Positiv arbeiten

HIV-infiziert, an Aids erkrankt, das wird häufig immer noch mit Krankheit, Siechtum, Bildern von ausgezehrten jungen Menschen assoziiert. Nicht jedoch mit Arbeit.

Und doch – Zahlen aus der Schweiz z.B. zeigen, dass 70% der HIV-Positiven dort erwerbstätig sind. Und oftmals ist von Menschen, die mit ihrer HIV-Infektion nicht berufstätig sind zu hören, dass sie ja eigentlich gerne arbeiten würden. Eigentlich … wenn nicht …

Denn Menschen mit HIV und Aids müssen sich in der Arbeitswelt immer noch mit Vorurteilen, Ausgrenzung, Diskriminierung auseinandersetzen. Nur zu oft heißt die Realität beim Thema HIV und Arbeit immer noch ‚wer positiv ist fliegt raus‚.

Auf Seiten der Arbeitgeber gibt es seit einiger Zeit Initiativen, die sich mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Menschen mit HIV beschäftigen. Auch das EU-geförderte Progamm EQUAL hat sich mit HIV und Aids am Arbeitsplatz beschäftigt und u.a. einen Kurzfilm hierzu produziert (im Rahmen des Link-Up-Projekts der Deutschen Aids-Hilfe).

Selten jedoch haben sich bisher Menschen mit HIV direkt selbst zu ihren Problemen im Arbeitsleben geäußert.
Dies will nun einen neue Initiative ändern: positivarbeiten.de. Die am 31. März 2008 neu eröffnete Website will „Möglichkeiten des Austausches zwischen HIV-Infizierten Menschen, die im Erwerbsleben stehen“ bieten und eine Platform zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch sein. Die Teilnahme an den Diskussionsforen ist anonym möglich.

Michèle Meyer: ‚der Weg in eine Normalität‘

Michèle MeyerInterview mit Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz. Michèle Meyer weiß seit 1994 von ihrer HIV-Infektion. Die 43Jährige ist Mutter zweier Kinder.

Michèle, du bist Präsidentin von LHIVE. Wie kam es zur Gründung von LHIVE?
Nachdem die nationale Organisation P.W.A-Schweiz [PWA = People with Aids, Menschen mit Aids, d.Verf.] 1997 liquidiert wurde, gab es nur noch vereinzelte, kleine, regionale Organisationen. Eine Handvoll AktivistInnen hatte schon länger im Sinn endlich wieder etwas ins Leben zu rufen, als uns das Schweizer AIDS-Forum im Dezember 2005 die nötige Plattform gab um laut darüber nachzudenken. Wir stellten dieselben Bedürfnisse in einer grösseren, anwesenden Gruppe von Menschen mit HIV und AIDS fest und sind das Wagnis mit sofortiger Aufbauarbeit eingegangen.
Unschwer erkennbar war damals eine große Unzufriedenheit mit einerseits dem Einzel- Klienten-Status, den Menschen mit HIV und AIDS bei der AIDS-Hilfe Schweiz inne haben und andererseits mit der Privatisierung und Isolation in einer spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität, die immer mehr von den realen Möglichkeiten eines Lebens mit HIV und AIDS abwich.Wir haben uns zu zehnt durchgebissen und konnten am 5. Mai 2007 LHIVE mit 45 Gründungsmitglieder ins Leben rufen.

Was sind die Ziele von LHIVE?
Ich zitiere aus unserem Leitbild: Das Ziel von LHIVE ist E-Quality.
E-Quality steht für Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen. Das bedeutet eine Lebenserwartung und Lebensqualität, die mit jener der Gesamtbevölkerung übereinstimmt.
Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir uns mit den Themen Stigma, Selbststigma, Solidarität und Diversität auseinandersetzen und uns der aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Haltungen und Veränderungen bewusst sein.
Wir nutzen Selbstvertretung, Selfempowerment, GIPA ( greater involvement of people living with HIV and AIDS, der Einbezug von Menschen mit HIV und AIDS auf allen strategischen und operativen Ebenen der AIDS- Arbeit. Siehe dazu: Paris 1994 Unaids) , Visibilität, Aufklärung und Networking als Arbeitsinstrument.
Was heißt das konkret?
LHIVE gibt der Überwindung von Selbststigma ein großes Gewicht. Bei größtem Respekt vor den persönlichen Lebenshintergründen des Einzelnen, wollen wir die Menschen mit HIV/AIDS in die Lage versetzen, ihre Selbstverwirklichung ohne Bezug auf das Virus und die entsprechenden negativen Effekte, umzusetzen.
Grundpfeiler unserer Zielsetzung und Voraussetzung für nachhaltige Prävention ist Solidarität.
Wir orientieren uns an der Paris Deklaration und den Denver Principles.
Das heißt, wir befähigen uns selbst, in allen relevanten Gremien zu den aktuellen Themen rund um HIV und AIDS mitbestimmen zu können. Wir arbeiten aktiv bei der strategischen Gestaltung der schweizerischen AIDS-Arbeit mit.

Jüngst ist ja der Beschluss der EKAF zu Infektiosität bei erfolgreicher Therapie erschienen. Waren Menschen mit HIV/Aids an dem Entstehen dieser Stellungnahme in der Schweiz in irgend einer Form beteiligt?
Ja, das waren wir. Und sind es noch. LHIVE hatte bereits im März 2007 innerhalb der nationalen HIV und AIDS-Landschaft deutlich dazu aufgefordert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nicht-Infektiosität öffentlich kohärent zu kommunizieren. Wir haben klar Stellung genommen für eine transparente Aufklärung der gesamten Bevölkerung, um der Glaubwürdigkeit der Prävention nicht weiter zu schaden, und um der Zensur auf Kosten der Lebensqualität von Menschen mit HIV und AIDS ein Ende zu setzen.
Die EKAF und das Bundesamt für Gesundheit musste damit rechnen, dass wir nicht mehr lange warten und das Schweigen brechen würden auch ohne Rückendeckung.
Wie das?
LHIVE ist seit März 2007 ständiger Gast bei der EKAF und seit Januar dieses Jahres stimmberechtigtes Mitglied der Komission. Wir konnten zwar stimmlos aber beratend bei der Vernehmlassung zur Veröffentlichung mitwirken.
Rund um die Veröffentlichung hatte Herr Prof. Vernazza unsere Organisation angefragt in zwei, drei Medienbeiträgen mitzuwirken. LHIVE hat dann auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung hin auch eine eigene Medienmitteilung versandt.

Ich habe vor kurzem von dir auf die Stellungnahme der EKAF und einige aufgewühlte Reaktionen hier in Deutschland die einfache Frage gelesen „warum freuen wir uns nicht einfach?“
Ja, warum freuen wir uns nicht einfach?

Ich glaube, da spielen viele Faktoren eine Rolle:Die Angst vor der noch grösseren Entsolidarisierung. Infektiös gegen nichtinfektiös als neue Gruppierungsmöglichkeit. Dann die Angst vor neuen Abhängigkeiten und Zwängen.
Und die tief verwurzelte Spannung zwischen den eigenen Interessen und dem Märtyrium. Dieses „AIDS stops with me“ in uns, diese dringende Aufopferung in der Primärprävention und die Unmöglichkeit sich davon ganz zu lösen, weil wir sonst nur noch außerhalb der Gesellschaft stehen und die ahnbaren Folgen und Konsequenzen davon, verhindern nackte, auf uns selbst bezogene Freude.

Du hast geäussert, viele „HIV-Positive verstecken sich nicht zuletzt, weil sie keine Möglichkeit sehen, dem Bild des hochgefährlichen und verantwortungslosen (und unanständigen) Menschen, das in der Öffentlichkeit noch immer vorherrscht, zu begegnen“.
Sicher sind immer noch viele HIV-Positive nicht ‚offen‘. Aber gibt es dieses Bild des hochgefährlichen, verantwortungslosen Positiven heutzutage noch so?

Ja. Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 25 Jahren. Die HIV-Infektion ist eine unanständige Krankheit der Anderen, der Fremden.
Dieses Bild wurde teilweise auch durch Präventionsbotschaften und -Strategien bewusst hochgehalten, oder zumindest in Kauf genommen, als Mittel zum Zweck: Das Schüren von Angst, Verunsicherung vor und somit Ausgrenzung von Menschen, von Menschen mit HIV und AIDS sollte weitere Infektionen verhindern.
Darunter fällt auch das (8!) jahrelange Verschweigen der Erkenntnisse rund um die Infektiosität/ Nicht-Infektiostät, das Benennen der Zielgruppen bzw. die wiederholte Bekanntgabe in welche Zielgruppe wie viele Neu-Diagnosen stattfinden, die Plakatkampagnen (in der Schweiz) von den Degenfechterinnen über die armen versteckten Opfer…

Wird der neue Beschluss der EKAF Auswirkungen auch im Bereich ‚HIV und Strafrecht‘ haben?
Das hoffen wir natürlich sehr. Das Epidemiegesetz ist soeben in der Vernehmlassung für die Revision (einer Art schriftlichen Anhörung mit „Korrektur“wünschen bei Parteien, Kantonen, beteiligten Behörden und Akteure der zivilen Gesellschaft, als Arbeitsgrundlage für die Entscheidungsorgane). Wir arbeiten in dieser Vernehmlassung mit, und die bereits unterbreiteten Vorschläge z. B. zur Änderung des Artikel 231 des StrafGesetzBuches weisen in diese Richtung. Das heißt, die Rechtssprechung würde dann nur die „böswillige Übertragung“ betreffen und nicht mehr die „versuchte Verbreitung“ einer gefährlichen menschlichen Krankheit.

