ohne die Pillen wieder steigt, sei ihm nicht gekommen. Er habe sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Sein Arzt sagte vor Gericht aus, er habe den Mann auf die weiterhin bestehenden Risiken hingewiesen. Weitere Experten stellten dem interessierten Richter die Bedeutung der Viruslast vor, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Voraussichtlich im Juni und Juli werden drei weitere Verhandlungstage folgen. Momentan wird ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten erstellt.2
Urteil 3: Würzburg
INFO erfuhr neue, interessante Details zu einem Urteil vom Landesgericht Würzburg aus dem Jahr 2007 (1) aus einem Beitrag im Fachblatt für Medizinrecht (2). Darin schreibt RA Dr. Jörg Teumer, der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aufgrund antiretroviraler Mittel sei seine Viruslast unter der Nachweisgrenze gewesen, wodurch er davon ausgegangen war, es könne keine Übertragung stattfinden. Bei einer der Partnerinnen konnte medizinisch eine auf den Angeklagten zurückgehende HIV-Infizierung nachgewiesen werden.
Das Gericht betonte, dass bei den Sexualpartnerinnen, die über die HIV-Infektion Bescheid gewusst und dennoch mit dem angeklagten sexuell verkehrt hätten, eine strafausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. eine wirksame Einwilligung vorliege, aus der sich keine Strafbarkeit ergebe. Ein solcher „Informed Consent“ zur Selbstgefährdung bietet demnach weiterhin Schutz vor Klagen oder gar Verurteilungen – unabhängig von der Höhe der Viruslast. Aber natürlich nur, wenn die Absprache allen Beteiligten ‚erinnerlich‘ ist.
Was die Beurteilung der Viruslast im Infektionsgeschehen betrifft, gibt es nach wie vor unterschiedliche Expertenaussagen. Gerichte urteilen ebenfalls sehr unterschiedlich, wie dieses Würzburger Urteil und der Nürtinger Fall belegen.
Für den Autor Jörg Teumer trägt das LG Würzburg mit seinem Urteil dem aktuellen Behandlungsstand Rechnung: „Solange es keine 100 % sicheren wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass eine Infizierung Anderer bereits aufgrund der regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente vollständig (!) ausgeschlossen ist, darf eine Kondombenutzung beim Sexualverkehr nicht unterbleiben und führt das Unterlassen dieser Schutzmaßnahme zur Strafbarkeit. Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter von Aids-Beratungsstellen etc., die dennoch einen Sexualverkehr ohne Kondombenutzung befürworten oder gar anregen, laufen daher Gefahr, sich wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einem Körperverletzungsdelikt strafbar zu machen.“
Fazit
Die Urteile aus Fulda und Würzburg zeigen, dass das Thema Viruslast in den Gerichten angekommen ist und wie unterschiedlich es bewertet wird, nämlich meist in Abhängigkeit von der Stellungnahme der geladenen medizinischen Experten. Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.
Ein Ausweg für alle Fälle (unabhängig von der Viruslast) könnte die Herstellung eines „Informed Consent“ zum Kondomverzicht sein; denn wer im Wissen um die HIV-Infektion des Gegenübers in ungeschützten Sex einwilligt, der begeht eine „strafausschließende Selbstgefährdung“. Frage ist natürlich, wie realistisch eine Vereinbarung ist, und ob man bei Bedarf immer Papier und Bleistift zur Hand hat bzw. haben möchte, um sich vor Gericht vor eventuellen „Erinnerungslücken“ seiner Sexualpartner schützen zu können.
(1) Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,679064,00.html und http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-amp-Region-Ungeschuetzter-Sex-HIV-Infizierte-verurteilt%3Bart25,251310
(2) Quellen: http://breaking-news.de/blog/2010/04/05/kiel211-hiv-infizierter-bestreitet-ausreichende-kenntnis-von-ansteckungsgefahr/, http://www.kiel-informativ.de/news-442.html und ein mündlicher Bericht einer Prozessbesucherin
(3) 1 Ks 901 Js 9131/2005 25
(4) RA Dr. Jörg Teumer: Neues zum Thema Aids und Strafrecht. In: MedR 2010 Heft 1
Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!
Erstmals hat UNAIDS die weitreichende Bedeutung des EKAF-Statements sowohl für HIV-Übertragung als auch die Lebenssituation von Menschen mit HIV betont.
In dem Statement zur 14. Sitzung des Human Rights Council (Agenda Item 3) vom 7. Juni 2010 betonen UNAIDS und UNDP, es sei sehr wichtig, Menschen mit HIV Zugang zu antiretroviraler Behandlung zu ermöglichen, da dies die HIV-Übertragung deutlich reduziere und eine große Bedeutung für Menschen mit HIV haben könne:
„It is even more critical to get those living with HIV on treatment as the latest science shows that treatment reduces HIV transmission by 92% at the population level, and can have even greater impacts for individuals.“
Bisher hatte UNAIDS eine sehr ablehnende Position zum EKAF-Statement eingenommen. Weitere Forschung sei erforderlich, und nur Kondome seien ein wirksamer Schutz.
Die Deutsche Aids-Hilfe hatte bereits Anfang April 2009 in ihrem Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“ die große Bedeutung des EKAF-Statements betont und es zu praktikablen Botschaften weiterentwickelt (u.a. ‚Viruslast-Methode‚).
UNAIDS (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS) ist eine Organisation der Vereinten Nationen mit dem Ziel, die verschiedenen HIV/Aids-Pandemie Aktivitäten einzelner Ländern im Kampf gegen Aids zu koordinieren.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (engl. United Nations Development Programme UNDP) ist ein Exekutivausschuss innerhalb der UN-Generalversammlung. UNDP unterstützt u.a. Programme der HIV/Aids-Bekämpfung.
[via Edwin J. Bernhard / criminal hiv transmission]
weitere Informationen:
UNDP & UNAIDS 07.06.2010: Statement by the Secretariat of the Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) and the United Nations Development Programme (UNDP) 14th Session the Human Rights Council Agenda (pdf)
criminal hiv transmission 09.06.2010: UNAIDS/UNDP supports Swiss statement, announces new Global Commission on HIV and the Law
aidsmap: UNAIDS/WHO statement (zum EKAF-Statement)
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Nachtrag 09.10.2010, 11:45 Uhr:
UNAIDS hat sich vor dem Human Rights Council zur Reduktion der HIV-Transmission durch Therapie geäußert und auch auf das EKAF-Statement verwiesen, sich jedoch nicht zur Frage des Kondomgebrauchs geäußert.
Titel des Artikels geändert von „UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement und Viruslast-Methode“ auf „UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement“.
27. Mai 2010: Tesamorelin: Zulassung empfohlen. Das zuständige Beratungs-Gremium „Endocrinologic and Metabolic Drugs Advisory Committee“ der FDA hat am 27. Mai 2010 die Zulassung von Tesamorelin empfohlen. Die Entscheidung der FDA wird innerhalb der nächsten 2 Monate erwartet. POZ berichtet am 27.05.2010: FDA Committee Unanimously Recommends Egrifta for Lipodystrophy
27. Mai 2010: Frauen-Kondom: „Kampf gegen Aids: Washington fördert Frauenkondome“, berichtet SpON.
20. Mai 2010: Usbekistan – Maskerade: Präsident Karimow regiert ein Land, in dem jüngst der Aids-Aktivist Maxim Popov zu 7 Jahren Haft verurteilt wurde – und seine Tochter gibt bei einer Aids-Gala in Cannes die Wohltäterin. Die taz berichtet über „Die Tochter des Despoten“.
Ex-Boygroup bei CSD: „Backstreet Boys to Perform at S.F. Pride“ meldet advocate.
18. Mai 2010: Verhandlung N. B. in Darmstadt – das Amtsgericht Darmstadt teilt mit „In der Strafsache gegen die Sängerin N. B. wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung hat der zuständige Richter des Amtsgerichts Darmstadt mit Beschluss vom 17.05.2010 die von der Staatsanwaltschaft Darmstadt erhobene Anklage vom 04.02.2010 zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Darmstadt eröffnet.“ Als Termine für die Hauptverhandlung wurden bestimmt: 16.08., 19.08., 23.08., 25.08. und 26.08.2010, jeweils um 09.00 Uhr bestimmt.
17. Mai 2010: Wie geht es Nadja Benaissa? ‚No Angels‘ – Sängerin Nadja Benaissa muss aus gesundheitlichen Gründen alle Termine plötzlich absagen, Tour-Auftakt geplatzt, berichten viele Medien (u.a. die Salzburger Nachrichten)
16. Mai 2010: Gedenken an Magnus Hirschfeld: Tetu berichtet über eine Gedenkveranstaltung am Grab von Magnus Hirschfeld in Nizza anlässlich des 75. Todestags von Magnus Hirschfeld
14. Mai 2010: „ultra-schwul und einzigartig“ – Tetu berichtet über das „erste Zentrum für sexuelle Gesundheit“ in Paris
13. Mai 2010: „He HAS manipulated us into invisibility.“ Larry Kramer kritisiert mit deutlichen Worten die Aids-Politik von US-Präsident Obama.
