Wie sich richtig verhalten, wenn wegen HIV-Übertragung ermittelt wird? In Großbritannien informieren zwei britische Aids-Organisationen in einer gemeinsamen Broschüre.
In Großbritannien haben zwei HIV-Organisationen gemeinsam einen Ratgeber für HIV-Positive heraus gegeben. Die Broschüre und Internetseite „Prosecutions for HIV Transmission“ soll über Strafverfolgung von HIV-Infektionen informieren.
Herausgegeben wird der Ratgeber gemeinsam vom National AIDS Trust (NAT) und dem Terrence Higgins Trust (THT). Er informiert u.a. über das geltende britische Recht im Umfeld der HIV-Infektion und gibt praktische Ratschläge für Personen, gegen die wegen fahrlässiger HIV-Infektion ermittelt wird. Er gibt ebenso Ratschläge für Personen, die überlegen, eine Anzeige gegen eine andere Person wegen HIV-Übertragung zu stellen.
In Großbritannien liegt die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Positive wegen HIV-Übertragung höher als in Deutschland. Nur ein kleiner Teil der britischen Ermittlungsverfahren mündet auch in Anklagen.
Der National AIDS Trust betonte, man trete weiterhin für eine Abschaffung der Kriminalisierung der HIV-Infektion ein – da aber Ermittlingsverfahren stattfänden, wolle man allen Beteiligten zuverlässige und verständliche Informationen bieten.
Weitere Informationen:
Terrence Higgins Trust 22.05.2009: New guide explains prosecutions for HIV transmission
Terrence Higgins Trust: Criminal prosecutions for transmitting HIV als Website oder als pdf
pinknews 22.05.2009: Charities launch guide on prosecutions for HIV transmission
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Ist Kriminalisierung von HIV, von HIV-Positiven ein geeignetes Mittel, die HIV-Infektionszahlen zu senken? Einige Beiträge angesichts der Verhaftung einer Sängerin wegen HIV-Übertragung erwecken den Eindruck. Was ist HIV – ein Verbrechen? Oder ein Virus?
Der Fall einer Sängerin, die wegen des Verdachts verhaftet wurde, einen Sex-Partner mit HIV infiziert zu haben, geht breit durch die Medien. Mancher Artikel, einige Berichte wägen ab, argumentieren, überlegen. Viele hingegen spitzen zu, überzeichnen, kaprizieren sich auf vermeintliche Horror-Geschichten. Einige benutzen eine Sprache, die eher von Terrorbekämpfung bekannt ist, reden von Virusschleuder, Todesengel oder Biowaffe. Manche schwingen die ganz große Keule, phantasieren von ‚lebenslang‘ oder fordern Verschärfung des Rechts, mehr Kriminalisierung.
Worum geht es?
Ist HIV ein Virus?
Oder ein Verbrechen?
Kriminalisierung – was bedeutet das bei HIV, und was sind ihre Konsequenzen?
Kriminalisierung von Positiven
In zahlreichen Staaten häufen sich Urteile gegen HIV-Positive. In manchen Staaten wird gar eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Die Kriminalisierung von HIV scheint immer breiteren Raum zu gewinnen – aber ist sie ein probates Mittel? Mit Justitia gegen Positive?
„HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!“, betonte Edwin Cameron auf der XVII Internationalen Aids-Konferenz in Mexiko am 8. August 2008 in seiner Rede „Criminal Statutes and Criminal Prosecutions in the Epidemic: Help or Hindrance?“. Er forderte eine ‚Kampagne gegen Kriminalisierung‘.
Edwin Cameron ist Richter am Supreme Court of Apeal in Südafrika. Er lebt offen HIV-positiv und ist u.a. Autor des Buches „Witness to AIDS“ (deutsch: ‚Tod in Afrika – mein Leben gegen Aids‘).
In Deutschland wendet sich u.a. auch Pro Familia gegen Kriminalisierung. „Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Kriminalisierung ein Klima des Leugnens, der Verheimlichung und der Angst schafft und damit einen Nährboden für kontinuierliche und schnelle Ausbreitung von HIV“, betonte der Bundesverband Pro Familia Ende November 2008.
Und auch UNAIDS, die Aids-Organisation der Vereinten Nationen, betont (policy paper „Criminalization of HIV Transmission“, pdf) das Strafrecht sei nicht dazu geeignet, die HIV-Übertragungsrate zu senken. Es gebe keinerlei Evidenz dafür, dass mit einer breite Anwendung des Strafrechts bei der HIV-Infektion HIV-Übertragungen verhindert werden könnten. Vielmehr müssten die allgemeinen Menschenrechte auch für HIV-Positive gewahrt werden. Zudem empfiehlt UNAIDS HIV-Tests und vertrauliche Beratungsangebote.
Kriminalisierung hingegen wird – z.B. nach der (von der Deutsche Aids-Hilfe kritisierten) Verhaftung einer Sängerin – von interessierter Seite gelegentlich auch hierzulande gefordert, eine Verschärfung des Strafrechts angemahnt. So bezeichnet der Osnabrücker Strafrechts-Professor Arndt Sinn HIV-Positive im Interview mit der FR (17.04.2009) als „Gefährdungspotenzial“ und fordert die Einführung eines „Gefährdungstatbestands“.
Folgen der Kriminalisierung der HIV-Infektion
Wenn nun angesichts des Falles der Verhaftung einer Sängerin von manchen Stellen eine verschärfte Kriminalisierung gefordert wird – welche Folgen mag diese haben?
Die gesellschaftlichen Folgen, die aus zunehmender Kriminalisierung resultieren, hat u.a. der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Rosenbrock beschrieben:
„Ich bin immer davon ausgegangen, dass diese polizeistaatlichen Vorstellungen, mit Gewalt könne man das Risiko in der Bevölkerung auf Null bringen, in totalitären Wahnphantasien enden.“ (Rolf Rosenbrock, „Entscheidend ist die Kommunikation, in Deutsche Aids-Hilfe (Hg.): Jahrbuch 2007/2008)
Und die Folgen für Aids-Prävention und die Vermeidung von HIV-Neuinfektionen?
Nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Welche ‚Anreize‘ setzt dann eine zusätzliche Kriminalisierung?
Bizarre Folgen hätte eine Verschärfung der strafrechtlichen Bedrohung von HIV-Positiven, darauf weisen Kritiker hin: Nicht-Wissen wird wieder attraktiver als Wissen, nicht zuletzt aus Angst vor Repression – mit all seinen Konsequenzen.
Wer nicht weiß, dass er HIV-Positiv ist, weiß sich sicher vor strafrechtlicher Bedrohung, angesichts seines Nicht-Wissens. Auch wenn er sich beim Sex unsafe verhält, er mag sich selbst gefährden, ist aber von rechtlichen Folgen (einer Gefährdung Dritter) sicher.
Dies kann zu gravierenden Konsequenzen führen. Bereits jetzt, so zeigen zahlreiche Studien, ist ein Großteil der HIV-Neuinfektionen auf Personen zurück zu führen, die selbst bisher nichts von ihrer eigenen HIV-Infektion wissen. Die Zahl der ungetesteten HIV-Positiven, sie dürfte steigen durch zunehmende Kriminalisierung, warnen Präventionsexperten.
Und, ergänzen Behandler, wer nicht von seinem Status als HIV-Positiver weiß, bekommt keine entsprechende medizinische Betreuung, keine Behandlung, keine antiretrovirale Therapie. Ist nicht nur als nicht behandelter Positiver infektiöser, sondern vor allem selbst im Risiko einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands, einer Verschlechterung seiner späteren Behandlungsmöglichkeiten, eines vorzeitigen Todes.
Nicht von seinem HIV-Status zu wissen, kann potenziell ein Risiko sein. Für die eigene Gesundheit (als HIV-Infizierter, der von seiner eigenen Infektion nicht weiß), aber auch für die öffentliche Gesundheit insgesamt.
Nicht von seinem HIV-Status zu wissen wird wieder attraktiv, wenn Positive noch mehr als bisher stigmatisiert, kriminalisiert werden.
Die Kriminalisierung der HIV-Infektion erschwert Prävention, verschlechtert die medizinische Situation Betroffener und riskiert eine Verschlechterung der epidemiologischen Situation.
Und damit geht es in der aktuellen Debatte um weit mehr als ’nur‘ den‘ Staatsanwalt in meinem Bett‚ – es geht darum, ob die Aids-Bekämpfung in Deutschland weiterhin auf Aufklärung, Information, Selbstbestimmung und Verantwortung setzt und damit erfolgreich ist. Oder ob populistische Impulse von Boulevard-Presse und Präventions-Nicht-Experten zu einem Rollback führen.