Noch einmal zurück zu LHIVE. „Menschen mit HIV und Aids Gesicht und Stimme geben“, ist das Motto von LHIVE. In Deutschland gibt es ja keine große bundesweite Organisation von und für Menschen mit HIV/Aids. So mancher mag sich da fragen: warum ist das nach 25 Jahren Aids immer noch erforderlich?
HIV und AIDS ein Gesicht und eine Stimme zu geben? Unsichtbarkeit täuscht schon länger. Wenn wir uns nicht hörbar und sichtbar den Herausforderungen stellen, werden wir in der Privatisierung und Globalisierung untergehen. Das klingt plakativ, und soll es auch. Weißt Du, wir sind länger schon gut eingebettet, verwaltet und verpflegt mit medizinischen und rechtlichen Informationen, Kursen und Kürschen, etwas touchy-feely und viel individuell zugeschnittenen Feuerwehrübungen, Beratungsangeboten und auch alltäglicher und finanzieller Hilfe. Alles aber immer unter dem Aspekt des Kliententums und des Opfer-Täter-Schemas.
Das birgt einiges an guter Versorgung und Sonderstatus, aber es ist auch eine Falle, es zementiert schlussendlich nur Stigma und Selbststigma. Und genau da wollen wir entgegenwirken: der Weg in eine Normalität, in der die HIV-Infektion gesundheitliche Einschränkungen bedeutet, denen mann und frau sich widmen und eigene Ressourcen freilegen und nutzen kann, ohne sich an Fremdbild und Selbstbild andauernd abzustrampeln, führt über hör-und sichtbar Werden, über Einmischung und Integration.

Michèle, vielen Dank für dieses Interview!

Mehr Informationen zu LHIVE finden Interessierte auf www.lhive.ch
Oder auf dem Postweg: LHIVE 4434 Hölstein Schweiz, Tel: 0041 61 951 20 88

Infektiosität unter Therapie: Reaktionen (akt.)

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ – der Beschluss der Eidgenössischen Aids-Kommission hat ein vielfältiges Echo hervorgerufen, unter Schwulen, bei Aktivisten und in der Presse.

Basis – was sagen die Schweizer?:
Der originale Text der EKAF ist zu finden hier als pdf. Dank Mike Barr (hier)und Michael Petrellis (hier) gibt es nun auch eine Übertragung in englischer Sprache (html).

Lesenswerte Feedbacks sind in einem Forum von Prof. Vernazza zu finden. Liste aller Artikel von Prof. Vernazza.
Der Artikel “HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös” (Pietro Vernazza, Bernard Hirschel, Enos Bernasconi, Markus Flepp, alle Eidgenössische Kommission für Aidsfragen, Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) steht als pdf online in deutscher Sprache hier, in französischer Sprache hier.
Prof. Vernazza hat zudem zwei Artikel zum Thema verfasst: “Die HIV-Prävention wird einfacher – also komplexer!”, und “HIV-Therapie wirkt auch präventiv“.
Prof. Hirschel geht in einem Interview (in französischer Sprache) auf die Frage ein, wie weit sich die Daten auch auf die Frage der Superinfektion übertragen ließen.
Prof. Hirschel auf der CROI im Interview über den EKAF-Beschluss:
http://www.aidsmeds.com/articles/hiv_condoms_virus_2151_14010.shtml (knapp 15 min. Video) sowie in einem Interview auf TheWarning.

Reaktionen in den Medien:
Die NZZ berichtet u.a. ‚Konsequent therapierte HIV-Infizierte nicht mehr infektiös‘ und ‚Neue Lage – neue Rechtsprechung?‘
Tagesanzeiger (CH): ‚Debatte um HIV-Ansteckung‘, ‚Die Botschaft zur Prävention von HIV bliebt dieselbe‘, ‚Ungeschützter Sex trotz HIV‘, ‚Aids-Kommission verteidigt sich‘.
Swissinfo (CH): ‚Gute Nachricht für Minderheit von HIV-Positiven‘
Mit detaillierten Informationen besticht wie so oft der HIV Report (Ausgabe 01/2008).
Die Welt fragt in einem recht differenzierten Artikel ‚Ist Safer Sex überflüssig?‘.
‚Safer Sex kein absolutes Gebot mehr?‘ fragt die FAZ.
Ärzteblatt: ‚Kontroverse um Safer Sex.. ‚ und ‚Kritik am Schweizer okay …
In einen leider fachlich nicht völlig korrekten Artikel berichtet die taz.
Reaktion der Katholischen Nachrichten.
Interessante Diskussionen entspannen sich zu einem Artikel auf queer.de.

Reaktionen aus Selbsthilfe und Aidshilfe und Selbsthilfe:
Die Schweizer Positivenvereinigung LHIVE begrüßte die Stellungnahme der EKAF. Michèle Meyer im Interview: ‚der Weg in eine Normalität
Stellungnahmen der Aids-Hilfe Düsseldorf, Aids-Hilfe Köln, Aids-Hilfe Wuppertal.
Michael schriebt dazu hier und hier im Welt-Aids-Tag-Blog.
Das Netzwerk positiv sagt „Danke Pietro Vernazza“.
Neue Wege sehen – neue Wege gehen!“ – die Haltung der Deutschen Aidshilfe.

offizielle und offiziöse Reaktionen:
Mitteilung ‚Die Botschaft zur Prävention von HIV bleibt dieselbe‘ auf gib-aids-keine-chance.de (eine Seite der BZgA)
Stellungnahme des RKI (dort auf pdf klicken) sowie weiteres in den FAQ (dort letzte Frage unten)
Dr. Hamouda, Leiter der Aids-Abteilung im Robert-Koch-Institut (RKI), äußerte sich u.a. im Tagesspiegel (‚Können HIV-Infizierte auf Kondome verzichten?‘) und in der FAZ (‚Safer Sex kein absolutes gebot mehr?‘). Zudem hat das RKI eine Stellungnahme veröffentlicht.
WHO: ‚HIV therapy does not eliminate transmission risk‘

weitere Reaktionen:
Das UN Integrated Regional Information Network berichtet, und die WHO betont, eine erfolgreiche Therapie eliminiere nicht das Transmissionsrisiko.
aidsmap behandelt das Thema in mehreren Artikeln, berichtet über die Schweizer Beschlüsse und weist u.a. darauf hin, dass nicht nachweisbare Viruslast im Blut nicht gleichbedeutend mit keine Infektiosität sei.
Interessant in diesem Kontext auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das antiretrovirale Therapie bei der Beurteilung der (deutlich gesenkten) Infektiosität und strafrechtlichen Konsequenzen behandelt (Link auf den Seiten des LSVD).

Auch die USA hat die Diskussion erreicht:
Walter Armstrong ist ein langjähriger Aids-Aktivist (u.a. ACT UP) und war lange Jahre Herausgeber des US-Positiven-Magazins ‚POZ‘. Seinen Kommentar zu dem Schweizer Beschluss und Reaktionen in San Francisco darauf hat Michael Petrellis in seinem Blog dokumentiert: Ex-POZ-Editor: SF Strangles Gay Hopes From Swiss Study.
Michael dokumentiert auch die Stellungnahme von Dr. Paul Bellman, New York „Public Debate Needed on Swiss Study“.
Und (ebenfalls bei M.Petrellis) Dr. Joseph Sonnabend nimmt Stellung.

Dank an Michael für Unterstützung bei der Link-Sammlung …

sexuelle Gesundheit Berlin 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Welche Entwicklungen zeichnen sich zum Thema sexuelle Gesundheit in Berlin ab? Welche Konsequenzen könnten erforderlich werden? Einige Ideen:

Die Zahl der Menschen, die insgesamt in Berlin mit HIV leben, wird auch in den kommenden Jahren weiter steigen.
Neben der Zahl an HIV-Neuinfektionen wird der Zuwachs sich schon daraus ergeben, dass Menschen mit HIV aufgrund verbesserter Therapien durchschnittlich länger leben. Zudem verlegen HIV-Infizierte aus anderen Regionen Deutschlands ihren Wohnsitz nach Berlin, da hier die Lebens- und oft auch Versorgungssituation für HIV-Infizierte als besser empfunden wird.

Zudem wird das durchschnittliche Alter der HIV-Positiven, die in Berlin leben, weiter ansteigen – schon aufgrund der durch bessere medikamentöse Therapie gesteigerten Lebenserwartung. Zudem infizieren sich zunehmend auch Menschen in höherem Lebensalter mit HIV.