7. Mai 2010: Ärger um den GMHC-Umzug: In New York tobt eine Auseinandersetzung um eine der ältesten und wichtigsten Aids-Organisationen der USA: GMHC Gay Mens Health Crisis, Debatten um Bunkermentalität, Betroffenennähe und Ignoranz. Meinungsstark wie immer äußert sich Larry Kramer zum anstehenden Umzug von GMHC
“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dies ist die Kern-Botschaft eines Statements, das die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF im Januar 2008 veröffentlichte.
2 Jahre nach Veröffentlichung des EKAF-Statements ziehen Prof. Pietro Vernazza (St. Gallen; einer der Autoren des Statements) und Armin Schafberger (Berlin; Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe DAH) in der Zeitschrift „HIV & More“ eine vorläufige Bilanz:
HIV & More: „Bilanz 2 Jahre nach EKAF“ – Audio-Datei MP3
Das EKAF-Statement zur Frage der Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie – vor zwei Jahren sorgte es für viele Diskussionen. Inzwischen ist die einstige aufgeregte Hektik weitgehend einer überlegten Gelassenheit gewichen. Die Fakten werden von Experten kaum noch bestritten – diskutiert wird weiterhin, auf welchen wegen das EKAF-Statement und die ‚Viruslast-Methode‘ in die Praxis (auch der HIV-Prävention) umgesetzt werden kann.
Terapia antyretrowirusowa (ART) przedłuża przecietna długośc życia zakażonych wirusem HIV ludzi i znacznie podwyższa ich jakośc życia.
Oprócz tego, przynosi dodatkowe korzyści prewencyjne: ryzyko zakażenia wirusem HIV zostaje znacznie zmniejszone.
Zarażenie sie podczas stosunku bez prezerwatywy, jest mało prawdopodobne, jeżeli sa spełnione nastepujace warunki:
– virus HIV-zakażonego partnera/partnerki jest przez co najmniej sześc miesiecy poniżej granicy wykrywalności
– leki antyretrowirusowe sa konsekwentnie stosowane
– partnerzy seksualni nie maja wad błony śluzowej (np. w skutek chorób przenoszonych droga płciowa)
Wniosek: przy spełnieniu powyższych warunków, ryzyko zarażenia sie wirusem HIV jest tak niskie, jak podczas stosunku z użyciem prezerwatywy.
Nasze dotychczasowe przesłania na temat bezpiecznego seksu zostały przez te oświadczenie odpowiednio i skutecznie uzupełniane. Przez to, w prewencji otwieraja sie teraz nowe możliwości.
Anfang April 2009 hat die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) ihr Positionspapier ‚HIV-Therapie und Prävention‘ veröffentlicht. Oben stehend eine (am 21.9.2009 überarbeitete) Übersetzung des ersten Absatzes des Positionspapiers ins Polnische. Übersetzung: Fachbereich Internationales der DAH
Positionspapier der Deutschen Aids-Hilfe als pdf in deutsch, englisch, französisch.
Sich seine Sexpartner nach HIV-Status auszusuchen, sei gefährlich, ebenso die Viruslast-Methode, sagt ACT UP Paris – in großflächigen Anzeigen in Paris.
Rosa und schwarz gehaltene Anzeigen warnen seit Ende Juni in Paris. Seinen Sexpartner nach dem HIV-Status auszusuchen sei nutzlos und gefährlich, sagt dort die Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris. Ebenso gefährlich und falsch sei es, seine individuellen Präventionstrategien nach der Viruslast zu richten.
„Ich ficke ohne Kondom, weil … oops, ich bin HIV-positiv!. Einzig das Kondom schützt!“
„Unter wirksamer Kombinationstherapie … riskiere ich es, meine Sexpartner zu infizieren“
Die Propagierung der Viruslastmethode für individuelle Strategien des Schutzverhaltens fördere nur die Bereitschaft, Risiken einzugehen, meint ACT UP Paris.
Erst jüngst hatte es in Frankreich Wirbel um die Aids-Empfehlungen gegeben: Die französische Gesundheitsministerin widersprach einer Empfehlung ihrer Aids-Experten, Therapie als Mittel der Prävention zu sehen. Nur Kondome schützen, meint die Ministerin – gegen den Rat des französischen Nationalen Aids-Beirats (Conseil national du Sida).
Dieser war vorher seiner Stellungnahme u.a. zu dem Schluss gekommen, in hochwirksamer antiretroviraler Therapie liege ein hohes Potenzial hinsichtlich HIV-Übertragung und Prävention. Auch antiretrovirale Therapie haben ihren Platz in der individuellen Schutzstrategie.
ACT UP Paris stellt sich mit seiner neuen Kampagne gegen die Einschätzung des französischen Aids-Expertenrats CNS (Centre National du Sida), sowie zahlreicher internationaler Experten – an die Seite der konservatioven französischen gesundheitsministerin, die beenfalls meint, nutr Kondome schützten.
Selbst die Welt-Gesundheitsorganisation WHO hingegen hatte erst jüngst betont
„There is little doubt that ART has preventive effects …“
Die Deutsche Aids-Hilfe hatte bereits im April 2009 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie u.a. zu dem Schluss kommt “Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.”
ACT UP Paris versucht, mit grellen Anzeigen die Uhren zurück zu drehen.
Es ist schon bizarr, immer wieder neu zu erleben, dass eine Organisation, die insbesondere auch als engagierte Interessenvertretung von und für Menschen mit HIV entstand, sich zu einer beinahe stalinistisch anmutenden konservativen Präventionsagentur gewandelt hat.
Selbst der (von der Gesundheitsministerin zurück gepfiffene) AIDS-Expertenrat Frankreichs kommt zu dem Schluss, eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senke die HIV-Übertragung drastisch, und dies müsse auch gesagt werden. Sollte es ACT UP Paris zu denken geben, dass selbst Virologen und Infektiologen inzwischen anders zur Viruslast-Methode denken?
Nach vorne denken, statt rückwärtsorientiert zu handeln – das sollte eigentlich Ansatz von ACT UP sein …
Die französische Gesundheitsministerin widerspricht einer Empfehlung ihrer Aids-Experten, Therapie als Mittel der Prävention zu sehen. Nur Kondome schützen, meint die Ministerin.
Roselyne Bachelot-Narquin, die französische Gesundheitsministerin, hat ein Machtwort gesprochen. Sie wies eine Analyse des staatlichen Aids-Expertengremiums zurück, das antiretrovirale Therapie auch als Mittel der Prävention betrachtet hatte. Ein neuer Ausschuss soll nun eine ihr genehmere Position finden.
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist die Frage, in wie weit durch wirksame antiretrovirale Therapie die Infektiosität gesenkt wird. Im Januar 2008 hatte die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF mit einem Statement für Aufsehen gesorgt keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“).
Inzwischen haben auch andere Organisationen die veränderten Realitäten anerkannt, so hatte auch die Deutsche Aids-Hilfe im April 2009 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie u.a. zu dem Schluss kommt „Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“
Ebenfalls im April 2009 hatte auch der unabhängige französische Nationale Aids-Beirat (Conseil national du Sida) eine umfangreiche Stellungnahme veröffentlicht (Avis suivi de recommandations sur l’intérêt du traitement comme outil novateur de la lutte contre l’épidémie d’infections à VIH). Darin kam das CNS u.a. zu dem Schluss, in hochwirksamer antiretroviraler Therapie liege ein hohes Potenzial hinsichtlich HIV-Übertragung und Prävention. Auch antiretrovirale Therapie haben ihren Platz in der individuellen Schutzstrategie. Das CNS empfahl zukünftige Kampagnen, die das Bewusstsein für frühzeitigere HIV-Tests und die Chancen moderner Therapien stärker betonen sollten.
Dem hat die französische Gesundheitsministerin nun in einer Stellungnahme (Recommandations du Conseil national du Sida concernant l’intérêt du traitement comme outil novateur de la lutte contre l’épidémie d’infections à VIH) einen Riegel vorgeschoben.
Roselyne Bachelot-Narquin wies dieser Analyse als unzutreffend zurück. Sie betonte, ausschließlich das Kondom biete einen maximalen Schutz gegen HIV und sexuell übertragbare Erkrankungen. Kondome sollten durchgängig bei Gelegenheitskontakten oder unbekanntem HIV-Status des Partners benutzt werden.
Die Gesundheitsministerin will nun eine neue Expertengruppe mit einer erneuten Stellungnahme beauftragen.
The Warning, eine französische Gruppe von Aids-Aktivisten, beklagte den Konservatismus der Gesundheitsministerin. Ihre Stellungnahme gehe an den Realitäten vorbei und ignoriere zum Beispiel eine steigende Zahl von Menschen, die es vorzögen, beim Sex keine Kondome zu benutzen. Bereits in einer früheren Stellungnahme hatte The Warning dem Gesundheitsministerium vorgeworfen, sich einer größeren Sicht auf die Prävention zu verschliessen und die Realitäten aus ideologischen Gründen zu verkennen.
Auch die Gruppe ’survivre au sida‘ kritisierte die Ministerin – anlässlich der Kürzungen des Budgets für den kommenden Welt-Aids-Tag wasche Roselyne Bachelot „ihre Hände in Unschuld“.