Dies, darauf weisen Kritiker hin, ist die bizarre, bestürzende Konsequenz von Vorschlägen à la Sinn. Sie warnen vor rechtspolitischem Populismus mit drastischen Public-Health-Konsequenzen.
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Es ist zu hoffen, dass verbale Geisterfahrten und journalistische Amokläufe der vergangenen Tage sich bald wieder legen (oder der nächsten Sau zuwenden, die durch das mediale Dorf getrieben wird). Debatten über eine Weiterentwicklung und Optimierung von HIV-Prävention sind oft sinnvoll, manchmal erforderlich. Gerade das Statement der Deutschen Aids-Hilfe (‚HIV-Therapie und Prävention‚) zur Frage der Präventionsmethode ‚Viruslast unter Nachweisgrenze‘ zeigt, dass diese Debatten auch geführt werden. Allerdings ist diesen Debatten statt aufgeregter Platitüden und auflagengeilem Populismus eher ein Klima von konstruktivem Dialog, Nachdenklichkeit und zielorientiertem Handeln förderlich.
In der Diskussion über HIV und Strafrecht wird gerne unterschlagen, dass in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten bereits seit Jahren Rechtsvorschriften existieren, die u.a. regeln wie zu verfahren ist, wenn eine Person einer anderen Schaden für Leib und Leben zufügt. Diese allgemeinen Regelungen können auch auf HIV angewendet werden – und werden es auch, wie gelegentliche Prozesse, ein aktuelles Urteil in Kanada und eine aktuelle Studie (Pärli 2009) zeigen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass diese bestehenden rechtlichen Regelungen nicht ausreichen.
Wo sie im bestehenden Recht Lücken sehen, erklären und begründen die Kriminalisierungs-Befürworter nicht. Weswegen ein Sonder-Recht besser als allgemein gültige Vorschriften sein sollte, ebenfalls nicht.
Und die Folgen, die solcherlei Verschärfungen haben könnten?
Über potenzielle Folgen für HIV-Prävention, für HIV-Positive, für die Entwicklung der Infektionszahlen machen sie sich oftmals scheinbar keine Gedanken. Oder doch? Schielen sie schon auf die steigenden Zahlen, um dann zum nächsten Schlag ausholen zu können?
So laufen die Apologeten einer zunehmenden Kriminalisierung Gefahr, sich als Brandstifter zu betätigen, als Brandstifter einer Verschlechterung der Situation von HIV-Positiven, vor allem aber auch als Apologeten einer Verschlimmerung der HIV-Epidemie in Deutschland. Und mittelfristig zu einem ‚law-and-order-Staat, zu ‚old-school- Public Health‘, zu Gauweilereien und anderen längst in ihrem Versagen als untauglich erkannten Konzepten.
Polizeistaatliche Vorstellungen weisen nicht nur -wie Rosenbrock treffend betont- den Weg in totalitäre Wahn-Phantasien. Sie gefährden auch die Erfolge, die 25 Jahre Aids-Prävention in Deutschland erreicht haben. Erfolge, die nicht mutwillig und leichtsinnig riskiert werden sollten.
Erfolgreiche Aids-Bekämpfung braucht nicht mehr, sie braucht weniger Kriminalisierung!
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einen schwierigen Fall zu behandeln: ein Arzt hatte die Ehefrau eines HIV-Infizierten aufgrund seiner Schweigepflicht nicht über dessen HIV-Infektion informiert. Die Frau infizierte sich und klagte gegen den Arzt. Sie verlor. Ihre Klagen, ihre Rechte seien vernachlässigt worden, wurden abgewiesen – nun auch vom ECHR.
Eine 41jährige Frau aus Wiesbaden hat sich bei ihrem Mann mit HIV infiziert. Der Arzt ihres Mannes hatte sie unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht nicht über die HIV-Infektion ihres Partners informiert. Allerdings hatte er sie gleichzeitig dazu aufgefordert, sich gegen eine HIV-Infektion zu schützen.
Bereits 1999 hatte die Frau den Arzt ihres Mannes verklagt, er habe sie nicht rechtzeitig informiert. In mehreren Instanzen verlor die Frau allerdings ihre Klage vor deutschen Gerichten. Der Arzt habe sich an seine Schweigepflicht gehalten, aber die Frau adäquat informiert sich zu schützen.
Die betroffene Frau wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ECHR (European Court of Human Rights). Sie war der Ansicht, ihre Rechte seien von den deutschen Gerichten nicht ausreichend gewürdigt worden.
Die beteiligten deutsche Gerichte haben keine Fehler begangen und nicht gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte verstoßen, so der ECHR. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 5. März 2009 die Klage gegen Deutschland abgewiesen.
Das Gericht teilte zum Urteil mit
„The Court considered that the domestic courts had had sufficient regard to Ms C.’s right to life and physical integrity; it further found that their assessment of the facts had not been arbitrary and that the principle of equality of arms had been complied with. Consequently, the Court held, unanimously, that there had been no violation of Article 2 of the Convention and no violation of Article 6 § 1. It further held, by six votes to one, that there had been no violation of Article 8.“
Weitere Informationen:
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Press Release (in englischer Sprache) und Urteil (ebenfalls in englischer Sprache)
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In Europa und den USA steigt in den vergangenen Jahren die Zahl der Menschen, die wegen HIV-Exposition oder -Übertragung juristisch verfolgt wurden. In einigen Staaten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und der Karibik wurden neue HIV-spezifische Strafrechtsparagraphen eingeführt.
Vor diesem Hintergrund als Dokumentation eine Veröffentlichung des Open Society Institutes (ins deutsche übertragen von der Deutschen Aids-Hilfe): „Zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen„
Anmerkung: Dokumentiert sind hier nur die zehn Gründe als Leitsätze. Jeder Grund ist im Original-Papier (siehe Links unten) ausführlich erläutert und kommentiert.
Zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen
1. Die Kriminalisierung von HIV-Übertragungen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Übertragung in der bösartigen Absicht anderen Schaden zuzufügen erfolgt. In diesen seltenen Fällen kann und sollte, anstatt neue HIV-spezifische Gesetze zu erlassen, die Anwendung des bereits existierenden Strafrechts erfolgen.
2. Die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Exposition oder -Übertragung reduziert nicht die Ausbreitung von HIV.
3. Die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Exposition oder -Übertragung untergräbt Bemühungen der HIV-Prävention.
4. Die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Exposition oder -Übertragung verbreitet Angst und führt zu Stigmatisierung.
5. Anstatt Frauen Gerechtigkeit zu verschaffen, gefährdet sie die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Exposition und -Übertragung und trägt zu einer weiteren Unterdrückung bei.
6. Die Gesetze, die HIV-Exposition und -Übertragung kriminalisieren, sind zu weit gefasst und bestrafen oftmals Verhalten, das nicht schuldhaft ist.
7. Die Gesetze, die HIV-Exposition und -Übertragung kriminalisieren, werden oft ungerecht, selektiv und unwirksam angewendet.
8. Die Gesetze, die HIV-Exposition und -Übertragung kriminalisieren, verdecken die wahre Herausforderung der HIV-Prävention.
9. Anstatt Gesetze einzuführen, die HIV-Exposition und -Übertragung unter Strafe stellen, sollten die Gesetzgeber die Gesetze reformieren, die der HIV-Prävention und -Behandlung im Weg stehen.
10. Bestrebungen die auf Menschenrechten gründen sind am effektivsten.
In Norwegen stellt ein spezieller Paragraph die Infektion mit HIV unter Strafe. Aktivisten fordern nun seine Abschaffung.
Positive und Aids-Hilfen in Deutschland (und anderen Nachbarstaaten) diskutieren darüber, welche Auswirkungen das Statement der EKAF hat. „Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen“, lautet die neu publizierte Stellungnahme der Deutschen Aids-Hilfe.
HIV-Positive in Norwegen hingegen haben ein ganz anderes Problem. Noch immer sind sie besonders von einem speziellen Strafrechts-Paragraphen bedroht.
Der Paragraph 155 des norwegischen Strafgesetzbuchs wurde bereits 1902 eingeführt zum Schutz der Allgemeinheit vor Infektionskrankheiten. §155 wurde nach Angaben norwegischer Aktivisten jedoch bisher nur auf HIV angewandt und deshalb selbst im Land oftmals als „der HIV-Paragraph“ bezeichnet.