Neben HIV treten für die Frage sexueller Gesundheit bei Männern, die Sex mit Männern haben, auch weitere sexuell übertragbare Infektionen wieder mehr in den Vordergrund – sowohl für HIV-positive als auch HIV-negative Männer. Gerade auch angesichts jüngster Stellungnahmen, die betonen es liege ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚ vor, kommt Information und Testangeboten zu sexuell übertragbaren Erkrankungen eine starke Bedeutung zu.

Diese und weitere Veränderungen werden Auswirkungen auf das System der öffentlichen Gesundheit in Berlin haben, aber auch auf die jeweiligen Szenen (die z.B. auf eine zunehmende Zahl älterer Menschen teils kaum vorbereitet scheinen).

Eine rein auf HIV/Aids-Prävention ausgerichtete Präventions- und allg. Gesundheitspolitik in Berlin könnte den sich verändernden Rahmenbedingungen schon bald nicht mehr gerecht werden. Die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen und generell das Thema reproduktive Gesundheit könnte größere Aufmerksamkeit erfordern. Zudem wird angesichts des höheren Lebensalters bei Menschen mit HIV auch die Frage anderer Erkrankungen (wie Krebs) zunehmend Bedeutung gewinnen.

Es müssen ausreichend niedrigschwellige, anonyme und kostenlose Untersuchungsmöglichkeiten (neben HIV gerade auch auf Syphilis) zur Verfügung stehen.
Auch das RKI kommt in der Auswertung der KABaSTI-Studie ((Quelle: Ergebnisse der KABaSTI-Studie, in Epidemiologisches Bulletin Nr. 23/2007)) zu dem Schluss, der öffentliche Gesundheitsdienst solle „vor allem in Großstädten seine Beratungs- und Testangebote für HIV und STI stärker auf besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen fokussieren und nach Möglichkeit versuchen, durch seine Angebote Zugangsbarrieren zu reduzieren – in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen besonders betroffener Bevölkerungsgruppen … Ein solches Angebot sollte möglichst kostenlos, anonym und mehrsprachig sein“. Derzeitige Einschränkungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst und den Aids- und STI-Beratungsangeboten dürften hier eher kontraproduktiv wirken.

Konsequenzen kann aber auch jeder schwul lebende Mann, jeder Mann der Sex mit Männern hat, ziehen: ‚man‘ sollte überlegen, sich auf die wichtigsten sexuell übertragbaren Infektionen (besonders auch Syphilis) sowie auf Hepatitis C regelmäßig untersuchen zu lassen – sie sollten möglichst zur Routine-Untersuchung (’schwuler Gesundheits-Check‘) gehören. Wo möglich (Hepatitis B!) sollte eine Impfung erwogen werden.

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Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit Berlin 3 – Syphilis in Berlin (akt.)

Immer wieder gehen Artikel durch die Homo-Gazetten – ‚Syphilis-Welle in …‘. Aber wie sieht die Realität in Zahlen für Berlin aus?

Für die Jahre von 2001 bis 2007 schwankt die Zahl der in Berlin gemeldeten Syphilis-Fälle zwischen gut 300 und annähernd 700 pro Jahr. Ein Höhepunkt in diesem Zeitraum war das Jahr 2004 mit 663 Fällen, seitdem sinken die zahlen wieder (2007 bisher 362 für Berlin gemeldete Fälle).

Syphilis in Berlin 2001 bis 2007, absolutSyphilis in Berlin 2001 bis 2007, relativBei der Verteilung der Fälle nach Risiken fällt ein vergleichsweise hoher Anteil an Männern die Sex mit Männern haben (MSM) auf. Inzwischen entfallen 80% aller Syphilis-Fälle auf diese Gruppe.
Für eine vergleichsweise große Gruppe (2007 immer noch 14,1%) liegen zudem keine Angaben zum Infektionsrisiko vor. Auch in dieser Gruppe dürften sich noch Fälle aus der Gruppe MSM ‚verbergen‘.

Wie bei HIV ist dabei folgendes zu beachten: es handelt sich um Melde-Zahlen, die keine direkten Aussagen über den Infektionszeitpunkt zulassen. Zudem beziehen sich sämtliche RKI-Daten auf den Wohn- bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort, nicht den Ort der Infektion (ein Kölner, der sich bei einem Wochenend-Besuch in Berlin mit Syphilis infiziert, sich aber an seinem Wohnort Köln behandeln lässt, würde als ‚Kölner Fall‘ registriert werden) sowie den Diagnosezeitraum basierend auf dem Diagnosemonat, nicht auf den Infektions-, Erkrankungs- oder Meldezeitraum.
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Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 138 185 153 150 100 92 57
hetero 22 26 32 54 20 36 24
MSM 158 262 429 457 445 443 323
MTCT 0 0 0 2 0 0 0
gesamt 318 473 614 663 565 571 404
Anteil relativ
unbek. 43,4% 39,1% 24,9% 22,6% 17,7% 16,1% 14,1%
hetero 6,9% 5,5% 5,2% 8,1% 3,5% 6,3% 5,9%
MSM 49,7% 55,4% 69,9% 68,9% 78,8% 77,6% 80,0%
MTCT 0,0% 0,0% 0,0% 0,3% 0,0% 0,0% 0,0%

Tab.: gemeldete Syphilis-Fälle Berlin nach Risikogruppen, 2001 bis 2007 ((Quelle: Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 05.02.2008))

Ein Teil der gemeldeten Syphilis-Fälle sind dabei keine erstmaligen Infektionen, sondern Re-Infektionen (erneute Syphilis-Infektion nach vorheriger erfolgreich behandelter Syphilis).
Das RKI hat bereits bei der Beurteilung der Situation 2006 darauf hingewiesen, dass der Anteil der gemeldeten Syphilis-Fälle, der vom Arzt als Re-Infektion eingeordnet werde, in den Großstädten Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt bei 50% liege ((Syphilis in Deutschland im Jahr 2006 und Trends seit 2001, in: Epidemiologisches Bulletin 29/2007, als pdf online hier)). Das RKI vermutet, dass hinter der hohen Rate an Reinfektionen auch in steigendem Umfang unzureichend behandelte Syphilis-Fälle (gerade auch bei gleichzeitiger HIV-Infektion) verbergen könnten.

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Zahlen von 500, gar über 600 Syphilis-Fällen pro Jahr in Berlin mögen auf den ersten Blick enorm hoch erscheinen. Ein Blick in die jüngere Geschichte relativiert dies vielleicht ein wenig.

Syphilis Fälle Berlin 1971 - 2005Wie die nebenstehende Abbildung des RKI deutlich macht, waren Ende der 1970er Jahre weitaus höhere Syphilis-Fallzahlen in Berlin zu vermelden (bis zu annähernd 1.400 Fällen im Jahr 1978). Dies soll die aktuellen Fallzahlen nicht verharmlosen, wohl aber in ihrer Höhe einordnen helfen. (Grafik (c) RKI ((Quelle: Meldungen von Syphilis in Berlin 1971 bis 2005, www.rki.de)) ).

Annähernd 1.400 Fälle von Syphilis wurden in Berlin Ende der 1970er Jahre gemeldet (gesamt, knapp 1.000 bei Männern). Damals wurden Spitzenwerte der Inzidenz von Syphilis bei Männern in Berlin von über 110 Fälle pro 100.000 Einwohnern erreicht. Altersmäßiger Schwerpunkt war auch damals schon die Gruppe der 30- bis 40Jährigen.
Ein starker Rückgang der Syphilis-Fallzahlen folgte dann Ende der 1980er Jahre bis Ende der 1990er Jahre, vermutlich auch in Folge der Aids-Krise. Zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen kam es ab dem Jahr 2000 (vermutlich 1997/98 von Hamburg ausgehend ((Aktuelle Syphilis-Situation in Deutschland, 15. Mai 2003 RKI, online als pdf hier)) ).
Bei den Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, dass ab 2001 mit dem Infektionsschutzgesetz eine Labor-Meldepflicht für Syphilis eingeführt wurde ((gemeldet werden vom Labor Geburtsmonat und -jahr sowie die ersten drei Stellen der Postleitzahl des Patienten)).

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Nach einem Höhepunkt 2004 sinken in den letzten Jahren die Zahlen der Syphilis-Fälle in Berlin. Allerdings ist der Anteil der MSM inzwischen auf über 80% der Fälle gestiegen.
Ein nennenswerter Anteil der Syphilis-Meldungen bezieht sich auf Re-Infektionen – Fälle von erneuter Infektion mit Syphilis. Sie könnten gerade auch bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion auch Hinweis auf ggf. nicht ausreichend therapierte frühere Infektionen sein.

Aktualisierung 05.02.2008: Stand Datenabfrage 05.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs

Die Schweizer „Eidgenössische Kommission für Aidsfragen“ (EKAF) hat inzwischen ihren mit Spannung erwarteten Beschluss publiziert zur Frage, wie es mit der Infektiosität von HIV-Positiven bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie aussieht.