Nachtrag 21.09.2009: Mit der Stellungnahme der neu eingesetzten Expertengruppe wird nun zum Jahresende 2009 gerechnet.
weitere Informationen:
Aidsmap 08.05.2009: French ‘treatment as prevention’ statement urges campaign on benefits of HIV testing and treatment, but cautions against compulsory testing
Aidsmap 19.06.2009: Treatment as prevention rejected by French ministry of health
TheWarning 11.05.2009: VIH : la DGS ne connaît pas le sens de l’expression « Droits de l’homme et du citoyen »
lemegalodon.net 19.06.2009: Vidéo : Amputation de la Journée mondiale contre le sida : Roselyne Bachelot s’en lave les mains ?
Prof. Willy Rozenbaum, einer der Autoren der CNS-Empfehlungen, im Interview auf seronet 24.08.2009: Direction sexuelle assistée !
thewarning 17.09.2009: Avis du CNS sur le traitement comme outil de prévention : son président précise…
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„Ich mach’s auch ohne“ wirbt die Telekom auf einigen öffentlichen Telefonen. Ein Aufruf zur Körperverletzung, findet ein eifriger Werbekaufmann, und will diese Werbung stoppen.
Es geht nur um bargeldloses Telefonieren – der erste Eindruck allerdings mag anderes suggerieren. „Ich mach’s auch ohne“ – das könnte auch wie ein frecher Gegenentwurf zu kondomisiertem Gemüse der HIV-Prävention klingen.
Aufgrund des großen auch internationalen Interesses liegt dieses Positionspapier seit 23.04.2009 auch in englischer und französischer Sprache vor:
english version: „HIV Therapy and Prevention – position paper by Deutsche Aids-Hilfe“ als pdf
version francaise “Thérapie contre le VIH et Prévention – document de prise de position de l’Aids allemand contre le sida, la Deutsche Aids-Hilfe e.V. (DAH)” als pdf
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Gedanken beim Fernsehkonsum, über Familie, Normalität – und HIV.
Eine Wiese, ein Mann am Grill, eine Mutter mit ihren zwei spielenden Kindern.
Ein Studio in Köln, eine Mutter, ein Vater, eine Expertin von der Aidshilfe, ein Mediziner.
Was hat die Familien-Idylle des ersten Bildes mit dem Studio-Gespräch der zweiten Szene zu tun?
Die glückliche Familien-Idylle spielt in einer besonderen Familie. Michèle Meyer ist HIV-positiv, ihr Mann Mic HIV-negativ. Ihr gemeinsames (zweites) Kind ist auf natürlichem Weg gezeugt worden.
Eine HIV-positive Mutter. Die offen mit ihrem HIV-Status umgeht. Ein HIV-negativer Partner und Vater. Und dennoch ein Kind? Und natürlich geboren? Und gar natürlich gezeugt? Ohne Kondom?
Konflikt- und Skandalisierungs-Potential genug.
Und doch: es eine fast ganz normale Familie, die in Film und Studio ruhig und souverän über ihr normales Leben berichtet.
Erzählt über die HIV-Infektion, über das Leben mit HIV, über die Kinder, über Erfolge der antiretroviralen Therapie, darüber dass aufgrund dieser Erfolge unter bestimmten Bedingungen die sexuelle Infektiosität auf ein vernachlässigbares Risiko reduziert sei.
Mein Eindruck: die eigentliche Botschaft dieser Sendung, diejenige Botschaft, die ich für die zentrale, wichtige halte, war und ist diese:
Es ist möglich, mit HIV fast ganz normal zu leben.
So „fast normal“, wie die meisten von uns wohl nur „fast“ normal sein wollen, um uns andererseits unser Stückchen Individualität zu retten. Und so „fast“ normal, wie es ein Virus, das manchmal nervt und stört, eben zulässt.
Aber um so viel normaler, als Medien, Staatsanwälte, Politiker wahrhaben wollen. Um so viel mehr, als das Bild, das sie von uns in der Öffentlichkeit zeichnen.
Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – nicht immer, nicht für jede und jeden HIV-Infizierten, aber doch für viele (in den Industriestaaten). Es ist möglich, dass die Umwelt mit unserem HIV normal lebt.
Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – auch dank des Statements der EKAF, und dessen Umsetzung in reales Leben.
Und das trotz einer „spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität“, wie Michèle selbst es bezeichnet hat, einer Art von Realität wie sie erst jüngst wieder (nicht nur) bei den Medien-Kampagnen anlässlich der Verhaftung einer Sängerin erlebbar war.
Sich dem gegenüber diese „Normalität“ im eigenen Leben zurück zu erkämpfen, zu erobern, sie anderen vorzuleben und auch öffentlich zu zeigen, das ist für mich das eigentliche Verdienst, die eigentliche Leistung, nicht nur dieses Beitrags, sondern von Michèle und Mic.
Damit zeigen Michèle und Mic noch eines:
Fast normal mit HIV zu leben ist möglich – unter anderem, wenn frau und man es will, sich dafür einsetzt. Sich dafür einsetzt, die eigene Lebensrealität zu verändern, zu verbessern.
„Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen“ – genau das ist es, was wir fordern. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ein fast normales Leben mit HIV.
This position paper now is available in an english version as pdf „HIV Therapy and Prevention“.
The paper states that
„Transmission during sexual contact without a condom is improbable when the following conditions are met:
– the viral load of the HIVpositive partner has been under detection limit for at least six months,
– antiretroviral medication has been taken consistently,
– the sexual partners have no mucosal defects, e.g. as a consequence of sexually transmitted infections.“
Deutsche Aids-Hilfe regards this statement as „a meaningful and effective supplement to our safer sex messages to date and introduces new possibilities for precvention“.
Read the complete position paper „HIV Therapy and Prevention“ here.
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„was lange währt, wird endlich gut“ – ein abgegriffener Spruch, und doch, er scheint gut geeignet, zutreffend für das abschließende Positionspapier, das die Deutsche Aids-Hilfe zur Frage der Senkung der HIV-Viruslast unter die Nachweisgrenze und Konsequenzen für den Einzelnen sowie für die HIV-Prävention vorgelegt hat.
„was lange währt, wird endlich gut“
Ja, die DAH hat sich Zeit gelassen. Über 14 Monate sind seit der Publikation des EKAF-Statements vergangen, eines Statements zudem, dessen Inhalte und wesentliche Botschaften zumindest in Fachkreisen schon weit vorher bekannt waren.
14 Monate sind eine lange Zeit, und viele (Positive , Aktivisten, Mitarbeiter/innen in Aids-Hilfen und -Beratungen… ) wurden ungeduldig, drängelten. Andere hingegen betätigten sich mit Verve als Bremser, gar Blockierer, wollten eine -womöglich gar ‚zu positive‘- Stellungnahme verhindern oder doch verzögern.
14 Monate sind eine lange Zeit – die aber vielleicht erforderlich war. Erforderlich, um zu einer überlegten, reflektierten und tragfähigen Position zu kommen. Zu einer Position, die auch in den nun sicherlich neu aufflammenden Debatten argumentiert, begründet werden kann, Bestand haben wird. Und eine Position, die -das darf nicht vergessen werden- auch innerhalb von Aidshilfe(n) tragfähig ist.
Denn Lebens- und Präventions-Realität wird diese Position nur, wenn möglichst viele, HIV-Positive, Ungetestete wie auch HIV-Negative, Aids-Hilfe Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Berater und Beraterinnen davon überzeugt sind, überzeugt werden können, dass dies die richtige, die zukunftsweisende Position ist. Dieses Positions-Papier bietet die Voraussetzungen dafür.
„was lange währt, wird endlich gut“
Gut – diese drei Buchstaben, dieses eine Wort genügen, um das Positions-Papier der DAH im ersten Ansatz zu bewerten.
Es ist gut, denn es prüft das Statement der EKAF,wägt ab – und kommt zu einer eigenen, lang erwarteten Position der DAH.
Gut aber vor allem, weil es neben der reinen Positionierung zwei weitere bedeutende Schritte geht:
Das Positions-Papier setzt sich öffentlich, für jeden nachvollziehbar und transparent, mit Argumenten, mit Für und Wider auseinander, wägt ab, kommt zu einer Entscheidung – und begründet diese.
Vor allem aber: das Positions-Papier bleibt nicht verharren bei der trockenen, abstrakten Position. Es geht vielmehr mutig gleich zwei weitere Schritte: es übersetzt in lebensnahe, den Situationen, dem Lebensalltag, dem Liebes- und Sexleben gerecht werdende Empfehlungen, und es weist den Weg in neue Chancen für die HIV-Prävention.
„Ja, und was heißt das für mich? Für meine Situation?“ – Diese Fragen waren oft zu hören in den letzten Monaten, in vielen Diskussionen über „die EKAF“. Und zumindest die laut geäußerte Antwort lautete meist „nix genaues weiß man nicht“. Das EKAF-Statement blieb das, als was es ursprünglich publiziert wurde, eine Stellungnahme von Medizinern zu Fragen der Infektiosität.