Der Paragraph besagt
„Any person who, having sufficient cause to believe that he is a bearer of a generally contagious disease, willfully or negligently infects or exposesanother person to the risk of infection shall be liable to imprisonment for a term not exceeding six years if the offense is committed willfully and to imprisonment for a term not exceeding three years if the offense is committed negligently. Any person who aids and abets such an offense shall be liable to the same penalty. If the aggrieved person is one of the offender’s next-of-kin, a public prosecution shall be instituted only at the request of the aggrieved person unless it is required in the public interest.“ (Quelle http://hiv-manifesto-norway.blog.com)
HIV-Aktivisten in Norwegen engagieren sich nun für eine Abschaffung des Paragraphen. Sie betonen, dieser Paragraph wiege HIV-Negative in falscher Sicherheit, unterminiere Bemühungen um die Förderung der Gesundheit und stelle für HIV-Positive ein bedeutsames psychologisches Hindernis dar.
Weltweit ist einerseits eine Tendenz zu beobachten, auf HIV stärker mit strafrechtlichen Mitteln und Kriminalisierung zu reagieren. Andererseits werden verstärkt Bemühungen unternommen, aufzuzeigen, dass die Kriminalisierung von HIV und HIV-Positiven erfolgreiche Aids-Prävention erschwert, wenn nicht unmöglich macht.
Die norwegischen HIV-Aktivisten betonen, die Kriminalisierung von HIV stelle einen Irrweg des Kampfes gegen Aids dar. Sie fordern die norwegische Regierung auf, den Parapraphen 155 abzuschaffen.
weitere Informationen: HIV Manifest (norwegischer Text) HIV Manifesto (englischer Text)
Ten Reasons to Oppose the Criminalizatioon of HIV-Exposure or Transmission (open society institute / soros foundation)
deutsche Übersetzung „10 Gründe gegen Kriminalisierung der HIV-Infektion“ (angefertigt von der Deutschen Aids-Hilfe; pdf)
[via poz and proud]
Nachtrag:
22.01.2009: Die Deutsche Aids-Hilfe unterstützt das norwegische Manifest gegen die Kriminalisierung der HIV-Infektion
poz 10.03.2009: Norwegian Manifesto Fights HIV Criminalization
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International steigt die Zahl der Ermittlungsverfahren und Urteile gegen HIV-Positive. In jüngster Zeit hat es international zahlreiche Urteile und Prozesseröffnungen gegen HIV-Positive gegeben. Eine Übersicht über einige der Urteile und Ermittlungsverfahren der letzten Monate:
Besondere mediale Aufmerksamkeit erfuhr seit seinem Bekanntwerden im Mai 2007 ein recht spezieller Fall in den Niederlanden. In Groningen wurde im Oktober 2008 das Verfahren gegen drei 39, 48 und 49 Jahre alte Männer eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 2005 und 2007 mindestens 14 junge schwule Männer bei über Dating-Portalen organisierten Parties mit GHB betäubt und ohne Kondom vergewaltigt zu haben. Anschließend sollen sie ihnen ihr Blut injiziert haben. 12 der 14 Männer sind inzwischen HIV-positiv. Der Staatsanwalt forderte Haftstrafen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Die Verteidiger einiger der Betroffenen kündigten für den Fall einer Verurteilung bereits Zivilklagen auf Schadenersatz an.
In Finnland wurde ein 25jähriger Mann zu 10 Jahren Haft sowie 330.000€ finanzieller Entschädigung verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, 5 Frauen vorsätzlich mit HIV infiziert und mit mindestens 14 weiteren Frauen Sex ohne Kondom gehabt zu haben. Die Verurteilung erfolgte bereits im April 2008, die Bekanntgabe des Strafmasses erst im Spätsommer.
In Australien wurde im Juli 2008 ein 49jähriger Australier mit der Begründung verurteilt, wissentlich andere Männer mit HIV infiziert zu haben. Er wurde in 15 Fällen für schuldig befunden, darunter auch mindestens ein Fall von Vergewaltigung.
Ein 42jähriger Mann wurde in Canberra zu 10 Wochen Haft verurteilt, weil er als Callboy tätig war, obwohl er mit HIV und Hepatitis C infiziert ist. Es gab keine Beweise für ungeschützten Sex. In der australischen Hauptstadt (bzw. im ACT Australian Capital Territory) ist schon die Arbeit als Callboy verboten, wenn eine sexuell übertragbare Infektion vorliegt.
In Kanada steht ein 52jähriger Mann vor Gericht, dem Mord vorgeworfen wird. Zwei Frauen, die durch ihn mit HIV infiziert worden sein sollen, sind inzwischen verstorben. Es ist der erste Prozess in Kanada mit Mord-Vorwurf aufgrund HIV-Infektion. Gegen den Angeklagten wird bereits seit fünf Jahren ermittelt, diese Zeit hat der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft verbracht.
Bereits im Februar 2007 war ein kanadischer Mann verurteilt worden, dem vorgeworfen wurde, wissentlich zwei Frauen einem HIV-Infektionsrisiko ausgesetzt zu haben.
In den USA wurde ein schwuler DJ unter Hausarrest gestellt. Er habe seinen HIV-positiven Status nicht offen gelegt und mit drei Personen ungeschützten Sex gehabt. Anfang Oktober wurde ihm von Gesundheitsamts-Bediensteten in Raleigh, North Carolina vorgeworfen, trotz einer ‚Bewährungsauflage‘ (nicht mehr unsafen Sex zu haben) erneut Sex ohne Kondom gehabt zu haben. Er hatte sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Krankheit infiziert. Statt zu einer vierzigtägigen Haftstrafe wurde er zu sechs Monaten elektronisch überwachtem Hausarrest verurteilt. Zudem muss er sich einer psychologischen Bewertung unterziehen. Für den Fall eines erneuten Verstoßes gegen die Auflagen drohen ihm 25 Tage Haft sowie eine zweijährige ‚Quarantäne‘ in der Krankenabteilung einer Justizvollzugsanstalt. Die Gesetzgebung von North Carolina lässt rigide Maßnahmen zur Kontrolle von Infektionskrankheiten zu.
Und auch in Frankreich werden Menschen wegen HIV-Infektion verurteilt – so Anfang Juni 2008 ein heterosexueller Mann in Marseille zu drei Jahren Haft (angeblich mit dem staatsanwaltlichen Kommentar „sie sind ein Saukerl“).
Die strafrechtliche Verfolgung von HIV-Transmissionen war inzwischen in Frankreich sogar Thema in Homo-Magazinen:
Derweil gehen auch die politischen Auseinandersetzungen weiter. Wer muss wem Daten liefern, bei Ermittlungen unterstützen? Und reicht Fahrlässigkeit alleine schon für eine Verurteilung aus?
In Schweden z.B. geriet die Frage in die Diskussion, in wie weit ein epidemiologisches Institut sich zum Handlanger der Strafverfolgungsbehörden machen muss – und ob Kriminalisierung eine wirksame HIV-Prävention beeinträchtigt.
Das Schwedische Institut für Infektions-Krankheiten geriet in die öffentliche Kritik, als es sich zeitweise weigerte, die Polizei des Landes bei Ermittlungen wegen wissentlicher HIV-Infektion zu unterstützen. In einer medizinischen Zeitschrift (Dagens Medicin) hatten Vertreter des Instituts zuvor mitgeteilt, sie würden die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden einstellen, da sie die gegenwärtige Gesetzgebung für falsch hielten, die die HIV-Übertragung kriminalisiere. Die Strafandrohung beeinträchtige eine wirksame Prävention. Menschen, die vermuteten HIV-infiziert zu sein, würden aus Angst vor Strafverfolgung keinen HIV-Test machen.
HIV gehört auch in Schweden zu den meldepflichtigen Infektionen (anonyme Meldepflicht durch Ärzte). Der behandelnde Arzt ist zur nichtnamentlichen Meldung (per sog. klinischer Meldung) verpflichtet, unabhängig vom Erregernachweis im Labor (schwedisches Infektionsschutzgesetz von 1989/1997). Zudem muss der Arzt Fehlverhalten des Patienten melden, wenn dies zur Verbreitung der Infektion beiträgt (1). Wissentliche HIV-Übertragung kann in Schweden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.
In der Schweiz wurde im Juni in einem bemerkenswerte Urteil ein Mann wegen fahrlässiger HIV-Infektion verurteilt, obwohl er selbst nicht von seiner HIV-Infektion wusste (Urteil 6B_235/2007 vom 13. Juni 2008).