Dort heißt es:

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) hält auf Antrag der Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit, nach Kenntnis der wissenschaftlichen Fakten und nach eingehender Diskussion fest: Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‚wirksame ART‘) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die EKAF teilt auch dezidiert mit, warum sie diesen Text publiziert: „Die EKAF will Menschen mit und ohne HIV-Infektion Ängste nehmen und dadurch einem Teil der etwa 17.000 in der Schweiz lebenden HIV-infizierten Menschen ein weitgehend ’normales‘ Sexleben ermöglichen“.

Die EKAF beziffert auch das konkrete Risiko: „Das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.“

Die Schweizer Positivenvereinigung LHIVE begrüßte die Stellungnahme der EKAF.

Der Artikel „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ (Pietro Vernazza, Bernard Hirschel, Enos Bernasconi, Markus Flepp, alle Eidgenössische Kommission für Aidsfragen, Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ) steht als pdf online in deutscher Sprache hier, in französischer Sprache hier.

Die bisher zum Thema Infektionsrisiko unter Therapie widersprüchlichen Signale sind damit um eine klare Stimme aus der Schweiz reicher und bestätigen frühere Meldungen, dass das Transmissionrisiko unter HAART vernachlässigbar klein sei.
Und die Österreicher, die vor einer Mogelpackung warnten? Hier ticken die Uhren wohl immer noch anders …

Nun steht die Frage im Raum, wann die deutsche Gesundheitspolitik (und wie) auf die eindeutigen Schweizer Aussagen reagiert.
Zudem ist zu hoffen, dass diese nun fundiert vorgetragene Position auch in der deutschen Rechtsprechung Berücksichtigung findet.

Nachtrag 01.02.2008:
zwei interessante Artikel von Prof. Vernazza zum Thema: „Die HIV-Prävention wird einfacher – also komplexer!“ (pdf), und „HIV-Therapie wirkt auch präventiv„.

sexuelle Gesundheit Berlin 2 – HIV-Neuinfektionen in Berlin

In Berlin fanden im Jahr 2007 ca. 460 HIV-Neuinfektionen statt (ca. 400 bei Männern, ca. 60 bei Frauen). Zu 88% fanden die HIV-Neuinfektionen bei Männern statt, die Sex mit Männern haben, zu 11% durch heterosexuelle Kontakte und zu 1% durch iv-Drogengebrauch. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007, als pdf online hier))

Was führt zu dieser Zahl an Neu-Infektionen, besonders in der Gruppe der Männer die Sex mit Männern haben?

„Der Hauptgrund für steigende Infektionszahlen bei Schwulen liegt nach Einschät­zung Michael Bochows … darin, dass ein Zehntel der Schwulen häufig Risiken eingeht und zu­gleich immer mehr Schwule mit HIV leben.“ ((„Die neue Bochow-Studie: safer Sex besser als gedacht“ in: Siegessäule extra Welt-Aids-Tag 2007, S.5))

Wie groß ist diese Gruppe, die ‚häufig Risiken eingeht‘?
„Insbesondere der Anteil der für die Dynamik von sexuell übertragenen Infek­tionen beson­ders relevanten Teilnehmer mit sehr hohen Partnerzahlen ist in den letzten 9 Jahren rückläufig und lag zuletzt bei 7% (bezogen auf MSM ab 25 Jahren in Großstädten; bei Jüngeren … ist dieser Anteil noch deutlich niedri­ger“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10))
Dies gilt scheinbar auch für Berlin: „7% der Befragten aus Berlin … geben an, im Jahr vor der Befragung mit mehr als 50 un­terschiedlichen Partnern Sex gehabt zu haben. Die durchschnittlich höchsten Partnerzahlen haben MSM zwischen 30 und 44 Jahren“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.5))

Neben dem Merkmal ‚hohe Partnerzahl‘ bemerkt Bochow noch ein weiteres:
„Ungeschützter Analverkehr ist – insbesondere bei HIV-positiven MSM – in ho­hem Maße mit diesem Konsummuster [häufiger oder regelmäßiger Konsum von Party­drogen] verbun­den.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10)) Diesen hohen Anteil kann eine RKI-Studie (s.u.) allerdings nicht bestätigen.

Doch es scheint auch Informations-Defizite zu geben: Die Chancen z.B., die eine erfolgreiche Therapie auch zur Reduzierung des Infekti­onsrisikos bietet, sind bisher nur wenig bekannt: „95% aller Befragten – und auch 95% aller HIV-positiven Teilnehmer – [geben an, der Aus­sage; d.Verf.] … dass das Virus unter antiretroviraler Therapie nicht mehr übertragen wer­den kann, nicht zuzustim­men.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.7))

Interessante Ergebnisse, wie und warum sich Menschen in Berlin heute mit HIV infizieren, hat eine Pilotstudie des Robert-Koch-Instituts (RKI) geliefert.
Im Rahmen einer vom Bundesgesundheitsministerium finanzierten Pilotstudie hat das RKI Daten zu Wissen, Einstellungen und Verhalten von Menschen untersucht, bei denen eine frische HIV-Infektion festgestellt wurde. Die Pilotstudie wurde in Berlin durchgeführt (und wird aufgrund der Ergebnisse der Pilotstudie jetzt als reguläre Studie über drei Jahre (ab November 2007) bundesweit fortgesetzt).

Untersucht werden konnten 123 Personen und ihre Daten (= 26% der HIV-Neu-Diagnosen im Untersuchungszeitraum in Berlin). 90% von ihnen waren Männer die Sex mit Männern haben (MSM). 67% der MSM in der Studie gehörten zur Gruppe der 21- bis 29Jährigen. Über 50% hatten sich vor dem jetzigen positiven Testergebnis bereits früher auf HIV testen lassen.
Das Wissen zum aktuellen Stand der HIV-Epidemie sowie zu HAART (hochwirksame antiretrovirale Therapie) war bei den in der Studie untersuchten MSM gut.

Als vermutetes Infektionsereignis wurde von den MSM in der Studie zu 46% anonyme sexuelle Kontakte angegeben, 17% sexueller Kontakt mit dem festen Partner oder Bekannten (15%) sowie 7% bei einer neuen Beziehung.

Über 90% der teilnehmenden MSM gaben an, in den letzten 9 Monaten vor dem Test ungeschützten Sex gehabt zu haben (80% oral, 60% anal). 19% gaben dabei an, ungeschützten Sex mit einem Partner gehabt zu haben, von dem sie wussten, dass er HIV-positiv ist.

Der häufigste Grund, im konkreten Fall kein Kondom zu verwenden (von dem 90% angaben, es immer dabei zu haben), lag in der subjektiven Risiko-Einschätzung. Die am häufigsten genannten Gründe dabei: „ich glaubte, dass für mich kein Ansteckungsrisiko bestand“, „ich hoffte, es würde schon nichts passieren“, „ich ging davon aus, dass mein Partner nicht HIV-infiziert sein kann“ sowie „ich dachte nicht, dass bei dem, was wir machten, ein Übertragungsrisiko bestand“. Hingegen gaben nur 6% Alkohol und/oder Drogen als beteiligt an, 17% Probleme bei der Kondombenutzung (Erektionsprobleme) sowie ebenfalls 17%, die Entscheidung ob ein Kondom verwendet wird an den Partner delegiert zu haben.

Die untersuchten MSM hatten ein recht gutes Wissen über mögliche Infektionsrisiken. Allerdings wurden auch einige Fehl-Wahrnehmungen von Risiken deutlich: lediglich 60% meinten z.B. , eindringender Analverkehr (‚aktive‘ Rolle) ohne Kondom sei ein Risiko, und nur 55% meinten dies bei aufnehmendem Analverkehr (‚passive‘ Rolle) ohne Ejakulation.

Ein zusammenfassender Bericht über die Ergebnisse der Pilotstudie findet sich im Epidemiologischen Bulletin des RKI (Ausgabe 01/2008).

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In der RKI-Studie waren zu einem besonders hohen Anteil junge MSM der Altersgruppe von 21 bis 29 Jahren betroffen (wesentlich höher als in den gesamten Falldaten, siehe HIV/Aids in Berlin).
Zur Frage, ob Drogenkonsum bei ungeschütztem Analverkehr eine wesentliche Rolle spielt, liegen scheinbar widersprüchliche Einschätzungen vor.
Offensichtlich scheint allerdings zu sein, dass Informations-Defizite vorliegen und subjektive Risiko-Einschätzungen z.T. unzutreffend getroffen werden. Selbst bei allgemein gut informierten MSM gibt es Fehl-Einschätzungen von Risiken in konkreten Situationen (Analverkehr aufnehmend / eindringend). Zudem ist die Bedeutung einer wirksamen Therapie für die Infektiosität scheinbar nur unzureichend bekannt.
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Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin 1: HIV / Aids in Berlin (akt.)