Die Deutsche Aids-Hilfe hat in ihrem Positions-Papier die Stellungnahme der EKAF nun mit ‚Fleisch‘, mit Leben versehen. HIV-Positive, HIV-Negative, Ungetestete in verschiedensten Lebenssituationen, von HIV Betroffene und von HIV Bedrohte, ob schwuler Mann, Hetero mit gelegentlichen ‚Männer-Kontakten‘, Frau mit oder ohne Kinderwunsch, Drogengebraucher(in), Mensch in Haft – sie finden nun lebensnahe, lebensbejahende Empfehlungen, wie das Statement der EKAF, wie die Frage der ‚Präventionsmethode Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze‘ in ihrem Leben integriert, gelebt werden kann.
Die Chancen des EKAF-Statements nicht nur abstrakt aufzuzeigen, sondern sie in konkreten Empfehlungen lebbar zu machen – das ist das eigentliche Verdienst dieses Positionspapiers.
Das Statement der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) hat für viele Diskussionen gesorgt. Immer wieder wurde angemahnt, was ist die Position der Deutschen Aids-Hilfe. Nun, nach 14 Monaten, hat die DAH ihre abschließende Position veröffentlicht – detailliert, begründet und zukunftsorientiert.
“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dieser Satz sorgt seit Januar 2008 für viele intensive, oft aufgeregte Diskussionen. Doch – die EKAF, die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, das ist die Schweiz. Was sagen Organisationen in Deutschland dazu, vor allem die Deutsche Aids-Hilfe (DAH)?
Eine erste Positionierung zeichnete sich bereits ab mit dem Haltungspapier des Delegiertenrats der DAH vom März 2008 („Neue Wege sehen, neue Wege gehen!„), später ergänzt durch ein erstes Positionspapier des DAH-Vorstands („HIV-Therapie und Prävention – Stellungnahme der DAH„).
Anfang April 2009 nun, lang erwartet, liegt die endgültige Position der DAH vor.
„Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor“
und stellt zur Bedeutung dieser zentralen Botschaft fest
„Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“
Prävention muss lebbar sein, und dies -so die DAH- bedeute
„Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen.“
Doch es geht um mehr als „nur“ darum, zielgruppengerechte Information bereitzustellen. Es geht darum, diese auch lebbar zu machen, in den Lebensalltag zu übersetzen – mittels Empfehlungen.
Empfehlungen – das bedeutet die DAH übersetzt in ihrem Positionspapier die „zentrale Botschaft“ in Ratschläge, Hinweise, Anmerkungen. Empfehlungen, die auf die spezifischen Lebenssituationen verschiedener Gruppen eingehen:
– HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
– HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, Ungetestete und HIV-Negative
– HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
– Drogengebraucher(innen)
– Menschen in Haft
– bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen
Für jede dieser Konstellationen werden konkrete, lebensnahe Empfehlungen und Anregungen gegeben und in einem eigenen Kapitel die Hintergründe erläutert – bis hin zu Fragen von Schleimhaut-Läsionen, sexuell übertragbaren Erkrankungen oder regelmäßigen Routine-Untersuchungen.
Empfehlungen, die die zentrale Botschaft des Positionspapiers in Lebensrealitäten übersetzen, für verschiedene Gruppen und Situationen anwendbar machen.
Auf diese Weise wendet sich das Positionspapier nicht nur an HIV-Positive, HIV-Negative und Ungetestete. Es stellt darüber hinaus auch eine wichtige und lebensnahe Basis für Beraterinnen und Berater in Aids-Hilfen und anderen Beratungsstellen dar, sowie für Ärzte und Ärztinnen.
Auf einer übergeordneten Ebene der öffentlichen Gesundheit (New Public Health) kommt die DAH zu dem Schluß
„Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering. Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.“
Die „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bezeichnet die DAH konsequenterweise als eine weitere Präventionsmethode.
Auf Befürchtungen von Kritikern, es könne nun zu steigenden Neu-Infektionen kommen, entgegnet die DAH selbstbewusst
„Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.“
Das „Positionspapier“ ist so weit mehr, als der Name zunächst vermuten lässt:
Das Statement der EKAF zu bewerten, eine eigene Position zu finden und zu begründen ist nur der erste Schritt. Das „Positionspapier“ geht auch den zweiten Schritt, kommt zur Umsetzung in konkrete Empfehlungen – und versucht so, sie zu nutzen, die Chancen, die sich in der Prävention neu ergeben.
Erstmals geht damit eine auch international bedeutende Aids-Organisation den Schritt, nicht nur zu kommunizieren, dass erfolgreiche antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektiosität drastisch senkt, sondern auch zu sagen, was dies konkret für den/die Einzelne(n) und seine/ihre Handlungen bedeuten kann – und wie es in Prävention übersetzt werden könnte.
weitere Informationen:
faz.net 08.04.2009: Auf’s Kondom verzichten? queer.de 09.04.2009: Aids-Hilfe: Kondom muss nicht immer sein
aidsmap 21.04.2009: German NGO endorses treatment as prevention
thewarning 22.04.2009: L’association allemande Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse
POZ 22.04.2009: German AIDS Group Endorses HIV Treatment as Prevention
e-Ilico 27.04.2009: L’association Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse sur le traitement anti-VIH en prévention
.
Die Veröffentlichung des sogenannten EKAF-Statements 2008 hat viele Diskussionen ausgelöst. Die Deutsche Aids-Hilfe e.V. (DAH) hat hierzu ihre Position zum Thema HIV-Therapie und Prävention abschließend entwickelt. Diese Position im Folgenden als Dokumentation:
HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)
April 2009
1. Die HIV-Therapie ist ein wichtiges Element des Risikomanagements und kann zur Entstigmatisierung von Menschen mit HIV beitragen
Die antiretrovirale Therapie (ART) hat die Lebenserwartung von Menschen mit HIV deutlich erhöht und die Lebensqualität vieler Positiver wesentlich verbessert. Sie hat darüber hinaus einen wichtigen primärpräventiven Nebeneffekt: das Ansteckungsrisiko wird deutlich vermindert.
Eine Übertragung bei sexuellen Kontakten ohne Kondom ist unwahrscheinlich (1), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexualpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte z.B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.
Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.
1.1 Information als Grundlage für Kommunikation, selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Handeln
Die Information, dass eine HIV-Übertragung bei sexuellen Kontakten mit HIV-Positiven unter den oben genannten Bedingungen unwahrscheinlich ist, ist nicht nur für das Risikomanagement (und damit für die Primärprävention) wichtig, sondern kann für Menschen mit HIV und Aids eine Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglicht, wie Delegiertenrat und Vorstand der DAH Anfang März 2008 in einer Erklärung betonten. (2) Das gilt auch für HIV-Negative und Ungetestete, etwa Partner/innen in serodifferenten Partnerschaften (3), (weitere) Sexpartner/innen oder Familienangehörige.
Als Selbsthilfeorganisation der von HIV und Aids besonders Bedrohten und Betroffenen und als Präventionsorganisation begrüßt die Deutsche AIDS-Hilfe daher, dass die schweizerische Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) am 30. Januar 2008 das Positionspapier „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ veröffentlicht hat. Die EKAF hat diese Information, die bis dahin „unter der Hand“ bereits kommuniziert wurde (vor allem in der Beratungspraxis), zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, der Kommunikation unter (Sex-)Partnerinnen und -Partner und zu einem Thema für die Aufklärung gemacht.
Indem die DAH nun ihr eigenes Positionspapier veröffentlicht, verfolgt sie das in ihrem Leitbild formulierte Ziel, „dass die Gesellschaft als Ganze und jede und jeder Einzelne informiert, selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV/Aids … umgehen kann“. (4)
1.2 Wie sicher ist sicher genug?
Die DAH verfolgt einen Ansatz der lebensweltorientierten Prävention und Gesundheitsförderung. Das heißt unter anderem: Präventionsbotschaften müssen „lebbar“, also möglichst stabil und einfach umsetzbar sein. In der Frühzeit der HIV-Prävention hat sich die DAH daher für die Propagierung von „Safer Sex“ entschieden. „Safer“ steht in diesem Zusammenhang dafür, dass die Befolgung der empfohlenen „Safer-Sex-Regeln“(5) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich macht und insofern „sicherer“ als ungeschützter Sex ist, aber keinen völlig sicheren Schutz vor einer Infektion bieten (den es nur bei Abstinenz gäbe). Das vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete Konzept „Safe Sex“ (durch Abstinenz oder Vermeidung jeglichen Kontakts mit Körperflüssigkeiten (6)) dagegen hielten und halten wir nicht für lebensnah und nicht für wirksam, weil es die sexuellen Bedürfnisse und die Lust ignoriert.