Es war der erste Fall, bei dem zuvor das Bundesgericht zur Frage der HIV-Infektion durch Fahrlässigkeit Stellung genommen und dann den Fall an das Obergericht zurückverweisen hat. Das Bundesgericht hat dabei festgestellt: „Wer die Möglichkeit der eigenen HIV-Infektion ignoriert und den Partner ansteckt, kann wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt werden.“
Die Diskussion, in wie weit das Statement der EKAF (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapier ohne weitere STDs‘) auch im juristischen Raum zu einer neuen Lage für die Rechtsprechung führen müsste, verläuft unterdessen eher verhalten.
(1) Gerlinde Klöckner „Infektionskrankheiten – Aspekte der Meldepflicht“, Inauguraldissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2005 (pdf)
Nachtrag
13.11.2008: Urteile im Fall in den Niederlanden: ‚Prozess: Niederländer für vorsätzliche HIV-Infektion verurteilt‘, schreibt die Zeit und 365gay.com erwähnt in seinem Bericht, in dem Urteil sei berücksichtigt worden, dass die HIV-Infektion als chronische Krankheit betrachtet wurde, nicht als tödlich (dank an TheGayDissenter für den Hinweis).
Etwas verspätet im Folgenden als Dokument eine Rede Ortwin Passons (whk) anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 zum Themenbereich Barebacking und Strafrecht:
In der Tradition Wilhelm Leuschners – Die HIV-Hauptbetroffenen- gruppe homo- und bisexueller Männer zwischen Bareback-Diskurs und Feindstrafrechts-Debatte in Deutschland
Paulskirchen-Rede zum Welt-Aids-Tag 2007, von Ortwin Passon aus Frankfurt am Main, Mitglied beim wissenschaftlich-humanitären komitee [whk], Regionalgruppe Hessen
Teure Elite, liebe Barebacker,
bitte bewahren Sie Ruhe! – Keine Angst, eine Bombendrohung liegt nicht vor. „Bitte bewahren Sie Ruhe“ lautet der Titel eines von Thomas Uwer herausgegeben Werkes, in dem sich verschiedene Autoren mit dem Dasein im Feindrechtsstaat befassen. Aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen wird darin den Folgen des „Krieges gegen Terror“, der deutschen Tradition des Feindbegriffes und seinen Wurzeln bei Carl Schmitt nachgegangen sowie den gesellschaftlichen Entwicklungen unter einem repressiven Liberalismus, Kants „Ewigem Frieden“ oder dem Feindbegriff in islamisch geprägten Rechtsordnungen. Ebenso werden die Mechanismen der sozialen und juristischen Konstruktion von – fremden – Feinden und die Rolle des Bürgers beleuchtet, der bereits morgen von seinen Mitbürgern als Feind betrachtet werden kann. Das Buch entstand aus Anlaß des 29. Strafverteidigertages, auf dem Professor Günther Jakobs 2005 seine Thesen zum „Feindstrafrecht“ zur Diskussion stellte.
Jakobs definiert den Begriff „Feindstrafrecht“ durch vier Merkmale: erstens durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit und Verlagerung des Schwerpunkts von der begangenen auf eine noch zu begehende Tat; zweitens durch das Fehlen einer der Vorverlagerung entsprechenden Minderung des Strafmaßes; drittens durch den Übergang von der Straf- zur Bekämpfungsgesetzgebung; und viertens den Abbau prozessualer Garantien. Beispiele hierfür sind etwa Strafrechtsänderungen zur Bekämpfung von Drogenhandel, organisierter Kriminalität, Terrorismus und – Sexualdelikten.
Ich bin gern einer Anregung des emeritierten Professors Rüdiger Lautmann gefolgt, meine Reflexionen zu dem in Deutschland seit 1998 kontrovers geführten Bareback-Diskurs in den Kontext dieser parallel geführten Feindstrafrechts-Debatte zu stellen. Solcherart „Sattellos durch den Feindrechtsstaat“ reitend mußte ich 2006 resümieren: Der bevorstehende Welt-AIDS-Tag läßt befürchten, daß eine weitere Verschärfung und Verunsachlichung des Bareback-Diskurses herbeigeführt wird – mit weitreichenden Folgen nicht nur für Barebacker und HIV-Positive. Wenn die Profiteure des AIDS-Bizz in diesem Diskurs den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht endgültig verlassen wollen, indem sie sich zu Steigbügelhaltern der Verfechter eines „Feindstrafrechts“ gegen Barebacker machen, müssen sie das Grundgesetz und seine Freiheiten auch für jene Menschen einfordern und verteidigen, die sich aufgrund ihrer Lebensrealität für den bewußten, einvernehmlichen, risikoreichen Körperflüssigkeitsaustausch entschieden haben und deshalb keinesfalls weniger „wertvolle“ Teile dieses Gemeinwesens sind. Andernfalls laufen sie Gefahr, sich fragen lassen zu müssen, ob und inwieweit sie selbst denn überhaupt noch jene soziale Verantwortung beweisen, die sie Teilen ihrer Klientel einseitig aufzubürden trachten.
Ich möge doch, baten mich die heutigen Veranstalter, den „längst überfälligen Schritt“ wagen, und mich hier „mit den dubiosen Zielvorgaben des Feindstrafrechts, konkret … des unmenschlichen Ausschlusses von Menschen und ganzen Bevölkerungsgruppen aus der Gesellschaft mit Mitteln des Rechts kritisch auseinander(zu)setzen und schleunigst eindeutig schützende Positionen auch zugunsten von Barebackern … beziehen.“ – Allerdings, so ihre E-Mail vom 24. September, sei ihnen eben „besonders an der angesprochenen kritischen Auseinandersetzung und der abgeleiteten schützenden Position zugunsten von Menschen mit HIV gelegen.“
Der letzten Bitte kann ich so nicht folgen. Opportunismus und Spaltung sollen nicht meine Signale aus Frankfurt sein. Denn es geht längst nicht mehr darum, privilegierende Vergünstigungen auf Kosten einer noch randständigeren Gruppe einzufordern, sondern um die Verteidigung wohl begründeter Ansprüche. Ansprüche auf Achtung der Eigenverantwortlichkeit, auf Respekt vor der individuellen Lebenssituation und jenseits aller Verschiedenheit auf gleichwertige Teilhabe und Handlungsfreiheit. Diese stehen jedem Bürger uneingeschränkt zu, egal ob es sich um Heterosexuelle oder Homosexuelle, um HIV-Infiziere oder Barebacker handelt. Folgerichtig kann es nicht nur um die Ableitung einer schützenden Position ausschließlich zugunsten von Menschen mit HIV und AIDS gehen. Sondern es muß um den Schutz der Grundrechte von Männern gehen, die Sex mit Männern haben – und zwar unabhängig von ihrem Serostatus und gerade auch bei Hinzutreten „strafverschärfender“ Merkmale wie Barebacking. Anders ausgedrückt: Es kann niemand verantworten, das Liebevolle am Würgegriff der politikbestimmenden Kaste gegenüber Homosexuellen erhalten zu wollen, wenn HIV-Positive zum Abschuß freigegeben werden. Umgekehrt kann ich es nicht verantworten, zugunsten HIV-Infizierter nunmehr Barebacker abschießen zu lassen.
Insoweit sehe ich mich als Hesse in der Tradition des ehemaligen Innenministers dieses Landes, Wilhelm Leuschner, der am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt wurde. Er würde Ihnen heute hier in der Wiege der deutschen Demokratie vermutlich zurufen: Die Freiheitsgarantien des Grundgesetzes, das nach der Befreiung vom Faschismus in seinen ersten 19 Artikeln die Staatsziele und die unerschütterlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens festschreibt, sind für die in seinem Geltungsbereich lebenden Menschen nicht teilbar!
Wer die „Gay-Community“ in gute und böse Homosexuelle, beziehungsweise in bemitleidenswerte und verantwortungslose HIV-Infizierte spaltet, wie dies einmal mehr auf dem Berliner Kongreß „HIV im Dialog“ am 1. September geschah, befördert im kurzsichtigen Eigeninteresse die Verwahrlosung des Rechtsstaates und erleichtert den Schilys und Schäubles und ihrem später gewendeten Inspirator Jacobs den Grundrechtsabbau. Das Zetern wird erfahrungsgemäß nach Schalterschluß einsetzen. Der war übrigens für Barebacker am 23. März 2007.