Ende des Jahres 2007 lebten ca. 10.400 Menschen mit HIV in Berlin, davon 9.500 Männer, 900 Frauen und 30 Kinder. Etwa 8.000 der 10.400 Berliner HIV-Positiven gehören zur Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ca. 1.200 sind DrogengebraucherInnen, etwa 450 stammen aus sog. Hochprävalenz-Regionen und ca. 700 haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Etwa 250 in Berlin lebende Menschen erkrankten 2007 neu an Aids, 210 davon Männer. Etwa 100 HIV-Infizierte verstarben 2007 in Berlin. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Die Gesamtzahl der HIV-Infizierten in Berlin seit Beginn der HIV-Epidemie beträgt ca. 14.700. Etwa 6.300 von ihnen sind seit Beginn der Epidemie an Aids erkrankt; etwa 4.300 an den Folgen von Aids verstorben. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007Die Gesamtzahl der gemeldeten HIV-Fälle in Berlin liegt nach einem Anstieg von 2001 bis 2004 seit einigen Jahren auf nahezu gleichbleibendem Niveau. Bei den Zahlen für 2007 (derzeitiger Datenstand 4.2.2008) ist zu berücksichtigen, dass noch Nachmeldungen erfolgen werden, die endgültigen Zahlen also etwas höher als hier dargestellt liegen könnten.

Wichtig bei allen Zahlen: dargestellt wird für den Diagnose-Zeitraum, nicht den Infektions-, Erkrankungs- oder Melde-Zeitraum.

Wie verteilen sich diese Gesamtzahlen der HIV-Infektionen in Berlin auf die einzelnen ‚Risikogruppen‘?

Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 38 35 59 46 39 46 40
Blut 0 0 0 0 0 0 0
hetero 14 25 21 33 35 42 28
iv Drogen 11 10 5 5 4 4 5
MSM 124 136 203 264 282 272 301
MTCT 1 2 0 3 3 0 0
Hochpräv. 12 17 22 18 26 26 15
gesamt 200 225 310 369 389 390 389

Tab.1 gemeldete HIV-Fälle Berlin nach Risikogruppen ((Quelle (auch für alle im weiteren verwendeten Zahlen): Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007 nach Risikogruppen relativ Bei der Analyse der Anteile, die die einzelnen Infektionswege an der Gesamtzahl der für Berlin gemeldeten Fälle haben (siehe nebenstehende Grafik), fällt auf, dass der Anteil des Infektionsweg „Männer die Sex mit Männern haben“ (MSM; in der Grafik brauner Bereich der Säulen) im letzten Jahr anstieg. 2007 betrug der Anteil der MSM an den gesamten gemeldeten HIV-Fällen in Berlin 77% (2006: 70%; 2005: 72,5%, 2004: 71,5%).
Der Anteil der durch iv-Drogengebrauch übertragenen HIV-Infektionen hingegen ist seit Jahren auf einem niedrigen Niveau.

In welchem Alter infizieren sich Menschen mit HIV? Die RKI-Daten beantworten diese Frage nicht (sie bilden nicht Infektionen, sondern Meldungen von Diagnosen ab) – sie geben aber Aufschluss darüber, in welchem Lebensalter Menschen sind, deren HIV-Infektionen gemeldet werden.

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativgemeldete HIV-Fälle MSM Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativNoch 2001 stellte die Gruppe der 30-39jährigen (in beiden Grafiken Säulenbereich hellblau) den mit Abstand größten Anteil der gemeldeten HIV-Fälle (Grafik links: 53,5% bei allen Fällen ; Grafik rechts: 56,5% bei MSM).
Seitdem hat der Anteil der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre deutlich zugelegt (2001: 15,5% alle, MSM 14,5%, 2007: 26,5% alle, MSM 24,6%), gesunken ist der Anteil der Altersgruppe 30-39 (2001: 53,5% alle, MSM 56,5%, 2007: 32,1% alle, MSM 34,9%). Die Altersgruppe 21-29 Jahre (in beiden Grafiken gelber und unterer grüner Bereich) stieg von 18,5% (alle) bzw. 20,1% (MSM) im Jahr 2001 auf 26,2% (alle) bzw. 26,6% (MSM) im Jahr 2007.

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Etwa 59.000 Menschen leben Ende 2007 in Deutschland mit HIV. Circa 10.400 von ihnen allein in Berlin – damit hat die Stadt einen Anteil von 17,6%. An der Gesamtbevölkerung der BRD von 2,35 Mio. hat Berlin mit 3,404 Mio. Einwohnern (beides Ende 2006) nur einen Anteil von 4,13%.
Das bedeutet, dass in Berlin über das Vierfache der aufgrund des Bevölkerungsanteils zu erwartenden Zahl an HIV-Positiven lebt.
Den größten Anteil der jährlich gemeldeten neuen HIV-Fälle stellen mit deutlich über 70% Männer die Sex mit Männern haben. Allein 30% der HIV-Fälle bei MSM werden bei Männern in der Altersgruppe der 40- bis 49Jährigen diagnostiziert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Diagnosen in der Altersgruppe der 21- bis 29Jährigen.

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Aktualisierung 04.02.2008: Daten aktualisiert auf Abfrage-Stand 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin

Berlin ist die Stadt in Deutschland mit den meisten Menschen mit HIV-Infektion. Auch über Wellen von Syphilis- oder Hepatitis-C-Infektionen in Berlin wird hin und wieder berichtet. Andererseits ist Berlin bekannt für seine auch in sexueller Hinsicht breite und variantenreiche Bandbreite an Möglichkeiten – und auch Zielort diversen Fremdenverkehrs, der auch eben diese sexuellen Freiheizten sucht.

Wie sieht es aus mit der sexuellen Gesundheit in Berlin, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben?
Ist Berlin wirklich „Bad Bareback“, wie einige schwule Touristen gerne kolportieren? Und wie sieht es mit den (gesundheitlichen) Konsequenzen aus?

Ab morgen unternehme ich in einer kleinen Reihe Versuche einer Annäherung an das Thema sexuelle Gesundheit schwuler Männer in Berlin. Dabei geht es zunächst darum, als Diskussionsgrundlage die Fakten soweit bekannt zusammenzustellen.

Wie viele Menschen haben sich in Berlin mit HIV infiziert? Wie viele sind an Aids erkrankt? Welche Gruppen sind am stärksten vertreten?
Teil 1: HIV / Aids in Berlin

Wie viele Menschen infizieren sich in Berlin jährlich neu mit HIV? Aus welchen Gruppen? Was könnten Gründe für steigende Infektionszahlen in einigen Gruppen sein?
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin

Wie hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen in Berlin in den letzten Jahren entwickelt? Und wie die der Fälle von Hepatitis C?
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin

Ist Berlin wirklich ‚der Sündenpfuhl der Republik? Wie steht Berlin beim Thema sexuelle Gesundheit da im Vergleich zu anderen Metropolen?
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln

Lassen sich aus den Zahlen und Analysen Anhaltspunkte finden, wie sich die zukünftige Situation entwickeln, welche Anforderungen potenziell
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Nebenbei, das Thema ’sexuelle Gesundheit‘ umfasst selbstverständlich mehr als die wenigen hier behandelten Themen (die z.B. ‚F‘ wie Filzläuse, Feigwarzen bis ‚T‘ wie Tripper umfassen). Allerdings ist gerade die ortsspezifische Datenlage hier wesentlich schwieriger, so dass ich mich im ersten Angang auf diese Themen beschränkt habe.


Benimmregeln und Verwirrung

In Deutschland sowie der Schweiz scheinen sich spannende Weiter-Entwicklungen der HIV-Präventionskampagnen insbesondere für schwule Männer abzuzeichnen. „Prävention neu“ – Verantwortung, differenziertere Information, Situationsbezug und Risikomanagement, Prävention könnte mehr sein als „Kondome Kondome Kondome“ …

Ganz anders hingegen in Österreich. Hier scheinen die Uhren anders zu ticken. Zumindest in Sachen HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).

Denn Vertreter österreichischer Aids-Hilfen kommentieren die Änderungen, die sich in Deutschland abzeichnen, äußerst – nun ja, pointiert wäre wohl eine höfliche Beschreibung dafür:

„Dahinter [hinter dem was sie als ‚Prävention neu‘ bezeichnen; d.Verf.] verbirgt sich eine gefährliche Abkehr von der Kondomempfehlung und die Erfolge der HIV-bezogenen Gesundheitsförderung werden gefährdet.“

A-ha. Zwar will niemand von der Kondom-Empfehlung abkehren, dieser hingegen weitere Empfehlungen an die Seite stellen. Aber nun denn, wir lesen weiter. Worum geht es denn?