Safer Sex heißt also: Es besteht ein Restrisiko (siehe 3.), das es aus Sicht der DAH zu benennen gilt. Ob der oder die Einzelne es akzeptiert, ist allerdings seine oder ihre autonome Entscheidung. Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen. Das gilt in gleicher Weise für andere Strategien der Risikominimierung oder Risikominderung, über deren (ggf. auch irrtümlich angenommene) Wirksamkeit und Schwächen die DAH ebenfalls umfassend informiert – auch dann, wenn sie eine geringere Schutzwirkung und Sicherheit als die klassischen Safer-Sex-Regeln bzw. eine stabil unter der Nachweisgrenze liegende Viruslast bei gleichzeitiger Abwesenheit von Schleimhautdefekten bieten: Wir vertreten den Standpunkt, dass auch „Besser-als-nichts-Strategien“ wichtige Pfeiler im Köcher der Prävention sind. Insbesondere in bevölkerungsbezogener Sicht kann eine sehr sichere Strategie (z. B. Safer Sex) nämlich sehr unsicher werden, wenn die Anwendung nicht konsequent gelingt (und umgekehrt kann eine Schutzstrategie mit beschränkter Effektivität, aber konsequenter Anwendung, die Zahl der HIV-Übertragungen senken helfen). (7) Darüber hinaus wissen (und verteidigen) wir, dass maximal präventives Verhalten nicht immer das Ziel individuellen Risikomanagements ist, sondern dass Menschen je nach Situation und Disposition z. B. den Lustgewinn und die Folgen einer möglichen Infektion gegeneinander abwägen. (8)
1.2.1 Neutrale Informationen oder Empfehlungen?
Die Deutsche AIDS-Hilfe bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Präventionsorganisation mit öffentlichem Auftrag und Selbsthilfe- sowie Interessenvertretungsorganisation. Während aus Perspektive der Selbsthilfe und Interessenvertretung die Befähigung zum selbstverantwortlichen Umgang mit den Risiken sowie die Stärkung und der Schutz der Autonomie im Zentrum stehen, ist das vorrangige Ziel aus Sicht der New Public Health die möglichst weitgehende Vermeidung von HIV-Übertragungen.
Von öffentlicher Seite (und auch aus den Zielgruppen unserer Arbeit) erwarten viele Menschen daher von der DAH nicht nur neutrale Informationen, sondern auch Empfehlungen. Ein solches Vorgehen entspricht auch unserem Selbstverständnis als bundesweites Netzwerk der Kompetenzen für die strukturelle Prävention und Gesundheitsförderung im Kontext von HIV und Aids – in dieser Rolle sehen wir es als unsere Aufgabe, Informationen im Licht der strukturellen Prävention und an den Interessen und Lebenswelten der Menschen aus unseren Zielgruppen zu bewerten. Entscheidend dabei ist aber, dass auch Empfehlungen die Autonomie des oder der Einzelnen nicht verletzen dürfen.
Empfehlungen können indes immer nur allgemeiner Art sein. Neben der Informationsaufbereitung und -vermittlung sind daher das Angebot vertiefender Kommunikation und individueller Beratung für uns zentral.
1.3 Selbstbestimmt heißt: freiwillig und ohne Zwang!
Respekt vor der autonomen Entscheidung des oder der Einzelnen gebietet nicht nur, die verfügbaren Informationen zum Risikomanagement unverkürzt und zielgruppengerecht zu verbreiten, sondern auch, Versuchen entgegenzutreten, das Individuum zu „maximal präventivem Verhalten“ zu drängen. Das heißt konkret: So, wie die Entscheidung für oder gegen den Kondomgebrauch in der Hand des Individuums liegt, so liegt auch die Entscheidung, ob und wann mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird, beim Menschen mit HIV. Hier darf kein Druck und kein Zwang ausgeübt werden (z. B., aus primärpräventiven Gründen mit einer Behandlung zu beginnen).
1.4 Selbstverantwortung, Mitverantwortung und Verantwortung für andere
Die Entscheidung über das individuelle Risikomanagement (und damit über die Nutzung der angebotenen Informationen bzw. die Umsetzung von Empfehlungen) liegt beim Individuum. Wir sehen den Einzelnen und die Einzelne dabei allerdings nicht allein mit dieser Verantwortung, sondern sehen immer auch die Mitverantwortung der anderen – insbesondere dann, wenn die Partner/innen hinsichtlich ihres Wissens, Wollens, Fühlens und Könnens nicht auf gleicher Augenhöhe sind.
Um selbstbestimmt entscheiden und verantwortlich handeln zu können, braucht der und die Einzelne aber – neben ausreichenden Informationen – auch entsprechende Kompetenzen und Ressourcen sowie Akzeptanz und Solidarität. Die Schaffung von Strukturen und Verhältnissen, in denen solche Kompetenzen erworben werden können und solche Ressourcen zur Verfügung stehen, fordert die DAH von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Das gilt auch für Akzeptanz und Solidarität: Um sie zu fördern, muss die sogenannte Allgemeinbevölkerung nicht zuletzt auch über den aktuellen Wissensstand zu Strategien des Risikomanagements informiert werden.
2. Botschaften
Die zentrale Botschaft lautet:
Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor.
2.1 (Weitere) Botschaften und Erläuterungen für HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
Unter „HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast“ verstehen wir im Folgenden Menschen mit HIV, die sich einer wirksamen ART unterziehen und deren Viruslast sich seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze befindet. Eine wirksame Therapie führt dazu, dass die Viruslast im Blut, im Sperma und in den Schleimhäuten unter die Nachweisgrenze sinkt, wodurch auch eine Ansteckung der Sexpartner/innen unwahrscheinlich wird.
Geschwüre oder Entzündungen der Schleimhäute am Penis, im Darm oder in der Scheide bei einem/einer der Sexpartner/innen – vor allem durch sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis und Herpes – erhöhen dieses Risiko wieder, weil sich in geschädigter Schleimhaut HIV anreichert und sie außerdem durchlässiger für HIV ist. Das Risiko für den HIV-negativen Partner wird unwägbar. Bis zur Ausheilung sollte wieder Sex mit Kondom praktiziert werden (bzw. ohne dass HIV in den Körper/auf Schleimhäute gelangt).
Im Übrigen gilt: Bei auffälligen körperlichen Veränderungen, die auf eine sexuell übertragbare Krankheit hindeuten könnten, sollte man sich ärztlich untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen. Auch die Partner/innen sollten informiert werden, damit sie sich ebenfalls untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen können.
Bis zum erfolgreichen Abschluss einer STD-Behandlung lautet die Empfehlung „Sex mit Kondom“.
2.1.1 Botschaften für feste Partnerschaften mit HIV-Negativen oder Ungetesteten
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast und HIV-Negativen oder Ungetesteten das Thema „Sex ohne Kondome?“ auf, so empfehlen wir folgende Vorgehensweise:
– die Beschäftigung mit den dazu vorliegenden Informationen (Unterstützung und Beratung dazu bieten z. B. die Aidshilfen, aber auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte und Mitarbeiter/innen weiterer Beratungsstellen), sodass die Grundlagen für eine informierte Entscheidung gegeben sind,
– die Kommunikation über diese Informationen,
– eine gemeinsame Entscheidung, mit der beide gut leben können, sowie in der Folge
– die regelmäßige Einnahme der HIV-Medikamente und der regelmäßige Besuch beim Arzt/bei der Ärztin, um die Wirksamkeit der Medikamente und die Abwesenheit von Schleimhautdefekten zu überprüfen.
2.1.2 Botschaften für Gelegenheitskontakte
Beim Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n empfiehlt sich weiterhin die Verwendung von Kondomen, da die Bedingungen der regelmäßigen STD-Kontrolle (um die Abwesenheit von Schleimhautdefekten bei beiden Partnern/Partnerinnen zu überprüfen), der Kommunikation und der gemeinsamen Entscheidung hier in der Regel nicht gegeben sind.
Positiven mit sexuellen Gelegenheitskontakten neben ihrem/ihrer festen Partner/in empfehlen wir eine regelmäßige Kontrolle auf sexuell übertragbare Krankheiten, da diese häufig ohne auffällige Symptome verlaufen (bzw. da Symptome häufig nicht bemerkt werden) und oft nur durch ärztliche Untersuchungen bzw. im Labor festgestellt werden können.
2.2 Botschaft für HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, für Ungetestete und HIV-Negative
HIV-Positiven mit nachweisbarer Viruslast, Ungetesteten und HIV-Negativen empfehlen wir – inbesondere bei sexuellen Gelegenheitskontakten – weiterhin die Befolgung der Regeln „Anal- und Vaginalverkehr mit Kondom“ und „Kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen“.
Für Partnerschaften zwischen HIV-Negativen oder Ungetesteten und HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast gelten die unter 2.1 und 2.1.1 gemachten Aussagen.
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Negativen und/oder Ungetesteten die Frage „Sex ohne Kondom?“ auf, gelten die bisherigen Empfehlungen. (9)
2.3 Exkurs: Botschaften für HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
Beim Sex zwischen HIV-positiven Partner(inne)n steht die mögliche Übertragung von anderen STDs oder einer Hepatitis C im Mittelpunkt des präventiven Handelns. Da manche STDs bzw. die Hepatitis C bei Menschen mit HIV schneller und schwerer verlaufen können, empfehlen wir ihnen, sich mindestens zweimal jährlich auf diese Krankheiten untersuchen zu lassen.
Um eine „Superinfektion“ (d. h. die Übertragung einer Virusvariante auf den Partner/die Partnerin bzw. die Ansteckung mit einer Virusvariante des Partners/der Partnerin) zu verhindern, reicht die wirksame Therapie eines Partners aus. Möglich (aber epidemiologisch nicht relevant) ist eine Superinfektion, wenn beide Partner/innen unbehandelt oder in einer Therapiepause sind. Nachteilig kann eine Superinfektion werden, wenn dabei medikamentenresistente Viren übertragen werden.