Auch Sie kennen Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Wieder einmal soll in dieses Grundrecht nach dem nicht mehr so ganz „gesunden Volksempfinden“ einiger Zeitgenossen eingegriffen werden. Durch wen? Durch den Gesetzgeber! Die an der Wahl beteiligten Wahlberechtigen haben sich in den Bundestag derzeit 613 Repräsentanten gewählt – wie ich hoffe und gleichzeitig befürchte: mit Überzeugung.
Keine dieser eventuell HIV-positiven Personen ist – anders als nicht ganz unwesentliche Teile meines heutigen eventuell auch HIV-positiven Barebacker-Publikums – darauf angewiesen, mit dem monatlichen ALG-II-Regelsatz von 347 Euro plus begrenztem Mietzuschuß auszukommen. – Bei chronisch Kranken zuzüglich eines unbedeutenden Ernährungszuschlags von 25 Euro. Nach der jüngsten Diätenerhöhung muß jeder dieser Mandatsträger mit knapp 7700 Euro zuzüglich einer steuerfreien Kostenpauschale von ca. 3.700 Euro darben, insgesamt also mit etwa 11.400 Euro die Inflationsrate ausgleichen.
Im Alter wird man wunderlich. Auch ich habe es mir zur Regel gemacht, vor größeren Anschaffungen zur Abschreckung in D-Mark umzurechnen. Für alle, die ähnlich wunderlich sind wie ich: 11.400 Euro entsprächen 22.296 Mark – und 46 Pfennigen. Monatlich. „Eine fürstliche Entlohnung ist das nicht, wenn man die herausgehobene Verantwortung und den zeitlichen Aufwand bedenkt“, meinte dazu die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. November mitfühlend. Trotz dieser immensen Inanspruchnahme durch das Mandat müssen immer mehr Abgeordnete irgendwie die Zeit finden, ähnlich wie unzählige sozialschwache HIV-Positive, noch etwas Geld hinzuzuverdienen.
Um 142 von ihnen müssen wir uns nur noch mindere Sorgen machen. Sie hatten Glück und konnten heuer allein bis Ende September neben ihren Diäten Honorare im Gesamtwert von mindestens 5,8 Millionen Euro einnehmen, wie aus einer Untersuchung der Beratungsfirma „deducto“ hervorgeht. Da ab einer gewissen Anzahl von Nullen mein Interesse schlagartig abnimmt, was es mir auch zusehends schwerer macht, mich an Wahltagen zu motivieren, sehe ich an dieser Stelle von einer Umrechnung ab. Soviel zum Sein, das bekanntlich das Bewußtsein bestimmt. Und nun wieder zurück zum klassischen Feindstrafrecht.
Bekanntermaßen muß derjenige, der einen Kampf aufnimmt, sich davor hüten, seinem Feind und seinen Methoden ähnlich, allzu ähnlich zu werden. Diese spezielle Form der Verhütung scheint nicht ohne Anstrengung zu funktionieren. Wie sonst wäre erklärlich, daß der Bundestag neuerdings verschleiert daherkommt, auf Säcke einschlägt und die gemeinten Esel nicht heulen? Die Rede ist von der Entschließung des Bundestags vom schon erwähnten 23. März 2007. Darin wird in den Ziffern 6 und 7 der Gesetzgeber aufgefordert, „gemeinsam mit den Ländern und Verbänden“ – welche mögen das wohl sein? – „bundesweit im Rahmen einer Selbstverpflichtung der Anbieter von Orten der sexuellen Begegnung auf Präventionsmaßnahmen hinzuwirken, die u.a. (…) den vollständigen Verzicht auf Werbung und Unterstützung für ungeschützten Geschlechtsverkehr beinhaltensollte.“
Was aber, wenn die Betreiber entsprechender Internetportale und Veranstaltungsorte ihrer Aufgabe als Bereichs-„Sicherheitsdienst“ nicht nachkommen und insofern die etwas abgedunkelten Zerstreuungsbereiche homosexueller Erlebnisgastronomie sich als resistent gegen fremdbestimmten Kondomgebrauch erweisen, wovon lebensnah auszugehen ist? Dann wird die Bundesregierung im März 2009 nicht nur „über den Stand der Umsetzung“ zu berichten, sondern „gegebenenfalls Vorschläge für eine rechtliche Regelung“ zu unterbreiten haben. Die deutsche Regierung wird bis zu diesem Termin parallel zu prüfen gehabt haben, „ob die Erfahrungen in Österreich und der Schweiz mit der Verschärfung des Strafrechtes bezüglich der fahrlässigen Gefährdung der Verbreitung einer sexuell übertragbaren Krankheit eine handhabbare Regelung zur Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschütztem Sex darstellen.“
Nichts anderes als die Ankündigung einer gegen Barebacker gerichteten Sondergesetzgebung verbirgt sich dahinter. Noch einmal zur Erinnerung: Das sogenannte Feindstrafrecht als rechtstheoretische Grundlage für solcherlei Strafverschärfungen geht von der Grundannahme aus, daß es „Feinde“ in der Gesellschaft gibt, denen mit dem bisherigen Strafrecht nicht angemessen und ausreichend begegnet werden kann, weshalb gegen diese „Feinde“ ein präventives Bekämpfungsstrafrecht benötigt wird. Ein solcher „Feind“ ist nach Jakobs „ein Individuum, das sich in einem nicht nur beiläufigen Maß in seiner Haltung … oder seinem Erwerbsleben … oder durch seine Einbindung in eine Organisation … also jedenfalls vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat … und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert.“ Vor diesem Hintergrund liest sich die Bundestagsentschließung beängstigend deutlich: Auch wenn inzwischen vereinzelt die Homos die Möglichkeit nutzen, sich von den Heten in der sogenannten Homo-Ehe freiwillig sexuell fremdbestimmen zu lassen, und so die ersehnte Integration der Verbands- und Berufshomos in die vermeintliche Spitze der Gesellschaft mit ermöglichen: In ihrer letzten unkontrollierten Nische, in ihrer Subkultur – die ja von dem abweichen soll und will, was zwischen Kittelschürze und Arschgeweih sonst so als richtig und moralisch empfunden wird – entziehen sie sich, wenn auch vereinzelt, dem verlogenen Schweigegelübde über das, was alle wissen und viele tun.
Barebacking meint meines Erachtens im Gegensatz zu lediglich ungeschützt stattfindendem Sex die wechselseitig bewußte und gewollte, vom tatsächlichen Serostatus der jeweiligen Partner unabhängige und einvernehmliche Ausübung risikoreicher Sexualpraktiken unter überwiegend homo- oder bisexuellen Männern. Das Bewußte und Einvernehmliche scheint mir dabei eine individuelle Strafbarkeit der Praktiken auszuschließen. Wenn aber eine Strafbarkeit von Barebacking unter diesen Begegnungsbedingungen nicht gegeben ist, was bleibt dann außer der Überzeugung, daß andere moralisch falsch handeln, als Motiv für die Bundestagsentschließung?
Sollte die „freiwillige“ Unterwerfung unter diese moralische Anschauung nicht gelingen, so sollen künftig die Staatsanwaltschaften und ihre Hilfsorgane – wozu schließlich gibt es bei den Länderpolizeien Ansprechpartner für Homosexuelle? – im Dienst an der sittlichen Volksgesundheit in Marsch gesetzt werden. Eine ganz große Koalition aus CDU und Die Linke, aus FDP und SPD hat somit der Kriminalisierung von Barebacking aktiv Vorschub geleistet oder durch Stimmenthaltung ihren gesetzgeberischen Willen zum politischen Abschuß von Barebackern erklärt. Bürgerliche von Links bis Rechts haben es vorsätzlich unterlassen, zwischen ihrem sittlichem Empfinden und ihren Moralvorstellungen und zwischen allgemeingültigem Grundrecht zu trennen. Der präventive Ansatz, die Ausübung selbstbestimmter und selbstverantworteter Sexualität gerade durch Aufklärung über die Risiken und Folgen bestimmter Handlungsweisen weiter zu ermöglichen, wird in sein repressives Gegenteil verkehrt. „Selbstbestimmung“ und „Eigenverantwortlichkeit“ sollen nur dann nicht kriminell sein, wenn sie in eine bestimmte vorgegebene Richtung ausgeübt werden. Nach der „Homo-Ehe“ und dem ALG-II-Regelsatz kommt nun also die Missionarsstellung eigener Art.