„Durch die verbesserten Perspektiven in der Therapie darf es aber keineswegs zu einer Verwässerung der Safer-Sex-Botschaften kommen.“

Denn

„… ein sogenanntes Risikomanagement ohne konsequente Kondomempfehlung für schwule Männer [ist] eine Mogelpackung mit schweren Nebenwirkungen.“

Und, die Schwulen, na die sollen sich mal ja keine Hoffnungen machen …

„Etwaige Erwartungen in der schwulen Szene, dass im Kontext der Therapiemöglichkeiten die ‚Krise vorbei sei‘ und somit wieder eine Sexualität ohne Habitus der ‚Kontrolle‘ (sprich: Kondomanwendung) möglich sein könnte, müssen im Sinne der realistischen Verantwortung enttäuscht werden.“

Nun denn. Und was heißt das?

„Die Diskussion um eine ’neue Prävention‘ in Deutschland ist deshalb so unglaubwürdig, da sie sich nur scheinbar auf die Evidenz aus der Forschung bezieht, und die Schlußfolgerung‘ es muss nicht immer ein Kondom sein‘ plump und letztlich recht ungeniert referiert wird.“

(Alle Zitate bisher: Frank M. Amort: Prävention anders? – Die Erosion der Safer-Sex-Botschaft. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)

Nun, Herr Amort hat uns für’s erste einmal zur genüge aufgeklärt.
Aber – nein, das reicht noch nicht. Jetzt kommt noch Frau Fleck. Und die erklärt uns, wo es denn hin gehen soll:

„Dass man Kondome verwenden soll, darüber herrscht weitgehend Konsens. Diejenigen, die glauben, in einer entsprechenden Situation davon keinen Gebrauch machen zu müssen, wissen in diesem Moment wohl auch, dass sie diese Regel verletzen. In der Präventionsarbeit kann es also nur darum gehen, das normative Bewußtsein ‚Verwende Kondome!‘ zu stärken, um den Anteil derer, die in entsprechenden Risikosituationen davon keinen Gebrauch machen, zu reduzieren.“

Und weiter:

„Man sollte nicht übersehen, dass eine allzu liberale Haltung gegenüber risikoreichen Verhaltensweisen Auswirkungen auf die Präventionsarbeit mit allen Gruppen haben kann.“

Und deswegen …

„Benimm-Regeln haben es an sich, dass sie nur dann funktionieren, wenn sie als allgemein gültig betrachtet werden.“ Und „Schwierigkeiten von Einzelpersonen mit diesen Regeln sind Thema für Einzelberatungen. Wenn sie für eine ganze Zielgruppe verallgemeinernd diskutiert werden, stiftet das nur Verwirrung.“

Die Frage, was denn geschehen sollte, wenn diese erfolgreich vereinzelten und isolierten Benimmregelverweigerer uneinsichtig bleiben sollten, beantwortet uns Frau Fleck leider (noch?) nicht …

(Diese letzten Zitate: Lola Fleck: Prävention anders: Normen und Verhaltensweisen. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)

Nun sind Herr Amort und Frau Fleck nicht irgendwer, nicht von der katholischen Kirche und nicht von evangelikalen Sekten. Nicht aus der Vergangenheit, sondern schreiben das heute. Für Menschen von heute, für eine heutige Aids-Prävention.

Herr Amort ist Leiter der Präventionsabteilung der Aids Hilfe Wien, und Frau Fleck Leiterin der Steirischen Aids-Hilfe. Ihre Gedanken haben sie im offiziellen ‚Informationsmagazin der AIDS-Hilfen Österreichs‘ (PlusMinus, Ausgabe 04/2007, als pdf hier) zur Kenntnis gebracht.
In Reaktion auf Gedanken, die sich Menschen in Deutschland (wie auch in der Schweiz) über die Weiterentwicklung der Aids-Prävention machen. Gedanken, die sich z.B. mit dem HIV-Infektionsrisiko unter erfolgreicher Therapie beschäftigen oder mit der Abkehr von Patentrezepten, Mythen und Fehleinschätzungen.

Es gibt ganz offensichtlich Uhren, die anders gehen, und Gedanken, die nur Verwirrung stiften. Deswegen sollen sie möglichst auch gar nicht gedacht werden. Auch in der Aids-Arbeit und HIV-Prävention. Zumindest wenn es nach einigen unserer österreichischen Nachbarn geht.
Für mich klingt da erschreckend viel nach new gay right und schwulem Konservatismus.
Wenn man sich die Gedanken aus Österreich einmal etwas länger durch den Kopf gehen lässt, kann man wahlweise erschrecken oder amüsiert den Kopf schütteln. Die Konsequenzen für die Menschen in Österreich (insbesondere MSM) hingegen scheinen mir äußerst fragwürdig …

hochpreisige Pillen (akt.)

Nur wenige HIV-Patienten kennen die Preise der Medikamente, die sie u.U. einnehmen. Politikum Medikamenten-Preise – im Gegensatz zu anderen Staaten meist nicht hierzulande.
Als Versicherter der Gesetzlichen Krankenversicherung erfährt ein Patient kaum einmal den Preis der Pillen – Apotheken rechnen die Rezepte direkt mit der Kasse ab.

Zur Information hier einige beispielhafte Preise von Aids-Medikamenten (Stand 01/2008):

Handelsname Dosis Tbl/ Preis AVK Preis/ Tages- Preis Preis
Pckg. Einheit dosis Tag Jahresdosis
Pis
Aptivus 250mg/Kps 120 970,43 € 8,09 € 4 32,35 € 11.806,90 €
Crixivan 400mg/Kps 180 372,54 € 2,07 € 4 8,28 € 3.021,71 €
Invirase 500mg/Kps 120 576,53 € 4,80 € 4 19,22 € 7.014,45 €
Norvir 100mg/Kps 336 619,54 € 1,84 € 1 1,84 € 673,01 €
Prezista 300mg/Tbl 120 867,14 € 7,23 € 4 28,90 € 10.550,20 €
Reyataz 150mg/Kps 60 711,50 € 11,86 € 2 23,72 € 8.656,58 €
Telzir 700mg/Tbl 60 578,39 € 9,64 € 2 19,28 € 7.037,08 €
NRTIs
Emtriva 200mg/Kps 30 300,42 € 10,01 € 1 10,01 € 3.655,11 €
Epivir 300mg/Tbl 30 300,42 € 10,01 € 1 10,01 € 3.655,11 €
Retrovir 250mg/Kps 40 226,18 € 5,65 € 2 11,31 € 4.127,79 €
Videx 400mg/Kps 60 673,52 € 11,23 € 1 11,23 € 4.097,25 €
Viread 245mg/Tbl 30 478,30 € 15,94 € 1 15,94 € 5.819,32 €
Zerit 245mg/Kps 56 281,60 € 5,03 € 2 10,06 € 3.670,86 €
Ziagen 300mg/Tbl 60 452,97 € 7,55 € 2 15,10 € 5.511,14 €
NNRTIs
Sustiva 600mg/Tbl 30 420,26 € 14,01 € 1 14,01 € 5.113,16 €
Viramune 200mg/Tbl 60 437,04 € 7,28 € 2 14,57 € 5.317,32 €
Viramune 200mg/Tbl 120 855,46 € 7,13 € 2 14,26 € 5.204,05 €
Sonstige
Celsentri 150mg/Tbl. 60 1.101,00 € 18,35 € 2 36,70 € 13.395,50 €
Isentress 400mg/Tbl 60 1.062,03 € 17,70 2 35,40 € 12.921,37 €
Fuzeon 100mg/Amp 60 2.032,04 € 33,87 € 2 67,73 € 24.723,15 €
Kombi-Med.
Atripla 300/200/600mg/Tbl 1
Combivir 150/300mg/Tbl 60 634,91 10,58 € 2 21,16 € 7.724,74 €
Kivexa 300/600mg/Tbl 30 722,93 24,10 € 1 24,10 € 8.795,65 €
Trizivir 150/300/300mg/Tbl 60 1141,65 19,03 € 2 38,06 € 13.890,08 €
Truvada 300/200mg/Tbl 30 769,07 25,64 € 1 25,64 € 9.357,02 €
Kaletra 200/50mg/Tbl 120 773,27 6,44 € 4 25,78 € 9.408,12 €

Anmerkungen:
alle Handelsnamen eingetragene Warenzeichen
Tagesdosis: angegeben nur häufig verwendete Dosierungen, ggf. erforderliche RTV-Boosterung, hier nicht genannt. KEINE Dosisempfehlungen!
Ritonavir: angegebener Preis Jahresdosis bei Verwendung als Booster 1x 100mg (nicht als eigenständiger PI)

Die oben genannten Packungs-Preise (Preis AVK; AVK = Apotheken-Verkaufspreis) gelten für jeweils ein Medikament. Wichtiger als die Packungspreise sind für Preisvergleiche die Preise pro üblicher Tagesdosis sowie die Jahres-Therapiekosten:

Ein HIV-Positiver nimmt üblicherweise eine Kombination aus drei oder mehr Wirkstoffen (die manchmal in einer Pille kombiniert sein können).

Dabei können sich jährliche Therapiekosten in ganz anderen Dimensionen ergeben – 15.000 Euro ca.-Jahres-Therapiekosten sind schnell erreicht:

Aids-Medikamente Beispiele ca-Jahres-Therapiekosten
In diesem Beispiel möglicher jährlicher Therapiekosten sind die Kosten für Begleit-Medikationen noch nicht berücksichtigt.