2.4 Besonderheiten bei Drogengebraucher(inne)n
Die erweiterten Präventionsbotschaften, die natürlich auch für Drogengebraucher/innen gelten, beziehen sich ausschließlich auf die sexuelle HIV-Übertragung. Beim Drogengebrauch gilt nach wie vor, dass eine Übertragung bei der gemeinsamen Benutzung von Spritzen und Kanülen erfolgen kann. Zwar ist davon auszugehen, dass auch hier das Risiko gesenkt wird, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Allerdings können die Ergebnisse der Studien zur sexuellen Transmission von HIV nicht auf die Transmission bei intravenösem Drogengebrauch übertragen werden, denn bei der sexuellen Übertragung stellt die intakte Schleimhaut eine Barriere gegen HIV dar, während es eine solche Barriere beim intravenösen Drogengebrauch nicht gibt. Daher gelten die Präventionsbotschaften (Safer-Use-Empfehlungen) in diesem Bereich unverändert weiter, zumal Safer Use auch das Risiko einer Übertragung anderer Infektionskrankheiten wie z. B. Hepatitis B und C minimiert.
Nichtsdestotrotz gilt auch für Drogengebraucher/innen, dass der oben geschilderte Sachverhalt vor allem für HIV-serodifferente Paare in der Substitution entlastend sein kann. Auch wenn die Präventionsbotschaften für den Drogengebrauch weiterhin bestehen, sollten die Änderungen, die sich im Bereich Sexualität ergeben, besprochen werden, denn Drogengebraucher/innen und Substituierte benötigen – wie alle anderen auch – solche Informationen, um ein auf ihr Leben abgestimmtes Risikomanagement betreiben zu können.
2.5 Besonderheiten bei Menschen in Haft
In Gefängnissen besteht die Besonderheit, dass Inhaftierte kaum über Präventionsmittel (Kondome, Gleitgel, Spritzen, Kanülen oder Substitution) verfügen. Ihr Risiko, sich beim Sex oder beim Drogengebrauch in Haft zu infizieren, ist hoch. Zudem wird auch die für das unter 2.1.1 beschriebene Vorgehen notwendige dreimonatliche Viruslastbestimmung häufig nicht oder in viel größeren zeitlichen Abständen vorgenommen als draußen. Es gilt daher weiterhin, sich für eine gute medizinische Versorgung der HIV-positiven Gefangenen einzusetzen, die der Versorgung außerhalb der Gefängnismauern entspricht, und die o. g. Argumente (bessere medizinische Versorgung = mehr Sicherheit in Haft) in die Diskussionen mit den Anstaltsärzten und Anstaltsärztinnen einfließen zu lassen.
Gegenüber Gefangenen sollten die Informationen zur sexuellen Übertragung möglichst in einem Informations- oder Beratungsgespräch mitgeteilt werden, um hier auch den Informationspart, den Ärztinnen und Ärzte aus HIV-Schwerpunktpraxen sonst übernehmen, zumindest teilweise abzudecken. (Leider ist nicht davon auszugehen, dass die von den Anstaltsärztinnen oder -ärzten gegebenen Informationen mit denen in einer HIV-Schwer–punktpraxis vergleichbar sind.) Um ein sinnvolles Risikomanagement in Haft betreiben zu können, muss im Informations- oder Beratungsgespräch der Haftalltag genauer beleuchtet werden (z. B. das Thema sexuelle Beziehungen in Haft, Risiken der einzelnen sexuellen Praktiken, Viruslast und Medikamenteneinnahme, STDs, Risiken beim Drogengebrauch).
2.6 Besonderheiten beim Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen
Für Paare mit Kinderwunsch, in denen eine/r oder beide der Partner/innen HIV-positiv ist/sind, gelten folgende Aussagen:
– Bei nicht nachweisbarer Viruslast und Erfüllung der unter 1. und 2. genannten Bedingungen kann die Zeugung des Kindes auf natürlichem Weg erfolgen, ohne eine Ansteckung des Partners/der Partnerin zu riskieren.
– Bei HIV-positiven Müttern mit nicht nachweisbarer Viruslast ist das Risiko einer HIV-Übertragung auf das Kind während der Schwangerschaft und unter der Geburt gering. Bei entsprechender medizinischer Betreuung durch Spezialist(inn)en ist daher auch eine vaginale Geburt möglich.
– Weiterhin abgeraten wird jedoch vom Stillen – für eine Änderung der Empfehlung reichen die wissenschaftlichen Daten bisher nicht aus.
3. Hintergründe und Erläuterungen
3.1 Bedeutung von Schleimhautläsionen und sexuell übertragbaren Krankheiten (STDs)
Schleimhautläsionen (Geschwüre, Entzündungen) spielen eine erhebliche Rolle bei der Transmission von HIV: Bei HIV-negativen Partner(inne)n stellen sie eine Eintrittspforte für HIV dar. Bei HIV-positiven Partner(inne)n führen sie zu einer Anreicherung von Immunzellen im Geschwür bzw. in der Entzündung. Da ein Teil dieser Immunzellen mit HIV infiziert ist, reichert sich auch HIV in und um die Läsion herum an.
Schleimhautläsionen kommen z. B. vor bei
– sexuell übertragbaren Krankheiten: Syphilis und Herpesinfektionen führen zu Geschwüren und erhöhen damit am stärksten von allen STDs die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission. Bei anderen STDs ist entscheidend, wie umfangreich die Entzündungsreaktion der Schleimhaut ist: Gonokokken (Tripper) und Chlamydieninfektionen können im Darm zu ausgedehnten Entzündungen führen – während sie im Rachen ggf. nur geringfügige Läsionen verursachen.
– Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Amöbenruhr
– Fisteln von Scheide oder Darm/Anus.
Die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung bei gleichzeitig vorliegenden STDs ist bei nicht antiretroviral therapierten Menschen mit HIV in zahlreichen wissenschaftlichen Studien gut belegt (z.B. Laga 1993, Craib 1995, Fleming 1999, Cohen 2005). Für Menschen mit stabiler antiretroviraler Therapie gibt es bislang keine aussagekräftigen epidemiologischen Studien, allerdings wurden Erhöhungen der HIV-Konzentration in den genitalen Sekreten (Schleimhäuten) bei gleichzeitig vorliegender STD nachgewiesen (Sadiq 2002).
Sexuell übertragbare Krankheiten können ganz oder phasenweise asymptomatisch verlaufen. Daher kommt der Diagnostik/dem Screening von STDs auch bei fehlender Symptomatik hohe Bedeutung zu. Folgende Untersuchungen sind möglich und üblich:
– Syphilis Serologie (Blutuntersuchung)
– Herpes Inspektion und Anamnese (Befragung/Krankengeschichte), ob Herpesbläschen oder Geschwüre beobachtet wurden. Die Serologie ist aufgrund der relativ hohen Prävalenz von untergeordneter Bedeutung, denn die Antikörper bleiben lebenslang nachweisbar.
– Chlamydien Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Alternativ oder ergänzend zum Harnröhrenabstrich (beim Mann schmerzhaft) ist eine Urinuntersuchung möglich.
– Gonokokken Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Beim Mann wird ein Abstrich aus der Harnröhre in der Regel bei fehlenden Symptomen nicht für erforderlich gehalten, da Gonokokken – im Gegensatz zu Chlamydien – beim Mann zu Beschwerden in der Harnröhre führen.
3.2 Bedeutung der Viruslast im Blut und in den genitalen/rektalen Sekreten
Einer Senkung der Viruslast im Blut folgt in der Regel auch eine Senkung der Viruslast in den genitalen und rektalen Sekreten und Schleimhäuten. Ausnahmen sind jedoch möglich. Bei einigen wenigen HIV-Positiven, deren Viruslast im Blutplasma länger als ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze war und bei denen keine STDs vorlagen, konnte HIV im Sperma nachgewiesen werden (Nachweisgrenze für Blutplasma 40 Kopien/ml, Nachweisgrenze für Sperma ca. 200 Kopien/ml); allerdings war die gemessene Viruslast in einem niedrigen Bereich (< 1500) und Transmissionen wurden von diesen Fällen nicht berichtet.
Wissenschaftlich ist nicht geklärt, ob es einen Schwellenwert für die Viruslast im Blut bzw. den genitalen Sekreten gibt, unterhalb dessen eine Infektion nicht mehr stattfinden kann.
3.3 Bedeutung von Therapietreue und Therapiekontrolle
Eine „stabile antiretrovirale Therapie“ beinhaltet regelmäßige Kontrollen der Viruslast, in der Regel alle drei Monate. Die Therapie sollte kontinuierlich eingenommen werden, um Schwankungen der Wirkstoffkonzentration und damit die Gefahr einer Entwicklung von Resistenzen mit nachfolgendem Therapieversagen zu minimieren.
Resistenzen und Therapieversagen gehen allerdings nicht ausschließlich auf mangelnde Therapietreue zurück. Auch andere Faktoren können dazu führen, dass die erforderlichen Wirkstoffkonzentrationen im Blut nicht erreicht werden. Ratsuchende sollten in der Beratung auf diese Faktoren hingewiesen werden:
– Wechselwirkungen mit anderen (auch nicht verschreibungspflichtigen) Medikamenten oder naturheilkundlichen Substanzen können zu einem Wirkungsverlust der HIV-Medikamente führen. Die Einnahme anderer Medikamente sollte daher mit dem HIV-Arzt/der HIV-Ärztin abgesprochen werden.