In Anlehnung an eine Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Oktober zu Christian Geulens Geschichte des Rassismus würde ich sagen: Homosexuellenfeindlichkeit ist gefürchtet als Erscheinung, wird aber gern als Erklärung von verschiedener Seite in Anspruch genommen. Sie ist geächtet und gesucht zugleich: Durch die Verstaatlichung der Trümmer der zweiten deutschen Schwulenbewegung überwunden geglaubt, erhebt sie wieder ihr gegeltes Haupt. Wir erleben – um mit Daniela Klimke und Rüdiger Lautmann zu sprechen – durch mediale Praxen und die Vereinnahmung aktueller kultureller Themen den Aufstieg der Sexualdevianz zu einer gesellschaftlichen Hauptfrage. Sexuelle Normabweichung erfährt eine – von manchen unerwartete – Konjunktur, womit Klimke und Lautmann einmal mehr die Umkehrung des liberalen Trends der 1970er Jahre bei der Entkriminalisierung sexueller Handlungen diagnostizieren: Im Bereich der HIV-Prävention wird als Teil einer repressiven Gesundheits- und Rechtspolitik dem „Feindstrafrecht“ gegen Barebacker mehr oder weniger klar das Wort geredet. – Müssen also bald emanzipierte Barebacker in einer dann noch aufnahmebereiten Homobar Zuflucht vor dem aufgebrachten Mob suchen, wird sogleich der Kampf um die Frage beginnen, ob Diskriminierung oder gar Übergriffe gegenüber potentiellen oder tatsächlichen HIV-Infizierten zu Recht als homosexuellenfeindlich zu bezeichnen seien. Die lokalen amtlichen Vertreter werden Sexualneid und Homofeindlichkeit bei sich und denen, die sie in ihre Ämter wählen, weit von sich weisen. Derweil werden, mit einer kleinen Spitze des Literaturwissenschaftlers Dirck Linck, Lauter Sehr Verantwortungsbewußte Demokraten – vulgo: LSVD – eilig und nicht ganz uneigennützig diese Motive als Wurzel allen Übels ausmachen. Denn waren solche Taten homosexuellenfeindlich motiviert, sind sie natürlich erschütternd und verabscheuungswürdig, aber wenigstens erklärbar, fast vertraut. Schließlich sind es doch immer nur die Ewiggestrigen, die von Zeit zu Zeit in undemokratische grundgesetzwidrige Reflexe zurückfallen. Da kann man dann auch nichts machen, wie Mutti sagen würde. Und darum sperren sie die Barbacker am besten gleich von den Christopher-Street-Day-Paraden aus, wie dieses Jahr in Köln und in Berlin.
Das Problem bei der Bundestagsdrucksache 16/3615 und eines auf dieser Basis ab 2009 daherkommenden Sondergesetzes gegen Barebacker ist, daß ihnen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anhaften werden. Wenn Sie also im Anschluß an diese Veranstaltung oder nach dem Trauermarsch zum Gedenken an die an den Folgen von AIDS Verstorbenen im Darkroom von „Scheune“ oder „Stall“ risikobewußt, einvernehmlich und ungeschützt „nageln“ oder „nageln lassen“ sollten: Sie verteidigen ganz nebenbei – nur eben anders als Ihr Verfassungsschutzminister – das Grundgesetz. Auch wenn Sie morgen wieder vom Klassenfeind gefickt werden.
Nicht nur in Deutschland stehen immer wieder Menschen mit HIV vor Gericht, weil ihnen fahrlässige oder gar vorsätzliche Infektion vorgeworfen wird. ‚HIV und Strafrecht‘ ist zu einem kontroversen Diskussionsthema geworden, und zum Gegenstand erhitzter Debatten.
Die Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS hat dieses Thema aufgegriffen. Im Rahmen einer dreitägigen Konferenz vom 31. Oktober bis 2. November wurde die Tendenz zur Kriminalisierung von HIV-Positiven im Kontext nationaler Aids-Bekämpfungs-Strategien diskutiert.
Die Teilnehmer, unter ihnen Parlamentarier, Richter, Strafrechtsexperten und Menschen mit HIV, betonten anschließend ihre Sorge über den offensichtlichen Anstieg von Fällen, in denen Menschen mit HIV kriminalisiert wurden. Sie befürchten zudem eine erneute Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-Positiver.
„Eine klare Botschaft hat dieses Treffen,“ betonte Seema Paul, UNAIDS Chief of Policy Coordination, „das Strafrecht ist eine sehr stumpfe Waffe im Umgang mit HIV.“
Weitere Informationen:
UNAIDS: Is HIV transmission a crime?
Die Bundesregierung lässt untersuchen, wie andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen HIV-Übertragung vorgehen. Ein Blick über die Grenzen öffnet erschreckende Perspektiven.
Marion Caspers-Merk (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- Gesundheitsministerium, bestätigte Presseberichten zufolge gegenüber dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck auf Nachfrage, in einem derzeit laufenden Forschungs- Vorhaben werde untersucht, welche Erfahrungen andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen Aids allgemein sowie speziell der Anbahnung von Bareback- Sex im Internet gemacht haben.
„Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir über weitere Maßnahmen sprechen“, so Caspers-Merk. Alles, was „erwiesenermaßen nutzt, werde umgesetzt“, kündigte sie an.
Caspers-Merks Ankündigung passt gut in den Kontext der jüngsten Bundestagsdebatten zu Aids, insbesondere auch dem ‚Spahn-Antrag‚, der ebenfalls auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Bareback zielte und hier insbesondere die Erfahrungen von Österreich (EU- Mitglied) und der Schweiz (nicht EU-Mitglied) ansprach. Im (am 23. März im Bundestag beschlossenen) ‚Spahn-Antrag‚ wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Erfahrungen Österreichs und der Schweiz mit Strafrechts- Verschärfungen auf eine Übertragbarkeit auf Deutschland zu untersuchen.
Wie sieht die Situation in diesen beiden Ländern aus?
Österreich:
§ 178 und § 179 StGB behandeln die vorsätzliche bzw. fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Für eine Strafbarkeit genügt, dass eine Infektion durch eine Handlung möglich gemacht wird (Infektion nicht erforderlich für Strafbarkeit). Nach österreichischer Rechtsprechung liegt Fahrlässigkeit bereits dann vor, wenn ein Betroffener zwar nichts von seiner Infektion weiß, aus den konkreten Umständen aber Kenntnis davon erlangt haben müsste.
Bisher fanden circa knapp 40 Verfahren statt, ca. 30 Personen wurden verurteilt.
Die Einschätzung, Bareback sei per se etwas ganz Gefährliches, wird auch von den österreichischen Aidshilfen in der Öffentlichkeit geteilt. Die Aidshilfe würde sich bemühen, Bareback-Veranstaltungen zu verhindern, wenn dies nicht erfolgreich sei auch mit rechtlichen Schritten, so ein Vertreter der Aidshilfe Wien.
Schweiz:
Art. 231 StGB (Verbreiten einer gefährlichen menschlichen Krankheit) – Strafbarkeit selbst dann, wenn die (bis dato nicht infizierte) Person zugestimmt hat, allerdings muss Infektion stattgefunden haben (nicht nur Versuch).
Zudem möglich: Körperverletzung oder versuchte Tötung nach Art. 122, 123, 111 & 112 StGB.
Bisher über 30 Ermittlungsverfahren, mehr als 20 Personen verurteilt. Auch die Übertragung von Hepatitis C wird strafrechtlich verfolgt.
Die geltenden Regelungen werden in der Schweiz immer wieder kritisch kommentiert und Abschaffung gefordert (wie 2001 von der Aidshilfe Schweiz), sie sind aber weiterhin in Kraft. Im Gegenteil, Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) ist stolz darauf durchgesetzt zu haben, dass die Einhaltung der Präventionsvereinbarung in den Betrieben kontrolliert und mit Schließung gedroht wird.
In den EU-Staaten
ist die Situation hinsichtlich des strafrechtlichen Umgangs mit HIV-Infektionen sehr unterschiedlich. Die Kriminalisierung von Positiven ist EU-weit in unterschiedlichem Umfang ein Problem.
Vor diesem Hintergrund befasst sich mit diesem Thema nicht nur das vom BMG in Auftrag gegebene Gutachten, sondern auch eine Untersuchung von GNP+ und Terrence Higgins Trust, deren erste Ergebnisse im November 2006 in Glasgow vorgestellt wurden.
Diese Analyse betrachtet den Bereich der Staaten, die die Europäische Konvention für Menschenrechte unterzeichnet haben. In mindestens 21 dieser Staaten fanden Verurteilungen wegen HIV-Infektion statt – ‚Spitzenreiter‘ waren Schweden sowie Österreich und die Schweiz.
