In Deutschland sowie der Schweiz scheinen sich spannende Weiter-Entwicklungen der HIV-Präventionskampagnen insbesondere für schwule Männer abzuzeichnen. „Prävention neu“ – Verantwortung, differenziertere Information, Situationsbezug und Risikomanagement, Prävention könnte mehr sein als „Kondome Kondome Kondome“ …
Ganz anders hingegen in Österreich. Hier scheinen die Uhren anders zu ticken. Zumindest in Sachen HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).
Denn Vertreter österreichischer Aids-Hilfen kommentieren die Änderungen, die sich in Deutschland abzeichnen, äußerst – nun ja, pointiert wäre wohl eine höfliche Beschreibung dafür:
„Dahinter [hinter dem was sie als ‚Prävention neu‘ bezeichnen; d.Verf.] verbirgt sich eine gefährliche Abkehr von der Kondomempfehlung und die Erfolge der HIV-bezogenen Gesundheitsförderung werden gefährdet.“
A-ha. Zwar will niemand von der Kondom-Empfehlung abkehren, dieser hingegen weitere Empfehlungen an die Seite stellen. Aber nun denn, wir lesen weiter. Worum geht es denn?
„Durch die verbesserten Perspektiven in der Therapie darf es aber keineswegs zu einer Verwässerung der Safer-Sex-Botschaften kommen.“
Denn
„… ein sogenanntes Risikomanagement ohne konsequente Kondomempfehlung für schwule Männer [ist] eine Mogelpackung mit schweren Nebenwirkungen.“
Und, die Schwulen, na die sollen sich mal ja keine Hoffnungen machen …
„Etwaige Erwartungen in der schwulen Szene, dass im Kontext der Therapiemöglichkeiten die ‚Krise vorbei sei‘ und somit wieder eine Sexualität ohne Habitus der ‚Kontrolle‘ (sprich: Kondomanwendung) möglich sein könnte, müssen im Sinne der realistischen Verantwortung enttäuscht werden.“
Nun denn. Und was heißt das?
„Die Diskussion um eine ’neue Prävention‘ in Deutschland ist deshalb so unglaubwürdig, da sie sich nur scheinbar auf die Evidenz aus der Forschung bezieht, und die Schlußfolgerung‘ es muss nicht immer ein Kondom sein‘ plump und letztlich recht ungeniert referiert wird.“
(Alle Zitate bisher: Frank M. Amort: Prävention anders? – Die Erosion der Safer-Sex-Botschaft. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)
Nun, Herr Amort hat uns für’s erste einmal zur genüge aufgeklärt.
Aber – nein, das reicht noch nicht. Jetzt kommt noch Frau Fleck. Und die erklärt uns, wo es denn hin gehen soll:
„Dass man Kondome verwenden soll, darüber herrscht weitgehend Konsens. Diejenigen, die glauben, in einer entsprechenden Situation davon keinen Gebrauch machen zu müssen, wissen in diesem Moment wohl auch, dass sie diese Regel verletzen. In der Präventionsarbeit kann es also nur darum gehen, das normative Bewußtsein ‚Verwende Kondome!‘ zu stärken, um den Anteil derer, die in entsprechenden Risikosituationen davon keinen Gebrauch machen, zu reduzieren.“
Und weiter:
„Man sollte nicht übersehen, dass eine allzu liberale Haltung gegenüber risikoreichen Verhaltensweisen Auswirkungen auf die Präventionsarbeit mit allen Gruppen haben kann.“
Und deswegen …
„Benimm-Regeln haben es an sich, dass sie nur dann funktionieren, wenn sie als allgemein gültig betrachtet werden.“ Und „Schwierigkeiten von Einzelpersonen mit diesen Regeln sind Thema für Einzelberatungen. Wenn sie für eine ganze Zielgruppe verallgemeinernd diskutiert werden, stiftet das nur Verwirrung.“
Die Frage, was denn geschehen sollte, wenn diese erfolgreich vereinzelten und isolierten Benimmregelverweigerer uneinsichtig bleiben sollten, beantwortet uns Frau Fleck leider (noch?) nicht …
(Diese letzten Zitate: Lola Fleck: Prävention anders: Normen und Verhaltensweisen. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)
Nun sind Herr Amort und Frau Fleck nicht irgendwer, nicht von der katholischen Kirche und nicht von evangelikalen Sekten. Nicht aus der Vergangenheit, sondern schreiben das heute. Für Menschen von heute, für eine heutige Aids-Prävention.
Herr Amort ist Leiter der Präventionsabteilung der Aids Hilfe Wien, und Frau Fleck Leiterin der Steirischen Aids-Hilfe. Ihre Gedanken haben sie im offiziellen ‚Informationsmagazin der AIDS-Hilfen Österreichs‘ (PlusMinus, Ausgabe 04/2007, als pdf hier) zur Kenntnis gebracht.
In Reaktion auf Gedanken, die sich Menschen in Deutschland (wie auch in der Schweiz) über die Weiterentwicklung der Aids-Prävention machen. Gedanken, die sich z.B. mit dem HIV-Infektionsrisiko unter erfolgreicher Therapie beschäftigen oder mit der Abkehr von Patentrezepten, Mythen und Fehleinschätzungen.
Es gibt ganz offensichtlich Uhren, die anders gehen, und Gedanken, die nur Verwirrung stiften. Deswegen sollen sie möglichst auch gar nicht gedacht werden. Auch in der Aids-Arbeit und HIV-Prävention. Zumindest wenn es nach einigen unserer österreichischen Nachbarn geht.
Für mich klingt da erschreckend viel nach new gay right und schwulem Konservatismus.
Wenn man sich die Gedanken aus Österreich einmal etwas länger durch den Kopf gehen lässt, kann man wahlweise erschrecken oder amüsiert den Kopf schütteln. Die Konsequenzen für die Menschen in Österreich (insbesondere MSM) hingegen scheinen mir äußerst fragwürdig …