– Erkrankungen können die Aufnahme der HIV-Medikamente in den Körper verzögern oder verhindern (Brechdurchfall, Lymphom, atypische Mykobakteriose).
– Nach Operationen des Magen-Darm-Trakts kann es zur verminderten Aufnahme von Medikamenten kommen.
3.4 Bedeutung der Kommunikation zwischen den Partner(inne)n
Die Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bedarf – mehr als bei Verwendung von Kondomen – einer funktionierenden Kommunikation zwischen den Sexualpartner(inne)n. Mangelnde Therapietreue oder unbeabsichtigte Therapiepausen (z. B. im Urlaub) sollten thematisiert werden; es sollten dann wieder Kondome verwendet werden.
Grundsätzlich sollten in der Beratung sexuelle „Außenkontakte“ und der Umgang mit ihnen angesprochen werden, auch wenn die Paare zum Zeitpunkt der Beratung davon ausgehen, keine Außenkontakte zu pflegen. Sexuelle Außenkontakte bergen prinzipiell die Problematik, dass STDs erworben werden können und dann ggf. die Voraussetzungen für die Methode „Viruslast“ nicht mehr gegeben sind.
3.5 Vergleich: Stärken und Schwächen von Kondomen und der„Viruslastmethode“
Beide Methoden verfügen über ein unterschiedliches Profil von Vor- und Nachteilen. Beide Methoden lassen sich miteinander oder mit anderen Strategien der Risikosenkung kombinieren. Die Beratung kann bei der Auswahl individuell passender Präventionsmethoden helfen.
3.5.1 Verwendung von Kondomen
Stärken
– kann ohne Abklärung von Vorbedingungen erfolgen
– reduziert das Risiko auch für andere sexuell übertragbare Infektionen (v. a. Syphilis, Tripper, Chlamydieninfektion); eignet sich daher besonders für Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n oder für Sexarbeit
– bietet gleichzeitig Schwangerschaftsverhütung (wenn gewünscht).
Schwächen
– Anwendungsfehler möglich: Beschädigung des Kondoms bei der Handhabung, Verwendung ungeeigneter Gleitmittel (z. B. fetthaltiger Öle), Verwendung von Gleitmittel zwischen Kondom und Penis)
– Materialfehler möglich (sehr selten)
– Effektivität sinkt bei nicht durchgehender (100%iger) Verwendung, z. B. infolge Alkoholkonsums vor dem Sex oder erektiler Dysfunktion.
3.5.2 Senkung der Viruslast unter medikamentöser Behandlung
Stärken
– deckt neben den Sexualpraktiken mit hohem HIV-Übertragungsrisiko (Analverkehr, Vaginalverkehr) auch „kleine Risiken“ ab, die sich durch das Kondom nicht reduzieren lassen oder bei denen gewöhnlich kein Kondom verwendet wird, z. B. Oralverkehr, Spermaspiele mit Schleimhautkontakt, Trinken von Muttermilch, nichtinsertive Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte
– Schwangerschaft möglich (falls gewünscht).
Schwächen
– erfordert eine Abklärung der Vorbedingungen: die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze von derzeit 40 Viruskopien/ml, Kontrollen der Viruslast erfolgen regelmäßig, d. h. in der Regel alle 3 Monate, die Therapie wird zuverlässig eingenommen und es liegen bei beiden Partnern keine Schleimhautläsionen z. B. durch sexuell übertragbare Erkrankungen vor
– unzureichende Senkung der Viruslast in den genitalen/rektalen Sekreten möglich (selten)
– Anstieg der Viruslast bei Medikamenten-Wechselwirkungen oder Therapieversagen möglich (erfolgt in der Regel langsam und wird bei Kontrollen bemerkt)
– kein Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen.
3.5.3 Wirksamkeit von Kondomen und „Viruslastmethode“
Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen (10) als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering.(11) Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.
Die Graphik stellt das Transmissionsrisiko für 100 Sexualakte bei diskordanten MSM-Paaren dar (nach Garnett, Gazzard 2008). Die Autoren beziehen sich auf eine Modellrechnung von Wilson et al. (2008), die von einem hohen Transmissionsrisiko ausgeht und den Wert der Methode „Viruslast“ kritisch betrachtet.
3.6 Wissenschaftliche Datenlage zum Thema Viruslast und Infektiosität bei Heterosexuellen und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM)
Die epidemiologische Datenlage zum Thema „Viruslast und Infektiosität“ ist für Männer, die Sex mit Männern haben, schlechter als für Heterosexuelle. An dieser Ungleichheit wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich nichts ändern. Die einzige randomisierte Interventionsstudie (HIV Prevention Trial Network 2008), die derzeit zur Senkung der Infektiosität bei antiretroviraler Therapie läuft, hat die Rekrutierung abgeschlossen und kein einziges MSM-Paar eingeschlossen.
Darf man nun MSM eine bei Heterosexuellen beeindruckend wirkende Präventionsmethode so lange vorenthalten, bis auch zu MSM Daten vorliegen, oder ist es nicht angesichts der deutlich höheren HIV-Inzidenz bei MSM geboten, Analogieschlüsse zu ziehen und Empfehlungen auf geringerem Evidenzniveau auszusprechen, um gerade bei MSM alle Möglichkeiten in der Prävention nutzen zu können?
Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Zusammenhang zwischen Viruslast und Infektiosität grundlegend anders bei MSM als bei Heterosexuellen darstellt. Sowohl bei HIV-positiven Heterosexuellen als auch bei MSM senkt eine effektive antiretrovirale Therapie die Viruslast auf ein tausendstel bis zehntausendstel. Bei Heterosexuellen ist durch Kohortenstudien erwiesen, dass es bei Erfüllung der o. g. Bedingungen praktisch zu keinen Infektionen mehr kommt (Barreiro, 2006, Bernasconi 2001, Castilla 2005, Melo 2006, Quinn 2000, Gray 2001). Für MSM liegen solche Kohortenstudien nicht vor. Lediglich eine epidemiologische Studie mit MSM in San Francisco belegt eine deutliche Reduktion der Infektiosität nach Einführung der antiretroviralen Therapie (Porco 2004). Beobachtungen aus klinischen Kohorten und der Praxis weisen darauf hin, dass auch bei MSM-Paaren eine ähnliche Reduktion der Infektiosität zu beobachten ist.
Auch wenn man einen „Sicherheitsfaktor“ einbezieht (und die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Effektivität der Methode bei MSM bzw. bei Analverkehr geringer sein sollte als bei Heterosexuellen), kann man mit einer Wirksamkeit rechnen, die die Wirksamkeit bei der Verwendung von Kondomen erreicht oder übersteigt (s. oben).
3.7 Individuelle Ebene und Public Health
Auf der individuellen Ebene gibt es derzeit wissenschaftlich kaum mehr Kontroversen darüber, dass eine Transmission bei Einhaltung der Kriterien (Viruslast mindestens ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze, Therapietreue, keine Schleimhautläsionen) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich ist.
Anders stellt sich die Situation auf Public-Health-Ebene dar. Hier gibt es Befürchtungen, dass es durch die Aufnahme der „Viruslastmethode“ in die Prävention zu einem Anstieg der HIV-Neuinfektionen kommen könnte: In einer südwestpazifischen Stellungnahme (Wilson 2008) zur Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (2008) wird anhand eines mathematischen Modells angenommen, dass HIV-Positive mit stabiler ART, die bisher Safer Sex praktiziert haben, nun in großem Umfang auf Kondome verzichteten. Ausgehend von der Annahme, dass durch die Verwendung von Kondomen bei stabiler ART das Risiko einer HIV-Übertragung gegen Null sinkt, nehmen Wilson et al. an, dass das Risiko (auf das Restrisiko-Niveau der verbleibenden Methode) steigt, wenn auf eine der beiden Methoden verzichtet wird. Insgesamt könnte es bei diesem Szenario tatsächlich zu einem „Risiko–anstieg“ und damit auf die Bevölkerung bezogen zu einem potenziellen Zuwachs an Infektionen kommen – auch wenn das Risiko für das Individuum vernachlässigbar gering bleibt.
Diese Position lässt verschiedene Argumente außer Acht:
– Die Kriterien für die Verwendung der „Viruslast-Methode“ sind streng gefasst; es kommen nur relativ wenige Personen dafür in Frage; seit Veröffentlichung der EKAF-Information vor einem Jahr konnten wir keine Reduktion der Kondomverwendung beobachten.
– Die Prävention hat seit 25 Jahren mit der Propagierung der Botschaft „Safer Sex“ genau diese Höhe eines Restrisikos toleriert. Für das Individuum wäre es nicht nachvollziehbar, wenn ein noch kleineres Restrisiko nicht toleriert würde. In der Prävention fokussieren wir seit 25 Jahren auf den Schutz, den eine Methode (z.B. Kondomverwendung) bietet, und nicht auf das sehr geringe Restrisiko.