Eine Tendenz zum zunehmenden Einsatz des Strafrechts stellt auch UNAIDS fest und warnt, dies führe möglicherweise zu einer Rückkehr zur alten (und wenig erfolgreichen) Politik der Schuldzuweisungen, zunehmender Stigmatisierung und abnehmender Eigenverantwortung für den eigenen Schutz. Die Anwendung des Strafrechts bei HIV-Übertragung sei unangemessen und kontraproduktiv, diese Erkenntnis von 2002 gelte auch 2007 unverändert.
Letztlich steht hinter vielen dieser Regelungen wie z.B. in der Schweiz oder Österreich, aber auch einigen Bemühungen deutscher Politiker und Homosexueller die (meines Erachtens irrige) Vorstellung, Epidemien ließen sich mit Repression bekämpfen.
Kann das Strafrecht überhaupt ein Mittel erfolgreicher Prävention sein?
Vielleicht lässt sich dies mit der Gegenfrage beantworten, ob die Strafbarkeit von Einbrüchen bisher einen Einbruch verhindert hat …
Vielleicht sollte den Warnungen und Hinweisen z.B. von UNAIDS mehr Beachtung geschenkt werden.
Das hindert allerdings auch zahlreiche Schwule nicht daran, Strafverschärfungen zu fordern (wie z.B. die LSU). Und besonders bizarr wird es, wenn Aidshilfen sich wie in Österreich an die Seite der Ermittler und Verfolger stellen.
Leider ist zu befürchten, dass die derzeit angestellten transnationalen Vergleiche nicht etwa dazu führen, dass in Richtung der liberaleren Gesetzgebungen reformiert wird. Vielmehr dürften (wie es der Spahn-Antrag ja vormacht) die schärferen Vorschriften als vermeintliche ‚guten Beispiele‘ dienen, auch hierzulande weitere Strafrechts-Verschärfungen vorzuschlagen und letztlich einzuführen (bei der derzeitigen Verbots- Manie…).
Caspers-Merks Ankündigung, alles was sich als nützlich erweise werde auch hierzulande umgesetzt, lässt für die nähere Zukunft wohl nichts Gutes ahnen…
Material: Österreich: Rechtsgutachten Prof. Hinterhofer „Zur Strafbarkeit von Sexualkontakten HIV-Infizierter Personen nach §§ 178, 179 StGB“ (im Auftrag der österreichischen Aids-Hilfen) als pdf hier UNAIDS: Criminal law, public health and HIV transmission (2002, pdf hier) UNAIDS: Crminalisation of HIV transmission (2007, pdf hier) UNAIDS: handbook for Legislators on HIV/AIDS, Law and Human Rights (1999, pdf hier) EATG: Criminalisation of HIV transmission (workshop, 8th International Congress on Drug Therapy in HIV Infection; Programm und Links zu den einzelnen Vorträgen hier)
die umstrittene Sendung von Report Mainz über Barebacking (28.11.2005) als Video und Mitschrift hier
Am Freitag hat der Bundestag in einer weniger als einstündigen (von Phoenix live übertragenen) Sitzung einige Anträge zur Aids-Politik beraten und beschlossen.
Neben dem Aids-Aktionsplan der Bundesregierung stand dabei auch ein Antrag zahlreicher Abgeordneter (bes. Jens Spahn/CDU) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Abstimmung.
Jens Spahn (CDU) ging -geschmückt mit einem Red Ribbon- insbesondere auch auf den von ihm mit initiierten Antrag ein. Er betonte die ‚große Einigkeit bei diesem Thema – im Grundsatz zumindest‘.
Er sprach dabei munter von ‚dramatisch steigenden Infektionszahlen‘, und von ‚Risikogruppen‘ (und nicht etwa ‚Betroffenengruppen‘), als ginge von Schwulen, DrogengebraucherInnen oder Frauen per se ein Risiko aus. Zudem betonte er zum Thema der Selbstverpflichtung bei ‚Anbietern anonymer sexueller Kontakte‘, dass in Großstädten ’stark steigende Infektionszahlen‘ festzustellen seien.
Spahn betonte im Vorgriff auf vermutete Äußerungen von seiten Becks (Grüne) und Parrs (FDP), ihm ginge es nicht um die Kriminalisierung Einzelner, sondern darum die Partybetreiber zu erreichen.
Die meisten folgenden Redner der Debatte gingen mehr auf verschiedene Aspekte des Aids-Aktionsplans ein, lobten die Regierung und betonten einzelne Lücken wie das Fehlen des Themas Heroinvergabe für Schwerstabhängige (Bender/Grüne; nebenbei: eben jener Spahn ist ebenfalls einer der deutlichen Gegner auch der Heroinvergabe) oder illegalisierte MigrantInnen (Knoche/Linke).
Auffällig war quer durch die Beiträge aller Redner, dass keiner der Abgeordneten es schaffte, zwischen der Zahl der Neu-Diagnosen und der der Neu-Infektionen zu unterscheiden.
Besonders erstaunlich war der Beitrag der Abgeordneten Knoche (Die Linke. PDS). Sie (die früher immerhin einmal Gesundheitsexpertin und drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag war, bevor sie als Parteilose stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken wurde) bezeugte die ‚Anerkennung‘ ihrer Fraktion für den Aids-Aktionsplan der Bundesregierung und sprach von einem ’sehr guten Bericht‘. Kurz wurde kritisch auf die patentrechtliche Situation eingegangen. Zum Spahn-Antrag: nichts.
Fast folgerichtig, dass die Fraktion ‚Die Linke‘ sich bei der Abstimmung über diesen Antrag (16/4111) der Stimme enthielt. Hat die ‚linke‘ ‚Opposition‘ hierzu keine Meinung? Oder teilt sie etwa stillschweigend gar Spahns Ansichten?
Es blieb den Abgeordneten Bender und Beck von den Grünen vorbehalten, besonders zum Spahn-Antrag auch inhaltlich kritische Anmerkungen zu machen. Frau Bender bezeichnete Spahns Vorschläge als „Griff in die Mottenkiste der Repression“. Zu einer Infektion gehörten immer mindestens zwei Beteiligte. Sie nahm sein so gern zitiertes Beispiel der Österreichischen und Schweizer Maßnahmen auseinander: die Neuinfektions-Zahlen pro Million Einwohner lägen dort mit 55 und 95 deutlich über den deutschen (32) – und daran solle man sich ein Beispiel nehmen? (Spahn reagierte darauf mit dem Hinweis, selbst die österreichische Aidshilfe betone, wie unterstützend die dortigen Maßnahmen seien. Gekontert von Bender, wie wenig erfolgreich dies bei der Senkung der Neuinfektions-Zahlen sei).
Beck betonte (unter Beifall auch von Parr/FDP), man solle das Strafrecht beiseite lassen und Prävention und den realistischen Umgang mit Gefährdungs- Situationen in den Vordergrund stellen, nicht Tabus aufbauen.
Nach Abschluss der Debatte wurde der Spahn-Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen, bei Gegenstimme der Grünen und Enthaltung der FDP und der Linken.
Dies bedeutet in der Umsetzung nun u.a., dass
die bisherigen Präventions- Kampagnen weiterentwickelt werden sollen, einschließlich neuer Ansätze bei Migranten (der Antrag nennt nur die männliche Form) sowie zu ‚bare backing‘
Private-Public-Partnerships (in dieser Reihenfolge) in der HIV-Prävention wohl ausgebaut werden, einschließlich Beteiligung der Pharmaindustrie
der Druck auf ‚Anbieter von Orten sexueller Begegnung‘ erhöht wird, Kondome und Gleitmittel auszulegen, sowie auf Werbung und Unterstützung für unsafen Sex ‚vollständig‘ zu verzichten (womit Anbieter von sog. Bareback- oder ‚Biohazardmen‘- Parties nun wohl auf sehr dünnem Eis stehen dürften und auch z.B. Saunen- und Darkroom-Betreiber mit neuen Problemem rechnen könnten).
Nach zwei Jahren soll dies in einem Bericht geprüft werden, ggf. sind Vorschläge für eine rechtliche Regelung (!) vorzubereiten.
Zudem soll die Bundesregierung prüfen, ob die (wie von Bender dargestellt ja so Infektionszahlen-senkenden) Erfahrungen aus Österreich und der Schweiz bei der Verschärfung des Strafrechts in Deutschland handhabbar wären zur ‚Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschützem Sex‘.