Und werden besonders hochpreisige Medikamente eingesetzt (wie z.B. bei vielen vorhandenen Resistenzen und Fuzeon-Therapie), können die Kosten weitaus höher werden …

Politikum Medikamenten-Preise

Die Preise der Aids-Medikamente interessieren hierzulande bisher die meisten Patienten nur wenig.

Sicher, einige Positive wissen um die Auswirkungen von Medikamenten-Preisen in den weniger entwickelten Staaten der Welt. Manche bekommen wohl auch mit, dass Aids-Medikamente nicht gerade zum Niedrigpreis-Segment des Pharma-Marktes gehören (z.B. wenn wieder einmal Meldungen über Deals mit Pillen durch die Presse gehen). Meistens jedoch sind die Preise der Pillen hierzulande ‚kein Thema‘.

Ganz anders z.B. in den USA, schon aus Gründen des dort völlig anders strukturierten Gesundheitssystems.
In den USA, wo viele Menschen überhaupt keinen Krankenversicherungsschutz haben oder auf die (oft nicht optimal wirksamen) staatlichen Hilfsprogramme Medicaid und Medicare angewiesen sind, ist der Preis von Medikamenten viel eher ein Thema.

Und dort sind Medikamenten-Preise oft auch ein Politikum, Gegenstand aktivistischen Engagements.
Ein besonderer Fall war der Preis für das erste zugelassene Aids-Medikament, AZT (Handelsname Retrovir). Der Hersteller Burroughs Wellcome (heute aufgegangen in GlaxoSmithKline) setzte den Preis des neuen Medikaments auf damals sehr hohe 8.000 $ pro Jahr fest. Massive Proteste und Demonstrationen vor Büros und Niederlassungen des Herstellers sowie Aktionen zivilen Ungehorsams in der Wall Street im Jahr 1989 brachten den Hersteller schließlich drei Tage später zum Einlenken, der Preis für AZT wurde um 20% gesenkt.

Ein weiteres Mal konnten Aids-Communities einen Pharmahersteller zum Senken des Preises eines Medikaments bringen (beim Herpes-Medikament Aciclovir).

In heutigen Zeiten hingegen haben selbst in den USA die HIV-Communities kaum noch den Elan, zu solch starken Demonstrationen zu mobilisieren. Allerdings engagieren sich Aids-Aktivisten in den USA zunehmend nicht nur in Therapieaktivismus und Forschungsfragen, sondern auch in Gesprächen mit Pharmakonzernen, wenn es um die Festsetzung von Preisen für neue Medikamente geht. Auch dies hierzulande bisher weitgehend unbekannt und ungedacht.

Bittere Ironie medizinischen Fortschritts: mit dem Erfolg besserer und wirksamerer Medikamente hat die Fähigkeit zu Protesten und Mobilisierung massiv nachgelassen. Dabei sind so manche Medikamente heute teurer denn je …

HIV & Strafrecht – rollback zur ‚alten Schule‘?

Zunehmend stehen in Europa HIV-Positive vor Gericht, die wegen HIV-Infektion angeklagt werden.

In der Schweiz erfolgte jüngst ein Freispruch in HIV-Prozess, mit einem bemerkenswerten Urteil – der Beklagte wurde freigesprochen, da er die safer-sex-Regeln eingehalten hatte.

Leider ist das erfreuliche Urteil aus der Schweiz derzeit im europäischen Kontext die Ausnahme. Schon seit längerem häufen sich Fälle, in denen juristisch gegen Positive vorgegangen wird. Auch in jüngster Zeit wieder:

In Kleve wurde ein 37jähriger HIV-Infizierter Mitte Dezember 2007 vom Landgericht wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er einem 24jährigen Lover seine HIV-Infektion verschwieg. Dieser ist inzwischen auch HIV-infiziert, wobei nicht geklärt werden konnte, bei wem er sich infiziert hat. Ursprünglich lautete die Anklage auf versuchten Totschlag.

Ein pädophiler Sex-Tourist steht in Kiel vor Gericht. Neben dem Missbrauch Minderjähriger (in Kambodscha) wird ihm auch versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er habe eine HIV-Infektion der Kinder billigend in Kauf genommen.

In Frankreich wird einem 25jährigen HIV-infizierten Schwulen vor Gericht vorgeworfen, bewusst die mögliche Infektion mehrerer Sex-Partner in Kauf genommen zu haben. Erstmals in Frankreich kommen phylogenetische Untersuchungen zur Anwendung – um den ‚Verursacher‘ ausfindig zu machen.

In London haben Richter Anfang Dezember 2007 geurteilt, wenn ein HIV-Positiver seinen HIV-Status vor dem Sex nicht erkläre, könne dies bei der Strafbemessung relevant sein. Britische Strafrechts-Experten sehen in dem Urteil eine Fortsetzung des Trends von Richtern (in Großbritannien), die nicht-Offenlegung des eigenen HIV-Status als ‚völlig unentschuldbare Handlung‘ zu betrachten.

Trotz des erfreulichen und erfreulich überlegt begründeten Schweizer Urteils, in Europa scheinen die ‚juristischen‘ Zeichen der Zeit eher auf höherer Strafverfolgung und zunehmendem juristischen Druck gegen Positive zu stehen.

Steht hinter dieser Tendenz zu mehr ‚law and order‘ nicht letztlich auch der Gedanke, wieder zu einer Aids-Bekämpfung ‚alter Schule‘ zurück zu kehren?
‚Alte Schule‘, das hieß ‚controll and containment‘, Infektionsquellen identifizieren und stillegen. ‚Neue Schule‘ hingegen ist seit den 1980er Jahren vielmehr eine Politik von ‚inclusion and cooperation‘ – eine Politik, die Betroffene ohne Diskriminierung einbindet und die bisher deutliche Erfolge produziert hat. Eine Politik, die nicht unüberlegt aufgegeben werden sollte.
So bleibt zu hoffen, dass das Schweizer Urteil ‚Schule macht‘.

weitere Informationen:
Mit Justitia gegen Positive?
Strafrecht gegen unsafen Sex – ein Blick über die Grenzen
UNAIDS über HIV und Strafrecht
Infektionsrisiko unter HAART – widersprüchliche Signale
HIV/Aids: repressive Maßnahmen behindern Prävention

zu phylogenetischen Tests:
HIV vor Gericht 1 – alles eine Frage der Abstammung
HIV vor Gericht 2 – Ist Abstammung wirklich alles?
HIV-Abstammung allein nicht genug vor Gericht

Freispruch in HIV-Prozess

Über ein bemerkenswertes Urteil in der Schweiz berichtet the gay dissenter:

Im Sommer 2005 infizierte sich der Kläger beim Oralsex mit den Angeklagten mit HIV. Ein wissenschaftliches Gutachten (vermutl. phylogenetische Analyse, d.Verf.) habe, so die schweizer Presse, die sehr große Ähnlichkeit der Viren beider belegt.

Der Angeklagte wurde freigesprochen. Er habe sich an die safer-sex-Regeln gehalten und keine Sorgfaltspflichten vernachlässigt. „Solange die Safer-Sex-Regeln eingehalten werden,ist die Grenze des erlaubten Risikos nicht überschritten“, so der Gerichtspräsident des Kreisgerichts Konolfingen.

Einen ausführlichen Bericht hat thegaydissenter.

weitere Informationen:
Strafrecht gegen unsafen Sex – ein Blick über die Grenzen
UNAIDS über HIV und Strafrecht
Infektionsrisiko unter HAART – widersprüchliche Signale
HIV/Aids: repressive Maßnahmen behindern Prävention

Infektionsrisiko unter Therapie – widersprüchliche Signale (akt.)

Kann eine erfolgreiche anti-HIV-Therapie das Risiko einer HIV-Übertragung senken? Diese Frage wird insbesondere auch unter HIV-Positiven intensiv diskutiert. Von Experten kommen derzeit unterschiedliche Signale.

RKI: nichts genaues weiß man nicht
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet sich zu diesem Thema mit einem im wesentlichen bedächtigen Ergebnis zu Wort. Im Epidemiologischen Bulletin Nr. 47 schreibt das RKI „Zum HIV-Übertragungsrisiko unter antiretroviraler Therapie“.

In dem Beitrag wird u.a. besonders auf die teils sehr schlechte Datenlage hingewiesen, so liegen z.B. kaum Daten zur HIV-Konzentration an der Darmschleimhaut (ohne / mit ART) vor.
Grundsätzliches Problem aller Überlegungen sei: für die Prävention relevante Überlegungen erfordern prospektive Studien zum Übertragungsrisiko von HIV – diese gibt es jedoch bisher nicht. Daten einer laufenden Studie bei diskordanten heterosexuellen Paaren werden für 2009/10 erwartet; eine Studie für Infektionsrisiken bei homosexuellen Übertragungssituationen existiert bisher nicht.