– Die Aussicht, kaum mehr infektiös zu sein, kann für Menschen mit HIV einen Anreiz darstellen, rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen und die Therapie auch konsequent fortzusetzen. Derzeit beginnen zu viele Menschen mit HIV zu spät mit der Therapie; ca. 30 % der Neudiagnostizierten sind sog. „late presenter“.
Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.
3.8 Literatur (Auswahl)
[Literatur hier nicht dokumentiert; siehe Positionspapier auf aidshilfe.de]
– – –
Anmerkungen:
(1) Siehe hierzu die Erläuterungen unter 3.
(2) Papier „Neue Wege sehen – neue Wege gehen!“, vom Delegiertenrat der DAH in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand verabschiedet
(3) Hier: ein/e Partner/in ist HIV-positiv getestet, der oder die andere HIV-negativ.
(4) Sie tut dies im Folgenden vor allem mit Blick auf diejenigen Individuen und Gruppen, die sie vertritt und mit denen und für die sie arbeitet: die Menschen, die mit HIV/Aids leben, und die von HIV, Aids, Hepatitis und anderen sexuell und beim Drogenkonsum übertragbaren Krankheiten besonders Bedrohten und Betroffenen.
(5) Die Safer-Sex-Regeln im engeren Sinn lauten: Beim Anal- und Vaginalverkehr Kondome benutzen, beim Oralverkehr kein Blut oder Sperma in den Mund gelangen lassen (für die Zielgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, z. B. in der Formulierung „Ficken mit Kondom. Beim Blasen raus bevor’s kommt.“). Im weiteren Sinne kann man unter „Safer Sex“ Maßnahmen verstehen, mit denen man verhindert, das HIV in einer für eine Ansteckung ausreichenden Menge in den Körper oder auf Schleimhaut gelangt.
(6) durch die Benutzung von Kondomen beim Anal-, Vaginal- und Oralverkehr und den Verzicht auf Zungenküsse
(7) Vgl. Aids-Hilfe Schweiz: Rahmen- und Positionspapier: Sexuelles Risikomanagement – April 2007/Januar 2008. Vom Vorstand an seiner Sitzung vom 24. April 2007 verabschiedet und für verbindlich erklärt. Aktualisiert am 30. Januar 2008. Bern: Aids-Hilfe Schweiz 2008
(8) Vgl. ebenda.
(9) Beide Partner/innen sollten drei Monate konsequent Kondome beim Anal- und Vaginalverkehr einsetzen, kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen und sich anschließend auf HIV testen lassen. Bis zur Mitteilung der Testergebnisse muss weiter konsequent Safer Sex betrieben werden. Fallen die HIV-Tests negativ aus, kann innerhalb der Partnerschaft auf Kondome verzichtet werden, sofern bei sexuellen Kontakten außerhalb der Partnerschaft die oben genannten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das setzt allerdings großes Vertrauen und Offenheit voraus: Bei ungeschützten Kontakten außerhalb der Beziehung müssen die Partner/innen miteinander reden und sich beim Sex wieder schützen, bis sie das geschilderte Vorgehen wiederholt haben.
(10) Generell nimmt man an, dass Safer Sex das Risiko einer HIV-Übertragung um 95 % senkt. Restrisiken bestehen durch Anwendungsfehler, Materialfehler und sog. „kleine Risiken“ beim Sex, die durch das Kondom nicht abgedeckt werden oder bei denen in der Regel kein Kondom verwendet wird (Oralverkehr, andere Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte). Eine Cochrane-Analyse (Weller et al. 2006) bei Heterosexuellen berechnete einen Schutzeffekt von 80 %. Bei MSM geht man im Allgemeinen von einer geübteren Handhabung und daher von einem höheren Schutzeffekt (95 %) aus als bei Heterosexuellen. Eine Cochrane-Analyse zur Sicherheit von Kondomen bei MSM gibt es nicht.
(11) Bei beiden Methoden –der Verwendung von Kondomen und der Viruslastmethode – kann es in seltenen Fällen trotz korrekter Einhaltung der Regeln zu HIV-Transmissionen kommen; bei der Viruslastmethode ist bislang ein solcher Fall dokumentiert (Stürmer 2008).
[Das Positionspapier der DAH findet sich auch online auf dem Internetangebot der Deutschen Aidshilfe als pdf]
Die Debatte um die Stellungnahme der EKAF zur Nicht-Infektiosität erfolgreich therapierter HIV-Positiver schient langsam zu verstummen. Doch reicht es als Stellungnahme zu sagen, Positive sind unter diesen Umständen nicht infektiös? Steckt nicht mehr an Potenzial in der Stellungnahme der EKAF?
Das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission, ein HIV-Positiver sei „ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … sexuell nicht infektiös“ ist nun über ein Jahr alt.
Bei seinem Erscheinen sorgte das Statement der EKAF für heftige Reaktionen, in der Fachwelt aber vor allem auch bei HIV-Positiven.
Inzwischen aber scheint es ruhiger geworden zu sein um das Thema EKAF, sehr viel ruhiger. Die Deutsche Aids-Hilfe hat im Januar 2009 eine Stellungnahme zu EKAF abgegeben, auf den Positiven Begegnungen 2009 wurde EKAF schon nur noch ruhig und distanziert diskutiert. Ansonsten: eher kaum noch Debatte, Ruhe.
Ist in Sachen des Statements der EKAF alles erreicht?
War eine klare Position der DAH alles, was es anzustreben galt?
Nein.
Das Potenzial an Veränderung, das das Statement der EKAF ermöglicht, scheint bisher kaum bewusst. Es reicht wesentlich tiefer.
Um dieses Potenzial des EKAF-Statements zu erkennen, hilft es (so man / frau älter als etwa 45 ist) sich zu erinnern an Facetten schwul-lesbischen Lebens in Zeiten vor Aids – und zu fragen, was Aids daran geändert hat.
Denn Aids war und ist weit mehr als „nur“ eine Epidemie, weit mehr als „nur“ ein medizinisches Syndrom. Aids war immer auch das massenhafte Sterben von Freunden, Bekannten, das massive Verändern schwuler Szenen. Und das Ende eines möglichen schwulen Lebensstils, wie er als Ergebnis der 70er-Schwulen-Emanzipation von nicht wenigen versucht wurde zu leben.
Michael Callen texte damals
„How to have sex in an epidemic,
without being caught up in polemic?“
Doch – es ging und geht um mehr als ’nur‘ Sex. Es geht um Formen schwuler Lebensstile.
Wilhelm Trapp (1) spricht dazu von der
„Aids-Epidemie, die den schwulen Traum von einer erotisch unrestriktiven Gemeinschaft zerstörte.“
Eine Zerstörung, die schwules Leben für viele massiv verändert hat. Trapp fragt später im gleichen Text fragt Trapp
„Ob die ideologisierte Lust sich ohne Aids und Mauerfall anders entwickelt hätte als zum Hedonismus der Love Parade, zum coolen Sexkonsum?“
Die Antwort auf diese Frage scheint müssig, ein auf die Vergangenheit gerichteter Konjunktiv.
Aber hinter seiner Frage verbirgt sich -nach vorne gedacht- ein wichtiger Gedanke:
Was, wenn diese Zerstörung rückgängig gemacht werden könnte?
Wären dann auch Entwicklungen anderer Art (wieder) denkbar?
Wären dann auch wieder Experimente „einer erotisch unrestriktiven Gemeinschaft“ denkbar, lebbar?
Das ist für mich (unabhängig davin, das langfristiges Zeil weiterhin eine völlige Heilung von HIV sein muss) eine der wahren, tieferen Chancen des EKAF-Statements für schwule Szenen – Experimente schwulen Miteinanders wieder unrestriktiver, oder doch weniger restriktiv denk- und lebbar zu machen.
Und – diese Chance betrifft bei weitem nicht nur Menschen mit HIV und Aids – sie betrifft potenziell z.B. die gesamten schwulen Szenen, die aus den Folgen des EKAF-Statetments heraus -so sie denn wollen- neue Freiheiten gewinnen könnten, neue Chancen auf mehr Experimente, weniger Restriktionen und Repressionen, mehr Freiheit.
.
(1) Wilhelm Trapp: Eine sehr heftige Variante des Lockerseins (über: Matthias Frings / Der letzte Kommunist – Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau), in Süddeutsche Zeitung Nr. 55/2009, 7./8. März 2009
In der Debatte um die Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie und das Statement der EKAF (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚) hat sich die Deutsche Aids-Hilfe positioniert. Im folgenden die Position der Deutschen Aids-Hilfe, beschlossen vom Vorstand am 18.12.2008, als Dokumentation:
HIV-Therapie und Prävention
Die antiretrovirale Therapie hat die Lebenserwartung von Menschen mit HIV deutlich erhöht und die Lebensqualität vieler Positiver wesentlich verbessert. Sie hat darüber hinaus einen wichtigen präventiven Nebeneffekt: das Ansteckungsrisiko wird deutlich vermindert.
Eine Übertragung bei sexuellen Kontakten ohne Kondom ist unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– die Viruslast des HIV-positiven Partners / der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexualpartnern/partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte z.B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.
Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden dadurch sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.
Diese erste Stellungnahme werden wir weiter im Verband diskutieren und bis Ende März eine breit getragene Position der DAH veröffentlichen.