Wieder ist also ein Schritt mehr zu einer repressiveren Aids-Politik in Deutschland zu konstatieren. Ein Schritt, den der Bundestag mit großer Mehrheit und kaum Widerspruch vollzog.
Nebenbei bemerkt: es fiel auf, dass sowohl der Abgeordnete Parr (FDP) als auch eben jener Spahn (CDU) sich für das Kompetenznetz und dessen Kohortenstudie stark machten. Das scheint das Kompetenznetz gute Lobbyarbeit geleistet zu haben. Auf welchen bedeutenden Projektergebnissen oder wichtigen Forschungsergebnissen des Kompetenznetz hingegen die positive Einschätzung seitens der beiden Politiker beruht, blieb ungenannt. Auch strukturelle Probleme und die Fragen rund um den Datenschutz in der Kohortenstudie blieben unberührt.
Materialien: Links auf die Bundestagsdrucksachen gibt’s in diesem früheren Posting
Dass Justitia in London und Memmingen gegen Positive vorgeht, hatte ich ja bereits berichtet.
Nun aber zeigt sich das bekannte Fachblatt mit den vier Buchstaben schockiert …
Dass ein sogenannter ‚HIV-Kranker‘ (was soll denn das sein? Ein HIV-Positiver? oder ein Aids-Kranker?) mit Frauen schlief, und gleich mit zwölf! Schock schwere Not! Na welcher Neid steht da denn dahinter, hat da ein frustrierter Redakteur überlegt, ‚zwölf, wann hatt‘ ich das jemals‘??? Und darüber vergessen, dass es nicht um den Sex an sich, sondern das Wörtchen ’safer‘ geht?
Besonders ekelig, dazu direkt ein Portrait-Foto mit notdürftigem Augen-Balken abzubilden. Vielleicht noch direkt die Adresse und den vollen Namen dazu, wie wär’s direkt mit ’ner Aufforderung zum Lynchen?
Das „Gold-Bingo“ darunter fällt dann wohl eher in die Kategorie „unfreiwillige Satire“ …
Ich bin nicht willens, auch noch Geld für dieses Erzeugnis auszugeben – so dass ich Ihnen den Rest der Story leider nicht erzählen kann. Aber es reicht ja auch so …
Vor einigen Tagen habe ich ja bereits über die Kriminalisierung von Positiven, über ein Urteil in Deutschland, Verfolgungsversuche der Krankenkassen und die drastische Situation in Großbritannien geschrieben.
Nun befasst sich auf dem „Eigth International Congress on Drug Therapy in HIV Infection“, einem der wichtigsten HIV-Kongresse in Europa, ein ganzer Workshop mit dem Thema.
Im Verlauf des Kongresses, der vom 12. bis 16. November 2006 in Glasgow stattfindet, wird es ein Satelliten-Symposium unter dem Titel „Criminalisation of HIV Transmission: The implications for clinical services, confidentiality and doctor-patient relations, national policy“ geben.
Einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Kriminalisierung von Positiven in Europa (Datenbasis 2004) gibt die Untersuchung „Criminalisation of HIV transmission in Europe – A rapid scan of the laws and rates of prosecution for HIV transmission within signatory States of the European Convention of Human Rights“ auf den Seiten von gnp+, dem Global network of people living with HIV/Aids.
Sind es nur Zufälle? Oder mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland vermehrt mit juristischen Mitteln gegen HIV-Positive vorgegangen werden soll?
Einige Fälle in jüngster Zeit veranlassen zum Nachdenken.
In Großbritannien und einigen skandinavischen Ländern wird bereits seit einigen Jahren vermehrt das Mittel des Strafrechts gegen Positive eingesetzt. In jüngster Zeit gab es nun auch in Deutschland einige bemerkenswerte Fälle, in denen Positive Gegenstand juristischer Ermittlungen wurden:
Der Fall „Barmer“
Die Siegessäule berichtet in ihrer September-Ausgabe über mehrere Fälle, in denen die Barmer Ersatzkasse bei ihr krankenversicherte Positive angefragt hat mit der Bitte anzugeben, bei wem sie sich mit HIV infiziert hätten.
Auf Nachfrage und Beschwerde des HIV-/Aids-Wohnprojekts ZiK bestätigte die Barmer, ja, sie habe diesbezüglich nachgefragt, Ziel seien mögliche Regressforderungen. Sie sei sich zwar der Problematik der haftungsrechtlichen Prüfung bewusst, glaube aber zu Regress-Versuchen verpflichtet zu sein.
Regress heißt in diesem Fall: die Barmer versucht, ausfindig zu machen, wer den bei ihr versicherten Patienten infiziert haben könnte – um dem dann etwa die Behandlungs- und weiteren Folge-Kosten aufzubürden?
Sollen hier wieder einseitig Positive zur Verantwortung gezogen werden? Als gäbe es nicht eine beidseitige Verantwortung, auch beim Thema Safer Sex? Versucht hier eine Krankenkasse (etwa als „vorgeschobener Versuchsballon“?), eine Drohkulisse auszubauen? Oder drohen echte finanzielle Regress-Versuche gegen Positive?
Der Fall „Memmingen“
Aus Süddeutschland wird der Fall der Verurteilung eines Positiven wegen gefährlicher Körperverletzung gemeldet.
Das Landgericht Memmingen verurteilte am 27. Juni 2006 einen HIV-Positiven zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2004 einen Sex-Partner zumindest bedingt vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben (Körperverletzung).
Ein Tötungsvorsatz wurde im konkreten Fall nicht unterstellt. Das Teilgeständnis des Angeklagten wurde strafmildernd gewertet; zu Lasten des Angeklagten wurde hingegen gewertet, dass er wahrheitswidrig seine eigene HIV-Infektion verleugnet hatte (erhebliche kriminelle Energie). Gutachter im Prozess war Prof. Goebel (München).
Die Situation in Großbritannien
In Großbritannien ist es in den vergangenen Jahren bereits zu zahlreichen Verurteilungen von Positiven u.a. wegen Körperverletzung gekommen.
Erst vor kurzem (Mitte September) wurde ein 43jähriger Brite (die britische Presse nannte in Berichten seinen vollen Namen und Adresse!) zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, mit einer 49jährige britische Frau (die in der darauf folgenden Zeit HIV-positiv getestet wurde) ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ohne sie über seine HIV-Infektion aufzuklären. Psychische Probleme des Angeklagten wurden als nicht urteilsrelevant erachtet.
Dieser Fall war bereits der neunte Fall einer Verurteilung eines Positiven in Großbritannien wegen HIV-Übertragung. Von den ersten acht Fällen kamen nur zwei zur Verhandlung vor Gericht, in den übrigen sechs Fällen lagen vorher Schuld-Erklärungen vor. Die sieben ersten Fälle betrafen heterosexuelle Männer und Frauen, denen eine bewusste Infektion eines Sexpartners vorgeworfen wurde.
Ende Juli wurde erstmals auch ein schwuler Mann wegen bewusster Infektion verurteilt. Er hatte sich anfangs aufgrund virologischer Daten (und dem Rat seiner Verteidiger) selbst für schuldig erklärt. Ein Widerruf dieses Geständnisses wurde dann nicht für glaubwürdig erachtet.
Anfang August war erstmals in Großbritannien ein schwuler Mann vom Vorwurf der bewussten Infektion eines Sexpartners freigesprochen worden. Sein Verteidiger hatte mithilfe von Gutachtern nachweisen können, dass mit größter Wahrscheinlichkeit das HIV des Angeklagten keine Verwandtschaft mit dem HIV des Klägers haben kann (er also seine Infektion bei einem anderen Partner erworben haben müsse).
Beachtenswert ist, dass britische Gerichte in letzter Zeit vermehrt virologische Gutachten für die Urteilsfindung heranziehen. Virologisch kann nachgewiesen werden, ob zwischen zwei Varianten von HIV (zum Beispiel dem des Klägers und dem des Angeklagten) eine genetische Verwandtschaft besteht und wie eng diese ist.
Die britische Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service) hat inzwischen einen Entwurf für Richtlinien erstellt und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Diese Richtlinien sollen zukünftig regeln, wie die Staatsanwaltschaften mit Fällen umgehen, in denen die sexuelle Übertragung von Infektionskrankheiten (u.a. HIV) schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen hervorruft. Vor Abfassung des Entwurfs waren u.a. auch HIV-Ärzte sowie Aids-Gruppen konsultiert worden.