Surrogat-Marker (ersatzweise herangezogene Laborwerte wie die Viruslast) können dabei immer nur ein ‚Hilfskonstrukt‘ sein.
Etwaige vorhandene sexuell übertragbare Infektionen (STI) können zudem bei nicht / nicht erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven das Übertragungsrisiko zum Teil erheblich erhöhen (Daten bei erfolgreicher HAART liegen kaum vor).
U.a. aufgrund möglicher Veränderungen des Übertragungsrisikos z.B. durch Ko-Infektionen weist das RKI auf die Möglichkeit hin, dass zwischen monogamen Partnern und Partnern mit häufig wechselnden Partnern evtl. unterschiedlich hohe Übertragungswahrscheinlichkeiten bestehen könnten.

Mit aller Vorsicht der Wissenschaft kommt das RKI zur Frage des Infektionsrisikos bei erfolgreicher Therapie zu dem Schluss, dass
– eine effektive ART (Viruslast unter der Nachweisgrenze) mit hoher Wahrscheinlichkeit die HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit deutlich senkt;
– für Aussagen auf individueller Ebene (konkrete Situation / Konstellation zweier Menschen miteinander) hingegen weitgehend Daten fehlen; und
– die Einschätzung zahlreicher Risiko-Situationen bei eindringendem und aufnehmendem Anal- sowie Vaginalverkehr aufgrund fehlender oder nur geringer verfügbarer Daten kaum möglich ist. Das RKI trifft hierzu aus diesem Grund keine Aussagen.

Schweiz: Positive mit erfolgreicher Therapie „nicht infektiös“
Ganz anders die Beurteilung der Situation und die gezogenen Konsequenzen in der Schweiz:
Bernard Hirschel vom Service des Maladies Infectieuses Département de Médecine Interne Hôpital Cantonal (Leiter der Einheit Aids) vertritt eine sehr dezidierte Meinung. Seiner in letzter Zeit auch mehrfach öffentlich geäußerten Ansicht zufolge sind HIV-Positive mit erfolgreicher Kombitherapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) nicht infektiös, selbst nicht bei unsafem Sex.

Prof. Bernard Hirschel bringt seine Position in der ‚Tribune de Genève‚ auf den Punkt: „keine nachweisbare Viruslast, keine Infektion“(ähnliche Aussagen auch in 24 heures und Le Temps).
Eine Meinung, die auch die Schweizer Aids-Kommission teilt. Die ‚Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen‘ (EKAF) formuliert „ein zusätzlicher positiver Effekt einer erfolgreichen Therapie ist auch die fast vollständige Verhinderung einer weiteren Übertragung von HIV“ ((„Visionen und Empfehlungen für die HIV/Aids-Politik der Schweiz“, siehe unter ‚weitere Informationen‘)).

Hirschel führt seine Überlegungen sogar noch weiter. Er misst einer erfolgreichen Kombitherapie einen präventiven Aspekt bei. Präservativ und Pillen, Kondom und Kombitherapie seien zwei wirksame Schutz-Möglichkeiten, jede mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen.
Auch Hirschel betont allerdings, keine Infektiosität bedeute nicht ‚kein Risiko‘. Es bleibe weiterhin z.B. das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen, die dann ihrerseits auch das Risiko einer HIV-Übertragung erhöhen könnten.

Zwei renommierte Aids-Institutionen bzw. Experten, und zwei recht unterschiedliche Äußerungen. Was zunächst überrascht – die Datenlage kann ja doch zu diesem Thema zwischen der Schweiz und Deutschland nicht so arg unterschiedlich sein.

Prof. Hirschel kann sich zu einer sehr pointierten Aussage durchringen, die auch für Menschen mit HIV eine konkrete verständliche Botschaft ist.
Das RKI hingegen windet sich deutlich, vermeidet geradezu zu einer klaren Aussage zu kommen.
Zu hoffen ist, dass bei der Zurückhaltung des RKI keine politische Einflussnahme im Spiel ist. Bei der Haltung des RKI ist sicher zu berücksichtigen, dass das RKI vermutlich auch befürchtet, angesichts des komplizierten Sachverhalts würden Teile der Informationen ‚in der Praxis‘ verloren gehen – so dass im Extremfall der (nicht berechtigte) Eindruck eines ‚Freifahrscheins‘ entstehen könnte.

Dennoch – (nicht nur) für Menschen mit HIV bietet sich nun ein äußerst widersprüchliches, unklares Bild. Im Sinne klarer Botschaften, die auch Orientierungspunkte für eigenes Verhalten liefern, wäre es wünschenswert, wenn sich Aids-Experten deutlicher auf eine verständliche Position einigen können.
Zudem bleibt zu wünschen, dass die Erkenntnisse zur Infektiosität bei Positiven unter Therapie auch in der strafrechtlichen Praxis ankommen (und bei denen, die Strafverschärfungen fordern).
So könnte sich die/der deutsche Positive (zumindest aus der Sicht der Infektionsitäts-Debatte) derzeit beinahe wünschen, in der Schweiz zu leben …

weitere Informationen:
Transmissionsrisiko unter HAART: ‚vernachlässigbar klein‘
HIV-Status und Prävention
Das Epidemiologische Bulletin Ausgabe 47 / 2007 gibt’s als pdf hier
EKAF und Sektion Aids, BAG: „Visionen und Empfehlungen für die HIV/Aids-Politik der Schweiz“, discussion paper für das Aidsforum 2007, S. 19; als pdf online hier

Prof. Hirschel hat seine Gedanken auch in einem Interview mit dem Schweizer Positiven-Radion survivreausida erläutert. Die Sendung kann hier online gehört werden (mp3, in französischer Sprache)

US-Einreise- Bestimmungen: massive Kritik

Die von der Bush-Regierung vorgeschlagenen neuen Einreisebestimmungen für HIV-Positive sind auf massive Kritik gestoßen.

Seit 1993 (Jesse-Helms-Act) ist die Einreise in die USA für Menschen mit HIV und Aids äußerst restriktiv geregelt – die bisher immer noch geltenden Regelungen kommen fast einem de facto Einreiseverbot gleich. Trotz zahlreicher internationaler Proteste waren bisher alle US-Regierungen bei diesen Regelungen geblieben.

Ende 2006 hatte dann etwas überraschend die Bush-Regierung eine Änderung der Einreise-Bestimmungen angekündigt. Erst vor kurzem waren dann Entwürfe für diese Neuregelung seitens des DHS (Department of Homeland Security) veröffentlicht worden.

Die Vorschläge erhielten schnell Kritik von Seiten zahlreicher Aids-Aktivisten. Bis zum 6. Dezember standen die Vorschläge für die Neu-Regelung im Internet zur Diskussion. Und es hagelte weitere Kritik.

Die International Aids Society (Ausrichterin u.a. der Welt-Aids-Konferenzen und bekannt für eine dezidierte Haltung in Sachen Reise-Restriktionen für Menschen mit HIV und Aids) betonte in ihrer Stellungnahme, die neue Regelung sei unverändert äußerst diskriminierend und fördere eine Politik, die weder in Wissenschaft, Medizin noch öffentlicher Gesundheit fundiert sei (pdfs mit Stellungnahmen hier und hier). Die neuen Vorschläge würden nur eine alte diskriminierende Politik verstärken.
Die IAS hatte bereits nach der Konferenz von 1990 in San Francisco beschlossen, keine weiteren Welt-Aids-Konferenzen mehr in den USA stattfinden zu lassen, solange die restriktiven Einreisebestimmungen des Hellms-Act bestehen.

Aber auch zahlreiche andere Organisationen und Fach-Gesellschaften kritisierten die Vorschläge für eine Neu-Regelung. So betonte die hiv medicine association, hiermit werde eine schlechte Regelung noch schlechter gemacht. Und Dr. Paul Volberding, Medizinischer Direktor des VA Medical Center in San Francisco, stellte klar, dass zwar US-Bürger auch mit HIV in fast alle Staaten der Welt reisen könnten, die USA selbst aber Schranken errichteten. Elemente der neuen Regelung würde er als ‚lachhaft‘ bezeichnen, wenn es nicht so traurig wäre. Die ursprünglich angekündigte Vereinfachung der Regelung sie dieser Entwurf nicht.

Das DHS verteidigte den Entwurf.

Aktivisten betonten, diese Bestimmungen seien völlig kontraproduktiv. Nur 13 Staaten auf der Welt hätten ähnlich restriktive Einreisebestimmungen wie die USA. Erst jüngst hatte China angekündigt, selbst von heimkehrenden Staatsbürgern einen HIV-Test zu verlangen, wenn sie sich länger als ein Jahr im Ausland aufgehalten haben.

weitere Informationen:
USA: Kritik an neuen Einreise-Regelungen für HIV-Positive
Ändern USA HIV-Einreiseverbot?
aktualisierte Übersicht über Reise- und Einreisebestimmungen nach Staaten
die Einreisebestimmungs-Übersicht auch als pdf-Download auf hiv-wechselwirkungen.de